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Bild Theodor Herrmann

7. Von einem Finken und wie es ihm auf dieser Welt erging.

Das erste, was er merkte, war ein starker Druck. Irgend etwas bedrängte und bedrückte ihn, und er konnte sich nicht rühren noch regen. Das einzige, was er bewegen konnte, war sein Schnabel, und mit dem stieß er fortwährend gegen eine Wand. Ach, wenn doch die Wand nicht gewesen wäre, die ihn überall umgab und ihm im Wege war! Er stieß mit dem Schnabel gegen die Wand, bis er ein kleines Loch hindurchgestoßen hatte. Hurra! Jetzt hatte er frische Luft! Aber was war denn das, was ihm half? Überall wurde an die Wand gepickt, und ehe er es sich versah, hatte die Wand einen Sprung bekommen. Jetzt konnte er sogar die Beine schon bewegen, und dann, nach einer halben Stunde, kroch er ganz aus seiner Eischale heraus und saß im weichen, mit Moos ausgepolsterten Neste und sah verwundert umher.

Überall war es grün. Große, grüne Lappen, viel größer als er selbst, hingen zu tausenden um den Platz, wo er sich befand, herum. Und auf dem Rande des Nestes saß – – Ja, wer mochte denn das sein? – Da saß ein großer Vogel, der freundlich »piep! piep!« rief und sorgsam die Schalenstückchen aufpickte und zum Neste hinauswarf. Und wer mochte wohl der andere Vogel sein, der fröhlich zwitschernd plötzlich herzugeflogen kam und ein langes, schönes Lied sang, so hell, so schmetternd, daß es dem eben aus dem Ei gekrochenen, nackten Vöglein fast zu laut klang?

Verwundert sah es umher, aber da fings auf einmal an, ihm ungemütlich zu werden. Etwas, was tief drinnen in seinem Leibe saß, tat ihm weh, und weit riß er seinen gelben Schnabel auf, und er hätte wohl laut geschrien, wenn er das gekonnt hätte. Da flog einer von den großen Vögeln fort und kam nach wenigen Augenblicken wieder, und als dann der Kleine wieder seinen Schnabel vor Schmerz weit aufsperrte, da wurde ihm etwas hineingestopft, etwas Dickes, Weiches. Er mußte schlucken und schlucken, und – ein klein wenig ließ der Schmerz in seinem Leibe nach. Aber schon nach wenigen Minuten war er wieder da und kam wieder und wieder, und immer wieder stopfte einer der beiden großen Vögel dem jungen den Schnabel voll. Bis der Abend kam. Da wurde er zugedeckt, ganz weich und warm, und die Augen wurden ihm schwer, und er schlief ein.

Am andern Morgen, als die großen, grünen Lappen am Baume heller erglänzten, da sah der junge Vogel, daß noch zwei andere bei ihm im Nest lagen, die auch so nackt waren wie er, die mit ihm um die Wette die Schnäbel aufsperrten. Die Eltern, die ihn schon gestern gefüttert hatten, kamen heute den ganzen Tag nicht zur Ruhe und flogen hin und her und her und hin, um die drei hungrigen Kinder satt zu machen.

So gingen mit Füttern und Schlafen die ersten Tage hin, und die drei im Neste waren schon ein wenig gewachsen und hatten schon dann und wann einmal einen kurzen Blick über den Rand des Nestes weg getan und hatten sich schon von den Eltern erzählen lassen, daß sie drei Geschwister waren, drei Buchfinkenkinder! Ihr Nest befand sich ganz versteckt an der Stelle, wo zwei dicke Äste aus dem Stamm einer uralten Kastanie entsprangen. Und die uralte Kastanie stand hinter der Gartenmauer in einem Pastorengarten. Der Pastor, der oft im Garten spazieren ging, war ein guter Mann, der keinem Vögelchen etwas zuleide tat. »Aber,« erzählte die Mutter, »auf der Straße hinter dem Garten spielen oft Knaben, die gern mit Steinen werfen und uns noch lieber fangen und quälen würden, wenn sie uns nur kriegen könnten, hütet euch vor ihnen, Kinder!« – »Ja, wie sehen sie denn aus?« fragten diese. »Ihr sollt sie schon noch zu sehen bekommen, wenn ihr erst fliegen könnt,« antwortete die Mutter.

Aber das Fliegenlernen hatte noch lange Wege. Vorläufig waren ihnen kaum die ersten, winzigen Federchen gewachsen, und man sah noch an vielen Stellen die nackte Haut. Aber von Tag zu Tag wurden die Federn länger, die Schnäbel schmaler, die Augen kleiner und die Beine kräftiger.

Von Tag zu Tag wurden die drei Geschwister unruhiger im Nest.

Ja, am Tage war es schon wunderschön hinter den grünen Laubgardinen der alten Kastanie. Zuweilen kam eine ganze Horde Sperlinge, die tollten in dem Zweigwerk herum, schalten und bissen sich und jagten sich halb aus Ernst und halb aus Spaß.

Vater und Mutter erzählten den Kindern von der großen, schwarzen Katze, die im Pastorengarten des Abends herumschlich, vom Igel, der so gern Vogeleier und junge Vögel fraß, und von dem großen Jagdhunde des Pastoren, der aber nur bellte und nie biß.

Aber ängstlich wurde ihnen, wenn sie von Sperbern und Habichten erzählen hörten, die aus der Luft herab auf die Vögel stoßen und sie zerkrallen und nackt rupfen und dann auffressen. Und unheimlich wurde es, wenn die Nacht kam, wenn sie halb schon im Schlafe allerlei seltsame Geräusche hörten und mitunter spürten, wie das Herz der Mutter stärker klopfte und lauter schlug aus Angst und Sorge um die Kinder. – – –

Eines Tages sagte der Vater einmal leise zu der Mutter: »Ich glaube, wir können es schon einmal versuchen.« Die Mutter sah ihre drei Kinder zweifelnd an. Aber diese hatten erraten, wovon die Eltern sprachen, und riefen: »Oh ja! oh ja! lehrt uns fliegen, wie ihr fliegen könnt, wir wollen auch gut aufpassen.« Der älteste von ihnen, der zuerst aus seiner Eischale gekrochen war, stieg kühn auf den Rand des Nestes, schlug kräftig mit den Flügeln und – – – war plötzlich verschwunden, ehe der Vater herzufliegen und ihn zurückhalten konnte. Mit Gesichtern voll Schrecken saßen die Eltern da und wagten nicht sich zu rühren. Dann hörten sie aus der Tiefe ein klägliches »Piep! Piep!« – »Bleibt still im Neste, bis ich wiederkomme!« rief die Mutter ihren zwei Kindern zu, dann schwang sie sich hinab in die Tiefe, um ihr gestürztes Kind zu suchen. Der Vater folgte ihr sogleich.

Mitten auf einem geharkten Wege lag der Kleine und konnte nicht von der Stelle, von allen Seiten besahen ihn die Eltern, bis sie den Schaden fanden. »Er hat ein Bein gebrochen,« sagte der Vater leise zu der Mutter. »Da ist nichts zu machen. Er wird wohl sterben.« Ach, wie traurig wurde die Mutter, als sie das hörte. Gerade ihr Liebling war es, der aus dem Neste gestürzt war. Sie fing Fliegen für ihn, sie suchte ihm Körnlein und pflegte ihn, so gut sie konnte.

Da kam auf einmal etwas durch die Büsche geraschelt. Zwei große Augen sahen auf den jungen Buchfink hernieder, ein großes Maul tat sich auf. Erschrocken flogen die Eltern davon. Und der Kleine, der sich nicht zu rühren vermochte, dachte: »Das ist die Katze! Das ist die Katze! Jetzt wird sie dich fressen!« Ängstlich duckte er sich nieder Aber es war nicht die Katze sondern der große Hund des Pastors, der ja keinem Vöglein ein Leid tat. Er beschnupperte den jungen Buchfink von allen Seiten, und als er sah, daß der nicht davon flog, kam ihm das wohl merkwürdig vor. Er fing an laut zu bellen. Da näherten sich Tritte, und der Pastor, der gerade im Garten spazieren ging, kam herzu und besah neugierig die Gruppe. Seine goldene Brille schob er auf die Stirn, er bückte sich, faßte langsam und vorsichtig das junge Vöglein und nahm es in die Hand. »Oh weh! oh weh! du armes Tierchen!« sprach er mitleidig. »Du bist wohl aus dem Neste gefallen und hast ein Bein gebrochen. Das ist eine schlimme Geschichte.« In beiden Händen trug er das Vöglein vorsichtig dem Hause zu.

Die Eltern flogen ihm nach und piepten laut, um ihr Kind zu trösten. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, kehrten sie zu ihrem Neste zurück und erzählten, was sie gesehen hatten. Ja, heute war ein Unglückstag. Sie wollten doch das Fliegenlernen noch ein paar Tage aufschieben.

Niedergedrückt saßen sie alle beieinander und warteten, bis die Mittagshitze vorüber war. Da horchte auf einmal der Vater auf und sagte: »Die Stimme kommt mir bekannt vor. Was mag das für ein Piepen –« Aber er sprach den Satz gar nicht zu Ende, in weiten Sätzen flog er durch den Garten der fernen Stimme nach. Die Mutter folgte ihm sofort.

Das rufende Piepen kam aus dem Pastorenhause. Ja, es war die Stimme ihres Ältesten. Die beiden Alten setzten sich auf die Spitze eines Syringenbaumes und sahen aufmerksam zum Dache hinüber, aber sie konnten den Rufer nicht erblicken. Sie antworteten ihm beide, so laut sie nur konnten. Und als er wieder rief, merkten sie, daß sein Rufen aus einem offenen Fenster tönte. Sofort flog die Mutter auf die Fensterbrüstung und lugte vorsichtig ins Zimmer. Oh welche Freude! Dicht am Fenster stand ein großer Tisch, und mitten darauf lag ein Klumpen Watte, und darin ihr Kind, und eine Untertasse voll Milch und Zwieback stand daneben. Als der junge Buchfink seine Eltern erblickte, schlug er vor Freude mit den Flügeln und rief ihnen zu: »Kommt nur ruhig herein! hier tut euch niemand etwas! Ich bin allein im Zimmer!« Und als die Alten den Mut fanden, bis auf den Tisch zu fliegen, sahen sie, daß das gebrochene Bein mit zwei Schwefelhölzern und einem Zwirnsfaden geschient war. – »Ach, hab ich Hunger!« rief der Kleine. Sofort flog die Mutter herzu und fütterte ihn, und der Vater schwang sich hinaus in den Garten, um eine fette Raupe zu suchen. So fütterten sie ihn beide, und es kam ihm vor, als wäre er noch im Neste. Nur die grünen Blättergardinen fehlten ihm.

Und als er satt war und die Eltern wieder zum Neste flogen, da trug er ihnen viele Grüße auf an die Geschwister.

Nun saß er wieder allein auf dem großen Tische und sah zum Fenster hinaus und hörte draußen die Vögel singen, aber er konnte sich nicht bewegen. Nur wenn er stark mit den Flügeln schlug, kam er mühsam vorwärts. Das war sehr schmerzhaft und langweilig. »Ach, wenn doch erst das Bein wieder heil wäre!« Dann kam wieder der Hunger. Er rief. Die Eltern kamen und fütterten ihm wieder und zeigten ihm, wie man aus der Untertasse das Brot pickt. Und dann kam der Abend, und die Eltern flogen davon, und die Tür ging auf, und der Pastor trat leise herein. Das kleine Vogelherz auf dem Tische klopfte wieder stark. Als der Pastor gesehen hatte, daß alles in Ordnung war, ging er leise hinaus.

Und die Nacht kam, und der Kleine schlief und träumte vom Neste und den Geschwistern und von fetten Raupen und vom Fliegen. – – –

Die Tage gingen dahin. Der kleine Fink gedieh, und das gebrochene Bein heilte und wurde kräftig, und die Eltern kamen und fütterten ihn, bis er gelernt hatte, selbst sein Futter aufzupicken. Da kamen sie immer seltener, denn sie hatten jetzt zu viel mit ihren andern Kinderchen zu tun, die sollten ja das Fliegen lernen. Es wurde die höchste Zeit. Auch der kleine Fink im Pastorenhause lernte das Fliegen ganz allein. Er flatterte vom Tisch auf die Erde, von der Erde auf einen Stuhl und von da wieder zurück auf den Tisch. Und dann hinauf auf den Spiegel und von da aus auf den Gardinenkasten am Fenster. Nur zum Fenster hinaus wagte er sich nicht.

Eines Abends, als er schon wieder auf seiner Watte saß, kam der Pastor, nahm ihn behutsam in die Hand und untersuchte das kranke Bein. Der Zwirnsfaden wurde abgewickelt, die Schwefelhölzchen abgenommen, und nun war das Beinchen wieder geheilt.

Am andern Morgen kam es ihm zuerst gar ungewohnt vor, ohne Schienen zu hüpfen, aber er gewöhnte sich schnell daran, und am Nachmittage konnte er schon beide Beine gleich gut gebrauchen. Er wurde von Stunde zu Stunde dreister und flog oft zwei-, dreimal durch die Stube, ohne sich ausruhen zu müssen.

Als dann nach einigen Lagen die Sonne einmal besonders hell schien, saß er auf der Fensterbank und hörte unten im Garten die Vögel herumfliegen. Da wurde sein Herz voll Sehnsucht nach den grünen Bäumen, und er dachte: »Ach, wie würden sich die Eltern freuen, und was würden sie wohl sagen, wenn du auf einmal ins Nest geflogen kämst!«

Und immer heißer wurde es ihm ums Herz. Er schlug vor Freude mit den Flügeln, er hüpfte von einem Bein aufs andere, und dann – und dann gab er sich einen Schwung und sauste hinab in den Garten, schräg durch die Luft abwärts gerade in den Syringenbaum hinein. Glücklich hatte er einen Zweig mit den Füßen erwischt. Ihm klopfte vor Freude und Schreck das Herz zum Zerspringen.

Oh, wie schön war es hier. Er ruhte sich einen Augenblick aus, dann flog er weiter bis auf die Spitze eines Lebensbaumes, und laut klang sein Pink! pink! durch den Garten, vom Lebensbaume flog er mitten auf einen Rasen, da pickte er ein Goldkäferchen auf und hätte wohl noch lange herumgesucht nach Käfern und Würmern, wenn er nicht solche Sehnsucht nach der alten Kastanie gehabt hätte. Er sah sie jenseits des Rasens dicht an der Gartenmauer stehen. Einen ihrer dicken wagerechten Äste suchte er sich als Ziel aus, und mit vielen schnellen Flügelschlägen flog er gerade darauf zu. Ach, wie herrlich war das Fliegen! Etwas Schöneres konnte es gar nicht geben, von einem Aste hüpfte er zum andern und blickte überall nach dem elterlichen Neste umher. Aber er fand es nicht. Er suchte die ganze Kastanie ab und fand es nicht. Er rief und rief, und niemand antwortete ihm. Da flog er wieder hinab in den Garten und sah den alten Pastor spazieren gehen. Der Buchfink flog ihm aus die Schulter und rief: »Piep! Piep!« Der Pastor ließ ihn ruhig sitzen. Er erkannte ihn wohl wieder und freute sich über die Dankbarkeit des Tieres. Als er langsam in die Nähe des Hauses kam, verließ ihn der Buchfink und flog zur Kastanie zurück und horte nicht auf zu rufen bis zum Abend.

Da endlich wurde er gehört. Die Eltern und Geschwister, die den ganzen Tag über fortgewesen waren, kamen nun zurück und führten ihn zum Neste in der Astgabel. Nun war noch einmal die ganze Familie zusammen. Am andern Tage flog der eine hier-, der andere dorthin. Nur die Mutter nahm ihren Ältesten mit, um ihm ein paar gute Futterplätze zu zeigen. Sie führte ihn zu einer Laube im Garten, wo jeden Morgen Krumen zu finden waren, sie führte ihn ins Gebüsch, wo es unter trocknen Blättern allerlei kleine Tierchen zu schmausen gab, sie flog mit ihm zu einem Schulhofe, wo die Kinder, wenn sie draußen ihr Frühstück verzehrt hatten, manches Stück Brot achtlos fallen ließen, sie machten zusammen Ausflüge auf die Felder und fraßen den Samen von allerlei Unkräutern, sie nahm ihn mit auf die Jagd am sonnigen Waldrand. Da waren Baumstümpfe, worauf sie sich setzten und ausruhten und auf die vorbeifliegenden Goldfliegen und Käfer achteten. Die wurden im Fluge gefangen. Und immer wieder kehrten Mutter und Sohn zurück auf ihre Baumstümpfe und freuten sich der lustigen mühelosen Jagd am sonnigen Waldsaume.

So ging der Sommer dahin, und die schönste Zeit des Jahres, die Zeit der Bucheckern kam. Dies war ein wochenlanges Fest von morgens früh bis abends spät. So eifrig waren alle dabei, und so schön schmeckten ihnen die Früchte, daß mancher in Gefahr kam, von einem Raubvogel erspäht oder von einem flinken Wieselchen überrascht zu werden.

Aber wie alles vorübergeht, so auch die Zeit der Bucheckern, und der Winter stand auf einmal vor der Tür. Die Bäume hatten längst ihre Blätter verloren, und manchen Buchfinken wurde es zu kalt, und sie machten sich auf die Reise nach einem warmen Lande. Die buntesten und größten aber lachten über die Feiglinge und blieben da.

Ja nun kamen traurige Zeiten. Der Frost spaßte nicht, und manchmal war es bitter kalt. Aber die Kälte war doch noch nicht das Schlimmste. Als weißer Winterschnee weich und warm Feld und Wald verhüllte, da kamen die härtesten Tage. Da kehrte unser Fink zurück zur Stadt und achtete, so oft er konnte, auf die Fenster der Häuser und vor allem auf die Hoftür im Pastorenhause. Er flog herbei, wenn die Hühner und Tauben gefüttert wurden, und biß sich mit den frechen Spatzen herum und mußte ständig auf der Hut vor der Katze sein.

Dann kam Tauwetter, und die weiße Herrlichkeit des Winters schmolz dahin. Da machte er sich wieder auf in den Wald, um noch ein paar übrig gebliebene Bucheckern zu finden. Wie erstaunte er aber, als er mitten im Walde den schönsten Futterplatz fand, der sich nur denken ließ. Hunderte von Bucheckern lagen auf dem Waldboden, und wohl zehn oder zwanzig Vögel waren dabei und fraßen und schmausten nach Herzenslust, wie der Blitz war unser Fink mitten unter ihnen. Lange, lange hatte es ihm nicht so gut geschmeckt. Endlich war er satt. Er flog auf den nächsten Busch, um seinen Schnabel zu putzen. Da merkte er plötzlich, daß er seine Beine nicht mehr bewegen konnte. Sie waren an dem Zweige, woraus er saß, festgeklebt. Er schlug vor Angst mit den Flügeln, um los zu kommen, er verlor das Gleichgewicht und schlug hinten über. Auch seine Flügel klebten fest, sowie sie den Zweig berührten, hilflos hing er da. Wie ihm erging es auch anderen. Da trat ein Bauer herzu, eine dampfende Pfeife im Munde, der ergriff die gefangenen Vögel und steckte sie in ein Vogelbauer. Dann ging er mit ihnen heim.

Oh weh! Was war nun mit ihnen geschehen? Sie wurden in eine kahle Stube gebracht. In einer Ecke stand ein kleiner Kanonenofen, der über und über glühte, so daß eine Hitze zum Sticken in der Stube war. Die Wände waren von oben bis unten mit Vogelkäfigen bedeckt, und fast in jedem dieser kleinen Gefängnisse saß ein Vogel. Das zwitscherte und piepte und schnalzte durcheinander, daß keiner etwas verstehen konnte. Auch die neugefangenen Vögel wurden in Käfige verteilt und an die Wand gehängt. Der Vogelhändler gab ihnen Wasser und Futter und bekümmerte sich nicht weiter um sie. Wild flatterten einige gegen die Stangen, andere saßen still und teilnahmslos da, wieder andere blickten sich neugierig um.

Draußen hatte es wieder zu schneien begonnen. Durch das Fenster sah man zahllose Schneeflocken herumwirbeln. Ja, da war es freilich angenehm im warmen Zimmer zu sitzen, und Futter und Wasser waren auch reichlich da – – Es fehlte ihnen eigentlich gar nichts, nur die Freiheit. – –

Am andern Tage wurden alle Käfige von der Wand genommen, zu einem großen Kasten zusammengestellt und vom Vogelhändler fortgetragen.

In ein großes, rotes Haus trug sie der Vogelhändler, und hinter dem Hause war ein Feuerwagen mit einem Schornsteine, der rauchte und puff! – puff! sagte, und in eine dunkle Stube wurden die Vögel gestellt, und dann pfiff der Feuerwagen laut und schrill, und die Stube fing an sich zu bewegen, und nun mußten die Vögel mit dem Feuerwagen in die weite Welt hinein reisen.

Endlich hielt der Zug. Der Vogelhändler nahm seinen großen Vogelkasten wieder auf den Rücken und trug ihn davon. Ja, nun waren sie in einer großen Stadt. Elektrische Straßenbahnen fuhren an ihnen vorbei, Droschken jagten, neugierige Menschen betrachteten die Vögel. Orgeldreher begegneten ihnen und ein Dudelsackpfeifer. Sogar einen Affen, der Kunststücke machen konnte, sahen sie.

Es war Jahrmarkt in der Stadt, und mitten im dichtesten Marktgewühl trug der Händler seine Vögel, bis er unter einem Bogen am Rathause halt machte und die Vögel zum Verkaufe ausstellte.

Nun blieben viele Vorübergehende stehen und besahen die zahllosen, flatternden, gefangenen Vögel.

Eine alte Dame besah den Buchfinken von allen Seiten. »Der gefällt mir!« rief sie, »der sieht gerade aus wie mein Hans.«

Er wurde verkauft. Ei, in welch ein herrliches Zimmer wurde er gebracht! Was für ein großes Fenster war darin. Man konnte durch dasselbe in einen Garten sehen, so groß wie der Pastorengarten, nur nicht so schön wie er.

Der Buchfink wurde in einen goldenen Käfig gesteckt und bekam das schönste Futter und das klarste Wasser, aber er saß traurig auf seinem Stock.

So gingen ihm die Tage hin. Lange Zeit noch war der Garten draußen in Schnee gehüllt. Dann kamen die ersten schönen Frühlingstage. Die alte Dame, die eben so gut zu dem Buchfinken war wie der Pastor, bekam Besuch. Ein kleines Mädchen von sieben oder acht Jahren trat ins Zimmer und war sehr artig und freundlich mit der alten Dame. Sie tranken zusammen Kaffee und aßen Kuchen dazu, und die Sonne schien so hell und warm ins Zimmer, daß die alte Dame das Fenster weit öffnete, um die frische Osterluft herein zu lassen. Draußen zwitscherten die Vögel.

Das kleine Mädchen trat zum Vogelbauer. Der Buchfink aber, der es noch nicht kannte, flatterte gegen die Stangen. »Männi! Männi!« rief die alte Dame, »sei nur ruhig! Warte, ich hole dir etwas, damit du auch merkst, daß der Frühling kommt!« Damit ging sie hinaus, um ein wenig Grünes zu holen. –

»Männi! Männi!« rief das kleine Mädchen, welches nun allein im Zimmer blieb. Sie steckte einen Finger durch die Stangen, da wurde der Vogel noch ängstlicher. – »Ich tue dir ja nichts! Komm nur her!« Sie wollte den Vogel streicheln und öffnete die Tür. Sie griff nach dem Vogel, der flatterte hin und her, bis er, in die Enge getrieben, an ihrem dünnen Arme vorbei ins Zimmer flog, und dann durch das offene Fenster in den Garten. Gott sei Dank! nun war er frei, nun konnte er fliegen, wohin er wollte, nun konnte er wieder zurück nach seiner Heimat.

Und er flog davon und kümmerte sich nicht um das Weinen des kleinen Mädchens und um das Schelten der alten Dame. Er flog davon und hörte nicht eher wieder auf, als bis er die Stadt weit hinter sich hatte.

Aber wie nun zurückfinden? – Als er sich ausgeruht und sich Würmer und Käfer gesucht hatte, erhob er sich hoch in die Lüfte, so hoch, daß ihn kein Mensch mehr sehen konnte, und so flog er der Sonne zu. – Als der Abend kam, war er wieder daheim.

Alles war noch wie früher. Er schlief im alten Neste.

Als er am andern Morgen erwachte, kam ihm alles wie ein böser Traum vor. Er suchte alte Bekannte wieder auf, er flog im Garten hier- und dorthin. Er glaubte sterben zu müssen vor lauter Freude, so glücklich war er in der alten Heimat, dazu war das schönste Frühlingswetter!

Und siehe da! Sieh da! Da rauschte es in den Lüften: die alten Gefährten kehrten auch zurück aus dem warmen Lande.

Nun war die Freude erst recht groß! In seiner Kehle jauchzte es hell auf, und sein erstes lautes Frühlingslied ließ er hinausschallen in den wunderbaren Frühlingsmorgen, und von allen Zweigen bekam er Antwort.

»Ziziziwillwillwill zespeuzia!« jubelte es allerorten, und er glaubte vergehen zu müssen vor lauter Freude und Frühling und Glück.

* * *

Und wie er so auf seinem Zweige saß und seine Lieder hinausschmetterte, da stieß von oben ein Raubvogel hernieder, packte ihn mit seinen Krallen und trug den Wehrlosen auf den nächsten Baum und fraß ihn auf.

Armer, armer Fink!

* * *

Ziziziwillwillwill zespeuzia!

Bild Theodor Herrmann


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