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In der Neuyorker Fünften Avenue lag das vornehme, von einem herrlichen, wenn auch kleinen Park umgebene Besitztum des bekannten Großindustriellen Mac Clifford, der als Generaldirektor der Trust-Kompanie Clifford & Co. allgemeines Ansehen genoß.
Mac Clifford war ein Selfmademan, also ein Emporkömmling, der sich durch eiserne Energie und geschäftlichen Scharfsinn mit beispiellosem Wagemut aus kleinsten Anfängen zu seiner jetzigen dominierenden Stellung emporgeschwungen hatte. Seine geschäftliche Macht, sein Einfluß auf die Börse, auf unzählige Unternehmungen der Konkurrenz, die er gleichsam nach seinem herrischen, oft genug brutalen Willen dirigierte, wie er es für seine Zwecke für gut fand, war ungeheuer und hatte ihm mit der Zeit nicht wenige Feinde verschafft, die mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln diese Macht zu schwächen suchten, denn es kam Mac Clifford gar nicht darauf an, zur Erreichung irgendeines geschäftlichen Erfolges ein halbes Dutzend anderer, nicht so finanzstarker Gegner zu ruinieren.
In dieser Beziehung erzählte man sich – natürlich im stillen und unter Wahrung der Diskretion – die ungeheuerlichsten Dinge.
Mac Clifford wußte genau, daß er sich im allgemeinen verhaßt gemacht hatte, ja daß er selbst unter seinen eigenen Leuten und Angestellten nicht beliebt war. Er konnte oft genug auch hier brutal auftreten.
Doch lachte er über jede Warnung, die ihm seine Direktoren hin und wieder wohlmeinend zugehen ließen. Er war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, stark, gesund und von großem Mut beseelt, wozu noch eine Schlauheit kam, die ihm so leicht keiner seiner Gegner bieten konnte.
Das schöne palastartige Gebäude, das er seit zwei Jahren bewohnte, hatte er für seine junge Frau erworben, denn nicht länger als zwei Jahre war er glücklicher Ehegatte.
Vorher gehörte die Villa einem Manne, der damals finanziell zusammenbrach und wie es hieß sich eine Kugel durch den Kopf schoß. Persönlich kannte Mac Clifford diesen Mann nicht, der ebenfalls wieder ein Opfer von Mac Cliffords Gegenunternehmungen war und zuletzt alles auf eine Karte gesetzt hatte, um dem gefürchteten Manne die Spitze zu bieten.
Da Mac Clifford wie immer von seinen zahlreichen Geheimagenten genau unterrichtet wurde, konnte er leicht vorbeugen. Er besaß ja doch eine weit größere Macht. Jener andere verlor das gewagte Spiel an einem einzigen Tage und brach vollkommen zusammen, während Clifford einen neuen, ungeheuren Erfolg buchen konnte.
Der gewaltige Machthaber machte sich nicht das geringste aus dem traurigen Schicksal des Gegners. Dieser nannte sich Brockers, war ein bis dahin sehr tüchtiger Bankier und Kaufmann, noch jung, kaum dreißig Jahre alt und ohne Familie, wie Clifford später hörte.
Wie schon erwähnt, kannte er Ferd Brockers persönlich nicht, hatte ihn nie gesehen, da er sich meist gegen diejenigen abschloß, die er zu bekämpfen sich vorgenommen hatte. Wozu bezahlte er seine unzähligen Angestellten, die Direktoren seiner Werke, die er nach und nach zu einem gewaltigen Trust vereinigt hatte, seine Agenten, die für ihn im stillen arbeiteten
Ferd Brockers verschwand über Nacht, ließ alles im Stich, das er ja doch nicht mehr halten konnte und als man einige Tage später einen Toren in einem Neuyorker Park auffand, der sich mit einer Kugel den Kopf zerschmettert hatte, als man weiterhin eine Visitenkarte in der Brusttasche des Selbstmörders fand, die den Namen des ruinierten Bankiers aufwies wurde dieser Tote als Ferd Brockers still beerdigt. Da er keine näheren Verwandte und nur wenige Freunde hatte, die jetzt nach seinem furchtbaren Sturze sich schleunigst zurückzogen, um es nicht mit Mac Clifford zu verderben, da weiterhin die Züge des Toten derart zerstört waren, daß sie kaum mehr recht zu erkennen waren, wurde Ferd Brockers in der Liste als tot, durch Selbstmord geendet, geführt.
Der Fall kam rasch in Vergessenheit, es gab täglich neue Sensationen.
In jener Zeit oder doch bald darauf führte Mac Clifford sein junges Weib in das schöne Haus, das mit der gesamten Einrichtung in seinen Besitz gelangt war. Der Verkauf der Villa deckte nur einen geringen Teil der ungeheuren Verpflichtungen, die Ferd Brockers auf sich genommen hatte, aber nicht mehr erfüllen konnte. Auch Mac Clifford mußte einen kleinen Verlust buchen, doch besaß er dafür das verlassene wunderbare Eigentum seines vernichteten geschäftlichen Gegners.
Die Fama erzählte – natürlich wiederum in sehr diskreter Weise – daß Mac Clifford, der bis dahin an Frauenliebe kühl vorübergegangen war, die von ihm nun Auserwählte auch nicht so ganz auf üblichem Wege gewonnen hatte.
Miß Gladis Reymond war die einzige Tochter eines verdienstvollen Generals, der gerade um jene Zeit starb. Man munkelte, er habe sich in dem letzten Jahr seines Lebens mit gewagten Spekulationen eingelassen, von denen Gladis nichts wußte und wohl auch nichts verstand. Daß er dabei kein Glück hatte, sondern Unglück und alles nach und nach verlor, war nicht verwunderlich, denn es fehlten ihm die scharfen kaufmännischen Talente, vielleicht auch die Gewissenlosigkeit, die mitunter nötig ist, um Erfolg auf dieser gefährlichen Bahn zu haben.
Auch daß hier wiederum der Name Mac Cliffords genannt wurde, wunderte eigentlich niemand. Tatsache war, daß Clifford sich der verwaisten, sehr schönen Tochter des Generals annahm, als dieser eines Morgens tot in seinem Bette aufgefunden wurde Der Leichenschauer erkannte auf Herzschlag, aber Gladis allein wußte, daß sich ein geleertes kleines Fläschchen neben dem Lager des geliebten Vaters befand, das sie, von plötzlichem Schrecken erfaßt, ganz instinktiv verschwinden ließ. Mit allen Ehren wurde der General beerdigt und seine Tochter wurde allgemein bemitleidet, soweit dies in dem großen Neuyork möglich war.
Nicht um alles in der Welt hätte Gladis etwas von dem schrecklichen Fund des kleinen Fläschchens verraten. Der Name ihres Vaters sollte rein bleiben, auch über den Tod hinaus.
Sie selbst war nun freilich fast verarmt, wie sich bald herausstellte. Da sie von dem General sehr verwöhnt wurde, die feinste Erziehung genossen hatte und kaum die Fähigkeiten besaß, den nüchternen, schweren Kampf um das Dasein aufzunehmen, war ihre Lage eine sehr bedenkliche.
In dieser Zeit stellte sich Mac Clifford bei ihr ein. Hatte er von der eigenartigen Schönheit des jungen Mädchens gehört, war es zuerst bloße Neugierde. Miß Gladis kennen zu lernen, regte sich am Ende doch etwas in seinem harten Herzen, das ihm bis dahin noch neu war, genug, er bot Gladis seine Hilfe in einwandfreier Weise an. Er nannte sich einen Freund ihres verstorbenen Vaters, dem er es schuldig wäre, seine einzige Tochter nicht in finanziellen Sorgen untergeben zu lassen.
Zunächst hatte er Gladis, da sie eine direkte Unterstützung ausschlug, in seinem eigenen Privatbureau als Hilfssekretärin untergebracht, wo die junge, hochgebildete Dame aber sofort eine bevorzugte Stellung einnahm.
Im täglichen Verkehr mit ihr begann sich dann in seinem verknöcherten Herzen etwas zu regen, das er zunächst schroff von sich wies, das aber immer wieder sich vordrängte. Es kostete diesen machthungrigen egoistischen Mann schwere Kämpfe mit dem eigenen Herzen, ehe er sich schließlich doch entschloß, Miß Gladis seine Hand anzubieten.
Er war fast fünfzig Jahre alt, aber es hätte wohl nur wenige Damen der Neuyorker Gesellschaft gegeben, die eine solche Werbung ausgeschlagen haben würden.
Gladis sah in Mac Clifford den Freund ihres Vaters, sah weiterhin ihren eigenen Freund in ihm, denn so rücksichtslos er gegen alle andern sein konnte, wenn es sich um geschäftliche Dinge handelte, ihr gegenüber war er stets von seltsamer Zartheit und Schonung. Es war wieder einmal das Wunder eingetreten, daß sich ein älterer Mann, der Jahrzehnte sich von den Frauen ferngehalten hatte, weil sie ihn nach seiner Ansicht in seinen gewaltigen Geschäftsunternehmungen gestört hätten, über Hals und Kopf in ein junges, schönes Wesen verliebte.
Daß er Gladis zu seiner rechtmäßigen Gattin machen wollte, lag wohl auch daran, daß er erkannte, wie sehr das junge Mädchen gegen jede andere, weniger ehrenhafte Auffassung ihres Verhältnisses war
Auch Gladis kämpfte lange und schwer mit sich. Als sie noch die vielumworbene Tochter ihres Vaters war, hatte sie einen jungen Mann kennen und auch lieben gelernt. Aber da sich keine Aussicht für Philipp Hogdan bot, Gladis ein ihrer Persönlichkeit entsprechendes glänzendes Heim zu bieten und da sie nun nach dem überraschenden Tod des Vaters selbst verarmte, zog sich der junge Mann zurück. Philipp Hogdan sah Gladis ein letztesmal bei der Beerdigung des Generals. Sie nahmen stummen Abschied von einander, beide mit dem festen Vorsatz, einander zu vergessen.
Bald darauf wußte man dann auch, daß sich Mac Clifford für die schöne Waise eingesetzt hatte.
An diesen Philipp Hogdan dachte nun Gladis sehr oft und mit schmerzlichsten Empfindungen, als Clifford um sie warb. Aber da er verschwunden war und wohl auch niemals Aussicht bestand, daß sie sich vereinigen konnten, weil er selber sich erst eine starke Position schaffen mußte, trat sein Bild langsam in den Hintergrund. Das schloß aber nicht aus, daß Gladis auch in der Folgezeit – ohne daß Mac Clifford die geringste Ahnung hatte – noch manchesmal an Philipp dachte.
Gladis hatte endlich die Werbung Mac Cliffords angenommen und wurde eines Tages die vielbeneidete Gattin des Generaldirektors, der sie in das von ihm erworbene schöne Haus in der Fünften Avenue einführte.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden mit großem Prunk gehalten, dann aber zog sich Mac Clifford wie früher von der Gesellschaft zurück und schien nur seinem neuen Glücke zu leben.
Die Hochzeitsreise hatte das neuvermählte Paar nach Alabama gemacht, wo sich mehrere bedeutende Industriewerke ebenfalls im Besitz Mac Cliffords befanden. Zurückgekehrt umgab der schwerreiche Mann die schöne Frau mit jedem erdenklichen Luxus, ergänzte das Innere der Villa durch Erwerbungen wertvollster Kunstwerke und tat alles, was er Gladis an den Augen absehen konnte. Nur schloß er seinen herrlichen Schatz gewissermaßen gegen die Außenwelt ab, er gab weder Gesellschaften, noch besuchte er solche. Gladis hatte ihre Loge in den Theatern, konnte Konzerte besuchen, sich die teuersten Kostüme bestellen, hatte zwei Autos zu ihrer Verfügung, aber sie war allein – oder doch nur in Gesellschaft ihres Gatten, der in ihrer Nähe allerdings wie verändert erschien. Mit fast krankhafter Eifersucht bewachte er dabei Gladis.
Wenn seine Gegner gehofft hatten, daß die Liebe, seine Vermählung geeignet waren, seine Riesenunternehmungen und Spekulationen in den Hintergrund zu drängen, so sollten sie sich alle gewaltig darin täuschen. Mac Clifford war in Gegenwart Gladis und in seinem Heim der verliebte Gatte, aber er schien geradezu seine Kraft verdoppelt zu haben, was seine geschäftlichen Talente anbetraf. Täglich vernahm man von neuen Unternehmungen, und mehr als einmal verschlang er andere schwächere Gesellschaften oder er ruinierte sie zu seinem Vorteil.
So standen die Dinge, als sich ein seltsamer Vorfall ereignete, der nicht wenig Staub in den beteiligten Kreisen aufwirbelte.
Mac Clifford war verschwunden, spurlos verschwunden.
Seit seiner Ehe mit Gladis Reymond waren nun gerade zwei Jahre vergangen und niemand hätte, gewagt, zu behaupten, daß sich der Grund seines Verschwindens in dieser Richtung suchen lasse. Das schien ganz ausgeschlossen.
Lady Clifford gab, als es ihr nicht mehr möglich wurde, das rätselhafte Verschwinden ihres Gatten länger zu verbergen, an, daß sich ihr Gatte am Abend vor zwei Tagen nach einem gemütlichen Plauderstündchen, das die beiden in Gladis schönem Boudoir verbrachten, in bester Laune verabschiedet habe, um noch etwas in seinem großen Arbeitszimmer zu erledigen.
Dieses lag nach der andern Seite des Hauses und es besaß eine hohe Glastür, daneben zwei Fenster und eine Terrasse vor der Tür, die mit einem kunstvoll gearbeiteten Gitter nach dem Park zu abgeschlossen war. Einige kleinere Zimmer schlossen sich an, teils Warteräume, teils sehr elegant ausgestattete Gemächer, in denen sich Mac Clifford, wenn es nottat mit geschäftlichen Besuchern unterhielt.
Unmittelbar an das Arbeitszimmer stieg der nicht allzugroße Kassenraum, so genannt, weil in ihm ein mächtiger Stahlschrank stand, in dem Mac Clifford seine wichtigsten Dokumente aufbewahrte. Nur er selber besah den Schlüssel zu diesem Schranke, dessen Schloß auch nur nach Stellung eines stets veränderten Stichnamens geöffnet werden konnte.
Gladis hatte, als zwei Tage verflossen, ohne daß von ihrem Gatten eine Nachricht kam oder er selber irgendwo gesehen wurde, zunächst einen der besten Privatdetektivs von Neuyork mit der Suche nach Mac Clifford beauftragt. Da ihr der Detektiv aber riet, doch für alle Fälle auch zugleich die offizielle Polizei zu benachrichtigen, so wurde der Fall publik.
Ganz im stillen und doch nicht verborgen fanden die ersten Vernehmungen Gladis statt, die sich in großer Erregung befand, aber so gut wie nichts aussagen konnte, das irgendeine Spur ergab.
Mac Clifford hatte nach ihren Angaben an jenem Abend seine Zimmer betreten. Dies bestätigte auch Lawrence, sein alter Kammerdiener. Daß er auch im Kassenraume sich zu schaffen machte, ließ sich aus dem Umstande erkennen, daß man vom Park aus weißes Licht hinter den Fenstern sah. Da die Räume ziemlich hoch lagen, war ein hineinblicken jedoch nicht möglich, abgesehen davon, daß fast undurchsichtige Gardinen die Fenster von innen bedeckten.
Mac Clifford hatte seinen Kammerdiener, da es ziemlich spät war, zur Ruhe geschickt. Daran war nichts Auffälliges, ebensowenig, daß er noch mitten in der Nacht arbeiten wollte. Diese Angewohnheit brachte er aus seinen früheren Jahren mit und behielt sie bei.
Irgend etwas Auffälliges war von keinem der Diener gehört worden, die freilich ebenfalls schlafen gingen. Clifford drehte, wenn er noch lange gearbeitet hatte, regelmäßig selber die Lichter seiner Zimmer aus. Auch Gladis wartete nicht auf ihn. Sie schlief im andern Teile des Hauses und das von dem ihren getrennte Schlafzimmer Cliffords lag zwei Räume entfernt von dem ihren. Mac Clifford hatte dies von allem Anfang so bestimmt, da er seine junge Frau, wenn er, wie so oft, noch spät sich im Arbeitszimmer aufhielt, nicht stören wollte.
Am Morgen nach jener denkwürdigen Nacht hatte Lawrence, der Diener, das Schlafzimmer und auch das Bett seines Herrn leer, unberührt gefunden. Er dachte zunächst nichts Schlimmes. Möglich, daß sein Herr, einer plötzlichen Laune folgend, noch ganz spät in den Klub sich begab, den er zuweilen aufsuchte, ohne daß er diese Absicht vorher verlauten ließ.
Lawrence befragte den Chauffeur, doch dieser wußte nichts von Clifford. Niemand hatte in der Nacht ein Auto gefordert.
Erst jetzt und nachdem der Kammerdiener auch die andern Räume, vor allem das Arbeitszimmer seines Herrn leer und ohne jede auffällige Unordnung gefunden, begab er sich zu Mistreß Clifford und teilte ihr seine Feststellungen mit.
Gladis, die sich bereits erhoben hatte und in einem reizenden, hellen Morgenkleide bei Frühstückstische saß, den Gatten erwartend, war nicht wenig betroffen von dieser Meldung. Eigentlich war Mac Clifford noch niemals im Verlauf der Ehe eine Nacht ausgeblieben, ohne daß er vorher seine junge Gattin benachrichtigt hätte.
An einen Unfall oder gar an ein Verbrechen dachte man jedoch noch nicht. Irgendein noch unbekannter zwingender Grund konnte Clifford ja schließlich doch veranlaßt haben, das Haus unbemerkt zu verlassen. Aber wohin begab er sich und weshalb schickte er auch jetzt am frühen Morgen keine Botschaft?
Gladis besichtigte selber die Zimmer ihres Gatten, auch die Arbeits- und anstoßenden Räume. Der große Stahlschrank war abgesperrt. Ein einziger Umstand gab zu denken.
Um das kunstvolle Schloß des Schrankes zu öffnen – er stand bereits an der gleichen Stelle, als das Haus noch Ferd Brockers gehörte und wurde auch von diesem benützt – mußte jedesmal durch Verschiebung der Buchstaben ein Name gebildet werden, den Mac Clifford ständig wechselte und den er sich in seinem Taschenbuch notierte. Anders ließ sich das Schloß auch mit dem dazugehörenden Schlüssel nicht öffnen.
Gladis las unwillkürlich den Namen, der zur Zeit gestellt war. Er lautete: Schuldig. Ein etwas sonderbarer Name, der einer ebenso sonderbaren Laune Cliffords entspringen mußte.
Da sich der Schlüssel nicht fand – Clifford trug ihn ja stets bei sich – konnte Gladis die Stahltür auch nicht öffnen, was sie nebenbei auch gar nicht beabsichtigte.
Es galt nun alles aufzubieten, Mac Clifford zu finden. Die gesamte Dienerschaft wurde vernommen. Niemand wußte etwas anzugeben, das Bedeutung besaß. Niemand hatte später als Lawrence den Mister Clifford noch gesehen oder etwas von ihm gehört. Die Nacht selbst war ziemlich dunkel und es ging ein starker Wind, der die Bäume im Park heftig schüttelte.
Auch das Gartengitter fand man verschlossen und unversehrt, im Park, den man sorgfältig durchsuchte, ließen sich keinerlei auffällige Fußspuren entdecken. Es gab übrigens noch einen zweiten, kleineren Ausgang in dem hohen Eisengitter, das die Besitzung nach der Straße hin abschloß. Aber auch diese kleine Tür war ordnungsmäßig verschlossen. Gladis berief telephonisch einen der Unterdirektoren der in der Nähe in einem Gebäude sich aufhielt, das die eigentlichen Geschäftsräume Mac Cliffords barg.
Vielleicht wußte dieser Mann etwas von dem Generaldirektor.
Die kurze Unterredung verlief resultatlos. Clifford hatte das Geschäftsgebäude am Nachmittag des verflossenen Tages betreten, erledigte eine kurze Konferenz, wobei keinerlei Erregung oder sonst etwas Außerordentliches an ihm auffiel, und war seitdem nicht wieder gesehen worden.
Er hatte auch keinerlei Andeutungen gemacht, daß er etwa in der Nacht zu verreisen gedenke. Das kam ja manchmal vor, besonders wenn eine Depesche seine persönliche Anwesenheit in Alabama betraf. Aber eine solche Depesche war nicht eingetroffen und dann hätte Clifford doch ganz gewiß seine junge Gemahlin davon verständigt.
Man stand vor einem Rätsel. Auch weitere telephonische und telegraphische Anfragen an allen Stellen, die in Betracht kamen, zeitigten kein anderes Resultat, als daß Mac Clifford verschwunden war und blieb. In Alabama war er ebensowenig eingetroffen, wie man bald feststellen konnte.
Nunmehr, da über all diesen Nachforschungen zwei Tage verflossen waren, wendete sich Gladis an den Detektiv und zugleich an die Geheimpolizei. Durch irgendeinen Umstand war dann auch bald der Vorfall weiterhin bekannt geworden.
Von jetzt ab begannen die Nachforschungen mit höchster Energie, denn es handelte sich bei Mac Clifford doch um eine Persönlichkeit, die alle Welt interessierte. Was war geschehen? Tausenderlei Vermutungen und Kombinationen wurden aufgeworfen. Sogar das junge Eheglück des verschwundenen großen Mannes mußte der hämischen Kritik standhalten.
War das Glück dieser Ehe doch am Ende nicht derart, wie es den Anschein hatte nach außen hin. Mistreß Gladis war kaum zweiundzwanzig Jahre alt, der Gatte an die Fünfzig. Stellten sich wohl gar in der Zwischenzeit Differenzen heraus, die Mister Clifford veranlaßt hatten, bei Nacht und Nebel alles hinter sich zurückzulassen, um sich irgendwo zu vergraben in der Einsamkeit, damit er nicht dem Gelächter der Gesellschaft preisgegeben wurde. Kam er hinter einen Treubruch Gladis? Man hatte für nichts Beweise, doch konnte man auch niemand verwehren, sich seine eigenen Gedanken über dieses rätselhafte Verschwinden zu machen.
Die in der Villa vorsprechenden Journalisten, die für ihre Blätter Sensationsnachrichten benötigten, wurden von Mistreß Clifford ohne Ausnahme abgewiesen. Um so sensationeller, wenn auch zum Teil versteckt, wurden die verrücktesten Meldungen in dis Welt hinausgeschickt.
Man erwartete übrigens von der Geheimpolizei, daß sie möglichst rasch Klarheit in den mysteriösen Fall bringe. Leider geschah dies nicht, nur so viel stand beinahe fest: Mac Clifford war das Opfer irgendeines geheimnisvollen Verbrechens geworden.
Und nun deuteten die Blätter mehr oder weniger versteckt an, daß in diesem Falle nur in den Kreisen derjenigen, die mit Clifford in geschäftlicher Verbindung standen oder gestanden halten, die Schuldigen zu suchen wären. So manche Existenz hatte Mac Clifford auf dem Gewissen, mehr als einer der von ihm Ruinierten schwur ihm sicherlich Rache. Aber wer war es in diesem Falle?
Die Recherchen der Polizei erbrachten auch in dieser Richtung keine Anhaltspunkte. Man sah vor allen Dingen noch keinen Grund, den Generaldirektor des großen Trusts verschwinden zu lassen.
Der Detektiv Morton arbeitete auf eigene Faust, vollkommen unabhängig von seinen offiziellen Kollegen der Polizei. Er war es auch, dem zuerst der sonderbare Name am Stahlschrank auffiel: »Schuldig.«
Aber schließlich konnte Mac Clifford diese Buchstaben selber eingereiht haben. Trotzdem beschloß er einem aufsteigenden Gedanken nachzugehen, ohne daß er Gladis davon unterrichtete.
Er war zweimal in der Villa gewesen und die junge Frau gab Befehl, ihn in allen Dingen gewähren zu lassen. Das erstemal hatte er kaum etwas in den Zimmern Cliffords entdeckt, das ihn interessierte. Gerade nur die etwas außergewöhnliche Zusammenstellung der Buchstaben am Schrankschloß. Das zweitemal bat er, ihn allein im Arbeitszimmer Cliffords zu lassen.
Bei dieser Gelegenheit entdeckte der findige Detektiv einen Gegenstand, der bis dahin gänzlich unbeachtet geblieben war. Selbst ihm fiel derselbe nicht auf, da er unterhalb des Kassenschrankes lag, dessen Bodenleiste nur wenige Zentimeter über dem Parkett des Zimmers lag. Eine Stiefelspitze mußte den dunkelgrauen Handschuh dorthin befördert haben und der, dem er gehörte, hatte dies wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
Morton betrachtete sich den Handschuh sehr genau. Er wußte, daß er nun eine erste Spur gefunden hatte. Aber vielleicht gehörte der Handschuh Clifford? Doch darüber wollte er rasch orientiert sein. Er drehte das Futter herum, zog den Rand straff und fand – eine winzige Nummer. Eine Fabrikmarke oder gar eine Firma fehlten. Die Nummer lautete: 2363. A. Das war alles. Der Handschuh war ziemlich neu, wenig abgenützt.
Morton ließ ihn in seiner Brusttasche verschwinden, besah sich nochmals auf das genaueste den Stahlschrank, den Boden, die Wand, die Einrichtungsgegenstände des Zimmers. Dann verließ er die Räume, nachdem er vorher von innen aufgeriegelt hatte.
Er fand in der Eingangshalle Lawrence, der ihn von der Seite mißtrauisch betrachtete. Der alte Diener hielt nicht viel auf diese Privatdetektivs, die sich beständig mit dem Schleier der Allwissenheit umgaben. Auch dieser würde wahrscheinlich ebensowenig finden, wie seine Kollegen von der offiziellen Polizei.
Mit seinem ruhigen, beinahe langweiligen Lächeln verabschiedete sich Morton von Lawrence, indem er ihn bat, Mistreß Clifford seine Empfehlung zu überbringen. Aber leider habe er auch diesmal – nichts gefunden.
Schon im Gehen schien ihm etwas einzufallen. Er drehte sich langsam um und meinte: »Sagen Sie mal, Mister Lawrence – welche Handschuhnummer benützte eigentlich Ihr Herr?«
»Welche – –?« entfuhr es Lawrence etwas betroffen. »Nummer 8. Mister Clifford trug gerne bequeme Handschuhe.«
»Und – welche Farbe?«
»Rotbraune Glacees, Marke Nappa, niemals andere – aber – –?«
»Danke,« nickte der Detektiv. »Es war nur so eine Frage. Guten Tag, Lawrence!«
Damit verließ er die Villa, den alten Diener in ziemlicher Verblüffung zurücklassend.
Was gehen dem Manne die Handschuhe Mister Cliffords an? murmelte Lawrence. Kopfschüttelnd begab er sich in das Innere des Hauses.
Morton aber sagte sich draußen im Freien mit einem Augenzwinkern:
Der gefundene Handschuh gehörte nicht Clifford. Er ist viel kleiner, ist grau und aus feinem Wildleder. Jetzt heißt es zunächst einmal den Mann aufzusuchen, der den Handschuh verlor – oder unter den Stahlschrank stieß.