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Drei Tage waren seit dem Auffinden Mac Cliffords verflossen. Die Kriminalpolizei war um keinen Schritt weiter gekommen. Man suchte noch immer den angeblichen Harry Dirksen, fand ihn aber nicht und schon nahm der besonders pfiffige Polizeiinspektor Bardsley, der die Recherchen leitete, an, daß der spurlos verschwundene Betrüger höchst wahrscheinlich der jungen und – wie sich jetzt nach und nach herausstellte – in ihrer Ehe mit Mac Clifford gar nicht so glücklichen Mistreß Gladis kein völlig Unbekannter war, daß sie hierin der Polizei etwas verschwieg, um einen ihr Nahestehenden nicht zu belasten oder um diesem sogar Gelegenheit zu geben, zu verschwinden. Später konnte man sich ja wieder irgendwo treffen.
Diese Annahme, die Bardsley zum Glück noch bei sich behielt, war eine sehr gewagte, aber der Inspektor war nun einmal nicht davon abzubringen, daß hinter neunundneunzig von hundert Verbrechen immer die Frau steckte. Beweisen konnte er vorläufig der jungen Witwe nichts, aber er suchte wie ein Spürhund nach irgendwelchen Vorkommnissen in der Vergangenheit von Mistreß Clifford.
Gladis Reymond war arm gewesen, als sie Mac Clifford heimführte. Lediglich sein enormes Vermögen mochte die junge Miß bewogen haben, die Hand des um so vieles ältern, als Mensch nicht gerade beliebten Mannes anzunehmen. Später bereute sie dies gewiß und es kam zu heftigen Szenen zwischen dem Ehepaar, da Clifford seine junge Gattin wie eine Gefangene hielt.
Eigentlich war nichts Genaues über diese ehelichen Zerwürfnisse aus der Dienerschaft herauszuholen; hier und da fiel aber doch eine Bemerkung, die man als Kriminalist nur richtig deuten mußte. Also schloß Bardsley, Gladis Clifford fühlte sich unglücklich und sehnte sich nach einem jüngeren Manne, vielleicht einem aus ihrer Jugend.
Und hier setzte der Inspektor nun ein. Es gab da tatsächlich einen jungen Mann, der vor Mistreß Gladis Heirat zu der jungen Dame gewisse, wenngleich durchaus einwandfreie Beziehungen unterhalten hatte.
Dieser Mann hieß Philipp Hogdan. Er war arm, wenigstens besaß er kaum viel mehr als er sich in seiner bescheidenen Stellung verdiente. Früher im Hause des verstorbenen Generals Reymond häufiger Gast und der Anbeter Gladis, die ihn wahrscheinlich ebenfalls liebte, aber doch nicht heiraten konnte, da sie völlig zusammenbrach als der Vater starb, zog sich Mister Hogdan anscheinend gänzlich zurück, seitdem Gladis die Gattin von Mac Clifford geworden war.
Aber Bardsley nahm an – und darin hatte er Erfahrung – daß Hogdan wahrscheinlich noch immer die schöne Gladis liebte und ebenso wahrscheinlich von ihr wiedergeliebt wurde. In aller Heimlichkeit natürlich.
Da war es leicht zu verstehen, daß das Paar eine Lösung der ihnen gewiß verhaßten Ehe erstrebte.
Die gerichtsärztliche Obduktion Mac Cliffords hatte ergeben, daß dieser einem Stickfluß erlag. Es fanden sich keinerlei Verletzungen an dem Körper. Ein Verbrechen lag aber trotzdem vor, denn der noch unbekannte Mann, der in der bewußten Nacht in das Zimmer Cliffords gedrungen sein mußte, hatte wahrscheinlich Clifford durch irgendein noch nicht festgestelltes narkotisches Mittel betäubt und in diesem Zustande in den Schrank gesteckt. Wie er dazu kam, dieses Geheimnis zu kennen, war noch ein Rätsel. Dann mußte er versucht haben, auch den Stahlschrank im Kassenzimmer zu berauben. Mac Clifford trug den Schlüssel zu dem Schranke immer bei sich, ebenso ein kleines Notizbuch, in das er sich täglich die von ihm gestellten Buchstaben einschrieb, wonach erst das Schloß geöffnet werden konnte.
Sowohl der Kassenschlüssel wie jenes Notizbuch fehlten, als man den Toten durchsuchte. Die goldene Uhr fand sich dagegen ebenso vor wie zwei sehr wertvolle Ringe, doch kein Portefeuille oder dergleichen.
Inspektor Bardsley brachte schnell heraus, wo sich Philipp Hogdan zur Zeit aufhielt. Dabei kam die Tatsache zu seiner Kenntnis, daß der noch junge Mann augenblicklich gar keine feste Stellung hatte. Bis vor wenigen Tagen war er als erster Buchhalter im Bankhause Ellias & Co. beschäftigt gewesen.
Bardsley stellte weiterhin fest, daß Hogdan seit dem Verschwinden Mac Cliffords ein unregelmäßiges Leben führte. Er kam oft die Nächte gar nicht in sein einfaches Quartier, oder erst gegen Morgen, wobei er dann blaß und verlebt aussah. Seiner Wirtin gegenüber hatte er auf besorgte Fragen nur Ausreden. Dieses veränderte Benehmen Hogdans, der bis dahin äußerst solid gelebt hatte, erhöhte nur den Argwohn des Inspektors. Er nahm sich einen gewiegten, sehr schlauen Gehilfen und nun wurde Philipp Hogdan auf Schritt und Tritt heimlich beobachtet. In dem Kopfe des Inspektors bildete sich nach und nach die Ueberzeugung, daß jener angebliche Harry Dirksen gar kein anderer war als Philipp Hogdan und daß er und niemand sonst den Mister Clifford um die Ecke brachte.
Bardsley freute sich schon, das enttäuschte Gesicht Will Mortons zu sehen, den er genau kannte, wenn diesmal Mortons Schlauheit von Bardsley übertrumpft wurde. Grün waren sie auf der Geheimzentrale dem Detektiv ohnedies nicht, weil Morton immer den Geheimnisvollen spielte und beständig andere Wege ging, als die erprobten Kriminalbeamten.
Es war am Tage der feierlichen Beisetzung Mac Cliffords. In tiefer Trauer hatte Gladis sehr bleich, aber gefaßt der Feier beigewohnt. Eine große Menschenmenge war erschienen, vor allen Dingen alle diejenigen, mit denen Mac Clifford in geschäftlichen Verbindungen stand, und das waren sehr viele, dann zahlreiche Abordnungen der Werke, die ihm gehörten oder deren Geschick in seinen Händen lag.
Auch Will Morton und ebenso Inspektor Bardsley waren in Zivil anwesend. Man kannte sie nicht und Gladis kam nicht in die Nähe Mortons. Beide Männer beobachteten scharf, ohne aufzufallen. Sie suchten gleichzeitig den jungen Mann, dessen Beschreibung sie besaßen, den angeblichen Harry Dirksen. Aber sie fanden ihn nicht, wenigstens traf bei keinem der jüngeren Leute die Beschreibung zu.
Er hält sich fern. Ich werde ihn trotzdem erwischen, sagte sich Morton.
Als die Trauerfeier vorüber war und die Autos sich zerstreuten, viele der Trauergäste auch zu Fuß davonschritten, bemerkte Bardsley plötzlich einen noch jüngeren Herrn, der sich absichtlich zurückgehalten hatte, so daß er bis dahin Bardsley entging. Jetzt erkannte er ihn. Es war Philipp Hogdan, der frühere Verlobte oder Geliebte Gladis', ganz genau wußte Bardsley nicht, wie das Verhältnis war.
Der junge Mann glaubte sich unbeobachtet und gerade als Gladis, auf den Arm einer ältern Dame gestützt zu ihrem Auto schritt, den Schleier vor dem weißen Gesicht, trat Hogdan etwas vor, so daß ihn Gladis sehen mußte. Sie hob etwas den Kopf. Die Augen der beiden begegneten sich eine Sekunde lang und Bardsley sah, daß Hogdan nach dem Herzen griff.
Gladis schien zu schwanken, dann aber faßte sie sich, drehte schroff den Kopf zur Seite, bestieg das wartende Auto und fuhr davon.
Hogdan wendete sich langsam ab. Er sah starr zu Boden und um seine Lippen zuckte ein bitteres Lächeln. Dann ging er weiter, verlor sich im Gedränge der sich entfernenden Gäste.
Verstellung! lächelte Bardsley. Mir entkommst Du nicht!
Auch er entfernte sich, gab aber in einiger Entfernung einem seiner Zivilgehilfen einen Wink, sagte ihm ein paar Worte, zu denen der Mann nickte und verschwand dann in derselben Richtung die vorhin Philipp Hogdan einschlug.
*
Es dunkelte bereits, als im Trauerhause Clifford ein Besucher sich einstellte, der von Lawrence in der Halle empfangen wurde. Auf die Bitte des dunkel gekleideten jungen Mannes, ihn bei Mistreß Clifford zu melden, da er ihr etwas sehr Wichtiges zu sagen habe, fixierte der Alte den ihm unbekannten Mann scharf von der Seite. Der Besucher schien sich in starker Erregung zu befinden, war sehr bleich und wahrte nur mühsam seine Fassung.
Lawrence erwiderte, daß seine Herrin gerade an diesem Tage wohl kaum irgendeinen Besuch empfange, doch wolle er den Versuch machen, wenn ihm der Herr irgendwelche genauere Angaben geben könne, was ihn herführe.
Der Erschienene besann sich eine Weile, schien zu schwanken, entnahm aber doch seiner Brieftasche eine Karte, auf die er einige Worte schrieb.
»Bringt diese Karte Mistreß Clifford,« sagte er mit belegter Stimme.
Lawrence las als guterzogener Diener die hingekritzelten Worte nicht, sondern schickte die Karte durch die Zofe Gladis.
Nach wenigen Minuten kehrte das Mädchen zurück und meldete, Lawrence möge den Herrn in den Empfangssalon führen, ihre Herrin wäre bereit, ihn anzuhören.
So geschah es auch. Der Alte führte den Besucher in das Zimmer und bat ihn, dort zu warten.
In dem von etwas abgedämpften elektrischen Licht liegenden Raume stand der Besucher noch immer bleich und nervös mit den Zähnen an der Unterlippe nagend eine Weile regungslos auf derselben Stelle.
Da bewegte sich die Portiere einer Tür. Gladis trat ein. Der Besucher machte eine leichte Bewegung, als wolle er sich verneigen. Es blieb aber bei dem Versuch.
»Was wollen Sie von mir, Philipp Hogdan? Wie können Sie es wagen, gerade heute hier zu erscheinen?« stieß nun Gladis bebend vor Erregung hervor.
»Sie zürnen mir, Mistreß Clifford,« erwiderte leise der junge Mann. »Weil Sie sich niemals die Mühe gaben, meine Beweggründe zu verstehen, die uns auseinanderbrachten. Heute bin ich gekommen, um Ihnen einen großen Dienst zu erweisen.«
»Ich will von Ihnen keine Gefälligkeiten mehr entgegennehmen, Mister Hogdan,« versetzte schroff Gladis. »Und ich weiß nicht einmal, weshalb ich Ihrem Wunsche nachgab, mich zu sprechen. Vielleicht nur, um Ihnen zu sagen, daß ich jetzt erst recht jede weitere Verbindung ablehne.«
Der junge Mann fuhr sich über die Stirne. Er holte tief Atem.
»Sie sind hart zu mir. Aber wenn Sie alles wüßten – –« flüsterte er.
»Ich verzichte darauf. Sagen Sie rasch, was Sie von mir noch wünschen könnten, heute, an dem Tage, an dem ich Mac Clifford unter die Erde brachte!«
Philipp Hogdan kämpfte schwer mit sich. Dann sagte er langsam: »Ich wollte Ihnen eine Anzahl Dokumente zurückgeben, die Ihr Eigentum sind und die sich bis – bis zum Tod Ihres Gatten in dessen Geheimverschluß befanden. Ich könnte einen ganz andern Gebrauch davon machen, denn wenn ich diese Geheimverträge der größten Konkurrenzfirma Ihres verstorbenen Gatten auslieferte, würde man mir dafür gerne eine Million Dollar bezahlen. Ich verzichte jetzt darauf. Nehmen Sie, bitte.«
Gladis wich mit weitgeöffneten Augen zurück und starrte den Sprecher an.
»Diese Dokumente – diese Geheimverträge – woher stammen sie?« murmelte sie.
»Aus dem Stahlschrank Mac Cliffords,« erwiderte Philipp Hogdan.
»Und Sie haben – –?« entglitt es den blutleeren Lippen Gladis.
Sie wankte und fiel auf einen Stuhl. Was sie hier erlebte, war zu viel für ihre ohnedies angegriffenen Nerven.
»Ich bitte nur um die Gunst, Ihnen sagen zu dürfen, wie sich alles verhält,« antwortete Hogdan.
Sie machte eine matte Bewegung. Vor ihr auf dem Tische lag ein gut verschnürtes Paket.
»Sprechen Sie – –!« stieß sie fiebernd vor Spannung hervor.
Und Philipp Hogdan begann zu berichten. Als er geendet hatte, trat er zurück.
»Nun habe ich Ihnen nichts mehr zu erklären, Mistreß Clifford,« schloß er mit leiser, belegter Stimme. Unsere Wege müssen sich ja nun wohl trennen. Leben Sie wohl! Was ich einst für Sie empfand, war reine, heiligste Zuneigung. Das Verhängnis ließ es nicht zu, daß wir uns finden konnten oder besser gesagt, wir mußten uns meiden. Wenn Sie können, dann verzeihen Sie einem Unglücklichen. Ich werde so schnell wie möglich Neuyork verlassen, um Ihnen niemals mehr unter die Augen zu kommen!«
Er wartete keine Antwort ab, sondern verschwand durch die Tür.
Gladis raffte sich, halb betäubt von dem Gehörten, empor und ihren Lippen entglitt ein halberstickter Ruf.
»Philipp – –!«
Aber der junge Mann hörte dieses Wort nicht mehr. Er hatte rasch die Halle durchschritten, ohne auf Lawrence zu achten, der ihm betroffen nachsah, trat in den Garten und eilte auf die Straße.
Im gleichen Augenblick legte sich ihm eine schwere Hand auf die Schulter und Inspektor Bardsley sagte kurz und hart: »Ich erkläre Sie für verhaftet, Philipp Hogdan. Folgen Sie mir ohne Umstände nach dem wartenden Auto.«
Der junge Mann wollte auffahren, doch nur eine Sekunde währte diese Bewegung. Dann ließ er resigniert den Kopf hängen und sagte bitter: »Ich wußte es ja immer, daß mich das Glück verlassen hat, seitdem – –«
Den Rest verschluckte er. Ruhig folgte er dem Inspektor, der ihn am Eingang zum Park erwartet hatte, nach dem abseits stehenden Auto.
*
Am nächsten Morgen erschien Will Morton in der Villa Clifford. Gladis hatte ihn gerufen.
Die Unterredung der beiden fand bei verschlossenen Türen statt. Als sich Morton, der bereits von der Verhaftung Philipp Hogdans Kenntnis besaß, erhob, um sich zu verabschieden, sagte er: »Mister Hogdan hat uns einen ungeheuren Dienst geleistet, den Sie ihm nicht zu gering anschlagen sollten, Mistreß Clifford.«
Er sah sie dabei prüfend an und konnte konstatieren, daß eine Blutwelle in ihr feines, schönes Gesicht stieg.
»Was wollen Sie nun beginnen, Mister Morton?« fragte sie statt aller Antwort.
»Dem Burschen, den ich suche, eine Falle legen,« lautete die Antwort des Detektivs. »Es würde gar nicht viel nützen, wenn ich das, was ich aus Ihrem Munde gehört habe, dem Richter erzählte, bevor ich nicht noch andere Beweise besitze. Man würde mir so wenig glauben, wie Ihnen. Der Fall ist etwas kompliziert, wie Sie zugeben müssen.«
»Aber Philipp Hogdan, wenn er verurteilt würde – –?« entrang es sich Gladis Lippen.
Der Detektiv lächelte.
»Ich hoffe, daß es nicht so weit kommt, wenngleich Inspektor Bardsley offenbar einen ganz speziellen Plan verfolgt. Ich glaube, daß man auch Sie bereits verdächtigt, was natürlich ein Unsinn ist. Aber unsere Polizei kommt mitunter auf die seltsamsten Vermutungen. Für heute muß ich Sie verlassen. Es gibt noch genug zu tun für den Abend.«
»Hoffen Sie etwas von diesem Abend?«
»Ich hoffe immer,« wich diplomatisch Morton aus. »Hoffen auch Sie, Mistreß Clifford. Das gibt Mut und Stärke.«
»Und – Sie können nichts für den armen Hogdan tun?«
Er lächelte verschmitzt.
»Augenblicklich nicht. So leid es mir tut. Aber ich werde mich dafür nach anderer Seite um so mehr beeilen. Leben Sie wohl, Madame!«
Damit verließ Morton das Haus Clifford.