Agnes Sapper
Die Familie Pfäffling
Agnes Sapper

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13. Kapitel

Ein fremdes Element.

Der gute Plan, den die Eltern ausgesonnen hatten, sollte am nächsten Tag auch den Kindern mitgeteilt werden.

»Marianne wird keine Freude daran haben,« meinte Frau Pfäffling.

»Nein,« entgegnete Herr Pfäffling, »aber man muß ihnen die Sache nur gleich im rechten Licht darstellen.« Er rief die Kinder alle zusammen. »Hört einmal,« sagte er, »wir haben ein Mittel ausfindig gemacht, durch das sich der Geldverlust wieder hereinbringen läßt. Zwei von euch können uns allen helfen. Wer sind wohl die zwei Glücklichen? Ratet einmal!«

Sie sahen sich fragend an »Wenn es gerade zwei sind, wird es Marianne sein,« schlug Karl vor.

»Richtig geraten. Aber wie?«

»Wenn sie nicht immer so schöne Kleider und seidene Zopfbänder tragen,« meinte Wilhelm. Die Zwillinge musterten sich gegenseitig, und auch die Blicke aller anderen ruhten auf ihnen. Die beiden Mädchen standen da in ihren vertragenen schottischen Kleidern, mit grauen Schürzen, und ihre blonden Zöpfe waren mit schmalen blauen Bändchen gebunden.

»Da werden wir keine großen Summen heraus sparen können,« meinte Herr Pfäffling, »eher könntet ihr Buben in der Kleidung etwas sparen, wenn ihr eure Anzüge besser schonen würdet. Nein, das ist's nicht, wir wissen etwas anderes.«

»Etwas,« setzte Frau Pfäffling hinzu, »das jeden Monat 20 Mark und noch mehr einbringt.«

Nun waren sie alle aufs äußerste gespannt. »Ihr erratet es nicht, ich will es euch sagen,« und Herr Pfäffling wandte sich an die Mädchen: »Ihr Beiden zieht in die Bodenkammer hinauf, dann können wir euer Zimmer an einen Zimmerherrn vermieten und schweres Geld dafür einnehmen. Ist das nicht ein feiner Plan? Das muß euch doch freuen? Die Mutter will alles Gerümpel aus der Kammer herausräumen und eure Betten hineinstellen und im übrigen dürft ihr alles ganz nach eurem Belieben einrichten; in eurem Reich da oben redet euch niemand darein; aus den alten Kisten könnt ihr Tische machen und Stühle und was ihr nur wollt.«

Die Zwillinge hatten zuerst ein wenig bedenkliche Gesichter gemacht, aber zusehends hellten sich diese auf; jetzt nickten sie einander zu und betätigten: »Ja, es wird sein!«

Gleich darauf erbaten sie sich den Kammerschlüssel, der sollte in Zukunft auch ihr Eigentum sein und nun sprangen sie die Treppe hinauf in großer Begleitung. Auch der Vater ging mit, sie aber waren doch die Hauptpersonen. Sie schlossen ihr künftiges Revier auf. Es war ein kleines Kämmerchen mit schrägen Wänden und einem Dachfenster. »Kalt ist's da oben,« meinte einer der Brüder. »Aber im Sommer ist's immer ganz warm, das weiß ich noch vom vorigen Jahr,« entgegnete Marie. »Da hast du recht,« bestätigte lächelnd der Vater, »und seht nur durch das Fenster, wenn man den Kopf weit hinausstreckt, so hat man die schönste Aussicht vom ganzen Haus. Und so gut vermacht ist die Kammer, nirgends kann Schnee oder Regen durch; wißt ihr noch, wie Frau von Falkenhausen in ihrer Lebensgeschichte erzählt, daß ihr in Afrika der Regen in ihr Häuschen gedrungen ist, und die Betten wie in einem Teich standen? Und wie eine dicke Schlange durch ein Loch am Fenster herein gekrochen ist? Wie wäre sie glücklich gewesen über ein so gutverwahrtes Kämmerlein! Ja, Kinder, da habt ihr es schon besser.«

Als sie herunter kamen, waren alle ganz von den guten Eigenschaften der Kammer erfüllt.

Es galt nun einen Zimmerherrn zu suchen und sich der Hausleute Erlaubnis zu sichern. Frau Pfäffling besprach die Sache mit der Hausfrau und diese wiederum mit ihrem Mann. Da stieß die Sache auf Widerstand. Herr Hartwig wollte nichts davon wissen, durchaus nichts. Er meinte, es sei schon reichlich genug, wenn zehn Leute den obern Stock bewohnten und Zimmerherrn seien ihm ganz zuwider. Er habe nie welche gehabt und geduldet. Frau Hartwig legte viel gute Worte ein für die Familie Pfäffling und schilderte ganz ideale Zimmerherrn, aber ihr Mann blieb bei seinem entschiedenen »nein« und sie konnte nicht anders als dieses Frau Pfäffling mitteilen.

»Es tut mir so leid,« sagte sie, »aber ich kann nichts machen; mein Mann sagt ja selten ›nein‹, aber wenn er es einmal gesagt hat, dann bleibt er dabei. Er meint, wenn ein Mann ›nein‹ gesagt hat, dürfe er nachher nicht mehr ›ja‹ sagen, sogar wenn er's möchte.«

Dieser Bescheid war eine große Enttäuschung für die Familie. Herr Pfäffling konnte wieder einmal den Hausherrn nicht begreifen. »Wenn ich sehe, daß jemand nicht auskommt, lasse ich ihn doch lieber sechs Zimmerherrn nehmen, als in Geldnot stecken,« rief er, indem er lebhaft den Tisch umkreiste. »Nicht mehr ›ja‹ sagen dürfen, weil man vorher ›nein‹ gesagt hat? Soll sich darin die Männlichkeit zeigen? Dann wäre jedes eigensinnige Kind ›männlich‹. Glaubt das nicht, ihr Buben,« sagte er, vor Karl stehen bleibend, »ich will euch sagen, was männlich ist: Nicht nachgeben, wenn es gegen besseres Wissen und Gewissen geht; aber nachgeben, sobald man einsieht, daß man falsch oder unrecht geurteilt hat.«

Als zwei Tage über die Sache hingegangen waren, ohne daß mit den Hausleuten weiter darüber gesprochen worden wäre, traf Frau Pfäffling zufällig oder vielleicht absichtlich mit Herrn Hartwig im Hausflur zusammen.

»Es war uns so leid,« sagte sie zu ihm, »daß wir keinen Zimmerherrn nehmen durften, denn wir sind durch den Diebstahl ein wenig in die Enge geraten. Aber da Sie einmal ›nein‹ gesagt haben, möchte ich Sie nicht plagen, und es ist ja wahr, daß manche Zimmerherrn spät in der Nacht heimkommen, Lärm machen und dergleichen. So müssen wir uns eben jetzt entschließen, eine ältere Dame als Zimmermieterin aufzunehmen, da fallen ja alle diese Schattenseiten weg. Es ist nur für uns unbequemer und auch schwerer zu finden als ein Zimmerherr. Wenn Sie uns ein wenig behilflich sein möchten, eine passende Hausgenossin zu finden, wären wir Ihnen recht dankbar. Meinen Sie, wir sollen es in die Zeitung setzen?«

»Ja,« sagte Herr Hartwig, »das wird am schnellsten zum Ziel führen.« Sie besprachen noch ein wenig die näheren Bedingungen und ohne recht zu wissen wie, war Herr Hartwig dazu gekommen, sich selbst um eine elfte Hausbewohnerin für den obern Stock zu bemühen.

Das seitherige Zimmer der beiden Mädchen wurde hübsch hergerichtet und sie bezogen ihre Bodenkammer. Ein Inserat in der Zeitung erschien, und nun kamen wieder einmal Tage, in denen sich die Kinder darum stritten, wer die Türe aufmachen durfte, um etwaigen Liebhaberinnen das Zimmer zu zeigen. Allzuviele erschienen nicht und Frau Pfäffling mußte erfahren, daß die Frühlingsstraße »keine Lage« sei. Ihr selbst war auch nicht jede von den wenigen, die sich meldeten, erwünscht; sie wollte nur das Zimmer vermieten, nicht eine Kostgängerin an ihrem einfachen Mittagstisch haben, kein fremdes Element in den vertrauten Familienkreis aufnehmen. Aber als auf wiederholte Ankündigung die Rechte sich nicht finden wollte, wurde Frau Pfäffling kleinmütig und sagte zu ihrem Mann: »Mir scheint, wir müssen froh sein, wenn überhaupt irgend jemand das Zimmer mietet, ich muß mich entschließen, auch die Kost zu geben. Aber niemand begnügt sich heutzutage mit so einfachem Mittagstisch, wie wir ihn haben.«

»So machst du eben immer besondere Leckerbissen für solch eine anspruchsvolle Dame und deckst für sie in ihrem eigenen Zimmer, dann stört sie uns nicht,« lautete Herrn Pfäfflings Rat.

Drei Tage später bezog Fräulein Bergmann das Zimmer. Pfäfflings durften sich glücklich schätzen über diese Mieterin. Sie war eine fein gebildete Dame, etwa Mitte der Vierziger. Erzieherin war sie gewesen, meist im Ausland, hatte vorzügliche Stellen innegehabt und so viel zurückgelegt, daß sie sich jetzt, nach etwa fünfundzwanzig Jahren fleißiger Arbeit, zur Ruhe setzen und von ihrer Rente leben konnte. Sie war gesund und frisch und wollte nun ihre Freiheit genießen, sich Privatstudien und Liebhabereien widmen, zu denen ihr das Leben bis jetzt wenig Muße gelassen hatte. Was andere Mieter abschreckte, der Kinderreichtum der Familie Pfäffling, das war für sie ein Anziehungspunkt, denn in der Wohnung, die sie zuerst nach dem Austritt aus ihrer letzten Stelle bezogen hatte, war es ihr zu einsam gewesen. Sie hatte es nur kurze Zeit dort ausgehalten und suchte jetzt eine Familie, in der sie mehr Anschluß fände. Mit schwerem Herzen machte ihr Frau Pfäffling das Zugeständnis, daß sie am Mittagstisch der Familie teilnehmen dürfe.

»Ich konnte es ihr nicht verweigern,« sagte sie zu ihrem Mann und fügte seufzend hinzu: »Ursprünglich wollten wir freilich einen Herrn, der den ganzen Tag fort wäre und nun haben wir eine Dame, die den ganzen Tag da ist, aber ich glaube, daß sie keine unangenehme Hausgenossin sein wird.«

Nach den ersten gemeinsamen Mahlzeiten war die ganze Familie für Fräulein Bergmann eingenommen. Sie war viel in der Welt herumgekommen, wußte in anregender Weise davon zu erzählen und interessierte sich doch auch für den Familienkreis, in den sie nun eingetreten war. Deutlich war zu bemerken, daß sie sich von Frau Pfäfflings sinnigem Wesen angezogen fühlte, daß sie Verständnis hatte für des Hausherrn originelle Lebhaftigkeit und Anerkennung für der Kinder Bescheidenheit. Freilich waren auch alle sieben voll Zuvorkommenheit gegen die neue Hausgenossin. Hatte diese doch das Zimmer gemietet trotz der vielen Kinder, und trotzdem die Frühlingsstraße »keine Lage« war. Überdies flößten ihnen die feinen Umgangsformen und das sichere Auftreten der ehemaligen Erzieherin Achtung ein. So ging anfangs alles aufs beste und wäre auch wohl so weiter gegangen, wenn Fräulein Bergmann nicht das Wort »ehemalig« vergessen hätte. Aber es dauerte gar nicht lange, so gewann es den Anschein, als ob sie die Erzieherin der Kinder wäre; sie ermahnte und tadelte sie, fragte nach den Schularbeiten, rief die Schwestern zu sich in ihr Zimmer und ließ sie unter ihrer Anleitung die Aufgaben machen. Die Mädchen, um deren Arbeiten sich bisher niemand bekümmert hatte, fanden das vorteilhaft und kamen gerne, auch Frau Pfäffling war anfangs dankbar dafür, aber die neue Einrichtung paßte doch nicht zum Ganzen.

So waren auch eines Nachmittags die beiden Schwestern schon geraume Zeit in Fräulein Bergmanns Zimmer, als Elschen bescheiden anklopfte. »Marianne soll herüber kommen,« richtete sie aus, »es gibt Ausgänge zu machen.« Die Mädchen standen augenblicklich auf, aber Fräulein Bergmann hielt sie zurück: »Das eilt doch nicht so,« sagte sie, »die Schularbeit geht allem vor, das habe ich allen meinen Zöglingen eingeprägt. Die Ausgänge könnten doch auch von dem Dienstmädchen gemacht werden.«

»Walburg hat keine Zeit,« entgegnete Elschen altklug, »und sie hört auch nicht genug für manche Besorgungen.«

»Dies taube Mädchen ist in jeder Hinsicht eine ungenügende Hilfe,« sagte Fräulein Bergmann. »Nun geh nur, Elschen, und bitte deine Mama, sie möchte den Schwestern noch ein halb Stündchen Zeit gönnen.«

Es dauerte aber noch eine ganze Stunde, bis die Kinder herüberkamen.

»Ihr braucht länger zu den Aufgaben, als wenn ihr allein arbeitet,« sagte Frau Pfäffling ärgerlich, »woher kommt denn das?«

»Weil Fräulein Bergmann immer zuerst das alte wiederholt und das neue voraus erklärt. Sie sagt, so könnten wir bald alle Mitschülerinnen überflügeln, und in der Schule würde jedermann staunen über unsere Fortschritte.«

»Das kann sein,« entgegnete Frau Pfäffling, »aber dann hätte ich gar keine Hilfe von euch und das geht nicht an, auch ist die Schule zum lernen da und nicht zum prahlen. Nun eilt euch nur, daß ihr nicht in die Dunkelheit kommt mit den Ausgängen.« Sie kamen aber doch erst heim, als es finster war. »Finden Sie das passend?« fragte Fräulein Bergmann die Mutter, »sollten Sie nicht das Dienstmädchen schicken?«

»Walburg kann nicht alles besorgen.«

»Nun ja, mit dieser Walburg kann es nicht mehr lange gut tun, wenn sie vollends ganz taub ist, muß sie doch fort.«

Diese Worte hörte auch Frieder, und sie gingen ihm zu Herzen. Er suchte Walburg in der Küche auf und wollte sie sich daraufhin ansehen, ob sie wohl bald ganz taub würde? Sie bemerkte seinen forschenden, teilnehmenden Blick. »Willst du mir was?« fragte sie und beugte sich zu ihm. Er zog ihren Kopf ganz zu sich und sagte ihr ins Ohr: »Ich mag Fräulein Bergmann nicht, magst du sie?« Walburg antwortete ausweichend: »Man muß froh sein, daß man sie hat.«

Ja, man war froh, daß man sie hatte, und nahm geduldig manche Einmischung hin. Da und dort zeigte sich bald eine kleine Veränderung im Pfäffling'schen Haushalt. So am Mittagstisch. Dieser war bisher immer mit einem hellen Wachstuch bedeckt worden.

»Ich habe noch überall, wo ich war, weiße Tischtücher getroffen,« bemerkte Fräulein Bergmann.

»Vielleicht waren Sie noch nie in einem so einfachen und kinderreichen Haus,« entgegnete Frau Pfäffling, »wir müssen jede unnötige Arbeit vermeiden und die großen Tischtücher machen viel Arbeit in der Wäsche.«

»Aber das Essen mundet besser auf solchen.«

»Dann will ich ein Tischtuch ausbreiten, es soll Ihnen gut schmecken an unserem Tisch.«

Kurz darauf beanstandete Fräulein Bergmann, daß die Türe zum Nebenzimmer regelmäßig offen stand. »Wir können dadurch beide Zimmer mit einem Ofen heizen,« erklärte Frau Pfäffling.

»Aber dann sollten Sie die Türe aushängen und eine Portiere anbringen, das würde sich sehr fein machen.«

»Ja gewiß, aber ich habe keine Portiere und auf solche Einkäufe kann ich mich nicht einlassen. Sie müssen bedenken, daß Sie nun nicht mehr bei reichen Leuten leben, sondern bei solchen, die recht dankbar sind, wenn es nur immer zum täglichen Brot reicht.«

»Sie haben recht, ich merke jetzt selbst erst, wie ich verwöhnt bin, und ich habe mich schon oft gewundert, daß Sie so heitern Sinnes auf vieles verzichten, woran Sie gewiß zu Hause gewöhnt waren. Ich weiß, daß Sie aus fein gebildeter Familie stammen.«

»Vielleicht kann ich mich gerade deshalb leicht in andere Verhältnisse schicken. Die äußere Einfachheit macht mir wirklich nichts aus, mein Glück ruht auf ganz anderem Grund, Portieren und dergleichen haben damit gar nichts zu tun.«

Ein paar Tage später brachte Fräulein Bergmann als Geschenk den Stoff zu einer Portiere, auch den Tapezierer hatte sie bestellt. Die Türöffnung wurde nun elegant verkleidet und sah in der Tat hübsch aus, die Kinder standen voll Bewunderung. Aber der schöne Stoff paßte nicht so recht zum Ganzen, Fräulein Bergmann selbst war die erste, die das bemerkte. »Es sehen nun allerdings die Möbelbezüge verblichen aus,« sagte sie, »aber über kurz oder lang müßten diese doch erneuert werden.«

Herr Pfäffling war sehr überrascht, als er zum erstenmal durch die Portiere schritt. Sie streifte dem großen Mann das Haar. Er sah sie mißliebig an.

»Es ist ein Geschenk von Fräulein Bergmann,« sagte Frau Pfäffling, »du solltest ihr auch ein Wort des Dankes sagen, wenn sie zu Tisch kommt.«

»Auch noch danken?« entgegnete Herr Pfäffling, »ich habe ja gar keinen Sinn für so etwas, es fängt nur den Staub auf und stimmt auch nicht zu unserer übrigen Einfachheit. Fräulein Bergmann mag sich Portieren in ihr Zimmer hängen so viel sie will, aber unsere Zimmer müssen ihr schön genug sein, so wie sie sind.«

Bei Tisch saß er gerade der Portiere gegenüber; sie kam ihm wie etwas Zudringliches, Fremdes vor. Er wollte aber die Höflichkeit wahren und sich nichts anmerken lassen. Da kam noch ein kleiner Ärger zum ersten hinzu. Walburg hatte eben die Suppe abgetragen und drei Teller gewechselt. Die Kinder bekamen immer nur einen Teller.

»Finden Sie nicht, daß es gegen den Schönheitssinn verstößt, wenn die Kinder alles auf einem und demselben Teller essen?« wandte sich Fräulein Bergmann fragend an Frau Pfäffling.

»Es geschieht eben, um Arbeit zu sparen,« antwortete sie, »sieben Teller mehr aufzudecken, abzuwaschen und aufzuräumen ist schon ein Geschäft.«

»So viel könnte diese Walburg wohl noch leisten,« entgegnen das Fräulein, »das ist doch solch eine Kleinigkeit.«

Da fiel ihr Herr Pfäffling ungeduldig in die Rede: »Aber ich bitte Sie, geehrtes Fräulein, meine Frau als Hausfrau muß doch am besten wissen, was in unsere Haushaltung paßt oder nicht, und wenn Sie bei uns sind, müssen Sie mit unserer Art vorlieb nehmen.«

»Gewiß, das tue ich ja auch, es ist mir nur wegen der Kinder leid, zu sehen, wie der Schönheitssinn so ganz vernachlässigt wird. Aber ich werde gewiß nicht mehr darein reden, kein Wort mehr.«

»Ja, darum möchte ich Sie recht freundlich bitten,« sagte Herr Pfäffling, »und übrigens ist an meiner Frau und ihrem Tun alles ordentlich, schön und rein und ich möchte durchaus nicht, daß sie sich noch mehr Arbeit macht, und wenn meine Kinder ihr nachschlagen, wird man sie überall gern sehen.«

»Aber bitte, wer bestreitet denn das?« sagte das Fräulein und fügte gekränkt hinzu: »Ich schweige ja schon!« Der Schluß der Mahlzeit verlief in unbehaglicher Stille, und sobald das Essen vorüber war, zog sich Fräulein Bergmann zurück.

»Sie ist beleidigt,« flüsterte bekümmert eines der Mädchen dem andern zu.

»Das ist nur ihre eigene Schuld,« behaupteten die Brüder, »warum mischt sie sich ein!«

»Aber es ist doch wahr, daß Teller schnell abgewaschen sind!«

»Nein, es ist nicht wahr. Ihr glaubt alles, was Fräulein Bergmann sagt und haltet gar nicht zur Mutter!«

Dieser Vorwurf kränkte die Schwestern tief, sie weinten beide. Herr Pfäffling bemerkte es: »Sie macht uns auch noch die Kinder uneins,« sagte er zu seiner Frau. Die beruhigte ihn: »Fräulein Bergmann wird sich jetzt schon besser in acht nehmen, wenigstens in deiner Gegenwart, und mir ist ihr Dareinreden nicht so unangenehm, man macht doch seine Sache nicht vollkommen und da ist es gar nicht übel, einmal zu erfahren, wie andere darüber urteilen. Sie hat auch viel mehr von der Welt gesehen als ich.«

Mit Frau Pfäffling verstand sich Fräulein Bergmann am besten. Die beiden Frauen standen eines Morgens vor dem Bücherschrank, Fräulein Bergmann machte von der Erlaubnis Gebrauch, sich ein Buch auszuwählen.

»Es ist merkwürdig,« sagte sie, »wie langsam der Tag vergeht, wenn man keinen eigentlichen Beruf hat! Seit Jahren habe ich mich gefreut auf diese Zeit der Freiheit, habe mich in meinen Stellen gesehnt, so recht nach Herzenslust lesen, zeichnen, studieren zu können, und nun, seitdem ich Muße dazu habe, so viel ich nur will, hat es seinen Reiz verloren.«

Frau Pfäffling sagte nach einigem Besinnen:

»Ob es Sie wohl befriedigen würde, wenn Sie sich an gemeinnütziger Arbeit beteiligten? Es gibt hier manche wirklich nützliche Vereine.«

»Nein, nein,« wehrte Fräulein Bergmann lebhaft ab, »dazu passe ich gar nicht. Ich werde mich schon allmählich zurecht finden in meiner veränderten Lebenslage. Haben Sie ein wenig Geduld mit mir, ich fühle selbst, daß ich unausstehlich bin.«

Frau Pfäffling übte Geduld, aber manchmal hatte sie den Eindruck, daß Fräulein Bergmann im Vertrauen auf diese Nachsicht sich immer mehr Kritik und Einmischung gestattete.

Es war kein schöner Monat, dieser März! Draußen in der Natur wollte sich kein Frühlingslüftchen regen, ein kalter Ostwind hielt alles zurück und brachte Erkältungen mancherlei Art in die Familie. Nach Fräulein Bergmanns Ansicht waren all diese kleinen Übelbefinden selbst verschuldet, sie behauptete, solches bei ihren Zöglingen durch sorgfältige Aufsicht immer verhütet zu haben.

»Heute steht Frühlingsanfang im Kalender,« sagte Karl am 21. März, »weißt du noch, Vater, heute vor einem Jahr bist du mit uns allen sieben ausgezogen, Veilchen zu suchen und Palmkätzchen heim zu bringen. Aber dieses Jahr ist es so kalt.«

»Ja, voriges Jahr war es viel schöner,« darin stimmten alle überein, schöner war es draußen gewesen, schöner auch im friedlich geschlossenen Familienkreis.

Sie saßen wieder einmal an dem weiß gedeckten Mittagstisch, nachdem Herr Pfäffling sich die Fransen der Portiere hatte durch die Haare streichen lassen, und seine Frau ein Tischgebet gesprochen hatte.

»Wie wunderlich,« begann Fräulein Bergmann, »daß Sie nicht ein feststehendes Tischgebet haben! Das ist mir noch in keinem Haus vorgekommen. Das heutige hat kein gutes Versmaß. Wie vielerlei haben Sie eigentlich?«

»Eine ganze Sammlung,« sagte Frau Pfäffling. »Ich denke, daß man leichter mit dem Herzen und den Gedanken bei dem Tischgebet ist, wenn es nicht jeden Tag das gleiche ist, und mir tut es immer leid, wenn ein Gebet gedankenlos gesprochen wird.«

»Ach, das können Sie doch nicht ändern. Ich bin nicht für solche Neuerungen. Das Tischgebet ist eben eine Form, weiter nichts.« Nun war es mit Herrn Pfäfflings Geduld schon wieder zu Ende. »Aber meiner Frau liegt daran, in diese Form einen Inhalt zu gießen,« sagte er lebhaft, »und wenn Sie lieber die leere Form haben, so brauchen Sie ja auf den Inhalt nicht zu horchen.«

»Aber, lieber Mann,« sagte Frau Pfäffling und legte beschwichtigend ihre Hand auf seine trommelnde, »Fräulein Bergmann hat das gar nicht schlimm gemeint!«

»Dann meine ich es auch nicht schlimm,« sagte Herr Pfäffling begütigend. Im Weiteren verlief die Mahlzeit friedlich, wenn auch einsilbig. Aber nach Tisch rief Herr Pfäffling seine Frau zu sich in das Musikzimmer. »Das ist ein unleidlicher Zustand,« begann er, »dieses Frauenzimmer ist die verkörperte Dissonanz und stört jegliche Harmonie im Hause. So etwas kann ich nicht vertragen. Tu mir's zuliebe und mache der Sache ein Ende. Wir finden wohl auch wieder eine andere Mieterin.«

»Aber nach so kurzer Zeit ihr schon die Türe weisen, das tut mir doch leid für sie, wie soll ich denn das machen?«

»Ganz wie du willst, du bringst das schon zustande, ohne sie zu kränken. Aber je eher, je lieber, nicht wahr? Kannst du nicht gleich hinüber und mit ihr reden? Vielleicht ginge sie dann schon morgen!«

»Nein, so plötzlich läßt sich das doch nicht machen, bis zum 1. April mußt du dich schon noch gedulden!« sagte Frau Pfäffling, und während sie ihrer Arbeit nachging, überlegte sie, wie sie die Kündigung schonend begründen könnte. Fräulein Bergmann tat ihr leid, aber die Rücksicht auf ihren Mann, auf Harmonie und Frieden im Hause mußte doch vorgehen.

Noch am selben Nachmittag kam ihr ein Umstand zu Hilfe. Fräulein Bergmann suchte sie auf und bat sie, in ihr Zimmer zu kommen. Auf dem Tisch lagen Papiere ausgebreitet. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen,« sagte das Fräulein, »hier habe ich die Zeugnisse von meinen letzten Stellen hervorgesucht, möchten Sie diese nicht lesen? Ich muß Ihnen sagen, daß ich mich ordentlich schäme über die Zurechtweisung, die ich heute mittag erfahren habe; so etwas ist mir nicht vorgekommen in den vielen Jahren, die ich in Stellung war. Aber ich fühle ja selbst, daß ich unleidlich bin; was ist es denn nur? Ich war doch sonst nicht so, bitte, lesen Sie!«

Fräulein Bergmann hatte als stellvertretende Hausfrau und Mutter viele Jahre in ein und demselben Haus zugebracht und neben ihrer Tüchtigkeit war in den Zeugnissen ausdrücklich ihre Liebenswürdigkeit, ihr Takt hervorgehoben.

Indem Frau Pfäffling dieses las und überdachte, kam ihr plötzlich die Erklärung dieses Widerspruches und der Gedanke, wie Fräulein Bergmann wieder in das richtige Geleise zu bringen wäre.

»Ich glaube, Sie haben sich viel zu frühe in den Ruhestand begeben, und das ist wohl der Grund für Ihre ›Unausstehlichkeit‹, wie Sie es nennen. Sie stehen im gleichen Alter wie mein Mann; wie käme es Ihnen vor, wenn er schon aufhören wollte, in seinem Beruf zu wirken? Er will erst noch sein Bestes leisten, und so stehen auch Sie noch in der vollen Kraft, und haben eine reiche Lebenserfahrung dazu. Sie könnten ein ganzes Hauswesen leiten, eine Schar Kinder erziehen, und wollen hier in einem Stübchen hinter den Büchern sitzen! Das ertragen Sie einfach nicht und das wird wohl der Grund sein, warum Sie nun in unser Hauswesen unberufen eingreifen. Ihre besten Kräfte liegen brach! Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so ist es der: Suchen Sie wieder eine Stelle, und zwar eine solche, die Sie vollauf in Anspruch nimmt!«

Fräulein Bergmann hatte nachdenklich zugehört. »Ja,« sagte sie jetzt, »so wird es wohl sein. Ich kann die Untätigkeit nicht ertragen. Daß Sie mir noch solch eine Leistungsfähigkeit zutrauen, das freut mich. Nur schäme ich mich vor all meinen Bekannten, denen ich mit Stolz meinen Entschluß mitgeteilt habe, zu privatisieren. Es war mir damals eine verlockende Stelle als Hausdame angetragen, ich habe sie abgelehnt.«

»Ist sie wohl schon besetzt?«

»Vielleicht nicht. Es hieß, der Eintritt könne auch erst später erfolgen.«

»Wollen Sie sich nicht darnach erkundigen?«

»Nachdem ich die Stelle so stolz abgewiesen habe? Allerdings hätte ich keine passendere finden können. Meinen Sie, ich soll schreiben?«

»überlegen Sie es sich noch, lassen Sie eine Nacht darüber hingehen.«

Eine halbe Stunde später hörte man Fräulein Bergmann mit eiligen, elastischen Schritten die Treppe hinuntergehen, nach der Post.

»Ich bin Fräulein Bergmann begegnet,« sagte Wilhelm, der eben heimkam, »sie ist gesprungen wie ein Wiesel und hat mir ganz fidel zugenickt; warum sie wohl gerade heute so vergnügt ist?«

Mit der Stelle kam es nach einigem Hin- und Herschreiben in Richtigkeit. Schon zum 1. April sollte Fräulein Bergmann sie antreten. Das letzte gemeinsame Mittagsmahl war vorüber, die Kinder freuten sich unten, im Freien, der langersehnten warmen Frühlingsluft, Frau Pfäffling war mit der Sorge um das Gepäck der Reisenden beschäftigt, diese saß allein noch mit Herrn Pfäffling am Eßtisch.

»Wenn ich einmal alt und pflegebedürftig bin,« begann Fräulein Bergmann, »dann frage ich wieder an, ob Sie mich aufnehmen möchten in Ihr Haus. Ich kenne niemand, dem ich mich in hilfloser Lage so gern anvertrauen möchte, als Ihrer lieben Frau und den seelenguten Zwillingsschwestern. Dann dürften Sie ja keine Angst mehr haben vor meiner kritischen Art.« Herr Pfäffling, der nach seiner Gewohnheit um den Tisch gewandelt war, machte jetzt Halt und sagte: »Die Kritik ist ja sehr viel wert, wenn sie nicht bloß aus schlechter Laune entspringt. Solange Sie alles tadelten, wehrte ich mich dagegen, aber jetzt, wo wir in friedlicher Stimmung auseinandergehen, jetzt würde ich auf Ihr Urteil viel geben. Sie sagten neulich, es sei alles unschön und unfein bei uns – «

»Nein,« fiel sie ihm ins Wort, »so sagte ich doch nicht und überdies wissen Sie wohl, daß alles nur aus einer gewissen Streitlust gesprochen war.«

»Aber etwas Wahres lag doch wohl Ihren Äußerungen zugrunde. Möchten Sie mir nicht sagen, was Ihnen unschön erscheint in unserem Hauswesen, unseren Gewohnheiten?«

Fräulein Bergmann überlegte. »Ich kann meine Behauptung wirklich nicht aufrecht erhalten,« und mit einem gutmütigen, aber doch ein wenig spöttischen Lächeln fügte sie hinzu: »Unschön ist eigentlich nur eines

»Und zwar?«

»Darf ich es sagen? Nun denn: unschön kommt mir vor, wenn Sie so wie jetzt eben im Laufschritt den Tisch umkreisen, an dem man sitzt.«

Herr Pfäffling hielt betroffen mitten in seinem Lauf inne.

»Ihr Wilhelm fängt das nämlich auch schon an,« fuhr sie fort, »haben Sie es noch nicht bemerkt? Neulich lief er ganz in Ihrem Schritt hinter Ihnen, immer die gleiche Entfernung einhaltend, wahrscheinlich um einen Zusammenstoß zu vermeiden, da Sie oft mit einem plötzlichen Ruck stehenbleiben. Es war sehr drollig anzusehen, nur wurde mir schwindelig dabei.«

»Das begreife ich!« sagte Herr Pfäffling, »und wenn mir schließlich alle Kinder folgen würden wie ein Kometenschweif, so ginge das zu weit. Ich werde es mir abgewöhnen, sofort und mit aller Energie. Wie man nur zu solchen übeln Gewohnheiten kommt?« Er versank in Gedanken darüber – und nahm seinen Lauf um den Tisch wieder auf.

Fräulein Bergmann verließ lächelnd das Zimmer.

Im Vorplatz übergab Frau Pfäffling den vollgepackten Handkoffer an Walburg. »Ist er nicht zu schwer?« fragte sie.

»O nein,« entgegnete Walburg in ungewöhnlich lebhaftem Ton, »ich trage ihn gern fort.«

Hatte sie auch nie die unfreundlichen Äußerungen gehört, die Fräulein Bergmann über sie tat, so hatte sie doch in ihr eine Feindin gewittert und war froh, daß diese so unerwartet schnell abzog. Warum, wußte sie nicht, fragte auch nicht darnach, es genügte ihr, daß offenbar niemand unglücklich darüber war, Marianne vielleicht ausgenommen, aber die würde sich bald trösten, und eine neue Mieterin konnte sich nach Ostern finden.

Frau Pfäffling begleitete die Reifende und Elschen durfte diesmal mit zur Bahn. Die kleine Reisegesellschaft war kaum zur Haustüre hinaus, als Herr Pfäffling seine drei Großen herbeirief: »Nun helft mir die Portiere abnehmen, daß man wieder Luft und Licht hat und frei durch die Türe kann. Aber vorsichtig, die Mutter sagt, sie könne den schönen Stoff gut verwenden!«

So standen sie bald zu viert auf Tisch und Stühlen und hantierten lustig darauf los, als heftig geklingelt wurde und gleichzeitig durch das offene Fenster von der Straße herauf Elschens Stimme ertönte, die nach den Brüdern rief. Otto sah durchs Fenster und fuhr blitzschnell wieder herein: »Fräulein Bergmann hat ihren Schirm vergessen, sie kommt selbst herauf!«

»Geht hinaus, laßt sie nicht herein,« rief Herr Pfäffling, »den schmerzlichen Anblick soll sie nicht erleben!« Draußen hörte man auch schon ihre Stimme: »Ich muß den Schirm im Eßzimmer abgestellt haben.« Richtig, da stand er in der Ecke! Wilhelm erfaßte ihn, blitzschnell rannte er durch die Türe und konnte diese gerade noch hinter sich schließen und Fräulein Bergmann den Schirm hinreichen. Sie hatte nichts gesehen und eilte davon.

»Wenn sie nun zu spät zum Zug kommt und wieder umkehrt!« sagte Herr Pfäffling überlegend und sah nach der Portiere, die, halb oben, halb unten, einen traurigen Anblick bot. »Wir hätten eigentlich warten können bis morgen.«

Nun blieb aber keine Wahl mehr, das Werk mußte vollendet werden; bald sah alles im Haus Pfäffling wieder aus wie vorher; Fräulein Bergmann kam nicht wieder, das fremde Element war ausgeschieden, Frau Pfäffling kehrte mit Elschen allein zurück. »Sie läßt euch alle noch grüßen,« berichtete sie, »ihr letztes Wort war: ›Vielleicht kann ich Ihnen auch einmal ein schönes Tischgebet schicken!‹«

Herr Pfäffling war in fröhlicher Stimmung. »Kommt, Kinder,« rief er, »wir singen einmal wieder zusammen, wie lange sind wir nimmer dazu gekommen.« Er stimmte ein Frühlingslied an, und daß es so besonders frisch und fröhlich klang, das war Fräulein Bergmann zu danken!


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