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III.

Es kommt oft vor, daß man die Dinge am Morgen anders ansieht, als am Abend. Als ich am nächsten Morgen wieder hinter meinen Büchern saß, waren die Mondscheinträume des vorigen Abends wie Tau vor der Sonne verschwunden, und meine Grundsätze waren wieder unerschütterlich. »Im Grunde war doch alles, was der Maler redete, nur Schnickschnack«, sagte ich zu mir selber. »Hätte der Mann das Heiraten gelassen und nicht Frau, vier Töchter und den Onkel zu erhalten, so wäre er vielleicht ein großer Künstler geworden, – aber solche Bleigewichte können schon den Aufschwung hemmen. Nein, Nicolai, sei froh, daß du dir deine goldene Freiheit bewahrt hast, dadurch kann vielleicht noch etwas Ordentliches aus dir werden.«

Indessen konnte ich mir die Malertöchter ja immerhin ansehen, darum brauchte ich mich ja weder mit ihnen zu verloben, noch sie zu heiraten. Ich ging acht Tage später eines Nachmittags dorthin und traf die ganze Familie zu Hause. Der Maler hatte von mir erzählt, das merkte ich gleich, denn sie empfingen mich wie einen Bekannten, und nach wenigen Augenblicken fühlte ich mich ganz heimisch.

»Das ist das Merkwürdige bei unserem jungen Freunde«, sagte der Maler still vor sich hinlächelnd, »daß er sich niemals verloben will, und da er sehr feste Grundsätze hat, wird er uns keine Herzensunruhe bereiten.«

Die beiden jüngsten Töchter, Sophie und Johanna, lachten bei dieser Erklärung laut auf; Valborg, die älteste, machte ein beleidigtes Gesicht, die reizende Estrid aber drehte sich schnell um und zupfte eifrig an den Blättern des vor dem Fenster stehenden Rosenstockes.

Bald darauf kam Onkel nach Hause, er war ein korpulentes Herrchen, das gar nicht wie ein verunglücktes Genie aussah. Der Kopf war ein wenig vorgebeugt, er sah beim Sprechen gern seitwärts und pflegte sich alle Augenblicke die Weste hinunterzuziehen, da diese infolge seiner Korpulenz stets geneigt war, in die Höhe zu rutschen. Er kramte eine Menge Neuigkeiten aus, von denen ich jedoch nicht viel hörte, da ich Estrids Zeichnungen angelegentlich betrachtete. Sie hatte hübsches Talent, das unter des Vaters Leitung sorgfältig ausgebildet worden war und das sie nun hauptsächlich zum Porzellanmalen anwandte, wodurch sie das Ihrige zum Unterhalte der Familie beitrug. Sie war gerade dabei, einige Veilchen zu malen; sie waren sehr fein ausgeführt, und ich bemerkte, daß sie mich an Jan van Huysums Blumenstück erinnerten.

»Wo ist es?« fragte sie.

»Wissen Sie das nicht? Es ist ja eines der bekanntesten Bilder der Christiansborger Galerie.«

»Dorthin gehe ich beinahe nie, – es ist so weit von hier, und dann sind dort erst so viele Treppen zu steigen.«

»Sie gehen nie dorthin!« rief ich aus. »Sie, die selber zeichnen und malen, – aber da müssen Sie sich ja eigentlich schämen. Hören Sie, wissen Sie was«, fügte ich hinzu, da mir eine glückliche Eingebung kam, »morgen ist sie gerade geöffnet; haben Sie Lust, mit mir dorthin zu gehen, so werde ich Ihnen van Huysums Blumenstück und zugleich noch einige andere, die gleichfalls sehenswert sind, zeigen.«

Estrid nahm das Anerbieten dankend an, und am nächsten Vormittage ging ich mit ihr und Valborg in die Galerie. Wir lenkten unsere Schritte gleich nach dem besprochenen Blumenstücke, und ich hielt einen begeisterten Vortrag über das Bild, wozu mich jedoch die Gegenwart der beiden jungen Damen ebensosehr inspirierte wie das Gemälde selbst.

»Sehen Sie die Farbenpracht, die Feinheit und Anmut der Zeichnung – – – in Wahrheit:

»Das stille Veilchen – unschuldig und gut –
Das feine Blau mit rosigem Schein
Kalter Hyazinthen nicht nennet sein,
Erregt auch nicht so leicht das Blut,
Wie dort der Flieder in der Laube;
Ein jedes Blümchen seiner Traube
Gleicht einer Vase klein und fein
Wie von durchsichtigem Porzellan,
Gefüllt mit duftendem Honig an
Und süßem Tagesfalterwein ...«

»Kennen Sie nicht Wergelands wunderbares Gedicht?«

»Ich habe noch nie etwas von Wergeland gelesen, ich habe gehört, er sei so roh und ungebildet.«

»Welche jämmerlichen Philister haben es gewagt, so von Norwegens erstem Dichter zu sprechen?

»Mutter sagt es.«

»Pardon, dann nehme ich meine Worte zurück. Seien Sie überzeugt, Ihre Mutter hat ihn auch nicht gelesen. Ich werde Ihnen jedoch seine Gedichte leihen, ich werde sie Ihnen, Ihrer Mutter und Ihren Schwestern vorlesen, und dann werden Sie anders urteilen! O, er hat nicht seinesgleichen, er besitzt einen Reichtum an Bildern, die wie ein Wasserfall sprühen. Mit ihm verglichen sind alle anderen norwegischen Dichter wässerig!«

Um die Wärme, mit der ich dies sagte, zu verstehen, muß man sich daran erinnern, daß ich während meiner Rede in Estrids lebhafte, kluge Augen schaute, und dieser Anblick elektrisierte mich derartig, daß ich meiner inneren Erregung in den stärksten Ausdrücken, die dem norwegischen Dichter zugute kamen, Luft machen mußte.

Da wir uns gerade im Saale der Holländischen Schule befanden, zeigte ich ihnen noch mehrere meiner Lieblingsbilder und machte sie auf die Schönheiten aufmerksam. Estrid hörte mir voller Interesse zu, ihre verständigen Fragen ließen erkennen, daß sie ein gutes Künstlerauge besaß, und nicht selten zeigte sie mir kleine Züge, die bisher meiner Aufmerksamkeit entgangen waren. Valborg dagegen war nicht recht bei der Sache, sie schien ein träumerisches Gemüt zu haben, ihr Blick schweifte zerstreut in den großen Sälen umher und schien mir mehr auf die Vorübergehenden als auf die Bilder zu achten.

Es blieb nicht bei diesem einen Besuche in der Christiansborger Galerie. Sie ist groß, und ich hatte noch vieles zu zeigen. So oft es anging, holte ich Estrid und eine oder zwei ihrer Schwestern ab; doch hatte keine von diesen soviel Kunstsinn wie Estrid, sie klagten meistens über Ermüdung und fanden schließlich allerlei Vorwände, um zu Hause bleiben zu können und Estrid allein mit mir gehen zu lassen. Wir besuchten nun auch nach und nach die Moltkesche Gemäldegalerie und das Thorwaldsenmuseum, wo ich Estrid alles zeigte und erklärte.

Ich war jetzt ständiger Gast in der Malerfamilie. Den Maler selbst gewann ich immer lieber; jedesmal, wenn ich etwas Neues sah oder las, mußte ich es ihm mitteilen, oft stritten wir uns tüchtig, wodurch unsere Freundschaft aber nur noch fester wurde, und vergingen zufällig ein paar Tage, ohne daß ich ihn sah, so verspürte ich ordentlich Sehnsucht nach ihm. Seine Gattin war eine zierliche kleine Frau mit großen dunklen Augen, in denen ein schwärmerisches Feuer glühte, und bleichem, feingeschnittenem Gesicht; des Lebens Last und Mühe schien schwerer auf ihr als auf ihrem Gatten gelegen zu haben. Es lag, wie der Maler einmal gesagt hatte, etwas »Klagendes« in ihrem Wesen, das inmitten all des Jubels und Frohsinns um sie her wie ein Mollakkord wirkte. Denn die Töchter hatten den frischen, fröhlichen Sinn des Vaters geerbt, sie waren immer vergnügt und lustig. Nur bei Valborg glaubte ich etwas von der Anlage der Mutter zur Schwermut wiederzufinden, doch äußerte sie sich bei dem jungen Mädchen als schwärmerische Träumerei. Oft, wenn wir anderen lachten und scherzten, saß sie allein am Fenster und starrte gedankenvoll die flüchtigen Wolken an.

Auch mit Onkel machte ich nähere Bekanntschaft; wir gingen ein paarmal zusammen in die Stadt, und er erzählte mir alles mögliche. Solange er von Wind und Wetter, Politik und Zeitungen redete, hörte ich ihm kaum zu und ging meinen eigenen Gedanken nach, sobald er aber die Rede auf seinen Schwager und dessen Töchter brachte, war ich sofort ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Unter anderem erwähnte er einmal beiläufig, daß der Maler einen Sohn habe.

»Einen Sohn?« rief ich überrascht aus. »Davon hat er mir ja kein Wort gesagt.«

»Still! Still!« sagte Onkel, sich vorsichtig umsehend, während er sich die Weste stramm zog. »Es darf gar nicht von ihm gesprochen werden. Mein Schwager würde sehr böse werden, wenn er hörte, daß ich es Ihnen erzählt habe. Sie dürfen es ihm unter keiner Bedingung wiedersagen.«

Ich gelobte Verschwiegenheit, fragte aber zugleich, weshalb denn nicht von dem Sohne gesprochen werden dürfe.

»Weil er seinen Eltern großen Kummer gemacht hat. Ein kluger Junge, aber auch ein toller Bursche war er, geriet in schlechte Gesellschaft und – nun, eine häßliche Geschichte mit einem Wechsel – verstehen Sie? Der Vater sehr hitzig, und der Junge brennt nach Amerika durch.«

»Vielleicht kehrt er noch einmal als guter, tüchtiger Mensch zurück.«

»Nein, das tut er nicht, denn er ist drüben verkommen. Der dänische Konsul in Boston hat uns vor vier Jahren geschrieben, daß er dort im Gefängnisse gestorben sei. Meine Schwester hat sich darüber beinahe totgegrämt, und deshalb hat mein Schwager uns verboten, auch nur den Namen des Sohnes überhaupt auszusprechen, denn jedesmal, wenn dieser Name genannt wurde, brachen die alten Herzenswunden stets wieder auf und bluteten von neuem.«

Arme Mutter! nun verstand ich, weshalb so oft, wenn wir anderen am allerausgelassensten waren, eine Träne in deinem Auge glänzte! Deinem liebevollen Herzen fehlte er, der die Stütze seiner Eltern und die Freude seiner Schwestern hätte sein müssen, aber im fremden Lande, in einem anderen Weltteile eines schmachvollen Todes gestorben war! Arme Mutter! wenn auch all deine anderen Kinder zu Wohlstand und Glück gelangten, ja im Golde wühlen könnten, – dein treues Mutterherz würde darin keinen Trost finden; nie würde es den einen Verlorenen vergessen, sondern stets um ihn weinen und für ihn beten!«

Doch mochten sie nun seufzen oder lachen, ernst oder ausgelassen lustig sein, mit jedem Tage hielt ich mehr von ihnen und sagte mir selber: »Du bist doch ein rechter Glückspilz, Nicolai, daß du zufällig immer solch liebenswürdige Menschen kennen lernst!«

Was nicht wenig dazu beitrug, daß ich mich unter ihnen so wohl und glücklich fühlte, war mein fester Grundsatz, mich weder zu verloben noch zu heiraten. Ich sagte mir daher, ich wolle die vier jungen Mädchen als meine Schwestern betrachten. Bei dreien von ihnen gelang mir dies vorzüglich, aber bei Estrid – – ja, ich merkte ja recht gut, daß, wenn ich allein in die Museen ging, mir eigentlich nichts gefallen wollte. Die Bilder erschienen mir leblos, die Statuen langweilig. Dennoch zwang ich mich mit männlicher Festigkeit, meinen Rundgang fortzusetzen, versprach mir dabei aber ganz im geheimen, daß ich zur Belohnung für meine Charakterfestigkeit Schwester Estrid am Nachmittage besuchen dürfe.

Da begab es sich an einem schönen Sommerabend Ende Juli, daß die ganze Familie und ich nach dem Tee noch einen Spaziergang machten. Ich ging neben Estrid und erzählte ihr von Raffael und Rembrandt, jenen beiden großen Malern, die auf so verschiedenem Wege den Gipfel der Kunst erklommen haben. Wir befanden uns schon auf dem Rückwege, als ich noch immer eifrig erzählte, und da wir öfter stehen blieben, waren die anderen uns vorausgeeilt, und Estrid und ich schritten allein am Seeufer entlang.

»Wir wollen uns ein wenig auf diese Bank setzen«, sagte ich. »Hier ist es so wundervoll einsam, man sieht und hört keinen Menschen.«

Sie nahm neben mir Platz, und ich fuhr fort: »Sehen Sie, wie die Sterne über uns funkeln! Ob es auf ihnen wohl auch Maler wie Rembrandt und Raffael gibt? – Ach, könnten wir doch nach dem Tode im Verein mit einer liebenden und geliebten Seele jene leuchtenden Welten durchfliegen!«

Ich sah Estrid an, die Sterne spiegelten sich in ihren klaren Augen. Ich ergriff ihre kleine weiße Hand, sie ließ sie in der meinen liegen und zog sie nicht zurück.

»Estrid!« flüsterte ich. »Schon hier auf Erden – – würden Sie – – –« Die Worte blieben mir im Halse stecken, meine Gedanken verwirrten sich. Sterne, Sonnen, Estrid, Rembrandt, Raffael, alles fuhr mir wirr durch den Kopf, ohne daß ich mich besinnen oder beherrschen konnte.

Doch bei allem diesen hatte ich das dunkle Gefühl, daß dies ein im höchsten Grade kritischer Augenblick sei; ich nahm daher meine letzte Kraft zusammen und stammelte: »mich begleiten, – – – meine Frau werden!«

Estrid wandte sich zu mir; in ihren Augen lag ein unbeschreiblicher Ausdruck von Zärtlichkeit und Liebe, sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter und flüsterte kaum hörbar: »Ja.«

Nun fand ich auf einmal die Sprache wieder. »O du liebes, süßes Mädchen!« rief ich aus, nahm ihren Kopf zwischen meine beiden Hände und küßte sie.

»Still, dort kommt jemand!« sagte sie, von der Bank aufspringend.

Schritte ertönten in der Ferne, aber noch war niemand zu sehen. Ich sprang auf und eilte ihr nach; mit schnellen Schritten erreichten wir ihr Haus. Ich wollte sie hinaufbegleiten, aber sie bat mich, lieber am nächsten Morgen wiederzukommen und erst dann mit ihren Eltern zu sprechen.

Ich nahm von ihr Abschied und eilte nach Hause. Ich war halb betäubt und wußte selbst kaum, was geschehen war; doch in meinem Innern sang und jubelte es wie der Widerhall einer unendlichen Freude.

Ich schlief in dieser Nacht nur wenig und stand am nächsten Morgen mit der Sonne auf. Mir war, als hätte ich die Bäume des Walles nie in solchem Goldglanze gesehen. Dann nahm ich meine Bücher. »Jetzt heißt es arbeiten, Nicolai, fleißig und ausdauernd arbeiten, und nicht nur für dich allein, sondern für zwei, vielleicht bald für mehrere.« Und ich machte einige heftige Bewegungen mit den Armen, um damit anzudeuten, wie angestrengt von jetzt an gearbeitet werden solle.

Trotz der guten Vorsätze wollte es mit dem Studieren nicht recht gehen. Immerfort drängte sich Estrids reizendes Köpfchen zwischen die Buchstaben und meine Augen; ich las dieselbe Seite zwei-, dreimal und wußte dann noch nicht, was eigentlich darauf stand.

Ich sah nach der Uhr; es war ein wenig über Sechs und also noch viel zu früh zu dem Besuche. Nun griff ich nach einem Grundrisse des Athener Dionysostheaters, an dem ich während der letzten Tage gearbeitet hatte. Es gelang mir, meine Gedanken darauf zu konzentrieren, und so wurde es denn allmählich Acht. Jetzt würde ich wohl hingehen können.

Ich warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, zupfte meinen Anzug noch ein wenig zurecht, steckte, um recht wie ein Liebender auszusehen, eine Blume ins Knopfloch und sauste dann in fliegender Eile mit drei, vier Sprüngen die Treppe hinunter – wobei ich den alten Etatsrat aus dem ersten Stock, der nach seinem Morgenspaziergange hübsch bedächtig treppauf trippelte und wohl von Frieden, aber nicht von Gefahr träumte, beinahe über den Haufen rannte.

»Sehen Sie sich doch vor, Mensch!« rief er mir erbittert nach, als er gegen das Treppengeländer getaumelt war; ich aber ließ den Menschen Mensch sein, in diesem Augenblicke war ich nur Liebender, glücklich Liebender, und würde ohne Bedenken sämtliche Etatsräte Dänemarks umgerannt haben, wenn es ihnen eingefallen wäre, mich aufhalten zu wollen.

Wie ein Pfeil schoß ich den Wall hinauf und wieder hinunter und dann am Seeufer entlang nach dem Hause meiner Liebsten. Darauf ging es die Treppen hinauf – ich glaube, wenn sie oben in der Mansarde des Christiansborger Schlosses gewohnt hätte, würde ich alle Treppen hinaufgeeilt sein, ohne mich ein einziges Mal zu verschnaufen. In der halbgeöffneten Tür stand sie selber, halb verschämt, halb schelmisch nach mir ausguckend; ich riß die Tür ganz auf, schloß sie in meine Arme und küßte ihr reizendes Gesicht vieltausendmal.

»Wir müssen zu Vater und Mutter hineingehen«, sagte sie, als sie endlich zu Wort kommen konnte.

Nun gingen wir zu den anderen hinein; lauter lächelnde, strahlende Gesichter erblickten wir um uns her. Ich hielt jegliche weitere Erklärung für überflüssig, drückte meinem Schwiegervater die Hand, klopfte Onkel auf die Schulter, umarmte Mutter und küßte meine errötenden Schwägerinnen, um gleich auf dem richtigen schwägerlichen Fuße mit ihnen zu stehen.

»Aber die Grundsätze«, rief der Maler, »die Grundsätze! Was wird aus ihnen? Du hattest ja gelobt, dich um der Kunst willen weder zu verloben noch zu verheiraten.«

»Hier steht mein Zukunftsprinzip«, antwortete ich, Estrids Hand ergreifend.

»Ja, lass' mich sehen, daß du an ihm besser als an den anderen festhältst, mein Sohn«, sagte der Maler. »Ja, du bist mir der rechte Bruder, kommst hier ins Haus und machst uns weis, du wollest dich nie verloben, – um uns dann unsere liebe Estrid ganz heimlich vor der Nase wegzuschnappen.«

Schwiegermutter hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und begann sich die Augen zu trocknen.

»Nun, Mutter«, tröstete der Maler, »darum brauchst du nicht zu weinen. Nicolai meint es nicht so böse, er wird unserer Tochter schon ein guter Ehegatte sein.«

Ja, dessen konnten sie sicher sein!

»Das ist nicht der Grund«, schluchzte Schwiegermutter, »es wird mir nur so schwer, eins der Kinder hergeben zu müssen.«

»Nicolai zieht mit ihr ja nicht nach China oder Japan, sondern bleibt hier in Kopenhagen.«

Ich wußte jedoch recht gut, warum Schwiegermutter weinte. Um den verlorenen Sohn, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, und zu dem ihr Gedanke stets eilte, wenn das Mutterherz bewegt war. Ich trat zu ihr hin, beugte mich über sie und flüsterte ihr liebevoll ins Ohr, daß ich ihr ein guter, treuer Sohn sein wolle.

»Mutter ist so weichherzig«, sagte der Maler. »Sie muß sich erst ein wenig besinnen, dann wird sie sich auch von Herzen freuen.« Darauf wandte er sich, um die Unterhaltung in andere Bahnen zu lenken, an Onkel. »Nun, Onkel, was sagst denn du hierzu?«

»Ich habe es lange gewußt, schon von dem ersten Tage, an welchem Nicolai uns besuchte, an. Jedesmal, wenn sie zusammen in die Museen gingen, dachte ich mir mein Teil. Die gehen gewiß nicht um der Kunst willen dorthin, dachte ich, habe es aber nie ausgesprochen, weil man über solche Dinge nicht reden muß.«

»Ja, du bist ein großer Diplomat«, erwiderte der Maler. »Wie würde es uns Ärmsten ergehen, wenn wir dich nicht hätten.«

Schwiegermutter, die ins Nebenzimmer gegangen war, kam nach einer Weile gefaßt und ruhig wieder und machte nun wirklich ein fröhliches Gesicht.

»Hört, Kinder«, sagte der Maler, »heute wollen wir uns einen vergnügten Tag machen. Was meint ihr, wollen wir in den Wald gehen?«

»In den Wald, in den Wald!« erklang es wie ein vielfaches Echo.

Und so gingen wir denn in den Wald und verlebten dort einen unvergleichlichen Tag. Und die Sonne ging unter, es wurde dunkel zwischen den Baumstämmen, und unter den stillen Buchen gingen Estrid und ich Hand in Hand und blickten zu den durch die Laubmassen glänzenden Sternen empor. – Den Abend vergesse ich nie!

Am Tage darauf mußte ich der Familie, d. h. meinen Brüdern, diese denkwürdige Neuigkeit mitteilen. Ich ging nach dem Kastanienwege und machte Corpus Juris eine Vormittagsvisite, bei der ich ihm und Andrea Margarete das Geschehene erzählte. Letztere, die sich von Herzen darüber freute, sagte, es sei das Vernünftigste, was ich seit langem getan, daß ich mir eine hübsche, nette Braut angeschafft habe. Corpus Juris sah, wie zu erwarten, die Sache mehr als Jurist denn als Ästhetiker an, wünschte mir allerdings Glück, aber hielt mir auch gleichzeitig vor, welche Verantwortung für das zukünftige Glück eines Mitmenschen ich dadurch übernommen, und ermahnte mich, nicht unvernünftigerweise gleich zu heiraten, sondern mich lieber zu gedulden und zu warten, bis meine Verhältnisse sich gebessert hätten. Hierauf erwiderte ich ihm, daß ich den Brautstand für ein viel zu schönes, herrliches Leben hielte, um ihn irgendwie abkürzen zu wollen, und, im Gegenteil, beabsichtige, seine süßen Freuden mindestens vier bis fünf Jahre lang zu genießen. Diese Versicherung beruhigte Corpus Juris, doch Andrea Margarete sagte lachend, wenn ich die ›süßen Freuden des Brautstandes‹ erst vier bis fünf Monate genossen hätte, würde ich wahrscheinlich anderer Ansicht sein.

Von Gamling erhielt ich ein paar Tage darauf einen Brief. Ich hätte mich beinahe versucht fühlen können, zu glauben, daß er mit Corpus Juris Rücksprache genommen, denn er sagte schriftlich ganz dasselbe, was jener mündlich gesagt hatte. Dafür schrieb ich ihm denn auch ganz dasselbe, was ich Corpus Juris gesagt hatte.

So war ich nun verlobt und mußte jetzt nach meiner eigenen und aller Dichter Theorie der glücklichste Mensch unter der Sonne sein. In den ersten vierzehn Tagen war ich es auch, dann aber begann ich allmählich zu merken, daß hierbei, wie so oft, die Praxis der Theorie nicht entspricht. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, daß meine Verlobung recht anspornend auf meine Studien wirken solle; ich wollte jetzt mit doppelter Kraft arbeiten, weil ich für uns beide arbeitete. Bald jedoch merkte ich, daß dies durchaus nicht der Fall war, ja daß ich nicht einmal behaupten konnte, ich arbeite ebensoviel wie früher. Mit den besten Vorsätzen setzte ich mich morgens hinter meine Bücher, doch kaum hatte ich eine halbe Stunde studiert, so mußte ich aus irgend einem Anlasse an Estrid denken. Und der Gedanke an sie lenkte mich derartig ab, daß ich dieselbe Seite zwei-, ja dreimal lesen konnte, ohne mir des Inhalts bewußt zu werden. Dann ergriff ich einen Bleistift und begann Estrids Bild zu zeichnen, was mir jedoch nie zur Zufriedenheit gelang. Hierüber verdrießlich, fing ich an, ihren Namen mit den hübschesten Buchstaben zu schreiben und verwandte oft ganze Seiten dazu, ihn in zierlichster Frakturschrift auszuführen. Während dieser Arbeit erwachte meine Sehnsucht nach ihr mit solcher Kraft, daß ich sie notwendig sehen mußte. Ich eilte dann zu ihr, aber kaum war die erste Freude des Wiedersehens vorüber, so fühlte ich heftige Gewissensbisse, daß ich die kostbare Jugendzeit nun wieder leichtsinnig verschwendete. So befand sich mein Gemüt in beständiger Unruhe zwischen zwei Feuern, meiner Liebe und meinem Studium. Es ging mir wie dem Helden in den französischen Trauerspielen; ich stand beständig auf dem gefährlichen Scheidewege zwischen Liebe und Pflicht: jene rief mich, wenn ich über den Büchern saß, zu Estrid, und diese rief mich, wenn ich bei Estrid saß, wieder zu den Büchern. Vergeblich versuchte ich Frieden und einen Vergleich zwischen ihnen zustande zu bringen, beide waren gleich exklusiv in ihren Forderungen.

Ein paar Monate hindurch ging ich so in beständigem inneren Kampfe umher. Ich sprach mit niemand darüber, nicht einmal mit Estrid, denn ich schämte mich, ihr meine Schwäche zu verraten, auch stand es ja nicht in ihrer Macht, mir aus dieser Not zu helfen. Bisweilen fiel ihr jedoch mein ruheloses Wesen auf, und sie fragte mich, ob ich nicht recht vergnügt sei.

»Seelenvergnügt, wenn ich dich nur habe!« war meine Antwort.

»Du siehst so ernst, so angegriffen aus«, fuhr sie, mir mit ihrer weichen, feinen Hand über die Stirn streichend, bekümmert fort.

»Ja, ich habe jetzt ziemlich viel zu tun.«

»Du Armer! Wenn du nur nicht zu viel arbeitest – dein Studium nimmt dich auch gar zu sehr in Anspruch.«

Ach, das liebe Mädchen begriff nicht, daß mein Unglück gerade darin lag, daß mein Studium mich zu wenig in Anspruch nahm!

Ich Narr, der geglaubt, die Verlobung sei schon das Paradies der Ehe! Nun war ich endlich in das Gelobte Land gelangt und entdeckte, daß sie nur sein Vorgarten war, – das eigentliche Paradies konnte erst die Ehe sein. Ja, die Ehe mußte die Vermittlung sein, die jenen Gegensatz von Pflicht und Liebe zu einem höheren Einen verband, denn wenn sowohl meine Geliebte wie auch meine Wissenschaft mit mir unter einem Dache wohnten, brauchte ich nicht ruhelos von einer zur anderen schweifen! Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde es mir, daß nicht nur mein eigenes Interesse, sondern auch das der Wissenschaft mir gebot, mich zu verheiraten. Wieviel Zeit, die jetzt zu Besuchen bei Estrid und Spaziergängen verwandt wurde, wäre dann für die Studien gewonnen, gar nicht davon zu reden, daß die sehnsuchtsvolle Unruhe, die mich jetzt so oft am Studieren hinderte, dann einer glücklichen Gemütsruhe, welche der Wissenschaft die herrlichsten Früchte bringen würde, Platz machen mußte.

Doch um sich zu verheiraten, muß man die notwendigen Subsistenzmittel haben, und ich besaß, wenn ich all meine jährlichen Einkünfte zusammenrechnete, nicht mehr als 700 Kronen – oder vielleicht konnte ich auch 800 sagen, wenn ich nämlich eine Einnahme mitrechnete, die ich freilich noch nicht hatte, aber doch in der allernächsten Zeit zu erhalten hoffte. Doch sich auf 800 Kronen, von denen das eine Hundert obendrein noch eine Zukunftsspekulation war, hin zu verheiraten, war ein Wagestück, bei dem man sich erst zweimal bedenken mußte.

Da wurde plötzlich an einem der Museen eine Stelle frei, und ich war so glücklich, sie zu erhalten. Das Gehalt betrug allerdings nur 300 Kronen, aber es war eine »feste Anstellung«, und wenn ich nur etwas »Festes« hatte, konnte ich es schon wagen, mir eine Häuslichkeit zu gründen. Ich würde ja überdies mit der Zeit avancieren, und damit erschloß sich meiner erfreuten Phantasie eine holdselige Perspektive, ich sah mich im Geiste schon als Direktor aller Kopenhagener Museen mit freier Wohnung in einem der Königlichen Schlösser.

Ich eilte nach der Seestraße hinaus und verkündete Estrid und ihren Eltern die frohe Botschaft.

»Gratuliere! Gratuliere!« jubelte Schwiegervater und knallte mit den Fingern, um seine Freude auszudrücken.

»Wenn das Gehalt nur ein bißchen größer wäre«, seufzte Schwiegermutter.

Estrid sagte nichts, sah aber strahlend glücklich aus.

»Nun, denke ich, können wir zum Frühling heiraten«, sagte ich.

»Das ist recht!« rief Schwiegervater aus. »Worauf wolltet ihr denn noch warten?«

»Es wäre allerdings besser, wenn ich eine etwas größere Einnahme hätte«, wandte ich ein.

»Größere Einnahme? Was solltet ihr mit einer größeren Einnahme? Willst du vielleicht mit dem Heiraten warten, bis du jeden Tag Wein auf dem Tische haben kannst?«

»Geld ist doch stets ein gutes Ding, und man kann sich hübsche Sachen dafür kaufen.«

»Ja freilich, alles, was nichts taugt, kann man für Geld haben. Sieh den Sonnenstrahl dort auf dem blanken See! Wie glänzt und funkelt er, und wie erfreut er das Herz, – kannst du ihn für Geld kaufen? Oder kannst du Estrids schöne, strahlende Augen für Geld kaufen! – Nun, nun, mein Kind, du brauchst nicht rot zu werden, weil dein alter Vater dir ein Kompliment sagt; es ist wirklich ehrlich gemeint, davon kannst du überzeugt sein – die Augen sind mir in schweren, trüben Zeiten oft Licht und Sonnenschein gewesen.«

Estrid legte ihren Arm um den Hals des Vaters und küßte ihn. Er ließ sich jedoch in seinem Redeflusse nicht unterbrechen, sondern fuhr fort:

»Hast du je reiche Leute gekannt, die glücklich gewesen sind? – Ich nie, und ich habe doch in meinem Leben viele Menschen gekannt. Je mehr sie hatten, desto ruheloser und unzufriedener waren sie, entweder fürchteten sie, das, was sie hatten, wieder zu verlieren, oder sie waren unzufrieden, daß es nicht noch mehr war, oder sie ärgerten sich, weil ihre Nachbarn noch größere Sprünge machen konnten. Gar nicht von anderem Unglück zu reden, das sich gewöhnlich auch noch einstellt, wie schwächliche, verzärtelte Söhne, die jung sterben, oder unglücklich verheiratete Töchter – etwas ganz Natürliches, da sie ja um ihres Geldes willen geheiratet werden. – Reiche Leute erscheinen mir stets wie arme Gefangene mit goldenen Fesseln in einem goldenen Käfig. Sie sitzen hinter schweren Seidenvorhängen in gepolsterten Lehnstühlen, die Luft ist ihnen so erstickend schwer, und niemals haben sie für ihr vieles Geld etwas anderes als Sorge und Unruhe. Solche Leute aber wie ich und du, Nicolai, die nichts haben und nichts erben, sind freie, muntere Vögel unter Gottes blauem Himmel; wir denken weder an Säen noch an Ernten noch daran, in die Scheunen zu sammeln, und unser himmlischer Vater ernährt uns doch. Uns wölbt sich der grüne Waldesdom, uns scheint die goldene Sonne so hell, und daher ist uns leicht ums Herz, und wir singen und jubeln den ganzen Tag.«

Schwiegermutter seufzte tief auf.

»Du seufzest dazu, Mutter? Ja, ich weiß es wohl, daß wir auch Kummer, tiefen Herzenskummer kennen gelernt haben, aber hätte Geld uns davon befreien können? Nein, im Gegenteil, das verfluchte Geld hat ihn uns ja gerade gebracht.«

Schwiegervater schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, und glühende Zornesröte bedeckte sein sonst so mildes Gesicht; so hatte ich ihn noch nie gesehen.

»Deshalb hasse ich das Geld, deshalb verabscheue ich das Geld, denn es betrügt uns um das Beste und Kostbarste im Leben; mit Fug und Recht warnt uns unser Erlöser in seinen Gleichnissen vor den »Fallstricken des Reichtums«. Viele, viele tausend Menschen sind dadurch um ihre Seelenruhe und ihren Herzensfrieden betrogen worden, und dennoch werden die Menschen nie klüger, sondern fahren fort, nach dem giftigen Plunder zu streben. Und wenn du, mein Sohn Nicolai, im Begriff stehst, meine Tochter aus ihrem Elternhause zu führen, um euch beiden ein eigenes Heim zu gründen, und fängst dann gleich an, von ›Gelderwerb‹ zu reden, so will ich dir dies ernstlich gesagt haben!«

Wenn er sie nur um meinetwillen gehalten, hätte Schwiegervater sich diese Rede wirklich sparen können. Denn für mich besitzt das Geld gar keine Anziehungskraft, eher noch eine seltsame Abstoßungskraft; das Geld scheint sich in meiner Tasche nie wirklich heimisch zu fühlen und begibt sich immer gleich wieder auf die Wanderschaft, um sich einen besseren Aufenthaltsort zu suchen. Wenn ich von »besserer Einnahme« gesprochen hatte, so war das nur geschehen, weil ich als künftiger Ehemann es meiner Würde für angemessen gehalten, von dem Gelde mit einem gewissen Respekt zu sprechen, im Herzen aber war ich mit meinem Schwiegervater einig, wenn ich auch keinen so glühenden Haß gegen das Geld hegte, wie dies bei ihm der Fall zu sein schien.

Er beruhigte sich jedoch bald wieder und begann Zukunftspläne zu schmieden. »Viel bekommt ihr freilich nicht für eure Einrichtung, aber ein bißchen habe ich doch zurückgelegt, und etwas mehr kann ich auch noch herbeischaffen; Estrid soll ihr Elternhaus nicht mit leeren Händen verlassen. Doch es ist gar nicht so schlimm, klein anzufangen; um so mehr Freude hat man an dem, was man sich später anschafft. Ich habe oft gesehen, wie junge Leute mit einem solchen Luxus von gepolsterten Stühlen und vergoldeten Spiegeln ausgesteuert wurden, daß ihnen auch nicht das geringste mehr zu wünschen blieb; was hatten sie davon? Die Ärmsten hatten keinen Wunsch mehr, keinen Zweck, für den sie arbeiten mußten und kein Ziel, das zu erreichen Mühe gekostet hätte. Dann verliert das Leben seine Spannkraft und wird langweilig. Nein, da waren Mutter und ich glücklicher dran; zwei Betten, ein Tisch, vier Stühle, einige Kasserollen und ein bißchen Küchengeschirr, das war unsere ganze Aussteuer, als wir heirateten. Alles übrige haben wir uns später sauer erwerben müssen, aber um so größere Freude hatten wir auch daran, als wir es uns anschaffen konnten. Hier ist kein Stück Hausgerät, an das sich nicht denkwürdige Erinnerungen knüpfen, alles ist ›historisch‹ und kann eine Geschichte davon erzählen, wie es hierhergekommen ist, – ich will bloß das Klavier dort anführen, das wir vor vier Jahren alt um seinen halben Preis kauften; es wurde mit förmlichem Festaufzuge und Jubelmarsche hierhergebracht, ich selber schlug dabei den Triangel. Ja, das war ein Festtag, den wir alle nie vergessen werden, nicht wahr, Kinder?«

– – – Nun begann eine emsige, vergnügliche Zeit mit dem Einkaufen für das neue Heim. Estrid wollte zuerst etwas Küchengeschirr und andere nützliche Gegenstände einkaufen, doch dagegen protestierte ich eifrig.

»Wie kann es dir nur einfallen, solch langweiligen Kram zu kaufen?« fragte ich entrüstet.

»Es sind aber doch notwendige Dinge, die wir alle zusammen haben müssen«, antwortete Estrid.

»Aber man fängt doch nicht damit an! Das wäre doch zu philisterhaft! Sie können ja noch immer gekauft werden.«

»Womit wollen wir denn anfangen?«

»Mit etwas Schönem und Edlen, wodurch uns ein bleibender geistiger Genuß geschenkt wird.«

»Meinst du vielleicht, daß wir uns lieber erst Gardinenstoffe ansehen?« fragte Estrid ängstlich; sie fürchtete augenscheinlich, von neuem der Philisterhaftigkeit angeklagt zu werden.

»Ei was, Gardinen!« rief ich aus. »Haben wir davon bleibenden geistigen Genuß?«

»Ja, was meinst du denn?«

»Ich meine etwas, worin Poesie ist, ein echtes Kunstwerk. Es gibt z. B. einen ganz vorzüglichen Kupferstich von Paul Veroneses Hochzeit zu Kana. Das wäre ein passendes Stück, um unser neues Heim einzuweihen, und kostet nur 50 Kronen.«

»Das ist viel Geld«, meinte Estrid.

»Nicht, wenn man, wie wir, viele hundert Kronen für die Hauseinrichtung verschleudern kann. Komm nur mit; du wirst sehen, daß du den Kupferstich unvergleichlich findest!«

Nach verschiedenen Einwendungen mußte Estrid schließlich nachgeben, wir kauften den Kupferstich und trugen ihn triumphierend nach Hause. Schwiegervater teilte meine Begeisterung ganz, wir versanken in Bewunderung des feinen Stiches, der Schärfe, mit der die Umrisse wiedergegeben waren, und der Weichheit, mit welcher Licht und Schatten ineinander übergingen. Schwiegermutter dagegen schüttelte den Kopf und murmelte bedeutungsvolle Worte von dem notwendigen »Leinenschranke«.

Nachdem dieses Opfer auf dem Altar der Kunst dargebracht worden war, konnte ich Estrid ungehindert die prosaischen Dinge für den Bedarf des Hauses einkaufen lassen. Ich war jedoch nicht wenig erstaunt, als ich die Geschwindigkeit sah, mit welcher das Geld abnahm. Meiner Meinung nach hätte man für die vielen hundert Kronen einen ganzen Packhausboden voll Sachen kaufen können, und nun mußte ich sehen, daß sich mit dem Gelde nur mit Mühe und Not drei Stuben, außer meinem Arbeitszimmer, möblieren ließen. Es kostete uns keine geringe Mühe, eine Wohnung zu finden. Wir waren uns alle darüber einig, daß sie außerhalb der Stadt liegen müsse; ich fand es zu dumpfig und eng zwischen den hohen Steinmauern, und Estrids Angehörige wollten uns ja auch gern in der Nähe behalten. Dagegen herrschte zwischen Schwiegermutter und mir eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der näheren Beschaffenheit, da sie vor allem gute Wirtschaftslokalitäten forderte, während ich als eine der Hauptbedingungen stellte, daß es eine Wohnung sein müsse, in welche die Sonne hineinscheine, wo man den Mond sehen könne und von welcher aus man einen weiten freien Horizont habe, damit man auch den Sonnenuntergang betrachten könne. Ein paar Wochen verbrachten wir mit unablässigen Fußwanderungen nach den Anweisungen des Wohnungsanzeigers, ohne jedoch zu finden, was wir suchten; denn wo ein guter Keller war, fehlte der Mondschein, und wo man Mondschein gehabt hätte, war entweder die Küche zu klein oder gar keine Speisekammer vorhanden. Schließlich wurde ich des fruchtlosen Suchens überdrüssig und entschloß mich, auf den Mondschein zu verzichten, was ich jedoch als kein geringes Opfer von meiner Seite betrachtete. Doch gerade an demselben Tage kam Estrid von noch einer Pilgerfahrt mit der Nachricht heim, daß sie in der Frederiksberger Allee eine Wohnung gefunden habe, die allen unseren Wünschen entsprechen werde. Es sei eine Mansardenwohnung, von der man eine entzückende Aussicht auf das Frederiksberger Schloß und die Kirche habe, ringsumher sehe man nur grüne Baumwipfel, so daß man glauben könne, mitten im Walde zu wohnen, der ganze Westhimmel sei frei und müsse herrliche Sonnenuntergänge bieten, während ein kleines Zimmer auf der anderen Seite die Fenster nach Osten habe und man von dort aus den aufgehenden Mond erblicke. So befriedigt ich von diesem »Zubehör«, d. h. dem Himmel, der Sonne, dem Monde und den grünen Bäumen sein müsse, so erfreut werde Schwiegermutter über das von ihr geforderte »Zubehör« sein, denn hier seien sowohl Keller wie Küche und Speisekammer im wünschenswertesten Stande. Wir eilten hin, um uns die vorzügliche Wohnung anzusehen, und mieteten sie sofort; allerdings betrug die Jahresmiete 80 Kronen mehr, als wir ursprünglich hatten geben wollen, doch das erschien uns, mit ihren vielen Herrlichkeiten verglichen, als eine Kleinigkeit.

Nun war noch ein Dienstmädchen zu mieten, aber diese Angelegenheit überließ ich Schwiegermutter und Estrid gänzlich. Sie mieteten ein vortreffliches Mädchen, das hinsichtlich seines Fleißes, seiner Treue und seiner Zuverlässigkeit die besten Zeugnisse hatte. Die neue Zofe war einige vierzig Jahre alt, was mir ziemlich bejahrt erschien, doch Schwiegermutter hielt es gerade für gut, daß ein junges Paar ein älteres treues Mädchen habe, das ihnen mit seiner reichen Erfahrung zur Seite stehen könne. Die jungen Kopenhagener Dienstmädchen dächten nur an Putz und Vergnügen und ließen die Türen weit offen, während sie auf den Treppen miteinander klatschten, solch ein älteres Mädchen aber sei gesetzt und vernünftig und besorge seine Arbeit ordentlich. Alles dieses fand ich sehr richtig, fühlte aber doch eine gewisse Angst, als mir Anna vorgestellt wurde, denn teils sah sie so alt aus, daß sie recht gut Estrids und meine Mutter hätte sein können, teils lag in ihrem Gesicht ein Ausdruck von Charakterfestigkeit und Bestimmtheit, der ganz gewiß unsere Achtung verdiente, den man jedoch trotzdem bei seinen Untergebenen in so hohem Grade nicht zu sehen liebt.

Die Hochzeit wurde auf Ende Mai festgesetzt, denn im Monat Mai mußte sie sein. Dann hüllt sich die ganze Natur in ein bräutliches Gewand, die Buchen schlagen ihre hellgrünen Schleier aus, die Wiese schmückt sich mit den reizendsten Blümchen, der Star flötet, der Kuckuck ruft und alle Vöglein singen in dem großen Orchester; kurz, es ist die allerbeste Zeit, seine Braut heimzuführen.


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