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Die Frau mit der Amethystenkette

Amethysten sind nur Halbedelsteine. Aber ich will mir doch einmal eine schöne Amethystenkette kaufen, weil ich das sanfte Violett so sehr liebe.

Und weil die Frau, jene rätselhafte, wunderbare Frau, eine Kette von Amethysten trug. Und all die süßen Kinder damals Kettchen von Amethysten bekamen.

Ja, jene Frau – – –

Sie pochte einmal nachts mit drei raschen, sanften Schlägen an meine Tür und holte mich zu einem Spaziergang ab.

Es war aus einer alten Burg im Süden, die im Frühling und im Sommer Gäste aus aller Herren Ländern aufnimmt.

Eine frohe Gesellschaft war bis spät in die Nacht im schöngewölbten Saale des alten Pallas beisammen gewesen. Der Sturm raste nämlich so wild um die freistehende Felskuppe, die die uralte, seit kurzem neuaufgebaute Herrenburg trug, durch die wildzerschlissenen Wolken, daß keiner ans Draußensein dachte, ob auch der silberne Vollmond schien.

Mit Singen, Lachen und Lautenspiel suchten die Fröhlichen das Wüten des Windfürsten zu übertönen.

Mir war wohl zwischen Gesang und Gesaus, aber ich ging dennoch früher als die andern in meine stille Stube im jahrtausendalten Quaderbau.

In der Fensternische saß ich noch eine Weile und sah hinaus in die weite Welt.

Es war März, und die ganze Gegend lag noch einmal im neuen Schnee.

Wir hatten eigentlich auf Frühling gehofft, lachenden, heilenden Frühling im äußersten deutschen Süden. Aber der Winter hatte noch einmal seine ganze Gewalt aufgebracht.

Schön war's –: die gleißenden Berge und Täler, die breitflügligen Wolkenadler, zwischen deren flügelnden Schwingen der Mond.

Und ein Sturm, wie ich kaum einen erlebt hatte.

Die Stimmen auf der Burg verhallten allmählich.

»Gute Nacht!« klang's. »Gute Nacht!«

Es war tiefste Nacht.

Da klopfte die Frau an meine Tür.

Ich war tief erstaunt, als ich auf das sanfte Klopfen hin die Tür öffnete und sie vor mir stehen sah.

Sie mußte ganz spät angekommen sein. Am Abend war sie wenigstens noch nicht im Gästesaal gewesen, auch nie vorher.

Aber sie fragte, als ob sie mich eigentlich kenne oder doch Kameradschaft unter den Burggenossen von selbst voraussetze, ganz einfach:

»Haben Sie Lust, eine Stunde mit mir spazieren zu gehen?«

Ich mußte lachen. Ich hielt die Frage natürlich für einen Scherz.

Dabei sah ich mir die Dame aber genauer an.

So etwas Liebliches und dabei Hoheitvolles!

Sie war nicht jung. Ihr Haar, das sie in schönen Flechten um den Kopf gewunden trug, war schneeweiß.

Ihr Gesicht war edel und fein, nicht jung, nicht alt. Es strahlte von Schönheit. Ein weißes Gewand floß an der hohen Gestalt hernieder. Ueber dem Kleid lag ein reiches, weißes Schleiertuch und um den Hals, mehrmals umgeschlungen, eine Kette von herrlich geschliffenen Amethystenperlen.

So sanftviolett wie diese Perlen blickten ihre Augen mich an.

Mein Herz flog der schönen Besucherin zu. Als sie mich noch einmal ansprach: »Nun, kommen Sie mit?« da trug ich gar kein Bedenken mehr.

Eine frische Freude am Ungewöhnlichen, Reizvollen dieses Erlebnisses kam über mich.

Solch ein Spaziergang in Nacht und Mondschein, im urgewaltigen Sturm, im Schneeglanz und Schattenblau, – das war ganz mein Fall!

»Ja, ja!« sagte ich. In diesem Augenblick war ich schon Feuer und Flamme.

Wie lächelte die schöne Frau über meine Bereitwilligkeit!

»Ich ziehe mich ganz rasch warm an,« sagte ich und holte flugs das weiße gestrickte Wollzeug, Jacke, Schal und Schneekappe aus dem Kleiderschrank.

»Sie doch auch?« frage ich.

Die Fremde lachte leise.

»Mein Schal ist warm genug,« sagte sie und schlang das weiße, seidige Gewebe, das in reichen, rieselnden Falten um sie floß, mit einer einzigen Handbewegung so geschickt um sich, daß es Haar und Gewand ganz dicht und weich umhüllte.

»Kommen Sie nur!« winkte sie.

Da gingen wir auch schon durch den langen, nach der freien Seite offenen Bogengang, an dem mein Zimmer lag. Wir gingen über den Burghof, aus dem Tor hinaus, den Burgweg unter den schwarzstarrenden, im Sturme knarrenden Kastanien hin. Wie eine Schwebende schritt die Frau.

Goldener, immer goldener floß das Mondlicht herab.

Die zerrissenen, dunklen Wolken jagten wie Raubvögel vor leuchtendem Hintergrund. Weiter, weiter! In unaufhaltsamer Flucht!

Und der Sturm toste wie toll. Ich hielt mich kaum auf den Füßen. Jauchzend genoß ich dennoch mein Abenteuer.

»Wie weit wollen wir denn gehen?« fragte ich, so gut meine Stimme die Worte herausbrachte im gellenden Sturm.

Die Fremde, die mir immer um ein paar Schritte vorausgegangen war, kehrte sich um.

»Wir sind schon da,« sagte sie und deutete mit der Hand nach der Grotte unterm schneebelasteten Dornengestrüpp, dicht am Wege.

Da schon hinein? dachte ich, halb enttäuscht und halb doch auch wieder froh, denn der Sturm warf sich in diesem Augenblick mit einer solchen Wucht auf uns, daß einfach kein Weiterkommen möglich war. Die Grotte war vorderhand ja eine leidliche Zuflucht. Sie war tief in den Fels hineingehauen. Wasser sickerte von oben zwischen reizenden, seinen Farnen, die auch der Winter nicht ganz hatte umbringen können, in ein altes, wohl Jahrtausende altes, rötliches Marmorbecken, das vor der Menge zarter Wassergewächse, die seinen Boden bedeckten, wie mit grünem Schlamm gefüllt erschien. Oft hatte ich auf dem Rande des Beckens gesessen, dem Rieseln und Fallen der Tropfen lauschend, in alte Zeit versunken. Auf meinen Lieblingsplatz setzte ich mich auch jetzt. Aber meine Begleiterin machte mit der Hand ein Zeichen: Nein, nein! Nicht so! Nicht so!

Wie seltsam, die schlanke vornehme Frau stand plötzlich hoch aufgerichtet, mit der Hand die Farnkrautstielchen oben greifend, wie ein ganz junges Mädchen auf dem Marmorrand des Brunnens, der mir zum Sitz diente. Schlank vorgeneigt sah sie in das Becken hinein.

Und plötzlich sah ich sie gleiten. Nein, springen! –

Ich schrie wohl gellend auf, törichterweise» da ja der Brunnen meiner Meinung nach nicht tief war. Ganz verwirrt und bestürzt sah ich in das Becken hinein nach der Frau im nassen Bade. –

Aber was war das?

Meine Begleiterin im schleppenden Gewand stand auf einmal tief unter mir am Fuße einer großen, wunderschönen Marmortreppe. Sie winkte mir ganz ruhig und lässig: Bitte, kommen Sie nur! –

Ich wußte den seltsamsten Widerstand in mir überwinden. Denn zunächst mußte ich einfach auch in den Brunnen springen.

Auf diesen Sprung – das hab' ich mir später noch oft überlegt, kam es, glaub' ich, hauptsächlich an.

Als ich's getan, war alles gut. Ich war nicht naß. Es war mir nichts geschehen. Ich stand am Fuße der grünen Treppe und sah in einen langen, grünen Gang, zu dessen Seiten in Entfernung von etwa zehn und zehn Schritten goldene hellbrennende Kandelaber standen, – die Kerzenträger hatten Kastanienblütenform – hundert oder lausend solche Kandelaber. ich weiß es nicht. Wir gingen rasch den Gang entlang. Feiner weicher Samt schien unter unsre Füße gespannt, – wir gingen einer feinen silbrigen Helligkeit zu, – und als der Gang zu Ende war. standen wir in einem ganz wunderbaren, grottenartigen, von wuchtiger marmorner Mittelsäule gestützten Saal.

Und dieser Saal wimmelte von Kindern.

»Ich weiß doch, Sie haben Kinder gern,« sagte die schöne Frau in ihrer liebenswürdigen, etwas herablassenden, lächelnden Art. –

Da hatte sie wohl recht, aber daß Kinder mich so rühren könnten, hatte ich doch nicht gewußt.

Diese Kinder schienen alle gleich alt, alle gleich groß.

Es waren Mädchen, nur ganz wenige Knaben, alle in feinen weißen zarten Seidengewändern.

Es sah entzückend aus, wie diese geschmeidigen Kinder bei unserm Eintritt sich gerade in taktmäßigen lieblichen Tanzverschlingungen drehten; der ganze Saal schien ein wundersames, ordnungsgemäßes Ornamentwerk von gleichzeitigen Bewegungen. die aufs Haar klappten, ein verschlungenes Muster von Kommen und Gehen. Köpfchensenken, Köpfchenheben, Neigen, Beugen, Fußspitzchenvorstrecken, Umeinanderdrehen, Wiegen, Wippen, Kettenschlingen.

Bis zum letzten Punkt wurde der reizende Reigen, zu dem eine unsichtbare Musik den Takt gab, zu Ende getanzt.

Auf den Fußspitzen schwebend, zwei und zwei mit erhobenen Armen an den Händen gefaßt, hielten die Kleinen aus bis zum letzten Notenzipfel.

Dann war's, als ob ein Wind sie alle nach derselben Richtung wehe.

Ein Knistern und Flüstern, ein seliges, jubelndes Lachen durchstrich den Saal. Eine gerade Richtlinie strich alle Bogen- und Schneckenlinien des Tanzes aus. Die Richtung nämlich nach der Frau zu, nach der großen, schönen, ruhigen Frau mit der Amethystenkette. – –

An die Frau drängten die Kinder sich heran. Nach ihr streckten sich alle Aermchen. Die vielen Aermchen.

Sie kniete hin und schloß die nächststehenden Kinder, ein ganzes Häufchen auf einmal, in die Arme.

»Meine Wuzelchen und Puzelchen! Meine Wurzelchen und Purzelchen!« so ungefähr hörte ich sie flüstern.

So etwas von Zärtlichkeit hatte ich nie gesehen. So etwas von liebem Anschmiegen, von sehnendem, innigem Gedrängel.

Und doch war's kein Stoßen und Drängeln, nur ein magnetisches Anziehen und Angezogenwerden.

Aus den Augen der Kinder, die alle von mehr oder weniger tiefem schönen Blau waren, sprach etwas ungemein Liebes und Trauliches. Ich dachte unwillkürlich an Blumengesichtchen. Die sehen einen manchmal so herzig an.

»Wer sind denn diese Kinder? Wie gehören die denn zu Ihnen?« fragte ich die Frau.

Die sah mich an und lachte.

»Es sind alles meine,« sagte sie, seltsam verklärt. Ich schüttelte ganz verwirrt den Kopf. Da sprang die aber rasch aus ihrer knieenden Stellung auf.

»Kinder,« rief sie, »Kinder! Wir haben ja aber noch eine Menge zu tun!«

»Sie müssen wissen,« wandte sie sich an mich, »meine Kinder machen in den nächsten Tagen eine schöne Reise. Wir warten nur noch auf jemand, der sie abholt, der kann jeden Augenblick kommen. Wir wissen, auf wen! Nicht wahr, ihr Kinderchen, wir wissen, auf wen?«

Wieder der Jubel der feinen klaren Stimmen!

»Ja! Ja!«

»Laßt euch schon einmal die Reisekleider aus den Schränken geben und die Ketten, und probiert sie, ob sie noch passen,« sagte die Frau.

Da liefen ein paar größere Mädchen und schlossen mit goldenen Schlüsselchen Fächer und Türen in der weißen Wand auf, die man vorher nicht gesehen hatte.

O, wie schön war's, was sie da hervorzogen aus dem Gefach! Tücher von grüner Seide, grüne Schleier, kleine grüne Fächer. Und für jedes kleine Mädchen ein amethystenes Kettchen.

Im Nu waren die schönen Sachen verteilt.

Der Glanz der amethystenen Kettchen war ein lila Funkeln durch den ganzen Saal.

»Behaltet sie nur immer, es kann bald fort gehen!« sagte die schon wieder von den Kindern dicht umringte Frau. »Wenn er, unser Herrlicher und Geliebter, kommt, seid ihr dann gleich gerüstet. Was ich euch jedes Jahr für eure Reise sage, sage ich euch auch heute! Drängt euch nirgends vor, seid fein artig, seid bescheiden, daß die Leute euch lieb haben und sich eurer freuen!« –

Da ging ein trautes Zunicken, Lächeln und Zustimmen über die lieben Gesichtchen.

»Aber was ist denn das? Wir müssen ja gehen!« sagte da auf einmal ganz erschrocken die Frau, indem sie an der amethystenen Kette eine Uhr aus dem Gürtel zog, die so blitzte, daß ich einen Moment ganz erschrocken die Augen schloß.

Einen Blick hatte sie im Scheiden nur noch über die Kinder geworfen. Der war lauter Liebe und Segnung.

Dann zog sie mich schon an der Hand. Wir gingen den nur noch halbhell erleuchteten Gang zurück, die Treppe hinauf, schwangen uns über den Brunnenrand, unter den Kastanien zwischen den Rebengärten in die Burg zurück.

Seltsam! Während unserer Anwesenheit in der Tiefe hatte der Wind zu rasen aufgehört.

Weich waren die Lüfte, weiß und weich die Wolken, die am Monde vorüberzogen. Mit seinem ganzen wundersamen Schein überflutete der jetzt die Welt.

Wie eine stolze, schimmernde Marmorstadt lag hoch und fern die gewaltige Felskette über den Hochtälern und Kuppen.

Aber was war das?

»Da ist er! Da ist er!« rief auf einmal mit dem Klange unaussprechlicher Freude in der klangvollen Stimme die Frau.

Ich wußte nicht recht, was ich sah, nicht, wie mir geschah.

Ein Leuchten brach aus den Höhen.

Aber es sah genau aus, als käme ein Reiter in weißem Mantel, auf weißleuchtendem Roß aus einem weitgeöffneten, strahlenden Tor von da droben.

Ueber die Kuppen und Täler, über Wiesen und Matten kam er dahergesprengt.

Ein paar hundert Schritte von uns brach er aus dem Kastanienhain. Sein Schimmel, sein Mantel, sein leuchtendes Antlitz floß über von Licht.

Kaum die Erde berührend, flog er an uns vorüber, – vorbei, – vorbei! – – –

 

Die Frau hat danach kein Wort mehr mit mir gesprochen.

Sie brachte mich an die Tür meiner Burgkemenate zurück und nickte mir mit strahlendem Blicke zur guten Nacht.

Ich muß bald eingeschlafen sein.

Unbegreiflich nach all dem Seltsamen, Zauberhaften!

 

Am nächsten Morgen war die Dame mit der Amethystenkette wieder spurlos aus der Burg verschwunden.

Es wußte auch niemand etwas von ihrer Ankunft. Es hatte sie keiner gesehen.

Ich habe im Ort unten nachgefragt, auf allen Wegen, überall. Es war alles umsonst. Auch der Brunnen verriet nichts. Sein Wasser dunkelte grün und träge im rosa Marmorbecken.

Von einer Treppe sah man keine Spur.

Zum Glück war aber auch zum Grübeln und Forschen an diesem Tage keine Zeit.

Es wehte eine Luft wie lauter Balsam. Es spann eine Wärme wie lauter Glück. Im Schnee ein Rieseln und Tauen.

Zu einer langen, weiten Wanderung zogen wir alle hinaus.

Als wir den Burgweg herunterschritten aber sah ich das Neue.

Die ersten zackig gebreiteten Blättchen der Reben.

Und an den Weinbergsmauern, an den Wegrändern und unter den Hecken blühten die Veilchen.

Blau! Blau! Liebliches Veilchenblau überall! Jede Blüte mit ihrem bescheidenen, liebenswürdigen Ausdruck lächelte mir – so schien es – ganz extra ins Gesicht! Genau so hatten ja die Kinder gelächelt, die Kinder da unten, die Lieblinge der Frau mit der Amethystenkette!


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