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Der dunkle Himmel, unter dem wir leben, scheint sich ein wenig zu klären. Am 18. hat Robespierre eine Rede gehalten, in welcher er sich wirklich beredt zeigte, wahrscheinlich, weil er aufrichtig war. Infolge dieser Rede erklärten dieselben Repräsentanten, welche Gobels Abschwörung und dem daraus entstandenen Skandale Beifall gezollt hatten, durch ein Dekret, daß das französische Volk das Dasein des höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele wieder anerkenne. Viele Leute scherzen über diesen lieben Gott, mit dem wir durch das Gesetz versehen worden sind; aber alle Leidenden, und zu diesen möchte ich mich zählen, fühlen sich ein wenig durch diesen einfachen Satz getröstet. Wenn man das Dasein eines höchsten Wesens erklärt, so nimmt man die Verpflichtung auf sich, zur Gerechtigkeit, welche sein Gesetz ist, zurückzukehren. Daß dies bald geschehe, ist mein erstes Gebet, welches ich an den Gott des Konvents richte. Heute wurden acht hingerichtet.
23. Floreal. Mein gestriges Gebet ist noch nicht erhört worden, denn der Bürger Fouquier hat uns aufgetragen, für neue Gehilfen zu sorgen. – Man sagt, die Gefangenen regen sich in den Gefängnissen, und man müsse Luft machen. Sie sollen Verschwörungen anzetteln, um die Republik zu stürzen; dies setzt mich nicht in Erstaunen; aus dem, was ich in der Conciergerie sehe, errate ich, was in den anderen Gefängnissen vorgehen mag. Überallhin schickt man Agenten mit dem Auftrage, die Gefangenen zum Schwatzen zu bringen; sie versetzen sie in die höchste Aufregung, indem sie die Hoffnung in ihnen erwecken, ihre Freiheit wiederzuerlangen; dies ist erklärlich, denn heute ist die Freiheit gleichbedeutend mit Leben; so gewinnt der falsche Bruder auf ein übereiltes Wort, eine Hoffnung, eine Verwünschung hin sein Geld, indem er den Unglücklichen anzeigt und den verzeihlichen Wunsch, der Guillotine zu entgehen, zu einer großen Verschwörung umwandelt. Ich habe sechzehn Menschen zusammengebracht. Das Betrübendste ist, daß man mit uns so verfährt, als sollte der jetzige Zustand ewig dauern. Die Hälfte des Personals muß bis zur Beendigung der Verhöre beständig auf dem Posten sein. Die Frauen werden fortan in dem Quartier der Gefängnisschließer zugerüstet; die Gerichtsdiener gehen nach der Reihe nach dem Revolutionsplatze und sind nicht mehr von der Laune des Kanzleigehilfen abhängig, woraus sich früher unangenehme Auftritte ergaben; endlich hat uns der öffentliche Ankläger befohlen, die Verurteilten strenge nach dem Aufrufe zu befördern.
24. Floreal. Unter den heute Hingerichteten befand sich Rollet d'Avaux, der ehemalige Präsident der Landvogtei von Riom. Er war sehr alt und sein Gesicht so schwach, daß er kaum allein gehen konnte; seine Verurteilung hatte so mächtig auf ihn gewirkt, daß er fast ohne Verstand war; seine Frau erhielt die Erlaubnis, bei ihm zu bleiben; sie führte ihn an der Hand in das Vorzimmer der Kanzlei; beim Eintreten fragte er sie:
»Wohin führst du mich?«
Sie antwortete: »Ins Paradies.«
25. Floreal. Wir haben heute Charles Auguste Prévost d'Arlincour, Generalpächter und Vater des am 19. Hingerichteten, fortgeführt. Er war ein Greis von sechsundsiebzig Jahren. Die Sansculotten sind gegen die, welche ihren Tabak verdorben haben sollen, erbitterter, als wenn sie das Brot, welches uns alle nährt, gefälscht hätten. Sie hatten kein Erbarmen mit dem alten Mann. Es würde auch nicht gut sein, dies zu zeigen. Die Zahl der Beobachter, welche uns begleiten, ist wenigstens verdoppelt, seitdem die Bewohner der Straße Honoré sich in ihren Häusern verbergen.
29. Floreal. Bourrée-Corberon, der Sohn des am 1. des vorigen Monats Hingerichteten Expräsidenten, wurde heute guillotiniert, mit ihm zehn von dem Revolutionstribunal und zwei von dem Kriminalgericht Verurteilte. Heute morgen kam einer, der vor Mechanik und Patriotismus verrückt geworden war, und ersuchte mich, das von ihm verfertigte Modell zu einer Guillotine mit drei Fallbeilen zu prüfen; wenn ich noch lachen könnte, so würde mich sein Benehmen außerordentlich belustigt haben. Er war fast rasend vor Stolz über seine Entdeckung und voll Haß gegen die Aristokraten. Nichts Geringeres als das Pantheon müßte ihm, seiner Meinung nach, für seine Entdeckung werden, welche die Ausrottung der Aristokraten vollenden und die Republik auf immer befestigen würde. Er verließ mich, um sich nach dem Sicherheitskomitee zu begeben. So hat also das traurige Wort, welches von der Tribüne des Konvents erscholl: »Nur die Toten kehren nicht wieder!« seinen Weg gemacht.
3. Prairial. Leflot, Douanenkapitän zu Tréguier, wurde heute hingerichtet. Am letzten Rivôse irrte eine Räuberfrau in der Umgegend der Stadt mit einem kleinen Kinde umher; sie litt Kälte und Hunger und härmte sich, ihren Sohn sterben zu sehen, denn vor Ermüdung und Entbehrung hatte sie ihre Milch verloren. Niemand kümmerte sich, ihr ein Obdach oder auch nur einen Bissen Brot zu geben. Ein braver Soldat von den Douanen wagte es, was niemand wagte: er verbarg sie in einer Felshöhle, verschaffte ihr einige Kleidungsstücke, bereitete ihr eine Streu und beraubte sich jeden Tag seiner halben Ration, um sie ihr zu überbringen. Glücklicherweise sind die guten Gefühle ebenso ansteckend wie die bösen. Die anderen Soldaten der Douanen hatten ihren Kameraden gehen und kommen sehen und säumten nicht, ihm sein Geheimnis abzulauschen. Anfänglich versprachen sie nur, zu schweigen, bald aber wurden sie von einer ansteckenden Wohltätigkeitssucht ergriffen und beschlossen, trotz der Dekrete und Gesetze, welche ihnen unbarmherzig zu sein befahlen, jenen noch in der Mildtätigkeit zu übertreffen. Die Räuberfrau wurde mit ihrem Kinde auf einem Küstenfahrer eingeschifft, und während der Nacht brachten sie dieselbe an Bord eines englischen Schiffes, welches sie anriefen, in Sicherheit. Unglücklicherweise blieb der Streich, den sie den Kopfabschneidern gespielt hatten, nicht verborgen; sie schwatzten, und die Geschichte wurde ruchbar. Als der Kommandant Kunde davon erhielt, wollte er die Schuldigen kennenlernen; obgleich jedoch mehr als sechzig die Namen derselben anzugeben wußten, fand sich dennoch nicht ein einziger bereit, sie anzuzeigen. Als der Kommandant den zehnten Mann auszuheben drohte, antworteten sie ihm lächelnd: er sei ein viel zu braver Mann, um dies zu tun. Der Hauptmann Leflot war in der Tat ein braver Mann; er wollte nicht minder mutig und großmütig sein als die Soldaten, welche er befehligte; er zeigte sie nicht bei der Behörde an, sondern rechnete darauf, daß die sich täglich ereignenden wichtigeren Begebenheiten das Gerücht, welches in Tréguier über dieses kleine Ereignis umlief, ersticken würden. Er täuschte sich jedoch und mußte seinen Glauben mit seinem Kopfe büßen.
4. Prairial. Unter den Hingerichteten dieses Tages befanden sich auch drei Brüder: Joseph Henri, Joseph Auguste und Joseph Antoine de Barrème, alle drei vom ersten Husarenregiment. Sie hatten einen nahen Verwandten in der Armee der Emigranten. Eines Tages befand sich der eine von ihnen, Joseph Henri, auf dem Vorposten in geringer Entfernung von diesem Verwandten, der wie er als reitende Schildwache diente. Sie vergaßen beide die Verschiedenheit ihrer Kokarden und umarmten sich noch einmal vor dem Kampfe. Dies war das Verbrechen der drei Brüder, das übrige machte ihre adlige Geburt. Sie starben mutig und erklärten, daß sie von dem alten Regime nur den Tod durch Erschießen bedauerten, worauf sie in ihrer Eigenschaft als Soldaten Anspruch gehabt haben würden.
27. Prairial. Ich kam heute ins klare über die Leibwächter, welche, wie man sagt, dem Bürger Robespierre überallhin folgen. Ich traf ihn an einem sehr abgelegenen Ort, und seine Schildknappen beschränkten sich auf einen schwarzweißen Fleischerhund, der allerdings von Ehrfurcht erweckender Größe und Stärke war. Martin hatte mir heute morgen vorgeschlagen, meinen Dienst zu verrichten; ich nahm es an; ich habe schon lange meinen kleinen Nichten versprochen, sie über Land zu führen, und ich selber wünschte die Guillotine einen Tag zu vergessen. Wir kamen durch Clichy und schlugen einen Fußweg über die Getreidefelder ein. Diese noch grünen Felder sind voller Blumen. Die Kinder sprangen vor Freude und baten mich um die Erlaubnis, einen Blumenstrauß für die Tante zu pflücken; ohne meine Antwort abzuwarten, warfen sie sich in die Ähren. Ich setzte mich an den Abhang des Grabens, und sie liefen weiter. In der Hecke sahen sie wilde Rosen und wollten ihren Blumenstrauß damit vermehren; aber diese Blumen ergaben sich nicht wie die Mohnblumen, und sie erreichten ihren Zweck erst, nachdem sie sich die Finger an den Dornen zerstochen hatten. In diesem Augenblicke sah ich einen Bürger des Weges kommen, von einem großen Hunde gefolgt. Dieser Bürger betrachtete die Kinder und half ihnen bereitwillig. Er pflückte die Blumen, nach denen sie Verlangen hatten, teilte sie zur Hälfte und gab jedem der Kinder einen Teil. Ich sah, wie die Kleinen den Bürger küßten. Plaudernd und lachend näherten sich alle drei meinem Platze. Da erkannte ich ihn. Er trug einen blauen Rock, aber von dunklerer Farbe als am Zwanzigsten dieses Monats, ein gelbes Beinkleid und eine weiße Weste. Sein Haar war mit einer gewissen Zierlichkeit aufgebunden und gepudert. Den Hut hatte er auf ein Stöckchen gesteckt, das er über der Schulter trug. Seine Haltung war sehr steif; er hielt den Kopf ein wenig nach hinten über; seine Gesichtszüge hatten aber einen Ausdruck von Heiterkeit, der mich in Erstaunen setzte. Er fragte mich, ob dies meine Kinder seien. Ich antwortete, sie wären meine Nichten; er wünschte mir Glück über diese artigen Kinder und richtete nach diesem Kompliment wieder Fragen an die Kleinen. Marie machte einen kleinen Blumenstrauß und überreichte ihm denselben; er nahm ihn, steckte ihn in ein Knopfloch und fragte sie nach ihrem Namen, um sich, wie er sagte, daran erinnern zu können, wenn die Blumen verwelkt sein würden. Das arme Kind begnügte sich nicht mit seinem Taufnamen, sondern sagte ihm auch den anderen. Oh, ich habe nie eine auffallendere Veränderung in einem menschlichen Gesicht gesehen! Er fuhr auf, als hätte er auf eine Schlange getreten, und seine Stirn wurde von tausend Runzeln verdüstert. Er richtete unter seinen zuckenden Augenlidern einen starren Blick auf mich; seine blasse Gesichtsfarbe wurde erdfahl; er lächelte nicht mehr, eine schmale, fast unbemerkbare Linie kennzeichnete nur die Stelle seines Mundes und verlieh seinem Antlitz den Ausdruck unbeschreiblicher Härte. In barschem Tone und mit einem Hochmute, den ich bei dem Apostel der Gleichheit nicht erwartet hatte, begann er:
»Du bist ein – –«
Ich bückte mich, und er sprach seinen Satz nicht zu Ende. Einige Augenblicke blieb er in tiefes Nachdenken versunken; ich glaubte mehrmals, daß er sprechen wollte; er kämpfte sichtlich mit einem Widerwillen, den er nicht zu beherrschen vermochte. Endlich bückte er sich zu den Kindern nieder, umarmte sie mit großer Zärtlichkeit, rief seinen Hund und entfernte sich schnellen Schrittes, ohne mich anzusehen. Ich kehrte grübelnd heim, indem ich mich fragte, ob man über den Schrecken eines Menschen, der sich vor dem Beile, womit er tötet, entsetzt, lachen oder weinen müsse. Vielleicht dachte er auch, als er mich sah, an Dantons Verwünschungen.
Robespierre predigt zwar bei den Jakobinern gegen die Duldsamkeit, hütet sich aber wohl, in einer Sitzung zu erscheinen, wo das künftige Kontingent der Guillotine aufgestellt wird; mit anderen Worten, er überläßt seinen Amtsgenossen das ganze Gehässige der Rolle der Ächter und ist darauf bedacht, eines Tages seine Hände rein von allem vergossenen Blute zeigen zu können. Aber jene haben seine Taktik erraten; zuerst erschraken sie, dann suchten sie die Waffen, die er ihnen zu ihrem Verderben überlassen hatte, gegen ihn zu kehren. Sie machten mit dem Prozeß, den man den Prozeß der Mörder Robespierres nennt (als ob Collot nicht ebensogut wie er getroffen worden wäre!), ein ungeheures Aufsehen; während sie ihn durch die aufsehenerregende Hinrichtung seiner Mörder als einen darstellten, der nach der Allgewalt strebt, versuchten sie zu gleicher Zeit den Ruf, der die Stärke des Unbestechlichen ausmacht, zu untergraben.
Sie verwickelten in diese Angelegenheit zwei Frauen, die Saint Amaranthe, mit welchen der jüngere Robespierre in Verbindung stand, und ließen verschiedene Gerüchte verbreiten. Die eine dieser Frauen soll Maximilians Mätresse gewesen sein und dieser ihren Kopf verlangt haben, weil sie bei Gelegenheit einer Schwelgerei erfahren habe, er strebe nach dem Königtum; die junge Saint Amaranthe würde auf die Guillotine geschickt, weil sie die Anträge Saint Justs zurückgewiesen hätte.
Dies alles wird in der Conciergerie und in der Umgebung des Schafotts erzählt; es ist eben weiter nichts als ein Ränkespiel des Komitees, aber dennoch von der größten Wirkung.
Die Bürgerin Saint Amaranthe, die Mutter, hielt in Nr. 50 des Palais Egalité ein Spielhaus, wohin einige angesehene Personen und viele Ränkeschmiede kamen: Danton, Hérault de Séchelles, Lacroix, der jüngere Robespierre, Desfieux, Proly und jener berühmte Baron von Batz, dessen die Polizei nicht habhaft werden konnte. Ihre junge und hübsche Tochter, die nicht wenig dazu beitrug, dem Spielhause Kunden zu verschaffen, war mit Sartine, einem Neffen des ehemaligen Polizeileutnants, verheiratet. Dem Gesetz über die Verdächtigen gemäß hat man nicht nur die ganze Familie, sondern alles, was selbst mittelbar damit in Verbindung stand, verhaftet: Maria Grandmaison, eine ehemalige Schauspielerin vom italienischen Theater und Sartines Mätresse, und Marie Nicole Bouchard, die Magd der Maria Grandmaison, letztere war achtzehn Jahre alt, schien aber nicht älter als vierzehn. Sie war so fein und zart gebaut, daß ein Tiger mit ihr Mitleid gefühlt hätte. Als sie in das Vorzimmer der Kanzlei hinunterkam und ihre kleinen Händchen Larivière zum Binden hinhielt, wendete sich dieser an Desmorets, meinen ersten Gehilfen, mit den Worten:
»Nicht wahr, das ist zum Lachen?«
Desmorets zuckte die Achseln, und die Kleine lächelte unter Tränen. Darauf warf Larivière die Stricke fort und rief:
»Suche einen anderen, der dich fesselt! es gehört nicht zu meinem Handwerk, Kinder zu spänen!« Sie war ruhig, gefaßt, beinahe heiter. Der Aufbruch wurde verzögert; man hatte nur für Ladmiral, Saintenax und die vier Rénault rote Hemden besorgt, als die Anordnung vom Komitee eintraf, daß alle vierundfünfzig ohne Ausnahme damit bekleidet werden sollten. Während man dieselben holte, setzte sich die Nicole Bouchard zu den Füßen der Grandmaison, die sehr niedergeschlagen war, und bemühte sich, sie zu trösten. Sie bat um die Erlaubnis, sich neben sie in den Karren setzen zu dürfen, was man ihr auch nicht verweigerte. Ich glaube, wenn sie um das Leben gebeten hätte, würde niemand gezaudert haben, ihre Fesseln zu zerschneiden und ihre Stelle einzunehmen. Was wir fühlten, empfand seinerseits auch das Volk. Der Zudrang war beträchtlich und stand im Verhältnis zu dem Aufsehen, welches man mit dieser Hinrichtung machte. Die ungeheure Anzahl von Gendarmen und Geschützen, welche uns folgten, hatte die Pariser aus den Häusern gelockt. In den ersten Karren saßen fünf oder sechs Frauen, alle jung und hübsch, und ihr Anblick stimmte wie gewöhnlich zum Mitleid; als aber Nicole Bouchard erschien, erreichte der Unwille den höchsten Grad. Von allen Seiten vernahm man Murren, und an mehr als zehn Stellen rief man:
»Keine Kinder!«
In der Vorstadt Antoine sah man, wie die an den Fenstern stehenden Frauen die Hände falteten, lebhaft miteinander sprachen und mit den Fingern auf sie zeigten; viele weinten. Ich wagte es während des ganzen Weges und auf dem Platze des umgestürzten Thrones nicht ein einziges Mal, den Kopf nach ihr umzuwenden. In der Conciergerie hatte ich sie angeblickt, und ihre großen schwarzen Augen schienen mich damals zu fragen:
»Nicht wahr, du wirst mich nicht sterben lassen?«
Und doch ist sie gestorben. Sie war die neunte, welche hinaufstieg. Als sie, von dem Gehilfen geführt, an mir vorüberkam, fühlte ich mich unwillkürlich zu ihr hingezogen und rang mit schwachen Kräften gegen eine innere Stimme, die mir zurief:
»Zertrümmere lieber die Guillotine, als daß du dieses Kind umbringen lassest!«
Die Gehilfen stießen sie fort, und ich hörte, wie sie mit leiser Flötenstimme fragte:
»Bürger, bin ich so recht?«
Ich wendete mich schnell um, meine Augen waren mit einer Wolke verschleiert, und ich fühlte meine Knie beben. Martin leitete die Hinrichtung und sagte zu mir:
»Du bist krank, geh nach Hause! Ich werde allein bleiben.«
Ich stieg schweigend vom Schafott und ging fort, ohne mich umzusehen. Meine Gemütskrankheit verließ mich den ganzen Tag nicht. An der Ecke der Straße Saintonge kam eine Bettlerin auf mich zu und bat mich um ein Almosen. Ich hielt sie für jenes junge Mädchen und wäre beinahe zu Boden gesunken. Heute abend, als wir uns zu Tisch setzten, behauptete ich gegen meine Frau, Blutflecke auf dem Tischtuche zu sehen.
Die Hinrichtungen vom 29. Prairial (die »große rote Messe«, zu der Voulland seine Kollegen einlud) gehören zu den wichtigsten Ereignissen der letzten und entsetzlichsten Periode der Schreckensherrschaft. Ladmiral, der Mörder von Collot d'Herbois, war ein Mann von fünfzig Jahren und zu Aujolet in Puy-de-Dôme geboren; er war nicht von hohem Wuchs, aber kräftig gebaut; sein Antlitz war ernst und düster; bei seinem Verhör vor dem Gerichtshofe und in seinem letzten Augenblicke bewies er große Festigkeit. Alles in seiner Haltung wie in seiner Verteidigung bezeugt, daß er zu jenen Fanatikern gehörte, die sich für die Rächer der unterdrückten Gesellschaft halten. Aus den Verhandlungen ergibt sich deutlich, daß zwischen dem Attentat von Ladmiral und jenem von Cécile Rénault keinerlei Zusammenhang bestand. Cécile Rénault war die Tochter eines Papierfabrikanten, der in der Stadt, in der Laternenstraße, an der Ecke der Straße Marmouzets wohnt. Wie Charlotte Corday schöpfte sie ihren Entschluß aus dem Haß gegen die Tyrannei, vielleicht auch aus Abscheu gegen die täglichen Hinrichtungen. Besaß sie gleich die erhabenen Gefühle und die Todesverachtung ihrer Vorgängerin, so doch bei weitem nicht eine so erhabene Seele wie die junge Normännin. Sowohl bei Ausführung ihres Planes wie in Antworten vor Gericht zeigte sie sich als ein Weib; sie erscheint bei Robespierre mit zwei Messerchen, einer Art Kinderspielzeug, bewaffnet, und in ihrem Verhör gibt sie einen schüchternen, fast sanften Haß und unklare Bestrebungen kund. Alles an ihr zeugt eher von einem unbestimmten Verlangen, mit dem Leben abzuschließen, als von jenem männlichen Willen, welcher Charlottes Arm stählte und sie auch auf dem Schafott nicht verließ. Wenn man die ärmlichen Mittel betrachtet, mit welchen Cécile Rénault ihren Zweck zu erreichen glaubte, so fragt man sich, ob sie nicht schwachsinnig und irre und von jenem ansteckenden Todesfieber ergriffen gewesen, welches in jener Zeit die Exaltierten antrieb, der Guillotine Trotz zu bieten. Es ist mehr als ein Grund vorhanden, dies anzunehmen und den Schluß zu ziehen, daß Robespierre, durch die Popularität beunruhigt, welche Ladmirals Pistolenschuß dem Collot d'Herbois verschaffte, dem ungeschickten Antriebe nachgab, den kleinen Messern der armen Wahnsinnigen eine ernste Bedeutung beizulegen. Wie dem auch sei, so wurde ihre ganze Familie in die Proskription einbegriffen; ihr dreiundsechzig Jahre alter Vater, ihre Tante, eine ehemalige Nonne, und einer ihrer Brüder wurden mit ihr vor Gericht gestellt. Außer Sartine und den beiden Saint Amaranthe, Mutter und Tochter, hatte man noch einen Studenten der Wundarzneikunde, Saintenax, beigefügt, der sich zu Choisy, wo er wohnte, beifällig über Ladmirals Attentat ausgesprochen hatte; ferner mehrere ehemalige Polizeibeamte, unter anderen Michonis, der in die Geschichte von der Nelke, die man der Königin dargeboten, verwickelt war; mehrere vornehme Herren, die Witwe von d'Espremenil und andere. Die Mehrzahl war an dem großen Finanzkomplott beteiligt, deren Haupt der Baron von Batz war. Diese Verschwörung wurde durch eines der Kunststücke, worauf sich Fouquier-Tinville so musterhaft verstand, mit den Attentaten Ladmirals und der Cécile Rénault zusammengeworfen.
30. Prairial. Heute am Decadi findet keine Hinrichtung statt. Ich verbrachte den Tag zu Hause, wo ich die Zeitung las. Robespierres Feinde haben noch etwas Wirksameres gegen ihn aufgebracht, als der gestrige Tag bot. Es gibt Gläubige, welche Litaneien zu seiner Ehre hersagen. Wenn sich der Glaube verbreiten ließe, daß er seine Seligsprechung annimmt und für Ernst hält, so könnte er sich nicht wieder von seinem Falle aufrichten, und diesen Versuch machte Vadier in der Sitzung des 27. – Ein Polizist der Komitees, Sénart, entdeckte in Nr. 17 der Contrescarpe eine alte Frau namens Catharina Theot, die sich vom Wahrsagen nährt, die Ankunft eines Heilandes verheißt und allen denjenigen, die sich in seine Mysterien einweihen lassen, Unsterblichkeit der Seele und des Leibes verspricht. Drei junge Mädchen, die man die »Aufklärerin«, die »Sängerin« und die »Taube« nannte, leisteten der Priesterin bei ihren Mummereien Beistand; auch war ein ernster Mann, Christoph Gerle, ein ehemaliger Karthäuser und Mitglied des Verfassungsrates, dabei beteiligt. Man soll bei der Hexe einen an Robespierre gerichteten Brief gefunden haben, in welchem sie ihn ihren lieben Sohn nennt. Da sie sich selber die »Mutter Gottes« nennt, so konnte Vadier leicht einen passenden Schluß machen. Alle, welche ihn hörten, hatten schon begriffen, daß der Messias, der Prophet, der Erlöser kein anderer sein könne als Robespierre. Vadier wußte wohl, daß ein Gott, über den man gelacht hat, ein ziemlich kranker Gott ist; er begnügte sich daher, den Konvent durch die Erzählung von dem Verfahren jener Narren und Närrinnen zu erheitern; er erzählte von den sieben Küssen, welche die Adepten der Mutter Gottes auf das Kinn geben und dafür sieben Gaben empfangen, von den Kniebeugungen der Aufzunehmenden usw.
Man hörte den Bericht mit rauschendem Beifall und erklärte sich einstimmig dafür, daß derselbe gedruckt und an alle Gemeinden der Republik geschickt würde. Catharina Theot, Dom Gerle, Quesormont, der Arzt von d'Egalité, die ehemalige Marquise von Chastenois, Marie Madeleine Amblard, die Witwe Godefroid, alle Anhänger der Sekte, sind vor das Revolutionstribunal gestellt worden. Dies ist der schärfste Angriff, den Robespierre bisher erlitten hat; wir wollen sehen, wie er ihn abwehren wird.
5. Messidor. Vom 1. bis zum 4. Messidor wurden zweiundneunzig Verurteilte hingerichtet.
Unsere Toten setzen alle Lebenden in der Umgegend, wo wir sie begraben, in Schrecken. Die Bewohner der Sektion Montreuil, wohin wir sie jetzt schicken, beklagen sich ebenso, wie sich die Bürger von Madeleine und von Batignolles beklagt haben, und da sie kein Blatt vor den Mund nehmen, werden ihre Beschwerden eher berücksichtigt werden als die ihrer Vorgänger. Die Eleven im Salpètre, welche in der ehemaligen Margaretenkirche arbeiten, haben erklärt, der Pestgeruch würde so unerträglich, daß, wenn man die Körper noch länger auf dem engen Kirchhofe, welcher die Werkstätten umgibt, beerdigte, eine unvermeidliche Epidemie unter ihrem Personal ausbrechen würde. Nach vielem Schwanken und Hin- und Herreden hat die Gemeinde einen besonderen Platz zur Aufnahme der Leichname der Hingerichteten angewiesen: es ist der Garten des ehemaligen Klosters der Stiftsdamen von Picpus. Man hat eine lange und breite Grube angelegt, wie man solche auf den Schlachtfeldern zu graben pflegt. Die heute Hingerichteten sind zuerst hineingekommen.
8. Messidor. Die übrigen Gefangenen von Bicêtre, welche von Valagnos' Anzeige betroffen wurden, sind heute hingerichtet worden. Unter ihnen befand sich der ehemalige Volksrepräsentant Osselin. Derselbe hatte in einem Häuschen in der Umgegend von Marly eine emigrierte Frau, Madame Charly, versteckt gehalten; diese großmütige Handlung kostete ihm erst die Freiheit, dann das Leben. Er hatte die Unvorsichtigkeit begangen, sein Geheimnis einem Elenden, den er für seinen Freund hielt, anzuvertrauen. Als dieser bei Madame Charry eingeführt wurde, verliebte er sich in die schöne Geächtete und forderte für sein Stillschweigen einen Preis, der die junge Frau empörte; sie wies seine Anträge zurück, und am anderen Morgen drang die bewaffnete Macht in ihren Zufluchtsort: sie wurde verhaftet, vor das Tribunal geführt und guillotiniert.
Das Gesetz, welches den mit dem Tode bestraft, der einem Verurteilten ein Asyl einräumt, war noch nicht erlassen. Osselin wurde zu zehn Jahren in Eisen verurteilt, in das Gefängnis von Bicêtre geworfen und mit der Hefe der Verbrecher zusammengebracht. Durch seine frühere Stellung und namentlich durch seine Verbindung mit der Partei Dantons wurde er denjenigen auffällig, welche in den Gefängnissen aufzuräumen unternommen hatten; er mußte eine Rolle unter den Verschworenen spielen, die – nach Fouquiers Versicherung – die Herzen der Komiteemitglieder auf den Bratspieß stecken und zum Abendbrot zubereiten wollten. Er war entschlossen, sich der Hinrichtung zu entziehen, und es gelang ihm, einen großen Nagel aus einem Balken in seinem Kerker zu ziehen, den er sich gestern früh dreimal in die Eingeweide stieß, ohne daß es ihm gelang, sich zu töten. Der Arzt in der Conciergerie hatte eine Anwandlung von gesunder Vernunft und Menschlichkeit, die allerdings nicht zu lange anhielt. Als man Osselin abholen wollte, um ihn nach dem Tribunal zu führen, stellte der Arzt vor, es sei eine unnütze Barbarei, denn die drei Wunden, welche Osselin im Bauche hätte, verurteilten ihn schon sicherer zum nahen Tode als alle Beschlüsse des Tribunals. Letzteres aber verzichtete nicht gern auf den einzigen Kopf, welcher der dunklen Ernte aus Bicêtre einiges Licht verlieh; Liendon bestand darauf; man brachte Osselin nach dem Verhörzimmer, und Dumas war bereit genug, sein Stöhnen für Antworten zu nehmen. In dem Augenblicke, wo man ihn ins Vorzimmer der Kanzlei trug, wurde er ohnmächtig. Man ließ ihn Essig einschlürfen, wodurch er wieder zu sich kam; als sich seine Augen wieder öffneten, richteten sie sich mit schmerzlichem Erstaunen auf seine Umgebung, und er sprach:
»Wie, wird denn dieser Tod nicht kommen?«
Er versuchte seine Hände, die ein Gehilfe festhielt, loszumachen, um sich den Verband von der Wunde zu reißen.
Der Arzt, der ihn behandelte, sagte:
»Seid ruhig, es ist weit von hier bis zur Guillotine, und wenn nicht ein Wunder geschieht, werdet Ihr dort ankommen, ohne noch Unannehmlichkeiten mit ihr zu haben.«
Diese Weissagung wurde nur zur Hälfte verwirklicht. Als wir unten ankamen, gab Osselin, den man auf einer Matratze in den Karren gelegt hatte, kein Lebenszeichen; sein Auge war gläsern, seine Lippen bleich, sein Mund stand weit offen. Ich hielt ihn für tot und befahl Desmorets, eine Decke über den Leichnam zu werfen und ihn im Karren zu lassen; aber der Arzt, der uns begleitet hatte, bestand darauf, daß er noch lebe und das Urteil vollzogen werden sollte. Als ich mich dagegen auflehnte, sprach er:
»Dummkopf, wenn er tot ist, so kommt es nicht darauf an, wenn er mit dem Kopfe unter dem Arme in der anderen Welt anlangt; lassen wir ihn aber liegen und er kommt zufällig wieder zum Leben zurück, so werden wir beide sicherlich Unannehmlichkeiten davon haben.«
Man trug ihn auf das Fallbrett; als aber das Messer fiel, zitterte keine Fiber an ihm, und was auch der Arzt behaupten mag, ich bin doch überzeugt, daß wir einen Leichnam geköpft haben.
Jenes schauerliche Hilfsmittel, der Schrecken genannt, hatte alle Vervollkommnung, deren es fähig war, erhalten. Sein Personal von Angebern, Lieferanten, Richtern, Geschworenen, Anklägern und Exekutoren wirkte mit an dem Werke, mit der unerschütterlichen Regelmäßigkeit eines metallenen Räderwerks, und das Ganze ging seinen Gang mit der Unempfindlichkeit einer Maschine.
Diejenigen aber, welche dieser Maschine ihre Bewegung erteilt hatten, erlagen ihrerseits dem Schwindel, in welchen sie Frankreich zu versetzen beabsichtigt hatten. Weder Wachen noch Höflinge verhinderten die neuen Tyrannen, in unmittelbaren Verkehr mit dem Volke zu treten. Die Gefühle und Meinungen der Menge konnten ihnen nicht entgehen; sie mußten folglich erfahren haben, daß dem Abscheu das Mitleid folgen werde. Ihr Gewissen blieb ohne Zweifel nicht stumm, sondern sprach vielleicht noch deutlicher als die Spione; aber das Blut hat seinen Rausch wie der Wein, einen viel schrecklicheren Rausch. Die Männer von 93 konnten jenem Wahnsinn nicht entrinnen, der den Mörder antreibt, den Körper noch einmal zu treffen, den sein Dolch bereits zum Leichnam gemacht; eine innere Stimme sagte ihnen, daß sie die Stunde zur Rückkehr an dem Tage versäumt hätten, wo sie gestatteten, daß die Köpfe Dantons und Desmoulins' fielen. Auf dem verhängnisvollen Abhange fortgestoßen, folgten sie dem Antriebe, geblendet und betäubt, indem sie den Fall errieten, den Abgrund ahnten, aber beständig von einer Zerstörungswut beherrscht wurden, die nur einem Gefühl Raum ließ: dem Entsetzen!
Für diese wütenden Konventmitglieder, vor welchen Europa bereits ein Knie gebeugt hatte, gab es eine noch viel schrecklichere Drohung als den Schrei ihrer Gewissen, als den Unwillen der öffentlichen Meinung; diese Drohung war die Abwesenheit Robespierres.
Der Mann im blauen Rock, der Wirt des Hauses Duplay, dieser anscheinend so demütige und doch so furchtbare Mann, besuchte nicht mehr die Salons des Komitees; er erschien auch nicht mehr im Konvent und zeigte sich nur von Zeit zu Zeit bei seinen getreuen Jakobinern. Er war seiner Herrschaft so gewiß, daß er nur sein Haupt abzuwenden brauchte, um diejenigen, die von seinem Blicke gemieden wurden, zittern zu machen, daß sie in ihren Träumen die Schatten von Danton, Camille, Fabre, Hébert, Chaumette und vielen anderen erblickten, die gestorben waren, weil Robespierre ihren Tod gewollt hatte.
Was wollte er? Was verlangte er? Nach welchem Ziele sollte man, seinem Willen gemäß, schreiten? Sollte man ihm noch einmal die Köpfe der dreiundsiebzig Girondisten bieten, die den 31. Oktober überlebt hatten, und die er bereits großmütig abgelehnt? Sollten diejenigen, welche seiner Politik auf dem Berge gedient hatten, ihm aber auch in seinem Patriotismus gleichkommen und ihn in seiner Strenge übertreffen wollten, sich als gehorsame und ergebene Opfer unter die Räder seines Triumphwagens werfen? Von wo wollte er den neuen Tribut von Köpfen, den man ihm schuldete, nehmen? Von der rechten oder der linken Seite des Konvents?
Dies war das Rätsel, welches Robespierres Zurückhaltung aufgab. Man suchte die Lösung dazu in den Sitzungen der vereinigten Mitglieder der Versammlung. Jeder von ihnen suchte es noch im nächtlichen Halbschlummer aufzuklären, ohne daß es einem gelang.
Dieser Zweifel war erschreckend und noch schwerer als eine unmittelbare Proskription zu ertragen.
Die Beschlüsse und das Benehmen der Komitees mußten unter der Besorgnis, welche dieser Zweifel in den Gemütern erweckte, leiden; dieser Besorgnis muß man es ebensowohl wie den oben angedeuteten Grundsätzen der sittlichen Ordnung zuschreiben, daß sich die Hinrichtungen während der Monate Messidor und Thermidor so außerordentlich vermehrten.
Weit entfernt, die Geheimnisse von Robespierres Politik ergründet zu haben, glauben sie das Heil in jenem Gesetze vom Prairial zu finden, in jener zweischneidigen Waffe, welche die Triumvirn nur in ihre Hände legten, in der Hoffnung, daß sie sich die Finger damit zerschneiden würden: sie verlangen den strengsten Vollzug desselben. Vielleicht hoffen einige von ihnen, wie Amar und Vadier in dem Prozeß der Rothemden, daß das vergossene Blut über die wirklichen Urheber des Metzeleigesetzes kommen werde; aber die übrigen, wie Billaud-Varennes, Voulland, Collot und andere, bleiben der Überzeugung, daß es keinen sichereren Verbündeten gäbe als den Tod, daß der Sieg denjenigen gehören müsse, die, indem sie die blutige Fahne des Schreckens so weit wie möglich in den Vordergrund pflanzen, der Revolution die meisten Pfänder gegeben haben; sie beeifern sich, die Listen zu vermehren, welche ihnen jenes Komitee des Louvre zustellt, das jeden Tag die Hekatombe für den folgenden Morgen auswählt.
Die Partei von Robespierre, welcher dieser wahrscheinlich seine Absicht gar nicht mitgeteilt hat, kann ihrerseits nicht darein willigen, sich übertreffen zu lassen. Die einen wie die anderen überlassen sich einem schrecklichen Wetteifer in patriotischen Überschreitungen, und die unglücklichen Verdächtigen müssen die Kosten davon tragen; die Köpfe der letzteren sollen demjenigen, der die Partie verlieren oder gewinnen wird, als Spielmarken dienen. Den Prozeß von Bicêtre, den das Sicherheitskomitee ins Werk gesetzt hatte, erwidern die Robespierristen mit dem Prozeß des Luxembourg; der Zahl vierundsiebzig setzten sie hundertfünfundvierzig entgegen; gegen die durch vorhergegangene Verurteilung gebrandmarkten Leute haben sie ehrwürdige Magistratspersonen, Adlige, Priester, vornehme Herren, echte Aristokraten aufzubieten.
Der süßliche Herman übernahm die Aufgabe, die Verschwörung auszuarbeiten und so viel Blut als möglich daraus zu pressen. Einer der Verwalter des Luxembourg, Wiltcherich, der nicht erst sein Probestück abzulegen, sondern schon die große Verschwörung von Dillon und der Ehefrau Desmoulins' zurechtgemacht hatte, half ihm treulich bei seiner Aufgabe. Wiltcherich verband sich mit untergeordneten Mitarbeitern: einem Hauptmann Boyenval, den die Revolutionsarmee als unwürdig ausgestoßen hatte; einem gewissen Beausire, einem Pamphletschreiber, der nur durch die traurige Berühmtheit seiner Frau, der Oliva, im Halsbandprozeß berühmt geworden war; einem Kerkermeister namens Verney; einem ehemaligen Adjutanten von Cartaux, namens Amans, einem wahren Galgenstrick. Zu einer Beratung versammelt, trafen die vier Räuber ihre Auswahl. Es sind nicht nur ehemalige Namen von Bedeutung und ehemalige Rangstufen, welche die Schuldigen für die rächende Anzeige jener ehrlichen Bürger kennzeichnen, es ist auch der Haß, die Laune oder ein verliebtes Phantasiestück. Der eine ist ein Verschworener, weil er sich geweigert hat, mit dem Schurken aus einer Tabaksdose zu schnupfen; ein anderer, weil er sich gegen den Gefängnisschließer nicht großmütig genug zeigte; ein dritter, weil er der Gemahl einer Frau war, die der galante Boyenval angenehm fand: alle, weil sie den geheimen, aber nicht sehr strafbaren Wunsch hegten, nicht im Gefängnis zu verfaulen oder unter der Guillotine zu sterben.
Das nennt man Geschichte, und man glaubt zu träumen, indem man sie niederschreibt.
Als die Zahl der Verschwörer sich auf hundertvierundfünfzig belief, hielt man inne: die Totalsumme schien genügend für eine erste Probe, und Boyenval und seine Freunde hatten den guten Willen, ein Weiteres auf die Zukunft zu versparen. Die so entworfene Liste wurde im Namen des Wohlfahrtskomitees und des Bureaus der allgemeinen Polizei, welchem Herman vorstand, unmittelbar Fouquier-Tinville zugefertigt, ohne weder der Kommission des Louvre noch dem Sicherheitskomitee mitgeteilt worden zu sein.
Zu jener Zeit hatte der solide Fouquier Anfälle von Schwäche, die allerdings rein nervöser Natur waren. Einige Tage vorher erzählte er einem Mitgliede vom Komitee, als er aus den Tuilerien gekommen, habe es ihm geschienen, als ob die Seine aus blutigen Fluten bestände; und während er sprach, bemerkte sein Zuhörer, daß er bleicher als ein Gespenst aussah und sein Haar sich auf dem Kopfe emporsträubte. Litt er an einem Anfalle von Wahnsinn? oder wollte er seinen Meistern boshafterweise die famosen Motive, die man bei dem Urteil der Gefangenen von Bicêtre ausgesprochen, wieder vorhalten, als er in bezug auf die Verschwörung vom Luxembourg den Gedanken faßte, die Hundertvierundfünfzig mitsammen zu richten und zu diesem Zwecke in dem Saale der Freiheit eine ungeheure Stufenestrade zu erbauen, die sich bis zur Decke erheben sollte? Das Wohlfahrtskomitee, in welchem bei Robespierres Abwesenheit Couthon die Gewalt des Triumvirats zur Geltung brachte, forderte Fouquier-Tinville vor und befahl ihm, auf seine Estrade zu verzichten.
Die »Verschwörer« des Luxembourg wurden von Herman in drei Klassen geteilt, die in drei Sitzungen gerichtet werden sollten.
Die erste erschien am 19. Messidor vor Gericht; sei es nun, daß Fouquier den Vorwurf, den ihm die Robespierristen machen konnten, austilgen wollte, sei es, daß Hermans Beispiel seinen Eifer angestachelt hatte, so hat doch niemals, selbst nicht vor dem Revolutionstribunal, ein Verfahren unter solcher Mißachtung der gewöhnlichen Billigkeit stattgefunden. Es ist ein Angeklagter namens Maurin, dessen Vornamen nicht mit denen, die der Gerichtsschreiber liest, übereinstimmen. Er tut Einspruch. Fouquier liest die Anklageschrift, ändert sie und verlangt, daß der Maurin, der im Verhör anwesend ist, unter Anklage gestellt werde. Einen Schließer namens Lesenne läßt er wegen falschen Zeugnisses einkerkern, weil er mutig erklärt hat, die Verschwörung bestände nur in der Einbildung der Ankläger. Diese Ankläger werden aufgerufen; ihr Zeugnis stimmt um so besser überein, da es falsch und im voraus abgekartet ist. Neunundfünfzig Angeklagte saßen auf den Bänken, neunundfünfzig wurden zur Guillotine geschickt, darunter ein Greis von achtzig Jahren.
Der zweite Schub wurde am 21. Messidor abgefertigt. Derselbe bestand aus fünfzig Angeklagten. Die Sitzung hatte das Merkwürdige, daß zwei der Überführten freigesprochen wurden; der eine derselben war freilich ein Kind von vierzehn Jahren. Unter den Verurteilten befand sich die Familie Malessy, aus Vater, Mutter und Tochter bestehend. Diese Tochter, die Marquise von Bois-Bérenger, deren Gemahl im Jahre 1791 ausgewandert war, hatte sich scheiden lassen, um sich die ihr zugehörigen Güter zu erhalten; dieses Zugeständnis, welches sie der damaligen Gesetzgebung gemacht, sicherte sie nicht vor der Ächtung; als verdächtig verhaftet, wurde sie mit ihrer Familie im Luxembourg-Gefängnis vereinigt. Sie waren alle in Boyenvals Anzeige mit einbegriffen; infolge einer Nachlässigkeit des Gerichtsschreibers aber empfing Frau von Bois-Bérenger keine Anklageschrift. Anstatt sich über die Hoffnung, noch leben zu können, zu freuen, geriet sie in Verzweiflung, das Schicksal ihrer Geliebten nicht teilen zu können. Als ihr endlich das verhängnisvolle Papier zugestellt wurde, sank sie ihrer Mutter mit den Worten in die Arme:
»Gott sei Dank! Liebe Mutter, wir werden zusammen sterben!«
Diese mutige Begeisterung verließ sie selbst auf dem Schafott nicht.
Die dritte Klasse der »Verschwörer« vom Luxembourg wurde am folgenden Tage, dem 22. Messidor, gerichtet. Zu dieser gehörte Leclerc de Buffon, der Sohn des berühmten Naturforschers. Als er das Schafott bestieg, blieb er auf der Plattform stehen und wendete sich an das Volk mit den Worten des Vorwurfs:
»Ich bin der Sohn Buffons.«
Ein anderer, Caradeuc de la Chalotais, war anerkanntermaßen in einem Zustande der Verrücktheit. »Aber,« wie Dumas sagte, »man weiß, woran man sich in bezug auf die Moralität eines ehemaligen Staatsanwalts vom Parlament von Rennes zu halten hat«, und die Verrücktheit wurde bei der Prüfung seiner früheren Amtsverrichtung nicht weiter berücksichtigt.
Vom 15. Messidor ab sinkt die Zahl der täglichen Opfer niemals unter dreißig, beläuft sich einigemal auf sechzig.
Das Verfahren, mit dessen Hilfe man das Luxembourggefängnis gereinigt, hatte sich zu gut bewährt, als daß man hätte Anstand nehmen sollen, dasselbe auch auf andere vollgepfropfte Gefängnishäuser anzuwenden; die Zahl belief sich bereits auf mehr als achttausend Gefangene. Es war abermals Hermans Bureau, welches die Anzeigen erhielt oder vielmehr hervorrief, und zwei andere Aufführungen der Luxembourgkomödie, oder vielmehr -tragödie, führten einundfünfzig Gefangene von den Karmelitern und siebenundsiebzig aus dem Gefängnisse Saint Lazare auf die Bänke des Tribunals.
Die bei den Karmelitern Verhafteten waren beschuldigt, einen Plan zur Flucht gemacht zu haben; elendes Geklatsch vervollständigte eine Reihe von Beschuldigungen, welche das öffentliche Ministerium zu einer großen Verschwörung stempelte!
Am folgenden Tage, dem 6.Thermidor, erschienen ihrerseits die Gefangenen von Saint Lazare. Ein Gipsgießer namens Manini und ein Schlosser Coquery waren die Aufwiegler bei diesem letzten Komplott. Diese waren aber nicht so geschickt wie Boyenval und Beausire. Sie sagten aus, es seien ihnen ungeheure Summen geboten worden, wenn sie einwilligen würden, die Eisenstäbe eines Fensters im ersten Stockwerke zu durchsägen. Diese Fabel war im höchsten Grade abgeschmackt, denn jenes Fenster war das einzige, welches mit solchen Eisenstangen versehen war, und es blieb wenigstens ungeschickt, zu behaupten, daß die Gefangenen gerade diesen Weg erwählt haben sollten. Jenes Fenster lag freilich einer Terrasse gegenüber, von welcher man leicht ins freie Feld hinabsteigen konnte, dazwischen befand sich aber noch ein Raum von 25 Fuß, und außerdem stand gerade unter dem vergitterten Fenster eine Schildwache bei Tag und Nacht. Sie bemäntelten ihre schlecht erfundene Fabel, indem sie versicherten, daß die Mäuse ihre Falle nicht bloß hätten zernagen wollen, um die Freiheit zu erlangen, sondern daß sie danach strebten, ein großes Blutbad unter den Katzen anzurichten, die Komitees, den Konvent, die Nationalgarde und vielleicht alle Franzosen niederzumetzeln. Diese Angabe machte natürlicherweise die Wahrscheinlichkeit ihrer früheren Aussagen unnütz. Einer anderen Ungeschicklichkeit zufolge hatten sie ganz unbedeutende Gefangene als Häupter der Verschwörung angegeben, wodurch das Tribunal sich gerade nicht von dem Vorwurf, den ihm der Konvent gemacht hatte, reinigen konnte: nämlich von dem Vorwurfe, daß es die großen Schuldigen verschone und sich auf unbedeutende Verdächtige richte. Herman half diesem Übelstande ab, indem er den Urhebern der Verschwörung zwei moutons beifügte, welche die Verwaltung in Saint Lazare unterhielt. Auf diese Weise kam man zu einer Liste, die sich sehen lassen konnte. Auf derselben standen unter anderen die beiden de Vergennes, Vater und Sohn, die ehemalige Äbtissin von Montmartre, Marie Louise von Laval-Montmorency, der Herzog von Beauvilliers und seine Gemahlin; Joly de Fleury, ehemaliger Generaladvokat beim Pariser Parlament; die Prinzessin von Monaco; der Baron de Bléset; Albert de Berulle, erster Präsident des Parlaments zu Grenoble. In dieser Sitzung machte Fouquier-Tinville ein scheußliches Wortspiel, das eine traurige Berühmtheit erlangt hat. Frau von Laval-Montmorency war taub. Als Coffinhal, der den Vorsitz führte, sie verhörte, schwieg sie still, und als Fouquier das Wort an sie richtete, bemerkte einer der Anwesenden, daß die Angeklagte nicht hören könne.
»Das ist gut, das ist gut« – murmelte Fouquier – »wir werden im Urteil schreiben, sie habe sich sourdement (taub und heimlich) verschworen.«
Fünf der verurteilten Frauen erklärten sich für schwanger. Die Gesundheitsbeamten vom Tribunal gaben ihr Gutachten dahin ab, daß in bezug auf drei von ihnen: die Baronin von Hinisdal, die Frau Meursin und Frau Joly de Fleury, kein Anschein einer Schwangerschaft vorhanden sei. Frau von Monaco zog in ehrenhafter Weise ihre Aussage in einem an Fouquier gerichteten Briefe zurück; sie wurden am 8. Thermidor guillotiniert. Die Herzogin von Beauvilliers war die einzige, welche dem sicheren Tode entrann.
Am 7. Thermidor lieferten die Verschworenen des Gefängnisses von Saint Lazare noch immer das wichtigste Kontingent zum Schafott. Es sind nicht mehr allein die vornehmen Herren, die auf der Anklagebank sitzen: die Aristokratie des Geistes wird durch André Chénier und durch Roucher vertreten. Ersterer war nur einunddreißig Jahre alt! Nicht auf dem Schafott, sondern als er vor Gericht trat, rief André Chénier, indem er sich vor die Stirn schlug, aus:
»Und doch besaß ich hier etwas!«
Er hatte seine Rechnung mit dem Leben schon abgeschlossen, ehe der Urteilsspruch gefällt war. Er kannte diejenigen zu gut, die er »vom Gesetz schwatzende Henkersknechte« genannt hatte, als daß er sie hätte der Großherzigkeit fähig halten und hoffen können, sie würden einem Dichter verzeihen, durch dessen Verse sie für ewige Zeiten an den Galgen geheftet wurden. Mit Chénier und Roucher endigte Baron von Trenck auf dem Schafott die siebzig Jahre seines abenteuerlichen und romanhaften Lebens. Eine Berühmtheit anderer Art, der Rat Goezman, der komische Held in Beaumarchais' Memoiren, gehörte mit zu diesem Schub. Unter den achtzig Verurteilten bemerkte man noch die beiden Marquis von Montalembert und von Roquelaure, den Herzog von Créqui, den Grafen Bourdeilles, einen ehemaligen Bruder vom Orden Raoul.
Die Sitzung vom 8. erschöpft die Listen der Verschworenen aus dem Lazare-Gefängnis.
Ich habe im vorhergehenden Kapitel gesagt, daß der Zweifel, in welchem man über Robespierres wahre Absichten schwebte, mit der Zeit für die Mitglieder des Konvents quälender wurde als eine unmittelbare Proskription.
Die geschickte Verstellung des Triumvirs sollte sich gegen ihn selber kehren.
Er hatte zunächst zu Gegnern die Freunde Dantons und Camilles, einige Deputierte von der Ebene, die trotz seiner Gnade gegen die Dreiundsiebzig den 31. Mai nicht vergessen hatten, und endlich die Repräsentanten, die er wegen ihres Benehmens während ihrer im Auftrage des Konvents unternommenen Reisen unmittelbar angegriffen hatte. Seine Ansprüche auf Unbestechlichkeit, seine strengen dogmatischen Formen, das Ansehen, das er erlangt hatte, seine wirkliche Befähigung zum Staatsmann, wodurch er zu der ersten Stelle geeignet war, endlich sein Ehrgeiz und seine Verachtung der Vorurteile über Gerechtigkeit und Menschlichkeit: dies alles verschaffte ihm viele Neider. Als jeder sich bedroht glauben konnte, als viele berechtigt waren, vorauszusetzen, die Freiheit sei ebensowohl wie ihre Köpfe in Gefahr, vereinigten sich alle zu einer unversöhnlichen Feindschaft.
Während seiner Zurückgezogenheit gewannen sie an Kühnheit und Zahl. Auf Einflüsterung Barères hatte ihm Vadier jenen grausamen Dolchstich von der »Mutter Gottes« gegeben. Robespierre war in das Komitee gekommen, um sich in Klagen zu ergehen; er hatte sich der Schriftstücke bemächtigt und sie mit sich genommen, und ein Mitglied antwortete Fouquier, der diese Papiere zur Einleitung des Prozesses wieder zurückverlangte:
»Wir können den Prozeß nicht anstrengen, er will es nicht.«
Tallien war am meisten erbittert; er hatte zwei Leben zu verteidigen: das seinige und das einer geliebten Frau, der Frau von Fontenay, einer Tochter des Bankiers Cabarrus, welche auf Robespierres unmittelbaren Befehl verhaftet worden war und aus dem Gefängnis an Tallien geschrieben hatte:
»Ich sterbe mit der Schande, einen Feigling, wie du bist, geliebt zu haben!«
Bald vereinigte sich fast die ganze Bergpartei in dem gemeinsamen Gedanken, daß der Sturz der Triumvirn, denn wenn man von Robespierre sprach, so waren St. Just und Couthon immer mit einbegriffen, für das Wohl aller notwendig sei. Dennoch beherrschte Robespierre, auf die Ebene gestützt und mit einigen ihm treu gebliebenen Mitgliedern der Bergpartei vereinigt, noch immer die Versammlung, der Zahl nach; es kam also darauf an, sich der Mitwirkung dieser Deputierten zu versichern. Der Sieg mußte denjenigen gehören, mit welchen die Repräsentanten stimmten, die man mit dem Beinamen der »Kröten des Sumpfes« gebrandmarkt hatte; diejenigen, welche sie verlassen würden, waren der Guillotine verfallen.
Fouché und Tallien, welche die Ebene zu gewinnen übernommen hatten, faßten sie zuerst an ihrer schwachen Seite, bei der Feigheit. Man ließ sie die Todeslisten lesen, worauf die Namen ihrer einflußreichsten Mitglieder standen; man versicherte ihnen, Robespierre beabsichtige gegen sie einen zweiten Aufstand wie am 31. Mai. Die Ebene schwankte lange Zeit, sich an diejenigen anzulehnen, welche den Triumvirn wirklich zu Leibe gehen sollten; es scheint jedoch nicht, daß der Gedanke, der Sieg müsse zunächst die Abschaffung des Schafotts zur Folge haben, irgendeinen Einfluß auf ihre Entschlüsse gehabt habe. Wenn man, in der Ebene sowohl wie auf dem Berge, an die Guillotine dachte, so war man nur vorzugsweise darauf bedacht, nicht zu der Ehre zu gelangen, seinen Kopf darunterzulegen.
Die Komitees führten die ersten Streiche; sie schlugen zu dem Gesetz vom Prairial eine Abänderung vor, die zwar etwas unbestimmt war, dem Robespierristischen Geiste aber, dem dies Gesetz seinen Ursprung verdankte, keinen Eintrag tat. Sie schafften das Bureau der Generalpolizei ab, bei welchem Herman die Hand im Spiele hatte, und vereinigten dasselbe mit der Polizei des allgemeinen Sicherheitskomitees, sie entfernten außerdem von Paris eine Abteilung Kanoniere, die zu der Sektion gehörten, deren Chef Henriot war und die sich offen für Robespierre ausgesprochen hatte.
Letzterer bereitete sich seinerseits zum Kampfe; er hatte St. Just von der Armee zurückgerufen und arbeitete, auf seine rednerische Oberherrschaft im Konvent vertrauend, eine Rede aus, welche seine Feinde entlarven und zerschmettern sollte. Ein am 5. Thermidor im Schoße der Komitees angestellter Versuch zur Versöhnung diente nur dazu, den Zwiespalt der Mitglieder noch zu erweitern; am 6. und 7. regten sich die Jakobiner und erhoben sich gegen die Bestrebungen der Gegner Robespierres, und am 8. fand der erste Zusammenstoß zwischen beiden Parteien statt.
Die Manöver der Gegner Robespierres waren notwendigerweise geheim geblieben. »Man mußte sich verstellen vor dem Tyrannen, der sich mit dem Purpurmantel der Volksbeliebtheit bekleidet hatte«, sagte Barère. Die Beratungen der Verbindung blieben geheim, und dennoch hatte die Menge eine Ahnung von den Begebenheiten; die Witterung des Kampfes, der sich entspinnen sollte, schwebte in der Luft. Am 8. Thermidor strömte eine ungeheure Volksmenge in den Konvent, und sie überschwemmte die Tribünen, sie ergoß sich in die Flurgänge und verdeckte alle äußeren Zugänge des Palastes.
Für das Publikum dieses umgrenzten Ortes gab es etwas anderes als ein Turnier zu erwarten: es war einer jener Kämpfe, welche über das Geschick eines großen Volkes entscheiden; ein Zweikampf auf Leben und Tod, nicht nur für die Kämpfer, sondern auch für die Zuschauer. Man kann sich daher die ängstliche Spannung vorstellen.
Nachdem über die Bittschriften Bericht erstattet worden, erschien Robespierre auf der Tribüne und begann seine Rede. Obgleich diese Rede eine fleißige Arbeit war, welcher er mehrere Wochen gewidmet hatte, so war sie doch nichts weniger als deutlich. Der Redner schien so lange darüber nachgedacht zu haben, um seine Gedanken desto besser zu verhehlen. Sie enthält für jede der Parteien in der Versammlung eine Wendung; schmeichelt und huldigt ihren Hoffnungen nach der Reihe. Zu den Gemäßigten spricht er:
»Ich kenne nur zwei Parteien: die der guten und die der schlechten Bürger. Der Patriotismus ist keine Parteiangelegenheit, sondern eine Angelegenheit des Herzens; er besteht nicht in einer vorübergehenden aufbrausenden Hitze, die weder die Grundsätze noch die gesunde Vernunft noch die Sittlichkeit achtet, noch weniger in der Hingebung an die Interessen einer Partei. Mit einem Herzen, welches durch die Erfahrung so vielfachen Verrats verletzt ist, halte ich es für notwendig, die Rechtschaffenheit und alle edlen Empfindungen zur Hilfe der Republik anzurufen. Ich fühle, daß, wo immer man einen edlen Mann findet, an welcher Stelle er auch sitze, man ihm die Hand reichen und ihn an sein Herz drücken müsse.«
In der Besorgnis, diejenigen, die sich zur revolutionären Strenge bekennen, beleidigt zu haben, wendet er sich gleich an diese und spricht zu ihnen:
»Lasset nur einen Augenblick die Zügel der Revolution nach, und ihr werdet sehen, wie der Despotismus sich derselben bemächtigt und die Parteihäupter, die Volksvertretung geschändet zu Boden wirft.«
Dies alles wird mit jener ewigen Selbstverteidigung, welche man in allen Reden Robespierres wiederfindet, umrahmt. Ein wenig weiter weist er mit Nachdruck die gegen ihn erhobene Beschuldigung zurück, er habe nach der Diktatur gestrebt; dann geht er schnell von der Verteidigung zum Angriff über und ruft das ewige Schreckgespenst der Verschwörung auf, das ihn schon von seinen fürchterlichsten Gegnern befreit hat; und ohne jemand zu bezeichnen, nach unbestimmten Beschuldigungen gegen die von ihren Missionen zurückgekehrten Repräsentanten, gegen die Komitees, nach einem heftigen Ausfall gegen Cambon, fordert er den Konvent auf, die Partei zu vernichten und die Verräter zu bestrafen.
Nach Robespierres Meinung sollte diese Rede ohne Zweifel als Eingang zu einer anderen Rede St. Justs dienen, welchem er die Sorge überließ, die Köpfe, die abgeschlagen werden sollten, näher zu bezeichnen.
Lecointre, einer der Bedrohten, verlangte, um den Kampf leidenschaftlicher zu machen, daß Robespierres Rede gedruckt, dies hieß, daß derselben die Zustimmung der Versammlung gegeben würde. Bourdon de l'Oise sprach gegen den Druck und verlangte, die Rede sollte den Komitees überwiesen werden; damit wären die darin enthaltenen Angriffe der Prüfung der Angegriffenen selber unterworfen worden. Die Debatte entspann sich; eine Rede Couthons rief die Abstimmung der Versammlung hervor, welche nicht nur entschied, daß die Rede gedruckt, sondern auch, daß dieselbe an alle Gemeinden der Republik versandt werden sollte.
Diese Unbeständigkeit erschreckte die Repräsentanten, denn ihr Leben konnte ebensogut von einer anderen Abstimmung abhängen, die eine andere Rede dem Konvent entlocken konnte; sie erinnerten sich an Dantons Wort; sie begriffen, daß sie sich nur durch Kühnheit retten könnten, und zum ersten Male stieß Robespierre nicht nur auf Widerstand, sondern auch auf unmittelbare und genau gefaßte Beschuldigungen. Cambon schließt seine Antwort mit folgenden Worten:
»Es ist Zeit, die Wahrheit frei herauszusagen: ein einziger Mann lähmte den Willen des Nationalkonvents; dieser Mann ist derjenige, der soeben geredet hat, es ist Robespierre. Also richtet!«
Billaud-Varennes ruft:
»Man muß die Maske von jedem Gesichte reißen, wo man sie findet; ich will lieber, daß mein Leichnam einem Ehrgeizigen zum Throne diene, als daß ich durch mein Stillschweigen der Mitschuldige seiner Verbrechen werde.«
Charlier ruft ihm diese Worte zu:
»Wenn man sich rühmt, den Mut der Tugend zu haben, so muß man auch den der Wahrheit besitzen.«
Thirion erklärt, er begreife nicht, wie Robespierre allein recht gegen alle seine Kollegen haben könnte; es ließe sich vielmehr vermuten, daß die Komitees in ihrem Rechte seien. Der ganze Konvent zollte ihm Beifall und beschließt die Überweisung an die Komitees.
Das teils drohende, teils spöttische Getöse, welches sich während dieses ersten Scharmützels von den Bänken des Konvents hatte hören lassen, hätte Robespierre als das Vorzeichen des am nächsten Tage eintretenden Sturmes ansehen können; er scheint dasselbe nur als eine vorübergehende Laune, ein um so sichereres Anzeichen von dem Gehorsam der Versammlung angesehen zu haben.
»In seine Wohnung zurückgekehrt«, sagt Louis Blanc, »zeigte er sich sehr heiter. Er sprach ruhig über die Sitzung und ihren Erfolg; er sagte: ›Ich erwarte nichts mehr von dem Berge. Sie wollen sich von mir wie von einem Tyrannen losmachen, aber die große Masse der Versammlung wird mich verstehen‹.«
Er ging darauf mit seiner Braut in den Elysäischen Feldern spazieren. Sie gingen einige Zeit lang schweigend, von dem treuen Brount gefolgt. Leonore war traurig und träumerisch. Robespierre bemerkte ihr, daß die Sonne, die in diesem Augenblicke am Horizonte unterging, sehr rot aussähe.
»Das bedeutet schönes Wetter für morgen«, sagte sie.
Nach diesem Spaziergange ging er, um bei den Jakobinern zu triumphieren. Er las dort seine Rede vor, die mit wahnsinnigem Beifall aufgenommen wurde. Die Begeisterung rief die drohendsten Beschlüsse hervor; es wurde der Vorschlag geäußert, den Konvent zu befreien, wie dies am 2. Juni geschehen war. Ihrerseits übertrafen die Gemeinden von Payan und Coffinhal, welche noch robespierristischer als Robespierre gesonnen waren, die Beschlüsse des Meisters und beschleunigten die Bewegung. Mit ihrer Ermächtigung schickte Henriot einer Auswahl von Nationalgarden den Befehl, um sieben Uhr morgens die Waffen zu ergreifen.
Zwei Komiteemitglieder, Collot d'Herbois und Villaud-Varennes hatten der Sitzung der Jakobiner beigewohnt; sie kamen bestürzt heraus; als sie in den Saal der Komitees zurückkehrten, fanden sie dort St. Just, der sich mit seiner unerschütterlichen Kühnheit mitten ins feindliche Lager gesetzt hatte, um besser beobachten zu können. Den Auftritt, der sich zwischen ihnen zutrug, erzählt Toulongeon wie folgt:
»Während der Zeit, welche der Rückkehr Collot d'Herbois' und seines Amtsgenossen voranging, hatte St. Just ruhig an dem Tische geschrieben, an welchem die übrigen Mitglieder des Komitees mit ihm saßen. In der Hitze des Wortstreites, der sich zwischen ihnen und St. Just entspann, beeilte sich letzterer, die angefangenen Schriftstücke zurückzuziehen. Diese Bewegung erregte Verdacht. Seine Kollegen bemächtigten sich der Papiere und fanden ihre Denunzierung darin. Darauf bemächtigten sie sich seiner Person, schlossen die Türen und beabsichtigten, ihn während der Nacht, solange die Sitzung dauerte, im Auge zu behalten. Er selber verpflichtete sich, von seinen Schriftstücken keinen Gebrauch zu machen; am Morgen aber, als sich der Konvent versammelte, entschlüpfte er der Wachsamkeit seiner Hüter.«
Durch die Unentschlossenheit, welche die Komitees bekundet hatten, nachdem sie schon von der Haltung der Kommunen und Henriots unterrichtet waren, wurde die Entschlossenheit der Bergpartei verdoppelt. Sie sahen klar, daß ihnen diese Komitees vielleicht zu Hilfe kommen würden, wenn sie angriffen, nicht aber, wenn sie von den Triumvirn angegriffen würden. Sie machten der Ebene neue Anträge, und diese entschloß sich endlich zu ihrem Beistande. Die Berufung an die Gefühle der Menschlichkeit hatte sie unentschlossen gefunden: die Hoffnung, ihrerseits im Konvent zu herrschen, besiegte ihren Wankelmut.
Die Sitzung des Konvents begann um Mittag. Die Komitees beratschlagten noch, als man ihnen ankündigte, daß St. Just, seinem gegebenen Worte untreu, seinen Bericht dem Konvent vorlese. Er hatte schon einige Zeilen gelesen, als ihn Tallien unterbrach.
Ich werde den »Moniteur« so viel als möglich sprechen lassen, da derselbe von diesem Auftritte, einem der erschütterndsten in der neueren Geschichte, einen besseren Begriff als meine Erzählung gibt:
Tallien: »Ich verlange das Wort zu einem Antrag. Der Redner begann damit, daß er versicherte, er gehöre zu keiner Partei. Ich sage dasselbe. Ich gehöre nur mir selber, nur der Freiheit an. Gestern hat sich ein Mitglied von der Regierung gesondert und eine Rede in seinem eigenen Namen gehalten; heute tut ein anderer dasselbe. Ich verlange, daß der Schleier vollständig gelüftet werde.«
(Man klatscht dreimal lebhaft Beifall.)
Billaud-Varennes: »Ich verlange das Wort zu einer Antragstellung. Gestern war die Gesellschaft der Jakobiner mit bestellten Leuten angefüllt, denn keiner hatte eine Karte bei sich. Gestern hat man in dieser Gesellschaft die Absicht enthüllt, die Nationalversammlung zu erwürgen. Gestern hörte ich dort Menschen ganz offen die infamsten Anschuldigungen gegen diejenigen schleudern, die niemals der Revolution abtrünnig wurden. Ich sehe auf dem Berge einen dieser Männer, welche die Repräsentanten des Volkes bedrohten. Dort ist er!«
(Von allen Seiten: »Nehmet ihn fest, nehmet ihn fest!« Die Person wird ergriffen und unter lautem Beifall aus dem Saal geschleppt.)
»Ihr werdet vor Entsetzen beben, wenn ihr erfahrt, daß die bewaffnete Macht mörderischen Händen anvertraut ist; wenn ihr erfahrt, daß das Haupt der Nationalgarde dem Wohlfahrtskomitee seitens des Revolutionstribunals als Mitschuldiger Héberts und als schändlicher Verschwörer denunziert ist.
Wenn Robespierre euch sagt, er hätte sich vom Komitee entfernt, weil er darin unterdrückt worden sei, so hütet er sich wohl, euch alles wissen zu lassen. Er sagt euch nicht, daß, während er in dem Komitee sechs Monate lang seinen Willen durchgesetzt, er in dem Augenblick dort Widerstand fand, wo er allein jenes Dekret vom 22. Prairial erlassen wollte, jenes Dekret, welches in den unreinen Händen, die er auserwählt hatte, so verhängnisvoll für die Patrioten geworden ist.
Man wollte den Konvent zugrunderichten, verstümmeln, und diese Absicht stand so fest, daß man die Repräsentanten des Volks, die man erwürgen wollte, durch vollständig organisierte Spione beobachten ließ. Es ist schändlich, von Gerechtigkeit und Tugend zu sprechen, wenn man ihnen Trotz bietet und sich nur in breiten Redensarten ergeht, sobald man auf Widerstand stößt.«
(Robespierre stürzt auf die Tribüne. – Eine große Zahl Stimmen: »Nieder! nieder mit dem Tyrannen!«)
»Ich forderte soeben, daß der Schleier zerrissen werde; ich bemerke eben jetzt mit Vergnügen, daß er es völlig ist, daß die Verschwörer entlarvt sind, daß sie bald vernichtet sein werden, daß die Freiheit siegen wird. (Lebhafter Beifall.) Der Feind der Volksvertretung wird unter ihren Streichen fallen. Ich habe das Stillschweigen nur beobachtet, weil ich wußte, daß ein Mann, der den Tyrannen Frankreichs gleichkommt, eine Ächtungsliste entworfen hat. Ich habe gegen niemand Gegenbeschuldigungen erheben wollen; aber ich wohnte gestern der Sitzung der Jakobiner bei; ich sah, wie sich die Armee des neuen Cromwell bildete, und ich bewaffnete mich mit einem Dolche, um ihm das Herz zu durchstoßen, falls der Konvent nicht den Mut gehabt hätte, seine Verhaftung zu beschließen.« (Rauschender Beifall.)
»Klagen wir ihn an mit der Loyalität des Muts und angesichts des französischen Volkes. Ich rufe alle alten Freunde der Freiheit, alle ehemaligen Jakobiner, alle Patrioten auf, daß sie uns die Freiheit retten helfen.«
Tallien trug auf die Verhaftung Henriots und seines Generalstabes sowie auf Permanenz der Versammlung an.
Beide Vorschläge wurden unter rauschendem Beifall und dem Rufe: »Es lebe die Republik!« angenommen. Billaud-Varennes verlangt die Verhaftung von Dumas, von Boulanger und von Dufraisse. Dieselbe wird beschlossen. Robespierre, welcher sieht, daß der Lauf der Proskription sich auf ihn richtet, besteht darauf, daß ihm das Wort erteilt werde, aber vergebens; seine Stimme wird übertönt durch den Ruf: »Nieder mit dem Tyrannen! Nieder mit dem Tyrannen!«
Zwei Mitglieder der Komitees, Barère und Vadier, sprechen lange und in gemäßigter Weise; sie wollten Robespierre demütigen, sind aber ebensowenig wie in der Sitzung des vorigen Abends willens, ihn zu Boden zu werfen. Als Sieger durch den Beistand der Rechten, lassen sie sich die Macht doch ebenso entschlüpfen, als ob sie besiegt worden wären.
Tallien sah ein, welche unheilvollen Folgen diese Taktik haben konnte, und rief daher:
»Ich verlange das Wort, um die Diskussion wieder in ihren richtigen Gang zu bringen.«
Robespierre: »Ich werde sie dahin zu bringen wissen.« (Gemurr.)
Tallien: »Bürger, nicht auf besondere Tatsachen darf ich in diesem Augenblick die Aufmerksamkeit des Konvents lenken, sondern ich bringe nur die Rede in ihr Gedächtnis, welche gestern in diesen Räumen gehalten und bei den Jakobinern wiederholt wurde. Darin finde ich den Tyrannen, darin erkenne ich die ganze Verschwörung; in dieser Rede will ich mit Hilfe der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Konvents die Waffe finden, um diesen Mann niederzuschmettern, dessen Tugend und Vaterlandsliebe man so hoch gerühmt, den man aber in der denkwürdigen Epoche vom 10. August erst drei Tage nach der Revolution gesehen hat; diesen Mann, der, anstatt in dem Komitee der öffentlichen Wohlfahrt der Verteidiger der Unterdrückten zu sein, anstatt auf seinem Posten zu stehen, denselben seit vier Monaten verlassen hat, um endlich die Komitees zu verleumden, die das Vaterland retteten.« Von diesem Gegner, den er als unversöhnlich kennt, angegriffen, verliert Robespierre alle Ruhe; er unterbricht Tallien durch Geschrei, durch das Verlangen, daß man ihm das Wort erteile; die Versammlung antwortet ihm durch heftiges Murren, und ein Mitglied der Bergpartei, Louchet, beherrscht den Tumult, indem er den Satz ausspricht, den noch niemand auszusprechen wagte:
»Ich verlange den Haftbefehl gegen Robespierre.«
Loseau: »Es steht fest, daß Robespierre ein Beherrscher gewesen ist; aus diesem Grunde allein verlange ich den Haftbefehl.«
Louchet: »Mein Antrag ist unterstützt.«
Man schreitet zur Abstimmung über die Verhaftung.
Robespierre der Jüngere: »Ich bin ebenso strafbar wie mein Bruder, ich teile seine Tugenden; ich verlange, daß der Haftbefehl ebenfalls gegen mich erlassen werde.
Robespierre der Ältere: »Präsident der Räuber, gib mir das Wort oder dekretiere, daß du mich ermorden willst!«
Collot, der den Vorsitz führt, klingelt heftig; Charles Duval wendet sich an ihn:
»Präsident, soll ein Mann der Herr des Konvents sein?«
Robespierre, bleich und fahl, will Billaud-Varennes, welcher Tallien auf die Tribüne gefolgt ist, unterbrechen, seine Kräfte reichen aber nicht aus, um den Tumult zu beherrschen; sei es aus Erschöpfung oder vor zu großer Aufregung, er bringt nur heiseres, unverständliches Geschrei hervor.
»Das Blut Dantons erstickt dich!« ruft ihm Garnier de Saintes zu.
Dieser schrecklichen Anrede folgte Stille; Robespierre suchte daraus Nutzen zu ziehen.
»Ihr seid Feiglinge!« sagte er zum Berge. Dann wendet er sich an die Ebene mit den Worten: »An euch, reine Männer, an die Tugend wende ich mich, nicht an die Räuber – –«
Thuriot, ein anderer Dantonist, welcher nach Collot d'Herbois den Präsidentenstuhl eingenommen hat, schwingt die Glocke; er hindert ihn, fortzufahren, und man ruft von allen Seiten: »Die Verhaftung! die Verhaftung!« Diese wird zur Abstimmung gebracht und einstimmig beschlossen.
Louchet: »Wir hörten für die Verhaftung der beiden Robespierre St. Just und Couthon stimmen.«
Lebas: »Ich will nicht teilhaben an diesem schandbaren Dekret, ich verlange ebenfalls verhaftet zu werden.«
Fréron: »Bürger, Kollegen! Das Vaterland und die Freiheit werden an dem heutigen Tage von ihren Trümmern erstehen.«
Robespierre: »Ja, denn die Räuber erhalten den Sieg.«
Dies waren seine letzten Worte an den Konvent.
Das Bewußtsein von der Herrschaft, die er über die Versammlung ausgeübt, war bei ihm so tief eingewurzelt, daß er das, was sich zugetragen, nicht für wirklich zu halten schien. Trotz dem erlassenen Dekrete, trotz Thuriots Befehle blieben die beiden Robespierre, St. Just, Couthon und Lebas auf ihrer Bank. Durch das Geschrei des Unwillens, das die Versammlung erhob, wurden sie genötigt, vor die Schranke hinunterzusteigen. Die Gerichtsdiener führten sie aus dem Saale, und ihr Abgang wurde von wahnsinnigem Beifallsgeschrei begleitet.
Als mein Großvater und mein Vater um acht Uhr abends heimkehrten, fanden sie einen Befehl Fouquiers, der sie nach dem Justizpalaste berief. Sie begaben sich dorthin, und er befahl ihnen sowohl wie ihren Gehilfen, während der ganzen Nacht dort zu bleiben.
Fouquier-Tinvilles Witterung war sicher; er ahnte eine reiche Beute für den nächsten Tag; ob seine Freunde oder seine Feinde die Kosten davontragen würden, darum kümmerte sich dieser sonderbare Mensch am wenigsten.
Es kostete viel, daß diese Frage gerade in der Stunde entschieden wurde, wo der Ankläger des Revolutionsgerichts sein Beil schärfte.
Die verhafteten Repräsentanten waren eine Zeitlang in ein Kabinett des Sicherheitskomitees eingeschlossen gewesen; von da hatte man sie fortgeführt: den älteren Robespierre nach dem Luxembourg, Saint Just zu den Schotten, Couthon nach La Bourbe, Lebas nach dem Gerichtshause des Departements und den jüngeren Robespierre nach La Force.
In dem Augenblicke, als sie die Tuilerien verließen, wurden Henriot und sein Adjutant gebunden und geknebelt dorthin gebracht. Alle, ganz oder beinahe betrunken, hatten den Versuch gemacht, das Volk zum Aufstande zu bringen. Als sie Merlin de Thionville trafen, nahmen sie ihn fest; in dem Augenblick aber, als sie die Straße Saint Honoré herunterkamen, erschienen zwei Repräsentanten, Robin de l'Aude und Courtois, und befahlen den Gendarmen von der Eskorte im Namen des Konvents, sich ihres Anführers zu bemächtigen; diese, der magischen Kraft dieses Namens nachgebend, gehorchten, und der Degen der Robespierristen wurde gefangengenommen.
Seinerseits blieb der Gemeinderat nicht untätig; er proklamierte den Aufstand, schloß die Tore und schickte Emissäre in alle Sektionen, um sie um sich zu versammeln und auf den Konvent zu werfen. Auf seinen Befehl wurde der Generalmarsch geschlagen und vom Stadthause mit allen Glocken Sturm geläutet. Zu gleicher Zeit setzten sich auch die Jakobiner mit der Kommune in Verbindung. Ein Teil der Nationalgarde, die Kanoniere, erklärten sich zugunsten Robespierres und wendeten ihre Geschütze gegen die Tuilerien. Mit ihrer Hilfe dringt Coffinhal, der Robespierre sucht, in die Bureaus des Komitees, findet dort Henriot und befreit ihn. Dieser steigt zu Pferde und übernimmt wieder den Befehl über das Heer der Aufständischen.
Anstatt aber unmittelbar gegen die Versammlung zu marschieren, eilt er nach dem Stadthause, um sich mit Robespierre zu verständigen, den seine Parteigänger bereits entführt hatten; nicht aus dem Luxembourg, wo sie der Hausmeister nicht aufgenommen, sondern aus der Polizeiadministration, wohin seine Hüter ihn geführt hatten.
Die Unentschlossenheit Henriots bei diesem Umstande rettete den Konvent. Angesichts der ungeheuren Gefahr zeigten diese sonst so unentschlossenen und schüchternen Repräsentanten großen Mut und Tatkraft.
Collot d'Herbois hatte den Stuhl des Präsidenten inne, er zeigt dem Konvent an, daß bewaffnete Verräter sich des Komitees der öffentlichen Sicherheit bemächtigt hätten und daß jetzt der Augenblick gekommen sei, auf ihrem Posten zu sterben.
Das Publikum, welches die Tribüne besetzt hielt, begriff, daß der Saal des Konvents der Schauplatz eines Kampfes werden würde: es flieht in so bestürzter Eile, daß mehrere Personen verletzt werden. Die Repräsentanten bleiben allein.
Goupilleau, Elie Lacoste verkünden, daß die Kommune im Aufstande und Robespierre und Henriot befreit seien; sie fordern, daß man die Repräsentanten, die sich dem Dekrete widersetzten, den General und die rebellischen Munizipalen außer dem Gesetz erkläre. In dieser Gefahr und von allen verlassen, findet der noch vor wenigen Tagen so kleinmütige Konvent eine ruhige Haltung und eine heldenmütige Standhaftigkeit wieder. Nicht einer der Repräsentanten verließ den Posten, wo sie sich in Permanenz erklärt hatten; Elie Lacostes Antrag wurde einstimmig und mit lautem Beifall angenommen. Barras wurde zum Befehlshaber der bewaffneten Macht ernannt; man ordnete ihm sechs Kommissäre bei, welche sich in die Sektionen begeben und diese zur Hilfe des Konvents aufrufen sollten; denn indem der Konvent seinen General ernannte, wußte er noch nicht, ob er ihm einen Soldaten geben konnte.
Der Rest der Sektionen, welche darüber entscheiden sollten, wem Frankreich gehören würde, stand glücklicherweise nicht mehr auf Robespierres Seite. Die Emissäre der Gemeinden waren vor den Kommissären des Konvents bei ihnen eingetroffen; so revolutionär sie aber auch waren, so begriff doch die Mehrzahl die ernste Bedeutung der Handlung, die man von ihnen verlangte, und sie weigerten sich entschlossen, den Beamten des Bürgerrats Beistand zu leisten. Die Vorstädte Saint Marceau, Saint Antoine und Saint Martin allein schickten Mannschaften und Geschütz auf den Platz und in die Umgegend des Stadthauses; und aus einem Manuskript meines Vaters kann man ersehen, daß viele überrascht worden waren und nicht einmal wußten, daß sie einen Aufstand unterstützten. Die Sektionen der Arcis, der Gravilliers und der Lombarden erhoben sich im Gegenteil auf die Stimme von Leonard Bourdon und erklärten, sie seien bereit, für den Konvent zu sterben. Bourdon stellte sich an ihre Spitze und, die Gerichtsdiener der Versammlung vorauf, marschierte er nach dem Gemeindehause, um den Aufstand im Keime zu ersticken. Auf dem ganzen Wege der Kolonne lasen die Gerichtsdiener das Dekret vor, und die Allmacht des Wortes: »Außer dem Gesetz« brachte einen tiefen Eindruck auf die Massen hervor; sie öffneten ihre Reihen, ohne den geringsten Widerstand zu versuchen. Die entschiedenen Robespierristen erlagen selber dem Einfluß dieser schrecklichen Waffe. Die Kanoniere von Popincourt, welche ihre Geschütze zu einer Batterie auf dem Platze des Stadthauses vereinigt hatten, widerstanden ebensowenig wie die übrigen; sie bespannten ihre Geschütze und ließen Leonard Bourdon seine Leute auf dem Stadthause einquartieren und die Zitadelle, wo der Aufstand seinen Rat hielt, einschließen.
Seit neun Uhr abends taten Robespierre und seine Anhänger nichts weiter, als daß sie Rat hielten. Der Triumvir besaß die Verstellungskunst, die Geschicklichkeit und Zähigkeit eines Staatsmannes, er hatte aber weder die Schnelligkeit des Entschlusses noch die Kraft in der Ausführung, welche ihn vervollständigen. Daher schreibt sich seine Vorliebe für das System der Guillotine, welches mehr Beobachtung als Willenskraft, mehr Berechnung als Genie verlangt. Er hatte sich desselben bis zum 8. Thermidor mit so vielem Glück bedient, daß er es als die höchste Aufgabe der Politik betrachtete.
In einen höheren Kreis der Tätigkeit versetzt, zeigte er sich als ein gewöhnliches Parteihaupt ohne Ansehen, ohne Unternehmungsgeist, ohne Kühnheit. Robespierres Lobredner schreiben die Unentschlossenheit ihres Helden seiner übertriebenen Achtung vor dem Gesetze zu. Diese Auslegung könnte wahrscheinlich sein, wenn man den 31. Mai aus der Geschichte der Revolution striche, wenn man die Reden austilgte, die er bei dieser Gelegenheit hielt; bis dahin möchte es vernünftiger sein, anzunehmen, sein Benehmen in der Nacht des 10. Thermidor sei die notwendige Folge seiner Charaktereigenschaften gewesen.
Leonard Bourdon, den Degen zwischen den Zähnen, in jeder Hand eine Pistole, erzwingt sich den Eintritt in das Stadthaus, und seine Pfadfinder dringen bis in den Sitzungssaal. Die beiden Robespierre, Saint Just, Couthon, Lebas, Henriot, Payan, Coffinhal und Dumas befanden sich mit den Mitgliedern der Gemeinde in diesem Saal; drei der letzteren hatten sich zurückgezogen, über den Auftritt, der sich nach dem Eindringen der bewaffneten Macht zutrug, hat lange Zeit große Dunkelheit geschwebt; Barère schildert ihn in seinem Bericht vom 10. Thermidor wie folgt:
»Sobald die Pariser Sektionen sich im Gemeindehause zeigten, wurden die Schuldigen von Schrecken befallen; Lebas tötete sich mit einem Pistolenschuß; Couthon verletzte sich beim Fallen; Robespierre der Jüngere stürzte sich zum Fenster hinaus; der ältere Robespierre verwundete sich; Saint Just wurde ergriffen; Dumas, der das Leben mehr liebte, verbarg sich in einem Schlupfwinkel; Henriot entfloh durch die Gäßchen, welche das Gemeindehaus umgrenzten; er verbarg sich eine Zeitlang und richtete sich selbst, indem er sich zum Fenster hinausstürzte.«
Mit Recht hat sich die Geschichte mißtrauisch gezeigt und den offiziellen Bericht Barères nur als eine teilweise Erfindung angenommen, denn sie widerspricht auffällig der Erzählung, welche an demselben Morgen Leonard Bourdon dem Konvent machte. Er stellte einen Gendarmen namens Charles André Médal vor und verkündigte, daß dieser Gendarm mit eigener Hand zwei Verschwörer getötet habe, und ein wenig später bezeichnete er diese Verschwörer:
»Wir fanden den älteren Robespierre mit einem Messer bewaffnet, welches dieser brave Gendarm ihm entrissen hat; er traf auch Couthon, der ebenfalls mit einem Messer bewaffnet war.«
Toulongeon, ein ehemaliger Konstituant, der im Jahre 1812 schrieb, bestätigt, daß Robespierre einen Pistolenschuß erhielt, der ihm den Kinnbacken zerschmetterte.
Man hat also Grund, anzunehmen, daß ein Versuch zum Selbstmord seitens Robespierres nur vermutet wurde; Louis Blanc zeigt es deutlich in den Noten, welche dem siebenten Kapitel des zehnten Bandes seiner Geschichte der Revolution folgen.
Nach Louis Blanc wäre Médal lange vor Leonard Bourdon in den Beratungssaal der Gemeinde getreten; als er Robespierre erkannte, hätte er ihn mit einem Pistolenschuß verwundet; alle Anwesenden hätten die Flucht ergriffen, und mit einem Pistolenschuß hätte er die Schulter eines Mannes getroffen, welcher Couthon auf einer dunklen Treppe mit sich fortführte.
Dieser bündigen Darstellung des Herrn Louis Blanc werde ich eine Aussage beifügen, welche, so bescheiden sie auch sei, doch ihren Wert hat. Médal gehört zu jener Gendarmerie des Tribunals, welche durch ihren Dienst täglich mit meinem Vater in Berührung kam; er verließ das Korps mit dem Grade eines Offiziers; die Gründe seiner Beförderung aber waren für niemand ein Geheimnis, und zu der Zeit, als die zuverlässigsten Geschichtschreiber einen Versuch zum Selbstmorde seitens Robespierres annahmen, erzählte mir mein Vater schon von dem Pistolenschuß des Gendarmen Médal, von den Folgen, die derselbe für diesen gehabt, und von dem Zorne, den seine Beförderung unter seinen ehemaligen Kameraden, von denen die meisten wütende Robespierristen waren, hervorgerufen hatte. Wie dem auch sei, so war doch eine Viertelstunde nachdem Leonard Bourdon in das Gemeindehaus getreten, die Lage der Dinge beinahe ebenso, wie sie Barère geschildert hat.
Maximilian Robespierre lag schwer verwundet und mit Blut bedeckt am Boden; nachdem der jüngere Robespierre sich seine Schuhe ausgezogen hatte und eine Strecke den breiten Karnies des ersten Stockwerks am Stadthause entlang gegangen war, warf er sich auf die Spitzen der Bajonette hinab; Couthon, nur leicht gequetscht, wurde von seinen Freunden nach dem Kai getragen, dort aber von ihnen verlassen; Henriot war in keinem besseren Zustande als seine Mitschuldigen, er hatte sich nicht selber Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie Barère sich ausdrückte: von seiner Feigheit empört, hatte Coffinhal ihn zu einem Fenster, welches nach einem der inneren Höfe führte, hinausgestürzt, und er war auf einen Haufen Glasscherben gefallen; noch ganz betäubt von seinem Falle, hatte er sich in eine Gasse geschleppt, wo man ihn erst einige Stunden nachher auffand. Saint Just, Payan, Lescot, Fleuriot waren verhaftet.
Robespierre der Ältere wurde auf eine Tragbahre gelegt und in den Konvent getragen. Charlier, der den Präsidentenstuhl einnahm, kündigte ihn der Versammlung mit den Worten an:
»Der feige Robespierre ist da, ihr wollt doch nicht, daß er eintrete?«
»Nein! Nein!« rief man von allen Seiten.
Thuriot: »Den Leichnam eines mit allen Verbrechen behafteten Menschen in den Schoß des Konvents tragen, hieße, diesem schönen Tage allen Glanz, der ihm gebührt, rauben. Der Leichnam eines Tyrannen kann nur die Pest mit sich führen, der für ihn und seine Mitschuldigen passende Platz ist einzig der Platz der Revolution. Es ist nötig, daß die beiden Komitees Maßregeln ergreifen, daß das Schwert des Gesetzes ihn unverzüglich treffe.«
Der Konvent nimmt nun einstimmig den Antrag Thuriots an.
Robespierre wurde in einen der Säle des Komitees hinaufgetragen und auf einen Tisch gelegt; man gab ihm als Kopfkissen eine Kiste, welche Proviantproben enthielt; er blieb dort von drei bis acht Uhr morgens, den Spottreden derjenigen preisgegeben, welche vor drei Tagen noch vor ihm gezittert hatten.
Eine Broschüre, betitelt: »Letzte Augenblicke Robespierres und seiner Partei«, gibt interessante Einzelheiten über diese Szene:
»Er blieb beinahe eine Stunde lang in einem Zustande der Unbeweglichkeit, der fast vermuten ließ, er würde seinen Geist aufgeben. Endlich nach Verlauf einer Stunde fing er an, die Augen zu öffnen. Das Blut floß reichlich aus der Wunde, die er im linken unteren Kinnbacken erhalten hatte. Dieser Kinnbacken war zerbrochen und die Wange von einem Schuß durchdrungen. Seine Hand war blutig. Er war ohne Hut und ohne Halstuch. Er trug einen hellblauen Rock, eine Nankinghose und weiße baumwollene, auf die Fersen herabhängende Strümpfe. Gegen vier Uhr morgens bemerkte man, daß er in seinen Händen ein Säckchen aus weißem Leder hielt, auf welchem geschrieben stand:
›Dem großen Monarchen, Lecourt, königlichem Lieferanten und Lieferanten der königlichen Truppen, Straße Saint Honoré nahe bei der Straße des Poulies in Paris.‹
Und auf der Kehrseite des Säckchens:
›A. M. Archier.‹
Er bediente sich dieses Sackes, das geronnene Blut, welches aus seinem Munde kam, wegzunehmen. Die Bürger, welche ihn umringten, beobachteten alle seine Bewegungen. Einige von ihnen gaben ihm sogar, aus Mangel an Leinwand, weißes Papier, welches er zu demselben Zwecke verwendete, indem er sich nur der rechten Hand bediente und sich auf den linken Ellbogen stützte. Robespierre wurde zwei- oder dreimal von einigen Bürgern durch Schimpfworts beleidigt, besonders aber durch einen Kanonier aus seiner Heimat, der ihm als Soldat seine Treulosigkeit und Feigheit vorwarf. Gegen zehn Uhr morgens wurde ein Chirurg gerufen, der sich in dem Hofe des Nationalpalastes befand, um ihn zu verbinden; er gab ihm zur Vorsicht einen Schlüssel in den Mund. Er fand, daß der Kinnbacken zerschmettert war, zog ihm zwei oder drei Zähne aus, verband ihm die Wunde und ließ einen Napf mit Wasser neben ihn setzen. Robespierre bediente sich desselben von Zeit zu Zeit, nahm das Blut, das seinen Mund füllte, mit dem Stückchen Papier heraus, das er zu diesem Zwecke mit der rechten Hand allein mehrfach zusammenfaltete. Im Augenblicke, als man es am wenigsten vermutete, erhob er sich zum Sitzen, stützte sich auf die Arme, glitt plötzlich vom Tisch hinunter und lief nach einem Lehnstuhl. Sobald er saß, forderte er Wasser und weiße Leinwand. Als er wieder zu sich gekommen war, sah er alle, die ihn umringten, starr an, namentlich die Beamten vom Wohlfahrtskomitee, die er wiedererkannte. Er hob oft die Augen zur Decke empor; einige krampfhafte Bewegungen abgerechnet, zeigte er einen unerschütterlichen Gleichmut, selbst in dem Augenblicke, als seine Wunde verbunden wurde, was ihm die heftigsten Schmerzen verursachen mußte. Seine gewöhnliche gallichte Gesichtsfarbe war totenbleich.«
Nachdem man seine Wunde verbunden hatte, brachte man ihn in die Conciergerie, ebenso wie Saint Just, Dumas und Payan. Couthon und mehrere von der Gemeinde wurden dort um neun Uhr in die Listen eingeschrieben.
Gegen zehn Uhr abends hatte sich Fouquier in das Komitee begeben; er kehrte dorthin ein zweites Mal um drei Uhr morgens zurück. Um fünf Uhr ließ der Stellvertreter Liendon meinen Großvater rufen und befahl ihm, die Guillotine fortzubringen und auf dem Grèveplatze aufzurichten. Charles Henri Sanson befand sich noch nicht in dem Hofe des Palastes, als man ihn zurückrief und ihm befahl, noch nicht fortzugehen. Man schickte vor ihm eine Depesche an das Sicherheitskomitee, und die Antwort ließ nicht auf sich warten. Diese Antwort änderte die Instruktionen, welche Fouquier geholt hatte: der Grèveplatz, den man ursprünglich zum Schauplatz der Hinrichtung gewählt hatte, war aufgegeben worden, und zwar wegen des Hasses, den die benachbarten Sektionen gegen Robespierre hegten und wegen der Hilfe, die sie dem Konvent geleistet hatten: es war beschlossen, Robespierre sollte den Tod auf dem Revolutionsplatze erleiden. Da man über die Stimmung der Bewohner der Vorstadt Saint Antoine nicht im klaren war, so befahl man Charles Henri, die Wagen, welche das Schafott tragen sollten, den Rundweg bis Monceaux fahren zu lassen.
Gegen sechs Uhr abends brach er mit seinen Gehilfen auf; weder er noch sein Bruder konnten folglich der Ankunft Robespierres und der außer dem Gesetz erklärten Deputierten in der Conciergerie beiwohnen; nur die Schließer erfuhren einige nähere Umstände. In der Stadt herrschte eine ungeheure Aufregung.
Trotz der frühen Stunde war die ganze Bevölkerung in die Straßen und auf die öffentlichen Plätze hinabgekommen. Man erzählte und besprach die Ereignisse der Nacht.
Der Haß gegen dieses blutige Regiment war so allgemein und tief, daß bei diesen Volksverhandlungen niemand die Verteidigung des Tyrannen zu übernehmen wagte. Es war eine plötzliche Wendung eingetreten, und es schien, als hätte man niemals einen anderen gefürchtet, als denjenigen, auf den man doch noch unlängst seine Hoffnung zu setzen genötigt gewesen war. Der Zorn aller vermehrte sich in dem Maße, als man ihm allgemein seine Feigheit vorwarf. Man verknüpfte plötzlich die Schreckensregierung mit ihrem berüchtigten Apostel; man vergaß die bitteren Täuschungen, welche der Hinrichtung der Hébertisten und dem Feste des höchsten Wesens gefolgt waren; man vergaß, daß viel grausamere Terroristen, als Robespierre gewesen, noch an der Spitze der Regierung verblieben – so unmöglich schien es, daß das Revolutionstribunal und die Ausnahmegesetze, welche das Schafott in so fürchterlicher Weise speisten, die Triumvirn noch überleben könnten. – Man sah nur Leute, die sich Glück wünschten, die Hände drückten und umarmten; Freude und Hoffnung schimmerte auf allen Gesichtern. Die vorüberkommenden Ordonnanzen und Gendarmen wurden mit dem begeisterten Rufe: »Es lebe die Republik!« begrüßt; dieses Geschrei, welches sich wie ein Donner dahinzog, begleitete den Galopp ihrer Pferde: es war eine Trunkenheit, nicht die eines Sieges, sondern die Trunkenheit einer Auferstehung.
Der Konvent vom Thermidor hat sich die Ehre zugeeignet, den ersten Schritt außerhalb des Abgrundes getan zu haben; vielleicht wäre es gerecht, dieses Verdienst der öffentlichen Meinung zuzuschreiben, welche sich von der ersten Stunde so nachdrücklich kundgab, daß die Rückkehr zu jener traurigen Vergangenheit sehr schwer gewesen wäre. Das Schafott wurde abgebrochen und auf die Karren geladen. Während dieser Arbeit versammelte sich eine große Volksmenge auf dem Platz des umgestürzten Thrones. Trotz den robespierristischen Bestrebungen der Vorstadt zeigte diese Menge nicht die geringste feindliche Absicht gegen die Arbeiter. In dem Augenblick, als sich die Karren in Bewegung setzten, hörte man einige Stimmen rufen: »Glückliche Reise, und kommet nicht wieder!« Eine dichte Masse, worin sich junge Leute und Frauen in der Mehrzahl befanden, begleitete sie auf diesem letzten Wege bis auf den äußeren Boulevard und vermehrte sich noch durch eine große Menge Neugieriger, denen jene ihre Mutmaßungen über den Abbruch des Todeswerkzeuges mitteilten. Als man auf dem Revolutionsplatze ankam, war aus dieser Geleitschaft eine Armee geworden; in weniger als fünf Minuten war der ungeheure Raum so überschwemmt, daß es des Einschreitens der bewaffneten Macht bedurfte, um den Platz, wo das Schafott aufgestellt werden sollte, zu räumen. Es war zwei Uhr nachts, als man diese Arbeit beendigt hatte.
Mein Großvater und mein Vater waren mit ihren Gehilfen gegen Mitternacht in die Conciergerie zurückgekehrt. Die Aufregung in dem Gefängnis war nicht geringer als draußen, sie glich aber mehr dem starren Erstaunen als der Freude. Alle, die sich dort befanden, waren dem Tode so nahe, daß, als sie hörten, derjenige, in dessen Namen man sie opfern wollte, befände sich unter demselben Dache und in größerer Gefahr als sie selber, sie sich von einem Traum befangen glaubten, dem sie nicht trauen dürften. Wie ich schon oben sagte, war Robespierre zwischen 8 und 9 Uhr morgens in die Liste eingetragen worden; man brachte ihn in einen Kerker und legte ihn auf ein Bett, auf welchem Danton eine Nacht geschlafen hatte. Er ließ keine Klage, keinen Seufzer hören; seine Haltung war so, wie sie der Verfasser der letzten Augenblicke Robespierres und seiner Partei geschildert hat; er sprach nur zwei- oder dreimal, und seine Worte waren wegen seiner Wunde fast unverständlich. Man bot ihm Wasser und Leinwand; er verlangte nach einem Wundarzte. Er wurde darauf nach dem Hotel Dieu gebracht und zum zweiten Male verbunden. In die Conciergerie zurückgekehrt, versuchte er zu schlafen, seine Wunde hinderte ihn jedoch, Ruhe zu finden. Er erhob sich in sitzender Stellung und verlangte von seinem Kerkermeister Schreibmaterial; da bestimmte Anweisungen darüber erteilt worden, verweigerte man ihm dieselben. Die abschlägliche Antwort gab der Schließer in dem groben Tone, welcher solchen Leuten eigen ist. Robespierre entschlüpfte eine drohende, zornige Gebärde; gleich darauf aber gewann er wieder seine Teilnahmlosigkeit, schloß die Augen und versank in Nachdenken.
Der jüngere Robespierre befand sich in einem Kerker dicht neben seinem Bruder; glücklicher als dieser, gelang es ihm, einige Augenblicke zu schlummern. Couthon war in das Kabinett der wachthabenden Schließer gebracht worden; Saint Just befand sich in jener Zelle, welche man zum Andenken an die Septembermetzeleien den Nationalklotz nannte.
Das Tribunal war auf 10 Uhr berufen worden; es zeigte sich aber ein unerwartetes Hindernis. Ein Dekret verlangte, daß die Identität der Schuldigen, welche außer dem Gesetz erklärt waren, in Gegenwart zweier Munizipalbeamter festgestellt werde; da aber alle Mitglieder des Gemeinderats selber außer dem Gesetz erklärt waren, so war es unmöglich, dieser Formalität Genüge zu leisten. Fouquier begab sich zum drittenmal in den Konvent und schilderte die Schwierigkeit seiner Lage; die Versammlung schlug vor, man solle Departementsmitglieder an die Stelle der Munizipalbeamten berufen, und schickte den Bescheid den Komitees, welche mehrere Personen auswählten, um die Verurteilten anzuerkennen.
Um ein halb ein Uhr trat das Tribunal seine Sitzung an; Scellier führte den Vorsitz; Fouquier-Tinville saß auf seiner Bank, der Stellvertreter Liendon war Besitzender. Der ältere Robespierre wurde auf einer Tragbahre herbeigebracht; Robespierre der Jüngere wurde von zwei Gendarmen unterstützt; zwei andere Gendarmen trugen Couthon in einem Lehnstuhl. Nachdem die Identität festgestellt war, brachte man sie wieder nach der Conciergerie, und das Tribunal führte die Prozesse gegen die Vorgeführten in der Reihe, wie man sie verhaftet hatte oder aus den Gefängnissen, in welchen sie sich seit dem Morgen befanden, herbeischaffte.
Liendon hatte befohlen, die Verurteilten sollten, sowie sie von dem Gerichtshofe herabkämen, zugerüstet werden, so daß man sie bei der ersten Aufforderung zum Schafott führen könnte.
Gegen zwei Uhr trat Charles Henri Sanson mit seinem Bruder und zwei Gehilfen in den Kerker Robespierres. Er lag ausgestreckt, seine Augen hatte er auf das Fenster gerichtet, welches sich seinem Bette gegenüber befand und durch welches ein schwacher Sonnenschimmer eindrang. Er machte keine Bewegung, als er sie kommen hörte, und wendete nicht das Haupt. Mein Vater nötigte ihn, aufzustehen; sein noch lebhafter Blick schien zu fragen: »Weshalb?« – Ehe man ihm antwortete, richtete er sich sitzend auf, stützte seinen Kopf mit der rechten Hand und hielt den Nacken hin, wodurch er den Wunsch ausdrückte, das Bett nicht zu verlassen. Man bemerkte ihm, daß es in dieser Lage schwer sein würde, den Verband seiner Wunde nicht zu verschieben. Die beiden Gehilfen nahmen ihn in ihre Arme und setzten ihn auf einen Stuhl. Man nahm die breite Binde weg, welche den Kinnverband, der seinen zerbrochenen Kinnbacken zusammenhielt, unterstützte, und während mein Großoheim das Haar abschnitt, hielt Charles Henri Sanson, der vor Robespierre stand, den Verband nach den Schläfen hinauf fest. Als dies beendigt war, legte mein Großvater das Verbandzeug wieder an seine Stelle, und Robespierre machte ihm, ehe er nach seinem Bette ging, ein Zeichen mit dem Kopfe, welches auszudrücken schien: »Es ist gut!« oder vielleicht: »Ich danke.«
Saint Just ging in seiner Zelle auf und nieder, als die Scharfrichter eintraten. Er war ein wenig bleich, seine Augen hatten aber nichts von ihrem sicheren und stolzen Ausdrucke verloren. Er setzte sich nieder und ließ sich das Haar abschneiden, ohne ein Wort zu sprechen; als dies geschehen war, reichte er Charles Henri von selber die Hände dar; als dieser ihm sagte: »Noch nicht«, murmelte Saint Just: »Desto schlimmer!« Dies war das einzige Wort, das er sprach, und dies, ohne die Miene stolzer Gleichgültigkeit zu verändern, ohne die Ungeduld, welche in diesem Worte lag, in seinem Gesicht kundzugeben.
Couthon war der einzige der drei Triumvirn, der niedergeschlagen war; seine Niedergeschlagenheit entsprang aber eher aus Traurigkeit als aus Furcht. Dueray war während des Anzugs in sein Kabinett getreten, und gegen diesen äußerte er sich mit Bitterkeit über das Geschehene. Gegen Collot d'Herbois schien er am meisten erbittert.
Um vier Uhr hatte das Tribunal eine große Zahl der außer dem Gesetz erklärten Personen rekognosziert. Es entstand ein neuer Austausch von Botschaften zwischen dem Gerichtshöfe und dem Sicherheitskomitee in betreff der Verurteilten, die noch an demselben Tage hingerichtet werden sollten. Ihre Zahl belief sich auf einundzwanzig.
Es waren: Henriot, ehemaliger kommandierender General der bewaffneten Macht; Lavalette, ehemaliger Brigadegeneral bei der Nordarmee; Dumas, ehemaliger Vorsitzender des Revolutionstribunals; Payan, Nationalagent beim Gemeinderat; Vivier, Richter beim Tribunal und Präsident der Jakobiner; der Maire von Paris, Lescot Fleuriot; der Schuhmacher Simon, der schändliche Erzieher des Sohnes Ludwigs XVI. und Mitglied des Gemeinderats; außerdem zehn andere Munizipalbeamte. Henriot hatte in der Gasse, wo man ihn fand, einen Bajonettstich bekommen, durch welchen ihm ein Auge aus seiner Höhle gerissen wurde. Blutend, entstellt und mit Kot bedeckt, war er scheußlich anzusehen. Es konnte nichts Schrecklicheres geben, als sie die Treppe in der Conciergerie hinabsteigen zu sehen; zwei Sterbende und ein Kranker befanden sich an der Spitze, und der klägliche Zug wurde von einem Toten beschlossen. Gerechte, aber schreckliche Vergeltung des Schicksals: der Leichnam von Lebas folgte Robespierre, wie der Leichnam von Valazé den Girondisten gefolgt war.
Um halb fünf Uhr fuhren die Karren ab und bogen auf die Kais hinaus. Was ich von der Menge erzählt habe, welche die großen Toten begrüßte oder beschimpfte, kann keine Vorstellung geben von dem Volkszudrange, der sich am 10. Thermidor in den Straßen zeigte, durch welche die Verurteilten geführt wurden. Ganz Paris war dort, nicht weniger neugierig als damals, aber in größerer Aufregung, das Herz von verhaltener Trauer, von heimlich verschluckten Tränen geschwellt; zitternd vor Zorn, vor Haß, vor Rache, vor Reue, in den mannigfaltigsten, lange verhaltenen Empfindungen, die plötzlich überflossen wie ein Strom, dessen Dämme ein Sturm durchbrochen hat. Es war nicht mehr das Geschrei eines Fanatismus, der aufrichtig erscheinen wollte, sondern der Ausbruch der Gemüter, die sich von einer Angst befreit fühlten, mit welcher verglichen der Tod eine Wohltat war; es war das Geschrei der Verzweifelten, denen man Hoffnung wiedergab, der stumme Fluch, der plötzlich eine Stimme fand, es war die Menschlichkeit, die wieder festen Boden fühlte.
Alle Schriftsteller haben die näheren Umstände dieses Trauerzuges geschildert. Ich habe den Mitteilungen, welche sie geben, nur wenig hinzuzufügen. Das Drama trug sich mehr in der Umgebung der Scharfrichter als unter ihnen selber zu, mehr in den Straßen als auf den Karren. Robespierre, in dem Wagen sitzend (nicht stehend und mit Stricken befestigt, wie Michelet in seiner Geschichte der Revolution behauptet), auf einer dünnen Schicht Stroh, welche ein Gehilfe ihm untergelegt hatte, lehnte den Rücken gegen die Wagenleiter; sein Gesicht, noch mehr geschwollen als am Morgen, war auch bleicher. Das Geschrei und die heftigsten Schimpfworte fanden ihn unempfindlich; er hielt seine Augen fast immer geschlossen. Sein Bruder war beinahe der Empfindung beraubt. Couthon schien über die Äußerungen dieser Wut erstaunt; er blickte mit einer Art stummer Verwunderung um sich; als die Gendarmen ihn der Menge mit ihren Degenspitzen zeigten und die Verwünschungen sich unmittelbar gegen ihn lenkten, senkte er das Haupt, und in seinen großen, sanften, klugen Augen bemerkte man einen feuchten Schimmer, welcher Tränen ankündigte. Dumas antwortete auf eine beleidigende Anrede: »Es tut mir nur leid, daß ich nicht alle die Schurken, die uns jetzt beleidigen, habe guillotinieren lassen.« Couthon schüttelte auf diese Bemerkung zweifelnd das Haupt. Saint Just hielt es allein unter seiner Würde, sich dieser schrecklichen Kundgebung der öffentlichen Meinung bloßzustellen; er allein ertrug sie ohne Zorn, ohne Ärger, ohne Schwachheit. Vielleicht hielt ihn die Festigkeit seiner Überzeugung in diesem Sturm aufrecht; vielleicht verwendete der unerbittliche Fanatiker seine letzte Stunde dazu, die geheimnisvolle Tiefe der Zukunft zu ergründen, die Zwecke seiner Volksbeglückungstheorie, die sein Ideal gewesen war, weiter zu verfolgen. Nur ein einziges Mal stieg er von seiner Höhe herab, um den Ereignissen einige Teilnahme zu schenken. Eine Frau war herbeigekommen und warf Robespierre die Verurteilung ihrer Tochter vor. Bei dieser schluchzenden Stimme senkte Saint Just den Blick; er betrachtete sie mit einem Ausdruck, den man für Mitleid hätte halten können; als aber der Karren vorbei war, umschwebte ein bitteres Lächeln sein ehernes Gesicht, und man hörte ihn murmeln: »Ihre Tochter! sie würde sie wahrscheinlich für zwanzig Livres verkauft haben.«
Als man auf die Höhe von Assomption, dem Hause der Familie Duplay gegenüber, welches Robespierre als Wirt und Hausfreund bewohnt hatte, angekommen war, machten die Wagen halt. Das Volk schloß einen Kreis um die Karren und tanzte einen Ringtanz; ein Kind brachte einen Eimer voll Blut von einem der benachbarten Schlächter herbei, und man bestrich mittels eines Besens die Außenseite des Hauses damit. Vergebens befahl Charles Henri den Gendarmen, ihm einen Durchweg zu bahnen; vergebens berief er sich auf die Pflicht und Achtung, die man dem Unglück schuldig sei; die Gendarmen wendeten ihre Pferde um, mischten ihr Hohngeschrei mit dem der Wütenden und versetzten sie in noch größere Aufregung. Dies war jedenfalls ein klägliches Schauspiel, von welchem sich jedes edle Herz, welcher Parteimeinung es auch zugehörte, mit Unwillen abwendete. Wem kann man aber die Verantwortlichkeit dafür anders aufbürden als denjenigen, die zuerst diese schimpflichen Beleidigungen hervorgerufen und verlangt hatten, daß der Beifall einer schmachvollen Schar ihre Feinde bis jenseits des Grabes verfolge? Ein Jacques Roux konnte Ludwig XVI. antworten: »Ich bin hier, um dich zur Guillotine zu führen, und nicht, um deine Aufträge anzunehmen!«
Einem Gramont war es erlaubt, derjenigen, die er während ihrer letzten Lebensstunden beschützen sollte, einer Frau, einer Königin, einer Mutter eine feige Beleidigung entgegenzuschleudern! Die Kerkermeister, welche den unglücklichen Bailly noch vor seinem Märtyrertode gequält hatten, waren ohne Verweis davongekommen! Jedesmal, wenn ein Elender einer Majestät in das Antlitz spie, fand sich bei den Jakobinern, im Konvent oder in den Komitees ein Redner, der lächelte oder Bravo schrie, der den Patriotismus des Beleidigers rühmte, um Frankreich ein Beispiel zu geben! Man hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Herz des Volkes so zu stimmen, wie das Herz jenes römischen Kaisers, welcher verlangte, seine Opfer sollten das Sterben fühlen; man wünschte ihm den Ingrimm jenes anderen Kaisers, der den Wunsch aussprach, das römische Volk möchte nur einen Kopf haben, damit er ihn mit einem einzigen Streiche abschlagen könnte. Und es finden sich heute große Geschichtschreiber, die darüber erstaunen, daß dieser Samen Früchte getragen, daß jene Männer, jene Weiber, denen man den Glauben an Menschlichkeit, Gnade und Seelengröße geraubt hatte, sich nicht mitleidvoll zeigten, weil der Leidende an jenem Tage Robespierre hieß.
Diese schreckliche Station währte länger als fünf Minuten. Als Robespierre sich jener Wohnung gegenübersah, wo er schon vor langer Zeit die Tage seiner Größe erlebte, wo er vielleicht einige glückliche Stunden zubrachte, deren Erinnerung als letzte Planke im Schiffbruch vielleicht in seinen Gedanken vorherrschte, schloß er krampfhaft die Augen, die er beim Anhalten der Wagen geöffnet hatte, und während einiger Sekunden sah man seine Augenlider zittern, als wollten sie eine Träne zurückhalten oder weinen. Als die Karren sich wieder in Bewegung setzten, klammerte sich eine andere Frau, welche, nach ihrer Kleidung zu schließen, der Bürgerklasse angehörte, an den Wagen, so daß sie beinahe gerädert worden wäre, und rief:
»Steige zur Hölle, Verbrecher, beladen mit dem Fluch aller Gattinnen und Mütter!«
Robespierre schien sie nicht zu hören. Man riß sie mit Gewalt fort, denn sie wollte den Wagen nicht loslassen, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
Es war ein viertel auf sieben Uhr, als er auf dem Platze der Revolution anlangte. Die Verurteilten stiegen aus. Gobeau, ehemaliger Stellvertreter des öffentlichen Anklägers beim Kriminalgericht und Mitglied des Gemeinderats, wurde zuerst hingerichtet. Maximilian Robespierre blieb gegen den Karren gelehnt stehen und kehrte dem Schafott den Rücken zu. Sein Bruder wurde von Gendarmen unterstützt; wegen seiner Wunde konnte er sich nicht auf seinen Beinen halten. Man hatte Couthon einen Stuhl hingestellt, auf welchem er bereits saß. Als Saint Just an der Reihe war, hinaufzusteigen, umarmte er den Gelähmten, und bei Robespierre vorübergehend, sagte er nur die Worte:
»Lebe wohl!«
Seine Stimme verriet keine Aufregung. Jener antwortete ihm mit einem Kopfnicken, wendete sich um und folgte ihm mit den Augen, bis er auf dem Fallbrett lag. Robespierre war der zehnte der Hinzurichtenden; er stieg allein, ohne jede Hilfe, hinauf. Seine Haltung verriet weder Prahlerei noch Feigheit. Seine Augen, der einzige Teil seines Gesichts, welcher Leben verriet, waren kalt, aber ruhig. Charles Henri hatte einen seiner Gehilfen beauftragt, den Verband, der den Kopf des Patienten umgab, wegzunehmen; dieser tat, wie ihm befohlen war, und zog die Leinwand mit den Bändern fort. Der Schmerz war entsetzlich, so daß der Patient einen schrecklichen Schrei ausstieß. Der lose Kinnbacken hing herab, der Mund öffnete sich weit, und das Blut floß heraus. Man stieß ihn eilig auf das Brett, und nach kaum einer Minute fiel das Messer nieder. Das Haupt Robespierres wurde dem Volke gezeigt, wie es mit dem des Königs und Dantons geschehen war; die Menge begrüßte es mit wiederholtem Beifallssturm.