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Neunter Theil.

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1.

Während des Tages sah Consuelo vor ihrem Fenster eine seltsame Truppe vorbeiziehen, stämmige, breitschulterige, sonnverbrannte Leute mit langen Schnauzbärten, mit nackten Beinen und Bundschuhen welche den antiken Kothurnen ähnlich sahen, mit spitzigen Hüten au den Köpfen, vier Pistolen im Gürtel, Arme und Hals entblößt, lange albanesische Flinten in den Händen und große rothe Mäntel übergeworfen.

– Ist das ein Maskenaufzug? fragte Consuelo den Kanonikus, der bei ihr zu Besuch war; es ist aber doch nicht Carneval, so viel ich weiß.

– Sehen Sie diese Leute recht an, sagte der Kanonikus, denn wir werden sie nicht so bald wiedersehen, wenn es Gott gefällt, Maria Theresia bei der Regierung zu erhalten. Sehen Sie nur, mit welcher Neugierde das Volk sie betrachtet, obwohl auch mit einer Art Abscheu und Furcht! Wien sah diese Leute in den Tagen seiner Noth und seines Unglücks herbeieilen und empfing sie damals mit Freude; heut ist die Scham desto größer, solchem Gesindel die Rettung zu verdanken.

– Sind es jene Panduren, jene Unmenschen, von denen ich in Böhmen gehört habe, die so viel Unheil angerichtet? fragte Consuelo.

– Die nämlichen, antwortete der Kanonikus; es sind die Ueberreste jener Horden von croatischen Leibeigenen und Banditen, welche der berüchtigte Baron Franz von der Trenck (der Vetter Ihres Baron Friedrich) mit unglaublicher Kühnheit und Geschicklichkeit befreit oder sich dienstbar gemacht, kurz angeworben hat, um aus ihnen eine fast reguläre Truppe im Dienste der Kaiserin zu bilden. Sehen Sie dort, das ist er selbst, dieser furchtbare Kriegsheld, Trenck mit dem verbrannten Maul wie ihn unsere Soldaten nennen, der berüchtigte Parteigänger, der verschlagenste, unerschrockenste, unentbehrlichste von allen, die uns in den traurigen Kriegsjahren vönnöthen waren, gewiß der größte Prahlhans und der größte Mordbrenner seines Jahrhunderts, aber auch der tapferste, stärkste, kühnste, unternehmendste Mann, der verwegenste Waghals, den es in neuerer Zeit gegeben hat. Das ist er, der Pandur Trenck, mit seinen hungrigen Wölfen, mit seiner blutgierigen Rotte, deren wilder Hirt er ist.

Franz von der Trenck war von Wuchs noch größer als sein preußischer Vetter. Er maß beinah sechs Fuß. Sein scharlachrother Mantel, den am Halse eine Rubinagraffe festhielt, öffnete sich über der Brust und ließ eine ganze Sammlung von türkischen, mit Edelsteinen besetzten Waffen sehen, denen sein Gürtel zum Arsenal diente. Pistolen, Dolche, krumme Säbel, es fehlte nichts, was dazu dienen konnte, das Bild eines allzeit fertigen und gefährlichen Menschenschlächters zu vollenden. Die Zierrat an seiner Mütze stellte eine Art Sichel mit vier scharfen Klingen vor, welche auf seine Stirn herabhingen.

Sein Anblick war schrecklich. Die Explosion eines Pulverfasses hatte sein Gesicht entstellt und seinen Zügen vollends einen teuflischen Ausdruck gegeben Bei der Plünderung einer böhmischen Stadt war er in einen Keller hinuntergestiegen, in welchem sich Tonnen Goldes befinden sollten, und hatte sich mit einem Lichte einem der daselbst vorhandenen Fässer genähert: dieses war jedoch mit Schießpulver angefüllt. Von der Explosion stürzte ein Theil des Gewölbes ein, und er wurde halb todt, an vielen Stellen seines Körpers arg verbrannt, und mit tiefen, unvertilgbaren Wundenmahlen im Gesicht unter den Trümmern hervorgezogen.. »Man konnte ihn nicht anblicken ohne zu schaudern« sagen alle Memoiren jener Zeit

– Das also ist jenes Ungeheuer, jener Feind der Menschheit? sagte Consuelo, indem sie mit Abscheu die Augen abwandte. Böhmen wird an seinen Durchzug lange denken; Städte geplündert und verbrannt, Greise und Kinder erschlagen und verstümmelt, Frauen geschändet, das Land durch Contributionen erschöpft, die Ernten verwüstet, die Herden welche sie nicht wegtreiben konnten, vernichtet, überall Verheerung, Mord und Brand. Armes Böhmen! ewiger Sammelort aller Kriegesschrecken, Schauplatz aller blutigen Trauerspiele!

– Ja, armes Böhmen! Schlachtopfer aller rohen Wuthausbrüche, Wahlstatt aller wilden Kämpfe! setzte der Kanonikus hinzu. Franz von der Trenck hat in dir die Barbareien der Zeit Ziska's wieder aufgeweckt. Unbesiegt wie jener hat er, gleich ihm, nie Pardon gegeben, und der Schrecken seines Namens war so groß, daß sein Vortrupp Städte im Ueberfall nahm, wenn er selbst noch vier Meilen entfernt, sich mit dem Feinde herumschlug. Von ihm konnte man sagen wie von Attila, daß an der Stelle, die sein Pferd betreten, kein Gras mehr wuchs. Ihn werden die Mißhandelten bis in die vierte Generation verfluchen.

Franz von der Trenck verschwand in der Ferne, aber noch lange sahen Consuelo und der Kanonikus seine prächtigen, reich aufgezäumten Pferde von seinen riesigen croatischen Husaren an der Hand geführt vorüberziehen.

– Was Sie da sehen, ist nur ein schwaches Pröbchen von seinem Reichthum, sagte der Kanonikus. Maulthiere und Wagen mit Waffen, Gemälden, Diamanten, Gold- und Silberbarren beladen, bedecken unaufhörlich die Straßen, welche nach seinen Gütern in Slavonien führen. Er häuft dort Schätze auf, mit denen man drei Könige auslösen könnte. Er ißt von Goldgeschirr, das er dem Könige von Preußen in Sorau abgenommen hat, wo er beinah den König selbst gefangen genommen hätte. Die Einen sagen, er sei um eine Viertelstunde zu spät gekommen, die Anderen, er habe ihn wirklich in seinen Händen gehabt und ihm die Freiheit theuer verkauft Ich bin im Augenblicke außer Stande, nachzuforschen, ob diese ganz unrichtige Geschichte aus einer der Biographien Trencks oder sonst woher genommen ist. Ich weiß auch nicht, welche Thatsache ihr zum Grunde liegen mag; vielleicht der Vorfall bei Sorr (in der Nähe der Stadt Trautenau) während des 2ten schlesischen Krieges, am 30. Sept. 1745. Bei dieser Affaire (heißt es bei Preuß Bd. I. S. 214) »fiel des Königs Lager und Gepäck den österreichischen leichten Völkern unter Nadasky in die Hände; zu seinem Glücke: denn die Plünderung des Lagers hielt diesen Haufen so lange hin, daß er seine Bestimmung, den Preußen in den Rücken zu fallen, verfehlte. Friedrich freute sich überdies, daß der Feind keine große Vorstellung von seinem Hausrath bekommen werde.« – D. U..

Geduld! Trenck wird vielleicht nicht lange mehr seines Ruhmes und seiner Reichthümer genießen. Man sagt, er sei mit einem Criminalprozeß bedroht: die furchtbarsten Anschuldigungen sollen gegen ihn erhoben und die Kaiserin soll erzürnt auf ihn sein. Die Mannschaft seines Regiments, heißt es ferner, welche nicht bereits Urlaub nach ihrer Manier genommen, soll unter die Linienregimenter gesteckt werden und man will sie dann durch strenge Mannszucht zu bändigen suchen. Was ihn selbst betrifft, so denke ich mir die Ceremonien und Belohnungen, die bei Hofe seiner warten, nicht sehr sanft und angenehm.

– Indessen höre ich doch, daß diese Panduren zur Rettung Oesterreichs beigetragen haben.

– Allerdings! Von der türkischen Grenze bis an die Grenze Frankreichs haben sie alles in Schrecken gesetzt, haben die festesten Plätze genommen, die gewagtesten Treffen gewonnen. Immer die Vordersten im offenen Kampf an einem Brückenkopfe, in einer Bresche, kurz bei jeder Gelegenheit, haben sie unsere größten Generale zur Bewunderung und die Feinde zur Flucht gezwungen. Die Franzosen sind ihnen überall gewichen, und der große Friedrich, wird erzählt, habe vor ihrem Schlachtgeschrei gezittert wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Kein Fluß ist so reißend, kein Wald so undurchdringlich, kein Morast so tief, kein Fels so steil, kein Kugelregen so furchtbar, daß sie sich bei Tage oder bei der Nacht, in der besten oder in der strengsten Jahreszeit dadurch zurückschrecken ließen. Gewiß, sie haben der Krone Oesterreichs bessere Dienste geleistet als die verrostete Taktik aller unserer Generale und die Pfiffigkeit aller unserer Diplomaten.

– Nun, wenn das ist, so werden ihre Verbrechen ungestraft bleiben, und ihre Räubereien werden für geheiligt gelten.

– Im Gegentheil, man wird dieselben vielleicht nur zu hart strafen.

– Man wird doch nicht Leute wegwerfen wollen, die so große Dienste geleistet haben.

– Ich küß die Hand, sagte der Kanonikus mit spöttischem Tone; wenn man sie nicht mehr braucht ...

– Hat man ihnen nicht aber Erlaubniß gegeben zu allen den Excessen, welche sie auf Grund und Boden des Reichs oder der verbündeten Länder verübt haben?

– Freilich wohl! Erlaubniß zu allem, solange man sie nöthig hatte.

– Nun, und jetzt!

– Jetzt hat man sie nicht mehr nöthig, und man zieht sie wegen alles dessen, was man ihnen erlaubt hatte, zur Rechenschaft.

– Und der Edelmuth der Kaiserin ...!

– Sie haben Kirchen entweiht.

– Ich verstehe. Trenck ist verloren, Herr Kanonikus.

– St! man sagt sich das nur ins Ohr, entgegnete er.

– Hast du die Panduren gesehen? rief Joseph, der ganz außer Athem eintrat.

– Nicht mit Vergnügen, antwortete Consuelo.

– Nun, und du hast sie nicht wieder erkannt?

– Ich habe sie zum ersten Male gesehen.

– Nicht doch, Consuelo, diese Gesichter sind dir nicht zum ersten Male vor die Augen gekommen. Es sind uns ihrer schon im Böhmerwald begegnet.

– Nicht ein einziges, Gott sei Dank! so viel ich mich erinnere.

– Du hast also den Verschlag des Hirten vergessen, wo wir auf der Streu lagen und plötzlich zehn oder zwölf Männer bemerkten, die neben uns lagen?

Consuelo erinnerte sich des Abentheuers und der wilden Gesellen, welche sie ebenso wie Joseph für Schleichhändler gehalten hatte. Gemüthsbewegungen anderer Art, welche sie weder getheilt noch auch nur geahnt, hatten alle Umstände dieser stürmischen Nacht dem Gedächtnisse Josephs tief eingeprägt.

– Siehst du, sagte er zu ihr, diese vermeintlichen Contrebandierer, die unsere Anwesenheit nicht bemerkt hatten und sich vor Tagesanbruch mit Säcken und schweren Päcken davonmachten, sind Panduren gewesen; ich hab ihre Waffen, die Gesichter, die Bärte, die Mäntel wiedererkannt. Die Vorsehung hat uns, ohne daß wir es gewußt haben, aus der schrecklichsten Gefahr gerettet, die uns auf der Reise hat begegnen können.

– Ohne Zweifel, sagte der Kanonikus, dem Joseph alle Abentheuer dieser Reise erzählt hatte; diese braven Leute hatten sich selbst ihren Abschied gegeben, wie sie zu thun pflegen, sobald sie die Taschen voll haben, und suchten die Grenze zu gewinnen, und auf einem Umwege ihre Heimat zu erreichen, denn sie mögen nicht mit ihrer Beute durch das österreichische Gebiet ziehen, wo sie doch immer fürchten müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Glaubt aber nur, daß sie nicht mit heiler Haut heimgekommen sind. Sie bestehlen und ermorden sich unterwegs einander selbst, und nur der listigste und stärkste erreicht mit seiner und seiner Kameraden Beute seine Wälder und Höhlen.

 

Die Stunde der Vorstellung rückte heran und brachte der Porporina Trenck und seine Panduren aus dem Sinne. Sie hatte keine eigene Loge zum Ankleiden: Madame Tesi hatte ihr die ihrige bis jetzt geliehen. Aber diesesmal hatte Madame Tesi, die auf Consuelo wegen des Beifalls den diese erntete, erbittert, ja schon ihre geschworene Feindin war, den Schlüssel an sich genommen, und die Prima Donna des Abends gerieth in die größte Verlegenheit und wußte nicht, wo sie Zuflucht finden sollte.

Dergleichen kleine Verräthereien sind beim Theater sehr gewöhnlich. Sie erbittern und verwirren die Nebenbuhlerin, die man außer Fassung zu bringen und deren Kraft man zu lähmen wünscht. Sie muß Zeit damit verlieren, sich ein Ankleidezimmer zu verschaffen, sie ist voll Angst, keines zu finden. Die Zeit eilt. Ihre Kameraden sagen im Vorbeigehen: »Wie? Noch nicht angezogen? Es wird gleich angehen.« Endlich setzt sie es nach vielem Fragen und Hin- und Herlaufen, mit Zorn und Drohungen durch, daß ihr eine Loge aufgeschlossen wird, und sie findet nichts darin von allem was sie nöthig hat. Sind die Schneiderinnen gewonnen, so ist das Costüm nicht fertig oder sitzt schlecht. Die Ankleiderinnen sind zu aller Welt Befehl, nur nicht zudem des armen Opfers dieser Marter.

Es wird geklingelt. Der buttafuori Der Anmelder, eigentlich: Herausklopfer. schreit mit seiner gellenden Stimme durch die Corridore: Signore, Signori, si va comminciar »Meine Damen, meine Herrn! Es wird gleich angehen«., furchtbare Worte, welche die Debütantin in Todesangst vernimmt. Sie beeilt sich, sie zerbricht ihre Haken, sie zerreißt ihre Aermel, sie nimmt ihren Mantel verkehrt um, ihr Diadem sitzt so, daß es ihr bei dem ersten Schritte, den sie auf der Bühne thut, vom Kopfe fallen wird. Zitternd, wüthend, den Krampf in der Kehle, das Herz gebrochen, die Augen voll Thränen, soll sie mit einem englischen Lächeln auf dem Gesicht hervortreten, soll mit einer reinen, frischen, sicheren Stimme intoniren ... o, hinter jenen Blumenkronen, welche im Augenblicke des Triumphes auf die Bühne regnen, lauern tausend schmerzliche Dornen.

Zum Glücke begegnete Consuelo der Corilla, welche sie bei der Hand ergriff und sagte:

– Komm in meine Loge! Die Tesi hat sich geschmeichelt, dir denselben Streich zu spielen, den sie mir Anfangs spielte. Aber ich will dir aus der Noth helfen, und wäre es auch nur, um die Tesi wüthend zu machen! Es ist wenigstens Revanche! Wie du im Zuge bist, Porporina, laufe ich Gefahr; dich mir überall vorkommen zu sehen, wo ich das Unglück habe, mit dir zusammenzutreffen. O, und du wirst gewiß mein gutes Benehmen gegen dich vergessen, du wirst gewiß nur an das denken, was ich dir zu Leide gethan habe.

– Was Sie mir zu Leide gethan haben, Corilla, sagte Consuelo, in die Loge ihrer Nebenbuhlerin tretend, wo sie sogleich hinter einem Schirme ihre Toilette begann, während die Ankleiderinnen, welche Deutsche waren, zwischen den beiden Sängerinnen, die sich unbesorgt auf Venetianisch unterhalten konnten, ihre Dienste theilten; wahrlich ich weiß nicht, was Sie mir zu Leide gethan haben, ich erinnere mich dessen nicht.

– Der Beweis, daß du mir grollst, ist, daß du immer Sie sagst, als ob du eine Prinzessin wärest, als ob du mich verachtetest.

– Nun wohl! ich erinnere mich keines Leides, das du mir gethan hättest, entgegnete Consuelo, den Widerwillen überwindend, den sie fühlte, mit einer Frau, die ihr so wenig ähnlich war, vertraulich umzugehen.

– Ist es wahr, was du da sagst? fragte die Andere. Hast du den armen Zoto so ganz vergessen?

– Es stand mir frei, ich hatte das Recht, ihn zu vergessen, ich that es! antwortete Consuelo, während sie ihren Kothurn mit allem dem Gleichmuthe, mit aller der Gemüthsruhe befestigte, welche die Gewohnheit des Metiers bisweilen giebt, und sie machte einen brillanten Lauf, um ihre Stimme in Zug zu bringen.

Die Corilla antwortete aus dem nämlichen Grunde mit einem andern Lauf, brach ihn aber in der Mitte ab, um ihrer Ankleiderin zuzurufen:

– Eh, Mamsell, bei Blut von Teufel, Sie schnür zu fest. Denk Sie ankleiden eine Dock von Norimberg? Diese Deutschen, fuhr sie venetianisch fort, wissen gar nicht was Schultern sind. Sie würden Klötze aus uns machen, wie ihre alten Standeswitwen sind, wenn man nicht Einhalt thäte. Porporina, laß dich nur nicht einpacken bis an die Ohren, wie neulich; es war gar zu abgeschmackt.

– O, was das anlangt, meine Liebe, so geschieht es auf kaiserliche Ordre. Das wissen diese Damm schon, und ich mag mich nicht um solche Kleinigkeit widersetzen.

– Kleinigkeit? Die Schultern Kleinigkeit?

– Ich sage das nicht in Bezug auf dich, denn du hast die schönsten Formen, die man sich denken kann, ich aber ...

– Heuchlerin! sagte die Corilla mit einem Seufzer. Du bist zehn Jahre jünger als ich, und bald werden meine Schultern sich nur noch durch ihre Reputation behaupten.

– Heuchlerin du selbst! antwortete Consuelo, der diese Art Unterhaltung unsäglich zuwider war, und, um sich loszumachen, sang sie, während sie ihren Kopfputz in Ordnung brachte, ein Paar Scalen und Läufe.

– Hör' auf, rief plötzlich die Corilla, die sich nicht enthalten konnte, ihr zuzuhören; du bohrst mir tausend Messer in die Kehle  ... Ah! alle meine Amants wollt' ich dir mit Freuden abtreten, ich würde doch andere finden, aber deine Stimme und deine Methode, die werde ich dir nie streitig machen können. Hör' auf, denn es juckt mich in den Fingern, ich möchte dich erdrosseln.

Consuelo, welche wohl sah, daß die Corilla nur halb spaßte und unter ihren halb spöttischen Schmeicheleien einen wahren Schmerz versteckte, ließ es sich gesagt sein. Nach einem Augenblick aber fing die Corilla wieder an:

– Wie war der letzte Lauf?

– Willst du ihn haben? Ich trete ihn dir ab, sagte Consuelo, mit ihrer wunderbaren Gutmüthigkeit lachend. Wart, ich will ihn dir vormachen. Bring' ihn heut Abend irgendwo in deiner Rolle an, ich finde schon einen anderen.

– Ja, noch einen schöneren; ich werde nichts dabei gewinnen.

– Nun, wenn du willst, so mach ich gar keinen. Der Porpora legt ohnehin keinen Werth auf diese Dinge, und ich werde heut Abend einen Vorwurf weniger einzustecken haben. Da hast du den Lauf! Sie zog einen Streif Papier aus der Tasche, worauf eine Linie Noten geschrieben war, und reichte es über den Schirm der Corilla, die sich sogleich daran machte, den Lauf einzuüben. Consuelo half ihr, sang ihn ihr mehrmals vor, und sie lernte ihn zuletzt. Die Toiletten wurden während dessen immer fortgesetzt.

Ehe aber Consuelo ihr Kleid übergezogen hatte, schob die Corilla mit Ungestüm den Schirm bei Seite, stürzte auf sie zu und küßte sie zum Dank für die Abtretung ihres Laufs. Mit dieser Dankbarkeit war es jedoch nicht so ganz redlich gemeint: es mischte sich eine tückische Begierde hinein, die Taille ihrer Nebenbuhlerin im Corsett zu sehen, um vielleicht einen geheimen Fehler entdecken und ausschwatzen zu können.

Consuelo aber trug gar kein Corsett. Ihr Wuchs schlank wie ein Rosenstämmchen und ihre reinen edeln Formen bedurften keiner künstlichen Hülfe. Sie durchschaute die Absicht der Corilla und lächelte.

– Du magst nur meinen Körper untersuchen, dachte sie, magst mir ins Herz hinein schauen, du wirst nichts Falsches finden.

– Zingarella, sagte die Corilla, indem sie ohne es zu wollen ihre giftige Miene und den rauhen Ton ihrer Stimme annahm, also liebst du den Anzoleto gar nicht mehr?

– Gar nicht mehr! antwortete Consuelo lachend.

– Er aber, er hat dich doch sehr geliebt?

– Nichts weniger! antwortete Consuelo mit derselben Bestimmtheit und demselben offenen, wahren Ausdruck.

– Das hat er mir auch gesagt! rief die Corilla, indem sie ihre großen blauen, blitzenden Augen auf sie heftete, in der Hoffnung, eine bekümmerte Miene, einen Schatten von Schwermuth aufzufangen oder eine in dem Leben ihrer Nebenbuhlerin verharschte Wunde wieder aufzureißen.

Consuelo legte sich nicht darauf, andere Menschen zu durchschauen, vermochte es aber wohl, wie alle geraden Seelen, sonderlich im Kampfe gegen hinterlistiges Beginnen. Sie errieth die Absicht der Corilla und bekämpfte diese mit Ruhe. Sie liebte Anzoleto nicht mehr, die Qualen der Eigenliebe waren ihr fremd, sie gönnte der eiteln Nebenbuhlerin den Triumph, nach welchem diese lüstern war.

– Er sagte dir die Wahrheit, antwortete sie, er hat mich nicht geliebt.

– Und du, du hast ihn also auch nie geliebt? sagte die Andere mehr erstaunt über dieses Geständniß als durch dasselbe befriedigt.

Consuelo sah ein, daß sie nicht bei halber Offenheit stehen bleiben durfte. Corilla wollte nun einmal einen Triumph haben, Consuelo mußte ihr schon diese Freude verschaffen.

– Ich, entgegnete sie, ich habe ihn sehr geliebt.

– Und das gestehst du so? Du hast also gar kein Selbstgefühl, du armes Ding?

– Ich hatte Selbstgefühl genug, um mich von jener Liebe zu heilen.

– Das heißt, du hattest Philosophie genug, um dich mit einem Andern zu entschädigen. Sage mir, mit wem, Porporina! Mit diesem armen Haydn doch unmöglich, der nicht den rothen Heller hat?

– Das wäre kein Grund. Aber ich habe mich mit Niemandem entschädigt in der Weise, welche du im Sinne hast.

– Ja so! ich weiß! Ich dachte nicht daran, daß du dir den Anstrich giebst ... wenigstens sage das hier nicht so, du machst dich nur lächerlich.

– Ich sage es auch nicht, wenn man mich nicht danach frägt, und ich lasse mich nicht von Jedem fragen. Dies ist eine Freiheit, die ich dir verstattet habe, Corilla. Du wirst daher auch keinen Mißbrauch von dem, was ich dir sage, machen, wofern du nicht meine Feindin bist.

– O Maske! rief die Corilla. Kluge Schlange, wie unschuldig du dich auch anstellst. So klug, daß ich wahrhaftig auf dem Punkt bin, steif und fest daran zu glauben, daß du noch so rein bist wie ich in meinem zwölften Jahre war. Oh, bist du geschickt Zingarella! du wirst den Männern alles weiß machen, was du willst.

– Ich werde ihnen gar nichts weiß machen, denn ich werde Ihnen gar nicht erlauben, sich so tief in meine Angelegenheiten zu mischen, daß sie mich zu fragen hätten.

– Das ist fürwahr das Klügste, was man thun kann. Sie machen stets Mißbrauch von unsern Bekenntnissen; kaum haben sie sie uns entrissen, so demüthigen sie uns mit ihren Vorwürfen. Ich sehe, wie du den Handel verstehst. Ja du hast Recht, daß du ihnen keine Leidenschaft einflößen willst. Du wirst dir so die Verlegenheiten, die Stürme ersparen, wirst deine Freiheit haben, ohne daß du Einen zu betrügen brauchst, das kann ich mir wohl denken. Mit offenem Visier gewinnt man mehr Liebhaber, macht man leichter fortune. Aber es gehört mehr Muth dazu, als ich besitze. Du mußt ja an Keinem Gefallen finden, mußt dir nichts daraus machen, geliebt zu werden. Denn diese gefährlichen Genüsse der Liebe erkaufst man nicht anders als mit Hinterlist und mit Lügen.

Ich bewundere dich, Zingarella! Ja, Hochachtung flößest du mir ein, du, so jung und trägst es über die Liebe davon! denn das Allerverderblichste für unsere Ruhe, für unsere Stimme, für die Dauer unserer Schönheit, für unser Vermögen, für unseren Succeß ist die Liebe, nicht wahr? Ach, gewiß! ich weiß es aus Erfahrung. Wenn ich es vermocht hätte, mich immer auf die kalte Galanterie zu beschränken, so hätte ich nicht so viel gelitten, so hätte ich nicht zwanzig tausend Zechinen und zwei Töne von meiner Höhe verloren.

Aber siehst du, ich demüthige mich vor dir, ich bin ein armes Geschöpf, ich bin zum Unglück bestimmt. Immer wenn meine Sachen mitten im besten Gange waren, habe ich irgend eine Dummheit gemacht, die alles verdarb, habe ich mich von irgend einer verrückten Leidenschaft für den ersten besten armen Teufel hinreißen lassen, und gute Nacht Glück! Es war eine Zeit, wo ich Zustiniani hätte heiraten können, ja, ich hätte es gekonnt, er betete mich an; ich konnte ihn aber nicht ausstehen. Ich konnte über sein Schicksal gebieten. Dieser jämmerliche Anzoleto gefiel mir ... hin war meine Position!

Nun aber, du wirst mir rathen, du wirst meine Freundin sein, nicht? Du wirst mich vor den Schwachheiten des Herzens und vor meinen tollen Streichen hüten. Sieh, zum Beispiel ... ich will dir nur gestehen, daß ich seit acht Tagen eine Inclination habe für einen Mann, mit dessen Geltung es merkwürdig bergab geht, und der mir vielleicht in Kurzem bei Hofe eher wird gefährlich als nützlich sein; es ist ein Mann, der jetzt Millionen hat, aber er könnte ruinirt sein im Handumdrehen. Ja, ich will mich von ihm lossagen, ehe er mich mit in den Abgrund reißt ...

O weh! der Teufel will mich Lügen strafen. Denn eben jetzt kommt er; ich höre ihn und ich fühle, wie die Eifersucht mir die Glut ins Gesicht treibt. Schließe deine spanische Wand dicht, Porporina, und rühre dich nicht! Ich will nicht, daß er dich sehe.

Consuelo beeilte sich, den Schirm sorgfältig zu schließen. Es bedurfte dieser Weisung nicht, sie trug nichts weniger als Verlangen, von den Liebhabern der Corilla bemerkt zu werden.Eine ziemlich klangvolle und reine, obwohl nicht frische Mannsstimme ließ sich trällernd auf dem Corridor vernehmen. Es wurde der Form wegen angeklopft, dann aber, ohne Antwort zu erwarten, eingetreten.

– Schreckliches Metier! dachte Consuelo. Nein, der Rausch des Spielens wird mich nicht bethören. Das Innere der Kulissen ist zu sehr voll Unflat.

Sie hielt sich in ihrem Winkel versteckt, voll Scham, sich in solcher Gesellschaft zu sehen, voll Zorn und Schreck über die Art, wie die Corilla sie verstanden hatte, und zum ersten Male hineinblickend in diesen Abgrund von Verderbtheit, von welchem sie bis dahin noch keine Vorstellung gehabt hatte.

2.

Während sie in stäter Furcht überrascht zu werden, ihre Toilette beeilte, hörte sie das folgende Gespräch, welches italienisch geführt wurde:

– Was wollen Sie hier? Ich habe Ihnen verboten, in meine Loge zu kommen. Die Kaiserin hat uns bei den strengsten Strafen untersagt, andere Männer hier zu sehen als unsere Mitschauspieler, und auch diese nur im dringendsten Nothfall. Sehen Sie, in was für Gefahr Sie mich bringen. Ich begreife nicht, daß die Logenpolizei so schlecht gehandhabt wird.

– Es giebt keine Polizei für Leute, die gut bezahlen, meine Allerschönste! Nur die Lumpe finden Widerstand oder Verzögerung auf ihrem Wege. Was da, bewillkommnen Sie mich besser als so, oder, beim Leib des Teufels, ich komme nicht wieder.

– Sie könnten mir kein größeres Vergnügen machen. Gehen Sie nur gleich. Nun, warum gehen Sie nicht?

– Du siehst aus, als ob es dir mit dem Verlangen so sehr Ernst wäre, daß ich bleibe, blos um dich wüthend zu machen.

– Ich sage Ihnen, daß ich den Regisseur werde rufen lassen, um Sie hier fort zu schaffen.

– Mag er kommen, wenn er sein Leben satt hat, ich habe nichts dawider.

– Aber sind Sie denn toll? Ich sage Ihnen, daß Sie mich blosstellen, daß Sie mir eine Uebertretung des auf Befehl Ihrer Majestät kürzlich eingeführten Reglements auf den Hals laden, daß Sie mich der Gefahr aussehen, in Buße genommen oder gar weggejagt zu werden.

– Buße? die Buße werde ich deinem Director in Stockschlägen aufzählen. Weggejagt werden? Nun, das wäre mir lieb; ich nehme dich mit auf meine Güter, und wir führen da ein lustiges Leben.

– Ich, mit einem brutalen Menschen gehen, wie Sie sind? Nimmermehr! Kommen Sie, wir wollen mit einander fort, da Sie so eigensinnig sind, und mich nicht allein lassen wollen.

– Allein? So? Allein, meine Theuerste? Das will ich doch erst untersuchen, ehe ich gehe. Da steht eine spanische Wand, die viel Raum wegnimmt in diesem Loche. Ich denke mir, wenn ich sie mit einem tüchtigen Fußtritt zurückstieße bis an die Mauer, so würde ich Ihnen einen Dienst erweisen.

– Halt, mein Herr! was wollen Sie machen? Es kleidet sich da eine Dame an. Wollen Sie eine Frau tödten oder beschädigen, Straßenräuber, der Sie sind?

– Eine Frau? Ah so, das ist etwas Anderes, aber ich will doch sehen, ob sie keinen Degen an der Seite trägt.

Der Schirm fing sich zu bewegen an. Consuelo, die ihre Toilette beendet hatte, warf ihren Mantel auf die Schultern, und während der erste Flügel des Schirmes geöffnet wurde, suchte sie den letzten Flügel aufzustoßen, um durch die Thür, welche nur zwei Schritte entfernt war, zu entkommen.

Aber die Corilla, welche ihre Absicht merkte, trat ihr in den Weg und sagte:

– Bleib da, Porporina, wenn er dich nicht fände, so würde er im Stande sein zu glauben, daß es ein Mann ist, welcher entflieht, und würde mich umbringen.

Consuelo erschrak und war bereit, sich zu zeigen, aber die Corilla, welche sich zwischen ihr und dem Anderen an den Schirm festklammerte, ließ es noch nicht zu. Vielleicht hoffte sie, wenn es ihr gelänge, seine Eifersucht zu erregen, ihn in eine solche Leidenschaft zu versetzen, daß er auf die Anmuth ihrer Nebenbuhlerin nicht Acht haben würde.

– Wenn es eine Dame ist, welche sich hier befindet, sagte er lachend, so soll sie mir antworten. Madame, sind Sie angekleidet? Kann man Ihnen seine Huldigung darbringen?

– Mein Herr! antwortete Consuelo, auf ein Zeichen der Corilla, haben Sie die Güte, Ihre Huldigung einer Andern aufzusparen und erlassen Sie sie mir. Ich bin nicht sichtbar.

– Das heißt, es ist der günstigste Augenblick Sie zu sehen, entgegnete der Liebhaber der Corilla, indem er Miene machte, den Schirm bei Seite zu werfen.

– Nehmen Sie sich in Acht! sagte die Corilla mit gezwungenem Lachen. Sie könnten statt einer Schäferin im Déshabillé eine ehrbare Matrone finden.

– Alle Teufel ... Aber nein! ihre frische Stimme verräth ein Alter von höchstens zwanzig Jahren, und wenn sie nicht hübsch wäre, so würdest du sie mich schon haben sehen lassen.

Der Schirm war sehr hoch, und ungeachtet seines riesigen Wuchses konnte Corilla's Liebhaber nicht hinübersehen, wenn er nicht die Sachen der Corilla, die auf allen Stühlen umherlagen, auf den Boden werfen wollte. Außerdem fing ihn das Spiel zu belustigen an, seitdem er nicht mehr daran dachte, sich über die Anwesenheit eines Mannes zu beunruhigen.

– Madame, rief er, wenn Sie alt und häßlich sind, so schweigen Sie still, und ich werde Ihr Asyl respectiren, aber, alle Wetter! wenn Sie jung und schön sind, so lassen Sie sich von der Corilla nicht verleumden; sagen Sie ein Wort, und ich forcire den Paß.

Consuelo antwortete nicht.

– Ho! rief der Neugierige, nachdem er einen Augenblick gewartet, ich lasse mich doch nicht zum Besten haben; bei meiner Ehre! Wenn Sie alt und mißgestaltet wären, gewiß, dann würden Sie sich nicht so ruhig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie müssen ein Engel von Schönheit sein, daß Sie so meiner Zweifel spotten. Auf alle Fälle muß ich Sie sehen, denn entweder sind Sie ein Wunder von Schönheit, fähig der schönen Corilla selbst Besorgniß einzuflößen, oder Sie sind eine Person von so vielem Geist, daß Sie kein Bedenken tragen, Ihre Häßlichkeit einzugestehen, und fürwahr, ich würde mich freuen zum ersten Male in meinem Leben eine Häßliche zu sehen, die sich nicht für schön hält.

Er ergriff Corilla's Arm nur mit zwei Fingern und bog ihn wie einen Strohhalm. Sie schrie laut auf und gab vor, er habe ihn ihr zerquetscht und zerbrochen. Er achtete nicht darauf, schlug den Flügel des Schirms zurück und zeigte Consuelo das furchtbare Gesicht des Barons Franz von der Trenck. Statt seines wilden Feldanzuges trug er ein überaus reiches und geschmackvolles Civilkleid, aber sein riesiger Wuchs und die großen, röthlich schwarzen Flecke, welche sein gebräuntes Gesicht bedeckten, machten es unmöglich, den unerschrockenen, unbarmherzigen Pandurenchef einen Augenblick zu verkennen.

Consuelo konnte einen Schrei des Schreckens nicht zurückhalten und sank erbleichend auf ihren Stuhl nieder.

– Fürchten Sie sich nicht vor mir, Madame, sagte der Baron, indem er ein Knie beugte, und verzeihen Sie mir eine Kühnheit, die ich, indem ich Sie anblicke, unmöglich so bereuen kann, wie ich sollte. Lassen Sie mich aber glauben, daß Sie es mir aus Mitleid (weil Sie wußten, daß ich Sie nicht würde sehen können, ohne Sie anzubeten) verweigerten, sich zu zeigen. Machen Sie mir nicht den Kummer, glauben zu müssen, daß Sie sich vor mir fürchten. Ich bin häßlich genug, das gebe ich zu. Wenn aber auch der Krieg aus einem ziemlich hübschen Burschen eine Art Ungeheuer gemacht hat, so sein Sie doch versichert, daß er mich deswegen nicht schlechter gemacht hat.

– Schlechter? Das ist vermuthlich unmöglich gewesen! antwortete Consuelo ihm den Rücken kehrend.

– Hola! antwortete der Baron. Sie sind ein gar scheues Kind; Ihre Amme wird mich Ihnen wohl als einen Vampyr ausgemalt haben, wie die alten Weiber hier zu Lande nicht zu thun verfehlen. Aber die jungen lassen mir bessere Gerechtigkeit widerfahren; sie wissen, daß ich zwar ein wenig derb zugreife, wenn ich es mit den Feinden des Vaterlandes zu thun habe, daß ich aber sehr leicht zu zähmen bin, wenn sie sich diese Mühe geben wollen.

Und sich gegen den Spiegel vorbeugend, in welchem Consuelo sich zum Schein betrachtete, sah er sie mit jenem zugleich wollüstigen und wilden Blicke an, mit dessen rohsinnlichem Zauber er die Corilla bestrickt hatte. Consuelo sah, daß sie ihn nicht los werden würde, wenn sie ihn nicht erzürnte.

– Herr Baron, sagte sie zu ihm, nicht Furcht flößen Sie mir ein, nur Ekel und Abscheu. Sie sind ein Freund vom Tödten, und ich, ich fürchte mich nicht vor dem Tode, aber ich hasse die blutgierigen Seelen und die Ihrige kenne ich. Ich komme aus Böhmen, dort habe ich die Spuren Ihres Schaltens gefunden.

Der Baron wechselte die Miene, und sagte die Achseln zuckend und sich zur Corilla wendend:

– Was für ein Teufelsweib ist denn das? Die Baronin von Lestock, die bei einem Rencontre eine Pistole mit fester Hand auf mich abdrückte, war nicht enragirter gegen mich! Sollte ich vielleicht zufällig ihren Gallan über den Haufen geritten haben? Getrost, meine Schöne, beruhigen Sie sich! Ich wollte mit Ihnen scherzen. Aber wenn Sie böser Laune sind, so empfehle ich mich Ihnen. Ja, ich habe das verdient, weil ich mich einen Augenblick von meiner göttlichen Corilla abziehen ließ.

– Ihre göttliche Corilla, antwortete diese, fragt sehr wenig danach und bittet Sie, sich zu entfernen. Denn der Director wird den Augenblick seinen Umgang halten, und wenn Sie nicht einen öffentlichen Scandal machen wollen ...

– Ich gehe, sagte der Baron, ich will dich nicht ärgern, ich will dich nicht zum Weinen und das Publicum nicht um die Frische deiner süßen Töne bringen. Ich erwarte dich nach der Vorstellung mit meinem Wagen am Ausgange des Theaters. Einverstanden?

Er umarmte sie ohne Umstände in Consuelo's Gegenwart und entfernte sich.

Augenblicklich fiel die Corilla ihrer Gefährtin um den Hals, und dankte ihr dafür, daß sie die Fadheiten des Barons so gut abgefertigt hatte. Consuelo wandte sich ab: die schöne Corilla, von dem Kusse dieses Mannes besudelt, erregte ihr fast nicht geringeren Ekel als er selbst.

– Wie können Sie wegen eines so widrigen Menschen eifersüchtig sein? sagte sie zu ihr.

– Zingarella, das verstehst du nicht, antwortete die Corilla lachend. Der Baron gefällt Frauen die höher stehen und so zu sagen mehr werth sind als wir. Sein Wuchs ist prächtig und sein Gesicht, wenn auch durch Narben entstellt, hat einen Reiz, dem du nicht widerstehen würdest, wenn er sich darauf setzte, sich von dir schön finden zu lassen.

– O Corilla, nicht sein Gesicht stößt mich am meisten zurück. Seine Seele ist noch weit häßlicher. Du weißt wohl nicht, daß er das Herz eines Tigers hat?

– Und gerade das hat mir den Kopf verrückt. Die Fadheiten aller der weibischen Herrchen anzuhören, die um uns girren, das ist mir eine rechte Kunst! Nein, aber einen Tiger zu zähmen, einen Löwen aus der Wüste zu bändigen, am Schnürchen zu führen, Den seufzen, weinen, brüllen, zittern zu machen, dessen Blick ganze Armeen in die Flucht jagt, der mit Einem Säbelhiebe den Kopf eines Bullen herunterschlägt wie einen Mohnkopf, das ist ein glühenderes Vergnügen als alle die ich noch geschmeckt habe. Anzoleto hatte auch ein wenig davon, ich habe ihn wegen seiner Schlechtigkeit geliebt, aber der Baron ist ärger. Anzoleto war im Stande, seine Maitresse zu schlagen, der Baron ist im Stande sie zu tödten. O, ich liebe ihn nur desto mehr.

– Arme Corilla! sagte Consuelo, indem sie einen Blick des tiefsten Mitleids auf sie fallen ließ.

– Du bedauerst mich wegen dieser Liebe, und du hast Recht, aber noch mehr würdest du Recht haben, wenn du mich darum beneidetest. Es ist mir immer lieber, daß du mich bedauerst als daß du mir in den Weg trittst.

– Sei unbesorgt! sagte Consuelo.

Signora, si va comminciar! rief der Anmelder an der Thür.

Anfangen! rief eine Stentorstimme im obern Stock, wo sich die Säle der Choristen befanden.

Anfangen! rief eine dumpfe Grabesstimme unten am Fuße der Treppe welche auf den Hinterraum der Bühne hinabführte, und die letzten Silben die wie ein abnehmendes Echo von Coulisse zu Coulisse gingen, gelangten ersterbend zudem Souffleur, der sie, dreimal auf das Podium klopfend, dem Dirigenten des Orchesters überlieferte.

Der Dirigent klopfte nun seinerseits mit seinem Geigenbogen auf das Notenpult, und nach diesem Augenblick der Sammlung und des Herzklopfens, welcher dem Eintritte der Ouvertüre vorangeht, nahm die Symphonie ihren Lauf und machte Stille in den Logen und im Parterre.

Sogleich im ersten Acte der Zenobia erreichte Consuelo jene vollständige, unwiderstehliche Wirkung, welche ihr Haydn Tages zuvor prophezeiht hatte. Auch die größten Talente sind in der Handlung nicht jedesmal eines unfehlbaren Triumphes gewiß; selbst angenommen daß in ihren Kräften nicht ein augenblickliches Wanken eintrete, so geben ihnen doch nicht alle Rollen, alle Situationen zur Entwicklung ihrer glänzendsten Fähigkeiten Gelegenheit.

Consuelo hatte zum ersten Male eine Rolle und Situationen gefunden, in denen sie sich selbst spielen, sich in ihrer Unschuld, in ihrer Kraft, in ihrer Zärtlichkeit und Lauterkeit offenbaren konnte, ohne eine künstliche Anstrengung zu machen, ohne sich mit Mühe in ein fremdes Wesen zu versetzen. Sie bedurfte dieser entsetzlichen Arbeit nicht, sie konnte sich der Begeistrung des Augenblickes anvertrauen, sich von einem Pathos, einer Fülle des Gefühles hinreißen lassen, welches sie sich nicht die Zeit genommen hatte zu studiren, sondern wie elektrische Funken aufnahm, die aus der Seelenstimmung einer mitfühlenden Versammlung in sie überströmten.

Sie fand darin ein unbeschreibliches Vergnügen; und wie sie es in minderem Grade bei der Probe empfunden, wie sie es gegen Joseph aufrichtig ausgesprochen hatte, nicht der vom Publicum ihr zuerkannte Triumph berauschte sie mit Lust, vielmehr das Glück, zu fühlen, daß es ihr gelang sich kund zu geben, sich zu offenbaren, die innere Siegsgewißheit, das Bewußtsein, einen Augenblick des Ideals in ihrer Kunst erreicht zu haben.

Sie hatte sich bis jetzt stets mit Unruhe befragt, ob sie nicht aus ihren Mitteln und aus ihrer Rolle größeren Vortheil hätte ziehen können. Dieses Mal fühlte sie, daß sie ihre ganze Kraft an den Tag gelegt hatte, und, fast taub für das Geschrei der Menge, gab sie sich selber in der Tiefe ihres Herzens Beifall.

Nach dem ersten Akte blieb sie in der Coulisse, um das Zwischenspiel zu hören, worin die Corilla allerliebst war, und um diese durch aufrichtiges Lob noch mehr aufzumuntern. Aber nach dem zweiten Akte fühlte sie das Bedürfniß, einen Augenblick zu ruhen und ging in ihre Loge hinauf. Der Porpora, der anderwärts beschäftigt war, begleitete sie nicht; und Joseph, der in Folge geheimer Einwirkung der kaiserlichen Protection, plötzlich aufgefordert worden war, bei der Violin im Orchester mitzuspielen, blieb, wie man denken kann, auf seinem Posten.

Consuelo trat in die Loge der Corilla, zu welcher diese ihr den Schlüssel gegeben hatte, trank ein Glas Wasser und warf sich einen Augenblick auf das Sopha. Aber plötzlich fiel ihr der Pandur Trenck ein; sie schrak zusammen und eilte zur Thür, welche sie doppelt verschloß. Indessen war es nicht zu vermuthen, daß er sie beunruhigen würde. Er hatte sich beim Aufgehen des Vorhangs in den Saal begeben und Consuelo hatte ihn dort auf einer Gallerie in der Mitte seiner eifrigsten Bewunderer gesehen. Er war ein leidenschaftlicher Musikfreund, war in Italien geboren und erzogen, sprach das Italienische so wohlklingend wie ein ächter Italiener, sang angenehm und hätte, wie seine Biographen behaupten »wenn ihm nicht seine Geburt andere Mittel gewährt hätte, auf dem Theater sein Glück machen können.«

Aber welches Entsetzen bemächtigte sich Consuelo's, als sie, nach ihrem Sopha zurückkehrend, den unseligen Schirm sich bewegen, sich öffnen und den verwünschten Panduren hervortreten sah.

Sie sprang zur Thür, aber Trenck war eher dort als sie, und sich mit dem Rücken vor das Schloß stellend, sagte er zu ihr mit einem grauenhaften Lächeln:

– Ein wenig Ruhe, meine Charmante! Da Sie diese Loge mit der Corilla theilen, müssen Sie sich schon daran gewöhnen, den Liebhaber dieser Schönen darin zu finden, und Sie konnten sich leicht denken, daß er einen zweiten Schlüssel in der Tasche haben würde. Sie haben sich in die Höhle des Löwen gestürzt. Oha! denken Sie nicht daran, zu schreien! Es würde Niemand kommen. Man kennt Trencks Geistesgegenwart und seine Faust, man weiß, wie wenig er sich daraus macht, irgend einem Tropfe das Lebenslicht auszublasen. Wenn man ihn hier hereinläßt, trotz der kaiserlichen Ordre, so können Sie schon denken, daß unter allen eueren Pickelhäringen kein Mann dreist genug ist, ihm ins Gesicht zu schauen. Nun! was haben Sie zu erbleichen und zu zittern? Sind Sie so wenig Ihrer selbst gewiß, daß Sie nicht zwei Worte anhören können, ohne den Kopf zu verlieren? Oder halten Sie mich für einen Menschen, der fähig wäre, Ihnen Gewalt anzuthun und Sie zu beschimpfen? Das ist Altweibergewäsch, was Sie über mich gehört haben, mein Kind! Trenck ist nicht so bös, wie die Rede geht, und blos um Sie davon zu überzeugen, will er einen Augenblick mit Ihnen plauschen.

– Mein Herr, ich werde Sie nicht anhören, bevor Sie nicht diese Thür geöffnet haben, antwortete Consuelo, indem Sie sich mit Entschlossenheit waffnete. Unter dieser Bedingung willige ich ein, Sie reden zu lassen. Aber wenn Sie darauf bestehen, hier mit mir eingeschlossen zu bleiben, so werde ich glauben, daß dieser tapfere und starke Mann sich selbst nicht vertraut und Furcht vor den Pickelhäringen, meinen Kameraden hat.

– Ah, Sie haben Recht, sagte Trenck, indem er die Thür weit aufriß! und wofern Sie nicht Furcht haben, sich zu enrhumiren, so ist es mir für mein Theil lieber, Luft zu haben, als in dem Dunst zu ersticken, womit die Corilla dieses Loch anfüllt. Sie erweisen mir einen Dienst.

Bei diesen Worten bemächtigte er sich der beiden Hände Consuelo's, zwang sie, sich auf das Sopha zu setzen und kniete vor ihr nieder, ohne ihre Hände los zu lassen: durch den Versuch ihm diese zu entreißen, würde sie sich in eine kindische Balgerei eingelassen haben, welche leicht ihrer Ehre gefährlich werden konnte; denn der Baron schien den Widerstand zu erwarten und hervorrufen zu wollen, welcher seine zügellose Liebe weckte, und ihn jedes Bedenkens und jeder Schonung vergessen machte.

Consuelo erkannte dies und verzichtete auf ein schimpfliches Abkommen von immer zweifelhaftem Ausgange. Aber eine Thräne, welche sie nicht zurückhalten konnte, floß langsam über ihre bleiche, trübe Wange. Der Baron sah die Thräne, und anstatt davon gerührt und entwaffnet zu sein, ließ er eine glühende und grausame Freude unter seinen blutrothen, kahl gebrannten Augenlidern hervorblitzen.

– Sie sind sehr ungerecht gegen mich, sagte er mit einer Stimme, deren sanfter, einschmeichelnder Ton die Zufriedenheit des Heuchlers nur schlecht verhehlte. Sie hassen mich, ohne mich zu kennen und wollen meine Rechtfertigung nicht hören. Ich aber kann mich nicht wie ein Narr Ihrer Abneigung unterwerfen. Vor einer Stunde noch fragte ich nichts darnach, aber seit ich die göttliche Porporina singen hörte, seit ich sie anbete, fühle ich, dass ich für sie leben, oder durch ihre Hand sterben muß.

– Ersparen Sie sich diese lächerliche Farçe ... sagte Consuelo entrüstet.

– Farçe? unterbrach sie der Baron. Hier! sagte er und zog eine geladene Pistole aus der Tasche, spannte den Hahn, und überreichte sie ihr. Sie sollen dieses Gewehr in einer Ihrer schönen Hände halten, und wenn ich Sie wider meinen Willen mit meinen Worten kränke, wenn ich Ihnen verhaßt bleibe, wohl, so tödten Sie mich, wofern es Ihnen gut dünkt. Was die andere Hand betrifft, so bin ich entschlossen, sie zu behalten, bis Sie mir erlauben, sie zu küssen. Diese Gunst aber will ich nur Ihrer Güte verdanken, und Sie werden sehen, daß ich sie geduldig erbitte und erwarte unter der Mündung dieser Mordwaffe, welche Sie gegen mich richten mögen, wenn meine Zudringlichkeit Ihnen unerträglich wird.

Trenck legte die Pistole wirklich in Consuelo's rechte Hand und hielt ihre Linke mit Gewalt fest, während er mit einer dreisten Geckenhaftigkeit, die ihres Gleichen suchte, vor ihr knien blieb. Consuelo fühlte sich von diesem Augenblick an stark; sie hielt die Pistole so, daß sie sich im Nothfalle derselben bedienen konnte, und sagte lächelnd zu ihm:

– Sie mögen reden! ich höre.

Eben als sie dieses sagte, glaubte sie auf dem Corridore Schritte zu vernehmen, und den Schattens einer Person zu bemerken, welcher sich auf der Thür abzeichnete. Dieser Schatten verschwand aber augenblicklich wieder, sei es nun, daß die Person sich zurückgezogen oder daß Consuelo nur ein Schreckbild ihrer Einbildungskraft gesehen hatte. In der Lage, in welcher sie sich befand, in welcher sie nichts mehr als einen Scandal zu fürchten hatte, war ihr die Dazwischenkunft eines Dritten, sei es zufällig oder um ihr beizustehen, eher zuwider als erwünscht: schwieg sie still und man überraschte den Baron bei offener Thür zu ihren Füßen, so konnte es nicht fehlen, daß man glaubte, sie begünstige ihn; rief sie dagegen, schrie sie um Hülfe, so würde der Baron ohne Zweifel den ersten Eintretenden ermordet haben. Funfzig Geschichten dieser Art zierten bereits das Register seines Privatlebens, und die Opfer seiner Leidenschaften galten doch deswegen nicht für weniger schwach oder befleckt.

In dieser furchtbaren Lage konnte Consuelo nichts wünschen als eine schleunige Erklärung und nichts hoffen, als daß es ihrem eigenen Muthe gelingen würde, Trenck zur Vernunft zu bringen, ohne daß irgend ein Zeuge Gelegenheit fände diesen seltsamen Auftritt nach seinem Belieben sich zu deuten und auszulegen.

Er errieth einen Theil ihrer Gedanken, und ging zur Thür, die er anlehnte, ohne sie völlig zu schließen.

– Wirklich, Madame, sagte er zu ihr zurückkehrend, es wäre ein Wahnsinn, Sie den boshaften Deutungen der Vorübergehenden auszusetzen, und dieser Zwist muß unter uns allein ausgemacht werden. Hören Sie mich an! ich erkenne Ihre Besorgniß und begreife die Bedenklichkeit, welche Ihre Freundschaft für die Corilla Ihnen einflößt. Ihre Ehre, und der Ruf Ihrer Gewissenhaftigkeit sind mir noch theurer als die kostbaren Augenblicke, während deren ich Sie ohne Zeugen sehen kann.

Ich weiß sehr wohl, daß dieses Pantherthier, in das ich noch vor einer Stunde vernarrt war, Sie des Verraths beschuldigen würde, wenn es mich zu Ihren Füßen fände. Sie soll dieses Vergnügens nicht genießen, die Augenblicke sind gezählt. Sie hat noch zehn Minuten lang das Publikum mit ihren Zierereien zu amüsiren. Ich habe also Zeit genug, Ihnen zu sagen, daß ich, wenn ich jene geliebt habe, doch in diesem Augenblicke nicht mehr davon weiß, als von dem ersten Apfel den ich pflückte; fürchten Sie daher nicht, ihr ein Herz zu entreißen, das ihr schon nicht mehr angehört, und aus welchem hinfort nichts Ihr Bild wird verwischen können.

Sie allein, Madame, herrschen über mich und können über mein Leben gebieten. Warum wollten Sie Anstand nehmen? Sie haben, sagt man, einen Liebhaber. Mit einem Nasenstüber will ich Sie von ihm befreien. Ein alter finsterer, eifersüchtiger Vormund bewacht Sie. Ich entführe Sie ihm vor der Nase weg. Auf dem Theater stellen sich Ihnen tausend Intriguen in den Weg; es ist wahr, das Publikum betet Sie an, aber das Publikum ist ein undankbares Thier, und wird sich bei der ersten Heiserkeit, die Sie befällt, von Ihnen abwenden.

Ich bin ungeheuer reich, ich kann Sie zu einer Fürstin machen, fast zu einer Königin, zwar in einer wilden Gegend, wo ich aber in einem Augenzwinken Paläste, Theater, schöner, größer als sie der Wiener Hof hat, aufführen kann. Bedürfen Sie eines Publikums, mit Einem Ruthenschlage zauber' ich Ihnen ein so ergebenes, so unterwürfiges, so getreues aus der Erde hervor, wie Wien es schwerlich Ihnen bietet.

Ich bin nicht schön, das weiß ich. Allein die Narben, welche mein Gesicht zieren, sind achtungswürdiger und rühmlicher als die Schminke, welche die bleichen Backen jener Comödianten bedeckt. Ich bin hart gegen meine Sklaven, mitleidlos gegen meine Feinde, aber denen welche mir gut dienen, bin ich ein milder Herr, und die, welche ich liebe, schwimmen in Reichthum und in Herrlichkeit.

Kurz, ich bin manchmal gewaltthätig, man hat Ihnen hierüber die Wahrheit gesagt. Man kann nicht tapfer und stark sein, wie ich es bin, ohne gern von dem was man vermag, Gebrauch zu machen, wenn Rache und Stolz dazu treiben. Aber ein zartes, keusches, sanftes, reizendes Weib, wie Sie es sind, kann meine Kraft bändigen, meinen Willen fesseln, und mich leiten, wie ein Kind. Versuchen Sie es nur, vertrauen Sie sich mir nur eine kurze Zeit in Verschwiegenheit an, Sie werden sehen, daß Sie mir die Sorge für Ihre Zukunft überlassen und mich nach Slavonien begleiten können.

Sie lächeln? Slaven, Sklaven, das hört sich so ähnlich an. Ja, himmlische Porporina, ich, ich werde dein Sklav sein. Sieh mich an, gewöhne dein Aug' an diese Häßlichkeit, die deine Liebe wohl verschönern könnte. Sprich ein Wort, und du wirst sehen, daß Trencks des Oesterreichers entzündete Augen Thränen des Entzückens und der Zärtlichkeit vergießen können, so gut als die klaren Augen Trencks, des Preußen, meines Vetters, den ich liebe, obgleich wir in feindlichen Reihen gegen einander standen, der dir, wie man mir versichert, nicht gleichgültig gewesen.

Aber jener Trenck ist ein bloßes Kind, und der welcher mit dir spricht, wiewohl noch jung (nur vier und dreißig Jahre alt, obgleich sein zerrissenes Gesicht das Doppelte vermuthen läßt) ist über das Alter der Launen hinaus und verheißt dir lange glückliche Jahre. Sprich, sprich, sage Ja, und du wirst sehen, daß die Leidenschaft mich verwandeln und aus diesem Trenck mit dem verbrannten Rachen einen strahlenden Jupiter machen kann.

Du antwortest nicht? Deine rührende Verschämtheit hindert dich noch daran? Wohlan, sprich nicht, laß mich deine Hand küssen, und ich gehe hinweg vertrauend und glücklich. Sieh, ob ich ein roher Mensch, ein Unthier bin, wie man mich dir geschildert hat? Nichts fordere ich als eine unschuldige Gunstbezeigung, ich, der ich dich mit einem Hauche zerstören, der ich dich zu Boden schleudern und, trotz deinem Hasse ein Glück genießen könnte, um das mich Götter beneiden müßten.

Consuelo betrachtete mit Erstaunen diesen scheußlichen Mann, der dennoch so viele Frauen verführte. Sie suchte diesen Zauber zu ergründen, der wirklich, aller Häßlichkeit zum Trotze, unwiderstehlich gewesen sein würde, wenn er aus den Mienen eines guten Menschen, aus der Tiefe eines menschlich fühlenden Herzens gewirkt hätte; so aber sah sie nur die Häßlichkeit eines zügellosen Wüstlings, und seine Leidenschaft war nichts als die Fertigkeit welche sich aus Unverschämtheit und frechem Dünkel leicht entspinnt.

– Haben Sie ausgesprochen, Herr Baron? fragte sie ihn mit Ruhe; aber plötzlich erröthete und erblaßte sie, als sie eine Faust voll großer Brillanten, riesiger Perlen und kostbarer Rubinen sah, welche ihr der slavische Despot auf den Schoß geworfen hatte. Sie stand heftig auf, daß alle diese Edelsteine auf den Boden rollten ... mochte die Corilla sie zusammenlesen!

– Trenck! sagte sie zu ihm mit der Kraft welche ihr die Verachtung und der Zorn gab, du bist mit aller deiner Tapferkeit und Kühnheit der feigste, elendeste Wicht. Du hast nur mit Lämmern gefochten und mit furchtsamen Rehen, diese hast du erbarmungslos hingewürgt. Wenn dir ein wahrer Mann entgegengetreten wäre, so würdest du wie ein raubgieriger und feiger Wolf, denn das bist du, vor ihm geflohen sein.

Deine rühmlichen Narben hast du, ich weiß es wohl, in einem Keller davon getragen, worin du nach dem Golde der Besiegten unter Leichen wühltest. Deine Paläste, dein kleines Königreich, mit dem Blute eines edeln Volkes, dem der Despotismus einen Mitbürger wie dich aufzwängt, mit dem Gute der Witwen und der Waisen hast du sie erkauft, mit dem goldenen Lohne des Verrathes, mit dem Raube der Kirchen, in denen du heuchlerisch dich niederwirfst und deinen Rosenkranz drehst, denn auch scheinheilig bist du, um das Maß deiner großen Eigenschaften voll zu machen.

Deinen Vetter Trenck den Preußen, den du so zärtlich liebst, verrathen hast du ihn, hast ihn ermorden lassen wollen. Die Weiber, die du reich und glücklich gemacht, nein geschändet hast du sie, nachdem du ihre Gatten, ihre Väter erschlagen. Und die Zärtlichkeit mit der du mich so plötzlich beschenken willst, sie ist nichts als die Laune eines blasirten Wüstlings. Diese ritterliche Unterwürfigkeit, mit welcher du dein Leben in meine Hand, geliefert hast, ist nur die Eitelkeit eines Gecken der sich für unwiderstehlich hält, und was du als eine geringe Gunst von mir forderst, es wäre eine Befleckung von der ich mich nur durch den Tod reinwaschen könnte.

Das ist mein letztes Wort, Pandure mit dem verbrannten Maule! Hebe dich weg aus meinen Augen, fliehe! denn läßt du meine Hand nicht los, die seit einer viertel Stunde zu Eis wird in der deinigen, so will ich dich niederstrecken und die Erde reinigen von einem Bösewichte.

– Dies ist dein letztes Wort, Kind der Hölle? rief Trenck. Nun, wehe dir! die Pistole, die ich dir nicht einmal aus der zitternden Hand hinwegschlagen will, ist mit bloßem Pulver geladen; ein kleines Brandmahl mehr oder weniger macht Einem der so oft im Feuer gestanden, nicht eben bange. Schieße, mache Lärm, ich wünsche nichts mehr als das. Ich werde mich freuen, Zeugen meines Sieges zu haben, denn jetzt kann dich vor meinen Umarmungen nichts mehr retten; du hast durch deine Tollheit eine Glut in mir entzündet, die du mit einiger Klugheit hättest zurückhalten können.

Bei diesen Worten umfaßte er sie; aber in demselben Augenblick wurde die Thür aufgestoßen; ein Mann, dessen Gesicht durch einen hinter dem Kopfe zusammengeknüpften schwarzen Flor völlig maskirt war, streckte den Arm nach dem Panduren aus, der unter dem Griffe dieser Faust wie ein vom Wind gepeitschtes Bäumchen sich bog, schwankte und hart zu Boden stürzte. Es war dies die Sache weniger Sekunden.

Trenck war einen Augenblick betäubt, raffte sich aber auf, und sprang mit funkelnden Augen, mit schäumendem Munde und mit blank gezogenem Degen auf seinen Feind ein, der sich durch die Thür zurückzog und vor ihm zu weichen schien.

Auch Consuelo stürzte zur Thür, denn sie glaubte in dem Vermummten an seinem hohen Wuchs und an dem riesenstarken Arm Albert zu erkennen. Sie sah ihn bis an das Ende des Corridors zurückweichen, wo sich eine Treppe befand, welche steil und gewunden auf die Straße hinunterführte. Dort blieb er stehen, erwartete Trenck, bückte sich rasch unter dem Stoße des Degens, welcher gegen die Mauer fuhr, umfaßte den Baron von unten mit beiden Armen und stürzte ihn über seine Schulter hinweg kopflings in die Treppe hinab.

Consuelo hörte den gewaltigen Körper auf den Stufen poltern, eilte auf ihren Retter zu und rief: Albert! aber er war verschwunden, bevor sie drei Schritte hatte thun können. Eine grausige Stille herrschte auf der Treppe.

Signora, cinque minuti! »Signora, fünf Minuten!« (nämlich bis zum Anfang des Aktes). sagte der Anmelder zu ihr mit väterlichem Tone, indem er aus der Treppenöffnung der Theaterstiege, welche an derselben Stelle mündete, heraustrat. Woher ist denn diese Thür offen? setzte er hinzu, als er die Thür der Treppe erblickte, auf welcher Trenck hinabgestürzt war. Meiner Treu, Ihre Signoria hätte sich auf dem Corridor eine Heiserkeit holen können!

Er warf die Thüre zu und schloß sie ab, wie es vorschriftsmäßig war, und Consuelo kehrte mehr todt als lebendig in ihre Loge zurück, warf die Pistole, welche aus dem Sopha liegen geblieben war, durch das Fenster hinaus, stieß mit dem Fuße die Edelsteine, welche auf dem Teppich blitzten, unter die Möbel und begab sich auf das Theater, wo sie die Corilla noch ganz glühend und athemlos von dem Triumphe fand, den ihr das Zwischenspiel eingetragen.

3.

Der krampfhaften Aufregung ungeachtet, in welche sie gerathen war, übertraf Consuelo im dritten Akte noch sich selbst. Sie erwartete das nicht, sie rechnete nicht mehr darauf, sie betrat die Bühne in dem verzweifelten Entschlusse, mit Ehren zu scheitern, indem sie einem plötzlichen Versagen ihrer Stimme und ihrer Mittel, welches sie fürchten mußte, wenigstens muthig den Kampf anbot. Angst hatte sie nicht: was wäre Pfeifen und Zischen gewesen gegen die Gefahr und Schande, denen sie wie durch ein Wunder soeben entronnen war!

Ein anderes Wunder folgte diesem. Ihr guter Genius schien über sie zu wachen, sie hatte mehr Stimme, sie sang mit mehr maestria und spielte mit mehr Energie und Pathos als jemals. Ihr ganzes Wesen war auf den Gipfel seiner Macht gehoben, es kam ihr selber in jedem Augenblicke vor, als ob sie im Begriff wäre zu reißen wie eine überspannte Saite, aber diese Fieberhitze entrückte sie in eine phantastische Region, sie handelte wie im Traume und war erstaunt zu finden, daß ihr dabei die wirklichen Kräfte dienstbar blieben.

Und dann, bei jeder Furcht vor dem Versagen ihrer Kraft, belebte ein seliger Gedanke sie von neuem. Albert war ohne Zweifel da. Er beobachtete sie, er folgte allen ihren Bewegungen, er wachte über sie; denn wem sonst konnte sie die unerwartete Hülfe verdanken, welche ihr zu Theil geworden, wem sonst die fast übernatürliche Stärke beimessen, die ein Mensch besitzen mußte, um Franz von der Trenck, den slavonischen Herkules zu Boden zu werfen? Und wenn er auch in Folge einer jener Wunderlichkeiten, von denen sein Character nur zu viele Beispiele darbot, es sich versagte, mit ihr zu reden, wenn er sich ihren Blicken entziehen zu wollen schien, so war es doch nicht weniger augenscheinlich, daß er sie noch glühend liebte, da er sie mit solcher Aengstlichkeit bewachte, mit solcher Entschlossenheit beschützte.

– Wohlan, dachte Consuelo, da Gott es zuläßt, daß mir meine Kräfte nicht versagen, so soll Albert mich in meiner Rolle schön sehen, und in dem Winkel des Saales, von welchem aus er mich gewiß beobachtet, sich eines Triumphes freuen, den ich weder der Kabale noch der Charlatanerie verdanke.

Ohne sich von dem Geiste ihrer Rolle einen Augenblick entfernen zu lassen, suchte sie doch Albert mit den Augen, aber sie konnte ihn nicht entdecken, und als sie in die Kulissen zurücktrat, suchte sie ihn auch da, aber eben so vergeblich. Wo konnte er sein? Wo hielt er sich verborgen? Hatte er den Panduren durch den Sturz auf die Treppe getödtet? Hatte er sich vor Verfolgung sicher stellen müssen? Wird er vielleicht zu ihr kommen und bei dem Porpora Zuflucht suchen? Sollte sie ihn diesmal bei der Heimkehr im Hotel des Botschafters finden?

Alle diese sich kreuzenden Gedanken verschwanden, sobald sie wieder in Scene trat: wie durch Zauberwirkung vergaß sie dann in einem Augenblick alles, was in ihrem wirklichen Leben vorging, und nur ein unbestimmtes Sehnen, aus Entzücken, Furcht, Dankbarkeit und Hoffnung gemischt, blieb in ihrer Seele zurück. Und alles dies paßte zu ihrer Rolle und gab sich in wunderbar zärtlichen, innig wahren Klängen kund.

Sie wurde am Schlusse hervorgerufen. Die Kaiserin zuerst warf ihr aus ihrer Loge einen Strauß zu, an welchem ein werthvolles Geschenk befestigt war. Der Hof und die Stadt folgten dem Beispiele der Monarchin und überschütteten sie mit einem Blumenregen. Mitten unter diesen duftenden Palmen sah Consuelo einen grünen Zweig zu ihren Füßen niederfallen, auf welchen sich unwillkürlich ihre Augen hefteten. Sobald der Vorhang zum letzten Male gefallen war, hob sie den Zweig auf. Es war ein Cypressenzweig.

Nun verschwanden alle Siegeskränze vor ihrer Seele, sie hatte für nichts mehr Sinn und Gedanken als für dieses Todeszeichen, das Schmerz und Seelenangst, vielleicht ein letztes Lebewohl auszudrücken schien. Ein Todesschauer folgte ihrer fieberhaften Glut, ein unüberwindliches Grauen zog eine dunkele Decke über ihre Augen. Ihre Füße versagten den Dienst und man trug sie ohnmächtig in den Wagen des Botschafters von Venedig, in welchem der Porpora sich vergeblich bemühte ihr ein Wort zu entlocken. Ihre Lippen waren todtenbleich und ihre erstarrte Hand hielt unter dem Mantel den Cypressenzweig fest, der wie von dem Hauche des Todes ihr zugeweht war.

Beim Hinabsteigen auf der Theatertreppe hatte sie keine Blutspur bemerkt, und in der Verwirrung des Hinausdrängens war diese nur wenigen Personen aufgefallen. Aber während sie dem Gesandtschaftshotel zufuhr, begab sich im Versammlungssaale der Schauspieler bei verschlossenen Thüren ein ziemlich trauriger Auftritt. Kurz nach dem Schlusse des Stückes, als alle Thüren geöffnet wurden, hatten die Theaterdiener am Fuße der Treppe den Baron von der Trenck in seinem Blute schwimmend gefunden. Man hatte ihn in einen der Säle getragen, welche den Künstlern zur Benutzung eingeräumt sind, und um kein Aufsehn und kein Getümmel zu erregen, den Director und den Theaterarzt herbeigerufen, so wie einige Polizeibeamte, um von dem Vorfall Notiz zu nehmen.

Das Publikum und die Schauspieler verließen daher das Haus, ohne etwas von dem Ereigniß zu wissen, während die Leute vom Fache, die kaiserlichen Beamten und einige zufällig dazugekommene mitleidige Seelen sich bemühten den Panduren wieder zu sich zu bringen und über seinen Unfall zu befragen.

Die Corilla, welche den Wagen ihres Liebhabers erwartete und ihr Mädchen schon mehrmals hinausgeschickt hatte, um sich nach ihm umzusehen, wurde ungeduldig und verdrießlich, und wagte sich endlich selbst hinunter, auf die Gefahr hin, sich zu Fuße nach Hause begeben zu müssen. Sie begegnete im Gange Herrn Holzbauer, welcher ihre Beziehung zu Trenck kannte und sie mit in den Versammlungssaal nahm, wo sie ihren Geliebten mit zerschlagenem Kopfe und mit so vielen Quetschungen bedeckt fand, daß er kein Glied rühren konnte. Sie erfüllte die Luft mit ihren Wehklagen. Holzhauer wies alle überflüssigen Personen hinaus und ließ die Thüren schließen.

Die Sängerin wurde befragt, konnte aber keine Auskunft über den Vorfall geben. Endlich erlangte Trenck selbst wieder einige Besinnung und erklärte, er sei ohne Erlaubniß in das Innere des Theaters eingedrungen, um die Tänzerinnen in der Nähe zu sehen, habe sich beeilen wollen, vor dem Ende wieder hinauszugelangen, und sei, da er in dem Labyrinthe nicht recht Bescheid gewußt, auf jener verwünschten Treppe ausgeglitten und hinabgestürzt.

Man begnügte sich mit dieser Erklärung, und trug ihn in seine Wohnung, wohin auch die Corilla eilte. Sie pflegte ihn mit solcher Treue, daß sie darüber die Gunst des Herrn von Kaunitz und demzufolge die der Kaiserin verlor, aber sie brachte kühn dieses Opfer, und Trenck, dessen eiserner Körper schon viel härtere Proben bestanden hatte, kam mit acht Tagen Krummliegen und einer Narbe mehr am Kopfe davon.

Er rühmte sich seines Abentheuers gegen Niemanden und nahm sich nur im Stillen vor, Consuelo hart büßen zu lassen. Er würde auch ohne Zweifel eine grausame Rache genommen haben, wenn ihn nicht ein kaiserlicher Verhaftsbefehl den Armen der Corilla plötzlich entrissen hätte; kaum von seinem Falle wieder hergestellt und noch vom Fieber geschüttelt, wurde er in ein Militairgefängniß geworfen Die geschichtliche Treue erfordert, daß wir auch sagen, durch welche trotzigen Streiche Trenck sich diese unmenschliche Behandlung zuzog. Gleich am Tage seiner Ankunft in Wien war ihm auf kaiserlichen Befehl Hausarrest angekündigt worden. Dessenungeachtet hatte er sich an dem nämlichen Abend in der Oper gezeigt und im Zwischenakte den Grafen Gossau bedroht, ihn in das Parterre hinabzuwerfen..

Was der Kanonikus als ein im Publicum umlaufendes dumpfes Gerücht mitgetheilt hatte, begann sich zu verwirklichen. Die Schätze des Panduren hatten die Habsucht einflußreicher Personen und geschickter Creaturen gereizt. Sein denkwürdiger Sturz war deren Werk. Aller Verbrechen angeklagt, die er begangen hatte, und anderer, welche ihm diejenigen die bei seinem Sturze zu gewinnen hofften, unterschoben, wurde er dem langwierigen Gang, den Quälereien, den schamlosen Willkürlichkeiten, den fein verdeckten Ungerechtigkeiten eines langen und scandalösen Prozesses Preis gegeben.

Geizig, bei aller seiner Prahlerei, und stolz, bei allen seinen Lastern, wollte er den Eifer seiner Vertheidiger nicht bezahlen und das Gewissen seiner Richter nicht erkaufen. Wir wollen ihn bis auf weitere Ordre in seinem Kerker lassen, in welchem er, nachdem er sich zu irgend einer Gewaltthätigkeit hinreißen lassen, den Schmerz hatte, sich an dem einen Beine fesseln zu sehen.

O Schmach und Schändlichkeit! Es war dasselbe Bein, welches bei einer seiner schönsten Heldenthaten ein Stück von einer Bombe ihm zertrümmert hatte. Die Knochensplitter waren herausgeschnitten worden, und er war, kaum geheilt, schon wieder zu Pferde gestiegen, um seinem Dienst mit heldenmüthiger Festigkeit obzuliegen. Auf diese furchtbare Narbe legte man nun einen eisernen Ring und hängte eine schwere Kette daran. Die Wunde öffnete sich von neuem und er stand eine grausame Marter aus, jetzt nicht mehr um der Kaiserin zu dienen, sondern nur dafür, daß er ihr zu gut gedient.

Von dieser Barbarei war, wie es heißt, Maria Theresia nicht unterrichtet; die große Fürstin, welche es gern gelitten hatte, daß Trenck das unglückliche und gefährliche, dem Feinde nicht hinlänglich verschlossene Böhmen bedrückte und zerfleischte, die jetzt aber Trencks Verbrechen und die Zügellosigkeiten der Panduren, welche nicht mehr zur Sicherung des Thrones nöthig waren, unmenschlich, unerhört und unverantwortlich zu finden anfing, sie wußte, wie man annahm, eben so wenig von der Grausamkeit mit welcher Trenck behandelt wurde, als der große Friedrich, wie man glaubte, von den ausgesuchten Qualen, von der grausamen Einsperrung, von den achtundsechzig Pfunden Eisens, die der andere Baron Trenck bald zu tragen hatte, etwas gewußt hat.

Alle jene Schmeichler, welche uns diese Abscheulichkeiten obenhin berichtet haben, sind bemüht gewesen, das Gehässige davon den unteren Beamten, dunkeln, namenlosen Handlangern der Justiz zur Last zu legen, um das Andenken der Monarchen rein zu waschen. Indessen haben diese Monarchen, die vorgeblich von den Eigenmächtigkeiten ihrer Kerkermeister so wenig unterrichtet waren, im Gegentheil so gut gewußt, was vorging, daß Friedrich der Große selbst die Zeichnung zu den Ketten gemacht hat, welche der preußische Trenck neun Jahre in seinem Magdeburger Grabe trug, und daß Maria Theresia, wenn sie auch nicht gerade befohlen hat, den österreichischen Trenck, ihren tapfern Panduren, an seinem verstümmelten Fuße zu fesseln, doch stets für seine Klagen taub, und seinen Beschwerden unzugänglich war, und daß sie von der Beute des Ueberwundenen, in welcher sich die Sieger theilten, den Löwenantheil nicht verschmähete und den Erben Trencks die Gerechtigkeit verweigerte.

Kehren wir zu Consuelo zurück! denn es ist unsere Pflicht als Romanerzähler die geschichtlichen Ereignisse nur in Umrissen anzudeuten. Aber es ist nicht möglich, indem wir die Abentheuer unserer Heldin erzählen, das, was zu ihrer Zeit und unter ihren Augen vorging, ganz zu übergehen. Als sie von dem Unglück des Panduren hörte, dachte sie nicht mehr an den Schimpf, mit welchem er sie bedroht hatte, und tief entrüstet über die Unbilligkeit die gegen ihn geübt wurde, war sie der Corilla behülflich, ihm Geld zugehen zu lassen, so lange die Mittel, sich eine Erleichterung seiner harten Gefangenschaft zu verschaffen, ihm entzogen waren.

Die Corilla nämlich, welche noch geschwinder Geld ausgab als erwarb, fand sich entblößt gerade als ihr Geliebter heimlich einen Boten zu ihr schickte, um von ihr die Summe, deren er bedurfte, zu fordern. Consuelo war die einzige der die Corilla, von einem natürlichen Takt geleitet, vertrauen zu dürfen glaubte. Consuelo verkaufte unverzüglich das Geschenk, welches ihr die Kaiserin am Schlusse der Zenobia zugeworfen hatte und stellte ihrer Gefährtin den Ertrag zu, indem sie zugleich deren Entschluß lobte, den unglücklichen Trenck in seiner Noth nicht zu verlassen.

Der Eifer und Muth, womit die Corilla ihrem Geliebten, so viel in ihren Kräften stand, zu dienen suchte, und worin sie so weit ging, daß sie deswegen mit einer Baronin, die Trencks erklärte Maitresse und der Gegenstand ihrer heftigsten Eifersucht war, in freundschaftliches Einverständniß trat, flößten Consuelo wieder eine gewisse Achtung für dieses verderbte, aber nicht schlechte Geschöpf ein, welches immer noch Augenblicke von Herzensgüte und Anwandlungen uneigennütziger Großmuth hatte.

– Beugen wir uns vor dem Wirken Gottes! sagte sie zu Joseph, der ihr bisweilen vorwarf, daß sie sich zu viel mit dieser Corilla abgäbe. Die menschliche Seele behält in ihren Verirrungen doch immer noch einen Ueberrest von Gutem und Edlem, in welchem wir die Spur ihres göttlichen Wesens, gleichsam den Stempel der Gottheit mit Ehrfurcht ahnen und mit Freude erkennen. Wo viel zu beklagen ist, muß man viel verzeihen, und glaube mir, Joseph, wo man gezwungen ist zu verzeihen, ist einige Ursach zu lieben.

Diese arme Corilla, die wie ein Thier lebt, hat Augenblicke, in denen sie ein Engel ist. Laß das nur gehen! Wenn ich Künstlerin bleiben soll, so muß ich mich, das fühle ich wohl, gewöhnen, ohne Grauen, ohne Zorn diese Schmach, die mir das Herz bricht, zu betrachten, in welcher die armen, verlorenen Geschöpfe zwischen guten Trieben und böser Lust, zwischen Sinnenrausch und Gewissensbissen ihr Leben hinschleppen.

Und ich glaube sogar, gestehe ich dir, daß der Gesundheit meiner Tugend ein Wirken im Sinne der barmherzigen Schwestern dienlicher ist, als ein reinlicher gehaltenes, ungetrübteres, sanfteres Leben, als ein ruhmreicherer, angenehmerer Wirkungskreis, als das Selbstgenügen starker, glücklicher und, geachteter Wesen.

Ich fühle, daß mein Herz gleich dem Himmel Jesu, des Menschenfreundes geartet ist, in welchem mehr Freude ist über einen Sünder der Buße thut als über neun und neunzig Gerechte, die derselben nicht bedürfen. Ich fühle, daß es zum Mitleiden, und Mitklagen, zum Helfen und zum Trösten geschaffen ist. Es dünkt mich immer als ob der Taufname, den mir meine Mutter gegeben hat, mir diese Bestimmung, diese Pflicht auferlegt. Einen andern Namen habe ich nicht, Beppo!

Die Gesellschaft hat mir nicht den Stolz, einen Familiennamen würdig zu behaupten, zum Gesetze machen können, und wenn ich, ihrem Urtheile nach, mich erniedrige, indem ich einige Goldkörner hervorsuche aus dem sittlichen Schlamme derer, mit denen ich in Berührung komme, so habe ich ihr in der That darüber seine Rechenschaft zu geben. Ich bin für sie die Consuelo, weiter nichts, und für die Tochter der Rosmunde ist das auch genug, denn die Rosmunde war ein armes Weib, über das noch üblere Rede erging als über die Corilla, und doch mußte ich und durfte ich so wie sie war, sie lieben. Sie war nicht so geachtet als eine Maria Theresia, aber sie hätte den Trenck nicht am Fuße gefesselt, um ihn in Qualen vergehen zu lassen und sein Geld zu nehmen.

Auch die Corilla würde das nicht gethan haben, und doch hat für sie dieser Trenck sich nicht geschlagen, nein er schlug wohl oft sie. Joseph, Joseph, Gott ist ein größerer Kaiser als die unseren alle, und vielleicht, da ja bei ihm die Magdalene ein Herzoginnentabourett zu Füßen der unbefleckten Jungfrau hat, wird diese Corilla dereinst an seinem Hofe den Vortritt vor Maria Theresia haben.

Was mich betrifft, so muß ich dir bekennen, wenn ich in den Tagen, die ich auf der Erde zu leben habe, die unreinen und unglücklichen Herzen verlassen und mich in Tugendstolz an den Tisch der Gerechten setzen sollte, so würde ich nicht glauben, auf dem Wege meines Heils zu wandeln. O, der edele Albert dachte hierin so wie ich, und er, er würde mich nicht tadeln, daß ich gegen die Corilla freundlich bin.

Als Consuelo ihrem Freunde Joseph diese Dinge sagte, waren seit der Aufführung der Zenobia und dem Unfall des Barons von der Trenck bereits vierzehn Tage verflossen. Die sechs Vorstellungen, für welche Consuelo engagirt gewesen, waren vorüber. Madame Tesi war wieder aufgetreten. Die Kaiserin bearbeitete den Porpora unter der Hand durch Vermittlung des Botschafters Corner und machte stets Consuelo's Verbindung mit Haydn zur Bedingung eines definitiven Engagements derselben an der Stelle der Madame Tesi, sobald deren Contrakt abgelaufen sein würde.

Joseph wußte hievon kein Wort. Consuelo hatte keine Ahnung davon. Sie dachte nur an Albert, der sich nicht wieder gezeigt, und von dem sie keine Nachricht hatte. In ihren Gedanken durchkreuzten sich tausend Vermuthungen und tausend einander widersprechende Entschlüsse. Diese innere Unruhe und Unentschiedenheit, diese beständige Aufregung ihres Gemüthes machte sie krank. Seit der Beendigung ihrer Vorstellungen hütete sie das Zimmer, und betrachtete unaufhörlich jenen Cypressenzweig, der ihr von einem der Gräber im Schreckenstein gepflückt zu sein schien.

Beppo, der einzige Freund, dem sie ihr Herz öffnen konnte, hatte Anfangs versucht, ihr den Gedanken, daß Albert nach Wien gekommen wäre, auszureden. Aber als sie ihm den Cypressenzweig gezeigt hatte, wurde er nachdenklich und bekehrte sich zuletzt zu dem Glauben, daß der junge Graf bei Trencks Abentheuer eine Rolle gespielt habe.

– Höre, sagte er zu ihr, ich glaube dem Zusammenhange auf der Spur zu sein. Albert ist wirklich nach Wien gekommen. Er hat dich gesehen, hat dich gehört, hat dich auf allen Schritten verfolgt. An dem Tage als wir auf der Bühne an der Araxescourtine auf und nieder gingen, hat er leicht auf der andern Seite der Leinwand sein und hören können, wie ich es beklagte, daß du dem Theater bei dem Beginne deiner Laufbahn und deines Ruhmes geraubt werden solltest. Du selbst hast dir, ich weiß nicht mehr was für einen Ausruf entfahren lassen, der ihn konnte glauben machen, daß du den Glanz deiner künstlerischen Zukunft der trübsinnigen Tiefe seiner Liebe vorzögest.

Am folgenden Abend hat er dich in die Loge der Corilla gehen sehen, oder hat vielleicht, indem er sich fortwährend auf der Lauer hielt, bemerkt, daß der Pandur sich vor dir hineinschlich. Daraus, daß er so viel Zeit verstreichen ließ, bis er dir zu Hülfe kam, möchte ich schließen, daß er glaubte, die Sache wäre dir ganz genehm, und daß er erst, nachdem er sich doch nicht enthalten können an der Thür zu horchen, die Nothwendigkeit seiner Dazwischenkunft einsah.

– Sehr gut, sagte Consuelo, aber wozu dieses Heimlichthun? wozu dies Verhüllen seines Gesichtes mit einem Flor?

– Du weißt, wie argwöhnisch die österreichische Polizei ist. Vielleicht ist er bei Hofe verleumdet worden und wußte das. Vielleicht hatte er sonst irgend einen politischen Grund, sich verborgen zu halten. Vielleicht kannte ihn Trenck von Angesicht. Wer weiß, ob der ihn nicht während des letzten Krieges in Böhmen gesehen hat, ob er nicht gar mit ihm bei irgend einer Gelegenheit handgemein gewesen. Graf Albert hat dem Panduren vielleicht eine Beute, irgend einen Unglücklichen, den Trenck ermorden wollte, aus den Händen gerissen.

Graf Albert mag im Stillen große Thaten des Heldenmuthes und der Menschlichkeit ausgeführt haben, während er angeblich im Innern des Schreckenstein träumte; denn auch dir würde er, wenn es so wäre, wie ich es mir denke, gewiß nichts davon erzählt haben, da er, wie du sagst, der anspruchsloseste und bescheidenste Mensch ist.

Es würde aber in diesem Falle klug gewesen sein, dem Panduren, den er züchtigen wollte, sein Gesicht nicht zu zeigen; denn wenn die Kaiserin jetzt auch Trenck dafür büßen läßt, daß er ihr liebes Böhmen verwüstet hat, so kannst du doch denken, daß sie deshalb nicht große Lust haben wird, einen Böhmen unbestraft zu lassen, der sich damals dem Panduren offen widersetzt hat.

– Alles was du sagst, ist sehr zusammenhängend, Joseph, und giebt mir zu denken. Tausend Befürchtungen steigen jetzt in mir auf. Albert mag erkannt, arretirt worden sein. Es ist möglich, daß dies geschehen sei, ohne daß etwas davon im Publikum verlautet; ist doch von Trencks Sturz die Treppe hinunter eben so wenig ruchbar geworden. Ach, vielleicht sitzt Albert jetzt neben Trenck gefangen, und dieses Unglück ist ihm meinetwegen begegnet.

– Sei ruhig, ich glaube das nicht. Graf Albert hat Wien gewiß im Augenblick verlassen und du wirst bald aus Riesenburg einen Brief von ihm erhalten.

– Ahnst du so etwas, Joseph?

– Ja, in der That! Allein, soll ich dir alles sagen, was ich denke? Ich stelle mir vor, daß es ein Brief von ganz anderem Inhalt sein wird als du meinst. Ich bin überzeugt, daß er das Opfer deiner künstlerischen Laufbahn, welches du aus edelmüthiger Freundschaft ihm bringen wolltest, nicht mehr von dir verlangen wird, daß er auf die Heirat verzichtet, daß er dir deine Freiheit zurückgeben wird. Wenn er verständig, edeldenkend, billig ist, wie du ihn schilderst, so muß er sich einen Vorwurf daraus machen, dich dem Theater zu entreißen, das du leidenschaftlich liebst ... leugne es nicht! ich habe es wohl gesehen und auch er hat es ebenso gut als ich erkennen müssen, als er die Zenobia hörte. Er wird also von einem Opfer abstehen, welches offenbar deine Kräfte übersteigt, und ich würde ihn gar nicht mehr achten, wenn er nicht so handelte.

– Aber lies doch nur einmal seinen letzten Brief! da, dieser ist es, Joseph! Sagte er mir nicht darin, daß es für seine Liebe keinen Unterschied mache, ob ich auf dem Theater wäre, ob ich in der großen Welt oder in einem Kloster lebte? Konnte er nicht dem Gedanken Raum geben, meine Freiheit unbeschränkt zu lassen, wenn er mich auch heiratete?

– Sagen und thun, denken und sein, ei, das ist zweierlei. Im Rausche der Leidenschaft scheint alles möglich; aber wenn uns die Wirklichkeit plötzlich vor die Augen tritt, so kehren wir erschrocken zu unseren alten Vorstellungen zurück. Ich glaube nicht daran, daß es ein Mann von Stande ertragen kann, seine Gemahlin den Launen, den Beleidigungen eines Parterre Preis gegeben zu sehen.

Als der Graf seinen Fuß, gewiß zum ersten Male in seinem Leben zwischen die Kulissen setzte, hatte er an dem Betragen Trencks gegen dich eine traurige Probe von den Zufällen und Gefahren deines Theaterlebens. Er wird sich, denke ich mir, entfernt haben, zwar in Verzweiflung, aber geheilt von seiner Leidenschaft und von seinen eiteln Träumen.

Verzeih mir, wenn ich so rede, Consuelo, meine Schwester! Ich muß es dir sagen, denn es ist gut für dich, wenn dich Graf Albert aufgiebt. Du wirst es später selbst empfinden, obgleich sich deine Augen jetzt mit Thränen füllen. Sei gerecht gegen deinen Verlobten, anstatt dich durch eine solche Sinnesänderung seinerseits gedemüthigt zu fühlen.

Als er dir sagte, daß ihn das Theater nicht schrecken könnte, hatte er sich davon ein Ideal gemacht, welches bei dem ersten Blick, den er hineinthat, verschwinden mußte. Er hat ohne Zweifel erkannt, daß er entweder dich unglücklich machen müßte, indem er dich dem Theater entriß, oder sich, indem er seine Gattin dem Theater überließe.

– Du hast Recht, Joseph. Ich sehe ein, daß es so ist, aber laß mich weinen! Nicht gekränkte Eitelkeit, weil ich verlassen, verachtet wäre, schnürt mir das Herz zu, nein, der Schmerz, auf ein Ideal verzichten zu müssen, welches ich mir von der Liebe und ihrer Macht, wie Albert sich eines von meinem Theaterleben gemacht hatte. Ja, er hat jetzt vielleicht erkannt, daß ich mich nicht seiner würdig (wenigstens in der Meinung der Menschen) erhalten könnte, wenn ich diesen Weg verfolgte. Und ich bin nun gezwungen zu erkennen, daß die Liebe nicht so stark ist, um alle Hindernisse zu besiegen und allen Vorurtheilen zu trotzen.

– Sei billig, Consuelo, und fordere nicht mehr, als du selbst hast gewähren können. Du liebtest nicht genug, um ohne Besinnen und ohne Herzeleid deiner Kunst zu entsagen: deute es daher nicht übel, wenn Graf Albert mit der Welt nicht ohne Furcht und Zagen brechen konnte.

– Aber, wie leid es mir im geheimsten Innern auch gewesen sein mag (ich kann es jetzt wohl eingestehen), ich war entschlossen, ihm alles zu opfern, und er dagegen ...

– Bedenke, daß die Leidenschaft in ihm war, nicht in dir. Er begehrte mit Inbrunst, du gewährtest mit Ueberwindung. Er sah, daß du im Begriff warst, dich zu opfern; er hat gefühlt, daß er nicht nur das Recht habe, dich von einer Liebe zu befreien, die du nicht hervorgerufen hattest und deren Nothwendigkeit deine Seele nicht empfand, sondern daß ihn sogar sein Gewissen nöthige, es zu thun.

Durch so vernünftige Gründe ließ sich Consuelo überreden, daß Albert klug und edel gehandelt habe. Sie fürchtete, wenn sie sich dem Schmerze überließe, den Eingebungen eines verletzten Stolzes zu folgen, und indem sie Josephs Vermuthung annahm, unterwarf und beruhigte sie sich.

Allein das Herz ist eigensinnig, wie man weiß. Kaum glaubte sie sich frei, ihrem Hange ohne inneren Vorwurf zu folgen, als sie mit Grausen sich einsam und verlassen fühlte mitten unter aller dieser Sittenlosigkeit, und voll Angst vor der kampf- und mühvollen Zukunft, welcher sie entgegenging.

Die Bühne ist ein heißer Kampfplatz: so lange man sich darauf befindet, ist man in einer Aufregung aller Lebensgeister, gegen welche jede andere matt und nüchtern ist; kaum aber ist man abgetreten, müd und zerschlagen, so weiß man selbst nicht, wie man diese furchtbare Feuerprobe hat bestehen können, und der Wunsch sie zu erneuern ringt mit der Furcht davor.

Ich denke mir den Seiltänzer als das beste Beispiel dieses trunkenen, peinvollen, gefährlichen Lebens. Es muß eine fieberische, grauenvolle Wollust sein, auf diesen Tauen, diesen Leitern Wunder, die über Menschenkraft gehn, auszuführen, aber wenn er als Sieger von ihnen heruntergestiegen ist, so muß ihm schwindeln bei dem Gedanken, sie wieder zu besteigen und sich abermals in die Arme des Gespenstes mit zwei Gesichtern, Triumph und Tod, das stets über seinem Haupte schwebt, zu stürzen.

Das Schloß Riesenburg, und alles dort, sogar den Schreckenstein mit seinen Grotten, das Schreckgespenst aller ihrer Nächte sah Consuelo jetzt, durch den Schleier jenes Gefühls von Verlassenheit und Einsamkeit, das sie befallen hatte, wie ein verlorenes Paradies, wie eine ewig herrliche und hohe Stätte des Friedens und der Unschuld an.

Sie befestigte den Cypressenzweig, das letzte Denkzeichen, den letzten Boten aus der Hussitengrotte an dem Fuße des Krucifixes, welches sie von ihrer Mutter hatte, und indem sie diese beiden Sinnbilder des Katholicismus und des Ketzerthums vereinigte, erhob sie ihr Herz zu der Anschauung der einigen, ewigen, unbedingten Religion. Sie schöpfte aus ihr den Entschluß, ihre persönlichen Leiden mit Ergebung zu tragen und voll Vertrauen auf Gottes weise und liebevolle Absichten mit Albert und mit allen Menschen, guten und bösen, zwischen denen hin sie hinfort ihren Weg allein und ohne Führer gehen sollte.

4.

Eines Morgens rief der Porpora sie früher als gewöhnlich in sein Zimmer. Sein Gesicht glänzte und er hielt einen großen und dicken Brief in der einen, seine Brille in der andern Hand. Consuelo zitterte am ganzen Leibe, denn es wäre, dachte sie, die Antwort von Riesenburg. Aber sie wurde bald enttäuscht: es war ein Brief von Hubert, dem Porporino. Dieser gefeierte Sänger zeigte seinem Lehrer an, daß alle Bedingungen, welche derselbe in Bezug auf Consuelo's Engagement gestellt hatte, angenommen wären und schickte einliegend den von dem Director des Berliner Theaters, Baron von Pöllnitz bereits unterzeichneten Contract, dem also nichts als Consuelo's und des Porpora Unterschrift fehlte.

Diesem Papier war ein sehr freundliches und ehrenvolles Schreiben des genannten Barons beigefügt, worin derselbe den Porpora aufforderte, zu kommen und so viele Opern und neue Fugen als er wollte, zum Vorlegen und zur Aufführung mitzubringen, um darauf gestützt eine Dirigentenstelle bei der königlichen Kapelle nachzusuchen. Der Porporino sprach seine Freude darüber aus, daß er bald würde nach seinem Herzen mit einer »Schwester in Porpora« zu singen haben, und drang lebhaft in den Maestro, Wien mit Sanssouci, dem entzückenden Aufenthalt des großen Friedrich zu vertauschen.

Der Porpora hatte eine große Freude über diesen Brief, war aber doch zugleich in einiger Unruhe. Das Glück, das ihm so lange die Stirn gerunzelt, schien ihn wieder einmal anlächeln zu wollen, und von zwei Seiten that ihm Fürstengnade (welche damals den Künstlern zur Entfaltung ihrer Kräfte so unentbehrlich war) eine erfreuliche Aussicht auf. Friedrich rief ihn nach Berlin, in Wien ließ ihm Maria Theresia schöne Versprechungen machen. Nach beiden Seiten hin mußte Consuelo das Werkzeug seines Sieges sein, in Berlin dadurch, daß sie seine Werke zur rechten Geltung brachte, in Wien, durch eine Heirat mit Joseph Haydn.

Der Augenblick war also da, sein Schicksal in die Hände seiner Adoptivtochter zu legen. Er bot ihr die Wahl an zwischen Heirat und Abreise und setzte unter den gegenwärtigen Umständen viel weniger Eifer daran, ihr Beppo's Herz und Hand anzutragen, als er noch Tages zuvor gethan haben würde. Er war Wiens ein wenig überdrüssig, und der Gedanke, sich bei dem Feinde Oesterreichs anerkannt und gefeiert zu sehen, schmeichelte ihm wie eine Art Rache, deren Wirkung auf den österreichischen Hof er sich in seiner Vorstellung übertrieb. Und endlich, alles erwogen, war es ihm, da Consuelo seit einiger Zeit nicht mehr von Albert sprach und auf ihn verzichtet zu haben schien, weit lieber, wenn sie gänzlich unverheiratet blieb.

Consuelo hatte seiner Ungewißheit bald ein Ende gemacht: sie erklärte, daß sie Joseph Haydn aus vielen Gründen nicht heiraten würde und vor allen Dingen aus dem Grunde, weil er nie um sie angehalten hätte, noch anhalten würde, indem er bereits mit der Tochter seines Wohlthäters versprochen wäre.

– In diesem Falle, sagte der Porpora, ist nichts zu besinnen. Hier ist dein Contract mit Berlin. Unterzeichne, und mache dich fertig zur Abreise, denn hier ist keine Hoffnung für uns, wenn du dich nicht der »Matrimoniomanie« der Kaiserin unterwerfen willst. Sie läßt ihre Protection um diesen Preis ab, und eine entschiedene Weigerung würde uns in ihren Augen schwärzer als alle Teufel machen.

– Lieber Lehrer! antwortete Consuelo mit mehr Festigkeit, als sie dem Porpora noch je gezeigt hatte; ich bin bereit Ihnen zu gehorchen, sobald mein Gewissen über einen wesentlichen Punkt beruhigt sein wird. Gewisse Verpflichtungen, die sich auf ein Verhältniß wahrer Achtung und Liebe gründen, binden mich an den Herrn von Rudolstadt. Ich will Ihnen nicht verbergen, daß ich, ungeachtet Ihrer Ungläubigkeit, Ihrer Vorwürfe und Ihrer Spöttereien, während der drei Monate, die wir hier sind, den Entschluß nicht aufgegeben habe, mich von jedem Engagement frei zu erhalten, welches der Heirat mit ihm sich entgegenstellen könnte. Allein seit der Absendung eines entscheidenden Briefes, den ich vor sechs Wochen geschrieben habe und der durch Ihre Hände gegangen ist, haben sich Dinge begeben, welche mich zu dem Glauben berechtigen, daß die Familie Rudolstadt auf mich verzichtet hat. Jeder Tag mehr, welcher verläuft, bestärkt mich in dem Gedanken, daß mir mein Wort zurückgegeben sei und daß ich Freiheit habe, Ihnen meine Sorgfalt und meine Arbeit ganz zu widmen. Sie sehen, daß ich mich ohne Kummer und ohne Bedenken diesem Loose hingebe. Indessen kann ich eben jenes Briefes wegen, welchen ich schrieb, mich nicht völlig beruhigt fühlen, bevor ich nicht eine Antwort darauf erhalten habe. Ich erwarte diese täglich, sie kann nicht ausbleiben. Erlauben Sie mir die Unterzeichnung des Berliner Contraktes aufzuschieben, bis ...

– Eh! mein armes Kind, sagte der Porpora, der von dem ersten Worte seiner Schülerin an, seine schon bereit gehaltenen Batterien aufgefahren hatte; da könntest du lange warten! Die Antwort, welche du verlangst, ist schon vor vier Wochen in einem an mich gerichteten Briefe enthalten gewesen  ...

– Und den haben Sie mir nicht gezeigt? rief die Consuelo. Sie haben mich in einer solchen Ungewißheit gelassen? ... Meister,du bist wunderlich! Wie soll ich Vertrauen zu dir haben, wenn du mich so hintergehst?

– Worin habe ich dich hintergangen? Der Brief war, wie ich dir sage, an mich, es war darin ausdrücklich verlangt, daß ich ihn dir nicht eher zeigen sollte, als bis du von deiner verrückten Liebe geheilt und im Stande wärest, Gründen der Vernunft und der Schicklichkeit Gehör zu geben.

– Diese Ausdrücke waren gebraucht? rief Consuelo erröthend. Es ist unmöglich, daß Graf Christian oder Graf Albert eine Freundschaft wie die meinige, in welcher so viel Ruhe, so viel Bescheidenheit, so viel Stolz war, mit diesen Namen belegt habe!

– Die Ausdrücke thun nichts zur Sache, sagte der Porpora. Weltleute sagen alles in schönen Redensarten; uns kommt es zu, die rechte Meinung herauszulesen. So viel steht fest, daß dem alten Grafen nicht damit gedient war, eine Theaterprinzessin zur Schwiegertochter zu haben, und daß er, sobald er von deinem hiesigen Auftreten gehört hatte, seinen Sohn bewog, auf eine so erniedrigende Verbindung zu verzichten. Der gute Albert hat Vernunft angenommen, und dir ist dein Wort zurückgegeben. Ich sehe mit Freuden, daß dich das nicht betrübt. Also, alles steht wie es soll, und fort nach Preußen!

– Meister, zeigen Sie mir den Brief und ich werde dann sogleich den Contract unterzeichnen.

– Den Brief! den Brief! Wozu ihn sehen? Er würde dir nur neuen Kummer machen. Tolle Flausen thut man am Besten Anderen und sich zu vergeben; vergiß die Sache!

– Eine That des Willens vergißt sich nicht, antwortete Consuelo. Die Ueberlegung hilft uns aber, die Thatsachen klären uns auf. Wenn die Rudolstadt mich stolz von sich stoßen, so werde ich mich bald darüber trösten; wenn Sie mich in achtungsvoller, liebreicher Weise meines Worts entbinden, werde ich mich anders trösten und es wird mir weniger sauer werden. Zeigen Sie mir den Brief! Was haben Sie zu fürchten, da ich Ihnen sage, daß ich Ihnen so wie so gehorchen werde?

– Nun gut, ich will ihn dir zeigen, sagte der schlaue Professor, öffnete seinen Schreibtisch und that, als ob er suchte.

Er zog jedes Schubfach auf, blätterte alle seine Schreibereien durch, und der Brief ... er war nie in der Welt gewesen, konnte sich also auch nicht finden. Er stellte sich, als ob er die Geduld verlöre; Consuelo verlor sie wirklich. Sie legte selbst Hand an, er ließ sie gewähren. Sie kehrte alle Fächer um, schüttete alle Papiere aus. Der Brief war nicht zu finden. Der Porpora that, als ob er nachgrübelte und er fand aus dem Stegreif einen Erklärungsversuch, welcher die Sache schicklich erledigte.

Consuelo konnte unmöglich eine so durchgeführte Verstellung bei ihrem Lehrer voraussehen. Wir dürfen zur Ehre des alten Professors annehmen, daß er sich schlecht genug dabei anstellte, aber es gehörte wenig dazu, eine so reine Seele zu täuschen. Es war ihr zuletzt sehr wahrscheinlich, daß der Porpora in der Zerstreuung den Brief dazu gebraucht habe, seine Pfeife anzuzünden; und nachdem sie in ihr Zimmer gegangen war, um dort zu beten und auf die Cypresse dem Grafen Albert ewige Freundschaft zu geloben quand même, kam sie ruhig zurück und unterzeichnete den Contract, welcher auf ein Engagement von zwei Monaten in Berlin, anzutreten mit dem Schlusse des gegenwärtig begonnenen Monats lautete. Die festgesetzte Zwischenzeit war zu den Zurüstungen und der Reise mehr als hinlänglich.

Als Porpora die frische Tinte auf dem Papiere sah, umarmte er seine Schülerin und begrüßte sie feierlich mit dem Titel Künstlerin.

– Dies ist dein Confirmationstag, sagte er zu ihr, und wenn es in meiner Macht stände, dir Gelübde abzunehmen, so würde ich von dir das Versprechen fodern, für immer auf Liebe und Heirat zu verzichten. Denn Priesterin bist du nun des Gottes der Harmonie; die Musen sind Jungfrauen, und die sich dem Dienste des Apollo weiht, sollte schwören Vestalin zu bleiben.

– Ich kann das Gelübde mich nie zu verheiraten, nicht ablegen, antwortete Consuelo, obgleich es mir in diesem Augenblick scheint, als ob mir nichts leichter zu versprechen und zu halten wäre. Aber ich kann meine Meinung ändern, und ich würde es dann bereuen, eine Verpflichtung auf mich genommen zu haben, der ich getreu bleiben müßte.

– Bist du wirklich Sklavin deines Wortes? Ja! du scheinst mir hierin von den übrigen Menschen unterschieden zu sein. Ich glaube, wenn du ein feierliches Versprechen gegeben hättest, würdest du es treulich halten.

– Meister! ich glaube schon Beweise davon geliefert zu haben, denn seit ich denken kann, habe ich stets unter dem Einflusse irgend eines Gelöbnisses gestanden. Meine Mutter hat mir diese Art Religion gelehrt und ist mir mit ihrem Beispiel vorangegangen, ja sie trieb es damit bis zum Fanatismus.

Wenn wir zusammen auf der Reise waren und wir näherten uns einer großen Stadt, so pflegte sie zu mir zu sagen: Consuelita, wenn ich hier gute Geschäfte mache, ich nehme dich zum Zeugen, so will ich nach der berühmtesten Kapelle der Gegend barfuß zwei Stunden beten gehen.

Und wenn sie dann, was sie gute Geschäfte nannte, gemacht, d. h. ein paar Thaler mit Singen verdient hatte, die arme Seele! so verfehlten wir nie, unsere Wallfahrt zu vollbringen, wie auch das Wetter, und wie weit die besuchteste Kapelle entfernt sein mochte.

Dies war kein sehr vernünftiger und geistiger Gottesdienst, aber ich lernte doch Gelübde heilig halten, und als auf ihrem Todbette meine Mutter mich schwören ließ, dem Anzoleto nie anders als in rechtmäßiger Ehe anzugehören, wußte sie wohl, daß sie im Vertrauen auf mein gegebenes Wort ruhig sterben konnte.

Später hatte ich dem Grafen Albert gelobt, an keinen Anderen zu denken als an ihn und mit allen Kräften meiner Seele dahin zu trachten, daß ich ihn so lieben könnte, wie er es wünschte. Ich bin meinem Worte nicht untreu gewesen, und wenn nicht er selbst mich heut losspräche, so würde ich daran mein Leben lang festgehalten haben.

– Laß deinen Grafen Albert, an den du gar nicht mehr denken sollst; und wenn es wahr ist, daß du immer unter einem Gelübde stehen mußt, so sage mir, mit welchem du dich mir verpflichten willst.

– O Meister, vertrau du nur meiner Vernunft, meiner Denkungsart, meiner Ergebenheit! fordre keine Schwüre! Denn es ist ein furchtbares Joch, welches man sich auflegt. Die Angst zu wanken macht, daß man keine Freude mehr daran findet, Gutes zu denken und zu thun.

– Mit solchen Ausreden ist mir nicht beizukommen! antwortete der Porpora mit halb strenger halb scherzender Miene: ich sehe, daß du aller Welt etwas gelobst, nur mir nichts. Was deine Mutter von dir gefordert, das laß ich gelten. Es hat dir Glück gebracht, armes Ding! du wärst derohne in die Schlingen dieses miserabeln Anzoleto gefallen. Aber da du später, ohne Liebe, aus purer Herzensgüte diesem Rudolstadt, der für dich ein wildfremder Mensch war, ein Gelübde so ernster Natur hast thun können, so würde ich es recht schlecht finden, wenn du an einem Tage wie diesem, an einem so glücklichen, denkwürdigen Tage, der dir deine Freiheit wiedergiebt und dich dem Gotte der Kunst verlobt, für deinen alten Lehrer, für deinen besten Freund nicht das kleinste Gelübde hättest.

– Ja, gewiß, mein bester Freund, mein Wohlthäter, meine Stütze, mein Vater! rief Consuelo, indem sie sich in die Arme des Greises warf, der mit zärtlichen Worten stets so karg war, daß er ihr seine väterliche Liebe vielleicht nur zwei oder dreimal in seinem Leben an den Tag gelegt hatte. Ich kann wohl, ohne mich in mir zu irren und ohne zu zögern, Ihnen geloben, mich Ihrem Glück und Ihrem Ruhme zu weihen, solange ein Hauch in mir sein wird.

– Mein Glück ist der Ruhm, Consuelo, das weißt du, sagte der Porpora, sie an sein Herz drückend. Ich kenne kein anderes. Ich bin nicht wie jene guten alten deutschen Spießbürger, die sich keine größere Seligkeit träumen können, als ihr Töchterchen neben sich zu haben, das ihnen die Pfeife ansteckt und die Pantoffeln bringt. Nachtmütze und Bierkrug brauch' ich nicht, Gott sei Dank! und wenn ich weiter kein Bedürfniß mehr hätte als solche, so würde ich es nicht zugeben, daß du mir dein Leben aufopfertest, wie du freilich schon jetzt mit viel zu großem Eifer thust.

Nein, das ist nicht die Art Anhänglichkeit und Hingebung für mich, die ich wünsche, du weißt es; was ich begehre, ist, daß du von ganzem Herzen Künstlerin, große Künstlerin seiest! Versprichst du mir, so der Kunst zu leben? Diese Schmachtseligkeit, diese Unschlüssigkeit, diese Art Ekel, die du hier zu Anfang zeigtest, zu bekämpfen? Die Fleuretten zurückzuweisen, welche die schönen Herrchen den Frauen vom Theater darbringen, die einen, weil sie hoffen, noch gute Hausfrauen aus ihnen ziehen zu können, und die sie sitzen lassen, wenn sie sehen, daß das nicht angeht, die anderen, weil sie zu Grunde gerichtet sind und um des Vergnügens halb, wieder zu einer Kutsche und einer guten Tafel auf Kosten ihrer lucrativen Ehehälften zu gelangen, über die Unehre, die sich an jene Kaste und an solche Art Ehen hängt, hinwegsehen.

Ferner: versprichst du mir dir nicht wieder den Kopf verrücken zu lassen von irgend einem schönen kleinen Tenor mit schmelzender Stimme und lockigen Haaren, wie dieser Schurk von Anzoleto war, der nie was anderes können wird als girren und nie durch etwas anderes gefallen wird als durch seine unverschämte Keckheit?

– Das alles verspreche ich Ihnen, schwöre ich Ihnen, antwortete Consuelo, gutmüthig lachend über Porpora's Ermahnungen, die immer, auch wenn er es nicht beabsichtigte, etwas Spitzes hatten, woran sie jedoch vollkommen gewöhnt war. Und ich will noch mehr thun, fügte sie wieder ernsthaft hinzu: ich schwört Ihnen, daß Sie sich nie in meinem Leben über eine Undankbarkeit zu beklagen haben sollen.

– Halt! so viel verlang' ich nicht: das ist mehr, als die menschliche Natur erlaubt. Wann du eine in ganz Europa berühmte Sängerin sein wirst, so werden sich Bedürfnisse der Eitelkeit, Ambitionen, Untugenden des Herzens einstellen, deren sich noch kein bedeutender Künstler der Welt hat erwehren können. Du wirst Beifall um jeden Preis verlangen. Du wirst dich nicht bescheiden, ihn dir mit Geduld zu erobern oder ihn ganz aufs Spiel zu setzen, um entweder der Freundschaft für mich oder dem Dienste des wahren Schönen treu zu bleiben. Du wirst dich unter das Joch der Mode beugen, wie sie alle thun; in jeder Stadt wirst du singen was gerade zieht, und nicht danach fragen, ob das Publicum oder der Hof einen schlechten Geschmack hat.

Genug, du wirst mitgehen, wenn du auch dessenungeachtet deine Größe behauptest, denn es giebt nun einmal kein anderes Mittel, es dem großen Haufen recht zu machen. Daß du nur nicht versäumst, gut zu wählen und zu singen, wenn du einmal vor einem ausgewählten kleinen Zirkel von Grauköpfen meines Schlages stehst, daß du nur in Gegenwart eines Händel oder Sebastian Bach der Schule des Porpora und dir Ehre machest, das ist alles was ich verlange, was ich hoffe. Du siehst, daß ich kein egoistischer Vater bin, wie Manche von deinen Schmeichlern es mir wahrscheinlich nachsagen. Ich verlange nichts was nicht zu deinem Glück und Ruhm diente.

– Und ich, ich frage nach nichts was meinem persönlichen Vortheil dient, antwortete Consuelo gerührt und betrübt. Ich kann mich wohl im Augenblicke des Gelingens von einer unwillkürlichen Trunkenheit hinreißen lassen, aber unerträglich ist mir der Gedanke, mir mit kaltem Blute ein Leben des Triumphes aufzubauen, in welchem ich mich gleichsam mit eigenen Händen kröne. Ruhm will ich erwerben Ihretwegen, Meister, Ihrem Unglauben zum Trotze; ich will Ihnen zeigen, daß nur für Sie Consuelo arbeitet und Reisen unternimmt; und um Ihnen auf der Stelle zu beweisen, daß Sie sie verleumdet haben, so will ich, da Sie meinen Schwüren trauen, Ihnen schwören, das zu leisten was ich sagte.

– Und wobei willst du schwören? sagte Porpora lächelnd mit einer zärtlichen Miene, aus welcher doch noch ein leises Mißtrauen hervorblickte.

– Bei dem weißen Haar, bei dem geheiligten Haupt des Porpora! antwortete Consuelo, und faßte dieses weiße Haupt mit beiden Händen, und drückte ihm einen brünstigen Kuß auf die Stirn.

Sie wurden durch den Grafen Hoditz unterbrochen, den ein großer Heiduck ankündigte. Dieser Bediente sah, während er das Ansuchen seines Herrn, dem Porpora und seinem Mündel die Aufwartung machen zu dürfen, vortrug, Consuelo mit einer so aufmerksamen, ungewissen und verlegenen Miene an, daß es ihr auffiel, ohne daß sie sich doch erinnern konnte, das gutmüthige, etwas wunderliche Gesicht dieses Menschen schon irgendwo gesehen zu haben.

Der Graf wurde angenommen, und brachte sein Anliegen in den zierlichsten Worten an. Er war im Begriff, nach seiner Herrschaft Roswald in Mähren abzureisen, und um den Aufenthalt daselbst der Markgräfin, seiner Gemahlin angenehm zu machen, wollte er sie sogleich bei ihrer Ankunft mit einem prächtigen Feste überraschen. Demzufolge proponirte er der Porporina, drei Abende bei ihm auf Roswald zu singen, er wünschte sogar, daß es dem Porpora gefallen möchte sie dorthin zu begleiten, um dem Grafen bei der Direktion der Concerte, spectacles und Serenaden zu assistiren, mit denen er die Frau Markgräfin zu regaliren intentionirte.

Der Porpora schützte das Engagement vor, welches soeben unterzeichnet worden und die Nothwendigkeit zu dem festgesetzten Termine in Berlin einzutreffen. Der Graf verlangte den Contract zu sehen, und da der Porpora sich von Seiten des Grafen immer einer zuvorkommenden Behandlung zu erfreuen gehabt hatte, wollte er ihm das kleine Vergnügen gönnen, den Vertrauten bei dieser Angelegenheit zu machen, Bemerkungen über die Bedingungen des Engagements fallen zu lassen, seine Sachkunde zu zeigen und guten Rath zu geben: nächstdem kam Hoditz auf seinen Vorschlag zurück und stellte vor, daß die Zeit mehr als hinreichend wäre, um seine Bitte zu erfüllen, ohne den bezeichneten Termin zu verfehlen.

– Sie können mit Ihren Vorbereitungen in drei Tagen fertig sein, sagte er, und durch Mähren nach Preußen gehen.

Dies war nicht der gerade Weg; aber anstatt langsam durch das erst kürzlich vom Krieg verwüstete Böhmen, wo man schlecht bedient war, zu reisen, sollten Porpora und Consuelo nach Roswald sehr schnell und bequem gelangen in einem Wagen, den sammt den Relais der Graf zu ihrer Disposition stellen wolltet d. h. er übernahm die Besorgung und die Kosten der Reise. Er machte sich anheischig, sie von Roswald, wenn sie die Elbe hinunter nach Dresden gehen wollten, bis nach Pardubitz, und wenn sie den Weg über Prag vorzögen, nach Chrudim fahren zu lassen.

Die Bequemlichkeiten, welche er ihnen bis zu diesen Punkten verschaffen konnte, würden allerdings die Dauer der Reise abgekürzt und die Honorare, welche er verhieß, Mittel zu einer angenehmeren Fortsetzung derselben dargeboten haben. Porpora sagte zu, ohne auf das etwas abmahnende Gesicht, das Ihm Consuelo machte, zu achten. Der Handel war geschlossen und die Abreise wurde auf den letzten Tag der Woche festgesetzt.

Als Hoditz Consuelo, nachdem er ihr ehrerbietig die Hand geküßt, mit ihrem Lehrer allein gelassen hatte, machte sie diesem Vorwürfe, daß er sich so leicht habe gewinnen lassen. Obgleich sie von den Zudringlichkeitens des Grafen nichts mehr zu fürchten hatte, trug sie ihm doch einen kleinen Groll nach und ging nicht gern zu ihm. Sie wollte dem Porpora das Passauer Abentheuer nicht erzählen, aber sie erinnerte ihn, wie oft er selbst sich über die Compositionen des Grafen Hoditz lustig gemacht habe.

– Sehen Sie denn nicht ein, sagte sie, daß ich verdammt sein werde, seine Sachen zu singen, und daß Sie, Sie selbst gezwungen sein werden, Cantaten und wer weiß, ob nicht gar Opern von ihm zu dirigiren? Ist das die Art, wie Sie mich anleiten wollen, mein Gelübde zu halten und dem Dienst des Schönen treu zu bleiben?

– Basta! antwortete Porpora lachend, ich werde das nicht so ernsthaft thun, wie du denkst. Im Gegentheil, ich verspreche mir davon ein köstliches Vergnügen, ohne daß der hochedle Maestro das Mindeste merke. Dergleichen ernsthaft und vor einem ehrenwerthen Publicum zu treiben, wäre allerdings eine Lästerung und eine Schande; aber sich zu amüsiren, ist erlaubt, und der Künstler wäre ein unglückliches Geschöpf, wenn er bei seinem Brotverdienst nicht einmal über die, welche ihm diesen gewähren, in die Faust lachen dürfte. Uebrigens wirst du da die Prinzessin von Culmbach antreffen, die du ja gern hast, und die auch liebenswürdig ist. Sie wird uns lachen helfen, obgleich sie nie lacht über ihres Stiefvaters Musik.

Es half nichts, es mußte gepackt, das Nöthige eingekauft und Abschied genommen werden. Joseph war in Verzweiflung. Indessen war ihm eben ein Glück begegnet, eine große Künstlerfreude, die ihm den Schmerz der Trennung, wenn auch nicht verscheuchte, doch durch gezwungene Zerstreuung linderte.

Als er nämlich seine Serenade unter dem Fenster des vortrefflichen Komikers Bernadone spielte, des berühmten Harlekins vom Theater vor dem Kärnthner Thore, war dieser einsichtsvolle und liebenswürdige Künstler ganz davon überrascht und entzückt gewesen. Er hatte Haydn zu sich heraufgerufen, hatte gefragt, von wem dieses anmuthige und originelle Trio componirt wäre. Er war erstaunt über das Talent eines so jugendlichen Künstlers, und trug kein Bedenken, ihm die Composition eines satyrischen Ballets, welches er selbst verfaßt hatte und welches den Titel: »der hinkende Teufel« erhielt, zu übertragen.

Haydn hatte nun das Werk begonnen; er arbeitete an der Sturmscene, die ihm so ungeheure Mühe machte, daß noch der gute alte achtzigjährige Haydn, so oft er sich daran erinnerte, Thränen lachte. Consuelo suchte ihn von seinem Kummer abzuziehen, indem sie ihm von nichts als von seinem Seesturm sprach, den Bernadone recht fürchterlich haben wollte, und dessen Ausmalung Beppo, der nie das Meer gesehen, nicht zu Stande bringen konnte. Consuelo beschrieb ihm das adriatische Meer im Aufruhr und sang ihm das Gewimmer der Wogen vor, nicht ohne mit ihm herzlich zu lachen über solche Effectmalerei der Musik, und deren Unterstützung durch den blauen Streifen, welcher von Kulisse zu Kulisse über die Bühne gespannt, von versteckten Männern auf und ab geschaukelt wird.

– Höre! sagte der Porpora, um ihm aus der Verlegenheit zu helfen, du kannst hundert Jahre arbeiten, wenn du das Geräusch der Wellen und des Windes noch so gut kennst, und mit den allervortrefflichsten Instrumenten der Welt, und du wirst die erhabene Harmonie der Natur nicht wiedergeben. Das ist nicht die Aufgabe der Musik. Sie verirrt sich in kindische Spielerei, wenn sie den Knalleffecten und der Nachahmung der Naturlaute nachjagt. Sie vermag Größeres als das: die Gefühlswelt ist ihr Reich. Auf das Gefühl zu wirken ist ihr Zweck, wie ihre Quelle das Gefühl ist.

Stelle dir die Empfindung eines Menschen vor, welcher von Graus umgeben ist, mit Schrecken ringt; stelle dir ein furchtbar erhabenes, ein schaudererweckendes Schauspiel, haarsträubende Gefahren vor; versetze dich, den Musiker, d. h. die menschliche Stimme, die menschliche Klage, die fühlende, zitternde Seele, mitten in diese Schauerscene, in dieses Getöse, dieses Gewühl, diese Hülflosigkeit und Verzweiflung: sprich Todesangst aus und der Zuhörer, musikkundig oder nicht, wird sie mitfühlen. Er wird sich einbilden, das Meer zu sehen, das Krachen der Balken, das Geschrei der Matrosen, die Wehklage der Schiffenden zu hören.

Was würdest du von einem Dichter sagen, der, um eine Schlacht zu malen, dir in Versen erzählte, daß die Kanone Bumm, bumm und die Trommel Tataram tam tam macht? Und doch wäre diese Naturnachahmung genauer, als sie die kühnsten Bilder liefern können: nur freilich Poesie wäre es nicht. Selbst die Malerei, diese doch eigentlich malende Kunst, darf nicht knechtisch nachahmen. Umsonst wird der Künstler das tiefe Grün des Meeres, den schwarzen Sturmhimmel, das Gerippe des gestrandeten Schiffes abschreiben: hat er nicht das Gefühl dafür, Grausen und Schrecken, die Poesie der ganzen Scene auszudrücken, so wird sein Gemälde farblos sein, und wären die Farben so brillant wie auf einem Bierschild.

Also, junger Mann, rege deine Einbildungskraft auf durch die Vorstellung eines furchtbaren Unheils und dein Tongemälde wird aufregend auf die Andern wirken.

Er fuhr noch mit väterlichem Tone in solchen Ermahnungen fort, während das Gepäck der Reisenden in den Wagen geschafft wurde, welcher schon bespannt auf dem Hofe des Gesandtschaftshotels stand. Joseph verschlang mit aufmerksamem Ohre die Lehren, welche er so zu sagen an der Quelle schöpfte; aber, als Consuelo, in Mantel und Pelzkappe, ihm um den Hals fiel, wurde er bleich wie der Tod, erstickte einen Schrei, und entfloh, da er sich nicht entschließen konnte, sie in den Wagen steigen zu sehen, um sein Schluchzen in der Kammer hinter Kellers Laden zu verbergen.

Metastasio gewann ihn lieb, vervollkommnete ihn im Italienischen und entschädigte ihn für Porpora's Verlust einigermaßen durch guten Rath und gute Dienste. Aber lange Zeit war Joseph traurig und unglücklich, ehe er sich an Consuelo's Verlust gewöhnen konnte.

Diese war zwar auch betrübt und beklagte den Verlust eines so treuen und liebenswerthen Freundes, aber immer mehr fühlte sie ihren Muth, ihr Feuer und ihre poetische Empfänglichkeit wiederkehren, je tiefer sie in das mährische Gebirg hinein reiste. Eine neue Sonne ging ihrem Leben auf. Jedes Bandes ledig und jeder fremden Gewalt über ihre Kunst, schien sie sich nun berufen, dieser ganz anzugehören. Der Porpora, der wieder voll jugendlicher Luft und Hoffnung war, regte sie durch beredte Gespräche an, und das edle Mädchen, das nicht aufhörte, Albert und Joseph wie zwei Brüder zu lieben, welche sie dereinst im Schoße Gottes wiederfinden würde, fühlte sich leicht und frei wie die Lerche, die im Frühlicht eines schönen Tages mit Gesang gen Himmel steigt.

5.

Seit dem zweiten Pferdewechsel hatte Consuelo den Bedienten wiedererkannt, welcher sie auf dem Bocke sitzend begleitete und die Langsamkeit der Postillione mit Trinkgeldern fütterte, den nämlichen Heiducken, der den Grafen Hoditz an jenem Tage angemeldet hatte, als derselbe kam, um die Vergnügungsreise nach Roswald in Vorschlag zu bringen. Dieser große, stämmige Bursch, der sie immer verstohlen anblickte und nicht zu wissen schien, ob er es wagen dürfte, sie anzureden, hatte endlich ihre Aufmerksamkeit erregt; und eines Morgens, als sie in einem einsamen Wirthshause am Fuße des Gebirges frühstückte, während Porpora, ein Thema verfolgend, das ihm im Sinne lag, allein umherspazirte, blickte sie zu dem Bedienten auf, als er ihr eben den Kaffee brachte und sah ihm mit etwas strengem und zornigem Blick ins Gesicht. Er aber machte eine so erbärmliche Miene, daß sie sich nicht enthalten konnte laut auf zu lachen. Die Aprilsonne blitzte auf dem Schnee, welcher die Berghäupter krönte, und unsere Reisende fühlte sich gut gekannt.

– O Gott! sagte endlich der geheimnißvolle Heiduck. Will Ihr Gnaden nicht die Gnad haben und mich wiederkennen? Ich würd Sie immer wiedergekannt haben, und thäten's als Türk oder als preußscher Kaporal verkleidet sein. Und doch hab ich Sie nur einen Augenblick gesehen, aber das war auch ein Augenblick in meinem Leben!

Mit diesen Worten setzte er das Kaffeebrett, welches er gebracht hatte, auf den Tisch; und indem er näher herantrat, machte er feierlich ein großes Kreuz, beugte ein Knie und küßte den Boden vor ihr.

– Ah! schrie Consuelo auf, Karl, der Deserteur! Nicht wahr?

– Ja, Signora! antwortete Karl, indem er die Hand küßte, welche sie ihm reichte; wenigstens haben's mir gesagt, daß ich Sie so tituliren muß; obgleich ich noch immer nicht gewußt hab, ob's eigentlich ein Herr oder eine Dame sein.

– In der That? Und woher kommt deine Ungewißheit?

– Weil ich Sie als einen Buben gesehn hab und hernach, als ich Sie erkannt hab, haben's halt ebenso genau wie ein junges Madel ausgeschaut, als Sie zuvor wie ein Bub ausgeschaut haben. Aber es thut nichts. Sein's was Sie wollen, Sie haben mir einen Dienst erzeigt, den ich nicht vergessen kann; und wenn's schaffen thäten, daß ich mich von dem Berg da hinabstürzen sollt, so würd' ich's thun.

– Nein ich schaffe nichts von dir, mein braver Karl, als glücklich zu sein und dich deiner Freiheit zu freuen. Denn du bist ja nun frei, und ich denke, das Leben ist dir wieder lieb.

– Frei, ja! antwortete Karl, aber glücklich ... Ich hab mein armes Weib verloren.

Consuelo's Augen füllten sich mit Thränen, aus Mitgefühl, als sie über Karls viereckige Backen einen Thränenstrom rinnen sah.

– Ah! sagte er, seinen rothen Schnurrbart schüttelnd, von welchem die Thränen wie der Regen von einem Busch niederträufelten; sie hat zu viel gelitten gehabt, die arme Seel! Der Kummer, daß sie mich wieder hat gesehen den Preußen in die Händ fallen, dann, der weite Weg zu Fuß, da sie schon elend krank gewesen ist, sonach die Freud, mich wiederzusehn, das alles hat sie so zusammen geschüttelt, daß sie gestorben ist acht Tage nach ihrer Ankunft in Wien, wo ich sie gesucht hab, und wo sie mich gefunden hat, mit Hülf des Grafen Hoditz, an den Sie ihr ein Billet gegeben haben. Der gute Herr hat ihr einen Doctor geschickt und Medicin, aber es hat nichts mehr geholfen; sie ist lebensmüd gewesen, schaun's und ist zum lieben Gott heimgegangen, um auszuruhen im Himmel.

– Und deine Tochter? sagte Consuelo, die ihn gern auf einen tröstlicheren Gedanken bringen wollte.

– Meine Tochter? antwortete er mit finsterem und verstörtem Blick, die hat mir der König von Preußen auch todt gemacht.

– Todt gemacht? wie? was sagst du?

– Hat nicht der König von Preußen die Mutter umgebracht, weil er all das Unglück verursacht hat? Nu, das Kind ist der Mutter nachgefolgt. Seit dem Abend, wo sie mich von den Werbern haben binden und knebeln und blutig schlagen und wegtransportiren sehen, und wie todt auf der Straßen liegen geblieben sein, hat das Madel immer ein Zittern und Fieber gehabt; die Strapaze und das Elend unter Weges haben ihr den Rest gegeben. Wie Sie ihnen begegnet sein auf einer Brucken, ich weiß nicht bei welchem kleinen Dorf in Oesterreich, haben sie seit zwei Tagen nichts gegessen gehabt. Sie haben ihnen Geld gegeben, Sie haben ihnen gesagt, daß ich gerettet wär, Sie haben alles gethan um sie zu trösten und zu pflegen: das haben sie mir alles wieder erzählt: aber es ist zu spät gewesen. Seit wir wieder beisammen gewesen sind, ist's immer schlechter geworden, und gerade da wir hätten glücklich sein können, haben's sich alle beid' ins Grab gelegt. Die Erd war noch nicht fest geworden über meinem Weib ihrer Leichen, da haben's das Erdenreich wieder aufreißen müssen und mein Kind mit hineinlegen. Jetzt nun ist der Karl allein auf der Welt, dem König von Preußen sei's gedankt.

– Nein, mein armer Karl! du bist nicht verlassen; du hast noch Freunde, die für dein Unglück und dein gutes Herz Theilnahme hegen.

– Ich weiß wohl. Ja, es giebt brave Leut, und Sie gehören auch dazu. Aber was soll's mir helfen, jetzt, da ich weder Weib, noch Kind, noch Vaterland mehr hab. Denn in meinem Vaterland werd' ich nicht mehr sicher sein; mein Gebirg kennen die Räuber zu gut; die mich dort zweimal weggeholt haben. Sobald ich mich allein und verlassen gesehen, hab ich gefragt, ob Krieg wär, oder bald sein würd'; ich hab nur Einen Gedanken gehabt, gegen Preußen zu Feld zu ziehen, und so viel Preußen todt zu schlagen als ich gekonnt hätt. Ha! Sankt Wenzel, unser Schutzheiliger würd meinen Arm regiert haben, und ich weiß, daß keine Kugel aus meinem Gewehr in den Wind gegangen wär. Ich hab mir gesagt: vielleicht ist's Gottes Wille, daß du einmal dem König von Preußen begegnest in einem Engpaß, und dann, Mord Element! ... und wenn er gepanzert wär' wie der Erzengel Michael ... und wenn ich ihm nachgehen müßt' wie der Spürhund dem Wolf ...!

Da hab ich aber gehört, daß der Friede für lange Zeit gesichert ist; und weil ich an nichts mehr Gefallen gefunden hab, so bin ich zu dem guten Herrn Grafen Hoditz gegangen, um ihm Dank zu sagen und um ihn zu bitten, daß er mich nicht der Kaiserin vorstellen sollt, wie er gewollt hat. Ich hab mich umbringen wollen, aber er ist so gut gegen mich gewesen, und seine Tochter, die Prinzessin von Culmbach, der ich heimlicher Weis meine Geschicht erzählt hab, hat mir so schöne Reden gehalten über die Pflicht eines Christenmenschen, daß ich mich dazu verstanden hab, noch am Leben zu bleiben und in seinen Dienst zu treten, wo ich wahrhaftig zu gute Kost und zu guten Lohn hab für das Bissel Arbeit, das ich zu verrichten hab.

– Nun sage mir doch, Karl! sagte Consuelo, ihre Augen trocknend, wie du mich wieder erkennen konntest.

– Sind's nicht eines Abends zu meiner neuen Herrschaft, der Frau Markgräfin gekommen und haben da gesungen? Ich hab Sie ganz weiß angezogen durch das Vorzimmer gehen sehen und hab Sie gleich gekannt, obgleich Sie zu einer Demoiselle geworden sind. Denn schaun's, die Oerter wo ich durchgereist bin und die Namen der Leut denen ich begegnet bin, behalt ich nicht gut im Kopf zusammen, aber die Gesichter vergeß ich mein Lebtage nicht.

Ich hab eben ein Kreuz machen wollen, da hab ich einen jungen Burschen hinter Ihnen her gehen sehen, und hab ihn gleich für den Seppel erkannt, und anstatt Ihr Herr zu sein, wie ich damals bei meiner Befreiung gedacht hab (denn er ist besser dazumal angezogen gewesen als Sie), ist er Ihr Bedienter gewesen und ist im Vorzimmer geblieben. Er hat mich nicht wieder gekannt, und weil der Herr Graf mir verboten hat, ich weiß nicht warum, mit irgend einem Menschen ein Wort zu reden von dem was mir passirt ist, so hab ich auch mit dem guten Seppel nicht geredt, obgleich mich sehr verlangt hat, ihm um den Hals zu fallen. Er ist dann gleich in ein anderes Zimmer gegangen. Ich hab Befehl gehabt, das Zimmer nicht zu verlassen, worin ich gewesen bin; ein guter Bedienter hält sich an seine Ordre.

Aber als alle Welt fort gewesen ist, hat der Kammerdiener des Herrn Grafen zu mir gesagt:

– »Karl, du hast den kleinen Lakaien des Porpora nicht angeredet, den du doch gekannt hast, das hast du gut gemacht. Der Herr Graf wird mit dir zufrieden sein. Und was die Demoiselle betrifft, die heut Abend hier gesungen hat ...«

O, ich hab sie auch erkannt, hab ich gesagt, und hab nicht davon geredt.

– »Das hast du auch gut gemacht,« hat er gesagt; »der Herr Graf will nicht, daß die Leut wissen sollen, daß er mit ihnen nach Passau gefahren ist.«

Das thut mich nichts angehen, hab ich gesagt; aber weißt du vielleicht, wie diese Demoiselle dazu gekommen ist, mich von den Preußen zu retten? Da hat mir Heinrich erzählt wie alles gekommen ist, (denn er ist mit dabei gewesen) wie Sie dem Wagen des Herrn Grafen nachgelaufen sein, und wie Sie, sobald Sie für sich selbst nichts mehr zu fürchten gehabt, a tout verlangt haben, daß er mich auch retten sollt. Sie haben auch meinem armen Weib etwas davon gesagt und sie hat es mir wieder erzählt, denn noch ihr letztes Wort ist gewesen, daß sie für Sie gebetet hat und zu mir hat sie gesagt:

– »Es sind arme Kinder die fast eben so unglücklich ausgeschaut haben wie wir, und doch haben's mir gegeben was sie gehabt haben und haben geweint, als ob wir verwandt gewesen wären.«

Wie ich nun den Herrn Seppel als Ihren Bedienten gesehen hab und hab ihm sollen etwas Geld von meiner gnädigen Herrschaft bringen, wo er einen Abend die Violinen gespielt hat, so hab ich ein paar Dukaten mit in das Papierel gethan, es sind die ersten gewesen, die ich in diesem Haus verdient hab. Er hat's halt nit gewußt, und hat mich auch nit gekannt. Aber wenn wir wieder nach Wien gehn thun, so will ich's halt schon so einrichten, daß er nimmer in Verlegenheit sein soll, so lang ich etwas verdienen kann.

– Joseph ist nicht mehr in meinem Dienst, mein guter Karl, er ist mein Freund. Er ist auch nicht mehr in Verlegenheit. Er ist Musicus und wird sich seinen Unterhalt leicht erwerben. Also beraube dich seinetwegen nicht.

– Für Sie, Signora, kann ich halt nicht viel thun, weil Sie eine große Schauspielerin sein, wie ich hör. Aber schaun's, wenn's einmal in der Lagen wären, daß Sie einen Bedienten brauchen thäten und könnten keinen bezahlen, so lassen's den Karl rufen und verlassen's sich auf ihn. Er wird Ihnen umsonst dienen und wird es sich für ein Glück rechnen, für Ihnen zu arbeiten.

– Ich bin bezahlt genug durch deine Erkenntlichkeit, mein Freund. Ich verlange kein Opfer von dir.

– Da kommt der Herr von Porpora zurück. Vergessen's nicht Signora, daß ich nicht die Ehr hab', Ihnen weiter zu kennen, als daß mein Herr mich zu Ihrem Befehl gestellt hat.

Am folgenden Tage waren unsere Reisenden sehr früh aufgebrochen, und erreichten, nicht ohne Müh, gegen Mittag das Schloß Roswald. Es lag hoch, auf einem der schönsten Hänge des mährischen Gebirgs, und so geschützt vor den kalten Winden, daß man schon den Frühling fühlte, wenn noch eine halbe Meile davon der Winter herrschte. Obgleich sich die schöne Zeit in diesem Jahre früh eingestellt hatte, waren doch die Wege noch sehr wenig fahrbar. Aber der Graf Hoditz, der vor nichts zurückschreckte, der sich aus dem Unmöglichen einen Spaß machte, war bereits angelangt, und beschäftigte hundert Arbeiter, die Straße zu ebenen, auf welcher Tages darauf die majestätische Equipage seiner edeln Gemahlin einherrollen sollte. Es wäre vielleicht fürsorglicher und liebevoller gewesen, mit ihr zu reisen, allein es handelte sich weniger darum, zu verhüten, daß sie unter Weges Arme und Beine bräche, als ihr ein Fest zu geben, und sie sollte nun einmal, todt oder lebendig, bei ihrem Einzuge auf der Herrschaft Roswald mit einem glänzenden Divertissement empfangen werden.

Der Graf erlaubte unsern Reisenden kaum, ihre Kleider zu wechseln, und ließ ihnen ein vortreffliches Diner in einer Muschelgrotte auftragen, die durch einen ungeheuern, hinter künstlichen Felsen versteckten Ofen angenehm erwärmt war. Beim ersten Anblick schien dieser Ort bezaubernd. Die Aussicht, deren man durch die Oeffnung der Grotte genoß, war wirklich herrlich.

Die Natur hatte für Roswald alles gethan. Malerische Schwellungen des Bodens, steile Abhänge, köstliche Blicke, grüner Wald, zahlreiche Quellen, weite Wiesen, und dazu eine gemächliche Wohnung, was bedurfte es weiter zur Vollkommenheit eines Lustsitzes? aber bald bemerkte Consuelo gesuchte und abgeschmackte Verschönerungen, mit denen es dem Grafen vortrefflich gelungen war, diese erhabene Natur zu verderben.

Die Grotte wäre reizend gewesen ohne die Glasfenster, welche aus ihr einen vor der Witterung geschützten Speisesaal machten. Da das Geisblatt und die Winden erst zu knospen anfingen, hatte man die Thür- und Fenstergewände mit künstlichen Blättern und Blumen bekleidet, welche ihnen ein geziertes Ansehen gaben. Zwischen den Muscheln und Tropfsteinen, welche von dem Winterwetter ein wenig gelitten hatten, blickte der Kitt, mit welchem sie befestigt waren, und der Kalkbewurf der Mauer durch, und da sich der Dunst welchen die Hitze des Ofens verbreitete, an dem noch etwas feuchten Gewölbe niederschlug, träufelte auf die Köpfe der Schmausenden ein schwärzlicher, ungesunder Regen hernieder, den aber der Graf durchaus nicht bemerken wollte.

Der Porpora bekam den Schnupfen davon und griff zwei oder dreimal nach seinem Hute, wagte aber nicht denselben aufzusetzen, obgleich ihn die Lust prickelte, es zu thun. Noch mehr fürchtete er für Consuelo eine Erkältung und er suchte die Mahlzeit zu beeilen, indem er eine lebhafte Ungeduld vorschützte, die Compositionen zu sehen, welche am folgenden Tage aufgeführt werden sollten.

– Was wollen Sie sich darüber Sorge machen, werthgeschätzter Maestro! sagte der Graf, der gern schmauste und gern lange Geschichten erzählte von der Erwerbung oder der von ihm selbst geleiteten Anfertigung jedes kostbaren Stückes das zu seinem Tafelservice gehörte: geschickte Musiker, Meister wie Sie haben keine Stunde nöthig, um sich zu orientiren. Meine Compositionen sind einfach und natürlich. Ich gehöre nicht zu den Pedanten, welche durch gelehrte Harmonien und verzwackte Contrapunkte zu frappiren suchen. Auf dem Lande muß man simple, pastorale Musik haben. Ich liebe mir leichte, unschuldige Melodien. Die Markgräfin theilt hierin meinen Geschmack. Es wird schon alles gehen, Sie werden sehen. Uebrigens geht die Zeit nicht verloren. Während unseres déjeûner richtet mein Majordomo alles nach meinen ordres ein, und wir werden nachher die Chöre an ihren verschiedenen Orten aufgestellt und die Musiker auf ihren Posten finden.

Bei diesen Worten unterbrach ihn ein Bedienter mit der Meldung daß zwei fremde Officiere, welche auf der Durchreise begriffen wären, um Erlaubniß bäten dem Herrn Grafen ihr Compliment zu machen und, falls es ihm genehm wäre, das Schloß und die Gärten von Roswald in Augenschein zu nehmen.

Der Graf war solcher Besuche gewohnt und nichts gewährte ihm größeres Vergnügen als selber den Cicerone der Neugierigen zu machen, welche die Herrlichkeiten seiner Residenz zu besichtigen wünschten.

– Sie sind willkommen! rief er. Zwei Couverts!

Die beiden Officiere wurden sogleich eingeführt. Sie trugen preußische Uniform. Der erste welcher eintrat, und hinter welchem sich sein Camerad ganz verstecken zu wollen schien, war nicht groß und hatte ein ziemlich finsteres und häßliches Gesicht. Seine große, starke, unedle Nase machte die Eingezogenheit seines Mundes und die Flucht oder lieber Abwesenheit seines Kinnes noch auffallender. Seine ziemlich gebückte Haltung gab seinem Körper, der in dem übel kleidenden Militairrock von Friedrichschem Schnitt steckte, ein verschrumpftes, greisenhaftes Ansehen. Indessen war dieser Mann höchstens in den Dreißigen; er hatte einen festen Gang, und als er den häßlichen Hut abgenommen hatte, welcher sein Gesicht bis zur Nasenwurzel verdeckte, zeigte sich das was an seinem Kopfe schön war, eine charactervolle, denkende Stirn, bewegliche Augenbrauen und Augen von außerordentlicher Klarheit und Lebhaftigkeit. Durch seinen Blick schien er verwandelt wie die unschönste, trübseligste Gegend, sobald das Sonnenlicht darüber streift. Er schien um einen Kopf größer geworden, sobald aus dem blassen, unscheinbaren, unruhigen Gesicht die leuchtenden Augen hervorblitzten.

Der Graf empfing die Fremden mit mehr herzlicher als ceremoniöser Gastlichkeit, hieß sie ohne Umstände Platz nehmen und legte ihnen von den besten Schüsseln mit wahrhaft patriarchalischer Beflissenheit vor; denn Hoditz war der beste Mensch, den man sich denken konnte, und seine Eitelkeit, welche weit davon entfernt blieb, sein Herz zu verderben, diente nur dazu, ihn freigebiger zuvorkommender und zuthunlicher zu machen.

Auf seiner Herrschaft bestand noch die Leibeigenschaft, und alle Herrlichkeiten Roswalds waren mit verhältnißmäßig geringen Kosten von den Bauern hergestellt worden, aber er wußte seinen Hörigen ihr Joch unter Blumen und Leckereien zu verstecken. Er machte sie der Nothdurft vergessen, indem er ihnen Ueberflüssigkeit spendete und in der Ueberzeugung daß Vergnügen Glück ist, gab er ihnen so viel Lustbarkeit zum Besten, daß sie an Freiheit nicht dachten.

Der preußische Officier (denn es war wirklich so gut wie nur einer, dessen bloßer Schatten der andere schien) zeigte Anfangs einiges Erstaunen, vielleicht fast Betroffenheit über das sans-façon des Herrn Grafen, und beobachtete merklich mit Absicht eine höfliche Zurückhaltung; der Graf sagte aber zu ihm:

– Herr Rittmeister, ich bitte Sie, daß Sie es sich bei mir bequem machen und sich wie zu Hause betrachten. Ich weiß wohl, daß Sie sehr gewöhnt sein werden an die ordonnancemäßige Accuratesse, welche die Armee des großen Friedrichs distinguirt. Ich ästimire das auch seines Ortes; aber hier, wo Sie auf dem Lande sind, müssen Sie sich amüsiren: wozu ginge man sonst auf's Land?. Ich sehe, daß Sie Männer von Erziehung und guter Lebensart sind. Sie sind ohne Zweifel auch Officiere von militairischer Experienz und erprobter Bravour, denn Sie sind Officiere Sr. Majestät des Königs von Preußen. Ich nehme Sie daher als Gäste auf, deren Gegenwart mein Haus ehrt; bedienen Sie sich desselben ohne die geringste Gêne und so lange als Ihnen der Aufenthalt darin angenehm sein wird.

Der Officier faßte sogleich seinen Entschluß als vernünftiger Mann, und nachdem er seinem Wirthe in dem nämlichen Ton gedankt hatte, fing er an, den Champagner springen zu lassen, ohne jedoch ein Haar breit von seiner Kaltblütigkeit zu weichen, und in eine vortreffliche Pastete einzuhauen, über welche er gastronomische Bemerkungen und Fragen hinwarf, die der mäßigen Consuelo keine große Vorstellung von ihm beibrachten. Indessen entging ihr auch das Feuer seines Blickes nicht, nur daß dieses Feuer sie mehr in Erstaunen setzte als anzog. Sie fand darin etwas Stolzes, Stechendes, Mißtrauisches, was nicht zu ihrem Herzen sprach.

Ueber Tische sagte der Officier dem Grafen, daß er sich Baron von Kreuz nenne, aus Schlesien gebürtig, und auf einer Remontereise begriffen sei; in Neisse angelangt, habe er dem Wunsche nicht widerstehen können, die weltberühmten Anlagen von Roswald zu besehen, und sei deswegen diesen Morgen mit dem Lieutenant der ihn begleite, über die Grenze geritten, nicht ohne sich unter Weges die Gelegenheit zum Ankauf einiger Pferde zu Nutze zu machen. Er machte sogar dem Grafen den Antrag seine Ställe zu besuchen und wenn demselben einige Thiere feil wären, ein Geschäft abzuschließen: er reise zu Pferde und werde noch selbigen Abend wieder umkehren.

– Das werde ich nicht zugeben, sagte der Graf. Ich habe in diesem Augenblick keine Pferde die ich Ihnen ablassen könnte. Im Gegentheil, die meinigen reichen nicht einmal hin zu allen den neuen Verschönerungen, die ich in meinen Gärten vornehmen will. Aber ich will ein besseres Geschäft mit Ihnen machen, indem ich Ihrer Gesellschaft so lang als möglich genieße.

– Wir haben jedoch in Erfahrung gebracht, daß Sie von Stunde zu Stunde die Frau Gräfin Hoditz erwarten, und da wir nicht zur Last zu fallen wünschen, so wollen wir uns zurückziehen, sobald wir sie kommen hören.

– Die Frau Markgräfin erwarte ich erst morgen, antwortete der Graf; sie wird mit ihrer Tochter, der Frau Prinzessin von Culmbach herkommen. Sie wissen vielleicht nicht, mein Herr, daß ich die Ehre gehabt habe, mich mit einer ...

– Mit der verwitweten Markgräfin von Bayreuth sich zu verheiraten, fiel ihm der Baron von Kreuz ins Wort, den dieser Titel nicht so zu blenden schien, als der Graf erwartete. Ja wohl, ich weiß, antwortete der preußische Officier, indem er eine starke Priese Taback nahm.

– Und da sie eine außerordentlich liebenswürdige und graziöse Dame ist, fuhr der Graf fort, so zweifle ich nicht, daß sie sich ein Vergnügen daraus machen wird, brave Diener des Königs, ihres ruhmvollen Neffen zu empfangen.

– Wir würden außerordentlich gerührt von einer so großen Ehre sein, antwortete der Baron lächelnd, allein wir haben nicht die Muße Gebrauch davon zu machen. Unsere Pflicht ruft uns auf unsern Posten, und wir werden uns Ihnen heut empfehlen müssen. Inzwischen aber werden wir uns sehr glücklich schätzen, diese schöne Residenz zu bewundern: der König, unser Herr besitzt keine, welche sich mit ihr in Vergleichung stellen ließe.

Dieses Compliment verschaffte dem Preußen die volle Gunst des mährischen Herrn wieder. Die Tafel wurde aufgehoben. Der Porpora, der sich weniger Spaß von der Promenade als von der Probe versprach, wollte sich von der ersteren frei machen.

– Nicht doch, sagte der Graf. Promenade und Repetition, das wird Ein Actus sein, Sie werden sehen, theuerer Maestro!

Er bot Consuelo seinen Arm, und indem er voranging, sagte er:

– Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich mich der einzigen Dame bemächtige, welche in diesem Augenblick zugegen ist: es ist mein Herrenrecht. Haben Sie die Güte, mir zu folgen, ich werde Sie führen.

– Darf ich mir zu fragen erlauben, mein Herr, sagte der Baron von Kreuz, der zum erstenmale an Porpora das Wort richtete, wer diese liebenswürdige Dame ist?

– Mein Herr, antwortete Porpora, der übler Laune war, ich bin Italiener, verstehe sehr wenig Deutsch; und noch weniger Französisch.

Der Baron, welcher bis dahin mit dem Grafen fortwährend französisch gesprochen hatte, wie es damals unter Leuten von Ton bräuchlich war, wiederholte seine Frage auf Italienisch.

– Diese liebenswürdige Dame, die in Ihrer Gegenwart noch kein Wort gesprochen hat, antwortete der Porpora trocken, ist weder Markgräfin, noch Prinzessin, noch Baronin, noch Gräfin: sie ist eine italienische Sängerin, der es nicht an einigem Talent fehlt.

– Um so mehr interessirt es mich, sie kennen zu lernen und ihren Namen zu erfahren, antwortete der Baron, über das mürrische Wesen des Maestro lächelnd.

– Es ist meine Schülerin, die Porporina, antwortete dieser.

– Das soll eine sehr fähige Person sein, entgegnete der Baron, und sie wird in Berlin mit Ungeduld erwartet. Da sie Ihre Schülerin ist, so sehe ich, daß ich die Ehre habe, mit dem berühmten Maestro Porpora zu sprechen.

– Ihnen zu dienen, antwortete der Porpora kurz, und drückte seinen Hut wieder auf den Kopf, den er, um das Compliment des Barons von Kreuz zu erwiedern, ein wenig gelüftet hatte. Da ihn dieser so wortkarg fand, ließ er ihn vorausgehen und blieb mit dem Lieutenant zurück. Der Porpora, der Augen bis hinten am Kopfe hatte, sah, daß sie zusammen lachten, während sie ihm nachsahen und in ihrer Sprache mit einander redeten. Er wurde desto mehr gegen sie eingenommen, und würdigte sie während des ganzen Spazierganges nicht einmal eines Blickes.

6.

Die Gesellschaft stieg einen ziemlich abschüssigen Fußsteig nieder, und fand unten einen Fluß im Kleinen, der ursprünglich ein klares, schnelles Bächlein gewesen war; da dieses aber hatte schiffbar werden sollen, so war sein Bett erweitert, hatte geringeren Fall erhalten und das schöne Wasser war durch die darin vorgenommenen Arbeiten getrübt. Die Arbeiter waren noch damit beschäftigt, einige Felstrümmer herauszuschaffen, ein Geschenk des Winters, welches dem Wasser in der That noch seinen Rest von malerischem Ansehen gab.

Eine Gondel erwartete hier die Gesellschaft, eine ächte Gondel, welche der Graf aus Venedig hatte kommen lassen, und bei deren Anblick Consuelo's Herz klopfte, denn wie viele süße und bittere Erinnerungen knüpften sich nicht daran! Man schiffte sich ein. Auch die Gondoliere waren wirkliche Venetianer, die im venetianischen Dialect sprachen: der Graf hatte sie zugleich mit dem Schiffchen kommen lassen, wie man heut zu Tage Neger mit der Giraffe verschreibt.

Der Graf Hoditz, der viel herumgereist war, bildete sich ein, alle Sprachen zu sprechen; aber obgleich er allen möglichen Aplomb und Accent hineinzulegen suchte und seine Befehle sehr laut den Gondolieren zuschrie, hätten ihn diese doch kaum verstanden, wenn ihnen nicht Consuelo die Meinung ihres Herrn gedolmetscht hätte.

Der Befehl lautete, sie sollten Stanzen aus dem Tasso singen, aber diese armen Teufel, die von dem rauhen Nord heiser, der Heimat entrissen und in ihrem Gedächtniß, wie in ihren Gewohnheiten aus dem Schick gebracht waren, gaben den Preußen eine sehr schlechte Probe von ihrer Kunst. Consuelo mußte ihnen jede Strophe vorsagen, und versprach, die Stellen welche sie morgen vor der Frau Markgräfin singen sollten, ihnen einzuüben.

Nachdem man eine Viertelstunde lang einen Raum durchschifft hatte, der sich in drei Minuten hätte zurücklegen lassen, wäre nicht der arme Bach durch tausend tückische Krümmungen und Wendungen aus seinem natürlichen Laufe gezwängt gewesen, erreichte man das offene Meer. Es war dies ein großes Wasserbecken, in welches man zwischen dichten Cypressen- und Fichtenmassen hindurch einfuhr, und dessen unerwarteter Anblick wirklich angenehm überraschte.

Allein es blieb keine Muße, sich daran zu freuen. Die Gesellschaft mußte an Bord eines Taschenseeschiffs steigen, auf welchem nichts fehlte: Masten, Segel, Takelage; es war ein vollständiges Modell mit allem Zubehör. Nur war es wegen der zu großen Menge von Matrosen und Passagieren nahe daran, in Grund zu sinken.

Den Porpora fror. Der Boden war sehr feucht, und ungeachtet der sorgfältigen Besichtigung, welcher der Herr Graf, der schon gestern eingetroffen war, jedes einzelne Stück unterworfen hatte, zog vielleicht das Fahrzeug Wasser. Niemandem war es darin behaglich, außer dem Grafen, der sich aus den kleinen Unbequemlichkeiten die sich an seine Vergnügungen hängten, standeshalber nie viel machte, und der Porporina, die sich an den Thorheiten ihres Wirthes herzlich zu belustigen anfing.

Eine Flotte die im Verhältniß zu diesem Admiralschiff stand, stellte sich unter des Grafen Commando und führte Manöver aus, die er selbst, mit einem Sprachrohr bewaffnet auf dem Hintertheile seines Seeschiffes stehend, sehr ernsthaft leitete, wobei er äußerst wild wurde, wenn etwas nicht recht ging, und gleich wieder von vorn machen ließ.

Zuletzt wurde eskortirt in Begleitung einer Blechmusik, die abscheulich falsch war und den Porpora vollends zur Verzweiflung brachte.

– Uns frieren lassen und uns enrhümiren, gut! brummte er in den Bart, aber uns die Ohren auf diese Art zu zerreißen, das ist zu stark.

– Re, nach dem Peloponnes! rief der Graf und man steuerte auf ein mit kleinen Gebäuden, angeblich griechischen Tempeln und antiken Gräbern bedecktes Ufer zu.

Als sich das Schiff einer kleinen von Felsen maskirten Bucht bis auf zehn Schritt genähert hatte, wurde es mit einer Salve von Flintenschüssen empfangen. Zwei Männer fielen todt auf dem Verdeck um, und ein kleiner sehr behender Schiffsjunge, der in der Takelage hing, stieß ein lautes Geschrei aus, stieg, oder vielmehr glitt geschickt herunter, und wälzte sich mitten unter der Gesellschaft umher, indem er heulte und schrie, daß er verwundet wäre, und seinen angeblich von einer Kugel zerschmetterten Kopf mit den Händen fest hielt.

– Hier, sagte der Graf zu Consuelo, bedarf ich Ihrer Hülfe bei einer kleinen Probe, die ich mit meinem Schiffsvolk anstellen will. Haben Sie die Güte einen Augenblick die Person der Frau Markgräfin vorzustellen und diesem sterbenden Kinde, so wie den beiden Todten, die, beiläufig gesagt, wie rechte Tölpel umgefallen sind, zu befehlen, daß sie völlig geheilt aufstehen, ihre Waffen wieder ergreifen und Ihre Hoheit gegen die frechen Piraten, welche sich in diesem Hinterhalt versteckt haben, vertheidigen helfen.

Consuelo übernahm unverweilt die Rolle der Markgräfin und spielte dieselbe mit mehr natürlichem Adel und Anstand, als die Frau Gräfin Hoditz gethan hätte. Die Todten und der Sterbende erhoben sich sogleich, knieten vor ihr und küßten ihre Hand. Hierbei wurde ihnen von dem Grafen eingeschärft, nicht in ihrer Dummheit die edle Hand Ihrer Hoheit mit ihren Vasallenmäulern zu berühren, sondern die eigenen Hände zu küssen, während sie so thäten, als ob sie ihre Lippen der markgräflichen Hand näherten.

Demnächst eilten die Todten und die sonstigen Mannschaften mit ungeheuerer Begeisterung zu den Waffen; der kleine Hanswurst, welcher den Schiffsjungen machte, kletterte wie eine Katze wieder auf seinen Mast und feuerte gegen die Piratenbucht einen leichten Karabiner ab. Die Flotte umringte die neue Cleopatra und die Kanönchen derselben machten ein furchtbares Getöse.

Consuelo war von dem Grafen, der ihr keinen ernsten Schreck einjagen wollte, auf den etwas wunderlichen Anfang dieser Comödie heimlich vorbereitet worden. Dieselbe Galanterie den beiden preußischen Officieren zu erweisen hatte er nicht für nöthig erachtet; und als diese beim ersten Feuer zwei Leute niederfallen sahen, erblaßten sie und drückten sich an einander. Der, welcher nicht zu reden pflegte, schien für seinen Rittmeister besorgt und die Unruhe des letztern war dem aufmerksamen Blicke Consuelo's nicht entgangen. Es war nicht Schreck oder Furcht was sich auf seinen Zügen gemalt hatte, es war im Gegentheil eine Art Unwille, fast Zorn, als ob in diesem Spaß eine persönliche Beleidigung für ihn, eine Kränkung seiner Würde als Soldat und Preuße gelegen hätte. Hoditz achtete nicht darauf, und als das Seegefecht im Gange war, lachten die beiden Preußen hell auf und gingen auf den Spaß ein: sie zogen sogar ihre Degen und schlugen in die Luft, um ihren Antheil an der Scene zu nehmen.

Die Piraten, in griechischer Kleidung und mit Donnerbüchsen und Pistolen, die mit Pulver geladen waren, bewaffnet, fuhren auf kleinen Kähnen aus ihren zierlichen Klippen heraus und fochten wie die Löwen. Sie enterten und wurden massenweise niedergehauen, damit die gute Markgräfin das Vergnügen hätte, sie wieder ins Leben zu rufen. Die einzige Grausamkeit, welche dabei vorkam, war, daß einige in's Meer geworfen wurden. Das Wasser war sehr kalt und Consuelo fing eben an sie zu bedauern, als sie bemerkte, daß sich die Leute ein Vergnügen daraus machten und sich viel darauf zu Gute thaten, ihren Kameraden, den Landratten vom Gebirg, ihre Schwimmerkünste zu zeigen.

Als die Flotte der Cleopatra (denn das Schiff, auf welchem die Markgräfin fahren sollte, führte wirklich diesen pomphaften Namen) den Sieg davon getragen hatte, wie es sich gebührte, führte sie die Flotille der Piraten gefangen mit fort und kreuzte beim Schalle einer Siegesmusik (den Teufel in die Hölle zu jagen, meinte Porpora) an den griechischen Gestaden.

Man entdeckte bei dieser Gelegenheit eine unbekannte Insel, auf welcher sich Erdhütten und sehr gut acclimatisirte oder sehr gut nachgeahmte exotische Gewächse erhoben, denn man wußte nie, woran man in dieser Hinsicht war, weil es überall Wahres und Falsches durch einander gab.

Am Ufer dieser Insel waren Canots angebunden. Die Eingeborenen warfen sich mit äußerst wildem Geschrei hinein, ruderten der Flotte entgegen, und überreichten südländische Blumen und Früchte (frisch in den Treibhäusern der Residenz abgeschnitten). Diese Wilden waren rauh, tätowirt, kraushaarig und glichen eher Teufeln als Menschen. Die Costüme waren nicht sonderlich gewählt. Die Einen hatten Federn auf den Köpfen wie Peruaner, die Anderen steckten bis an die Ohren in Pelzen wie Eskimo's, aber man sah es nicht so genau darauf an, wofern sie nur zerzaust und scheußlich genug aussahen, um für Menschenfresser allermindestens gelten zu können.

Die guten Leute schnitten erstaunlich seltsame Gesichter und ihr Oberhaupt oder Häuptling, eine Art Riese, der einen falschen Bart bis an den Gürtel trug, hielt eine Rede, die Graf Hoditz sich die Mühe gemacht hatte, eigenhändig in der Wildensprache auszuarbeiten. Es war eine Zusammenstopplung von Nasen- und Kehllauten, wie sie ihm gerade eingefallen und recht insulanerisch und barbarisch vorgekommen waren.

Nachdem der Graf dem Kerl seinen Spruch, den derselbe ohne Anstoß hersagte, überhört hatte, ließ er es sich angelegen sein, der Porporina, die noch immer die Markgräfin machte, den herrlichen Vortrag in's Französische zu übersetzen.

– Der Sinn dieser Worte, Madame, sagte er, die Salemalekims des wilden Königs nachahmend, der Sinn dieser Worte ist, daß die kannibalische Bevölkerung dieser Insel, deren Brauch es sonst ist, alle hieher verschlagenen Seefahrer zu schlachten und zu fressen, plötzlich gerührt und gezähmt durch die zauberische Wirkung von Dero hohen Reizen, sich beeilt die Huldigung ihrer Wildheit Denenselben zu Füßen zu legen und Ihnen die Herrschaft über diese unbekannten Districte anzutragen. Geruhen Sie furchtlos an das Land zu steigen, und wiewohl dasselbe wüst und unbebaut ist, so werden doch zweifelsohne die Wunder der Cultur unter Dero Fußtritt sprießen.

Die Landung geschah unter den Gesängen und Tänzen der jungen Wildinnen. Fremdartige, angeblich wilde Thiere, ausgestopfte Puppen, die vermittelst einer Feder plötzlich ihre Knie beugten, empfingen Consuelo am Ufer. Sodann mit Hülfe von Schnüren fielen die frisch in die Erde gesteckten Bäume und Büsche um, die Pappfelsen legten sich nieder und man erblickte Häuschen, die mit Blumen und Laub bekränzt waren. Schäferinnen, welche wirkliche Herden (deren Hoditz genug hatte) trieben, Bauern nach der neuesten Opernmode kostümirt, wiewohl in der Nähe besehen etwas unreinlich, kurz alles, sogar zahme Hirsche und Rehe, kam und huldigte der neuen Gebieterin.

– Hier nun, sagte der Graf zu Consuelo, werden Sie morgen eine Rolle vor Ihrer Hoheit zu spielen die Gefälligkeit haben. In dem Costüm einer Gottheit der Wilden, ganz mit Blumen und Bändern bedeckt, wofür gesorgt sein wird, werden Sie sich in dieser Grotte aufhalten. Die Markgräfin wird eintreten und Sie werden die Cantate singen, welche ich bei mir habe, worin Sie ihr Ihre Gottheitsrechte, in Betracht daß da wo sie erscheint, nur Eine Gottheit sein kann, abtreten.

– Zeigen Sie doch die Cantate! sagte Consuelo und empfing aus des Grafen Händen das von ihm verfaßte Stück. Es kostete nicht viel Mühe dieses geistreiche Schöneneuelied vom Blatte zu lesen und zu singen: Text und Musik alles lag auf der Hand. Es kam nur darauf an, es auswendig zu lernen. Zwei Violinen, eine Harfe und eine Flöte fingen aus der Tiefe der Höhle wo sie versteckt waren, kreuz und quer zu begleiten an. Der Porpora ließ noch einmal anfangen. Nach Verlauf einer Viertelstunde ging alles vortrefflich.

Es war dies nicht die einzige Rolle, welche Consuelo bei diesem Feste zu übernehmen, auch nicht die einzige Cantate, die Graf Hoditz in der Tasche hatte: sie waren zum Glück alle nur kurz; Ihre Hoheit durfte nicht mit zu vieler Musik ermüdet werden.

Von der wilden Insel wurde wieder in See gestochen. Der nächste Landeplatz war eine chinesische Küste. Nachgemachte Porzelanthürme, Kiosks, verschnittene Gärten, kleine Brücken, Djonken und Theeplantagen, nichts fehlte. Die Schriftkundigen und Mandarinen, ziemlich gut kostümirt, kamen und begrüßten die Markgräfin mit einer chinesischen Anrede, und Consuelo, welche sich während der Ueberfahrt in der Kajüte eines der Fahrzeuge umcostümiren und in einen Mandarinen verwandeln mußte, hatte hier Verse in chinesischer Sprache und Musik, alles von Graf Hoditz'scher Erfindung, zu probiren.

Ping, pang, tiong,
Hi, hang, hong.

Dies war der Referain, welcher, gemäß der sinnschweren Kürze dieser wundersamen Sprache; nicht weniger als folgende Worte bedeuten sollte:

»Schöne Markgräfin, große Fürstin, Abgott aller Herzen, herrschen Sie immerdar in Freuden über Ihren beglückten Gemahl und über Ihr wonnevolles Reich Roswald in Mähren.«

Man verließ die chinesische Küste in sehr reichen Palankinen und erklomm auf den Schultern armer chinesischer und wilder Leibeigenen einen kleinen Berg, auf dessen Gipfel man die Stadt Lilliput antraf. Häuser, Wälder, Seen, Berge alles war knie- oder knöchelhoch, und man mußte sich bücken, um im Innern der kleinen Wohnungen Möbel und Wirthschaftsgeräth zu sehen, dessen Größe zu dem Uebrigen im Verhältniß stand. Marionetten tanzten auf dem öffentlichen Platze zu einer Musik von Kinderpfeifen, Schellentrommeln und Brummeisen. Die Marionettenführer und die lilliputanischen Musikanten waren unter der Erde in dazu bestimmten Höhlungen verborgen.

Beim Hinabsteigen von dem Berge der Lilliputaner gerieth man in eine Wildniß hundert Schritte lang und breit, ganz bedeckt mit großen Felsblöcken und kräftigen Bäumen, welche ihrem natürlichen Wuchse überlassen waren. Dies war der einzige Ort, den der Graf nicht verunstaltet und verstümmelt hatte. Er hatte sich begnügt ihn so zu lassen, wie er ihn gefunden.

– Ich habe mich lange damit gequält, was ich wohl mit dieser wilden Schlucht anfangen sollte, sagte er zu seinen Gästen. Ich wußte nicht, wie ich mir diese schweren Steinmassen vom Halse schaffen, wie ich diese alten prächtigen, aber unordentlichen Bäume zurechtstutzen sollte. Auf einmal kam mir der Gedanke, den wüsten Ort »das Chaos« zu taufen, und ich habe gedacht, daß der Contrast nicht übel sein dürfte, besonders wenn man beim Hinaustreten aus dieser schrecklichen Natur auf wohlgepflegte, reichgeschmückte Parketts gelangte. Und nun sollen Sie sehen, was für eine glückliche Erfindung ich angebracht habe, um die Illusion vollständig zu machen.

Bei diesen Worten bog der Graf um ein großes Felsstück, welches den Fußsteig versperrte (denn einen schönen, glatten Kiesweg hatte er doch in der schrecklichen Wüstenei des Chaos anbringen müssen) und Consuelo befand sich am Eingange einer in den Fels gehauenen Siedelei, über welcher ein großes Kreuz von rohem Holze befestigt war. Der Anachoret der thebaischen Wüste trat heraus: es war ein derber Bauerjunge, dessen falscher langer Bart gegen das frische, jugendliche Gesicht seltsam abstach. Er hielt eine schöne Predigt, wobei ihm sein Herr die Aussprache corrigirte, ertheilte seinen Segen und bot Consuelo Wurzeln und Milch in einer hölzernen Schale an.

– Ich finde den Eremiten ein wenig jung, sagte der Baron von Kreuz. Sie hätten einen wirklichen Greis hierher stellen sollen.

– Das hätte der Markgräfin nicht gefallen, antwortete Graf Hoditz unbefangen. Sie sagt mit Recht, daß das Alter nicht erheiternd ist und daß man bei einem Feste nur junge Schauspieler sehen müsse.

Ich erlasse dem Leser die weitere Promenade. Ich würde nicht zum Ende kommen, beschriebe ich ihm alle die verschiedenen Gegenden, die Druidenaltäre, die indischen Pagoden, die bedeckten Wege und Kanäle, die Urwälder, die unterirdischen Grotten, in denen man die Leidensgeschichte in den Fels gehauen sah, die künstlichen Bergwerke mit Ballsälen, die elyseischen Felder, die Gräber, und endlich die Cascaden, Najaden, Serenaden und die sechstausend Wasserstrahlen, die, sagte der Porpora später, er »verschlucken« mußte.

Es waren noch tausend andere zierliche Spielereien, welche uns die Memoiren jener Zeit mit Bewunderung ausführlich schildern: eine halbdunkle Grotte, in welche man hineinlief, und in deren Tiefe ein Spiegel, der Einem in dem ungewissen Lichte das eigene Bild entgegenbrachte, Jedermann unfehlbar ungemein erschrecken mußte; ein Kloster, in welchem man bei Strafe ewiger Einkerkerung einen Schwur abzulegen hatte, dessen Formel eine Huldigung für die Markgräfin enthielt; ein Regenbaum, der vermittelst eines im Gezweig versteckten Druckwerks den Nahenden mit Tinte, Blut oder Rosenwasser begoß, jenachdem man ihn necken oder ihm hofiren wollte; kurz, unzählige allerliebste, sinnreiche, neue, unbegreifliche, besonders kostspielige Atrappen und Kunststücke, welche der Porpora die Plumpheit hatte allesammt unausstehlich, dumm und scandalös zu finden.

Nur die Nacht machte dieser Reise um die Welt ein Ende, aus welcher man bald zu Pferde, bald im Tragstuhl, bald zu Esel, bald zu Wagen, bald zu Schiffe wohl drei Meilen zurückgelegt hatte.

Die beiden preußischen Officiere, Männer, die gegen Frost und Ermüdung gestählt waren, lachten über das was an den Belustigungen und Ueberraschungen Roswalds allzu kindisch war, allein so auffallend wie der Porporina dünkte ihnen die Lächerlichkeit dieser wundersamen Residenz durchaus nicht. Consuelo war ein Naturkind, geboren auf freiem Feld, von Kindheit an gewöhnt, die Werke Gottes ohne Gazevorhang und Brille zu sehen; der Baron von Kreuz dagegen, obgleich keineswegs der erste beste jener unter Draperien und Schnörkeln aufgewachsenen Aristokraten, war doch ein Mann seiner Zeit und seines Kreises. Grotten, Eremitagen, Symbole waren nicht Dinge, die ihn ärgerten. Und kurz, er fand sich recht gut unterhalten, zeigte sich im Gespräche voller Geist und sagte zu seinem Begleiter, als dieser ihm beim Eintritt in den Speisesaal ehrerbietig sein Bedauern ausdrückte, wegen des Ennui's, das er bei diesem langen Stück Arbeit habe aushalten müssen:

– Ennui? Ich? Nicht doch! Ich habe Bewegung gehabt, bin hungrig geworden, habe tausenderlei dumm Zeug gesehen; man erholt sich so von den ernsten Sachen: ich habe Zeit und Mühe nicht verloren.

Man war erstaunt, in dem Speisesaale nichts als einen Zirkel von Stühlen um einen leeren Raum gestellt zu finden. Der Graf bat seine Gäste sich zu setzen und befahl den Bedienten aufzutragen.

– Ach, gnädiger Herr! antwortete derjenige, welcher die Antwort auswendig gelernt hatte, wir haben nichts im Hause was würdig wäre, einer so ehrenwerthen Gesellschaft vorgesetzt zu werden, und wir haben deshalb auch gar nicht einmal den Tisch hingestellt.

– Nun, das ist mir eine saubere Geschichte! rief der Wirth mit verstellter Wuth; und als das Spiel einige Augenblicke gewährt hatte, sagte er:

– Wohlan! da uns die Menschen ein Mahl verweigern, so rufe ich die Hölle an, so beschwöre ich Pluto mir eines meiner Gäste würdig herauszusenden.

Bei diesen Worten stampfte er dreimal mit dem Fuße. Der im Fußboden angebrachte Schieber senkte sich ein wenig, glitt unter den Dielen seitwärts, und aus der Oeffnung stiegen wohlriechende Flammen herauf. Dann erklang eine lustige, fremdartige Musik und eine prächtig besetzte Tafel erhob sich unter den Ellbogen der Gäste.

– Brav! nicht übel! rief der Graf, indem er das Tischtuch aufhob, unter den Tisch. Nur bin ich sehr verwundert, daß Messire Pluto, da er weiß, daß ich auch keinen Tropfen Trinkwasser im Hause habe, mir nicht eine einzige Karaffe voll heraufgesendet hat.

– Graf Hoditz! antwortete aus der Tiefe eine rauhe, des Tartarus würdige Stimme, das Wasser ist rar in der Hölle geworden, denn fast alle unsere Flüsse sind ausgetrocknet, seitdem die Augen Ihrer Hoheit der Markgräfin bis in das Herz der Erde gezündet haben. Indessen, wenn Sie es verlangen, so wollen wir eine Danaide an das Ufer des Styx senden, damit sie sehe, ob sich noch etwas daselbst findet.

– Sie soll sich beeilen,. antwortete der Graf, und besonders geben Sie ihr ein Faß, das nicht durchlöchert ist.

Im Augenblicke stieg mitten auf dem Tische eine schöne Jaspisschale empor und aus dieser ein heller Strahl Bergwasser, welcher während der ganzen Mahlzeit sprang und mit Diamantengefunkel im Wiederschein der zahlreichen Kerzen auf sich selbst zurückfiel. Der Tafelaufsatz war ein Meisterstück von Pracht und schlechtem Geschmack, und das Styxwasser, und das infernalische Banket gaben dem Grafen unerschöpflichen Stoff zu Wortspielen, Anspielungen und Faseleien, die um kein Haar besser waren, die man aber der kindischen Naivität, womit er sie vorbrachte, zu gute halten mußte.

Das verschwenderische Mahl, bei welchem junge Sylvane und Nymphen, mehr oder minder hübsche Personen, aufwarteten, machte den Baron von Kreuz sehr heiter. Auf die schönen Sklavinnen des Amphitryo achtete er zwar wenig: diese armen Bauerdirnen waren zu gleicher Zeit die Mägde, die Maitressen, die Choristinnen und Actricen ihres gnädigen Herrn. Er war ihr Anstands-, Tanz-, Gesang- und Declamationsmeister.

Consuelo hatte in Passau ein Pröbchen erhalten von der Art wie er mit ihnen umging; und wenn sie an das rühmliche sort dachte, das dieser Herr ihr damals angeboten hatte, so bewunderte sie die Kaltblütigkeit, mit welcher er ihr jetzt auf's achtungsvollste begegnete, ohne eine Spur von Verlegenheit oder Verdruß wegen seines damaligen Mißgriffs blicken zu lassen.

Sie wußte wohl, daß es morgen nach der Ankunft der Markgräfin anders werden, daß sie mit ihrem Lehrer in ihrem Zimmer speisen, daß sie nicht die Ehre haben würde, an die Tafel Ihrer Hoheit gezogen zu werden. Sie ließ sich dies nicht anfechten, obgleich sie einen Umstand nicht wußte, der ihr in diesem Augenblick sehr ergötzlich gewesen wäre: nämlich, daß sie sich in Gesellschaft einer unendlich erhabneren Person befand, welche um alles in der Welt nicht mit der Markgräfin an Einem Tische hätte speisen mögen.

Der Baron von Kreuz, der, wie gesagt, beim Erscheinen der Nymphen vom Hause ziemlich kalt lächelte, fing an, der Porporina etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als sie, von ihm angeredet und auf musikalische Gegenstände geleitet, sich über diese sinnvoll vernehmen ließ. Er war ein wohlunterrichteter und, wie es schien, leidenschaftlicher Liebhaber der Musik: wenigstens sprach er selbst darüber mit einer Reife des Urtheils, daß sowohl hierdurch als nebenbei auch durch die gute Mahlzeit und die angenehme Wärme der Appartements die üble Laune des Porpora allmählig verscheucht ward.

– Es wäre zu wünschen, sagte der Maestro endlich zu dem Baron, daß der Souverain, dem wir Vergnügen zu machen haben werden, ein so guter Kenner wie Sie wäre.

– Es wird versichert, antwortete der Baron, daß mein Souverain in diesen Materien ziemlich wohl unterrichtet ist und eine aufrichtige Liebe zu den schönen Künsten besitzt.

– Sind Sie dessen gewiß, Herr Baron? entgegnete der Maestro, der kein Gespräch unterhalten konnte, ohne Jedermann in Allem zu widersprechen. Ich für meinen Theil schmeichle mir nicht damit. Die Könige sind immer in Allem die ersten, wenn man ihre Untergebenen reden hört, aber es trifft sich oft, daß die letzteren bei weitem mehr von den Sachen verstehen als die ersteren.

– In Kriegssachen, wie in Sachen der Wissenschaft und der Kunst versteht der König von Preußen bei weitem mehr als einer von uns, sagte der Lieutenant eifrig. Und in der Musik ist gewiß kein Zweifel  ...

– Daß Sie davon nichts verstehen, und ich auch nicht, fiel ihm der Baron von Kreuz trocken ins Wort. Meister Porpora kann sich in dieser Hinsicht nur auf sein eigenes Urtheil verlassen.

– Mir, versetzte der Maestro, hat die königliche Würde in Ansehung der Musik niemals Sand in die Augen gestreut. Als ich die Ehre hatte, der Kurprinzessin von Sachsen Unterricht zu geben, ließ ich ihr ebensowenig eine falsche Note durchgehen als einer anderen.

– Wie denn? sagte der Baron, indem er seinem Gefährten einen ironischen Seitenblick zuwarf, machen gekrönte Häupter je falsche Noten?

– Ganz wie simpele Sterbliche! antwortete der Porpora. Indessen muß ich doch sagen, daß die Kurprinzessin nicht lange dergleichen bei mir machte; sie kam mir durch eine seltene Fassungsgabe zu Hülfe.

– Nun, also würden Sie es wohl auch unserem Fritz verzeihen, wenn er so unartig wäre, ein paar falsche Töne in Ihrer Gegenwart zu blasen.

– Gesetzt, er wollte sich verbessern lassen.

– Sie würden ihm aber doch nicht den Kopf waschen? sagte Graf Hoditz lachend.

– Gewiß würd' ich, und sollt' es mich den meinigen kosten! antwortete der alte Professor, den ein Glas Champagner redselig und etwas großsprecherisch gemacht hatte.

Consuelo war von dem Kanonikus unterrichtet worden, daß Preußen eine große Polizeianstalt wäre, wo das geringste Wort, das leise an der Grenze gesprochen würde, alsbald durch eine Kette von geheimen und getreuen Echos bis in Friedrichs Cabinet gelangte, und daß man zu einem Preußen, insonderheit zu einer Militairperson oder zu einem Beamten nicht sagen dürfte: »Wie befinden Sie sich?«, ohne jede Silbe zu wägen, oder, wie man den kleinen Kindern anräth, die Zunge siebenmal im Munde herumzudrehen. Es war ihr also gar nicht lieb, daß sich ihr Lehrer seiner Weinlaune überließ und sie gab sich alle Mühe, seine Unbehutsamkeiten mit einiger Politik wieder gut zu machen.

– Wäre auch der König von Preußen nicht der erste Musiker seiner Zeit, sagte sie, so brauchte er sich wenig um eine Kunst zu grämen, die im Vergleich mit allem andern, was er vermag, gewiß sehr wenig zu bedeuten hat.

Sie wußte nicht, daß sich Friedrich nicht weniger darauf zu Gute that, ein großer Flötist zu sein, als darauf, daß er ein großer Feldherr und ein großer Philosoph war. Der Baron von Kreuz bemerkte, daß Se. Majestät, wenn Sie die Musik für eine Kunst erkannt hätte, die des Studiums werth wäre, sich wahrscheinlich auch sehr ernstlich und angelegentlich damit beschäftigt haben werde.

– Pah! sagte Porpora, der sich immer mehr erhitzte. Die ernstliche und angelegentliche Beschäftigung thut es in der Kunst nicht, wenn man nicht angeborenes Talent hat. Der Geist der Musik ist nicht Jedem käuflich und es ist leichter Schlachten zu gewinnen und Gelehrten Pensionen auszusetzen, als den Musen ein Fünkchen von ihrem heiligen Feuer abzutrotzen. Der Baron Friedrich von der Trenck hat uns wohl gesagt, daß Se. Majestät von Preußen es die Herrn vom Hofe entgelten lasse, wenn Sie aus dem Takt komme; aber bei mir wird das nicht so gehen.

– Das hat der Baron von der Trenck gesagt? fiel der Baron von Kreuz ein, in dessen Augen plötzlich ein Zornfeuer aufloderte. Je nun! fuhr er fort, indem er sich plötzlich bemeisterte und in gleichgültigem Tone fortsprach, der arme Teufel wird die Lust zum Spaßen verloren haben; er sitzt auf der Glatzer Citadelle für Lebenszeit fest.

– Wirklich? rief der Porpora; was hat er denn gethan?

– Das ist Staatsgeheimniß, entgegnete der Baron: indessen ist man berechtigt anzunehmen, daß er das Vertrauen seines Herrn verrathen habe.

– Ja, antwortete der Lieutenant, und zwar dadurch, daß er Preußische Fortificationspläne an Oesterreich verkaufte.

– O, unmöglich! rief Consuelo, die erblaßt war und, obwohl sie immer mehr und mehr ihre Mienen und ihre Worte bewachte, dennoch nicht diesen schmerzlichen Ausruf zurückhalten konnte.

– Unmöglich, und erlogen! rief der Porpora voll Unwillen; diejenigen welche das dem Könige von Preußen weiß machten, haben es in ihren Hals hinein gelogen.

– Ich hoffe, Sie wollen nicht uns hiermit indirecterweise ein Dementi geben! sagte der Lieutenant jetzt seinerseits erbleichend.

– Man müßte eine sehr ungeschickte Empfindlichkeit besitzen, um es so zu nehmen, sagte der Baron von Kreuz, indem er seinem Gefährten einen scharfen, gebietenden Blick zuwarf. Was haben wir in der Sache zu verantworten? Und was geht es uns an, wenn Meister Porpora sich dieses jungen Mannes mit Wärme annimmt?

– Ja, das thue ich, das würde ich selbst in Gegenwart des Königs thun, sagte Porpora. Ich würde dem Könige sagen, daß man ihn getäuscht hat, daß er Unrecht gethan hat es zu glauben, daß der Friedrich von der Trenck ein würdiger, edler junger Mann und keiner Infamie fähig ist.

– Ich glaube, lieber Meister, fiel Consuelo ein, welche der Blick des Rittmeisters von Augenblick zu Augenblick mehr beunruhigte, daß Sie vollkommen nüchtern und besonnen sein würden, wenn Sie die Ehre hätten, dem Könige von Preußen zu nahen, und ich kenne Sie zu gut, um nicht zu wissen, daß Sie mit ihm nichts reden würden, was der Musik fern liegt.

– Mademoiselle scheint mir sehr verständig, sagte der Baron. Indessen scheint sie mir in Wien mit dem jungen Baron von der Trenck sehr liirt gewesen zu sein?

– Ich, mein Herr? entgegnete Consuelo mit sehr gut gespielter Gleichgültigkeit; ich kenne ihn kaum.

– Aber, fuhr der Baron mit forschender Miene fort, wenn der König selbst, ich weiß nicht durch was für einen Zufall darauf käme, Sie zu fragen, was Sie von Trencks Verrath denken.

– Herr Baron, sagte Consuelo, indem sie seinen durchbohrenden Blick mit vieler Ruhe und Bescheidenheit aushielt, ich würde ihm antworten, daß ich an Niemandes Verrath glaube, da ich keinen Begriff davon habe, wie man Verrath üben kann.

– Ein schönes Wort, Signora! sagte der Baron, dessen Gesicht sich plötzlich aufheiterte, und Sie sagten es mit dem Ausdruck einer schönen Seele.

Er ging auf andere Gegenstände über und entzückte die Tischgenossen durch die Gewandtheit und Kraft seines Geistes. Seine Miene drückte von nun an, so oft er sich an Consuelo wandte, eine Güte und Zutraulichkeit aus, die ihr an ihm neu waren.

Nach dem Dessert trat ein weiß verschleiertes Gespenst ein und richtete an die Gesellschaft die Worte: Suivez-moi! Consuelo, welche auch für die Probe dieser neuen Scene zu der Rolle der Markgräfin verurtheilt war, erhob sich zuerst und stieg von den übrigen Tischgenossen begleitet, die große Treppe des Schlosses hinan, zu welcher eine Thür aus dem Speisesaale führte. Das Gespenst, welches vorausschritt, warf auf der oberen Flur eine andere große Flügelthür auf und man befand sich in einer tiefen alterthümlichen Gallerie, welche ganz dunkel war; nur an ihrem äußersten Ende war ein schwacher Schein zu bemerken. Es ertönte eine langsame, feierliche, mystische Musik, welche, wie der Graf bemerkte, gleichsam von den Bewohnern der andern Welt aufgeführt sein sollte, während die Gesellschaft auf den Lichtschein zuging.

– O Gott! sagte der Porpora mit ironischem Entzücken, der Herr Graf versagt uns nichts. Wir haben heut türkische Musik, nautische Musik, wilde Musik, chinesische Musik, liliputanische Musik und alle anderen Arten unerhörter Musik vernommen; aber dies ist eine, welche alle übertrifft, und man kann wohl sagen, daß es in jedem Sinne eine Musik aus der andern Welt ist.

– Und es ist noch nicht alles! antwortete der Graf, von diesem Lobe entzückt.

– Man muß bei Ew. Gnaden auf Alles gefaßt sein, sagte der Baron von Kreuz nicht weniger ironisch als der Professor: obwohl ich nach der gegenwärtigen Ueberraschung in der That nicht mehr weiß, was noch Stärkeres möglich ist.

Am Ende der Gallerie schlug das Gespenst, oder, wie es der Graf nannte, der Schatten auf eine Art Tamtam, welches einen schaurigen Ton von sich gab. Ein großer Vorhang schwebte zurück, und man erblickte den Schauspielsaal verziert und beleuchtet wie er am folgenden Tage sein sollte. Die Gardine des Theaters öffnete sich. Die Scene stellte den Olymp vor, nichts mehr nichts weniger.

Die Göttinnen stritten sich daselbst um das Herz des Schäfers Paris und dieser Streit gab das Thema des Stückes her. Es war in italienischer Sprache verfaßt und nöthigte dem Porpora die Glosse ab, die er seiner Schülerin ins Ohr flüsterte: »das Wilde, das Chinesische und Liliputanische war noch gar nichts; jetzt haben wir Irokesisch.« Verse und Musik, natürlich alles vom Grafen selbst. Die Schauspieler und Schauspielerinnen waren ihrer Rollen würdig.

Nachdem es eine halbe Stunde Metaphern und concetti geregnet hatte über eine gewisse noch reizendere und mächtigere Gottheit als alle übrigen, die es aber verschmähe an dem Wettstreit Theil zu nehmen, und als Paris sich endlich entschieden hatte, der Venus den Preis zuzusprechen, nahm diese den Apfel, stieg auf einigen Stufen von dem Theater herab und legte ihn zu Füßen der Markgräfin nieder, indem sie sich für unwerth erklärte ihn zu behalten und um Entschuldigung bat, daß sie in Dero Gegenwart danach zu streben gewagt habe.

Die Rolle der Venus hatte aber eigentlich Consuelo auszuführen, und da es die wichtigste von allen war, indem am Schlusse eine brillante Cavatine vorkam, so wollte sie der Graf in der Probe keiner seiner Coryphäen anvertrauen und übernahm sie selbst, theils um den Gang der Probe, bei welcher nun einmal Consuelo die Markgräfin machte, nicht zu unterbrechen, theils um ihr den Geist, die Intentionen, die Finessen, die Schönheiten der ihr zugedachten Rolle deutlich zu machen.

Indem er die Venus ganz ernsthaft spielte und mit dem zärtlichsten Ausdruck die Plattheiten absang, die er aus allen schlechten Modeopern gestohlen und übel zussammengestoppelt hatte, geberdete er sich so närrisch, daß kein Anderer ernsthaft bleiben konnte. Er war zu eifrig, seiner Truppe einen rechten Schmaus zu geben und zu sehr entflammt von der Göttlichkeit, welche er in seinem Spiel und in seinem Gesang ausdrückte, um die Heiterkeit der Zuhörer zu bemerken.

Man applaudirte, daß der Saal krachte, und der Porpora welcher sich an die Spitze des Orchesters gestellt hatte und sich von Zeit zu Zeit verstohlen die Ohren zuhielt, rief:

– Sublim! alles sublim! Gedicht, Partitur, Stimmen, Instrumente und die provisorische Venus von allem das sublimste!

Consuelo und er versprachen dieses Meisterstück noch am Abend und am folgenden Morgen fleißig zu studiren. Es war weder lang noch schwer zu lernen, und sie konnten sicher sein, es am nächsten Abend mit dem Stück und mit der Truppe aufzunehmen. Hierauf wurde dem Ballsaal ein Besuch abgestattet, dessen Ausschmückung noch nicht vollendet war, denn er wurde erst am dritten Abend gebraucht, da die Festlichkeiten zwei volle Tage währen und eine ununterbrochene Kette von stets abwechselnden und neuen Vergnügungen bilden sollten.

Es war zehn Uhr Abends. Das Wetter war klar und der Mond prächtig. Die beiden preußischen Officiere beharrten auf ihrem Vorsatz, noch über die Grenze zurückzureiten, indem sie sich darauf beriefen, daß es ihnen nicht erlaubt wäre, die Nacht auf fremdem Gebiete zuzubringen. Der Graf mußte daher nachgeben: er befahl ihre Pferde zu satteln und führte sie, um den Magen zu schließen, wie er sagte, nämlich um noch Kaffee oder einen feinen Likör zu sich zu nehmen, in ein elegantes Boudoir, wohin Consuelo nicht angemessen fand, ihnen zu folgen. Sie wünschte ihnen daher gute Nacht, und nahm, nachdem sie noch dem Porpora leise anempfohlen hatte, mit seinen Reden mehr als beim Abendessen auf seiner Hut zu sein, den Weg nach ihrem Zimmer, welches in einem andern Flügel des Schlosses lag.

Sie verirrte sich jedoch bald in dem weitläufigen Labyrinth der Gänge und Säle und trat eben in eine Art Kreuzgang, als ein Luftzug ihr Licht auslöschte. Sie fürchtete sich nun noch mehr zu verirren und wohl gar in eine der Versenkungen oder Ueberraschungsanstalten zu stürzen, an denen dieses Gebäude reich war; daher sie es für das Gerathenste hielt, sich bis zu dem erleuchteten Flügel zurückzutasten. In dem Gewirre so vieler Zubereitungen und Vorrichtungen zu unsinnigen Zwecken war an die Bequemlichkeit dieses reichen Landsitzes nicht im Mindesten gedacht worden. Wilde, Geister, Götter, Eremiten, Späße und Spiele gab es genug, aber keinen Bedienten mit einer Kerze, kein vernünftiges Wesen, von dem man sich konnte zurechtweisen lassen.

Indessen hörte sie Jemanden auf sich zu kommen, der leise zu gehen und absichtlich im Dunkeln zu schleichen schien: dies machte ihr nicht Lust zu rufen und sich zu nennen, um so mehr als sie den schweren Tritt und den starken Athemzug eines Mannes erkannte. Sie drückte sich an die Mauer und glitt mit einigem Herzklopfen an dieser hin, als plötzlich eine Thür in ihrer Nähe geöffnet wurde und das helle Mondlicht, welches durch die Oeffnung fiel, ihr die riesige Gestalt und die glänzende Livree Karls zeigte.

Eilig rief sie ihn an.

– Sind Sie es, Signora? antwortete er mit einer Stimme, welche heftige Aufregung verrieth. Ach, ich habe mich schon seit Stunden bemüht, Sie Einen Augenblick zu sprechen, und jetzt ist es vielleicht zu spät.

– Was hast du mir zu sagen, guter Karl? Warum bist du in solcher Aufregung?

– Kommen Sie aus diesem Corridor, Signora. Ich muß Sie an einem ganz abgelegenen Ort sprechen, wo uns Niemand, hoff' ich, behorchen kann.

Consuelo ging mit ihm, und sie traten auf die offene Terrasse hinaus, welche durch ein an den Seitenflügel des Schlosses angelehntes Thürmchen gebildet wurde.

– Signora, sagte der Deserteur leise (er war an diesem Morgen zum ersten Male nach Roswald gekommen und kannte die Ortsangelegenheit nicht besser als Consuelo), haben Sie heut nichts geredet, was den König von Preußen erzürnt auf Sie oder mißtrauisch gegen Sie machen könnt, wenn es der König wüßt?

– Nein, Karl! ich habe nichts der Art geredet. Ich wußte schon, daß es gefährlich ist, mit einem Preußen zu sprechen, den man nicht kennt, und ich habe meine eigenen Worte wenigstens im Zaume gehalten.

– Ah, das ist gut, das ist mir lieb, ich bin Ihretwegen recht in Unruhe gewesen. Ich hab mich Ihnen ein Paarmal genähert, in dem Seeschiff, worauf Sie spaziren gefahren sind. Ich hab einen von den Piraten vorgestellt, die geentert haben, aber ich bin verkleidet gewesen, Sie haben mich nicht erkannt. Ich hab Sie immer angesehen, Ihnen Zeichen gemacht, aber es hat nichts geholfen, Sie haben nichts gemerkt und ich hab Ihnen kein einziges Wort zustecken können. Der Officier ist immer dicht neben Ihnen gewesen. Nicht einen Schritt ist er von Ihnen gewichen, solang Sie auf dem Bassin gefahren sind. Es ist halt gewesen, als ob er eine Ahnung davon gehabt hätt, daß Sie sein Scapulier gewesen sind; als ob er sich hinter Ihnen hätt verstecken wollen, wenn sich vielleicht eine Kugel Ein eine von unseren unschuldigen Flinten verlaufen hätt.

– Was meinst du Karl? Ich verstehe dich nicht. Wer ist dieser Officier? Ich kenne ihn nicht.

– Ich brauch's Ihnen halt nicht zu sagen, Sie werden ihn bald kennen, denn Sie gehen ja nach Berlin.

– Warum willst du mir ein Geheimniß daraus machen?

– Weil es ein schreckliches Geheimniß ist, weil ich es noch eine Stunde für mich behalten muß.

– Du siehst seltsam aufgeregt aus, Karl! Was geht in dir vor?

– Große Dinge! Die Hölle kocht in meinem Herzen.

– Die Hölle? Wie? Sollte man nicht denken, daß du Böses vorhast?

– Kann wohl sein.

– Nun, dann befehl ich dir, dich auszusprechen, du darfst nicht schweigen gegen mich, Karl! Du hast mir Treue, Unterwürfigkeit gelobt, du weißt, unter allen Umständen.

– Ach, Signora, was halten Sie mir vor? Ja, es ist wahr, ich verdanke Ihnen mehr als mein Leben; denn Sie haben auch gethan, was nöthig gewesen ist, um mir mein Weib und Kind zu erhalten; aber ihr Urtheil ist gesprochen gewesen; sie sind hin ... und ich muß ihren Tod rächen.

– Karl, im Namen deines Weibes und deines Kindes, die im Himmel für dich beten, befehle ich dir zu reden. Du brütest über irgend einem tollen Streich, du willst jetzt Rache nehmen. Der Anblick dieser Preußen hat dich außer dir gebracht.

– Toll macht er mich, wüthend macht er mich ... aber nein! ich bin ganz ruhig und gelassen, wie ein Lamm. Schaun's Signora, Gott treibt mich und die Hölle treibt mich. Allons, Marsch vorwärts! es ist Zeit. Adies, Signora, vielleicht thu ich Sie nicht wiedersehn, und ich bitt Sie schön, wenn's durch Prag kommen, bezahlen's eine Seelenmeß für mich bei der Kapellen des heiligen Nepomuck, der Unser höchster böhmischer Schutzpatron ist.

– Karl, Ihr sollt reden, Ihr sollt mir die strafbaren Gedanken bekennen, die Euch quälen, oder ich werde niemals für Euch beten, im Gegentheil, herabrufen werd' ich auf Euch den Fluch Eurer Frau und Eures Kindes, die im Schoße des barmherzigen Heilands Engel sind. Wie wollt Ihr Vergebung Eurer Sünden im Himmel erlangen, wenn Ihr auf Erden nicht vergeben könnt? Ich sehe, Ihr habt da ein Gewehr unter dem Mantel, Karl; Ihr lauert hier den beiden Preußen auf, ich sehe es.

– Nein, nicht hier! sagte Karl erschüttert und, an allen Gliedern bebend. Ich will nicht im Hause meines Herrn Blut vergießen und nicht unter Ihren Augen, Sie gute, fromme Seele! aber dort unten, schaun's, in der Schlucht dort unten, wo der Weg am Berg hinführt, ich hab mir's gut gemerkt. Ich bin heut Morgen dort gewesen, als sie angekommen sind ... ich bin nur durch Zufall dort gewesen, unbewaffnet, und dann hab' ich ihn auch nicht gleich erkannt, ihn! ...

Aber jetzt, er muß dort wieder durch, jetzt werd ich da sein. Aus dem Weg durch den Park komm' ich geschwind hin, komm' ich eher hin als er, wenn er auch ein gutes Pferd hat. Und wie Sie sagen, Signora, ich hab eine Büchsen, eine gute Büchsen, und eine Kugel drin für sein Herz. Sie ist schon vorher drin gewesen, denn ich hab nicht gespaßt, als ich in der Narrenjack, als ein Pirat verkleidet auf der Lauer gelegen bin. Die Gelegenheit ist gut gewesen, und ich hab wohl zehnmal angelegt, aber immer sind Sie dagewesen, ich hab nicht losdrücken können ...

Aber jetzt, jetzt werden Sie nicht dabei sein, jetzt wird er sich nicht hinter Ihnen verstecken können wie ein Feiger ... denn er ist feige, ich weiß es, ich hab's gesehn. Ich hab ihn kreideweiß werden sehn, hab ihn aus der Schlacht davonreiten sehn, einen Tag als er uns wüthend gehetzt hat gegen meine Landsleut, gegen meine böhmischen Brüder.

Ha! welche Abscheulichkeit! Denn ich bin auch ein Böhm', ich, von Geblüt, von Herzen, und so etwas kann man nicht vergeben. Ich bin aber blos ein armer böhmischer Bauer gewesen, hab nichts zu führen gewußt als meine Art, nun hat er einen preußischen Soldaten aus mir gemacht; und ich kann gut zielen, seinen Korporalen sei's gedankt.

– Karl, Karl, halt' ein, du sprichst im Wahnsinn. Karl, Ihr kennt diesen Mann nicht, ich bin davon überzeugt. Er heißt Baron von Kreuz. Ich wette, Ihr wisset nicht einmal seinen Namen und verwechselt ihn mit einem andern. Es ist kein Werbeofficier, er hat Euch nichts zu Leide gethan.

– Baron von Kreuz? Nein, Signora, ich kenn ihn genau. Ich hab ihn mehr als hundert Mal auf der Paraden gesehn: der Oberste ist er von diesen Menschenräubern, von diesen Familienschlächtern; der große Würgengel von Böhmen, die Geißel von meinem Vaterland ist er, mein Feind. Der Feind unserer Kirche, unserer Religion, aller unserer Heiligen; der, welcher über den Sankt Nepomuck auf der Prager Brocken gelacht und den Heiligen damit schimpfirt hat; der im Hradschin die Trommel gestohlen hat, die aus Ziska's Haut gemacht ist, der ein großer Krieger seiner Zeit gewesen ist, und dessen Haut ein Mahlzeichen und ein Schutzpanier und ein Ehrenstück für Böhmen gewesen ist! Nein, ich irr' mich nicht, ich kenn den Mann gut.

Uebrigens ist mir auch der heilige Wenzel erschienen, jetzt eben wie ich in der Schloßkapellen hierbei gebetet hab; ich hab' ihn gesehn, wie ich Sie seh, Signora, und er hat zu mir gesagt: »Er ist es, triff ihn ins Herz!« Ich hab's der heiligen Mutter Maria gelobt auf dem Grab meines Weibs und ich muß mein Gelübd halten ... Ah, schaun's, Signora! da kommt sein Pferd vor den Perron. Darauf hab ich gewartet. Nun will ich auf meinen Posten. Beten's für mich, denn ich werd's mit meinem Leben bezahlen über lang oder kurz, aber 's thut halt nichts, wenn nur Gott sich meiner Seelen erbarmt.

– Karl! rief Consuelo, mit außerordentlicher Kraft in diesem Augenblick erfüllt; ich hatte geglaubt, daß du ein edles, gefühlvolles, frommes Herz hättest; nun aber sehe ich, daß du ein gottloser, ein verworfener Mensch, ein Bösewicht bist. Wer der Mann auch sei, den du ermorden willst, ich verbiete dir ihm nachzugehen und ihm Leides zu thun. Der Teufel hat die Gestalt eines Heiligen angenommen um deine Vernunft zu berücken, höre was ich dir sage! und Gott hat es zugelassen, daß dir der Teufel diese Falle stelle, um dich dafür zu bestrafen, daß du auf dem Grabe deiner Frau ein gottloses Gelübd abgelegt hast. Du bist ein schlechter, elender Bube, sag' ich dir; du bedenkst nicht, daß deinem Herrn, dem Grafen Hoditz, der dich mit Wohlthaten überhäuft hat, dein Verbrechen zur Last fallen und ihm den Kopf kosten wird. Verbirg dich, Karl, im ersten besten Keller! du bist nicht werth, an's Licht zu kommen. Thu Buße, daß du einen solchen Gedanken gehabt hast. Da, in diesem Augenblick seh ich dein Weib, das neben dir steht und weint und deinen guten Engel festzuhalten sucht, der dich verlassen will, um dem bösen Geiste Raum zu machen.

– Mein Weib! mein Weib! rief Karl, irren Blicks und bezwungen. Ich seh dich nicht! Mein Weib, wenn du da bist, rede, laß mich dich noch einmal wiedersehen und dann sterben.

– Du kannst sie nicht sehen; in deinem Herzen sind sündige Gedanken und deine Augen sind mit Nacht bedeckt. Knie nieder! Noch kannst du umkehren. Gieb das Gewehr her, das deine Hand besudelt, und bete!

Bei diesen Worten ergriff Consuelo die Büchse, die er ihr nicht streitig machte, und beeilte sich, sie ihm aus den Augen zu bringen, während er auf seine Knie fiel und in einen Thränenstrom ausbrach. Sie verließ die Terrasse, um die Waffe in der Eil irgendwo zu verbergen. Sie war von der Anstrengung erschöpft, welche sie hatte machen müssen, um sich der Einbildungen, die diesen Schwärmer beherrschten, zu bemächtigen und im Sinne derselben auf ihn zu wirken.

Die Zeit drängte, und es war nicht der Augenblick, ihm eine philosophische Vorlesung zu halten und ihn durch Gründe der Menschlichkeit und Vernunft zu besiegen. Sie hatte gesagt, was sich ihr zunächst darbot, vielleicht geleitet durch einen geheimen Bezug, in welchen sich ihre Seele zu der des überreizten Unglücklichen zu setzen vermochte, den sie um jeden Preis vor einer wahnsinnigen Handlung zu retten entschlossen war, und gegen den sie sich deshalb auch unwillig und entrüstet stellte, während sie ihn in ihrem Herzen nur beklagte wegen der Verirrung, die er zu bemeistern nicht im Stande war.

Sie beeilte sich also, die unselige Waffe zu entfernen, und dann sogleich wieder zu ihm zurückzukehren und ihn so lange auf der Terrasse festzuhalten, bis die Preußen weit genug geritten sein könnten; da plötzlich, als sie das Thürchen öffnete, welches auf den Corridor führte, stand sie dem Baron von Kreuz gegenüber. Er hatte seinen Mantel und seine Pistolen von seinem Zimmer geholt. Consuelo hatte nur noch Zeit, die Büchse, welche sie in der Hand trug, hinter sich in die Ecke des Thürgewändes gleiten zu lassen und rasch in den Corridor zu treten, während sie die Thür selbst hinter sich zuzog; denn sie fürchtete, daß der Anblick des Feindes Karl wieder in seine vorige Wuth stürzen könnte.

Die Hast ihrer Bewegung, und die Aufregung, welche sie zwang sich gegen die Thür zu lehnen, als ob sie sich einer Ohnmacht nahe gefühlt hätte, entgingen dem scharfen Auge des Barons von Kreuz nicht. Er hatte ein Licht in der Hand und blieb lächelnd vor ihr stehen. Sein Gesicht war vollkommen ruhig; indessen glaubte Consuelo an dem Schwanken der Kerze, welche er trug, zu bemerken, daß seine Hand heftig zitterte. Der Lieutenant war dicht hinter ihm, sah leichenblaß aus und hatte den Degen gezogen.

Diese Umstände, und die Gewißheit, welche sie nachher erlangte, daß ein Fenster aus dem Zimmer, wo der Baron seine Sachen abgelegt und jetzt wieder geholt hatte, auf die Terrasse hinausging, machten es Consuelo späterhin wahrscheinlich, daß die Preußen kein Wort von ihrem Gespräche mit Karl verloren hatten. Indessen grüßte sie der Baron höflich und ruhig; und da sie in der Angst, in welche eine so schwierige Lage sie versetzt hatte, den Gruß zu erwidern vergaß, und auch nicht die Kraft hatte ein Wort hervorzubringen, ergriff Kreuz, nachdem er sie einen Augenblick mehr mit Theilnahme als Verwundrung betrachtet hatte, sanft ihre Hand und sagte:

– Nun, mein Kind, erholen Sie sich! Sie scheinen sehr aufgeregt. Wir haben Sie erschreckt, indem wir plötzlich an der Thür erschienen, welche Sie eben öffneten. Aber wir sind ihre Diener und Freunde. Ich hoffe, wir werden uns in Berlin wiedersehen, und vielleicht können wir Ihnen dort irgendwie nützlich sein.

Der Baron zog Consuelo's Hand ein wenig an sich, als ob er im ersten Augenblick daran gedacht hätte, sie an seine Lippen zu führen; aber er begnügte sich, sie leicht zu drücken, wünschte nochmals guten Abend und entfernte sich mit seinem Begleiter, der Consuelo gar nicht zu bemerken schien, so verstört und außer sich war er. Dieser Umstand bestärkte Consuelo in der Meinung, daß er von der Gefahr unterrichtet war, welche den Baron bedroht hatte.

Aber wer konnte dieser Mann sein, für dessen Leben ein Anderer sich in so hohem Grade verantwortlich zu machen, und dessen Untergang dagegen Karl für eine so glänzende, so vollständige, so berauschende Rache zu halten schien? Consuelo ging wieder auf die Terrasse hinaus, ihn nicht aus den Augen zu lassen und zugleich womöglich sein Geheimniß ihm zu entlocken; aber sie fand ihn besinnungslos, und da sie nicht die Kräfte besaß, diesem Koloß auszuhelfen, stieg sie die Treppe hinunter und rief andere Bediente, ihm beizustehen.

– Oh, das hat nichts zu bedeuten, sagten diese, indem sie sich nach dem Orte aufmachten, den sie ihnen bezeichnete: er hat heut Abend ein Bissel zu viel Schnaps getrunken, wir wollen ihn zu Bett bringen.

Consuelo wäre gern wieder mit ihnen hinaufgegangen; sie fürchtete, Karl möchte sich verrathen, wenn er zu sich käme; aber Graf Hoditz verhinderte sie daran, welcher vorüber kam und sie beim Arme ergriff, indem er sagte, er sei erfreut, daß sie sich noch nicht niedergelegt habe, weil er ihr wieder ein neues Schauspiel zeigen könne. Sie mußte mit ihm auf einen Balcon treten und sah von dort in der Luft auf einem der Hügel des Parks, gerade in der Richtung, welche Karl als das Ziel seiner Unternehmung bezeichnet hatte, einen großen erleuchteten Bogen, auf welchem man verworrene Schriftzüge in farbigem Glase bemerkte.

– Eine sehr schöne Illumination! sagte sie zerstreut.

– Es ist eine zarte Aufmerksamkeit, sagte er, ein bescheidenes und respektvolles Lebewohl, welches ich dem Gaste nachrufe, der uns eben verlassen hat. In einer Viertelstunde wird er am Fuße des Hügels durch eine Schlucht kommen, die man von hier nicht bemerken kann, und wird diesen Triumphbogen sich wie durch Zauberei über seinem Haupte erheben sehen.

– Herr Graf! rief Consuelo, aus ihren Gedanken erwachend, wer ist denn der Gast gewesen, der uns eben verließ?

– Sie werden es schon erfahren, mein Kind!

– Wenn ich nicht danach fragen darf; so schweige ich gern; indessen habe ich Verdacht, daß der Name von Kreuz nur ein angenommener war.

– Ich habe mich keinen Augenblick durch diesen angenommenen Namen täuschen lassen, antwortete Hoditz, der sich auf seinen Scharfblick ein wenig einbildete. Allein ich habe sein Incognito gewissenhaft respectirt. Ich weiß, daß dieses eine von seinen Grillen ist, und daß man ihn beleidigt, wenn man ihn nicht für das nimmt, wofür er sich ausgiebt. Sie haben gesehen, ich behandelte ihn wie einen gewöhnlichen Officier, und doch ...

Der Graf kam um vor Lust zu reden, aber die Schicklichkeit verbot ihm, einen augenscheinlich so geheiligten Namen zu verrathen. Er fand einen Ausweg, indem er Consuelo sein Augenglas mit den Worten anbot:

– Sehen Sie, wie wohl gelungen dieser in Eil zu Stande gebrachte Bogen ist. Er steht fast eine halbe Meile von hier entfernt, und ich wette, daß Sie mit meiner kleinen Lorgnette, die übrigens sehr gut ist, deutlich die Inschrift lesen werden. Die Buchstaben sind zwanzig Fuß hoch, obgleich sie Ihnen nur wie Pünktchen scheinen. Indessen, sehen Sie einmal genau hin!

Consuelo sah durch das Glas und las mit Leichtigkeit die Inschrift, welche ihr das Wort des Räthsels überlieferte. Sie lautete:

Vive Frédéric-le-Grand!

– Ah, Herr Graf, rief sie, lebhaft mit ihren Gedanken beschäftigt; wie gefährlich für einen solchen Herrn, so zu reisen! Und noch gefährlicher ihn bei sich aufzunehmen!

– Ich weiß nicht, warum Sie das glauben, antwortete der Graf. Wir sind im Frieden. Niemand würde jetzt im ganzen Reiche daran denken, ihm eine Unannehmlichkeit zuzufügen, und Niemand kann etwas Unpatriotisches darin erblicken, einen solchen Gast aufzunehmen.

Consuelo war in ihre Gedanken vertieft. Hoditz erweckte sie daraus, indem er ihr sagte, daß er ihr eine ganz demüthige Bitte vorzutragen habe, er fürchte nur ihre Gefälligkeit zu mißbrauchen, indessen sei doch die Sache von so großer Wichtigkeit, daß er gezwungen sei, ihr damit zur Last zu fallen. Nach vielen Umschweifen sagte er dann mit geheimnißvoller und sehr ernster Miene:

– Es würde sich darum handeln, daß Sie die Geneigtheit hätten, auch noch den Schatten zu übernehmen.

– Welchen Schatten? fragte Consuelo, die nichts im Kopfe hatte als Friedrich und die Ereignisse des Abends.

– Den Schatten, welcher beim Dessert erscheint, und die Frau Markgräfin nebst den Tischgenossen abruft, um die Herrschaften durch die Tartarengallerie,wo ich den Gesang der Todten angebracht habe, und in den Theatersaal zu führen, woselbst der Olymp ihrer harrt. Venus tritt ja nicht sogleich auf, und Sie werden Zeit genug behalten, in der Kulisse das Laken des Schatten abzuwerfen, unter welchem Sie schon vollständig das glänzende Costüm der Mutter Amors tragen können, rosenfarbenen Atlas mit silbernen, goldgestickten Schleifen, sehr kleinen Paniers, ungepudertes Haar mit Perlen und Federn, Rosen, eine höchst decente und unvergleichlich galante Toilette, vous verrez! Nun also! consentiren Sie, den Schatten zu machen? denn derselbe muß würdevoll schreiten, und unter meinen Actricen ist keine einzige, welche im Stande wäre, mit einem zugleich gebieterischen und respektvollen Ton zu Ihrer Hoheit zu sagen: Suivez-moi! Dieses Wort ist sehr schwierig, und ich dachte mir, daß eine Person von Genie viel daraus machen könnte  ... Was meinen Sie?

– Himmlisch ist das Wort; und ich werde von Herzen gern den Schatten machen! antwortete Consuelo lachend.

– O, Sie sind ein Engel, ein Engel, wahrhaftig! rief der Graf, indem er ihr die Hand küßte.

Aber ach! dieses Fest, dieses glänzende Fest, dieser süße Traum, mit dem der Graf einen ganzen Winter hindurch gespielt, und dem zu Liebe er mehr als drei Reisen nach Mähren gemacht hatte, damit bei den Vorbereitungen nichts versäumt würde, dieser so sehnlich erwartete Tag sollte ebenso in Rauch aufgehen, wie Karls ernste, düstere Rache.

Gegen Mittag war Alles bereit. Die Mannschaft von Roswald stand unter dem Gewehre; die Nymphen, die Genien, die Wilden, die Zwerge, die Riesen, die Mandarinen und die Geister erwarteten zähnklappend auf ihrem Posten den Augenblick, wo ihre Thätigkeit beginnen sollte; die unebene Straße nach Roswald war vom Schnee gereinigt und mit Laub und Blumen bestreut; die zahlreichen Gäste, welche von allen benachbarten Schlössern und selbst aus ziemlich entfernten Städten herbeigeströmt waren, umgaben den eifrigen Wirth mit einem ansehnlichen Hofstaat ... als, ach! ein Donnerschlag alles über den Haufen warf.

Ein Kurier, der mit verhängtem Zügel ankam, brachte die Nachricht, daß die Kutsche der Frau Markgräfin in einem Graben umgeworfen, daß Ihre Hoheit sich zwei Rippen eingedrückt und sich gezwungen gesehen habe, in Ollmütz zu dejeuniren, demnach den Herrn Grafen bäte, sich dorthin zu ihr zu begeben.

Die Menge zerstreute sich. Der Graf, von Karl begleitet, der wieder zur Vernunft gekommen war, bestieg sein bestes Pferd und jagte davon, nachdem er seinem Majordomo ein paar Worte in Eil gesagt hatte.

Die Erheiterungen, die Horen, die Flußgötter zogen ihre Pelzstiefel und ihre wollenen Kittel an und gingen, kunterbunt mit den Chinesen, Piraten, Druiden und Menschenfressern vermischt, an ihre Feldarbeit. Die Gäste bestiegen ihre Equipagen, und die Berline welche den Porpora und seine Schülerin hergeführt hatte, wurde diesen wieder zur Disposition gestellt. Der Majordomo händigte ihnen, dem Befehl seines Herrn gemäß, die festgesetzte Summe ein und zwang sie, dieselbe anzunehmen, obwohl sie sie nur zur Hälfte verdient hatten.

Sie machten sich noch den nämlichen Tag auf den Weg nach Prag, der Professor ganz glücklich, daß er die cosmopolitische Musik und die Polyglotten-Cantaten seines Wirthes los war, Consuelo, den Blick nach Schlesien gekehrt und betrübt, daß sie dem Gefangenen von Glatz den Rücken wenden mußte, ohne Hoffnung, ihn seinem unglücklichen Loose entreißen zu können.

 

An demselben Tage saß der Baron von Kreuz, der in einem Dorfe nicht weit von der mährischen Grenze übernachtet hatte und früh von dort aufgebrochen war, in einem großen Reisewagen, von seinen Pagen zu Pferde und von der Berline, welche seinen Secretair und seine Schatulle führte, begleitet, und sagte zu dem Lieutenant, oder vielmehr zu seinem Adjutanten, dem Herrn von Buddenbrock, als man sich schon Neisse näherte (es war das erste Wort, welches er, unzufrieden mit seinem Benehmen am vorigen Abend, seit der Abreise von Roswald an ihn richtete):

– Was für eine Illumination war das, die ich von weitem auf dem Hügel gesehen habe, bei welchem wir hätten vorbeikommen müssen, wenn wir am Park des Grafen Hoditz hingeritten wären?

– Ew. Majestät, antwortete Buddenbrock zitternd, ich habe keine Illumination bemerkt.

– So? Wer mit mir reist, soll alles bemerken.

– Ew. Majestät wird mich pardoniren wegen der Gemüthsaffection, worein mich das affröse Attentat eines Schurken  ...

– Er weiß nicht, was Er redt! Dieser Kerl war ein Schwärmer, ein armer fanatisirter Katholik, den die böhmischen Pfarrer während des Kriegs gegen mich aufgehetzt haben. Ist auch vermuthlich durch ein persönliches malheur aufs Aeußerste gebracht gewesen. Es muß ein Bauer sein, den meine Leute irgend einmal aufgehoben haben, einer von den Deserteurs, die wir bisweilen, ungeachtet ihrer schönen précautions wieder aufgreifen.

– Ew. Majestät kann sich darauf verlassen, daß dieser morgen ergriffen und eingebracht sein wird.

– Hat Er etwa Ordre gegeben, daß man ihn dem Grafen Hoditz stehlen soll?

– Noch nicht, Ew. Majestät, aber in Neisse werde ich vier sehr geschickte und determinirte Leute abschicken ...

– Das wird Er bleiben lassen. Er soll sich im Gegentheil über die Lage des Kerls informiren, und wenn seine Familie im Krieg ruinirt ist; wie seine verwirrten Worte es vermuthen ließen, so soll Er dafür sorgen, daß dem armen Teufel tausend Thaler gezahlt werden, und soll den Werbern in Schlesien Ordre geben, daß sie ihn in Ruhe lassen. Verstanden? Er heißt Karl, ist sehr groß, Böhme, im Dienst des Grafen Hoditz: es wird also leicht sein, ihn zu finden und sich über seinen Familiennamen und seine Verhältnisse zu informiren.

– Zu Befehl, Ew. Majestät.

– Wie hat Ihm der italienische Musiklehrer gefallen?

– Der Meister Porpora? Er schien mir ein Narr, ein suffisanter Mensch, voll übler Laune.

– Ich sage Ihm, das ist ein Mann, der seine Kunst versteht, ein Mensch voller Esprit und seine Ironie ist sehr amüsant. Es soll ihm, wenn er mit seiner Schülerin an die Preußische Grenze kommt, ein guter Wagen entgegengeschickt werden.

– Sehr wohl, Ew. Majestät.

– Und man soll ihn allein einsteigen lassen, allein, hört Er? mit allen möglichen Egards.

– Sehr wohl, Ew. Majestät!

– Und dann?

– Dann, ist Ew. Majestät Befehl, daß er unverzüglich nach Berlin gebracht werde?

– Er hat heut keinen Menschenverstand, Buddenbrock! Ich will, daß man ihn nach Dresden bringe, und weiter nach Prag, wenn er's wünscht, und sogar nach Wien, wenn so seine Intention ist; alles auf meine Kosten. Da ich, einen so ehrenwerthen Mann von seinen Occupationen derangirt habe, so bin ich schuldig ihn wieder dahin schaffen zu lassen, woher ich ihn genommen habe, ohne daß es ihm Unkosten mache. Aber in meine Staaten soll er keinen Fuß setzen. Er hat zuviel Esprit für uns.

– Was befiehlt Ew. Majestät in Ansehung der Sängerin?

– Sie wird, unter Eskorte bon gré mal gré nach Sans Souci gebracht, und erhält ein Zimmer auf dem Schloß.

– Auf dem Schloß, Ew. Majestät?

– Eh bien, ist Er denn taub geworden? Das Zimmer der Barbarini!

– Und, Ew. Majestät, was soll mit der Barbarini gemacht werden?

– Die Barbarini ist nicht mehr in Berlin. Sie ist abgegangen. Weiß Er denn das nicht?

– Nein, Ew. Majestät!

– Aber was weiß Er denn eigentlich? ... Und sobald das junge Mädchen arrivirt, wird man mich davon avertiren, zu welcher Stunde bei Tage oder bei Nacht es sei. Hat Er gehört? Notire Er diese Ordres: den Karl entschädigen, den Porpora zurückschicken, die Porporina in die Stelle der Barbarini. Wir sind am Thor. Nun, sei munter, Buddenbrock und mach's in Zukunft gescheuter, wenn wir wieder einmal incognito mit einander reisen.

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7.

Der Porpora und Consuelo langten bei ziemlich empfindlicher Kälte um Ein Uhr Nachts in Prag an. Der Mond beleuchtete diese alte Stadt, welche in ihrem äußern Anblick ganz den religiösen und kriegerischen Character ihrer Geschichte bewahrt hat. Unsere Reisenden fuhren durch das Roßthor ein, und waren von der Seite des rechten Moldauufers eben bis in die Mitte der Brücke gelangt, als der Wagen einen heftigen Stoß erlitt und stehen blieb.

– Herr Jesus Christus! rief der Postillion, mein Pferd scheut vor der Statüe. Das ist ein böses Zeichen. S. Nepomuck steh uns bei!

Da Consuelo sah, daß das Pferd sich in den Strängen verwickelt hatte, und daß der Postillion Zeit brauchen würde ihm wieder aufzuhelfen und das Geschirr, an dem einige Riemen zerrissen waren, in Ordnung zu bringen, so schlug sie dem Maestro vor, einen Augenblick auszusteigen, um sich durch Auf- und Abgehen zu erwärmen. Der Maestro hatte nichts dawider, und Consuelo trat an die Brustlehne der Brücke, um den Punkt zu betrachten, an welchem man sich befand.

Auf diesem Punkte erschienen die beiden unterschiedenen Städte, aus denen Prag besteht, die Neustadt, die Kaiser Karl IV. 1348 erbaute, und die Altstadt deren Gründung in ein hohes Alterthum zurückreicht, beide amphitheatralisch aufgeführt, wie zwei schwarze Felsgebirge, aus denen sich hier und dort auf hervorragenden Punkten die aufstrebenden Spitzen alter Gebäude und die schwarzen Zinnen der Festungsmauern erhoben. Die Moldau schoß schnell und düster unter die Bögen der in einem strengen Styl erbauten Brücke, des Schauplatzes so vieler tragischer Begebenheiten in der böhmischen Geschichte, und der Kopf der verehrten Bildsäule schimmerte weiß im falben Mondlicht.

Consuelo betrachtete die Gestalt des heiligen Doctors, der schwermüthig in die Wellen niederzuschauen schien. Schön ist die Legende vom heiligen Nepomuck und sein Name muß Jedem heilig sein, der unabhängigen Sinn und Rechtschaffenheit liebt. Beichtvater der Kaiserin Johanna, weigerte er sich das Beichtgeheimniß zu verrathen, und der Trunkenbold Wenzeslaus, der die Gedanken seiner Frau wissen wollte, ließ den standhaften Geistlichen, der sich durch nichts gewinnen ließ, gebunden in die Moldau stürzen. Die Tradition fügt hinzu, daß in dem Augenblick, als er untersank, fünf Sterne über dem kaum geschlossenen Strudel erschienen, als ob des Märtyrers himmlische Krone noch auf dem Wasserspiegel nachgeblinkt hätte. Zum Andenken an dieses Wunder sind fünf metallene Sterne in die Ballustrade eingesetzt, gerade an der Stelle, wo Nepomuck der Sage nach hinabgestürzt wurde.

Die Rosmunda, welche sehr devot war, hatte die Sage vom heiligen Nepomuck in zärtlichem Andenken bewahrt, und unter den Heiligen die sie ihr Töchterlein jeden Abend mit seinem reinen Mündchen anrufen ließ, war er nie vergessen, er, der besondere Patron der Reisenden, derer die in Gefahr schweben und noch überdies der Beschirmer des guten Rufes.

Wie oft Arme von Reichthümern träumen, so machte sich die Zingara in ihren alten Tagen ein Ideal von jenem Schatze, den sie aufzusparen in ihrer Jugend nie Bedacht genommen hatte. In Folge eben dieser Gegenwirkung des sittlichen Gefühls war Consuelo in Ehrfurcht vor der Keuschheit und in reinen Gedanken auferzogen worden. Consuelo erinnerte sich in diesem Augenblick des Gebetes, welches sie als Kind an den Apostel des aufrichtigen Herzens zu richten pflegte, und ergriffen von dem Anblick des Ortes, der Zeuge seines tragischen Endes gewesen, sank sie unwillkürlich auf die Knie mitten unter den Andächtigen, welche dazumal noch zu jeder Stunde des Tages und der Nacht das Bild des Heiligen belagerten.

Es waren arme Frauen, Pilger, alte Bettler, vielleicht unter ihnen einige Zingari, Kinder der Mandoline und Eigner der Landstraße. Ihre Andacht beschäftigte sie nicht so sehr, daß sie vergessen hätten, ihr die Hand hinzuhalten. Sie spendete ihnen reichlich und gedachte der glücklichen Zeit, wo sie nicht besser beschuht und nicht stolzer gewesen als diese Leute. Ihre Freigebigkeit rührte die Armen so, daß sie flüsternd unter einander Rath hielten und dann Einen aus ihrer Mitte abschickten, um ihr zu sagen, daß sie eines der alten Lieder aus dem Officium des allerseligsten Nepomuck singen wollten, um die üble Vorbedeutung abzuwenden, durch welche sich die Reisende auf der Brücke aufgehalten fände. Die Musik und die Worte waren, wie sie versicherten, noch aus der Zeit des trunkenen Wenzel selbst: «

Suscipe quas dedimus, Joannes beate
Tibi preces supplices, noster advocate!
Fieri, dum vivimus, ne sinas infames
Et nostros post obitum caelis infer manes.
Und in Himmel, wenn wir todt, nimm uns von der Erden.

Der Porpora, der ihnen mit Vergnügen zuhörte, war der Meinung, daß ihre Hymne nicht über ein Jahrhundert zurückreichen könnte. Er hörte aber auch eine zweite, welche ihm eine Verwünschung, gegen Wenzeslas von seinen Zeitgenossen gerichtet, zu sein schien; diese begann mit den Worten:

Saevus, piger imperator
Malorum clarus patrator etc.
Unmensch, fühlloser Kaiser! Uebelberufener Unglücksbringer.

Obgleich Wenzels Verbrechen nicht mit zur Andacht gehörten, schien es doch, daß die armen Böhmen nicht satt werden konnten, in der Person dieses Tyrannen das verhaßte Wort Imperator zu verwünschen, das ihnen gleichbedeutend mit Eindringling geworden war.

An jedem der beiden Thore, welche die Brücke schließen, stand eine österreichische Schildwache. Ihre Vorschrift zwang sie, unabläßig von ihren Posten bis in die Mitte des Bauwerks zu gehen; dort vor der Bildsäule begegneten sie einander, kehrten sich den Rücken,und durchschritten mechanisch denselben Raum immer von neuem. Sie hörten die Gesänge; da sie aber nicht ebenso bewandert im Kirchenlatein waren als die Prager Andächtigen, bildeten sie sich ohne Zweifel ein, ein Loblied auf den Franzel von Lothringen, Maria Theresiens Gemahl zu hören.

Diesen kunstlosen Gesängen im Mondschein lauschend, an einer der romantischsten Stellen auf Erden, fühlte sich Consuelo von Schwermuth ergriffen. Ihre Reise war bis zu diesem Augenblick glücklich und heiter gewesen, und durch eine nur zu natürliche Gegenwirkung des Gemüths versank sie jetzt in eine trübe Stimmung. Der Postillion, der sein Zeug mit deutscher Gemächlichkeit in Ordnung brachte, hörte nicht auf bei jedem Ausbruch seines Mißmuths zu wiederholen: »Ein böses Zeichen!« und that dies so oft, daß Consuelo's Seele zuletzt davon ergriffen wurde. Jedes peinliche Gefühl, jedes träumende Sinnen von längerer Dauer rief Albert's Andenken in ihr wach.

In diesem Augenblick erinnerte sie sich, daß Albert eines Abends, als das Stiftsfräulein S. Nepomuck, den Hüter des guten Namens laut in ihrem Gebete anrief, gesagt hatte:

– »Ihnen läßt das ganz gut, Tante, da Sie den Ihrigen durch ein exemplarisches Leben sicher zu stellen stets bedacht gewesen sind; allein oft habe ich lasterhafte, befleckte Creaturen diesen Heiligen anrufen hören, ihnen durch seine Wunderthätigkeit,wer weiß, welche geheimen Schändlichkeiten verstecken zu helfen. So dienen euere Andachtsübungen eben so gut zum Deckmantel der Bosheit als zum Trost der Unschuld.«

Consuelo bildete sich in diesem Augenblick ein, Albert's Stimme im Geflüster des Abendwindes und im dumpfen Rauschen der Moldau vor ihren Ohren zu vernehmen. Sie fragte sich, was er wohl von ihr denken würde, er der sie vielleicht schon für verderbt hielte, wenn er sie vor diesem katholischen Bilde knien sähe, und erschrocken sprang sie auf; da sagte der Porpora eben:

– Nun, komm! es ist alles wieder im Stande.

Sie folgte ihm und war im Begriff, in den Wagen zu steigen, als ein vorüberkommender Reiter, der schwerfällig auf einem noch schwerfälligeren Pferde saß, plötzlich neben ihr parirte, abstieg und dicht an sie herantrat, um ihr mit einer ruhigen Neugierde, welche ihr sehr impertinent schien, ins Gesicht zu schauen.

– Was giebt's da, mein Herr? rief der Porpora, indem er ihn zurückstieß. Man sieht die Damen nicht so nah an. Vielleicht ist es zu Prag der Brauch, allein ich habe nicht Lust, ihn mir gefallen zu lassen.

Der schwerfällige Mann rückte das Kinn aus seinem Pelzkragen, und, immer das Pferd am Zügel haltend, antwortete er dem Porpora auf Böhmisch, ohne zu bemerken, daß ihn dieser nicht verstand. Consuelo aber, der die Stimme des Fremden auffiel, beugte sich vor, um seine Züge beim Mondschein zu betrachten, und rief, indem sie zwischen ihn und ihren Lehrer trat:

– Wie, sind Sie es, Herr Baron von Rudolstadt?

– Ja, ich bin es, Signora! antwortete der Freiherr Friedrich; ich bin es, Christians Bruder, Albert's Onkel. Ach ja! ich bin es, fügte er nochmals mit einem tiefen Seufzer hinzu.

Consuelo war betroffen von seiner traurigen Miene und von der Kälte mit welcher er ihr begegnete. Er der sich ihr immer so ritterlich galant bezeigt hatte, küßte ihr nicht die Hand, dachte nicht einmal daran, seine Pelzmütze zu berühren, um sie zu grüßen; er that nichts, als daß er sie mit einem verdutzten, um nicht zu sagen verdummten Gesicht ansah und mehrmals wiederholte:

– Und Sie sind es! ja wahrhaftig, Sie sind es!

– Sagen Sie mir, wie es auf Riesenburg geht! sagte Consuelo beunruhigt.

– Ich werde es Ihnen sagen, Signora, o mich verlangt sehr danach.

– Nun Herr Baron, so reden Sie! Geben Sie mir Nachricht vom Grafen Christian, von dem gnädigen Stiftsfräulein, von ...

– Ach ja! ich werde Ihnen Nachricht geben, antwortete Friedrich, der mit jedem Augenblicke stumpfer und verblüffter wurde.

– Und Graf Albert? fragte Consuelo, die sein Gesicht und Benehmen ängstigte.

– Ja wohl! ja wohl! Ach Albert! Ach! ja wohl, sagte der Freiherr, ich werde Ihnen Nachricht geben.

Aber er gab keine Nachricht, und auf alle Fragen des jungen Mädchens blieb er fast eben so stumm und unbeweglich wie die Bildsäule des heiligen Nepomuck.

Der Porpora fing an die Geduld zu verlieren, es fror ihn, er sehnte sich nach einem guten Lager. Und außerdem war ihm diese Begegnung, welche einen bedeutenden Eindruck auf Consuelo machen konnte, ziemlich unangenehm.

– Herr Baron, sagte er, wir werden die Ehre haben, Ihnen morgen unsere Aufwartung zu machen, aber erlauben Sie, daß wir ein Unterkommen suchen, denn wir müssen zu Abend essen und uns wärmen. Es thut uns mehr Noth als Complimente, setzte er zwischen den Zähnen murmelnd hinzu und stieg in den Wagen, in den er Consuelo schon, sie mochte wollen oder nicht, gestoßen hatte.

– Aber, mein Freund, sagte diese ängstlich, lassen Sie mich doch fragen ...

– Laß mich in Ruhe, antwortete er barsch. Dieser Mann ist dumm geworden, oder er ist betrunken, wir könnten die ganze Nacht hier auf der Brücke campiren und würden kein vernünftiges Wort aus ihm herausbringen.

Consuelo war in der schrecklichsten Unruhe.

– Sie sind ohne Mitleid, sagte sie, während der Wagen die Brücke verließ und in die Altstadt einfuhr. Sie konnten doch einen Augenblick noch warten, so hätte ich erfahren, was mich von allem auf der Welt am meisten interessirt ...

– Ohoha! sind wir wieder so weit? sagte der Maestro verdrießlich. Wird dir denn dieser Albert ewig im Kopfe herumfahren? Du hättest da eine hübsche Familie gekriegt, eine recht lustige, recht wohlerzogene Familie, nach diesem groben Tölpel zu urtheilen, dem die Mütze vermuthlich auf dem Kopfe angenagelt ist, denn er hat nicht die Gnade gehabt, sie auch nur zu lüften, als er dich sah.

– Sie haben auf diese Familie vordem so große Stücke gehalten, daß Sie mich wie in einen Rettungshafen hinein geworfen haben und mir nicht genug anempfehlen konnten, ihren Mitgliedern alle Achtung, alle Liebe zu erweisen.

– Im Letzteren hast du mir, wie ich sehe, mehr als nöthig war, gehorcht.

Consuelo wollte antworten, aber sie beruhigte sich, da sie bemerkte, daß der Freiherr, wieder zu Pferde, Willens schien, dem Wagen zu folgen; und als sie aussteigen wollte, fand sie den alten Herrn am Schlage, wo er ihr die Hand bot und sie als Wirth mit Höflichkeit bei sich willkommen hieß; denn in sein Haus, nicht in den Gasthof hatte der Postillion auf seinen Befehl die Fremden gebracht. Der Porpora wiedersetzte sich dieser Gastlichkeit vergebens, der Baron beharrte, und Consuelo, die vor Verlangen brannte, ihre traurigen Ahnungen aufgehellt zu sehen, beeilte sich Ja zu sagen und mit ihm in den Saal zu gehen, wo sie ein großes Kaminfeuer und ein gutes Abendessen erwartete.

– Sie sehen, Signora, sagte der Freiherr, indem er auf die Couverts wies, deren drei waren, daß auf Sie gerechnet ist.

– Das nimmt mich Wunder, antwortete Consuelo. Wir haben es Niemanden angezeigt, daß wir kommen würden, und glaubten auch selbst noch vor zwei Tagen, erst übermorgen in Prag einzutreffen.

– Es kann Sie nicht mehr Wunder nehmen als mich, entgegnete der Freiherr mit niedergeschlagener Miene.

– Und die Baronesse Amalie? fragte Consuelo, sich schämend, daß sie an ihre ehemalige Schülerin nicht eher gedacht hatte.

Eine Wolke zog über die Stirn des Freiherrn von Rudolstadt; sein hochrothes, von der Kälte etwas violett gefärbtes Gesicht wurde plötzlich so bleich, daß Consuelo davor erschrak, aber er antwortete mit einer gewissen Ruhe:

– Meine Tochter ist in Sachsen, bei einer unserer Verwandten. Es wird ihr sehr leid sein, Sie nicht gesehen zu haben.

– Und die übrigen Mitglieder Ihrer Familie, Herr Baron, fing Consuelo wieder an; kann ich nicht erfahren ...

– Ja, alles, versetzte Friedrich, alles sollen Sie erfahren. Essen Sie, Signora, Sie werden es nöthig haben.

– Es ist mir unmöglich, zu essen, wenn Sie mich in der Unruhe lassen. Herr Baron, um des Himmels willen, haben Sie den Verlust eines der Ihrigen zu beklagen?

– Niemand ist todt, antwortete der Baron mit einem so kläglichen Ton, als ob er den Untergang seiner ganzen Familie berichtet hätte, und fing an, das Fleisch so langsam und feierlich zu zerschneiden, wie er auf Riesenburg pflegte.

Consuelo getraute sich nicht, ihn abermals zu fragen. Das Abendessen dünkte ihr tödtlich lang. Der Porpora, der weniger unruhig als hungrig war, bemühete sich, mit seinem Wirth zu plaudern. Dieser bemühete sich seinerseits, ihm höflich zu antworten, und sogar Fragen über seine Angelegenheiten und Zwecke an ihn zu richten; aber dieser Aufwand ging augenscheinlich über seine Kräfte. Er antwortete verkehrt und brachte dieselben Fragen, die ihm schon beantwortet waren, einen Augenblick später wieder vor. Er schnitt sich große Stücke ab, und ließ sich viel auf den Teller thun, sein Glas goß er bis an den Rand voll; aber es geschah dies alles nur aus Gewohnheit: er aß keinen Bissen und trank keinen Tropfen, seine Gabel fiel ihm aus den Händen, seine Blicke irrten auf dem Tische umher, er war in einem kläglichen Zustande.

Consuelo beobachtete ihn, und sah wohl, daß er nicht berauscht war. Sie fragte sich, ob diese plötzlich eingetretene Hinfälligkeit von Unglück, von Krankheit oder vom Alter herrühre. Endlich nach zwei Marterstunden, da der Freiherr sah, daß die Mahlzeit zu Ende war, winkte er seinen Leuten sich zu entfernen, und nachdem er mit verstörter Miene lange in seinen Taschen gesucht hatte, brachte er einen Brief zum Vorschein, den er Consuelo darreichte. Der Brief war von dem Stiftsfräulein-und enthielt folgendes:

»Es ist aus mit uns. Keine Hoffnung mehr, Bruder! Der Doctor Supperville ist endlich von Bayreuth angelangt, und nachdem er uns mehre Tage getröstet hatte, hat er nun erklärt, daß es Zeit sei, die Familienangelegenheiten in Ordnung zu bringen, denn in acht Tagen vielleicht wird Albert nicht mehr sein. Christian, dem ich diesen Ausspruch mitzutheilen nicht den Muth habe, schmeichelt sich noch mit Hoffnung, aber auch nur schwach; seine Niedergeschlagenheit macht mich sehr besorgt: ich weiß nicht, ob der Verlust meines Neffen der einzige Schlag ist, den ich zu befürchten habe. Friedrich, es ist aus mit uns. Werden wir Beide dieses Unglück überleben? Ich, ich weiß es nicht. Gottes Wille geschehe! Das ist alles was ich sagen kann; aber ich fühle nicht mehr Kraft genug in mir, um nicht zu erliegen. Komm zu uns her, Bruder, und suche uns Muth mitzubringen, wenn dir nach deinem eignen Unglück noch ein wenig geblieben ist: deines ist ja auch das unsrige und setzt unseren Leiden die Krone auf. Es ist, als ob ein Fluch unsere Familie getroffen hätte. Was haben wir doch gesündigt, daß wir so hart gestraft werden? Gott bewahre mich vor Kleinmuth und Murren, aber, fürwahr, es kommen Augenblicke, wo ich mir sagen muß, es ist zuviel!

Komm, Bruder, komm zu uns, wir erwarten dich, wir bedürfen deiner, aber dennoch verlaß Prag nicht vor dem 11. Ich habe dir einen sonderbaren Auftrag auszurichten; es ist mir als ob ich toll wäre, indem ich es thue, aber unser ganzes Leben jetzt ist mir unerklärlich und ich will Albert's Willen blindlings ausführen. Den 11. d. Abends 7 Uhr finde dich auf der Brücke in Prag unter der Statue ein. Den ersten Wagen, der vorbei kommen wird, halte an, und die erste Person, die du darin sehen wirst, bringe hierher zu uns; wenn sie noch denselben Abend sogleich nach Riesenburg reisen kann, so ist Albert vielleicht noch zu retten. Wenigstens behauptet er, er werde sich dann mit dem ewigen Leben aussöhnen können, ich weiß nicht was er damit meint. Aber die Offenbarungen, welche er über die unerwartetsten Dinge seit acht Tagen gehabt hat, sind auf so unbegreifliche Weise in Erfüllung gegangen, daß ich nicht daran zweifeln kann: er hat eine Prophetengabe oder vermag ins Verborgene zu schauen. Er hat mich diesen Abend an sein Lager gerufen, und mit der schwachen Stimme die er jetzt hat, die man mehr errathen muß, als man sie verstehen kann, hat er mir aufgetragen, dir das obige zu schreiben und ich habe seine Worte genau wiedergegeben. Sei also um 7 Uhr am 11. bei der Statue, und wen du auch dort im Wagen findest, bringe ihn in aller Eile her.«

Nachdem Consuelo, die so bleich geworden war wie der Baron, den Brief zu Ende gelesen hatte, stand sie rasch auf; sie sank aber auf ihren Stuhl zurück und blieb einige Augenblicke starr und mit zusammengebissenen Zähnen sitzen. Dann erholte sie sich, raffte sich vom Stuhle auf und sagte zu dem Baron, der wieder in seine Stumpfheit versunken war:

– Nun, Herr Barons ist Ihr Wagen bereit? Ich bin es. Lassen Sie uns eilen!

Der Freiherr erhob sich mechanisch und ging hinaus. Er hatte die Kraft gehabt, alles zuvor zu besorgen, der Wagen war fertig, die Pferde waren angeschirrt; aber er folgte nur wie ein Automat dem Drucke einer Feder, und ohne Consuelo würde er nicht mehr an die Abreise gedacht haben.

Kaum war er aus dem Zimmer, als der Porpora den Brief ergriff und in Eil durchlief. Jetzt war das Erbleichen an ihm, er konnte kein Wort hervorbringen, er ging an dem Kamin auf und nieder und es war ihm schrecklich zu Muthe. Der Maestro hatte sich das Unglück vorzuwerfen, welches geschehen war; er hatte es nicht vorher gesehen, aber er sagte sich jetzt, daß er es hätte vorher sehen sollen; und von Gewissensbissen und Angst gefoltert, an seiner Vernunft irre gemacht durch die wundersame Divinationsgabe, welche dem Kranken das Mittel offenbart hatte, Consuelo wiederzusehen, glaubte er schrecklich und seltsam zu träumen.

Indessen da es keinen in gewissen Dingen entschiedneren Charakter und keinen zäheren Willen geben konnte als den seinigen, so dachte er bald an die Ausführbarkeit und an die möglichen Folgen des Entschlusses, den Consuelo gefaßt hatte. Er machte schnelle Schritte, schlug mit der Hand gegen seine Stirn, mit den Hacken auf den Fußboden, ließ alle Glieder seiner Finger knacken, zählte an den Fingerspitzen, überschlug, sann, waffnete sich mit Muth und sagte, gefaßt auf eine Explosion zu Consuelo, indem er sie schüttelte, um sie zu sich zu bringen:

– Du willst hin, es ist mir recht; aber ich werde mitreisen. Du willst Albert sehen, du wirst ihm vielleicht den Gnadenstoß geben; aber es läßt sich nicht vermeiden, also wir fahren. Wir haben zwei Tage übrig. Wir würden sie in Dresden zugebracht haben, jetzt machen wir dort keine Rast. Wenn wir nicht den 18. an der preußischen Grenze sind, so kommen wir unsern Verpflichtungen nicht nach. Am 25. gehen die Vorstellungen an. Wenn du nicht dazu da bist, so muß ich ein unerschwingliches Reugeld bezahlen. Ich besitze nicht halb so viel, und wenn man in Preußen nicht bezahlen kann, so geht's in Prison. Wer einmal gefangen sitzt, ist vergessen; zehn Jahr, zwanzig Jahr kann er sitzen, vor Gram oder vor Altersschwäche sterben, wie er will. Das ist das Schicksal, das mir bevorsteht, wenn du vergißt, daß wir spätestens den 14. um fünf Uhr in der Frühe von Riesenburg aufbrechen müssen.

– Sein Sie ruhig!! antwortete Consuelo mit der Festigkeit des Entschlusses. Ich habe das alles schon bedacht. Machen Sie mir in Riesenburg keinen Schmerz; das ist alles, um was ich Sie bitte. Wir werden den 14. früh um fünf von dort abreisen.

– Schwöre mir's.

– Ich schwöre es Ihnen, sagte sie mit ungeduldigem Achselzucken. Wenn es sich um Ihre Freiheit, um Ihr Leben handelt, so begreife ich nicht, wie Sie noch einen Schwur von mir nöthig finden können.

Der Freiherr trat in diesem Augenblick wieder ein. Ein alter treuer und verständiger Diener kam mit ihm, der ihn wie ein Kind in seinen großen Reisepelz wickelte und ihn zum Wagen führte. Man war bald in Beraun und um Tagesanbruch in Pilsen.

8.

Obgleich so schnell als irgend möglich gefahren wurde, ging doch von Pilsen nach Tauß viel Zeit verloren wegen der abscheulichen Wege durch fast ungangbare, wenig besuchte Waldungen, in denen das Reisen in mehr als einer Hinsicht gefährlich war. Es ließ sich wenig mehr als eine kleine Meile in der Stunde zurücklegen; doch langten die Reisenden endlich gegen Mitternacht auf Riesenburg an.

Nie hatte Consuelo, eine anstrengendere und trübseligere Reise gemacht. Der Freiherr von Rudolstadt schien nahe daran, von einer Lähmung befallen zu werden, so schwerfällig und stumpfsinnig war er geworden. Es war kein Jahr, seit ihn Consuelo als einen starken, rüstigen Mann gekannt hatte, aber dieser eiserne Körper war von keinem kräftigen Willen belebt. Er hatte sich stets nur leiten lassen und war bei dem ersten Stoß eines unerwarteten Unglücks zusammengebrochen. Das Mitleid, welches er Consuelo einflößte, vergrößerte ihre Unruhe und Besorgniß. Werde ich denn alle Bewohner von Riesenburg so wieder finden? dachte sie.

Die Zugbrücke war niedergelassen, das Fallgitter offen, die Diener warteten auf dem Hofe mit Fackeln. Keiner von den drei Reisenden dachte daran, dies auffallend zu finden. Keiner hatte die Kraft, eine Frage an die Dienerschaft zu richten. Da der Porpora sah, daß sich der Freiherr mühsam fortschleppte, faßte er ihn unter den Arm, um ihn zu stützen, während Consuelo zur Vortreppe eilte und hastig die Stufen hinauslief.

Sie fand oben das Stiftsfräulein, welches, ohne mit einer Begrüßung Zeit zu verlieren, sie mit den Worten beim Arme ergriff:

– Kommen Sie, es ist höchste Zeit. Albert erwartet Sie mit Ungeduld. Er hat Stunden und Minuten genau berechnet, er hat uns angekündigt, daß Sie auf den Hof führen, und in derselben Sekunde hörten wir das Rollen Ihres Wagens. Er zweifelte nicht an Ihrer Bereitwilligkeit zu kommen, aber er sagte, wenn ein unvorhergesehener Zufall Sie aufhielte, so würde es zu spät sein. Kommen Sie, Signora, und um Gotteswillen setzen Sie keinem seiner Gedanken Widerstand entgegen, stören Sie keines seiner Gefühle. Versprechen Sie alles was er verlangen wird, stellen Sie sich, als liebten Sie ihn. Lügen Sie, ach! wenn es sein muß. Albert's Urtheil ist gesprochen; seine letzte Stunde steht bevor. Suchen Sie ihm seinen Kampf zu erleichtern: das ist alles, um was wir Sie bitten.

Das Stiftsfräulein zog, während sie so sprach, Consuelo mit sich nach dem großen Saale.

– Er ist also auf? Er hütet nicht das Zimmer? fragte Consuelo in Eil.

– Er steht nicht mehr auf, denn er legt sich nicht mehr nieder. Seit dreißig Tagen sitzt er auf einem Lehnstuhl im Saale, und er will nicht leiden, daß man ihn anders wohin schaffe. Der Arzt hat erklärt, daß man ihm hierin den Willen lassen muß, denn man könnte ihn tödten, wenn man ihn aus seiner Stellung brächte. Fassen Sie Muth, Signora, Sie werden einen schrecklichen Anblick haben.

Das Stiftsfräulein öffnete die Saalthür, und sagte noch:

– Laufen Sie zu ihm, fürchten Sie nicht ihn zu überraschen. Er erwartet Sie, er hat Sie mehr als zwei Meilen weit herankommen sehen.

Consuelo eilte auf das bleiche Bild ihres Verlobten zu, der wirklich auf einem großen Lehnstuhl am Feuer saß. Es war nicht mehr ein Mensch, es war ein Gespenst. Seine Züge, obwohl eingefallen, waren noch immer schön, aber unbeweglich wie die einer Marmorbüste. Kein Lächeln war auf seinen Lippen, kein Strahl der Freude in seinen Augen. Der Arzt ließ Albert's Arm, welchen er ergriffen hatte, um den Puls zu befragen, wie in der Scene der Stratonice, sanft nieder, und sah das Stiftsfräulein mit einem Blicke an, welcher bedeutete: »Es ist zu spät!«

Consuelo kniete vor Albert hin, welcher sie starr ansah und kein Wort sagte. Endlich gelang es ihm, dem Stiftsfräulein, welches gelernt hatte alle seine Wünsche zu errathen, mit dem Finger ein Zeichen zu machen. Sie nahm seine beiden Arme, die er nicht die Kraft hatte zu erheben und legte sie auf Consuelo's Schultern, dann neigte sie den Kopf der letzteren gegen Albert's Schooß; und da die Stimme des Sterbenden sehr schwach war, sagte er ihr diese wenigen Worte in's Ohr: »Ich bin glücklich!«

Er hielt einige Minuten den Kopf seiner Geliebten gegen seine Brust und seine Lippen auf ihr schwarzes Haar gedrückt. Dann sah er seine Tante an und gab ihr durch unmerkliche Bewegungen den Wunsch zu erkennen, daß sie und sein Vater seine Braut ebenso küssen möchten.

– O von ganzer Seele! rief das Stiftsfräulein und drückte Consuelo innig an ihr Herz, hob sie dann auf und führte sie zu dem Grafen Christian, den Consuelo noch nicht bemerkt hatte.

Ebenfalls auf einem Lehnstuhl, seinem Sohne gegenüber an der andern Seite des Kamines saß der alte Graf und schien fast nicht weniger schwach und aufgerieben. Er erhob sich noch von Zeit zu Zeit und ging einige Schritte im Saale, aber jeden Abend mußte man ihn in sein Bett tragen, welches er in einem anstoßenden Gemache hatte aufschlagen lassen.

Er hielt in diesem Augenblicke eine Hand seines Bruders in einer der seinigen und Porpora's Hand in der andern. Er ließ sie fahren, um Consuelo mit Inbrunst mehrmals zu umarmen. Auch der Almosenier des Schlosses kam, Albert zu Gefallen, um Consuelo zu begrüßen. Auch er war ein Gespenst, ungeachtet seiner Beleibtheit, die noch zugenommen hatte, aber seine Farbe war leichenhaft. Er war durch ein müßiges, weichliches Leben zu sehr entnervt, um den Anblick des Schmerzes, dem die Uebrigen erlagen, aushalten zu können. Das Stiftsfräulein war die einzige von allen, die sich noch Kraft bewahrt hatte. Ihr Gesicht war kupfrig, ihre Augen glänzten fieberisch.

Albert allein schien ruhig. Auf seiner Stirn lagerte die Heiterkeit eines schönen Todes; in der Entkräftung seines Körpers verrieth sich nichts was an eine Abstumpfung der geistigen Fähigkeiten erinnert hätte. Er war ernst, nicht niedergedrückt wie sein Vater und sein Ohm.

Zu allen diesen von Krankheit oder Schmerz zerstörten Organisationen bildete die Ruhe und Gesundheit des Arztes einen seltsamen Contrast. Supperville, ein Franzose, war ehemals in Friedrich's II. Dienst gewesen, als dieser noch Kronprinz war. Einer der ersten, welche das Aufkeimen eines despotischen und stürmischen Charakters in dem jungen Fürsten merkten, hatte er sich in Bayreuth niedergelassen und sich dem Dienste der Markgräfin Sophie Wilhelmine Friederike, der Schwester Friedrichs gewidmet. Supperville war ehrgeizig und eifersüchtig, besaß alle Eigenschaften eines Höflings. Er war ein mittelmäßiger Arzt, trotz des Rufes, den er an diesem kleinen Hofe erlangte, er war Weltmann, ein scharfer Beobachter und ein geübter Kenner der moralischen Einflüsse unter denen die Krankheit steht.

Er hatte das Stiftsfräulein dringend aufgefordert, allen Wünschen ihres Neffen nachzugeben und hatte sich von der Rückkehr derjenigen, um deren willen Albert starb, noch etwas versprochen. Aber vergebens beobachtete er den Puls und das Gesicht des Kranken, seit Consuelo da war; er sagte sich nun abermals, daß es zu spät sei, und er dachte schon daran sich zu entfernen, um nicht Zeuge von Auftritten der Verzweiflung sein zu müssen, die zu beschwören nicht mehr in seiner Macht stand. Indessen entschloß er sich doch noch, die Regulirung der Familienangelegenheiten abzuwarten, entweder in der Voraussicht, daß es seinem eigenen Vortheil dienen könnte, oder aus natürlichem Hang zur Intrigue; und da er sah, daß in der Bestürzung Niemand von den Mitgliedern der Familie daran dachte, die kostbare Zeit wahrzunehmen, zog er Consuelo, in eine Fensternische und sagte auf Französisch sehr leise zu ihr:

– Mademoiselle, ein Arzt ist ein Beichtiger. Ich habe sehr bald von der geheimen Leidenschaft Kenntniß erlangt, welche diesen jungen Mann dem Grabe zuführt. Als Arzt bin ich gewohnt, den Sachen auf den Grund zu gehen und an eine Unterbrechung der Naturgesetze, denen die Körperwelt unterworfen ist, nicht leicht zu glauben. Ich erkläre Ihnen daher auch, daß ich an die sonderbaren Visionen und ekstatischen Offenbarungen des jungen Grafen nicht glauben kann. Was wenigstens Sie dabei betrifft, finde ich es am einfachsten, dieselben heimlichen Mittheilungen beizumessen, welche zwischen Ihnen und ihm während Ihrer Reise nach Prag und Ihrer Anherkunft stattgefunden haben.

Und da Consuelo ein verneinendes Zeichen machte, fuhr er fort:

– Ich will Sie nicht ausfragen, Mademoiselle, und in meinen Vermuthungen soll nichts für Sie Beleidigendes liegen. Sie dürfen mir vielmehr Ihr Vertrauen schenken und mich als einen Mann ansehen, der ganz und gar Ihren Interessen ergeben ist.

– Ich verstehe Sie nicht, mein Herr! antwortete Consuelo mit einer Unbefangenheit, an die der Hofarzt nicht glaubte.

– Sie werden mich verstehen, Mademoiselle! antwortete er kaltblütig. Die Verwandten des jungen Grafen haben sich Ihrer Verbindung mit ihm bis auf den heutigen Tag aus allen Kräften widersetzt. Ihr Widerstand ist endlich besiegt. Albert wird sterben, und da es sein Wille ist, Ihnen sein Vermögen zu hinterlassen, so werden sie jetzt nichts mehr dawider haben, daß eine kirchliche Ceremonie es Ihnen auf ewige Zeiten sichere.

– Was kümmert mich Albert's Vermögen? sagte Consuelo betroffen. Was hat das mit dem Zustand gemein, in welchem ich ihn finde? Ich bin nicht hier, um Geschäfte abzumachen, mein Herr! ich will versuchen, ihn zu retten. Darf ich denn keine Hoffnung hegen, daß es möglich sei?

– Keine! Diese Krankheit, eine Gemüthskrankheit ganz und gar, gehört zu denen, welche alle unsere Absichten zu Schanden machen und allen Bemühungen der Wissenschaft Trotz bieten. Vor einem Monat ist der junge Graf, nach einem Verschwinden und einer vierzehntägigen Abwesenheit, die mir Niemand hier erklären konnte, von einem plötzlichen und unheilbaren Uebel befallen in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt. Alle Lebensfunctionen waren bereits suspendirt. Seit dreißig Tagen hat er nicht mehr schlafen können und keinerlei Nahrung zu sich genommen: es ist eines von den Phänomenen, von denen nur die gestörte Organisation der Irren Beispiele darzubieten pflegt, daß er sich so lange mit einigen Tropfen Wassers täglich und Nachts einigen Minuten Schlafs erhalten konnte. Sie sehen, alle Lebenskräfte sind bei ihm erschöpft. Noch zwei Tage höchstens, und sein Leiden wird ein Ende haben. Waffnen Sie sich daher mit Standhaftigkeit, verlieren Sie den Kopf nicht! Ich bin da, werde Ihnen zur Seite stehen, und werde mit Nachdruck für Sie handeln.

Consuelo sah noch immer den Doctor erstaunt an, als diesen das Stiftsfräulein auf ein Zeichen Albert's unterbrach, um ihn zu dem Kranken zu führen.

Albert ließ den Arzt dicht zu sich herantreten und sprach ihm länger in's Ohr, als es seine Schwäche zu erlauben schien. Supperville wurde roth und blaß. Das Stiftsfräulein, welches sie ängstlich beobachtete, brannte vor Begier, Albert's Wunsch tu erfahren.

– Doctor, sagte Albert zu ihm, alles was Sie diesem jungen Mädchen gesagt haben, habe ich gehört.

Supperville, der am äußersten Ende des großen Saales so leise gesprochen hatte, wie jetzt der Kranke zu ihm sprach, gerieth in Verwirrung, denn seine positiven Ansichten über die Unmöglichkeit ekstatischer Fähigkeiten erhielten einen solchen Stoß, daß er toll zu sein glaubte.

– Doctor, fuhr der Sterbende fort, Sie begreifen nichts von dieser Seele und Sie schaden meiner Absicht, indem Sie ihr Zartgefühl verletzen. Sie versteht nichts von Ihren Geldgedanken. Sie hat nie nach meinem Range und nach meinem Vermögen ein Verlangen gehabt: sie hat mich nicht geliebt. Sie wird nur dem Mitleid weichen. Sprechen Sie zu ihrem Herzen. Ich bin meinem Ende näher als Sie glauben. Verlieren Sie keine Zeit. Ich kann nicht glücklich wiedererstehen, wenn ich nicht als ihr Gatte in die Nacht der Ruhe eingehe.

– Aber was meinen Sie mit den letzten Worten? sagte Supperville, der in diesem Augenblick sich damit beschäftigte, die Tollheit seines Kranken zu analysiren.

– Sie können sie nicht verstehen, antwortete Albert mit Anstrengung, aber sie wird sie verstehen. Beschränken Sie sich darauf, sie ihr getreu zu wiederholen.

– Warten Sie, Herr Graf, sagte Supperville, indem er ein wenig lauter sprach, ich sehe, daß ich nicht im Stande bin, Ihre Gedanken klar wiederzugeben, Sie haben jetzt mehr Kraft zu sprechen, als Sie seit acht Tagen hatten, und ich nehme dies für ein günstiges Zeichen. Sprechen Sie selbst mit Mademoiselle: Ein Wort von Ihnen wird sie besser überzeugen als alle meine Redekünste. Sie steht hier neben Ihnen; lassen Sie sie Meinen Platz einnehmen und sagen Sie ihr selbst Ihren Wunsch.

Supperville begriff wirklich nichts mehr von dem was er zu begreifen geglaubt hatte, und da er überdies glaubte, daß er Consuelo genug gesagt hätte, um ihrer Erkenntlichkeit gewiß zu sein, sobald sie nur den Punkt des Vermögens in's Auge fassen würde, zog er sich zurück, nachdem Albert noch zu ihm gesagt hatte:

– Denken Sie an Ihr Versprechen, der Augenblick ist da, reden Sie mit den Meinigen! Machen Sie, daß diese einwilligen und ohne Säumen. Ich sage Ihnen, daß es hohe Zeit ist.

Albert war von der Anstrengung, welche er eben gemacht hatte, so erschöpft, daß er seine Stirn an Consuelo's Stirn lehnte, als sie sich ihm näherte, und wie dem Verscheiden nahe, einige Augenblicke daran ruhete. Seine blassen Lippen wurden bläulich und der Porpora glaubte erschrocken, daß er den letzten Hauch von sich gegeben habe.

Inzwischen hatte Supperville den Grafen Christian, den Freiherrn, das Stiftsfräulein und den Kapelan an der andern Seite des Kamins versammelt und redete mit Feuer. Nur der Kaplan machte scheinbar einen schüchternen Einwand, zu welchem der Priester seine ganze Beharrlichkeit zusammenraffte.

– Wenn Ew. Gnaden es fordern, sagte er, so will ich mein Amt zu dieser ehelichen Verbindung hergeben; da aber Graf Albert nicht im Stand der Gnade ist, so wird es erforderlich sein, daß er vördersamst durch Beicht und letzte Oelung seinen Frieden mit der Kirche schließe.

– Letzte Oelung! sagte das Stiftsfräulein mit ersticktem Seufzen: ist es so weit? Gerechter Gott!

– Es ist so weit, in der That! antwortete Supperville, dem, als einem Weltmann und Philosophen aus der Voltaire'schen Schule die Physiognomie und die Bedenklichkeit des Almoseniers ein Gegenstand der Verachtung war; ja, es ist so weit ohne alle Gnade, wenn der Herr Kanonikus auf diesem Punkte beharrt und sich darauf steift, den Kranken durch die traurigen Anstalten der letzten Ceremonie zu martern.

– Meinen Sie denn, sagte Graf Christian zwischen seiner Devotion und seiner väterlichen Zärtlichkeit schwankend, daß die Anstalten einer freundlicheren und seinen Herzenswünschen entsprechenderen Ceremonie ihn dem Leben erhalten könnten?

– Ich kann für nichts einstehen, antwortete Supperville, aber ich darf sagen, daß ich mir viel davon verspreche. Sie haben dieser Heirat zu einer andern Zeit Ihre Zustimmung gegeben, Herr Graf ...

– Von Anfang an, sagte der Graf, indem er geflissentlich die Stimme erhob, ich habe mich dieser Heirat nie widersetzt. Meister Porpora, der Vormund dieser jungen Dame, hat mir aber an ihrer Statt geschrieben, daß er seine Zustimmung dazu nicht geben würde, und daß sie selbst bereits darauf verzichtet hätte. Ach! das ist meinem Sohn der Todesstoß gewesen! setzte er leiser hinzu.

– Sie hören was mein Vater sagt, flüsterte Albert seiner Braut in's Ohr, aber machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich habe es geglaubt, daß Sie mich aufgegeben hätten, und ließ mich von der Verzweiflung hinraffen; allein seit acht Tagen habe ich meine Vernunft, das was sie meine Tollheit nennen, wieder erlangt, ich habe in den fernen Herzen gelesen, wie andere in offenen Briefen lesen. Ich habe in Einem Blick Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges geschaut. Ich habe endlich erkannt, daß du deinem Versprechen treu gewesen bist, Consuelo, daß du dein Möglichstes gethan hast, mich zu lieben, daß du mich einige Stunden wirklich liebtest. Aber man hinterging uns beide. Vergieb deinem Lehrer, wie ich ihm vergebe.

Consuelo warf einen Blick auf Porpora, der Albert's Worte nicht hören konnte, wohl aber die des Grafen Christian gehört hatte und unruhig an dem Kamine auf und nieder ging. Sie sah ihn mit einem ernsten Blick des Vorwurfs an und der Maestro verstand diesen Blick so gut, daß er sich stumm und gewaltsam mit der Faust vor die Stirn schlug.

Albert bat Consuelo durch Zeichen, ihren Lehrer herzuführen und reichte ihm mit ihrer Hülfe die Hand. Der Porpora zog die eiskalte Hand an seine Lippen und brach in Thränen aus. Sein Gewissen warf ihm zürnend Albert's Mord vor, aber seine schmerzliche Reue machte die Schuld seiner Unvorsichtigkeit wieder gut.

Albert gab abermals durch Zeichen zu verstehen, daß er zu hören wünschte was seine Verwandten Supperville antworteten, und er hörte es, obgleich sie so leise sprachen, daß Porpora und Consuelo, die neben Albert knieten, kein Wort erhaschen konnten.

Der Kapelan wehrte sich gegen die bittere Ironie des Arztes; das Stiftsfräulein, in welchem Aberglaube und Duldsamkeit, christliches Erbarmen und mütterliche Liebe mit einander kämpften, mühete sich, Vorstellungen mit ein ander zu versöhnen, die in der katholischen Lehre unversöhnbar sind.

Der Streit drehte sich eigentlich nur um eine Formfrage, indem der Kapelan das Sakrament der Ehe einem Ketzer nicht spenden zu dürfen glaubte, bevor nicht derselbe wenigstens versprochen hätte, das Bekenntniß seines katholischen Glaubens unmittelbar nachher abzulegen. Supperville trug kein Bedenken, zu lügen, und die Versicherung zu geben, daß Albert versprochen hätte, nach der Ceremonie alles zu bekennen. was man wollte. Der Kapelan ließ sich nichts weiß machen.

Endlich brachen in dem Grafen Christian die ruhige Festigkeit, der gesunde Verstand, der menschliche Sinn wieder durch, die er oft in entscheidenden Augenblicken nach langem Schwanken und Zaudern zu offenbaren pflegte, und er machte dem Streit ein Ende.

– Herr Kapelan, sagte er, es giebt kein kirchliches Gesetz, welches Ihnen ausdrücklich verbietet, eine Katholikin mit einem Schismatiker zu trauen. Die Kirche duldet dergleichen Mischehen. Nehmen Sie also an, daß Consuelo orthodox und mein Sohn ein Ungläubiger sei, und trauen Sie sie auf der Stelle. Vorgängige Beichte wie Verlobung, wie Sie wissen, ist nur Observanz, und es kann davon unter Umständen abgegangen werden. Diese Trauung kann aber möglicherweise einen glücklichen Umschwung in Albert's Zustand bewirken, und dann, wenn er wiederhergestellt sein wird, wollen wir daran denken, ihn zu bekehren.

Der Kapelan hatte sich dem Willen des Grafen Christian nie widersetzt; der Graf war für ihn in Gewissensfällen ein höherer Richter als der Papst. Es blieb also nur noch übrig, Consuelo zur Einwilligung zu vermögen. Dies nahm Albert über sich, und es gelang ihm, indem er sie an sich zog, ohne fremde Hülfe, mit seinen abgezehrten, leicht wie Rohr gewordenen Armen den Hals seiner Geliebten zu umschlingen.

– Consuelo, sagte er zu ihr, in deiner Seele lese ich, daß du jetzt dein Leben geben würdest, wenn du damit das meinige erkaufen könntest: das ist unmöglich, aber du kannst, durch einen bloßen Entschluß deines Willens, mein ewiges Leben retten. Ich werde dich auf kurze Zeit verlassen, dann werde ich durch eine neue Geburt auf Erden wieder erscheinen. Verdammt und verzweifelt werde ich wiederkehren, wenn du mich jetzt in meiner letzten Stunde verlässest. Du weißt, Johann Ziska's Verbrechen sind noch nicht vollaus gebüßt, und du allein, nur du, meine Schwester Wanda, kannst meine Reinigung in dieser meiner gegenwärtigen Lebensphase vollbringen. Geschwister sind wir; um zu Liebenden zu werden muß der Tod noch einmal zwischen uns hingehen. Aber wir müssen jetzt noch Gatten werden durch einen heiligen Schwur, damit ich ruhig, thatkräftig und, wie andere Menschen, frei von der Erinnerung meiner früheren Existenzen, die seit so vielen Jahrhunderten meine Marter und Strafe ist, wiedererstehe.

Willst du diesen Schwur leisten? Er wird dich für dieses Leben nicht an mich binden, denn in einer Stunde werde ich es verlassen, aber er wird uns in der Ewigkeit vereinigen. Er wird ein Zeichen sein, woran wir uns dereinst wiedererkennen, wenn die Nacht des Todes die Klarheit unserer Erinnerungen ausgelöscht haben wird. Willst du? Es ist eine katholische Ceremonie, welche vollzogen werden soll, und der ich mich unterwerfe, weil sie die einzige ist, die im Sinne der Menschen den Besitz, den wir beide von einander nehmen, feststellen kann. Eine solche Sanction muß ich noch in das Grab mitnehmen. Die Heirat ohne Zustimmung der Familie ist in meinen Augen keine vollständige Heirat. Die unsere wird in unserem Herzen unauflöslich sein, wie sie in unserer Absicht heilig ist. Willst du?

– Ich will! rief Consuelo, indem sie ihre Lippen auf die schaurig-kalte Stirn ihres Gatten drückte.

Dieses Wort wurde von allen gehört.

– Wohlan! sagte Supperville, kommen wir zur Sache!

Mit Entschlossenheit trieb er den Kanonikus an, Leute zu rufen und alles zu der Ceremonie in Stand setzen zu lassen. Der Graf, ein wenig munterer als zuvor, setzte sich neben seinen Sohn und Consuelo. Das gute Stiftsfräulein dankte der letzteren für ihre Willfährigkeit und war so davon durchdrungen, daß sie neben ihr hinkniete und ihre Hände küßte. Der Freiherr weinte still für sich, und schien von dem was vorging nichts zu begreifen.

In einem Augenblick war vor dem Kamine ein Altar hergestellt. Die Bedienten wurden hinausgeschickt; sie glaubten, daß es sich nur um die letzte Oelung handle, und daß der Zustand des Kranken nicht viel Menschen und Geräusch im Saale litte. Der Porpora und Supperville gaben die Zeugen ab. Albert gewann plötzlich wieder so viel Kraft, daß er das Ja mit deutlicher und klingender Stimme aussprechen konnte. Die Familie ließ sich dadurch zu lebhafter Hoffnung anregen. Kaum hatte der Kapelan das letzte Gebet über den Neuvermählten ausgesprochen, als Albert sich erhob, sich in die Arme seines Vaters warf, ebenso mit ungemeiner Hast und Kraft seine Tante, seinen Oheim, und den Porpora umarmte; dann setzte er sich wieder auf seinen Lehnstuhl und rief, indem er Consuelo an sein Herz drückte:

– Ich bin gerettet!

– Es ist das letzte Aufflackern der Lebenskraft, eine Zuckung, mit der es aus ist! sagte Supperville, der Gesicht und Puls des Kranken während der Ceremonie noch einige male befragt hatte, zu Porpora.

Wirklich öffneten sich Albert's Arme, streckten sich vorwärts und sanken auf seine Knie zurück. Der alte Ajax, der während Albert's Krankheit unablässig zu seinen Füßen gelegen hatte, richtete den Kopf auf und ließ ein dreimaliges klägliches Geheul hören. Albert's Blick blieb starr auf Consuelo haften, sein Mund blieb offen, als ob er noch zu ihr reden wollte, ein leichter Hauch von Röthe zog über seine Backen, dann trat jene eigenthümliche Farbe ein, jene unsägliche, unbeschreibliche Blässe, welche langsam von der Stirn zu den Lippen niederzieht, und breitete sich über sein Gesicht wie ein falber Schleier aus. Während einer Minute nahmen seine Züge einen wechselnden, allmählig immer ernsteren, gesammelteren, ergebneren Ausdruck an, endlich blieben sie stehen und es lag auf ihnen eine erhabene Ruhe und selige Heiterkeit.

Die schauderhafte Stille, welche über der gespannt und zitternd lauschenden Familie schwebte, wurde durch die Stimme des Arztes unterbrochen, welche feierlich dumpf das Wort ohne Widerruf aussprach:

– Er ist todt!

9.

Der Graf Christian sank wie vom Schlage getroffen auf seinen Lehnstuhl; Wenceslawa warf sich krampfhaft schluchzend auf Albert, als hätte sie ihn durch ihre Liebkosungen wieder zu beleben gehofft; der Freiherr sprach einige Worte ohne Zusammenhang und Bedeutung wie ein stiller Wahnsinniger. Supperville trat zu Consuelo, deren unerschütterte Festigkeit und Regungslosigkeit ihn mehr beunruhigte als der Schmerzausbruch der Uebrigen.

– Sorgen Sie nicht um mich, mein Herr! sagte sie zu ihm. Auch Sie nicht, mein Freund! sagte sie zu Porpora, der im ersten Augenblick seine ganze Sorgfalt auf sie wendete. Führen Sie seine unglücklichen Verwandten hinweg. Widmen Sie denen Ihre Bemühungen, nehmen Sie sich ihrer an! Ich werde hier zurückbleiben. Todte haben nur Ehrfurcht und Gebete nöthig.

Der Graf und der Freiherr ließen sich ohne Widerstand hinausführen. Wenceslawa wurde, steif und kalt wie eine Leiche, in ihr Zimmer getragen, wohin sich auch Supperville begab, um ihr Hülfe zu leisten.

Der Porpora, der nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand, ging hinaus und rannte wie ein Toller durch den Garten. Die Kehle war ihm zugeschnürt. Bei ihm war das Gefühl eingeschlossen unter einem Panzer von allerdings mehr scheinbarer als wirklicher Kälte; nur war der Schein davon ihm zur zweiten Natur geworden. Die Angst und Jammerscenen, denen er beigewohnt, hatten nun seine reizbare Phantasie aufgeregt: lange stürmte er im Mondschein umher, verfolgt von Grabesstimmen, die vor seinen Ohren ein schauerliches Dies irae sangen.

Consuelo blieb allein bei Albert zurück; denn der Kapelan hatte kaum angefangen die Todtengebete herzusagen, als er ohnmächtig umfiel und nun auch hinweggetragen werden mußte. Der arme Mann hatte sich nicht abhalten lassen, mit dem Stiftsfräulein bei Albert während der ganzen Krankheit zu wachen, und er war mit seinen Kräften zu Ende. Die Gräfin von Rudolstadt, neben der Leiche ihres Gatten kniend, seine kalten Hände in den ihrigen haltend, ihren Kopf an das Herz gelehnt, das nicht mehr schlug, war tief in sich versunken.

Was Consuelo in diesem Augenblick empfand war nicht gerade Schmerz, wenigstens nicht jener Schmerz eines zerrissenen Herzens, welcher den Verlust der zu unserem beständigen Lebensglücke unentbehrlichen Wesen begleitet. Ihre Liebe zu Albert hatte noch nicht diese Innigkeit erlangt und sein Tod riß keine offenbare Lücke in ihr Dasein.

Die Verzweiflung bei dem Verluste derer, welche man liebt, steht oft in Bezug zu geheimen Regungen der Selbstsucht und einer gewissen Feigheit Angesichts der neuen Pflichten, die uns durch den Verlust Jener erwachsen. Ein Theil dieses Schmerzes ist gerecht, ein anderer Theil aber nicht, und muß bekämpft werden, obgleich er übrigens nicht weniger natürlich ist.

Nichts von dem Allen konnte sich in Consuelo's traurige und ernste Stimmung mischen. Albert's Dasein war dem ihrigen in allen Punkten fremd, nur in einem einzigen nicht, nämlich in dem Bedürfnis bewundernder Ehrfurcht und schönen Austausches der Seelen, welches er in ihr befriedigt hatte. Sie hatte sich dazu verstanden, ohne ihn zu leben, sie hatte sogar auf jedes Zeichen einer Liebe, die sie eingebüßt zu haben glaubte, verzichtet. Nichts war in ihrem Herzen geblieben, als der Wunsch, ein geheiligtes Andenken treu zu bewahren.

Albert war für sie schon todt gewesen. Jetzt war er es nicht noch mehr: im Gegentheil, vielleicht in mancher Hinsicht weniger; denn längst aufgeregt von dem Umgang mit diesem überlegenen Geiste, war Consuelo allmählig in ihrem Grübeln und Sinnen dahin gekommen, Albert's poetischen Glauben an eine Seelenwanderung anzunehmen. Dieser Glaube hatte eine starke Grundlage gefunden in dem Hasse, welcher ihr gegen die Vorstellung, daß sich Gott an dem Menschen nach dessen Tode durch die Höllenstrafen räche, instinktmäßig inne wohnte, und in ihrem christlichen Glauben an ein ewiges Leben.

Als Albert, noch lebend, durch den Schein gegen sie eingenommen, seiner Liebe ungetreu war oder dem Argwohn Raum gab, hatte sie ihn sich wie umschleiert oder entrückt in ein anderes Dasein gedacht, das unvollkommen im Vergleich mit jenem war, welches er der erhabenen Liebe und dem unerschütterlichen Vertrauen hatte widmen wollen.

War nun Albert, der zu jenem Glauben, jener Begeisterung zurückgekehrte Albert, der an ihrem Busen seinen letzten Seufzer ausgehaucht, für sie vernichtet? Lebte er nicht vielmehr Fülle des Lebens, indem er durch die Siegespforte eines schönen Todes einging, sei es nun in eine geheimnißvolle kurze Ruhe, sei es unverzüglich in ein reineres, glücklicheres Dasein?

Sterben im Kampfe mit der eigenen Schwachheit und mit Kraft begabt erwachen; sterben, den Bösen verzeihend und erwachen unter dem Einfluß und dem Schutz guter Menschen; sterben mit herzlicher Reue und erwachen freigesprochen und durch die Mitgabe eingeborener Tugend gereinigt: wären das nicht Belohnungen der Gottheit würdig?

Consuelo, bekannt gemacht durch Albert's Unterricht mit jenen Lehren, welche von untergegangenen mittelalterlichen Sekten gehegt wurden, und durch ihr Herz zu dem Glauben gedrängt, daß die Seele ihres Gatten sich nicht von der ihrigen jählings losreißen könnte, um in den unzugänglichen Sphären eines himmlischen Daseins ihrer zu vergessen, hing einer neuen Vorstellung nach, bei welcher ihr noch etwas von den abergläubischen Eindrücken ihrer Kindheit zu Hülfe kam.

Sie hatte an Gespenster geglaubt, wie Kinder aus dem Volkes gewöhnlich, sie hatte mehr als einmal im Traume den Geist ihrer Mutter gesehen, der ihr nahete, um sie zu bewachen und zu beschützen. So war ihr schon der Gedanke nicht fremd, daß ein Verkehr der abgeschiedenen Geister mit der Welt der Lebendigen bestünde; denn dieser Aberglaube kindlicher Gemüther scheint zu allen Zeiten sich geltend zu machen wie ein Protest gegen die unbedingte Verweisung des Menschenwesens in den Himmel oder in die Hölle der religiösen Gesetzgeber.

Am Busen des Todten ruhend konnte ihn daher Consuelo sich nicht todt denken und empfand nichts von den Schauern, welche sich an dieses Wort, an diese Vorstellung, an dieses Schauspiel knüpfen. Es schien ihr nicht möglich, daß das Geister leben so wie ein Hauch vergehen könne, daß dieser Kopf, der nie mehr denken, dieses Herz, das nie mehr fühlen sollte, schon ganz hin und machtlos sei.

– Nein! sagte sie sich, noch zögert vielleicht der göttliche Funke, sich in den Schoß Gottes zu tauchen, der ihn aufnehmen will, um ihn abermals in das Leben des Alls zu entsenden und eine neue menschliche Form mit ihm zu beseelen. Vielleicht ist noch ein tief verborgenes, ungeahntes Leben in dieser kaum erkalteten Brust. Und übrigens, wo immer Albert's Seele sei, sie sieht, sie weiß, was hier bei ihrer abgestreiften Hülle geschieht. Sie sucht vielleicht in meiner Liebe eine Nahrung für ihre neue Thätigkeit, in meinem Glauben einen Antrieb, Kraft zu ihrer Wiedergeburt aus Gott zu schöpfen.

Und erfüllt von solchen schweifenden Gedanken fuhr sie fort, Albert zu lieben, ihm ihre Seele zu öffnen, ihm sich hinzugeben, ihm den Schwur der Treue zu erneuen, den sie ihm im Namen Gottes und seiner Familie geleistet hatte, kurz mit ihm in ihrem Denken und Fühlen nicht wie mit einem Todten umzugehen, welchen man beweint, weil man sich von ihm losreißt, sondern wie mit einem Lebenden, dessen Ruhe man nicht stört, seines Erwachens, nur ihm zuzulächeln, harrend.

Als der Porpora wieder zur Besinnung kam, erinnerte er sich mit Schrecken, in welcher Lage er sein Mündel gelassen hatte, und beeilte sich zu Consuelo zurückzukehren. Er war erstaunt, sie so ruhig zu finden, als ob sie an dem Bett eines Freundes wachte. Er wollte ihr zureden, sich schlafen zu legen.

– Sprechen Sie keine vergeblichen Worte vor diesem schlafenden Engel, antwortete sie. Gehen Sie zur Ruhe, lieber Meister! meine Ruhe ist hier.

– Willst du dich denn tödten? sagte der Porpora wie in Verzweiflung.

– Nein, mein Freund! ich will leben, ich will alle meine Pflichten erfüllen gegen ihn und gegen Sie, aber diese Nacht werde ich ihn keinen Augenblick verlassen.

Gegen Morgen war alles still. Ein schwerer Schlaf hatte die Gewalt des Schmerzes übermannt. Der Arzt, todtmüde, hatte sich niedergelegt; der Porpora war auf einem Stuhle, den Kopf auf die Bettlehne des alten Grafen gestützt, eingeschlummert. Consuelo allein fühlte kein Bedürfniß, ihre Lage zu vergessen. Der Graf konnte das Bett nicht verlassen, aber der Freiherr kam gedankenlos in den Saal, um mit seiner Schwester und dem Kapelan vor dem Altare zu beten. Dann war von der Bestattung die Rede, und das Stiftsfräulein, welches für diese äußerlichen Sachen wieder Kräfte fand, ließ die weiblichen Dienstboten und den alten Hans rufen.

Jetzt verlangten der Arzt und der Porpora ernstlich, Consuelo sollte sich schlafen legen, und sie gab nach. Sie ging zuvor noch einmal an das Bett des Grafen Christian, der sie anblickte aber nicht zu erkennen schien. Man konnte nicht sagen, ob er wachte oder schlief, seine Augen waren offen, sein Athem war ruhig, sein Gesicht ausdrucklos.

Als Consuelo nach einigen Stunden erwachte, ging sie in den Saal hinunter und ihr Herz zog sich furchtbar zusammen, da sie ihn leer fand. Albert war auf ein Paradebett gelegt und in die Kapelle getragen worden. Sein Lehnstuhl stand noch auf derselben Stelle, wo ihn Consuelo zuletzt gesehen hatte. Das war alles was von ihm an diesem Orte übrig war, an welchem sich während so vieler Jammertage das Leben der ganzen Familie zusammengedrängt hatte. Selbst sein Hund war nicht mehr da. Die Frühlingssonne warf heitere Blicke auf die trübseligen Wände und im Garten zwitscherten dies Amseln mit unverschämter Lustigkeit.

Consuelo ging sachte in das anstoßende Gemach, dessen Thür halb offen stand. Der alte Graf lag noch im Bette, noch immer, wie es schien, ohne Gefühl für den Verlust den er erlitten hatte. Seine Schwester, die auf ihn alle die eifrige Sorgfalt die sie für Albert gehabt hatte, übertrug, wartete ihn aufmerksam. Der Freiherr sah stumpf in das Kaminfeuer; nur die Thränen, welche stumm über seine Backen rollten, ohne daß er daran dachte, sie zu trocknen, zeigten, daß er nicht das Glück hatte, ohne Gedächtniß zu sein.

Consuelo trat zu Wenceslawa, um ihr die Hand zu küssen, aber des Stiftsfräuleins Hand zog sich mit unbezwinglichem Widerwillen zurück. Die arme Wenceslawa sah in diesem Mädchen die Pest, den Würgengel ihres Neffen. Sie hatte zu Anfang gegen Albert's Heiratsplan einen Abscheu gehabt und sich demselben aus aller Macht widersetzt. Später, als sie sah, daß Albert ungeachtet der Trennung von Consuelo nicht darauf verzichtete, daß seine Gesundheit, seine Vernunft, sein Leben davon abhingen, hatte sie ebenso großen Eifer daran gesetzt, ihn zu befördern, als zuvor ihn zu hintertreiben.

Porporas Weigerung, die ausschließliche Leidenschaft für die Bühne, welche er Consuelo beizulegen sich nicht gescheut hatte, kurz alle die unheilvollen Lügen, mit denen er dienstfertig mehrere Briefe an den Grafen Christian angefüllt, ohne im Geringsten derjenigen Briefe zu erwähnen, die Consuelo geschrieben und die er beseitigt, hatten dem Greise den bittersten Schmerz und dem Stiftsfräulein den tiefsten Unwillen eingeflößt.

Sie haßte nun, sie verachtete Consuelo, der sie es wohl verzeihen konnte, sagte sie, Albert's Vernunft durch diese unselige Liebe verwirrt zu haben, die sie aber nicht davon lossprechen konnte, ihn schamlos verrathen zu haben; denn sie wußte nicht, daß Albert's wahrer Mörder Porpora war. Jeder Blick dieser armen Tante schien Consuelo zu sagen: »du hast unser Kind umgebracht, du hast ihm das Leben nicht wiedergeben können, und jetzt bleibt uns nichts als der Schimpf einer Verbindung mit dir!«

Diese stumme Kriegserklärung beschleunigte Consuelo's Entschluß, das Stiftsfräulein um das letztere Unglück so gut es möglich war zu trösten.

– Darf ich Sie bitten; gnädige Frau, sagte sie zu ihr, mir eine Stunde zu bestimmen, in welcher ich Sie allein sprechen kann? Ich muß morgen vor Tagesanbruch fort, und ich kann mich nicht von hier entfernen, ohne Ihnen achtungsvoll meine Absichten eröffnet zu haben.

– Ihre Absichten! Ich! kann sie mir wohl denken, antwortete das Stiftsfräulein mit Schärfe. Sein Sie ruhig, Mademoiselle! es ist alles in Ordnung; und die Rechte, welche Ihnen gesetzlich zustehen, werden gewissenhaft beachtet werden.

– Ich sehe im Gegentheil, daß Sie mich durchaus nicht richtig beurtheilen, und es verlangt mich um so mehr ...

– Nun wohl! Da ich auch diesen Kelch noch trinken muß, sagte das Stiftsfräulein aufstehend; so mag es jetzt gleich geschehen, so lange ich noch Muth genug dazu in mir fühle. Kommen Sie mit, Signora! Mein ältester Bruder scheint in diesem Augenblick zu schlummern. Herr Supperville, der meiner Bitte willfahrt hat, ihm noch einen Tag seine Behandlung zu widmen, wird die Güte haben, mich eine halbe Stunde zu vertreten.

Sie schellte und ließ den Doctor rufen. Dann wendete sie sich zu dem Freiherrn.

– Bruder, sagte sie, deine Mühe ist vergeblich, da Christian noch nicht wieder zu dem Gefühle seines Unglücks gekommen ist. Vielleicht wird dies nicht geschehen, zu seinem Glück, zu unserem Unglück! Vielleicht ist diese Erschöpfung ein Vorspiel des Todes. Ich habe nur dich noch auf der Welt, Bruder! denke an deine Gesundheit, die bei der Unthätigkeit, in die du aus Kummer versinkst, nur zu sehr leidet. Du bist an freie Luft und Bewegung gewöhnt; geh, mach' einen Spaziergang, nimm eine Flinte: der Jäger soll dir die Hunde nachführen. Thu es mir zu Liebe, Friedrich! Der Arzt verlangt es, deine Schwester bittet dich darum, schlage es mir nicht ab! Es ist der größte Trost, den du mir in diesem Augenblick geben kannst, denn auf dir ruht die letzte Hoffnung meines traurigen Alters.

Der Baron zögerte, gab aber zuletzt nach. Seine Bedienten griffen ihm unter die Arme und er ließ sich wie ein Kind hinausführen. Der Doctor betrachtete den Grafen Christian, der kein Zeichen von Besserung gab, obgleich er die Fragen des Arztes beantwortete und die Umstehenden, die er mit sanfter aber gleichgültiger Miene ansah, zu kennen schien.

– Es ist nicht viel Fieber da, sagte Supperville leise zudem Stiftsfräulein, wenn es nicht gegen Abend zunimmt, so wird es vielleicht nichts sein.

Wenceslawa, ein wenig beruhigt, bat ihn bei ihrem Bruder zu bleiben und führte Consuelo ins ein großes, reich im alten Geschmacke verziertes Gemach, welches die letztere noch nie betreten hatte. Ein großes Paradebett stand darin, dessen Vorhänge seit mehr als zwanzig Jahren nicht berührt worden waren. Es war dasjenige, auf welchem Wanda von Prachatitz, des Grafen Albert's Mutter, den Geist aufgegeben hatte. Das Zimmer war das ihrige.

– Hier, sagte das Stiftsfräulein feierlich, nachdem sie die Thüre zugemacht hatte, fanden wir Albert vor zwei und dreißig Tagen wieder, nachdem er vierzehn Tage verschwunden gewesen. Seit jenem Augenblick hat er das Zimmer nicht wieder betreten, er hat den Lehnstuhl nicht mehr verlassen, auf welchem er gestern Abend gestorben ist.

Die dürren Worte dieser nekrologischen Nachricht wurden mit einer so bitteren Betonung ausgesprochen, daß sie der armen Consuelo ebenso viele Stacheln ins Herz bohrten. Das Stiftsfräulein nahm sodann das von ihm unzertrennliche Schlüsselbund vom Gürtel, schritt auf einen großen eichenen mit Schnitzwerk verzierten Schrank zu und schlug dessen beide Thüren auseinander. Consuelo sah im Innern eine Masse von matt gewordenen, lange ungebrauchten Kleinodien, meist sehr alterthümlich, wunderlich geformt und mit Brillanten und Edelsteinen von großem Werth verziert.

– Dort, sagte das-Stiftsfräulein, sind die Familienstücke, welche meine Schwägerin, des Grafen Christian Frau vor ihrer Verheiratung besaß; dort weiterhin sind die von meiner Großmutter, die sie von meinen Brüdern und von mir geschenkt erhielt; hier vorn befindet sich was ihr Gemahl ihr gekauft hat. Alles dieses gehörte ihrem Sohne Albert und gehört nun Ihnen als seiner Witwe. Nehmen Sie es und fürchten Sie nicht, daß Ihnen hier Jemand diese Schätze streitig mache, auf die wir keinen Werth legen, mit denen wir auch nichts mehr anzufangen wissen. Was die Besitztitel des mütterlichen Erbes meines Neffen betrifft, so werden sie Ihnen binnen einer Stunde eingehändigt werden. Alles ist in Ordnung, wie ich Ihnen gesagt habe, und sein väterliches Erbgut anlangend, ach! Sie werden auch darauf vielleicht nicht lange zu warten brauchen. Es ist Albert's letzter Wille, den ich vollstrecke. Mein Wort hat ihm so viel gegolten als ein Testament.

– Madame! antwortete Consuelo, indem sie den Schrank mit einer Bewegung des Abscheus wieder schloß, ein Testament würde ich zerrissen haben, und Ihr Wort bitte ich Sie zurückzunehmen. Ich bedarf dieser Schätze eben so wenig als Sie. Mein Leben würde mir durch ihren Besitz auf ewig befleckt erscheinen. Wenn Albert sie mir vermacht hat, so ist es ohne Zweifel in dem Gedanken geschehen, daß ich sie, seiner Denkungsart und Gewohnheit gemäß, an die Armen vertheilen sollte. Ich würde aber eine schlechte Verwalterin dieser großmüthigen Spenden sein: ich besitze weder das Geschick zur Besorgung eines solchen Geschäftes noch die erforderliche Kenntniß der Verhältnisse, um sie so zu verwenden, wie sie wahrhaft Nutzen gewähren können. Ihnen, Madame, die Sie diese Eigenschaften besitzen und damit einen ebenso großen Edelsinn als ihn Albert besaß, verbinden, Ihnen kommt es zu, diese Verlassenschaft Werken der Milde dienstbar zu machen. Ich trete Ihnen alle meine Rechte ab, wenn es sich so verhält, daß ich Rechte habe, die mir gesetzlich zustehen, was ich nicht weiß und niemals wissen will. Ich begehre von Ihrer Güte nur Eine Gunst, nämlich diese, daß Sie meinem Stolze nie die Kränkung zufügen, mir ein Anerbieten dieser Art zu erneuen.

Das Stiftsfräulein änderte die Miene. Zur Achtung gezwungen, aber ohne daß sie sich entschließen konnte, Consuelo zu bewundern, versuchte sie in sie zu dringen.

– Woran denken Sie? hob sie an, indem sie Consuelo scharf anblickte, Sie sind ja ohne Vermögen.

– Um Vergebung, gnädige Frau, ich bin reich genug. Ich habe einen einfachen Sinn und arbeite gern.

– Also, Sie wollen wieder von vorn anfangen ... was Sie Ihre Arbeit nennen.

– Ich bin dazu gezwungen, gnädige Frau, und durch Gründe, die mein Gewissen keinen Augenblick in Zweifel lassen, ungeachtet der Niedergeschlagenheit, in welcher ich mich augenblicklich befinde.

– Und anders nicht wollen Sie Ihren neuen Rang in der Welt behaupten?

– Welchen Rang, Madame?

– Der Albert's Witwe zukommt.

– Ich werde nie vergessen, daß ich des edeln Albert Witwe bin und mein Betragen wird stets des Gatten würdig sein, den ich verloren habe.

– Und dennoch will die Gräfin von Rudolstadt wieder die Bretter betreten?

– Es giebt keine Gräfin von Rudolstadt, als Sie, Madame, und es wird nach Ihnen keine geben, als die Baronin Amalie Ihre Nichte.

– Erwähnen Sie ihrer aus Hohn, Signora? rief Wenceslawa, bei Amaliens Namen zusammenfahrend, als ob sie auf eine Schlange getreten hätte.

– Was bedeutet diese Frage, Madame? entgegnete Consuelo mit einem Erstaunen, an dessen Aufrichtigkeit Wenceslawa nicht zweifeln konnte. Um des Himmels willen, was ist der jungen Baronin begegnet? Ich habe sie nicht hier gefunden. Mein Gott, wäre sie gestorben?

– Nein! sagte das Stiftsfräulein mit Bitterkeit. Wollte Gott, daß sie gestorben wäre! Gedenken Sie ihrer nicht weiter; von ihr ist keine Rede.

– Dennoch muß ich Sie an etwas erinnern, Madame, woran ich zuvor nicht dachte. Sie ist die einzige rechtmäßige Erbin der Güter und Titel Ihrer Familie. Dies muß Ihr Gewissen beruhigen wegen des Gutes, das Albert nachgelassen hat, da Ihnen die Gesetze nicht verstatten, darüber zu meinen Gunsten zu verfügen.

– Nichts kann Ihnen Ihre Rechte auf Ihr Witthum und auf einen Besitz rauben, den Ihnen Albert letztwillig vermacht hat.

– Nichts aber kann mich hindern, darauf zu verzichten und ich verzichte darauf.

– Die Welt erlaubt Ihnen nicht, darauf zu verzichten.

– Die Welt! Die Welt! Nun wohl, das ist gerade der Punkt, wegen dessen ich Sie zu sprechen wünschte. Die Welt würde weder Albert's Liebe zu mir, noch die herablassende Güte seiner Familie für ein armes Mädchen meines Gleichen begreifen. Sie würde ihm daraus einen Vorwurf noch im Grabe und Ihnen einen Flecken für Ihr Leben machen. Mir würde sie es als eine Lächerlichkeit, vielleicht als Schande anrechnen, denn, ich wiederhole es, die Welt begreift nichts von dem was hier unter uns vorgegangen ist. Der Welt soll es deshalb ein Geheimniß bleiben, Madame, wie es Ihren Bedienten eines ist; denn mein Lehrer und der Herr Doctor, die einzigen Vertrauten, die einzigen fremden Zeugen dieser im Geheimen geschlossenen Verbindung haben noch nichts davon verrathen und werden es nicht thun. Für den Ersteren stehe ich ein; der Verschwiegenheit des Letzteren können Sie und müssen Sie sich versichern. Leben Sie über diesen Punkt in Ruhe, Madame! Es wird nur von Ihnen abhangen, das Geheimniß mit in das Grab zu nehmen, und nie, so viel an mir liegt, soll die Baronesse Amalie ahnen, daß ich die Ehre habe, ihre Cousine zu sein.

– Consuelo! meine Tochter! rief Wenceslawa schluchzend, bleiben Sie bei uns. Sie sind edel, Sie sind verständig. Verlassen Sie uns nicht!

– Gewiß würde ich es nicht thun, wenn ich dem Wunsche meines Herzens folgen dürfte, das Ihnen ganz ergeben ist, sagte Consuelo, indem sie sich den Liebkosungen des Fräuleins mit Innigkeit hingab; allein es würde dann unmöglich sein, daß nicht unser Geheimniß verrathen oder errathen würde, was auf Eines hinausläuft, und ich weiß, daß Ihnen die Ehre der Familie theurer ist als das Leben. Lassen Sie mich, indem ich mich ohne Verzug und ohne Besinnen aus Ihren Armen reiße, Ihnen den einzigen Dienst erzeigen, der in meiner Macht steht.

Die Thränen, welche Wenceslawa am Schlusse dieses Auftrittes vergoß, erleichterten ihre Brust von der schrecklichen Last, unter welcher sie erlag. Es waren die ersten, welche sie seit dem Tode ihres Neffen vergießen konnte. Sie nahm Consuelo's Opfer an, und das Vertrauen, welches sie auf deren ernsten Willen setzte, bewies, daß sie endlich diesen edlen Character zu würdigen wußte.

Sie verließ Consuelo, um den Vorgang dem Kapelan mitzutheilen und sich mit Supperville und dem Porpora über die Nothwendigkeit eines unverbrüchlichen Schweigens zu verständigen.

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Schluß.

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Consuelo war nun frei und benutzte den Tag, das Schloß, den Garten, die Umgegend zu durchstreifen, alle die Orte zu besuchen, welche ihr Albert's Liebe vergegenwärtigten. Sie ließ sich durch ihre Pietät sogar zum Besuche des Schreckenstein verleiten und setzte sich auf den Stein, in jener schauerlichen Einöde, welche Albert so oft mit seinen schmerzlichen Seufzern erfüllt hatte. Sie entfernte sich bald wieder, denn sie fühlte ihren Muth wanken, ihre Sinne sich verwirren, ja, sie glaubte ein dumpfes Stöhnen aus dem Innern des Berges zu vernehmen. Sie wagte sich nicht zu gestehen, daß sie es sogar deutlich vernahm. Albert war nicht mehr, Zdenko war nicht mehr: es konnte nur eine krankhafte, schlimme Sinnentäuschung sein. Consuelo eilte, sich dieser zu entziehen.

Als sie sich dem Schlosse beim einbrechenden Dunkel näherte, sah sie den Freiherrn von der Jagd zurückkommen. Er war bei der Ausübung seiner Lieblingsbeschäftigung wieder ein wenig sicherer in seinem Gange und munterer geworden. Die Jäger, die ihn begleiteten, hatten ihm das Wild zugetrieben, um in ihm die Lust zum Schießen rege zu machen; er hatte noch genau gezielt und seufzend seine Beute aufgehoben.

– Der wird am Leben bleiben und sich trösten, dachte die junge Witwe.

Das Stiftsfräulein aß oder stellte sich so im Zimmer des Grafen Christian. Der Kaplan, der aufgestanden war und in der Kapelle bei dem Todten gebetet hatte, versuchte ebenfalls sich zu Tische zu setzen. Aber er hatte Fieber und bei den ersten Bissen wurde ihm übel. Der Doctor war ein wenig verdrießlich darüber. Er hatte Hunger, und mußte nun seine Suppe kalt werden lassen, um den Kaplan in dessen Zimmer zu schaffen. Er konnte sich nicht enthalten auszurufen:

– Sind mir das Leute ohne Kraft und Muth! Nur zwei Männer giebt es hier im Hause, das Fräulein und die Signora.

Er kam sehr schnell zurück, fest entschlossen, sich um das Unwohlsein des armen Priesters nicht viel Sorge zu machen und sprach, ebenso wie der Baron, den Schüsseln und der Flasche fleißig zu. Der Porpora, der heftig angegriffen war, obgleich er es nicht zeigen wollte, konnte die Zähne nicht von einander bringen, weder um zu essen noch um zu sprechen. Consuelo dachte an nichts als an das legte Abendessen auf Riesenburg, an welchem sie zwischen Albert und Anzoleto Theil genommen hatte.

Nachher machte sie mit ihrem Lehrer Anstalt zur Abreise. Die Pferde wurden auf vier Uhr Morgens bestellt. Ehe man sich trennte, wurde dem Grafen Christian noch ein Besuch abgestattet. Er schlief ruhig, und Supperville, der nichts sehnlicher wünschte, als aus diesem traurigen Hause fortzukommen, versicherte, es sei keine Spur von Fieber da.

– Ist das gewiß wahr, mein Herr? fragte ihn heimlich Consuelo, die seine Eile besorgt machte.

– Ich schwöre es Ihnen zu, versetzte er. Für dieses Mal ist er durch; aber das kann ich Ihnen sagen, nicht für lange. In seinen Jahren fühlt man den Schmerz im Augenblick der Krise nicht sehr lebhaft; aber das traurige Gefühl der Einsamkeit giebt Einem nicht lange nachher den Rest. Wie wenn einer zurücktritt, um einen Ansatz zu nehmen zu desto kräftigerem Springen. Also, passen Sie auf, denn ich denke mir, daß Sie doch nicht im Ernst auf Ihre Rechte verzichtet haben werden.

– Im vollsten Ernst, mein Herr! sagte Consuelo. Ich bin erstaunt, daß Ihnen eine so einfache, natürliche Sache so unglaublich scheint.

– Erlauben Sie mir indessen, Madame, bis zum Tode Ihres Schwiegervaters daran zu zweifeln. Ein großer Fehler ist es allerdings gewesen, daß Sie nicht einstweilen die Bijouterien und die Besitztitel in Verwahrsam genommen haben. Nun wohl! Sie haben Ihre Gründe, die ich nicht durchschaue, und ich bin überzeugt, daß eine so ruhige, besonnene Person, wie Sie, nicht leichtsinnig handelt. Ich habe mein Ehrenwort gegeben, das Familiengeheimniß nicht zu verrathen, und ich werde warten, bis Sie mich desselben entbinden. Mein Zeugniß wird Ihnen seiner Zeit nützlich sein, und Sie können auf mich zählen. Sie werden mich jederzeit in Bayreuth erfragen können, wenn mich Gott am Leben läßt, und in dieser Hoffnung küsse ich Ihre Hand, Frau Gräfin.

Supperville nahm von dem Stiftsfräulein Abschied, betheuerte, daß für den Kranken keine Lebensgefahr sei, verschrieb noch ein Recept, erhielt eine beträchtliche Summe, die ihm unbedeutend schien, da er von Consuelo dafür, daß er ihren Interessen gedient, eine sehr ansehnliche Gratifikation erwartet hatte, und verließ um zehn Uhr Abends das Schloß. Consuelo war erstaunt und entrüstet über den materiellen Sinn dieses Mannes.

Der Freiherr ging zu Bett, viel wohler als am vorigen Abend, und Wenceslawa ließ neben Christians Bett das ihrige stellen.

Consuelo wartete, bis alles im Schlosse still und öde war. Dann zündete sie ein Lämpchen an, und begab sich nach der Kapelle. Es war Mitternacht.

Zwei Diener des Hauses, welche sie am Ende des Kreuzganges fand, der zur Kapelle führte, erschraken zuerst bei ihrer Annäherung und gestanden ihr dann, weshalb sie da wären. Sie waren beauftragt, bei der Leiche des Herrn Grafen Wache zu halten, hatten es aber vor Furcht nicht in der Kapelle aushalten können und wollten lieber vor der Thür wachen und beten.

– Furcht? Wovor? fragte Consuelo, betrübt, daß ein so guter, edler Herr schon kein anderes Gefühl mehr seinen Dienstleuten einflößte.

– Was wollen Sie, Signora? antwortete einer der beiden Männer, der weit entfernt war, sie für Albert's Witwe zu halten; unser junger Herr hat wunderliche Praktiken und Umgang mit der Geisterwelt gehabt. Er hat mit Todten geredet, hat verborgene Dinge ergründet, hat mit den Zigeunern gegessen, kurz man weiß nicht, was Einem zustoßen kann, wenn man die Nacht in der Kapelle zubringt. Wir könnten's nicht und wenn's uns an den Kragen ginge. Sehn Sie den Ajax! Man hat ihn nicht an den heiligen Ort gelassen und er hat den ganzen Tag quer vor der Thür gelegen, hat nichts gefressen, hat sich nicht gerührt, hat nicht gewimmert. Er weiß recht gut, daß sein Herr darin ist und todt ist. Und er hat nicht ein einzigesmal nach ihm verlangt. Aber seit es Mitternacht geschlagen hat, ist das Thier unruhig geworden, wittert und kratzt an der Thür, und winselt, als ob es wüßte, daß sein Herr drinnen nicht mehr allein und in Ruhe ist.

– Arme Narren seid ihr! sagte Consuelo unwillig. Wenn ihr ein Bißchen mehr Gefühl hättet, würdet ihr nicht so schwach von Verstand sein.

Und zum größten Erstaunen und zur größten Bestürzung der furchtsamen Wächter ging sie in die Kapelle.

Albert lag auf dem Paradebett, dessen Decke an den vier Ecken mit dem Familienwappen gestickt war. Sein Kopf ruhte auf einem Kissen von schwarzem Sammet mit Silberthränen, und ein eben solches Tuch, in Kränzen drappirt, bedeckte ihn. Eine dreifache Reihe von Wachskerzen beleuchtete sein Gesicht, welches so ruhig, so rein, so männlich geblieben war, daß er zu schlafen schien. Man hatte den letzten Rudolstadt, einem Familienbrauch zufolge, in die alte Tracht seiner Väter gekleidet. Er hatte die Grafenkrone auf dem Kopfe, das Schwert an der Seite, den Schild unter den Füßen und auf der Brust das Crucifix. Mit seinem langen Haar und schwarzen Bart sah er den alten Rittern vollkommen ähnlich, deren ausgestreckte Bildnisse rings um ihn her auf ihren Gräbern ruhten. Der Fußboden war mit Blumen bestreut und Räucherwerk brannte auf Granatschalen an den vier Ecken des Leichenbettes.

Drei Stunden betete Consuelo für ihren Gatten und betrachtete ihn in seiner erhabenen Ruhe. Der Tod hatte über sein Gesicht eine düsterere Farbe verbreitet, aber seine Züge so wenig verändert, daß sie mehrmals, seine Schönheit bewundernd, vergaß, daß er nicht mehr war. Sie bildete sich ein, das Geräusch seines Athems zu hören, und wenn sie sich einen Augenblick von ihm entfernte, um auf den Pfannen das Räucherwerk und die Flamme der Kerzen zu unterhalten, däuchte es ihr als hörte sie ein Rascheln und sähe die Drapperie sich leise bewegen. Sogleich näherte sie sich der Leiche und an seinem starren Munde, an seinem verstummten Herzen lauschend, gab sie die augenblickliche, unsinnige Hoffnung wieder auf.

Als es drei Uhr schlug, erhob sie sich und drückte auf die Lippen ihres Gatten ihren ersten, letzten Liebeskuß.

– Lebe wohl, Albert! sagte sie laut, von einem schwärmerisch frommen Gefühle hingerissen, du liesest jetzt mit Sicherheit in meinem Herzen. Es ist keine Wolke mehr zwischen uns, und du weißt, wie ich dich liebe. Du weißt, wenn ich deine heiligen Reste der Sorgfalt einer Familie überlasse, welche morgen kommen wird, dich ohne Schwachheit zu betrachten, so trenne ich mich deswegen nicht von deinem unsterblichen Andenken und von dem Gedanken an deine unzerstörbare Liebe. Du weißt, daß es nicht eine vergeßliche Witwe, sondern eine treue Gattin ist, welche dein Haus verläßt und dich auf ewig in ihrer Seele mit hinweg nimmt.

Lebe wohl, Albert! Du sagtest: der Tod geht zwischen uns hin, und trennt uns nur scheinbar, um uns in der Ewigkeit zu vereinen. Treu dem Glauben, den ich von dir gelernt, überzeugt, daß du der Liebe und der Segnung deines Gottes dich würdig gemacht hast, weine ich nicht um dich, und nichts soll dich mir unter dem falschen und ungöttlichen Bilde des Todes vor die Seele bringen. Es ist kein Tod; Albert! du hattest Recht; ich fühle es in meinem Herzen, denn ich liebe dich ewig.

Als Consuelo diese Worte gesprochen hatte, bewegten sich die Vorhänge sichtlich, welche hinter dem Katafalk geschlossen niederhingen; plötzlich theilten sie sich und Consuelo erblickte Zdenko's bleiches Gesicht. Sie erschrak im ersten Augenblick, denn sie hatte sich daran gewöhnt, ihn als ihren Todfeind zu betrachten. Aber aus seinen Augen sprach eine sanfte Freude und er reichte ihr über das Leichenbett hin seine rauhe Hand, die sie nicht zögerte zu drücken.

– Wir wollen Frieden machen über seinem Ruhebett, sagte er lächelnd, du armes Kind! Du bist ein gutes Kind Gottes und Albert ist zufrieden mit dir. Geh, er ist jetzt glücklich, er schläft so süß, der gute Albert! Ich hab' ihm verziehen, du siehst. Ich hörte, daß er schliefe, da bin ich zurückgekommen, und will ihn nun nicht wieder verlassen. Ich werde ihn morgen in die Grotte tragen und wir werden wieder reden von Consuelo, Consuelo de mi alma! Geh du ruhen, meine Tochter! Albert ist nicht allein. Zdenko ist da, immer da, er bedarf nichts. Er hat es so gut bei seinem Freunde. Das Unglück ist beschworen. Das Uebel ist vernichtet. Der Tod ist überwunden. Der dreimal glückliche Tag ist erschienen. Der dem Unrecht geschehen, grüße dich!

Consuelo konnte die kindische Seligkeit des armen Tollen nicht länger ertragen. Sie sagte ihm zärtlich Lebewohl, und als sie die Thür der Kapelle öffnete, ließ sie Ajax zu seinem alten Freunde herein, nach welchem er nicht aufgehört hatte zu winseln und zu rufen.

– Armer Ajax, komm! ich will dich da unter dem Bett deines Herrn betten, sagte Zdenko, ihn liebkosend als ob es sein Kind gewesen wäre. Komm, komm, mein Ajax! nun sind wir wieder alle drei beisammen und verlassen uns nicht mehr.

Consuelo ging und weckte den Porpora. Dann trat sie auf den Zehenspitzen in Christians Zimmer und ging zwischen sein und Wenceslawa's Bett.

– Bist du es, meine Tochter? sagte der Greis zu ihr, ohne Ueberraschung zu zeigen; es macht mich sehr glücklich, daß ich dich sehe. Wecke nicht meine Schwester; sie schläft, Gott sei Dank! und geh du auch schlafen. Ich bin ganz ruhig. Mein Sohn ist ja gerettet, und ich werde auch bald genesen sein.

Consuelo küßte sein weißes Haar, seine runzligen Hände und verbarg ihm ihre Thränen, welche ihn vielleicht aus seiner Täuschung geweckt hätten. Sie wagte es nicht, das Stiftsfräulein zu küssen, das zum erstenmale seit dreißig Nächten wieder schlief.

– Gott hat dem Schmerze eine Gränze gesetzt, dachte sie, sein eigenes Uebermaß. Mögen diese Unglücklichen lange ruhen unter dem wohlthätigen Drucke ihrer Müdigkeit.

Eine halbe Stunde später fuhr Consuelo, die mit gebrochenem Herzen von ihren greisen Freunden schied, mit dem Porpora über die Zugbrücke von Riesenburg, ohne daran zu denken, daß dieses schaurige Schloß, dessen Gräben und Gatter so viele Schätze und so viele Leiden umschlossen, nunmehr das Eigenthum war der Gräfin von Rudolstadt.

Ende.

 

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

 


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