Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenter Theil.

—————

1.

Es ist keine sehr beunruhigende Sache, fast am Ziele seiner Reise ohne Geld zu sein; aber auch noch weit von ihrem Ziele entfernt, würden sich unsere jungen Künstler nicht weniger leicht und froh gefühlt haben, als es hier in der Nähe von Wien der Fall war. Man muß sich einmal im fremden Lande (und Joseph war in dieser Entfernung von Wien nicht weniger fremd als Consuelo) so ohne Hülfsquellen befunden haben, um zu wissen, welche wunderbare Zuversicht, welch ein erfinderischer und unternehmender Geist sich wie durch Zauberei des Künstlers bemächtigt, der seinen letzten Heller ausgegeben hat.

Zuvor ist eine gewisse innere Angst nicht abzuweisen, eine beständige Unruhe, daß die Mittel zuletzt fehlen möchten, eine schwarze Ahnung von Leiden, Verlegenheiten, Demüthigungen: aber das alles verschwindet, sobald das letzte Geldstück geklungen hat.

Nun beginnt für poetische Seelen eine neue Welt, ein heiliges Vertrauen auf fremde Gutherzigkeit, eine Fülle entzückender Täuschungen; zugleich aber auch ein Geschick zur Thätigkeit und ein Hang zum Frohsinn, welche die ersten Hindernisse mit Leichtigkeit besiegen.

Consuelo, die in dieser Rückkehr zur Armuth ihrer frühesten Jugend einen romantischen Reiz fand und sich glücklich fühlte, durch Wohlthun sich entblößt zu haben, hatte sogleich ein Auskunftsmittel in Bereitschaft, um Abendessen und Nachtquartier zu erlangen.

– Es ist heut Sonntag, sagte sie zu Joseph; spiel' du zum Tanz auf in dem ersten besten Ort, durch den wir kommen werden. Wir werden keine zwei Straßen gehen, ohne ein lustiges Volk zu finden, das gern tanzt, und wir liefern ihnen die Musik dazu. Kannst du keine Rohrpfeife schneiden? Ich will bald damit umgehn lernen, und gelingt es mir nur ein Paar Töne herauszuziehen, so ist es genug, um dich zu begleiten.

– Ob ich Pfeifen schneiden kann! rief Joseph, Sie sollen sehen.

Bald war am Ufer eines Flüßchens ein schönes Rohr gefunden, welches kunstreich durchbohrt wurde und ganz lieblich klang. Es wurde gestimmt, dann eine Probe gemacht und unsere jungen Leute gingen wohlgemuth auf das nächste Dörfchen zu, welches drei Meilen entfernt war. Dort zogen sie musicirend ein, und riefen vor den Häusern: »Wer will tanzen? Die Musik ist da. Heraus zum Tanz!«

Sie gelangten auf einen freien Platz der mit schönen Bäumen umpflanzt war: ein Haufe Kinder zog ihnen im Marsch mit lustigem Geschrei und Händeklopfen nach. Bald trieben muntere Paare den ersten Staub auf, indem sie den Tanz eröffneten und noch ehe der Boden fest getreten war, hatte sich schon das ganze Völkchen eingefunden und umringte den aus dem Stegreif ohne Umstände und Unterhandlung veranstalteten ländlichen Ball.

Nach den ersten Walzern nahm Joseph seine Violine unter den Arm, Consuelo stieg auf einen Stuhl und hielt eine Rede, worin sie auseinandersetzte, daß junge Künstler, die hungrig und durstig wären, matte Finger und kurzen Athem hätten. In fünf Minuten hatten sie Brot, Milch, Bier, Kuchen so viel sie wollten. Ueber die Bezahlung war man bald einig; es sollte eingesammelt werden, und jeder sollte geben so viel ihm beliebte.

Während sie beim Schmausen waren, wurde ein Faß im Triumphe mitten auf den Platz gerollt und aufgerichtet; sobald sie gegessen und getrunken hatten, stiegen sie hinauf und der Tanz begann von Neuem.

Er hatte ein Paar Stunden gewährt, als eine Störung eintrat: alles gerieth in Bewegung, eine Nachricht lief von Mund zu Munde und gelangte bis zu unseren Musikanten. Der Schuster des Dorfs hatte noch geschwind für einen Kunden der ihn drängte ein Paar Schuhe fertig machen sollen und hatte sich dabei den Pfriem in den Daumen gestoßen.

– Das ist ein schreckliches Malheur, das ist gar nicht gut zu machen, sagte ein alter Mann der, an das Faß gelehnt stand, zu Consuelo und Joseph. Gottlieb, unser Schuster, spielt die Orgel in unserer Kirche, und morgen ist das Fest unseres Heiligen. Ein großes Fest, ein herrliches Fest, solch ein Fest giebt es nicht zehn Meilen in die Runde. Unsere Messe ist ein Wunderstück, und die Leute kommen von überall herbei, um sie zu hören. Gottlieb ist ein completter Kapellmeister, er schlägt die Orgel, läßt die Kinder singen, er singt selbst mit; was thut der Mann nicht alles! und besonders an diesem Tage. Da zerreißt er sich, und ohne ihn ist alles verloren. Und was wird der Herr Canonicus sagen, der Herr Canonicus von S. Stephan, der selber kommt, die Messe zu lesen und der sich immer so über unsere Musik freut! Denn er ist ein großer Freund von Musik, der gute Herr Canonicus, und es ist eine große Ehre für uns, ihn an unserem Altar zu sehen, denn er geht sonst nicht aus dem Hause und incommodirt sich nicht um nichts.

– Ei was! sagte Consuelo, da läßt sich helfen. Mein Kamerad und ich wir nehmen die Sache auf uns, die Orgel, die Kinder, und alles, und wenn der Herr Canonicus nicht zufrieden ist, so wollen wir unsere Bemühungen umsonst gemacht haben.

– O, o, junger Mensch! sagte der Greis, ihr redet nun so; hier wird nicht Messe gelesen bei einer Pfeife und bei einer Violine. O ja doch! das ist eine schwere Sache und ihr kennt ja unsere Partituren gar nicht.

– Die sehen wir heut Abend durch, sagte Joseph, indem er eine wegwerfende Miene machte, welche den Umstehenden Achtung einflößte.

– Probe halber, sagte Consuelo, führt uns in die Kirche. Laßt Einen die Balgen treten, und wenn euch unser Spiel nicht ansteht, so habt ihr noch immer Freiheit, unseren Beistand auszuschlagen.

– Aber die Partituren! Das Meisterstück von Gottlieb, der das alles arrangirt hat.

– Wir wollen mit Gottlieb reden, und wenn er nicht mit uns zufrieden ist, so stehen wir von der Sache ab. Uebrigens wird doch die Wunde am Finger Gottlieb nicht hindern, seinen Chor anzuführen und zu singen.

Die Aeltesten des Dorfes, die sich um sie versammelt hatten, rathschlagten unter einander und kamen überein, den Versuch zu machen. Der Tanz wurde aufgegeben: alle Welt hatte jetzt Wichtigeres im Kopfe; die Messe des Herrn Canonicus war die größte Angelegenheit des Ortes und das Hauptvergnügen des ganzen Jahres.

Nachdem Haydn und Consuelo abwechselnd Orgel gespielt und mit einander, auch einzeln, gesungen hatten, hieß es, das ginge schon an und ließe sich in Ermangelung des Besseren gebrauchen. Einige Handwerker des Ortes wagten sogar zu behaupten, daß sie besser gespielt hätten als Gottlieb und daß die Bruchstücke von Scarlatti, Pergolese und Bach, welche sie vernommen hatten, zum wenigsten ebenso schön wären als Herrn Holzbauers Stücke, über die hinaus sich Gottlieb niemals verstieg.

Der Pfarrer, der ebenfalls gekommen war, um der Probe beizuwohnen, ging so weit, daß er erklärte, dem Herrn Canonicus würden diese Gesänge noch viel mehr gefallen als die gewöhnlichen. Der Sakristan, der nicht dieser Ansicht war, zuckte bedauernd die Achseln, und der Pfarrer schlug vor, um seine Parochianen nicht mißvergnügt zu machen, daß die beiden Virtuosen, die ihnen sichtlich die Vorsehung zugeschickt hätte, sich wo möglich mit Gottlieb über die Begleitung der Messe verständigen sollten.

Man begab sich in Masse nach dem Hause des Schusters: er mußte seine aufgeschwollene Hand aller Welt vorweisen, um sie von der Unmöglichkeit zu überzeugen, seiner Verpflichtung als Organist nachzukommen. Gottlieb besaß musikalische Gaben, er spielte die Orgel leidlich, aber die Bewunderung seiner Gevattern und der etwas ironische Beifall des Canonicus hatten ihn hochmüthig gemacht und er that sich auf seine »Partituren«, sein Spiel und seine Direction erschrecklich viel zu Gute.

Er wurde ärgerlich, als man ihm vorschlug, sich durch zwei herumziehende Musikanten ersetzen zu lassen: er hätte es lieber gehabt, wenn die Festfreude verdorben worden und die Messe ohne Musik hingegangen wäre, um die Wichtigkeit seiner Person in ein desto grelleres Licht zu stellen. Indessen mußte er nachgeben: er suchte lange nach der Partitur und stellte sich als ob er sie nicht finden könnte, und erst als der Pfarrer ihm drohte, den beiden jungen Musikern auch die Auswahl der Stücke und die Leitung der ganzen Musik zu überlassen, that er als ob er die Noten jetzt endlich fände.

Consuelo und Joseph mußten noch einmal Probe von ihrer Fähigkeit ablegen, indem sie einige Stellen absangen, welche in derjenigen von Holzbauers sechs und zwanzig Messen, die den folgenden Tag aufgeführt werden sollte, für die schwierigsten galten. Diese Musik war ohne Genie und Originalität, aber wenigstens wohl geschrieben und leicht zu fassen, besonders für Consuelo, die so Vieles gründlich kannte.

Die Zuhörer waren voll Verwunderung und Gottlieb, der von Augenblick zu Augenblick unruhiger und mürrischer wurde, erklärte, daß er sich freue, alle Welt so zufrieden zu sehen, er hätte aber das Fieber und müßte sich zu Bette legen.

Man versammelte sogleich die Stimmen und Instrumente in der Kirche, und unsere beiden kleinen Kapellmeister aus dem Stegreife leiteten die Probe. Alles ging aufs Beste. Der Brauer, der Weber, der Schulmeister und der Bäcker strichen ihre Geigen. Die Kinder und einige Bauern oder Handwerker aus dem Dorfe, lauter sehr phlegmatische aber höchst gewissenhafte und gutwillige Leute führten die Chöre aus.

Joseph hatte schon in Wien, wo Holzbauer-damals beliebt war, Musik von ihm gehört. Er studirte sich in diese Messe leicht hinein und Consuelo, die abwechselnd in allen Stimmen half, führte die Chöre so gut, daß sie sich selbst übertrafen. Es kamen zwei Solos vor, welche Gottliebs beste Schüler, sein Sohn und seine Nichte singen sollten, aber diese beiden Koryphäen des Dorfes erschienen nicht, unter dem Vorwande, daß sie ihrer Sache gewiß wären.

Joseph und Consuelo aßen im Pfarrhause zur Nacht, wo ihnen auch Kämmerchen zum Schlafen eingerichtet wurden. Der gute Pfarrer war seelensvergnügt und man sah, daß ihm viel daran gelegen war, seinen Gottesdienst recht schön zu haben, um des Herrn Canonicus Beifall zu erwerben.

Am andern Tage war alles im Dorfe vom frühesten Morgen an in Aufruhr. Die Glocken wurden geläutet; die Wege waren mit Gläubigen bedeckt, die aus der Nachbarschaft herbeizogen, um der Feierlichkeit beizuwohnen. Majestätisch langsam kam die Kutsche des Canonicus herangefahren. Die Kirche war aufs Schönste behängt und geschmückt. Consuelo ergötzte sich sehr an der Wichtigkeit, mit der dies alles betrieben wurde. Es spielte dabei fast ebenso viel Eigenliebe und wechselseitige Eifersüchtelei mit als zwischen den Kulissen eines Theaters. Nur ging alles viel naiver zu, und man hatte mehr Ursach zu lachen als sich zu entrüsten.

Eine halbe Stunde vor der Messe kam der Sacristan mit verstörten Mienen, um von einem schrecklichen Complott Meldung zu thun, welches der eifersüchtige und treulose Gottlieb geschmiedet hatte. Da er erfahren, wie trefflich die Probe abgelaufen, und daß das ganze musikalische Personal des Kirchspiels von den neuen Ankömmlingen entzückt war, hatte er sich sehr krank gestellt und seiner Nichte und seinem Sohne, den beiden Haupthelden der Aufführung, nicht erlauben wollen, von seinem Bette zu weichen. Man sollte nicht blos Gottlieb entbehren, ohne dessen Gegenwart der allgemeinen Meinung nach nichts zu Stande kommen konnte, sondern auch die Solostücke, die das Schönste von der ganzen Messe waren. Die Mitwirkenden waren muthlos geworden, und er, der eifrige Sacristan, hatte sie mit vieler Mühe in der Kirche zusammengebracht, um Raths zu pflegen.

Consuelo und Joseph gingen in die Kirche; ließen alle gefährlichen Stellen noch einmal durchsingen, halfen den wankenden Stimmen ein und machten Allen wieder Muth und Lust. In Betreff der fehlenden Solos kamen sie schnell überein, die Lücken selbst auszufüllen. Consuelo dachte nach und es fiel ihr ein Stück von Porpora ein, welches nach Text und Composition ziemlich gut an die Stelle paßte, wo das eine Solo ausfiel. Sie schrieb es auf ihren Knien auf, sang es in Eil mit Haydn durch und dieser setzte sich in Stand es auf der Orgel zu begleiten. Außerdem schlug sie eine Nummer aus einem Bachschen Mottett vor, welches ihm bekannt war und sie richteten diese mit einander, so gut es ging, den Umständen angemessen ein.

Die Messe wurde eingeläutet, als sie noch probirten und sich trotz dem Getöse der großen Glocke mit einander verständigten. Als der Herr Canonicus in seinem priesterlichen Ornat vor dem Altare erschien, hatten die Chöre schon losgelegt und galoppirten in dem fugirten Styl des Wiener Componisten mit einem Aplomb einher, der von der besten Vorbedeutung war. Consuelo freute sich über diese wackern deutschen Bauern mit ihren ernsthaften Gesichtern, ihren markigen Stimmen, ihrem taktfesten Ensemble und ihrer Rüstigkeit die sich von Anfang bis zu Ende gleich blieb, weil sie sich stets in Schranken hielt.

– Siehe da, sagte sie zu Joseph während einer Pause, das sind die ausübenden Musiker, welche diese Musik erfordert. Hätten sie das Feuer in sich, woran es dem Componisten gefehlt hat, so würde alles schief gehen; sie haben es aber nicht, und die mechanisch geschmiedeten Gedanken werden von Maschinen ausgeführt. Schade, daß der berühmte Maestro Hoditz-Roswald nicht hier ist, um die Maschinen in Gang zu setzen! Er würde sich ohne Noth entsetzlich abarbeiten und der glückseligste Mensch auf Erden sein.

Das Solo für die Männerstimme hatte vielen Leuten große Unruhe gemacht, aber Haydn zog sich ganz gut heraus; als sodann Consuelo's Solo an die Reihe kam, erregte ihre italienische Manier zuerst Verwunderung, war ihnen bald nur wenig anstößig, und versetzte sie zuletzt in Begeisterung. Die Sängerin gab sich Mühe und that ihr Bestes; Joseph glaubte sich durch diesen großartigen, erhabenen Gesang in den Himmel entrückt.

– Ich kann mir nicht denken, sagte er zu ihr, daß Sie je besser gesungen haben als hier in der armen Dorfkirche.

– Wenigstens habe ich nie mit größerer Lust und Leichtigkeit gesungen, antwortete sie. Ich fühle mich durch diese Versammlung inniger angeregt als durch die im Theater. Nun laß mich einmal von der Brüstung aus sehen, ob der Herr Canonicus befriedigt ist. Ja, er sieht ganz wonnetrunken aus, der ehrwürdige Canonicus, und an der Art wie alle Leute in seinen Mienen den Lohn für ihre Bemühungen suchen, sehe ich wohl, daß der liebe Gott hier der einzige ist, an den kein Mensch denkt.

– Sie ausgenommen, Consuelo! Nur wen der Glaube und die himmlische Liebe begeistern, kann so singen wie Sie.

Als die beiden Virtuosen nach der Messe die Kirche verließen, fehlte wenig daß das entzückte Volk sie im Triumphe nach dem Pfarrhause trug. Dort wartete ihrer ein gutes Frühstück. Der Pfarrer stellte sie dem Canonicus vor; dieser überhäufte sie mit Lobsprüchen und bat, ihn das Solo von Porpora, nachdem sie mit einander »Eins getrunken« haben würden, noch einmal hören zu lassen. Consuelo die mit Recht erstaunt war, daß Niemand ihre Frauenstimme erkannt hatte und die das Auge des Canonicus fürchtete, lehnte die Einladung ab und entschuldigte sich damit, daß sie von den Proben und von ihrer Mitwirkung bei allen Stimmen des Chors sehr ermüdet wäre. Die Entschuldigung wurde nicht angenommen und sie mußten sich mit dem Canonicus zum Frühstück setzen.

Der Herr Canonicus war ein Mann von funfzig Jahren, von schönem runden Gesicht und ansehnlichem Wuchs, nur ein wenig wohlbeleibt. Sein Benehmen war fein, selbst vornehm: er pflegte allen Leuten im Vertrauen zu sagen, daß er königliches Blut in den Adern habe, denn er war einer von den vierhundert Bastarden Augusts II., Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen Die Angabe von Augusts II. zahlreicher Nachkommenschaft ist den »Denkwürdigkeiten aus dem Leben der Markgräfin von Bayreuth, Schwester Friedrichs des Großen« (Tübing. 1810) entnommen, wo es Th. 1. S. 76 heißt: »Der König von Polen liebte die Weiber sehr. Er hielt sich ein wahres Serail. Seine Ausschweifungen sowohl in diesem Stück als im Trinken überstiegen alle Begriffe und man sagt, daß er von seinen Maitressen 354 Kinder gehabt haben soll u. s. w.«. Er zeigte sich so leutselig und liebenswürdig, als es sich irgend für einen Mann von Welt und geistlichem Range geziemt.

Joseph bemerkte einen weltlichen Herrn, der neben Jenem saß, und dem er mit ebenso viel Achtung als Vertraulichkeit begegnete. Diesen Mann glaubte Joseph schon in Wien gesehen zu haben, aber er wußte nicht, wohin er ihn bringen sollte, wie man zu sagen pflegt.

– Nun, meine lieben Kinder, sagte der Canonicus, ihr wollt mich das Stück von Porpora nicht noch einmal hören lassen? Indessen, hier ist ein Freund von mir, ein Mann der hundertmal mehr Musik versteht als ich und dem eure gute Art das Stück zu behandeln ebenfalls aufgefallen ist. Da Ihr nun müde seid, setzte er zu Joseph gewendet hinzu, will ich Euch nicht weiter plagen, aber Ihr müßt die Gefälligkeit haben, uns zu sagen wie Ihr heißt und wo Ihr Euren Musikunterricht erhalten habt.

Joseph sah, daß man ihn für den Sänger des Solos hielt, das Consuelo gesungen hatte und ein nachdrücklicher Blick seiner Freundin forderte ihn auf, den Canonicus bei diesem Irrthume zu lassen.

– Ich heiße Joseph, antwortete er kurz, und hab im Kapellhaus zu S. Stephan gelernt.

– Ich ebenfalls, fing der Fremde an, ich habe im Kapellhause unter dem alten Reutter meine Studien gemacht: Ihr wahrscheinlich unter Reutter dem Sohne.

– Zu dienen, mein Herr!

– Ihr habt aber später noch anderweitigen Unterricht genossen? Ihr habt in Italien studirt?

– Nein, mein Herr!

– Ihr waret es der die Orgel spielte?

– Bald ich, bald mein Kamerad.

– Und wer sang?

– Wir beide.

– Ja wohl! Aber das Stück von Porpora. Das seid Ihr doch nicht gewesen? sagte der Fremde, indem er Consuelo von der Seite ansah.

– Pah! dieser junge Bursch ist es nicht gewesen, sagte der Canonicus, indem er ebenfalls Consuelo ansah, er ist noch zu jung, um so gut zu singen.

– Auch bin ich es nicht gewesen, er war es! fiel sie, auf Joseph deutend, hastig ein.

Sie hätte sich gern je eher je lieber diesem Rigorosum entzogen und sah ungeduldig nach der Thür.

– Warum sagt Ihr eine Lüge, mein Kind? hob der Pfarrer in aller Unschuld an. Ich habe Euch gestern beim Singen gehört und gesehen und habe die Stimme Eures Kameraden Joseph in dem Solo von Bach recht gut erkannt.

– Ei was! Ihr werdet Euch getäuscht haben, Herr Pfarrer, bemerkte der Unbekannte mit einem feinen Lächeln, oder dieser junge Mann besitzt eine übermäßige Bescheidenheit. Genug, wir haben ihnen beiden Lob zu spenden.

Er zog hierauf den Pfarrer bei Seite.

– Sie haben ein gutes Ohr, sagte er zu ihm, aber Sie haben kein scharfes Auges das macht der Reinheit Ihrer Gedanken Ehre. Indeß muß ich Ihnen doch aus dem Irrthum helfen: dieser kleine ungarische Bauer  ... ist eine sehr geschickte italienische Sängerin.

– Ein verkleidetes Weib? rief der Pfarrer indem er mit großer Anstrengung einen Schrei des Schreckens zurückhielt.

Er betrachtete Consuelo mit Aufmerksamkeit, während sie beschäftigt war, die wohlwollenden Fragen des Canonicus zu beantworten, und – war es nun Wohlgefallen oder Unwillen – erröthete vom Krägelchen bis zum Käppchen.

– Wie ich Ihnen sage, fuhr der Unbekannte fort. Ich suche vergeblich, wer es sein kann, ich kenne sie nicht, und die Verkleidung so wie die bedrängte Lage in der sie sich zu befinden scheint, kann ich in der That nur einem Phantasiestreich beimessen ... ein Liebeshandel etwa, Herr Pfarrer! nun, das geht uns nichts an.

– Ein Liebeshandel! wie Sie sieht richtig bemerken, antwortete der Pfarrer lebhaft: eine Entführung, eine strafbare Intrigue mit diesem jungen Menschen! aber pfui, pfui, das ist garstig! und ich, der ich in die Falle gegangen bin! der ich sie in mein Pfarrhaus einquartirt habe! Zum Glück hatte ich ihnen abgesonderte Stuben geben lassen, und ich hoffe, es wird wenigstens kein Scandal in meinem Hause vorgefallen sein. Ach! was für eine Geschichte! Und die starken Geister in meinem Kirchspiel (denn es giebt deren, mein Herr, ich kenne mehrere) wie würden sie mich auslachen, wenn sie es erführen.

– Wenn Ihre Pfarrkinder die Frauenstimme nicht erkannt haben, so ist es wahrscheinlich, daß ihnen auch die Züge und der Gang nicht aufgefallen sind. Aber sehen Sie nur die niedlichen Hände, das seidene Haar, den kleinen Fuß trotz der groben Schuhe!

– Ich will das alles gar nicht wissen, rief der Pfarrer außer sich. Es ist ein Greuel, sich als Mann zu verkleiden. Es steht in der heiligen Schrift: Non induetur mulier veste virili: Ein Weib soll nicht Manneskleider tragen; abominabilis enim apud Deum est qui facit hoc; wer solches that, der ist dem Herrn ein Greuel. Ein Greuel, mein Herr, hören Sie? Das zeigt an, was für eine schwere Sünde es ist. Und Leib und Seele so besudelt hat sie es gewagt sich in die Kirche einzudrängen und mit solcher Frechheit des Herrn Lob zu singen!

– Ja, und es so göttlich zu singen. Mir sind die Thränen in dies Augen getreten; ich habe nie etwas Aehnliches gehört. Seltsames Geheimniß! Wer sie nur sein mag? Alle, an die ich denken könnte, sind bei weitem älter.

– Es ist ein Kind, ein ganz junges Kind! jagte der Pfarrer, der sich nicht enthalten konnte Consuelo mit einer Theilnahme zu betrachten, gegen welche die Strenge seiner Grundsätze in seinem Herzen ankämpfte; O, die kleine Schlange! Sehn Sie doch nur, mit welcher bescheidenen und sittsamen Miene sie dem Herrn Canonicus antwortet. Ich bin geradezu ein verlorener Mann, wenn Jemand den Betrug gemerkt hat, ich muß aus dem Lande.

– Wie ist es aber möglich, daß weder Sie noch sonst Jemand im Orte die Frauenstimme erkannt hat? Seid ihr simple Hörer!

– Was wollen Sie? Wir fanden wohl etwas Ungewöhnliches in dieser Stimme. Aber da sagte uns Gottlieb, es wäre eine italienische Stimme, er kennte das, und es wäre nicht das erste Mal, daß er eine solche hörte, es wäre eine Stimme aus der sixtinischen Kapelle! Ich weiß nicht was er damit meinte, ich verstehe nichts von Musik, sobald es über mein Ritual hinausgeht, und auf hundert Meilen hätte ich nicht daran gedacht ... was ist zu machen, Herr, was macht man?

– Wenn Niemand Verdacht geschöpft hat, so rathe ich Ihnen, sichs auch nichts merken zu lassen. Suchen Sie die Kinder so geschwind als möglich los zu werden. Ich will es auf mich nehmen, wenn Sie wollen, sie Ihnen vom Halse zu schaffen.

– Ja, ja, Sie werden mir einen großen Liebesdienst erweisen! Da, da! ich will Ihnen Geld geben ... wie viel wird man ihnen geben müssen?

– Ich weiß nicht. Bei uns werden Künstler reich bezahlt  ... aber Ihr Kirchspiel ist nicht reich, und die Kirche ist nicht das Theater.

– Nun, ich will viel thun, ich werde ihnen sechs Gulden geben. Und ich will gleich ... Aber was wird der Herr Kanonikus sagen? Er scheint nicht das Geringste zu merken. Spricht er da ganz väterlich mit ihr ... der heilige Mann!

– Offenherzig, Herr Pfarrers glauben Sie, daß er großen Anstoß nehmen würde ...?

– Wie sollte er nicht? Wovor ich mich übrigens noch mehr fürchte als vor seinem Tadel, das sind seine Sticheleien. Sie wissen, er ist sehr gespaßig. Er hat viel Verstand. O, wie wird er sich über meine Einfalt lustig machen.

– Aber da er Ihren Irrthum theilt, wie es bis jetzt den Anschein hat, so hat er ... kein Recht, Sie zu necken. Wohlan, lassen Sie sich nichts merken! Kommen Sie zu den übrigen und nehmen Sie einen günstigen Augenblick wahr, um Ihre Musiker verschwinden zu lassen.

Sie verließen das Fenster, in welchem sie diese Unterhaltung gepflogen hatten; der Pfarrer stahl sich zu Joseph, mit dem sich der Kanonikus weit weniger als mit Signor Bertoni zu beschäftigen schien, und drückte ihm die sechs Gulden in die Hand. Sobald Joseph dieses bescheidene Sümmchen empfangen hatte, forderte er Consuelo durch Winke auf, sich von dem Kanonikus los zu machen und sich mit hinauszustehlen. Der Kanonikus rief aber Joseph von der Thür zurück, und indem er, durch dessen bejahende Antworten bestärkt, fest bei der Meinung blieb, daß er es wäre, der die Frauenstimme hätte, fragte er ihn:

– Sagt mir doch, warum Ihr das Stück von Porpora gewählt und nicht lieber das Solo von Holzbauer gesungen habt?

– Wir haben es nicht gehabt, und es ist uns nicht bekannt gewesen, antwortete Joseph. Ich hab gesungen was ich gerad auswendig gewußt hab.

Der Pfarrer beeilte sich, Gottliebs Streich zum Besten zu geben, und der Kanonikus belachte diese Künstlereifersucht.

– Ei! sagte der Unbekannte, euer guter Schuster hat uns einen sehr großen Dienst geleistet. Statt eines schlechten Solos haben wir ein tüchtiges Meisterwerk von einem trefflichen Componisten gehört. Sie haben Ihren guten Geschmack bewiesen, sagte er sich zu Consuelo wendend.

– Ich glaub nicht, daß Holzbauers Solo schlecht sein wird, sagte Haydn; was wir von ihm gesungen haben, ist nicht übel gemacht.

– Nicht übel gemacht und eine geniale Arbeit ist zweierlei, antwortete der Unbekannte mit einem Seufzer. Und indem er hartnäckig dabei blieb, an Consuelo das Wort zu richten, setzte er hinzu:

– Was halten Sie davon, mein junger Freund? Dünkt es Ihnen einerlei?

– Nein mein Herr! antwortete sie kurz und kalt, denn das Anblicken dieses Mannes wurde ihr immer bedenklicher und lästiger.

– Aber es hat Euch doch Vergnügen gemacht, diese Messe von Holzbauer zu singen? fragte der Kanonikus. Sie ist schön, nicht wahr?

– Weder Vergnügen noch Mißvergnügen! antwortete Consuelo, die so ungeduldig geworden war, daß sie ihre Offenherzigkeit nicht mehr bemeistern konnte.

– Das heißt, sie ist weder gut noch schlecht, rief der Unbekannte lachend. Das ist eine sehr gesunde Antwort, mein Kind! ich bin ganz derselben Meinung.

Der Kanonikus schüttelte sich vor Lachen, der Pfarrer machte ein sehr verlegenes Gesicht, und Consuelo schlüpfte mit Joseph hinaus, ohne sich um diese musikalische Streitfrage weiter Sorge zu machen.

– Nun, Herr Kanonikus! sagte der Unbekannte schalkhaft, sobald die Musiker hinaus waren, wie gefallen Euch diese Kinder?

– Allerliebst sind sie, ganz allerliebst! Verzeiht mir, daß ich das sage, nachdem Ihr von dem Kleinen so Euer Theil abgekriegt habt.

– Ich? Ich finde, daß dass ein Kind ... zum Küssen ist! Welches Talent für ein so zartes Alter! Es ist wunderbar! Wie tüchtig und frühreif sind doch diese italienischen Naturen!

– Ich kann über Dem sein Talent nichts sagen, antwortete der Kanonikus mit der ehrlichsten Miene; ich habe ihn in der That aus dem Chore nicht herausgehört; aber der andere ist ein Tausendzappermenter, und der ist ein guter Oesterreicher, mit Vergunst von Euerer Italianomanie.

– Ja so, sagte der Fremde, dem Pfarrer mit den Augen winkend, also ist es wirklich der Aeltere, der uns das vom Porpora gesungen hat?

– Ich denke, antwortete der Pfarrer ganz verwirrt über die Lüge, die ihm abgenöthigt wurde.

– Ich bin dessen gewiß, sagte der Kanonikus; er hat es mir selbst gesagt – Und wer hat denn das andere Solo gesungen? fragte der Fremde, wohl Eines von Ihren Pfarrkindern?

– Muthmaßlich, entgegnete der Pfarrer, der sich Gewalt anthun mußte, um sich zu verstellen.

Beide sahen den Kanonikus darauf an, ob er von ihnen genarrt sei oder ob er sie zum Besten haben wolle. Aber er schien nicht daran zu denken. Er sah so unbefangen aus, daß sich der Pfarrer beruhigte. Man sprach von anderen Dingen. Nach einer Viertelstunde kam jedoch der Kanonikus wieder auf die Musik zurück und fragte nach Joseph und Consuelo, um sie, sagte er, mit nach seinem Landhause zu nehmen und sich dort bei Muße von ihnen vorsingen zu lassen. Der Pfarrer erschrak und stotterte einige unverständliche Einwendungen. Der Kanonikus fragte ihn lachend, ob er sie in den Topf gesteckt habe, um sie zum Desert aufzuschüsseln, das déjeûner wäre aber auch ohne ein Gericht kleiner Musikanten schon splendid genug gewesen. Der Pfarrer war auf der Folter. Der Fremde kam ihm zu Hülfe.

– Ich will sie Euch holen, sagte er zu dem Kanonikus, und ging hinaus, indem er dem Pfarrer ein Zeichen machte, sich nur auf ihn zu verlassen. Er brauchte indessen keine List auszudenken. Die Magd sagte ihm, daß die kleinen Musikanten, die ihr großmüthig einen von den erhaltenen sechs Gulden verehrt hatten, schon über alle Berge wären.

– Was? Fort? rief der Kanonikus ganz bekümmert. Man muß ihnen nachschicken. Ich muß sie wiedersehen, ich muß sie noch einmal hören, ich muß durchaus.

Man that als ob man ihm gehorchte, aber man nahm sich wohl in Acht ihrer Spur zu folgen. Sie hatten sich übrigens im vollen Laufe davon gemacht, um der Neugierde, die sie bedrohte, so geschwind als möglich zu entkommen. Der Kanonikus war sehr betrübt, ja selbst ein wenig mürrisch.

– Gott sei Dank! er hat nichts gemerkt, sagte der Pfarrer zu dem Fremden.

– Freund, antwortete dieser, wissen Sie die Geschicht von dem Bischof, der einmal am Freitag aus Zerstreuung Fleischspeis gegessen hat und den sein Vicar an den Fasttag erinnert hat? O der Unglücksvogel! hat der Bischof ausgerufen, hat er nicht das Maul halten können, bis ich aufgegessen hab?  ... Wir hätten vielleicht den guten Kanonikus bei seinem Irrthum lassen sollen, so lange es ihm gefiel.

2.

Es war stilles, heiteres Wetter; der Mond stand klar am Himmel, und die Thurmuhr einer alten Priorei schlug mit einer reinen, tiefen Glocke die neunte Stunde, als Joseph und Consuelo, nachdem sie an dem Gitterthore der Einschlußmauer vergebens nach einer Klingel gesucht hatten, das schweigende Gebäude rings umgingen, in der Hoffnung, von einem gastlichen Bewohner desselben gehört zu werden. Aber umsonst! alle Thüren waren verschlossen, kein Hund ließ sich vernehmen, kein Licht war an den Fenstern des dunkeln Hauses zu erblicken.

– Hier ist der Pallast des Schweigens, sagte Haydn lachend, und wenn diese Glockenuhr nicht zweimal die vier Viertel mit ihrer langsamen, feierlichen Stimme in C und B wiederholt hätte, und dann die neun Stundenschläge im tiefen G, so würd ich glauben, daß hier blos Eulen und Gespenster hausen.

Die Gegend war rings umher öde, Consuelo fühlte sich ermüdet und diese geheimnißvolle Priorei hatte außerdem einen eigenen Reiz für ihre Einbildungskraft.

– Müßten wir auch in irgend einer Kapelle schlafen, sagte sie zu Beppo, ich denke hier die Nacht zuzubringen. Wir wollen um jeden Preis hineinzugelangen suchen, wenn auch über die Mauer, die gewiß nicht schwer zu ersteigen ist.

– Gut, sagte Joseph, ich will Ihnen zur Leiter dienen, und wenn Sie oben sind, steige ich geschwind hinüber, um mich Ihnen als Fußtritt zum Niedersteigen anzubieten.

Gesagt, gethan. Die Mauer war niedrig. In zwei Minuten waren sie jenseits derselben, und die beiden Weltkinder spazirten dreist und ruhig in dem heiligen Raume umher.

Es war ein schöner, äußerst sorgsam gepflegter Nutzgarten. Die Obstbäume streckten dem Wanderer ihre langen, mit rothbäckigen Aepfeln und goldglänzenden Birnen beladenen Aeste entgegen. Die Weingänge, zierliche Bögen bildend, ließen wie lauter Kronleuchter schwere saftige Trauben niederhangen. Die breiten Gemüsebeete hatten auch ihre Schönheit. Spargel mit ihren schlanken Stielen und seidenhaarigen Blütenkronen, funkelnd vom Abendthau, glichen Wäldern von liliputanischen Pinien mit Silberzindel bedeckt; die Erbsen schlängelten sich an ihren Stangen hinauf und wölbten lange Laubengänge, schmale, geheimnißvolle Gäßchen, in denen halb erst eingeschlummerte Lerchen leise zwitscherten. Die Kürbisse, stolze Leviathans dieses grünen Meeres drückten mit ihren goldgelben Leibern die dunkeln Massen ihres gewaltigen Blätterwerks. Die jungen Artischoken, wie gekrönte Häuptlein drängten sich um das vornehmste Haupt, das auf dem Mittelstengel thronte. Die Melonen prunkten unter ihren Glocken wie dickbäuchige Mandarinen unter Palankinen und auf jeder dieser Glaskuppeln blitzte im Mondenschein ein großer blauer Diamant, gegen welchen die schwärmenden Nachtfalter summend ihre Köpfe stießen.

Eine Rosenhecke machte die Scheidelinie zwischen dem Nutzgarten und dem Blumenstück, welches die Gebäude mit einem duftigen Gürtel umspannte. Dieser abgesonderte Garten war eine Art Paradies. Prächtige Ziersträucher beschatteten die seltenen wohlriechenden Gewächse. Die Blumen standen so dicht, daß man den Erdboden nicht sah und jedes Rundtheil schien ein riesiger Blumenkorb.

Wunderbarer Einfluß der äußeren Gegenstände auf die Stimmung der Seele und des Leibes! Consuelo hatte kaum – diese würzige Luft geathmet und diese Stätte des gemächlichsten Wohlbehagens angeschaut, so fühlte sie sich so gestärkt und erfrischt, als ob sie wie ein Dachs geschlafen hätte.

– Das ist seltsam! sagte sie zu Beppo, ich sehe diesen Garten an und denke schon nicht mehr an die steinigen Wege und an meine kranken Füße. Es ist, als ruhete ich mich mit den Augen aus. Ich habe immer einen Abscheu gehabt vor wohlgehegten Gärten und allen von Mauern eingeschlossenen Orten, aber dieser Garten nach so vielem Staub und so vielen Tritten auf der trockenen, verwitterten Erde kommt mir wie ein Eden vor. Noch eben meinte ich vor Durst umzukommen, und jetzt, da ich blos diese glücklichen Pflanzen sehe, die den Thau der Nacht trinken, ist es mir als ob ich mich mit ihnen sättigte und schon erquickt wäre.

Sieh nur, Joseph, giebt es etwas reizenderes als Blumen, die sich beim Schein des Mondes aufschließen! Sieh doch, aber lach' nicht, diesen Haufen großer weißer Sterne recht mitten auf dem Rasenfleck: Ich weiß nicht wie sie heißen, ich glaube »Wunderblumen«, und so heißen sie mit Recht. Schau, alle zusammen neigen sie sich von der Nachtluft und richten sich wieder auf; es sieht aus, als ob sie lachten und spielten wie ein Haufen weißgekleideter Mädchen. Sie gemahnen mich an meine Gefährtinnen in der Scuola, wenn sie Sonntags alle als Novizen gekleidet längs der Kirchenmauer hinliefen. Und nun die Luft still ist, bleiben sie alle stehen und schauen alle nach der Seite hin wo der Mond ist. Man möchte sagen, sie betrachten ihn und freuen sich über ihn.. Der Mond scheint sie auch anzusehen und über ihnen wie ein großer Nachtvogel zu schweben.

Glaubst du wohl, Beppo, daß diese Wesen ohne Empfindung sind? Ich wenigstens kann mirs nicht denken, daß eine schöne Blume so dumpf hin blühen soll, ohne sich köstlich wohl zu fühlen. Mag sein, die armen kleinen Disteln an den Gräben des Weges, die da in allem Staube stehen, krank, beschmutzt von allen Heerden; sie sehen wie arme Bettler aus, die nach einem Tropfen Wasser seufzen und bekommen keinen; der aufgesprungene verlechzte Boden saugt alles ein und giebt ihren Würzelchen nichts ab. Alle diese Gartenblumen, die so gepflegt werden, sie sind glücklich und stolz wie Königinnen. Sie bringen ihre Zeit damit hin, sich kokett auf ihren Stengeln zu wiegen, und wenn der Mond kommt, ihr lieber Freund, stehen sie ganz berauscht da, halb im Schlummer und von süßen Träumen besucht. Sie fragen sich vielleicht, ob auf dem Monde auch Blumen sind, wie wir uns fragen, ob Menschen darauf leben mögen.

Geh Joseph, du lachst mich aus und doch ist das Wohlsein das ich fühle, indem ich diese weißen Blumensterne ansehe, keine Täuschung. Es ist in der reinen und von ihnen mit Balsam erfüllten Luft etwas Ueberwältigendes und ich fühle einen geheimen Bezug zwischen meinem Leben und dem der Dinge, die um mich her sind.

– Wie könnte ich lachen! antwortete Joseph mit einem Seufzer. Fühle ich doch eben jetzt wie Ihre Empfindungen in mich übergehen und wie das kleinste Wort von Ihnen in meiner Seele wiederklingt. Aber sehen Sie einmal dieses Gebäude an, Consuelo, und erklären Sie mir die sanfte aber tiefe Traurigkeit, die es mir einflößt.

Consuelo betrachtete die Priorei: es war ein kleines Gebäude aus dem zwölften Jahrhundert, ehemals befestigt und mit Zinnen versehen, an deren Stelle sich jetzt ein spitzes Schieferdach erhob. Die Thürmchen mit ihren durchbrochenen Simsen, die man als Zierrat beibehalten hatte, sahen wie große Körbe aus. Mächtige Epheumassen unterbrachen anmuthig die Eintönigkeit der Mauern und auf den nackten Stellen der vom Monde beleuchteten Wand spielten die ungewissen schwanken Schatten der von der Nachtluft bewegten jungen Pappeln. Dichte Gewinde von Weinlaub und Jasmin umrankten die Thüren und klammerten sich an alle Fenster.

– Das ist ein düsteres stilles Wohnhaus, sagte Consuelo, aber es zieht mich nicht so an, wie dieser Garten. Die Pflanzen sind geschaffen, still an ihrem Orte zu wachsen, die Menschen sich zu regen und einander zu suchen. Wenn ich eine Blume wäre, so möchte ich auf einem dieser Beete blühen, es ist da gut sein; aber als ein Weib, wie ich bin, möcht' ich in keiner Zelle leben und mich nicht in Steinklumpen begraben. Würdest du wohl gerne Mönch sein, Beppo?

– Gott bewahre mich davor! Aber ich möcht gern arbeiten können, ohne Sorge um Haus und Tisch. Ich möcht gern ein friedliches, zurückgezogenes, etwas gemächliches Leben führen und nichts mit der irdischen Misere zu schaffen haben. Kurz, ich möcht ein regelmäßiges, zugemessenes Leben haben, selbst in einer Art Abhängigkeit, nur so daß mein Geist frei wär und daß ich keine andere Aufgabe, keine andere Pflicht, keine andere Sorge hätt, als Musik zu machen.

– Weißt du, Freund, du würdest recht ruhige Musik schaffen, wenn du sie in solcher Ruhe schafftest.

– Sie braucht darum nicht schlechter zu sein. Was giebt es schöneres als selige Ruhe? Ist nicht der Himmel ruhig, der Mond ruhig, ist es nicht das stille friedliche Wesen dieser Blumen, das Sie entzückt?  ...

– Ihre Unbeweglichkeit macht mir nur Eindruck, weil sie auf die Unruhe folgt, in welche sie der Nachtwind versetzt hat. Die Reinheit des Himmels macht sich uns nur fühlbar, weil wir ihn vordem vom Sturme zerrissen gesehen haben. Und der Mond ist nie herrlicher, als wenn er aus schwarzen Wolken, die sich um ihn drängen, hervorblickt. Kann die Ruhe ohne Ermüdung in Wahrheit süß sein? Ein Zustand immerwährender Unbeweglichkeit, das ist keine Ruhe mehr. Das ist das Nichts, der Tod. Ach! hättest du wie ich Monate lang auf Riesenburg gewohnt, du würdest wissen, daß stäte Ruhe kein Leben ist.

– Was wollen Sie aber mit Ihrer ruhigen Musik sagen?

– Musik, die zu correct, zu kalt ist. Hüte dich, welche zu schaffen, wenn du die Mühen und Schmerzen des Lebens scheust.

Unter diesem Gespräche waren sie bis an das Gebäude gekommen. Ein kristallhelles Wasser sprang aus einer marmornen Kugel, auf welcher sich ein vergoldetes Kreuz erhob und fiel von Schale auf Schale bis in ein großes Granitbecken, in welchem eine Menge jener niedlichen rothen Fischchen, an denen sich die Kinder zu ergötzen pflegen, hin und her schwamm.

Consuelo und Beppo, rechte Kinder, singen ganz ernsthaft mit ihnen zu spielen an, indem sie ihnen Sandkörnchen hinwarfen, um ihre Näschigkeit zu täuschen und ihren blitzschnellen Bewegungen zuzuschauen; da sahen sie eine lange weiße Gestalt mit einem Kruge gerade auf sich zu kommen, die, indem sie sich dem Brunnen näherte, nicht übel einem jener Nachtgespenster glich, welche in den Volkssagen aller abergläubischen Gegenden eine Rolle spielen.

Der Gleichmuth und Eifer, mit dem sie ihren Krug füllte, ohne sich über die Anwesenheit der Fremdlinge erschreckt oder verwundert zu zeigen, hatte wirklich im ersten Augenblick etwas Befremdliches und Grausenhaftes. Bald aber bewies ihnen ein lauter Schrei, den sie ausstieß, wobei ihr das Gefäß aus den Händen und auf den Boden des Beckens fiel, daß sie kein übermenschliches Wesen war.

Die Sache war ganz einfach diese: die gute Frau hatte, weil sie alt war, ein etwas schwaches Gesicht; sobald sie ihrer aber ansichtig wurde, erschrak sie entsetzlich und lief in das Haus zurück, die Jungfrau Maria und alle Heiligen des Himmels anrufend.

– Was giebt es denn, Madame Brigitte, rief von innen eine Männerstimme, ist Ihnen ein böser Geist begegnet?

– Zwei Teufel oder wohl zwei Diebe stehen am Brunnen, antwortete Frau Brigitte, als sie den Mann erreichte, der mit ihr sprach und einige Augenblicke auf der Thürschwelle unschlüssig und ungläubig stehen blieb.

– Sie werden wohl wieder einmal Gespenster gesehen haben, Madame Brigitte! wo werden denn um diese Stunde Diebe hier einbrechen?

– Ich schwöre Ihm bei meiner Seligkeit, daß zwei schwarze Figuren unbeweglich wie Bildsäulen dastehen; kann Er sie nicht von hier sehen? Da, sie sind noch da, sie rühren sich nicht. Heilige Mutter Gottes! ich versteck mich im Keller.

– Ich seh wirklich etwas, sagte der Mann, indem er sich eine recht grobe Stimme machte. Ich werd nach dem Gärtner schellen und wir und die beiden Burschen werden bald mit diesen Schurken fertig werden; sie haben nur über die Mauer hereinkommen können, denn ich hab selbst die Thüren zugeschlossen.

– Wir wollen nur in dessen diese Thür hinter uns zuriegeln, antwortete die Alte, und dann wollen wir die Lärmglocke ziehen.

Die Thür schloß sich und unsere beiden jungen Leute blieben stehen, ohne recht zu wissen, was sie thun sollten. Fliehen hieß die Meinung bestätigen, die man von ihnen hatte; bleiben, hieß vielleicht sich einer rauhen Begegnung aussetzen. Während sie rathschlagten, sahen sie durch einen Fensterladen im ersten Stock einen Lichtstrahl dringen. Die Helle nahm zu und ein Vorhang von rothem Damast, durch welchen sanft das Licht einer Lampe schimmerte, wurde leise aufgehoben; eine Hand, die im vollen Mondlicht weiß und fleischig schien, zeigte sich am Rande des Vorhangs, dessen Schnüre sie behutsam festhielt, während wahrscheinlich ein nicht sichtbares Auge in das Dunkel hinausspähete.

– Singen! sagte Consuelo zu ihrem Gefährten, das ist es, was wir thun müssen. Folge mir, laß mich machen. Aber nein! nimm deine Geige und spiele ein Ritornell, das erste Beste aus der ersten besten Tonart.

Joseph that es und als er geendet hatte, fing Consuelo an mit voller Stimme zu singen. Sie improvisirte Worte und Melodie, die Worte in deutscher Sprache, die Musik in recitativischer Form. Sie sang:

»Zwei arme Kinder sind wir, zwei schwache junge Kinder, von höchstens funfzehn Jahren, unschuldig wie die Nachtigallen, mit denen wetteifernd wir singen.«

– Joseph, flüsterte sie ihm zu, einen Akkord! Dann fuhr sie fort:

»Matt und müde, geängstigt von den Schauern der Nacht, erblickten wir diese Wohnung; sie schien uns verlassen und menschenleer: da setzten wir das eine Bein, dann das andere über die Mauer.«

– A-Moll, Joseph!

»In einen Zaubergarten traten wir, es schien ein Land, wo Milch und Honig fließt. Vor Durst verschmachteten wir, verschmachteten vor Hunger. Doch wenn ein Apfel fehlt an seinem Zweige, wenn eine einzige Traub' um eine einzige Beere ärmer ist, jagt uns hinaus und strafet uns wie Missethäter.«

– Modulire wieder nach C-Dur, Joseph!

»Und dennoch hegt man Argwohn wider uns, und man bedroht uns hart. Wir aber fliehen nicht, wir suchen nicht uns zu verstecken, denn keines Bösen sind wir uns bewußt ... es sei denn, daß wir über die Mauer eingedrungen in des lieben Gottes Haus. Doch derer die Gewalt thun ist der Himmel.

Nachdem sie ihr Recitativ beendigt hatte, begann Consuelo einen jener schönen Gesänge in Mönchslatein ( latino di frate sagen sie in Italien), dergleichen das Volk Abends vor den Madonnenbildern singt. Der bekannteste Hymnus dieser Art ist wohl das Ave Maris stella u. s. w. Die Devotion vor den Madonnenbildern wird in Italien mit mancherlei Abwechslungen ausgeführt. In Rom hörte ich es gewöhnlich so, daß der Marienlitanei das Credo und ein Gebet alles in lateinischer Sprache folgte, zum Schlusse aber ein italienisches Liedchen gesungen wurde in dieser Form: Evviva Maria, Maria evviva, Evviva Maria e chi la creò, und so fort durch vier oder fünf Verse, in denen sich nur die letzte Zeile änderte. – D. U. Als sie aufhörte, applaudirten die beiden weißen Hände (denn allmählig waren beide erschienen) und eine Stimme, die ihrem Ohre nicht ganz fremd klang, rief vom Fenster herab:

– Zöglinge der Musen, seid willkommen! Herein, herein! die Gastfreundschaft ruft euch und erwartet euch. Die beiden jungen Leute traten näher, und einen Augenblick später erschien ein Bedienter in roth und violetter Livree, der ihnen höflich die Thür öffnete.

– Ich hab euch für Diebe gehalten, nehmet es nicht übel, meine jungen Freunde, sagte er lachend: es ist euere eigene Schuld; warum habt ihr nicht eher gesungen? Mit solch einem Passe wie euere Violine und Stimme, kann es euch nicht fehlen, bei meinem Herrn gute Aufnahme zu finden. Tretet nur ein, er scheint euch schon zu kennen.

Unter diesen Worten war ihnen der freundliche Bediente die zwölf Stufen einer sanft geneigten, mit schönem türkischen Teppich belegten Treppe hinauf vorangegangen. Ehe Joseph Zeit hatte, ihn nach dem Namen seines Herrn zu fragen, hatte er eine Thür geöffnet, die mit einer Feder versehen war und geräuschlos hinter ihnen zufiel. Durch ein behaglich eingerichtetes Vorzimmer führte er sie in den Speisesaal, wo der gefällige Wirth dieses glücklichen Hauses, vor einem gebratenen Fasan zwischen zwei Flaschen alten goldigen Weines sitzend, den ersten Gang seiner Abendmahlzeit zu verdauen anfing, während er mit königlichem Anstand sich zu dem zweiten anschickte.

Er war frisch gepudert und rasirt. Die ins Graue übergehenden Locken seines ehrwürdigen Hauptes kräuselten sich weich unter einem »Blick« von poudre d'Iris von ausgesuchtem Wohlgeruch; seine schönen Hände stützten sich auf seine Kniee, die ein Beinkleid von schwarzem Atlas mit silbernen Schnällchen bedeckte. Sein wohlgebildetes Bein, worauf er ein wenig eitel war, ruhte in dem glattanliegenden, sehr durchsichtigen violetten Strumpfe auf einem Sammetkissen und sein stattlicher Oberleib mit einem vortrefflichen wohlwattirten und gesteppten Schlafrocke von puce farbener Seide schmiegte sich behaglich in einen großen gepolsterten Lehnstuhl, in welchem der Elnbogen nirgends Gefahr lief an eine Kante zu stoßen, so abgerundet und ausgefüttert war jeder Theil desselben.

An dem Kamine, der hinter des Herrn Lehnstuhl flammte und knisterte, bereitete die Haushälterin, Frau Brigitte, mit andächtiger Sorgfalt den Kaffee, und ein zweiter Bedienter, der nicht weniger sauber angethan und nicht weniger gesittet in seinem Benehmen als der erste war, löste an dem Tische stehend aufs Zierlichste den Fasanenflügel ab, den der heilige Mann sonder Unlust und sonder Ungeduld erwartete.

Joseph und Consuelo machten große Verbeugungen, als sie in ihrem wohlwollenden Wirth den Jubilarkanonikus des Domkapitels von St. Stephan erkannten, den, vor welchem sie an selbigem Morgen die Messe gesungen hatten.

3.

Der Herr Kanonikus hatte seinem Hauswesen die gemächlichste Einrichtung von der Welt gegeben. Schon in seinem siebenten Jahre war er vermöge königlicher Protectionen, welche ihm nicht fehlten, für volljährig erklärt worden, da der kirchliche Brauch verstattet, in einem Alter, wo sonst der Mensch noch nicht für völlig angesehen wird, für wenigstens vollkommen fähig zum Genusse eines Beneficiums zu gelten. Nach den Bestimmungen des Tridentinischen Concils ist zur Erlangung eines einfachen Beneficiums ein Alter von 14 Jahren, zur Erlangung eines mit dem Amte der Seelsorge verbundenen Beneficiums ein Alter von 25 Jahren und zur Erlangung einer kirchlichen Würde, mit welcher die Seelsorge nicht verbunden ist, ein, Alter von 22 Jahren erforderlich. – D. U.

So ward der junge Mann Kanonikus, wiewohl er Bastard eines Königs war, alles innerhalb des kirchlichen Brauches, der die Legitimität eines zu dem Beneficium vorgeschlagenen und von Souverainen anempfohlenen Kindes voraussetzlich annahm, da andrerseits die kanonischen Bestimmungen erfordern, daß wer Anspruch auf die Güter der Kirche macht, aus guter, legitimer Ehe hervorgegangen sei Die Legitimität ist zur Erlangung der Beneficien höherer Art und geistlicher Würden erforderlich; die sogenannten einfachen Beneficien (welche die Priesterweihe nicht voraussetzen) können aber ebenso wie die niederen Weihen ( ordines minores) vom Bischof auch illegitimen Kindern ertheilt werden. – D. U., widrigenfalls man ihn für unfähig und je nach Befinden für unwürdig und ehrlos erklären müßte.

Aber es lassen sich mit dem Himmel so vielerlei Abkommen treffen, daß unter gewissen Umständen, wiederum nach kanonischem Recht, ein Findling für legitim angesehen werden kann, aus dem übrigens sehr christlichen Grunde, daß im Fall nicht zu ermittelnder Abkunft lieber das Gute als das Schlimme vermuthet werden solle.

Genug, der kleine Kanonikus trat in den Genuß einer herrlichen Präbende und wurde, da er in seinem funfzigsten Jahre bereits dem Capitel vierzig Jahre voraussetzlich activ angehört hatte, als Jubilar anerkannt, d. h. in Ruhestand versetzt und hatte Freiheit zu leben, wo es ihm gefiel, ohne irgend eine geistliche Verpflichtung und berechtigt aller Vortheile und Revenüen seines Kanonikats unverkürzt zu genießen.

Der würdige Kanonikus hatte allerdings von seinen frühesten Jahren an dem Kapitel große Dienste geleistet. Er hatte sich absens erklären lassen, d. h. nach dem kanonischen Brauche für Einen der außerhalb des Kapitels residirt unter diesem oder jenem, mehr oder minder scheinbaren Vorwand und ohne auf den Ertrag seiner Pfründe ganz in dem Maße als ob er wirklich seine Pflichten erfüllte, zu verzichten. Zum Beispiel, der Ausbruch der Pest an dem Sitze des Kapitels ist ein Grund entbunden zu werden, ebenso ein schwächlicher Gesundheitszustand.

Der ehrenvollste und sicherste Grund jedoch ist die Verfolgung eines Studiums. Man unternimmt und kündigt an entweder ein großes Werk über Casuistik oder Kirchenväter oder die Sacramente oder noch besser über die Verfassung des Kapitels, dem man angehört, die Fundamente seiner Stiftung, die Ehrenrechte und anderweitigen Rechte die ihm gebühren, die Ansprüche die es andern Kapiteln gegenüber geltend machen könnte, oder etwa einen Prozeß den man hatte oder haben möchte gegen irgend eine Gemeinde oder Corporation wegen irgend eines Grundstücks oder Patronatsrechts, denn dergleichen chikanöse und finanzielle Subtilitäten waren natürlich für die geistlichen Körperschaften immer von viel größerem Interesse als alle Commentare über die kirchliche Dogmatik und alle Untersuchungen über das kirchliche Ritual.

Wenn sich ein angesehenes Mitglied des Kapitels erbot, Nachforschungen anzustellen, alte Pergamente aufzustöbern, verwitterte Akten zu studiren, so bewilligte man ihm gern das einträgliche und angenehme Vorrecht, sich in das Privatleben zurückzuziehen und seine Einkünfte auf Reisen oder in seiner Beneficialwohnung hinter dem Ofen zu verzehren.

Unser Kanonikus war in dem letzteren Falle. Als ein Mann von Geist, ein Schönredner, ein gewandter Stylist hatte er versprochen, sich vorgenommen und blieb sein ganzes Leben bei dem Vorsatz, ein Buch über die Rechte, Immunitäten und Privilegien seines Kapitels zu verfassen. Er brachte eine Masse staubiger Quartanten und Folianten zusammen, die er niemals aufschlug. Zwei Secretaire, die er auf Kosten des Kapitels engagirte, hatten vollauf zu thun, ihn zu parfümiren und seinen Tisch zu bedienen. Man sprach viel von dem vortrefflichen Werke, man erwartete es mit Ungeduld, man baute darauf allerlei schöne Träume von Ruhm, Rache und Geldeinnahmen.

Das Buch, das noch gar nicht existirte und nie zur Existenz gelangen sollte, hatte seinem Unternehmer schon den Ruf eines überaus gelehrten Mannes und gediegenen Schriftstellers verschafft und er hatte keine Eil, demselben durch die Leistung Ehre zu machen; nicht daß er unfähig gewesen wäre, den hohen Erwartungen seiner Mitbrüder wirklich zu entsprechen, aber das Leben ist kurz, das Tafeln zeitraubend, die Toilette unerläßlich und das Far-Niente köstlich.

Und außerdem hatte unser Kanonikus zwei unschuldige, aber unersättliche Leidenschaften, er liebte den Gartenbau und die Musik. Wie hätte er bei so vielen Beschäftigungen und Geschäften Zeit finden sollen, an sein Buch zu denken? Und endlich ist es so angenehm, von einem Buch zu reden und reden zu machen, das man nicht schreibt und dagegen so unangenehm von einem das man geschrieben hat, reden zu hören!

Das Benefiz dieses heiligen Mannes bestand in Ländereien von gutem Ertrage, welche zu der säcularisirten Priorei gehörten, die er acht oder neun Monate des Jahres bewohnte, sich der Pflege seiner Blumen und seines Magens widmend. Das Gebäude war geräumig und hatte viel Alterthümliches. Er hatte es aber wohnlich, sogar prächtig eingerichtet. Während er den ehemals von den Mönchen bewohnten Flügel seinem allmähligen Verfalle überließ, unterhielt er denjenigen, welcher seiner gemächlichen Lebensgewohnheit am bequemsten lag, mit großer Sorgfalt und schmückte ihn geschmackvoll aus. Eine neue Vertheilung der Räume hatte das alte Kloster in ein wahres kleines Schloß verwandelt, in welchem er als ein reicher Edelmann hauste.

Er war recht das Muster eines geistlichen Herrn damaliger Zeit, tolerant, unter Umständen Schöngeist, im Umgange mit seinen Standesgenossen orthodox und beredt, unter Weltleuten heiter, voll Anekdoten und sich in den geselligen Formen leicht bewegend, gegen Künstler gütig, vertraulich und freigebig.

Seine Bedienten, die an dem Wohlleben, welches er sich geschaffen hatte, Theil nahmen, unterstützten ihn nach besten Kräften. Seine Haushälterin war ein wenig keifisch, allein sie verstand so gut Früchte einzumachen und Leckereien zu bereiten, daß er sich über ihre böse Laune hinwegsetzte und den Sturm mit Gelassenheit aushielt, indem er sich sagte, ein Mann muß Anderer Fehler zu ertragen wissen, kann aber gute Desserts und guten Kaffee nicht entbehren.

Unsere jungen Künstler wurden von ihm mit der gemüthlichsten Liebenswürdigkeit empfangen.

– Ihr seid kluge und erfinderische Kinder, sagte er zu ihnen, und ich bin euch herzlich gut. Was noch mehr ist, ihr seid höchst talentvoll, und einer von euch beiden, ich weiß nicht mehr welcher, besitzt die süßeste, wohlthuendste, rührendste Stimme die ich je in meinem Leben gehört habe. Diese Stimme ist ein Gotteswunder, ist ein Schatz; ich war wirklich ganz betrübt heut Abend, daß ich euch bei dem Pfarrer so jählings hatte verschwinden sehen, denn ich dachte, ich würde euch vielleicht nie wieder zu Gesicht bekommen und singen hören. In Wahrheit! ich war appetitlos, verstimmt, zerstreut ... diese schöne Stimme und die herrliche Musik kam mir nicht aus den Gedanken, nicht aus den Ohren. Aber die Vorsehung, die es gut mit mir meint, führt euch mir wieder zu, vielleicht thut es auch euer gutes Herz, Kinderchen! denn ihr werdet wohl gemerkt haben, daß ich euch zu würdigen und zu schätzen gewußt habe.

– Wir müssen bekennen, Herr Kanonikus, antwortete Joseph daß uns nur der Zufall hieher geführt hat und daß wir weit entfernt gewesen sind, uns auf dieses Glück Rechnung zu machen.

– Das Glück ist auf meiner Seite, entgegnete der höfliche Kanonikus, und wahrlich ihr sollt mir singen ... Nein, das wäre zu eigensüchtig von mir, ihr seid müde, vielleicht hungrig ... Ihr sollt erst soupiren, eine gute Nacht in meinem Hause haben und morgen wollen wir musiciren, und wie musiciren, den ganzen Tag! Andreas, führe Er diese jungen Leute in die Küche und spare keine ... Nicht doch, sie sollen hier bleiben! lege Er ihnen zwei Couverts dort an der Ecke des Tisches aus, sie sollen mit mir speisen.

Andreas gehorchte aufs dienstfertigste, sogar mit einer gewissen gutmüthigen Zufriedenheit. Aber Frau Brigitte verrieth eine ganz entgegengesetzte Laune; sie schüttelte den Kopf, zuckte die Achseln und murmelte zwischen den Zähnen:

– Das sind auch Leute, um von Ihrem Tischtuch zu essen, eine saubere Gesellschaft für einen Herrn wie Sie!

– Schweigt, Brigitte, sagte der Kanonikus sehr ruhig. Euch ist nichts Recht und kein Mensch steht Euch an und wenn Ihr einem Anderen etwas Gutes widerfahren sehet, so werdet Ihr bitterbös.

– Sie wissen gar nicht mehr, was Sie ausdenken sollen, um die Zeit hinzubringen, versetzte sie ohne sich an die Vorwürfe, die ihr gemacht worden waren, zu kehren. Mit Schmeicheleien, mit Alfanzereien und Schnickschnack kann man Sie führen wie ein Kind.

– Aber so schweigt, sagte der Kanonikus mit etwas stärkerer Stimme, ohne jedoch sein angenehmes Lächeln zu verändern: Ihr habt eine wahre Schnarre in der Stimme, und wenn Ihr nicht aufhört zu maulen, so werdet Ihr den Kopf verlieren und mir den Kaffee verderben.

– Großes Plaisir, schöne Ehre, brummte die Alte, für solche Gäste Kaffee zu machen!

– Oha, Ihr müßt große Herrn haben, Ihr seid für das Vornehme importirt, Ihr möchtet nichts als Bischöfe, Prinzen, Stiftsdamen mit sechzehn Ahnen tractiren! Für mich ist das alles nicht so viel werth als ein einziges hübsches und wohl gesungenes Liedel.

Consuelo hörte mit Erstaunen, wie dieser Mann, der ein so vornehmes Wesen hatte, sich mit einem gewissen kindischen Gefallen an seiner Haushälterin rieb; sie konnte aber während des ganzen Abendessens nicht aufhören sich über die kindischen Dinge zu verwundern, mit denen er sich abgab. Bei jedem Anlaß brachte er eine Menge von Albernheiten vor, um sich die Zeit zu vertreiben und sich bei guter Laune zu erhalten. Jeden Augenblick hatte er mit seinen Bedienten etwas zu reden; bald ließ er sich sehr ernsthaft über die Sauce eines Fisches vernehmen, bald beunruhigte er sich wegen der Anfertigung eines Möbels, bald gab er Befehle die einander widersprachen, bald befragte er seine Leute über die müßigsten Details der Wirthschaft, überlegte allen diesen Tand mit einer feierlichen Bedachtsamkeit die ernsterer Gegenstände werth gewesen wäre, hörte den Einen aufmerksam an, widerlegte den andern; hielt Frau Brigitten Stand, die ihm in allen Dingen widersprach, und unterließ nicht jede seiner Fragen oder Antworten mit irgend einem Scherzwort zu würzen.

Es schien, als ob er, in der Einsamkeit und Unthätigkeit seines Lebens auf den Umgang mit seinen Leuten beschränkt, seinen Geist in Athem zu halten und das Werk der Verdauung durch eine diätetische Gedankenübung, die nicht zu schwer und nicht zu leicht sein durfte, befördern wollte.

Seine Tafel war ausgesucht und übertrieben reich besetzt. Beim Entremets wurde der Koch vor den Herrn Kanonikus beschieden und von diesem für die Zubereitung gewisser Schüsseln im gütigsten Tone gelobt, wegen anderer sanft getadelt und gründlich zurechtgewiesen. Die beiden Reisenden waren wie aus den Wolken gefallen und sahen einander an, denn sie glaubten von einem komischen Traume geneckt zu sein, so unbegreiflich waren ihnen diese Raffinements.

– Nu! nu! es war nicht übel, sagte der gute Kanonikus, indem er den Küchenkünstler entließ; ich werde schon etwas aus dir machen, wenn du nur immer guten Willen hast und fortfährst mit Liebe und Gewissenhaftigkeit deiner Pflicht zu leben.

– Sollte man nicht glauben, dachte Consuelo bei sich, daß es sich hier um eine väterliche Ermahnung, um eine religiöse Zurechtweisung handelte?

Beim Dessert erhielt noch die Haushälterin ihren Antheil an den Lobsprüchen und Belehrungen, und dann endlich ließ er diese wichtigen Verhandlungen ruhen, um ein musikalisches Gespräch mit seinen jungen Gästen anzuknüpfen, bei welchem er sich ihnen in einem bessern Lichte zeigte. Er war wohl unterrichtet, hatte Vieles gründlich kennen gelernt und besaß ein gesundes Urtheil und einen gebildeten Geschmack. Er spielte ziemlich gut Orgel, und nach dem Essen setzte er sich an sein Clavier und gab ihnen einige Sachen von älteren deutschen Meistern zu, hören, die er gediegen und nach den guten Ueberlieferungen der alten Zeit vertrug.

Consuelo hörte nicht ohne Interesse zu, und da sie ein großes Notenbuch voll von dieser alten Musik auf dem Klaviere gefunden und durchblättert hatte, vergaß sie ihre Müdigkeit und die späte Stunde und bat den Kanonikus ihr in seiner tüchtigen, breiten Manier verschiedene Stücke vorzuspielen, welche im Lesen ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten.

Der Kanonikus war entzückt, einen solchen Zuhörer zu haben. Die Musik, welche er kannte, war nicht mehr in der Mode, und er fand nicht oft Liebhaber nach seinem Herzen. Er faßte daher für Consuelo insbesondere eine ausnehmende Zuneigung, denn Joseph war vor übergroßer Müdigkeit in einem großen, verrätherisch weichen und bequemen Lehnstuhl eingeschlafen.

– Wahrhaftig, rief der Kanonikus in einem Augenblick der lebhaftesten Freude, du bist ein glücklich begabtes Kind und dein frühreifes Urtheil kündigt eine außerordentliche Zukunft an. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß mich das Coelibat reut, welches mein Stand mir auflegt.

Consuelo erschrak und erröthete, denn sie glaubte sich entdeckt, aber sie kam schnell von ihrer Unruhe zurück als der Kanonikus naiv hinzusetzte:

– Ja, ich bedaure, daß ich keine Kinder habe, denn vielleicht hätte mir der Himmel einen Sohn wie dich geschenkt, und das wäre das Glück meines Lebens gewesen ... und wenn selbst Brigitte hätte seine Mutter sein müssen.

Aber sage mir, Freund, was hältst du von diesem Sebastian Bach, von dessen Compositionen die Kenner heut zu Tage so viel Lärm machen? Bist du auch der Meinung, daß er ein so wundersames Genie ist? Ich hab da ein dickes Buch von seinen Sachen, die ich gesammelt hab und mir hab einbinden lassen, denn man muß von allem haben ... Und dann, diese Musik ist vielleicht von guter Wirkung aber sie ist ungemein schwer zu lesen, und ich bekenne, daß ich, da mich der erste Versuch abgeschreckt hat, so träg gewesen bin, nicht wieder daran zu gehen ...

Uebrigens, ich habe so wenig Zeit für mich. Ich kann nur in kostbaren Augenblicken spielen, die ich meinen übrigen ernsteren Beschäftigungen abstehle. Weil du mich mit der Besorgung meiner kleinen Haushaltung angelegentlich beschäftigt gesehen hast, darum mußt du nicht denken, daß ich ein freier und glücklicher Mann bin. O nein, ich bin der größte Sklav, ich hab mir eine ungeheuere, fürchterliche Arbeit aufgepackt.

Ich hab ein Werk unternommen, woran ich seit dreißig Jahren laborier und das ein anderer nicht in sechzig Jahren fertig schaffen würd, ein Buch, welches unglaubliche Studien, Nachtwachen, unermüdliche Geduld und tiefes Nachdenken erfordert. Aber es wird auch, hoff ich, von sich reden machen.

– Ist es bald fertig? fragte Consuelo.

– Noch nicht, noch nicht! antwortete der Kanonikus, der es gern sich selbst verheimlicht hätte, daß er nicht einmal angefangen hatte. Also, wir sprachen davon, daß die Bachsche Musik fürchterlich schwer ist und was mich betrifft, so kommt sie mir bizarr vor.

– Ich glaube indessen doch, wenn Sie nur Ihre Abneigung überwinden wollten, so würden Sie zu der Meinung kommen, daß sich ein Genie darin ausspricht, welches alle Kunst der Vergangenheit und der jetzigen Welt umfaßt, wieder erzeugt und zu einem neuen Leben bringt.

– Nun wohl! antwortete der Kanonikus, wenn es so ist, so wollen wir Dreie morgen einmal versuchen, was wir davon herausbringen können. Es ist jetzt die Zeit für euch, zur Ruhe zu gehen und für mich zu studiren. Aber morgen bringt ihr den Tag bei mir zu, nicht wahr, es bleibt dabei?

– Den Tag? das ist viel, lieber Herr! Wir müssen uns beeilen nach Wien zu kommen, aber den Morgen über sind wir zu Ihrem Dienste.

Der Kanonikus schrie hoch auf, bat dringend, und Consuelo gab scheinbar nach, indem sie sich vornahm, die Adagios des großen Bach ein wenig zu übereilen und um eilf Uhr oder Mittag die Priorei zu verlassen.

Als nun zum Schlafen gegangen werden sollte, entstand auf der Treppe ein lebhafter Wortwechsel zwischen Frau Brigitte und dem ersten Kammerdiener. Der dienstfertige Joseph, der sich alle Mühe gab, es seinem Herrn recht zu Dank zu machen, hatte für die jungen Musiker zwei allerliebste Kämmerchen in dem restaurirten Theile des Gebäudes, den der Kanonikus selbst mit seiner Dienerschaft bewohnte, in Stand setzen lassen. Brigitte dagegen bestand darauf, sie in die verlassenen Zellen der alten Priorei zu schicken, weil dieser Flügel durch gute Thüren mit festen Riegeln von dem neuen getrennt war.

– Was! rief sie indem sie ihre heisere Stimme in dem schallenden Treppenhause erhob, Er läßt es sich beikommen, diese Strolche Thür an Thür mit uns unterzubringen? Sieht er ihnen denn nicht an, daß sie Zigeuner sind, Diebsgesindel, Vagabunden, Spitzbuben, die in der Frühe davon laufen und unser Silberzeug mitnehmen werden? Wenn sie uns nicht gar ermorden!

– Uns ermorden? diese Kinder? sagte Joseph lachend. Ihr seid nicht klug, Madame Brigitte, so alt und verschrumpft Ihr seid, werdet Ihr sie noch in die Flucht jagen, Ihr braucht ihnen blos die Zähne zu weisen.

– Selber alt und verschrumpft, Er! versteht Er? schrie die Alte wüthend. Und sie sollen nicht hier schlafen, ich will es nicht leiden. Es wär mir 'ne schöne Bescheerung! ich könnt kein Auge die Nacht zumachen.

– Ohne alle Ursach! sagte der Andere, ich bin überzeugt, daß diese Kinder nicht größere Lust als ich haben werden, Euere ehrbare Nachtruhe zu stören. Na, machen wir ein End! Der Herr Kanonikus hat mir befohlen, seine Gäste gut zu behandeln und da werd ich sie nicht in das alte Rattennest einsperren, wo der Wind durch alle Löcher pfeift. Sollen sie denn auf dem Steinpflaster schlafen?

– Ich hab ihnen vom Gärtner zwei gute Feldbetten aufschlagen lassen; denkt Er denn, daß diese Barfüßer an Daunen gewöhnt sind?

– Sie sollen aber heut Nacht welche haben, weil es der Herr Kanonikus so will. Ich hab mich nur nach der Ordre meines Herrn zu richten, Madame Brigitte! Lasse Sie mich meine Schuldigkeit thun und bedenke Sie, daß Sie so gut wie ich zu gehorchen und nicht zu befehlen hat.

– Wohl gesprochen, Joseph! sagte der Kanonikus, der an der halb offenen Thür des Vorzimmers den ganzen Handel lachend angehört hatte. Bringt mir meine Pantoffeln, Brigitte, und macht uns nicht den Kopf warm. Auf Wiedersehen, meine kleinen Freunde! Gehet mit Joseph und schlafet wohl! Es lebe die Musik und es lebe der morgende schöne Tag!

Nachdem unsere Reisenden von ihren hübschen Zellen Besitz genommen hatten, hörten sie die Haushälterin noch lange von weitem brummen und schelten, als ob der winterliche Nord durch die Corridore pfiffe. Als die Bewegung im Hause, welche das solenne Schlafengehen des Kanonikus anzeigte, gänzlich aufgehört hatte, schlich Frau Brigitte auf Ihren Zehen zu den Thüren der jungen Gäste und drehte den Schlüssel in jeder Thür behend um, damit sie nicht heraus könnten.

Joseph war in dem besten Bett das er je in seinem Leben gehabt bereits fest eingeschlafen, und Consuelo that desgleichen, nachdem sie noch mit sich allein herzlich über Brigittens Furcht gelacht hatte. Sie, die auf der ganzen Reise fast jede Nacht mit Zittern eingeschlafen war, hatte nun auch einmal zittern gemacht. Sie hätte die Fabel vom Hasen und den Fröschen auf sich anwenden können, aber ich kann wirklich nicht sagen, ob Consuelo Lafontaine's Fabeln kannte. Ihr Werth wurde ihnen von den Schöngeistern jener Zeit streitig gemacht, Voltaire verlachte sie und der große Friedrich, seinem Philosophen nachbetend, verachtete sie aus ganzer Seele. Mein Kollege Borelly, erzählt Thiebauld in seinen Souvenirs, nannte eines Tages im Gespräche mit dem König Lafontaine einen der schönsten Geister, die je dagewesen, und ich war erstaunt über den verächtlichen Ton in welchem Friedrich antwortete: »O ja, ein recht schöner Geist, aber nur im Kleinen. Lafontaine hat nur Fabeln gemacht, er hatte nicht Athem genug, um sich über diese beschränkte, kindische Gattung zu erheben: ihn muß man nicht anführen, wenn von großen Männern die Rede ist.« – D. U.

4.

Es wurde Tag, Consuelo sah die Sonne blitzen, und das fröhliche Gezwitscher von tausend Vögeln welche schon im Garten Schmaus hielten, lud sie zu einem Morgenspaziergang ein. Sie versuchte aus ihrem Zimmer zu gehen, aber die Absperrung war noch nicht aufgehoben und Frau Brigitte hielt ihre Gefangenen noch immer unter Schloß und Riegel. Consuelo dachte, es wäre dies vielleicht eine schlaue Erfindung des Kanonikus, der, um sich die musikalischen Genüsse dieses Tages zu sichern, für gut befunden hätte, sich vor allen Dingen der Person der Musiker zu versichern.

Dreist und behend in ihrer Männerkleidung untersuchte Consuelo das Fenster, sah daß ein großes Weingelände, dessen Spalier festgezimmert die ganze Wand bedeckte, das Hinuntersteigen sehr erleichterte und kletterte langsam und vorsichtig, um die schönen Trauben nicht zu beschädigen, in den Garten hinab, indem sie bei sich zum Voraus lachte über Frau Brigittens Staunen und Aerger, wenn diese die Vorsichtsmaßregel vereitelt sehen würde.

Consuelo sah nun in neuer Gestalt die herrlichen Blumen und die üppigen Früchte, welche sie im Mondenschein bewundert hatte. Der Anhauch des Morgens und das rosenrothe liebliche Licht der schrägen Sonnenstrahlen verlieh diesen holden Kindern der Erde einen neuen poetischen Reiz. Im Sammetkleide prunkten die Früchte, in Kristalltropfen hing der Thau an allen Zweigen und der mit Silberperlen übersäete Rasen hauchte den leichten Dunst aus, welcher der Athem der nach dem Himmel lechzenden und nach der Vereinigung mit ihm in Liebesbrunst sich sehnenden Erde zu sein schien.

Aber nichts war zu vergleichen mit der Frische und der Schönheit der noch ganz mit der Feuchte der Nacht beladenen Blumen in dieser geisterhaften Dämmerstunde, wo sie sich aufthun gleichsam in der Fülle der Lauterkeit und im Erguß der reinsten Dufte, die zu schauen und zu genießen nur die morgenlichen, reinsten Strahlen der Sonne würdig sind.

Die Blumenanlage des Kanonikus war für den Liebhaber der Gartenkunst ein Wonnegefild. In Consuelo's Augen war sie zu regelmäßig und zu ängstlich gepflegt. Aber die funfzig Arten Rosen, die seltenen, prächtigen Hibisken Vermuthlich ist Hibiscus Rosa Sinensis, die chinesische Rose, mit ihren prächtigen rothen Blumen gemeint, die Sommers bei uns im Freien leidlich aushält; wo nicht Hibiscus syriacus (Syrischer Eibisch) mit weißen, hellblauen, rothen Blumen und Hibiscus Trionum (Stundeneibisch) mit schönen blaßgelben Blumen mit purpurrothem Grunde, da die beiden letzten Arten ganz gut im Garten gedeihen, sogar ins Land gesäet werden können. – D. U., die purpurrothen Salbeyen » Sauges purpurines«. Vermuthlich Salvia coccinea, oder auch Salvia formosa, welche ebenfalls hochrothe oder dunkel scharlachrothe Blumen hat. – D. U., die unendlich mannichfaltigen Pelargonien » Geraniums«; müssen Pelargonien sein, die in Frankreich noch Geraniers genannt werden. – D. U, die balsamischen Daturen Datura arborea, von Humboldt suaveolens (die süß duftende) genannt. – D. U., tiefe Schalen von Opal mit dem Ambrosium der Götter gefüllt, die zierlichen Asklepien, Kelche voll feinen Giftes in denen die Insekten sich süßen Tod trinken, die strotzenden Cereen Cactus flagelliformis und speciosus; der grandiflorus (Königin der Nacht) blüht bekanntlich nicht am Tage, und der alatus wie der C. Akermannii hat einen glatten, blattartigen Stamm. – D. U. die ihre farbenprächtigen Blumensterne auf runzligen, borstigen, wunderlich geformten Stämmen trugen, tausend merkwürdige und prachtvolle Pflanzen, die Consuelo nie gesehen hatte und deren Namen und Vaterland sie nicht kannte, beschäftigten lange ihre Aufmerksamkeit.

Indem sie ihre verschiedenartigen Stellungen und die mannigfachen Charaktere, die sich in ihren Formen auszudrücken schienen, beobachtete, suchte sie die Verwandtschaft zu entdecken, welche zwischen der Musik und dem Blumenleben vorhanden sein könnte und suchte sich den Zusammenhang der beiden Neigungen, die ihren Wirth beherrschten, zu erklären. Seit langer Zeit war ihr der Gedanke lieb gewesen, daß die Harmonie der Töne gewissermaßen der Harmonie der Farben entspräche, aber die Harmonie dieser Harmonien schien ihr der Duft zu sein.

In diesem Augenblicke, wo sie sich verschwimmenden süßen Träumen überließ, glaubte sie aus jedem dieser lieblichen Kelche eine Stimme zu vernehmen, welche ihr in einer neuen, bisher unverstandenen Sprache die Geheimnisse der Poesie verrieth. Die Rose erzählte ihr von ihrer glühenden Liebe, die Lilie gab von ihrer himmlischen Keuschheit Kunde, die prächtige Magnolie hauchte die lautere Freude eines heiligen Stolzes aus und das kleine Leberblümchen flüsterte von der Lieblichkeit eines stillen, verborgenen Lebens.

Es waren Blumen da, die mit lauten Stimmen mächtig riefen: ich bin schön, ich herrsche! es waren andere, die mit kaum vernehmlichem Gelispel sagten: ich bin gering und bin geliebt, und alle wiegten sich im Takte vor dem Hauche der Morgenluft und vereinigten ihre tausend Stimmen in einem geisterhaften Chor, der sich sanft in den zitternden Halmen des Rasens und in den Laubkronen der Bäume verlor, welche den Laut begierig auffingen und nach dem geheimen Sinne zu haschen schienen.

Plötzlich wurden diese harmonischen Träume und lieblichen Phantasien durch ein schneidendes Jammergeschrei unterbrochen, das hinter den Baumgruppen, welche die Einschlußmauer verbargen, ausging. Dem Geschrei, welches sich im Schweigen der Felder verlor, folgte das Rollen eines Wagens; jetzt schien der Wagen zu halten und es wurde mit starken Schlägen an das eiserne Gitter gepocht, welches auf dieser Seite den Garten verwahrte.

Aber sei es, daß alles im Hause noch fest schlief, oder daß Niemand antworten wollte, das Pochen wurde mehrmals vergeblich wiederholt, und die durchdringenden Schreie einer Frauenstimme, unterbrochen von den derben Flüchen einer Mannsstimme die nach Hülfe rief, schlugen an die Mauern der Priorei und fanden nicht mehr Wiederhall in dem fühllosen Gestein als in den Herzen derer welche darin wohnten.

Alle Fenster auf dieser Seite waren so gut verstopft, um den Schlummer des Kanonikus vor jeder Störung zu bewahren, daß kein Geräusch von außen die starken eichenen mit Leder überzogenen und mit Haar gepolsterten Läden durchbrechen konnte. Die Knechte, welche auf der Wiese hinter dem Hause beschäftigt waren, hörten nichts von dem Geschrei, und Hunde gab es in der Priorei nicht. Der Kanonikus liebte diese lästigen Wächter nicht, die unter dem Vorwande die Diebe zu verscheuchen, nur die Ruhe ihrer Herren stören.

Consuelo suchte in die Wohnung einzudringen, um zu melden, daß Reisende in Noth außen wären, aber alles war so wohl verschlossen, daß sie darauf verzichtete und ihrem Herzen folgend, an das Gitter lief, von welchem der Lärm erscholl.

Ein Reisewagen mit vielen Koffern bepackt und ganz weiß überzogen von dem Staube eines langen Weges, hielt vor der Hauptallee des Gartens. Die Postillione waren vom Pferde gestiegen und rüttelten an der ungastlichen Thür, während sich aus dem Wagen Gewimmer und Wehklagen vernehmen ließ.

– Ausgemacht, wenn ihr Christen seid! wurde Consuelo zugerufen. Es ist da eine Dame, welche im Sterben liegt.

– Macht auf, rief aus dem Schlage sich überlehnend eine Frau, deren Züge Consuelo unbekannt waren, deren venetianischer Dialect ihr aber auffiel. Madame stirbt, wenn man ihr nicht geschwind zu Hülfe kommt. Macht auf, wenn ihr Menschen seid.

Dem Drange ihres Herzens nachgebend, ohne an die Folgen zu denken, strengte sich Consuelo an, das Gitter zu öffnen, aber es war mit einem ungeheueren Vorlegeschloß verwahrt, dessen Schlüssel sich wahrscheinlich in Frau Brigittens Tasche befand. Die Hausglocke war durch eine geheime Feder in Ruhe gehalten. Man hatte so viel Vorsicht nicht aus Furcht vor Dieben und Missethätern angewendet, denn es war eine ruhige Gegend in der sich kein Gesindel aufhielt, sondern um Geräusch und Störung von zu späten oder zu frühen Gästen zu vermeiden.

Consuelo fand es unmöglich, ihrem Herzenswunsche zu genügen und mit Schmerz nahm sie die Schimpfworte der Kammerjungfer hin, die mit ihrer Herrin italienisch redend, ungeduldig rief:

– O das ungeschickte Thier, der dumme Esel, der eine Thür nicht öffnen kann.

Die deutschen Postillione, geduldigere, ruhigere Leute, versuchten Consuelo zu helfen, aber mit nicht größerem Erfolg, als endlich die kranke Dame, die sich nun auch an den Kutschenschlag vorbeugte, mit starker Stimme in einem gebrochenen Deutsch rief:

– Eh, bei Blut von Teufel, ruf Ein, das kann aufmach dumm klein Vieh du!!

Diese kräftige Anrede beruhigte Consuelo wegen des gefährlichen Zustandes der Fremden. Wenn die dem Tode nahe ist, dachte sie, so müßte es gewaltsamer Tod sein. Und sich in venetianischer Sprache an die Reisende wendend, deren Accent nicht weniger unzweifelhaft als der ihrer Zofe, war, sagte sie:

– Ich bin nicht aus diesem Hause, ich habe nur hier die Nacht geschlafen, ich will die Bewohner zu wecken suchen, es wird aber nicht leicht und nicht schnell zu erreichen sein. Sind Sie denn in solcher Gefahr, Madame, daß Sie sich nicht ein wenig hier gedulden können?

– Ich komme nieder, Dummkopf! rief die Reisende, ich habe nicht Zeit zu warten; laufe schreie, schlage alles entzwei, hole Leute und laßt mich hinein, du sollst gut bezahlt werden ...

Hier fing sie wieder jämmerlich zu schreien an. Consuelo's Knie zitterten, dieses Gesicht, diese Stimme mußte sie kennen ...

– Wie heißt Euere Herrschaft? fragte sie das Kammermädchen.

– Was geht das dich an? Fort, Unselige, geschwind Leute! rief die Zofe in ihrer Angst. Wenn du Zeit verlierst, kriegst du nichts.

– Ich verlange auch nichts von euch, antwortete Consuelo lebhaft, aber ich will wissen wer ihr seid! Wenn Euere Herrschaft eine Sängerin ist, so werdet ihr hier tausendmal willkommen sein, und irre ich nicht, so ist sie eine berühmte Sängerin.

– Spute dich nur, mein Kind, sagte die Dame in Kindesnöthen, die in den Pausen zwischen einem Schmerzensschrei und dem andern jedesmal große Kaltblütigkeit und Kraft gewann, du irrst dich nicht, sage den Bewohnern des Hauses, die berühmte Corilla sei da und in Todesgefahr, wenn sich nicht eine Christen- oder Künstlerseele ihrer Lage erbarmt. Ich bezahle ... sage, ich bezahle gut. Ai! Sofia, sagte sie zu ihrer Dienerin, laß mich auf die Erde legen, ich werde ausgestreckt auf der Straße weniger ausstehen als in diesem vermaledeiten Wagen.

Consuelo war schon in vollem Laufe nach der Priorei: sie nahm sich vor, entsetzlichen Lärm zu machen und um jeden Preis bis zu dem Kanonikus selbst hindurch zu dringen. Sie hatte keine Zeit, über den seltsamen Zufall, der ihre Nebenbuhlerin, die Ursach aller ihrer Leiden hierher führte, zu erstaunen und zu erschrecken, sie empfand nichts als das Verlangen, ihr Hülfe zu verschaffen. Sie brauchte nicht zu klopfen, sie fand schon Brigitte, welche von dem Geschrei endlich aufgestört, in Begleitung des Gärtners und des Kammerdieners aus dem Hause kam.

– Eine schöne Geschichte! sagte diese mit Härte, als ihr Consuelo den Fall mitgetheilt hatte. Er bleibt hier, Andreas, rühre Er sich nicht vom Fleck, Herr Gärtner! Sehet ihr nicht, daß das eine abgekartete Geschichte ist von diesen Banditen, um uns zu plündern und zu ermorden? Ich hab es mir gleich so gedacht. Eine Falle, eine Finte! Eine Spitzbubenbande rings um das Haus, und die, denen wir Obdach gegeben haben, suchen ihnen unter einem schicklichen Vorwand Einlaß zu verschaffen.

Holen Sie Ihre Flinten, meine Herren, und machen Sie sich fertig dieser angeblichen Dame in Kindesnöthen, die Schnurbart und Hosen trägt, das Licht auszublasen. O ja doch! Eine Kindbetterin! Oder wenn das wäre, hält sie denn unser Haus für ein Spital? Wir haben keine Kindsfrau hier, ich verstehe nichts von diesem Geschäft, und der Herr Kanonikus liebt das Kindergeschrei nicht. Eine Dame wird sich auch, wenn sie so weit ist, auf die Reise begeben! Und wenn sie es thut, wessen Schuld ist's? Können wir ihr helfen? Mag sie in ihrem Wagen niederkommen, wir sind nicht eingerichtet auf so einen Tanz.

Diese Rede, die an Consuelo gerichtet begann und die ganze Allee entlang murmelnd fortgesetzt wurde, endigte bei dem Gitterthor an Corilla's Kammerzofe gerichtet. Während die Reisenden mit der unbeugsamen Haushälterin, nach vergeblicher Unterhandlung, Vorwürfe, böse Worte, selbst Schimpfreden wechselten, war Consuelo, die ihre Hoffnung auf die Gutherzigkeit und die Kunstliebe des Kanonikus setzte, in das Haus eingedrungen. Sie suchte das Zimmer des Herrn vergeblich, sie verirrte sich nur in dem weitläufigen Gebäude, dessen Anlage sie nicht kannte.

Endlich stieß sie auf Haydn, welcher sie suchte und ihr sagte, daß er den Kanonikus in sein Gewächshaus habe gehen sehen. Sie begaben sich miteinander dorthin und sahen den ehrwürdigen Herrn ihnen entgegenkommen unter einer Jasminlaube, mit einem Gesichte frisch und lachend wie der schöne Herbstmorgen, welchen dieser Tag gebracht hatte.

Als sie diesen freundlichen Mann in seinem schönen wattirten Schlafrock gehen sahen, auf Wegen wo sein zärtlicher Fuß nicht Gefahr lief dem kleinsten Kiesel in dem seinen, frisch geharkten Sande zu begegnen, zweifelte Consuelo nicht, daß ein so glücklicher, in der Reinheit seines Gewissens so heiterer, vom Glücke mit der Erfüllung aller seiner Wünsche so gesegneter Mensch gewiß mit Freuden an ein gutes Werk gehen würde.

Sie begann eben ihm das Anliegen der armen Corilla vorzutragen, als Brigitte plötzlich erschien und ihr in das Wort fiel.

– Da unten ist eine Landstreicherin an Ihrer Gartenthür, rief sie, eine Theatersängerin, die berühmt ist, sagt sie, und die ganz unverschämte Reden führt. Sie sagt, sie wäre in Kindesnöthen, schreit und flucht wie zehn Teufel. Sie will durchaus bei Ihnen Kindsbett halten. Sehen Sie zu, ob Ihnen das ansteht.

Der Kanonikus verneinte es mit einer Geberde des Abscheus.

– Herr Kanonikus, sagte Consuelo, wer diese Frau auch sei, sie leidet, ihr Leben ist vielleicht in Gefahr und das Leben eines unschuldigen Geschöpfes, das Gott in diese Welt ruft und das die Religion Ihnen gebietet christlich und väterlich aufzunehmen. Sie werden diese Unglückliche nicht hier verstoßen. Sie werden Sie nicht vor Ihrer Thür winseln und vergehen lassen.

– Ist sie verheiratet? fragte der Kanonikus mit Kälte, nachdem er sich einige Augenblicke bedacht hatte.

– Ich weiß es nicht, es ist möglich. Aber was thut das zur Sache? Gott schenkt ihr das Glück, Mutter zu werden: er allein hat das Recht, zu richten ...

– Sie hat ihren Namen genannt, Herr Kanonikus, sagte Brigitte mit Heftigkeit, und Sie werden sie wohl kennen, denn Sie sehen ja immer das Comödienvolk in Wien. Sie heißt Corilla.

– Corilla! rief der Kanonikus. Sie ist schon einmal in Wien gewesen, ich habe viel von ihr reden hören. Eine schöne Stimme, sagt man.

– Nun, ihrer Stimme zu Liebe lassen Sie öffnen; sie liegt auf der Erde, im Sande auf der Landstraße, Herr Kanonikus! sagte Consuelo.

– Aber es ist eine Person von anstößigem Wandel, entgegnete der Kanonikus. Sie hat in Wien, es war vor zwei Jahren, Aergerniß gegeben.

– Und, Herr Kanonikus, fiel Brigitte ein, viel Leute sind neidisch auf Ihr Beneficium, Sie verstehen mich! Ein liederliches Frauenzimmer in Ihrem Hause niederkommen ... man wird das nicht für einen Zufall nehmen, und noch viel weniger für ein Werk der Barmherzigkeit. Sie wissen, der Kanonikus Herbert macht Ansprüche auf das Jubilariat und Sie wissen, er hat schon einen jungen Mitbruder um die Pfründe gebracht, den er anschuldigte, daß er den Chor versäumte wegen einer jungen Dame, die immer bei ihm Beichte hört. Herr Kanonikus, so ein Beneficium wie Ihres ist leichter zu verlieren als zu erlangen.

Diese Worte machten auf den Kanonikus einen schnellen und entscheidenden Eindruck. Er erwog sie in dem Innersten seiner Klugheit, wiewohl er sich stellte als ob er sie gar nicht angehört hätte.

– Zweihundert Schritte von hier, sagte er, ist ein Wirthshaus. Dahin lasse sich diese Dame bringen. Sie wird daselbst alles Nöthige finden, und besser und schicklicher aufgehoben sein als in der Wohnung eines unverheirateten Mannes. Gehet und saget ihr das, Brigitte, mit Höflichkeit, mit großer Höflichkeit, das bitte ich mir aus. Bezeichnet den Postillionen genau das Wirthshaus. Und ihr, Kinderchen, sagte er zu Consuelo und Joseph, kommt, wir wollen uns einmal an einer Fuge von Bach versuchen, während das Frühstück zurecht gemacht wird.

– Herr Kanonikus, sagte Consuelo bewegt; und Sie lassen wirklich diese Hülflose ...

– Mein Gott! sagte der Kanonikus, indem er mit erschrockenen Mienen stehen blieb, da ist mir meine schönste Volkameria ausgegangen. Ich hatte es dem Gärtner gleich gesagt, daß er ihr nicht Wasser genug gäbe! Das seltenste und schönste Stück meines Gartens! Nein, das Unglück! Brigitte, seht doch nur, Ruft mir den Gärtner her, daß ich ihn ausschelte ...!

– Erst will ich die berühmte Corilla von Ihrer Thür hinwegjagen, antwortete Brigitte, sich entfernend.

– Sie erlauben, Sie befehlen es, Herr Kanonikus? rief Consuelo unwillig.

– Ich kann wirklich nicht anders, antwortete er mit sanfter Stimme aber mit einem Tone, dessen Ruhe die Unerschütterlichkeit seines Entschlusses anzeigte. Ich wünsche nichts weiter davon zu hören. Kommt, ich erwarte euch zum Musiciren.

– Hier ist kein Musiciren mehr für uns, entgegnete Consuelo mit Kraft. Sie wollen Sebastian Bach begreifen, Sie, der Sie kein Herz in der Brust haben? Ha! Fluch über Ihre Blumen und Früchte. Möge der Frost Ihren Jasmin verderben und Ihre schönsten Blumen tödten! Diese fruchtbare Erde, die Ihnen alles in Ueberfluß schenkt, sie müsse Ihnen nichts als Dornen und Disteln tragen, denn Sie sind ein herzloser Mensch und stehlen dem Himmel seine Gaben, mit denen Sie den Brüdern nicht zu dienen wissen.

So redend ließ Consuelo den Kanonikus stehen, der erschrocken um sich schaute, als fürchtete er den Fluch des Himmels, den diese feurige Seele herabgerufen hatte, auf seine kostbaren Volkamerien und seine geliebten Anemonen fallen zu sehen. Sie lief an das Gitter, welches verschlossen war und stieg hinüber, um aus der Priorei hinwegzukommen und dem Wagen der Corilla zu folgen, welcher im Schritte nach der elenden Schenke fuhr, welche der Kanonikus unentgeldlich mit dem Titel eines Wirthshauses beliehen hatte.

5.

Joseph Haydn, der schon daran gewöhnt war, den plötzlichen Entschlüssen seiner Freundin nachzugehen, jedoch ein ruhigeres und bedächtigeres Wesen hatte, folgte ihr in die Schenke, nachdem er zuvor den Reisesack, die Noten und besonders die Violin geholt hatte, ihren Broterwerb, ihren Trost und ihre Freude auf der Reise.

Auf ein schlechtes Bett, wie man sie in deutschen Wirthshäusern findet, ein solches wo man die Wahl hat ob Kopf oder Füße überragen sollen, wurde die Corilla niedergelegt. Zum Unglück fand sich keine Frau in der Baracke, die Wirthin war nach einem sechs Stunden entfernten Wallfahrtsort gegangen und die Magd hatte die Kuh auf die Wiese hinausgetrieben. Ein alter Mann und ein Kind hüteten das Haus und waren mehr erschrocken als erfreut über die Ankunft eines so vornehmen Besuchs. Der Greis war taub und das Kind lief nach dem nächsten Dorf um die Hebamme zu holen, das Dorf war aber nicht weniger als eine Stunde entfernt.

Die Postillione machten sich mehr Sorge um ihre Pferde, die nichts zu fressen hatten, als um ihre Reisende, und diese, der Wartung ihrer Zofe überlassen, welche den Kopf verloren hatte und fast eben so laut als sie selbst jammerte, erfüllte die Luft mit ihrem Geheul, das eher das einer Löwin als eines Weibes zu sein schien.

Consuelo, heftig bewegt von Angst und Mitleid, beschloß, das unglückliche Geschöpf nicht zu verlassen.

– Joseph, sagte sie zu ihrem Kameraden, geh nach der Priorei zurück, auch auf die Gefahr hin, schlecht empfangen zu werden; man muß nicht stolz sein, wenn man für Andere bittet. Sage dem Kanonikus, er solle Leinenzeug, Fleischbrühe, alten Wein, Matratzen, Decken, kurz alles was einer Kranken dienen kann, herschicken. Brauche Güte, Gewalt, versprich ihm, wenn es sein muß, daß wir wieder kommen wollen, um mit ihm zu musiciren, nur daß er dieser Frau Hülfe sende.

Joseph ging und die arme Consuelo wohnte dem empörenden Schauspiel bei, welches ihr ein glauben- und herzloses Weib, mit Lästerungen und Flüchen dem erhabenen Marterthum der Mutterschaft entgegengehend zeigte. Das züchtige und fromme Kind schauderte beim Anblick dieser Qualen, welche durch nichts gemildert wurden, da statt heiliger Freude und seliger Hoffnung nur Zorn, nur Ingrimm Corilla's Herz erfüllte. Sie fluchte unaufhörlich ihrem Schicksal, ihrer Reise, dem Kanonikus und seiner Haushälterin, sogar dem Kinde, das sie zur Welt bringen sollte. Sie behandelte ihre Dienerin wie ein Vieh und machte sie dadurch vollends unfähig, ihr irgend einen Dienst besonnen zu leisten. Endlich ließ sie sich von ihrer Wuth gegen das arme Mädchen so weit hinreißen, daß sie zu ihr sagte:

– O wart', ich werde dich auch so pflegen, wenn es dir ebenso geht wie mir; denn du bist auch schwanger, ich weiß es recht gut und ich werde dich in's Hospital schicken. Fort, aus meinen Augen, du bist mir nur im Wege und bringst mich nur auf.

Die Sofia, außer sich vor Scham und Zorn, ging weinend hinaus und Consuelo, die allein blieb bei der Maitresse Anzoleto's und Zustiniani's, bemühete sich sie zu beruhigen und ihr beizustehen. Mitten unter ihren Schmerzen und ihrem Rasen blieb der Corilla ein gewisser brutaler Muth, eine wilde Kraft, worin sich die ganze Rohheit ihrer unbändigen und harten Natur zeigte. Wenn sie einen Augenblick Ruhe hatte, war sie sogleich wieder gefaßt und sogar lustig.

– Alle Wetter! sagte sie plötzlich zu Consuelo, die sie durchaus nicht erkannte, denn sie hatte sie nie anders als von fern und auf der Bühne in ganz anderen Costümen als dem, welches sie damals trug, gesehen. Ist das ein kurioses Abentheuer! kein Mensch wird es mir glauben, wenn ich erzähle, daß ich in einer solchen Kneipe niedergekommen bin und unter den Händen eines solchen Doctors wie du bist; du siehst mir wie ein kleiner Zingaro aus, mit deinem braunen Gesicht und deinen großen schwarzen Augen. Wie heißt du? Woher bist du? Wie kommst du hierher? Warum bedienst du mich? Ai! ... Antworte nicht, ich kann nicht hören, die Schmerzen sind zu arg. Ai! Misera me! Wenn ich nur nicht sterbe! Nein, nein! ich kann nicht sterben, ich will nicht sterben. Zingaro, du verläßt mich doch nicht? Bleib da, bleib da, laß mich nicht sterben, hörst du?

Ihr Geschrei fing wieder an, mit neuen Lästerungen abwechselnd.

– Verdammtes Kind! schrie sie, könnt' ich dich mir aus der Seite reißen und wegschleudern! –

– O reden Sie nicht so! rief Consuelo starr vor Entsetzen, Sie werden Mutter werden, Sie werden sich glücklich fühlen, Ihr Kind zu erblicken, Sie werden es nicht bedauern, Schmerzen gelitten zu haben.

– Ich! sagte die Corilla mit cynischer Kaltblütigkeit, du glaubst, ich werde dieses Kind lieben? O, irre dich nicht. Ein schönes Vergnügen, Mutter zu werden, als ob ich nicht wüßte, was es ist. Leiden beim Gebähren, sich abarbeiten um diese elenden Würmer zu erhalten, von denen ihre Väter nichts wissen wollen, sie selbst leiden sehen, nicht wissen was mit ihnen anfangen, wieder leiden, daß man sie verlassen muß ... denn im Grunde hat man sie doch lieb ... aber dieses will ich nicht lieb haben. Bei Gott, ich will es nicht lieb haben. Ich will es hassen wie ich seinen Vater hasse! ...

Unter der Kälte und Bitterkeit, womit sie dies sagte, suchte die Corilla ihre wieder wachsende Pein zu verbergen und plötzlich in einem jener Ausbrüche, welche den Frauen ein heftiger Schmerzanfall verursachen kann, schrie sie:

– Verflucht, dreimal verflucht sei der Vater dieses Kindes!

Unartikulirte Schreie erstickten ihre Worte, sie riß das Tuch in Stücke, welches ihren robusten Busen bedeckte, und vor Schmerz und Wuth keuchend und Consuelo's Arm packend, in welchen sie ihre von den Martern zusammengezogenen Nägel eindrückte, heulte sie:

– Verflucht! verflucht! verflucht sei der niederträchtige Anzoleto!

In diesem Augenblick trat die Sofia wieder ein, und eine Viertelstunde später, da es ihr geglückt war ihre Herrin zu entbinden, warf sie auf Consuelo's Schooß den ersten besten Plunder, den sie auf's Geradewohl aus einem in Hast geöffneten Koffer gerissen hatte. Es war ein Theatermantel von Atlas mit Flittern besetzt. In diese improvisirte Windel nahm und wickelte die reine, edle Braut Albert's von Rudolstadt das Kind Anzoleto's und der Corilla.

– Nun, Madame, sein Sie ruhig! sagte die arme Zofe mit schlichter, aufrichtiger Gutmüthigkeit; Sie sind glücklich entbunden und haben ein hübsches kleines Mädchen.

– Mädchen oder Junge! ich bin die Schmerzen los, antwortete Corilla, sich auf ihren Ellbogen stützend, ohne ihr Kind anzusehen; gieb mir ein tüchtiges Glas Wein!

Joseph hatte Wein und vom besten aus der Priorei mitgebracht. Der Kanonikus hatte sein Unrecht wieder gut zu machen gesucht und bald war in reichlichem Maße alles zur Hand, wessen die Kranke bedürfen konnte. Corilla griff mit fester Hand nach dem silbernen Becher, den man ihr reichte und leerte ihn mit der Fertigkeit einer Marketenderin; dann warf sie sich auf die guten Betten, welche der Kanonikus geschickt hatte und schlief mit aller Sorglosigkeit, die ein eiserner Körper und ein Herz von Stein geben können, augenblicklich fest ein.

Während ihres Schlafes wurde das Kind gehörig eingewindelt und gewickelt und Consuelo holte von der nächsten Wiese ein Schaf, welches seine erste Amme ward. Als die Mutter erwachte, ließ sie sich von Sofia aufrichten, trank wieder ein Glas Wein und versank in Gedanken. Consuelo, die das Kind auf ihren Armen hatte, erwartete nun das Erwachen der mütterlichen Zärtlichkeit, aber Corilla hatte ganz andere Dinge im Kopfe. Sie intonirte ein tiefes C und lief eine Tonleiter von zwei Oktaven hinauf. Dann klatschte sie in die Hände und rief sich selber zu:

– Brava Corilla! du hast nichts an der Stimme verloren, kannst Kinder gebähren, so viel du willst.

Dann brach sie in ein lautes Gelächter aus, umarmte die Sofia und steckte ihr einen Diamantring an den Finger, den sie von dem ihrigen abzog, während sie sagte:

– Um mein Schimpfen von vorhin wieder gut zu machen! Wo ist denn mein kleiner Affe? Ach, mein Gott, rief sie, das Kind betrachtend, es ist blond, es sieht ihm ähnlich. Desto schlimmer! Wehe ihm! Reiß' doch nicht so viele Koffer auf, Sofia! Was bildest du dir ein? Glaubst du denn, daß ich Lust habe hier zu bleiben? Warum nicht gar! Du bist eine Närrin, du weißt noch nicht was Leben heißt. Morgen denke ich weiter zu fahren. Zingaro, du hältst ja das Kind wie eine wahre Frau. Was soll ich dir für deine Pflege und Mühe geben? Weißt du, Sofia, daß ich nie in meinem Leben besser gewartet und bedient worden bin? Du bist doch aus Venedig, Freund? Hast du mich einmal singen hören?

Consuelo beantwortete diese Frage nicht, deren Beantwortung auch gar nicht erwartet wurde. Sie übergab das Kind der Magd des Hauses, welche inzwischen angekommen war und ihr eine gute Person zu sein schien, dann rief sie Joseph und ging mit ihm wieder nach der Priorei.

– Ich habe nicht versprechen wollen, sagte unterwegs ihr Gefährte zu ihr, Sie wieder zu dem Kanonikus zu führen. Er schien sich seines Betragens zu schämen, obschon er es verhehlte und sehr heiter und freundlich that. Trotz seines Egoismus ist er doch kein schlechter Mensch. Es hat ihm wirklich Freude gemacht, der Corilla alles zu schicken was ihr nützlich sein konnte.

– Es giebt so harte, so häßliche Seelen, antwortete Consuelo, daß uns die schwachen eher Mitleid als Abscheu einflößen müssen. Ich will meine Ereiferung gegen den armen Kanonikus wieder gut machen, und da die Corilla nicht gestorben ist, da, wie sie sagen, Mutter und Kind sich wohl befinden, da unser Kanonikus so viel dazu beigetragen hat, als er thun zu dürfen glaubte, ohne sein liebes Benefiz aufs Spiel zu setzen, so will ich ihm danken. Ich habe auch noch einen andern Grund, auf der Priorei zu bleiben, bis die Corilla abgereist sein wird, den ich dir morgen sagen werde.

Brigitte war nach einer benachbarten Meierei gegangen und Consuelo, die darauf gefaßt war, diesem Cerberus die Stirn zu bieten, hatte die Freude, von dem sanftlächelnden und zuvorkommenden Andreas empfangen zu werden.

– Gut, daß Sie kommen, nur herein, meine jungen Freunde! rief er ihnen zu, indem er ihnen die Treppenthür zu den Gemächern seines Herrn öffnete, der Herr Kanonikus ist schrecklich melancholisch. Er hat fast nichts zum Frühstück genossen und ist dreimal von seiner Mittagsruhe aufgestanden. Er hat heute zwei große Herzkränkungen erfahren, erstlich hat er seine schönste Volkameria verloren und zweitens die Hoffnung, Musik zu hören. Zum Glück sind Sie wieder da und er wird nun doch einen Kummer weniger haben.

– Macht er sich über seinen Herrn oder über uns lustig? sagte Consuelo zu Joseph.

– Wie man es nehmen will, antwortete Haydn ... Nun, wenn der Kanonikus uns nicht böse ist, so werden wir einen ergötzlichen Tag haben.

Der Kanonikus war weit entfernt böse zu sein, er empfing sie mit offenen Armen, nöthigte ihnen Frühstück auf und setzte sich dann mit ihnen an's Klavier. Consuelo führte ihn in das Verständniß der bewundernswürdigen Präludien Sebastian Bach's ein, und um ihn vollends guter Laune zu machen, sang sie ihm die schönsten Arien ihres Repertoirs vor, ohne ihre Stimme zu verstellen und sich eben viel Besorgniß zu machen, daß er ihr Geschlecht und Alter errathen möchte. Der Kanonikus wollte nun einmal durchaus nichts merken und gab sich ganz in aller Unbefangenheit dem Genusse dessen, was er hörte, hin. Er war ein wirklich leidenschaftlicher Musikliebhaber und sein Entzücken kam so aus dem vollsten Herzen, daß Consuelo nur davon gerührt sein konnte.

– Ach, du liebes Kind, du edles, glückliches Kind, rief der gute Mann mit Thränen in den Augen, du machst diesen Tag zu dem schönsten meines Lebens. Aber wie soll das künftig mit mir werden? Nein, ich werde die Entbehrung eines solchen Genusses nicht aushalten können, die Langeweile wird mich umbringen. Ich werde gar nicht mehr musiciren mögen, ich werde das Herz voll von einem Ideale haben, das mir alles verleiden wird. Nichts wird mir mehr lieb sein, selbst nicht meine Blumen ...

– Das wäre sehr Unrecht, Herr Kanonikus, antwortete Consuelo, Ihre Blumen können besser singen als ich.

– Wie? meine Blumen singen? Nun, das habe ich noch nicht gehört.

– Ja, weil Sie noch nicht gehorcht haben. Ich aber habe sie diesen Morgen gehört, ich habe ihre Geheimnisse belauscht und habe ihre Melodien verstanden.

– Du bist ein sonderbares Kind, ein geniales Kind! rief der Kanonikus, Consuelo's braunes Haar mit väterlicher Vertraulichkeit streichelnd; du trägst den Bettelstab und solltest im Triumphe getragen werden. Aber wer bist du, sage, wo hast du alles gelernt was du kannst?

– Zufall, Herr Kanonikus, Natur!

– O, du willst mich zum Besten haben, sagte schalkhaft der Kanonikus, der immer einen Spaß machen mußte, du bist sicher ein Söhnchen vom Caffarielli oder Farinelli. Aber hört, Kinder, fuhr er ernst und mit Lebhaftigkeit fort, ihr sollt mich nicht mehr verlassen. Ich will für euch sorgen, bleibt bei mir! Ich bin wohlhabend, ich will euch dazu machen. Ich will euch sein was Gravina dem Metastasio war. Das soll mein Glück, mein Stolz sein. Lebt bei mir, es wird nur nöthig sein, die niederen Weihen zu nehmen. Ich verschaffe euch ein hübsches Benefiz und nach meinem Tode sollt ihr einen erträglichen Sparpfennig vorfinden, den ich gar nicht Lust habe, dieser Harpye Brigitte zu hinterlassen.

Als der Kanonikus eben diese Worte sprach, trat Brigitte eilfertig ein und hörte noch die letzten Worte.

– Und ich, schrie sie mit kreischender Stimme und mit Thränen der Wuth in den Augen, ich habe keine Lust, Ihnen länger zu dienen. Ich habe lange genug meine jungen Jahre und meinen guten Ruf einem undankbaren Herrn geopfert.

– Deinen guten Ruf? deine jungen Jahre? unterbrach sie der Kanonikus spottend, ohne aus seiner Fassung zu kommen. Ei, du schmeichelst dir, gute Alte! Die letzteren schützen bei dir schon den erstern.

– Ja, spotten Sie nur, versetzte sie, aber machen Sie sich gefaßt, mich nicht wieder zu sehen. Ich verlasse auf der Stelle dieses Haus, in das ich keine Ordnung und keinen Anstand bringen kann. Ich habe Sie abhalten wollen, Thorheiten zu begehen, Ihr Gut zu verschleudern, Ihre Würde wegzuwerfen, aber ich sehe, es ist alles umsonst. Ihr schwacher Character und Ihr böser Stern treiben Sie in's Verderben und die ersten besten Marktschreier, die Ihnen in die Hände fallen, verdrehen Ihnen den Kopf so, daß Sie sich von ihnen ausziehen lassen. Gut, ganz gut, der Kanonikus Herbert hat mich schon lange in Dienst nehmen wollen und hat mir bessere Vortheile angeboten als ich bei Ihnen habe. Ich habe alles satt was ich hier sehe. Berechnen Sie mir meinen Lohn. Ich will keine Nacht mehr unter diesem Dache zubringen.

– Sind wir so weit? sagte der Kanonikus ruhig. Nun, Brigitte, du thust mir einen großen Gefallen und ich wünsche, daß es dich nicht gereuen möge. Ich habe noch Niemanden weggejagt und ich glaube, wenn ich den Teufel in meinem Dienste hätte, so würde ich ihn nicht aus dem Hause weisen, so weichmüthig bin ich nun einmal; wenn aber der Teufel von selbst gehen will, ei, so wünsch' ich ihm glückliche Reise und singe hinter ihm her Magnificat. Geh, schnüre dein Bündel, Brigitta, und was den Lohn betrifft, mein Kind, so mach deine Rechnung selbst.

– Ach, Herr Kanonikus, sagte Haydn, den dieser häusliche Auftritt bewegte, es wird Ihnen leid werden, wenn Sie eine alte Dienerin gehen lassen, die Attachement für Sie zu haben scheint ...

– Attachement für mein Einkommen, ja! antwortete der Kanonikus, und leid ist es mir nur um den guten Kaffee, den sie machen kann.

– Sie werden sich schon daran gewöhnen, ohne ihren Kaffee fertig zu werden, sagte die strenggesinnte Consuelo mit Festigkeit, und es wird so ganz gut sein. Schweig', Joseph, und rede nicht zu ihren Gunsten. Ich will es in ihrer Gegenwart sagen, weil es die Wahrheit ist. Sie hat ein schlechtes Herz und bringt ihren Herrn in Schaden. Er, er ist gutmüthig, er ist von Natur mildthätig und wohlwollend. Aber diese Frau macht ihn selbstsüchtig. Sie unterdrückt die guten Regungen seines Herzens, und wenn er sie behält, so wird er zuletzt noch so hart und unmenschlich werden wie sie.

Verzeihen Sie mir, Herr Kanonikus, daß ich so rede. Sie haben mich so viel singen lassen, und mich durch Ihr Feuer so in Feuer gesetzt, daß ich vielleicht ein wenig außer mir bin. Wenn ich mich in einer Art Rausch befinde, so ist es Ihre eigene Schuld, aber sein Sie überzeugt, daß aus solchem Rausche die Wahrheit spricht, denn er ist edler Art und weckt in uns das Beste was in uns ist; er lockt uns das Herz auf die Zunge und ich rede in diesem Augenblick aus vollem Herzen. Bei größerer Ruhe werde ich ehrerbietiger sein, wiewohl nicht minder aufrichtig.

Glauben Sie mir, ich verlange von Ihrem Vermögen nichts, ich bin nicht lüstern danach, ich brauche es nicht. Ich dürfte nur wollen, und ich würde mehr als Sie besitzen. Das Künstlerleben ist so wechselreich, daß Sie vielleicht mich überleben. Ich setze Sie vielleicht noch in mein Testament, aus Dankbarkeit dafür, daß Sie das Ihrige zu meinen Gunsten machen wollten. Morgen scheiden wir, um nicht wiederzukehren, aber wir scheiden mit einem Herzen voll Freude, Achtung, Erkenntlichkeit, wenn Sie Madame Brigitte entlassen, die ich wegen meiner Denkungsart um Verzeihung bitte.

Consuelo redete mit so vielem Feuer und die edle Offenheit ihres Characters sprach so lebendig aus allen ihren Zügen, daß der Kanonikus wie vom Blitze gerührt war.

– Geh, Brigitte! sagte er zu seiner Haushälterin mit Würde und Festigkeit. Aus dem Munde der Kinder redet die Wahrheit und dieses Kind hat in seinem Geiste etwas Großes. Geh, denn du hast mich diesen Morgen zu einer schlechten Handlung verleitet, und würdest mich zu anderen verleiten, weil ich schwach und manchmal furchtsam bin. Geh, weil du mich unglücklich machst, und das nicht zu deinem ewigen Heile dienen kann. Geh, setzte er lächelnd hinzu, weil du anfängst, den Kaffee zu stark zu brennen und jeden Creme, in den du deine Nase steckst, zu verderben.

Dieser letzte Vorwurf war für Brigitte bei weitem der kränkendste von allen. Ihr am empfindlichsten Orte verletzter Stolz verschloß ihr ganz und gar den Mund. Sie richtete sich auf, warf einen mitleidigen, fast verächtlichen Blick auf den Kanonikus und ging mit theatralischem Anstand aus dem Zimmer. Zwei Stunden darauf verließ diese entthronte Königin die Priorei, die sie noch einigermaßen geplündert hatte. Der Kanonikus wollte es nicht bemerken und an der Freude, die sich auf seinem Gesichte verbreitete, erkannte Haydn, daß Consuelo ihm einen wahren Dienst geleistet hatte.

Die letztere machte ihm nach Tische, um ihm, nicht die geringste Ursach zur Reue zu lassen, Kaffee auf venetianische Art, welche in der ganzen Welt die beste Art ist. Andreas studirte unter ihrer Anleitung das Verfahren und der Kanonikus that den Ausspruch, daß er nie in seinem Leben eine bessere Tasse Kaffee getrunken hätte.

Den Abend wurde noch musicirt, nachdem man über Corilla's Befinden Erkundigung eingezogen: diese, lautete der Bericht, säße schon auf dem Lehnstuhl, den ihr der Kanonikus geschickt hatte. Es war ein prächtiger Abend und ein Spaziergang im Garten wurde im Mondschein gemacht. Der Kanonikus, auf Consuelo's Arm gestützt, ließ nicht nach mit Bitten, daß sie die unteren Weihen nehmen und als sein Adoptivsohn zu ihm ziehen möchte.

– Hüten Sie sich, sagte Joseph zu ihr als sie sich mit einander entfernten, der gute Kanonikus verliebt sich ganz ernstlich in Sie.

– Auf der Reise, entgegnete sie, kann mich nichts unruhig machen. Ich werde ebensowenig Abbé werden als ich Trompeter geworden bin. Herr Meyer, Graf Hoditz, der Kanonikus, sie haben alle ihre Rechnung ohne den Wirth gemacht.

6.

Consuelo wünschte indessen Joseph gute Nacht und zog sich in ihr Zimmer zurück, ohne ihm, wie er erwartete, das Zeichen zum Aufbruch mit der nächsten Morgenröthe gegeben zu haben. Sie hatte ihre Gründe, die Abreise nicht zu beeilen und Joseph erwartete deren Mittheilung, einstweilen froh und glücklich, noch einige Stunden mehr mit ihr in diesem allerliebsten Hause zuzubringen und dieses behagliche Kanonikusleben fortzusetzen, das ihm gar nicht mißfiel.

Consuelo verstattete sich diesmal in den Tag hinein zu schlafen und erschien erst bei dem zweiten Frühstück des Kanonikus. Dieser hatte die Gewohnheit früh aufzustehen, etwas Angenehmes und Leichtes zu sich zu nehmen, einen Gang durch seinen Garten und seine Glashäuser zu machen, um mit dem Brevier in der Hand nach seinen Blumen zu sehen, und dann bis zum Gabelfrühstück noch ein Schläfchen abzuhalten.

– Unsere Nachbarin, die Reisende, befindet sich wohl, sagte er seinen jungen Gästen, als sie sich bei ihm einfanden. Ich habe ihr durch Andreas Frühstück hintragen lassen. Sie hat mir für meine Aufmerksamkeiten vielmals danken lassen, und da sie sich anschickt, nach Wien zu fahren, gegen alle Klugheit, gestehe ich, so läßt sie euch bitten sie zu besuchen, damit sie sich euch für den menschenfreundlichen Eifer, den ihr ihr bewiesen habt, erkenntlich zeigen könne. Also, Kinderchen, frühstückt schnell und geht zu ihr; sie wird euch ohne Zweifel artig beschenken wollen.

– Wir werden so langsam frühstücken, als es Ihnen genehm ist, Herr Kanonikus, antwortete Consuelo, und die Kranke gedenken wir nicht zu besuchen; sie bedarf unserer nicht mehr und wir bedürfen ihrer Geschenke nicht.

– Sonderbares Kind! sagte der Kanonikus verwundert. Deine romanhafte Uneigennützigkeit, deine enthusiastische Großmuth gewinnt mein Herz so, daß ich wohl fühle, ich werde mich nie mehr von dir trennen können ...

Consuelo lächelte und man setzte sich zu Tisch. Das Mahl war auserlesen und dauerte wohl zwei Stunden; aber zum Dessert gab es etwas anderes als der Kanonikus erwartet hatte.

– Hochwürden, sagte Andreas, der an der Thür erschien, die Mutter Bertha, die Wirthin aus dem Kruge, ist da, und bringt Ihnen einen großen Korb von Seiten der Wöchnerin.

– Es wird mein Silberzeug sein, das ich ihr geliehen habe, antwortete der Kanonikus, geh, mein Sohn Andreas, nimm es in Empfang, das ist deine Sache. Also reist sie unwiderruflich ab, die Dame?

– Sie ist schon abgereist, Hochwürden!

– Schon? Welche Thorheit! Sie will sich offenbar tödten, das Teufelsweib!

– O nein, Herr Kanonikus, sagte Consuelo, sie will sich nicht tödten und wird sich nicht tödten.

– Nun Andreas, was steht Er da? was sind das für Ceremonien?

– Hochwürden, die Mutter Bertha will mir den Korb nicht überliefern, sie sagt, sie könne ihn nur Ihnen selbst geben und habe etwas mit Ihnen zu reden.

– So ist das wohl eine übertriebene Gewissenhaftigkeit wegen anvertrauten Gutes. Laß Er sie herein, daß ein Ende werde!

Die alte Frau trat ein und nach einigen tiefen Verbeugungen setzte sie einen großen verdeckten Korb auf den Tisch. Consuelo fühlte geschwind an das Tuch, welches auf dem Korbe lag, während der Kanonikus sich nach Frau Bertha umwendete, und nachdem sie das Tuch ein wenig aufgehoben und wieder niedergelassen hatte, sagte sie leise zu Joseph:

– Das habe ich mir gedacht und deshalb bin ich hier geblieben. O gewiß, ich wußte es, daß die Corilla so handeln würde.

Joseph, der nicht Zeit gehabt hatte mit in den Korb zu schauen, sah seine Gefährtin mit verwundeter Miene an.

– Nicht, Mutter Bertha, Ihr bringt mir die Sachen zurück, die ich Euerem Gaste geliehen habe? sagte der Kanonikus zu der Alten. Schongut, schon gut. Ich war nicht in Sorgen darum, und ich brauche nicht erst nachzusehen, ich bin gewiß, daß nichts fehlt.

– Hochwürden, die Sachen hat meine Magd alle hergetragen und Ihren Officianten zugezählt, entgegnete die Alte. Nein, fehlen thut nichts, darüber bin ich halt ganz ruhig. Aber den Korb hab ich schwören müssen, Ihnen selber in die Hände zu liefern, Sie wissen schon was darin ist.

– Soll man mich hängen, wenn ich es weiß, sagte der Kanonikus, indem er nachlässig die Hand nach dem Korbe ausstreckte.

Aber seine Hand blieb starr stehen wie vom Schlag gerührt und sein Mund weit offen vor Staunen, als die Decke sich plötzlich rührte und, wie von selbst geöffnet, ein kleines, niedliches, rosenrothes Kinderhändchen herausließ, welches eine undeutliche Bewegung machte, als ob es nach dem Finger des Kanonikus zu greifen suchte.

– Ja, Hochwürden! sing die Alte mit einem zuversichtlichen und zufriedenen Lächeln wieder an, da ist sie, gesund und frisch, sehr hübsches Ding, recht munter und lebenslustig.

Der Kanonikus war sprachlos vor Erstaunen, und die Alte fuhr fort:

– Maria und Joseph! Ew. Hochwürden haben sie der Mutter abverlangt, um sie aufzuziehen und als Kind anzunehmen. Die arme Dame hat sich nicht leicht dazu entschlossen, aber endlich haben wir ihr alle gesagt, daß ihr Kind doch nicht in besseren Händen sein könnt, und da hat sie es dem lieben Herrgott anbefohlen und hat es uns zugestellt, um es her zu Ihnen zu tragen, und wie sie in die Kutsche gestiegen ist, hat sie noch gesagt: Sagt dem würdigen Kanonikus, dem heiligen Manne, ich werd seinen mildherzigen Eifer nicht lang mißbrauchen. Ich werde bald wieder kommen und mein Madel abholen und ihm die Kosten, die er aufwenden wird, wiedererstatten. Da er sich durchaus die Last machen will, eine gute Amme zu verschaffen, so stellet ihm von meinetwegen diese Börse zu, halb für die Amme und halb für den kleinen Musikanten der mich gestern so gut gewartet hat, wenn er noch da ist. Das hat sie gesagt. Und mich hat sie auch bezahlt, Hochwürden, ich verlange nichts weiter für meine Mühe und bin ganz zufrieden.

– Nun ja! Ihr seid zufrieden! rief der Kanonikus in einem tragikomischen Tone. Sehr gut, das freut mich von Herzen. Aber thut mir den Gefallen, und nehmt diesen Beutel und diese kleine Meerkatze wieder mit. Wendet das Geld an, ziehet das Kind auf, mich geht der Handel nichts an.

– Das Kind ausziehen? Ich? O, hat sich wohl! Hochwürden, ich bin zu alt, um mich damit zu befassen. Das schreit die ganze Nacht, und mein armer Alter, taub ist er zwar, aber er wird sich solche Gesellschaft doch verbitten.

– Und ich also! ich soll mich damit befassen? Großen Dank! Ah, darauf habt ihr euch Rechnung gemacht?

– Weil doch Hochwürden das Kind der Mutter abverlangt haben.

– Ich abverlangt? Wer zum Teufel hat das gesagt?

– Weil aber doch Hochwürden heut Morgen geschrieben haben.

– Ich geschrieben? Wo ist der Brief, wenn's Euch beliebt? Zeigt einmal den Brief her!

– O heil'ge Mutter Gottes, den Brief hab' ich halt nicht gesehen. Bei uns kann auch Keins lesen. Aber weil Herr Andreas heut morgen gekommen ist und hat der Wöchnerin ein Compliment von Ew. Hochwürden gebracht, hat sie uns gesagt, er hat einen Brief mitgehabt. Wir haben es halt geglaubt, wir sind einfältige Leute, wer hätt's nicht glauben sollen?

– Das ist ja eine schändliche Lüge, das ist ja ein wahrer Zigeunerstreich! rief der Kanonikus, und Ihr steckt unter einer Decke mit der Hexe. Macht, daß Ihr fortkommt, schafft mir den Fratzen hinweg, gebt ihn seiner Mutter zurück, behaltet ihn, macht was Ihr wollt, ich wasche meine Hände. Wenn Ihr mir damit Geld ablocken wollt, gut, ich will geben. Ich versage nie kein Almosen, auch keinem Schelmen und Ränkemacher nicht, denn das ist die einzige Art, das Gesindel los zu werden. Aber ein Kind in mein Haus nehmen, o, ich küß die Hand. Geht alle zum Teufel!

– O was das anbelangt, antwortete die Alte mit sehr festem Tone, das werd' ich nicht thun, mit Ew. Hochwürden Vergunst. Ich hab' mich nicht dazu verstanden, das Kind über mich zu nehmen. Ich weiß wie solche Sachen gehen. Zuerst geben sie ein Bissel blankes Gold und versprechen goldene Berge, und dann ist keine Red' weiter davon und man hat das Kind auf dem Hals. Und es wird nie nichts aus solchen Kindern, sie sind schon von Natur nichtsnutzig und übermüthig. Man weiß nicht was man aus ihnen machen soll. Wenn es Buben sind, so werden sie Spitzbuben, wenn es Madel sind, noch etwas schlimmeres. Nein, bei Gott, wir wollen nichts von dem Kind wissen, ich nicht und mein Alter nicht. Die Mutter hat uns gesagt, Ew. Hochwürden haben das Kind verlangt, wir haben's geglaubt, da ist es. Da ist das Geld, wir sind quitt. Unter einer Decke stecken? wir verstehen uns nicht auf solche Streich, und ich bitt' deswegen Ew. Hochwürden um Verlaub, Ew. Hochwürden spaßen, wenn Sie sagen, daß wir Sie anführen wollen. Ich küß' Ew. Hochwürden die Hand und geh nach Haus. Es sind Pilger da, die vom Gelübd' heimkommen und sind sehr verdurstet, weiß Gott.

Die Alte machte mehre Knixe und ging; dann kam sie noch einmal zurück und sagte:

– Ich hätt' bald vergessen: das Kind soll Angelika heißen, auf Italienisch, oder so. Ich weiß meiner Seel nicht mehr, wie sie es mir gesagt haben.

– Angiolina, Anzoleta? sagte Consuelo. – Ja, ja, so ist's gewesen, sagte die Alte, knixte noch einmal und ging in größter Ruhe hinaus.

– Nun, wie findet ihr diesen Streich? sagte der Kanonikus ganz verdutzt zu seinen Gästen.

– Ich finde ihn deren würdig, die ihn ausgedacht hat, sagte Consuelo, indem sie das Kind,. welches ungeduldig zu werden anfing, aus dem Korbe nahm und ihm von einem Restchen Milch, welches in der japanischen Tasse des Kanonikus zurückgeblieben und noch lauwarm war, behutsam ein Paar Löffelchen einflößte.

– Ist denn diese Corilla ein höllischer Geist? sagte der Kanonikus; kennt ihr sie?

– Ich kannte sie nur dem Rufe nach, jetzt aber kenn' ich sie durch und durch, und Sie kennen sie, denk' ich, auch, Herr Kanonikus!

– Es wär' mir eben so lieb gewesen, sie nicht zu kennen. Was wollen wir aber mit dem armen verlassenen Kinde anfangen? setzte er hinzu, es mitleidig betrachtend.

– Ich will es, sagte Consuelo, zu der Frau Ihres Gärtners tragen, die, wie ich gestern sah, einen derben Buben von fünf oder sechs Monaten nährt.

– Ja, recht! sagte der Kanonikus, oder schellet lieber, sie soll kommen und es hier in Empfang nehmen. Sie wird uns eine Amme auf irgend einem Gute in der Nähe nachweisen können ... nicht gar zu sehr in der Nähe, denn es kann einem geistlichen Mann Gott weiß wie schaden, wenn man sieht, daß er die geringste Theilnahme für ein Kind zeigt, das in seinem Hause so aus den Wolken füllt.

– An Ihrer Stelle, Herr Kanonikus, würde ich mich über diese Jämmerlichkeiten hinaussetzen. Ich würde an die abgeschmackten Folgerungen verleumderischer Menschen weder zum Voraus denken, noch sie beachten. Ich würde mich mitten unter dem dummen Geklätsch so verhalten, als ob es nicht da wäre, würde so handeln, als ob es unmöglich wäre. Was nützte denn ein Leben voll Weisheit und Würde, wenn es Einem nicht die Ruhe des Gewissens und die Freiheit Gutes zu thun sicherte! Sehen Sie, dieses Kind ist Ihnen anvertraut, mein ehrwürdiger Herr! Wenn es fern von Ihrer Aufsicht schlecht gehalten wird, wenn es hinsiecht, stirbt, so werden Sie sich ewig einen Vorwurf daraus machen.

– Was sagst du da? Dieses Kind wäre mir anvertraut? Habe ich denn das Depositum angenommen? Sollen uns die Launen oder Spitzbübereien Anderer solche Pflichten auferlegen können? Nein, mein Kind, du siehst die Sache überspannt an und redest ohne Bedacht.

– Nein, Herr Kanonikus, entgegnete Consuelo sich immer mehr erwärmend, ich rede nicht ohne Bedacht. Die schlechte Mutter, die hier ihr Kind verläßt, hat allerdings kein Recht und kann Ihnen nichts auferlegen. Aber Der, welcher das Recht hat über uns zu gebieten, Der, welcher über das Schicksal des Neugeborenen verfügt, Der, dem Sie ewig verantwortlich sein werden, ist Gott. Ja, Gott ist es, der in seiner Weisheit dieses Kind mit besonderem Erbarmen angesehen hat, indem er seiner Mutter den kecken Gedanken eingab, es Ihnen anzuvertrauen. Er ist es, der durch eine merkwürdige Verflechtung von Umständen es wider Ihren Willen in Ihr Haus führt und es aller Ihrer Behutsamkeit zum Trotze Ihnen in die Arme wirft.

Ach, Herr Kanonikus; denken Sie an das Beispiel des heiligen Vincent de Paola, der umherging und auf den Stufen der Häuser die armen verlassenen Waisen auflas, und verstoßen Sie dieses nicht, das die Vorsehung Ihnen in den Schooß legt. Ich glaube, wenn Sie das thäten, so würde es Ihnen Unglück bringen, und die Welt, die ein gewisses inneres Gerechtigkeitsgefühl bat, selbst in ihrer Bosheit, würde mit einem Schein von Wahrheit sagen, daß Sie wohl Ihre Gründe gehabt hätten, das Kind zu entfernen. Während man, wenn Sie es behalten, Ihnen keine andern Beweggründe unterlegen kann als die wahren: Ihr Mitleid und Ihre Menschenliebe.

– Du kennst die Welt nicht, sagte der Kanonikus, der schon wankend wurde; du bist ein Naturkind voll Geradsinn und Tugendhaftigkeit. Vorzüglich aber kennst du den Clerus nicht, und Brigitte, die böse Brigitte wußte wohl was sie gestern sagte, als sie mancher Personen gedachte, die auf meine Stellung eifersüchtig sind und mich nur gar zu gern darum bringen möchten. Ich verdanke meine Beneficien der Protection Seiner Hochseligen Majestät des Kaisers Karl, der sie mir zuzuwenden geruhte. Ihre Majestät die Kaiserin Maria Theresia hat mich ebenfalls protegirt, und mir dazu verholfen, daß ich vor dem erforderlichen Alter Jubilar geworden bin.

Nun sieh, was wir von der Kirche zu haben vermeinen, ist uns nie unwiderruflich gewiß. Ueber uns, über unseren Souverainen, die uns begünstigen, haben wir noch einen Herrn, nämlich die Kirche. Wie sie uns für fähig erklärt, sobald es ihr genehm ist, auch wenn wir es nicht sind, so erklärt sie uns für unfähig, sobald es ihr beliebt, auch wenn wir ihr die größten Dienste geleistet haben. Der Ordinarius, nämlich unser Diöcesanbischof und sein Rath können uns, wenn sie gegen uns eingenommen werden, den Prozeß machen, uns vor ihren Stuhl laden, uns richten, und uns unter dem Vorwande schlechter Aufführung, unregelmäßigen Lebens, anstößigen Wandels absetzen, um die Gaben die sie sich zu unseren Gunsten entreißen ließen auf andere Kreaturen zu übertragen.

Der Himmel ist mein Zeuge, daß mein Leben so rein ist wie das eines gestern gebornen Kindes. Doch seht, ohne die äußerste Vorsicht in meinem ganzen Thun und Lassen würde ich mit aller meiner Tugend boshaften Auslegungen nicht entgehen. Ich habe den Prälaten nie sonderlich den Hof gemacht, meine Indolenz, vielleicht auch ein wenig mein Geburtsstolz haben es nicht zugelassen. Ich habe Neider im Kapitel ...

– Sie haben aber Maria Theresia für sich, die eine große Seele, eine edle Frau, eine zärtliche Mutter ist, antwortete Consuelo. Wenn sie zugegen wäre, und ihr Urtheil abgeben sollte, wenn Sie ihr dann sagten mit dem Ton und Ausdruck der Wahrheit, so wie ihn die Wahrheit allein erzeugen kann: »Königin, ich habe einen Augenblick geschwankt zwischen der Furcht meinen Feinden Waffen gegen mich in die Hände zu geben und dem Bedürfniß, die vornehmste Tugend meines Standes, Mildthätigkeit zu üben; ich habe vor mir gesehen auf der einen Seite Verleumdungen, Ränke, denen ich wohl erliegen konnte, auf der andern ein armes von Gott und Menschen verlassenes Wesen, welches keine Zuflucht als mein Mitleid, keine Zukunft als meine Hülfe hatte, und ich habe mich dafür entschieden, meinen Ruf, meine Ruhe, mein Einkommen zu wagen, um ein Liebeswerk zu thun« – o, ich zweifle nicht, wenn Sie so zu ihr redeten, daß Maria Theresia, die alles vermag, Ihnen für eine Priorei einen Pallast, für ein Kanonikat ein Bisthum geben würde. Hat sie nicht den Abt Metastasio mit Ehren und Schätzen überhäuft, blos weil er Verse gemacht hat? Was würde sie nicht für die Tugend thun, wenn sie das Talent so belohnt? Nein, hochwürdiger Herr, Sie werden die arme Angiolina in Ihrem Hause behalten, Ihre Gärtnerin wird sie nähren, und später werden Sie sie in Gottesfurcht und Tugend auferziehn. Ihre Mutter hätte aus ihr einen Geist für die Hölle gemacht und Sie werden aus ihr einen Engel für den Himmel machen.

– Du machst aus mir was du willst, sagte der Kanonikus bewegt und gerührt, indem er es zuließ, daß sein Liebling ihm das Kind auf seine Kniee legte; gut, wir wollen Angelika morgen früh taufen, du sollst ihr Pathe sein ... Wenn Brigitte noch hier wäre, so müßte sie mit Gewalt deine Gevatterin sein, und ihre Wuth würde uns Spaß genug machen. Schelle nur, daß man uns die Amme rufe, und geht alles nach Gottes Willen! Mit dem Beutel, den die Corilla zurückgelassen hat (siehe da, funfzig venetianische Zechinen!) können wir nichts anfangen. Ich nehme den Unterhalt des Kindes für jetzt und, wenn es nicht zurückgefordert wird, für die Zukunft auf mich. Nimm du das Geld, es gebührt dir für die seltene Tugend und das edle Herz, wovon du in dieser ganzen Sache Beweise gegeben hast.

– Gold für meine Tugend und für mein gutes Herz? rief Consuelo, indem sie die Börse mit Abscheu zurückstieß Und das Gold der Corilla! Der Preis der Falschheit, vielleicht der Prostitution ! Ach, Herr Kanonikus, das besudelt selbst die Augen, die es sehen. Vertheilen Sie es an Arme, das wird unserer armen Angelika Glück bringen.

7.

Vielleicht zum ersten Male in seinem Leben konnte der Kanonikus nicht schlafen. Er war in einer seltsamen Gemüthsbewegung. Sein Kopf war voll von Akkorden, Melodien, Modulationen, die kein leichter Schlummer jeden Augenblick abbrach und die er in den wachen Zwischenräumen unwillkürlich, ja mit einer Art Widerstreben wieder zu erhaschen und zu verknüpfen suchte, ohne daß er damit zu Stande kam. Er hatte die auffallendsten Melodien aus den Stücken, die ihm Consuelo vorgesungen hatte, auswendig behalten, er hörte sie noch in seinem Kopfe wiederklingen, und dann plötzlich riß in seinem Gedächtniß der Faden des musikalischen Gedankens gerade bei der schönsten Stelle ab und er fing ihn im Stillen hundertmal von vorn an, ohne es um eine Note weiter zu bringen. Umsonst bemühte er sich, ermüdet von diesem eingebildeten Hören, ihn los zu werden, er kehrte immer wieder in sein Ohr zurück und es war ihm als ob ein sinnlicher Wiederschein davon im Takt über den rothen Atlas seiner Vorhänge gaukelte. Selbst das leise Geknister der im Kamin verglimmenden Holzscheite schien diese verwünschten Melodien singen zu wollen, deren Ende der abgespannten Einbildungskraft des Kanonikus wie ein unlösbares Räthsel vorschwebte. Hätte er eine derselben ganz finden können, so würde er sich, wie ihm däuchte, von dieser Gefangenschaft in Reminiscenzen befreit haben. Das musikalische Gedächtnis ist so beschaffen, daß es uns so lange verfolgt und peinigt bis wir es mit dem wonach es verlangt und womit es sich abquält, gesättigt haben.

Die Musik hatte auf den Kanonikus noch nie einen ähnlichen Eindruck gemacht, obwohl er immer ein ausgezeichneter Dilettant gewesen war. Nie hatte eine menschliche, Stimme so wie Consuelo's Stimme sein Herz erschüttert. Noch keines Menschen Antlitz, Sprache, Geberde hatte einen solchen unvergleichlichen Zauber auf sein Gemüth ausgeübt, wie seit sechs und dreißig Stunden die Züge, das Benehmen, die Rede Consuelo's. –

Ahnte der Kanonikus des vorgeblichen Bertoni Geschlecht, oder errieth er nichts davon? Ja und nein. Wie soll ich das erklären? Man muß wissen, daß der Kanonikus in seinem funfzigsten Jahre noch von Sinn so keusch als von Sitten war und von Sitten so rein wie ein junges Mädchen. Er war in dieser Hinsicht ein heiliger Mann, unser Kanonikus; so war er immer gewesen, und was das Merkwürdigste ist, ihm, dem Sohne des sinnlichsten und ausschweifendsten Königs, dessen die Geschichte gedenkt, hatte es fast keine Anstrengung gekostet, sein Keuschheitsgelübde zu halten.

Er war mit einem phlegmatischen oder wie jetzt (in Frankreich) zu sagen Mode ist, lymphatischen Temperamente geboren, er war ganz in dem Gedanken seines Kanonikats ausgezogen, er hatte immer die Bequemlichkeit und das Wohlbehagen so geliebt, er war so wenig für die inneren Kämpfe gemacht, welche die thierischen Leidenschaften gegen den geistlichen Ehrgeiz erregen, kurz er war so genuß- und ruheliebend, daß es der erste und einzige Grundsatz seines Lebens war, dem ungestörten Besitz eines Beneficiums alles zu opfern, wie es sich auch nennen mochte, Liebe, Freundschaft, Eitelkeit, Begeisterung, selbst Tugend, wenn es hätte sein müssen.

Er hatte sich frühzeitig darauf vorbereitet und viele Jahre hindurch gewöhnt, allem was ihn reizen mochte, ohne Kampf und fast ohne Bedauern zu entsagen. Dieser furchtbaren Lebensregel des Egoismus ungeachtet war er in vieler Hinsicht gut, menschlich, liebevoll und entbrannt für das Schöne geblieben, weil seine ursprüngliche Anlage gut war und eine Nothwendigkeit, seine besseren Neigungen zu unterdrücken, sich ihm fast niemals dargeboten hatte. Seine unabhängige Lage hatte ihm jederzeit erlaubt, die Freundschaft, die Duldung, die Künste zu pflegen, nur die Liebe war ihm untersagt und er hatte sie in sich ertödtet als den gefährlichsten Feind seiner Ruhe und seines Glückes.

Indessen da die Liebe göttlicher, d. h. unsterblicher Natur ist, so haben wir, wenn wir sie ertödtet zu haben glauben, in der That nichts gethan, als daß wir sie lebendig in unserm Herzen begraben haben. Sie mag dort im Verborgenen wohl viele lange Jahre schlafen, bis es ihr eines Tages gefällt, sich wieder zu ermuntern. In seinem Lebensherbste erschien diesem Kanonikus Consuelo und die alte Stumpfheit seiner Seele verwandelte sich in eine Sehnsucht, zärtlich, tief und dauernder als man hätte erwarten sollen. Dieses unbewegliche Herz konnte nicht hüpfen und zittern für einen geliebten Gegenstand, aber es konnte schmelzen wie das Eis an der Sonne, sich hingehen, Selbstvergessenheit, Unterwerfung, jene Art leidender Selbstverleugnung lernen, deren man auch die Egoisten, wenn die Liebe sie bestürmt und erobert hat, mit Erstaunen manchmal fähig findet.

Also er liebte, unser armer Kanonikus, im funfzigsten Jahre zum erstenmale, und eine solche, die seine Liebe nie erwidern konnte. Er ahnte es nur zu wohl und eben deshalb wollte er sich überreden, allem Anschein zum Trotz, daß es nicht Liebe wäre, was er fühlte, weil doch der Gegenstand davon kein Weib wäre.

In dieser Hinsicht lebte er in der vollkommensten Täuschung: er nahm Consuelo in aller Unschuld seines Herzens für einen jungen Knaben. Er hatte ehemals, wenn er als Chorherr in der Wiener Cathedrale thätig war, wohl viele schöne junge Chorknaben gesehen, er hatte klingende, silberhelle und in ihrer Reinheit und Biegsamkeit fast weibliche Stimmen gehört, Bertoni's Stimme war tausendmal reiner und biegsamer.

Aber es war, dachte er, eine italienische Stimme, und sodann war Bertoni, dachte er weiter, eine Ausnahme von der Regel, ein solches frühreifes Kind, dessen Anlagen, Geist und Fähigkeit Wunder sind. Und ganz stolz, ganz begeistert von dem Gedanken, daß er, er diesen Schatz auf der Landstraße entdeckt habe, träumte der Kanonikus schon, wie er ihn der Welt bekannt machen, ihn vorwärts bringen, ihm zu Glück und Ruhm verhelfen wollte.

Er überließ sich ganz den Eingebungen einer väterlichen Liebe und des Stolzes mit welchem man sein eigenes gelungenes Werk betrachtet; sein Gewissen durfte sich dabei nicht beunruhigen, denn eine gewisse frevelhafte, unreine Liebe, wie man sie dem Gravina für Metastasio Schuld gab, war für den Kanonikus etwas Undenkbares. Es fiel ihm nie dergleichen ein, er glaubte gar nicht an die Möglichkeit, und diese ganze Vorstellung schien seinem keuschen und geraden Geiste nichts als eine verschrobene und verabscheuungswürdige Erfindung böser Zungen.

Wer hätte solche Kindesreinheit der Vorstellungen diesem Kanonikus zugetraut, dem Manne von Geist, dem Spötter, dem feinen, gewandten, scharfblickenden, launigen Gesellschafter? Und dennoch gab es einen ganzen Kreis von Gedanken, Neigungen, Gefühlen, der ihm völlig fremd war. In seiner Herzensfreude war er eingeschlafen unter tausend Entwürfen für seinen jungen Schützling, voll von Hoffnung, nunmehr sein eigenes Leben in den heiligsten musicalischen Entzückungen hinzubringen und selig in dem Gedanken, die Tugenden, welche in dieser edeln, glühenden Seele strahlten, sie ein wenig mäßigend, anzubauen.

Und dann alle Stunden in der Nacht vor seltsamer Bewegung erwachend, von dem Bilde dieses Wunderkinds verfolgt, bald beunruhigt, erschreckt von dem Gedanken, daß der Knabe sich seiner schon ein wenig eifersüchtigen Zärtlichkeit könnte entziehen wollen, bald ungeduldig, es tagen zu sehen, damit er seinem Lieblinge die Anerbietungen, Versprechungen, Bitten ernstlich wiederholen könnte, die dieser gestern, wie es schien, lächelnd angehört hatte, war der Kanonikus selber erstaunt über das was in ihm vorging, bildete sich aber jede andere Ursach eher ein als die wahre.

– Ich war also wohl von der Natur dazu bestimmt, viele Kinder zu haben und sie leidenschaftlich zu lieben, fragte er sich in seiner Herzenseinfalt, da schon der Gedanke eines zu adoptiren mich heut in solche Gemüthsbewegung versetzt? Es ist doch das erste Mal in meinem Leben, daß sich dieses Gefühl mir deutlich offenbart und gleich an dem Einen Tage hange ich dem einen aus Bewunderung, dem andern aus Theilnahme, einem dritten aus Mitleid an! Bertoni, Beppo, Angiolina! Da hab ich ja auf ein Mal Familie, ich der ich Eltern immer wegen ihrer Last und Unruhe beklagte, der ich immer Gott dankte, durch meinen Stand zu einem ruhigen, einsamen Leben gezwungen zu sein! Bin ich in einen mir so neuen Schwung von Gedanken gerathen, weil ich heut so viele und so vortreffliche Musik gehört habe? ... Nein, der kostbare Kafe al uso di Vienegia macht es, von dem ich blos pour la bonne bouche zwei Tassen statt einer zu mir genommen habe! ... Ich hatte den ganzen Tag meinen Kopf so voll von Wundern, daß ich nicht recht einmal an meine Volkameria gedacht habe, die mir der Peter doch hat eingehen lassen.

» Il mio cor si divide ...«

Blitz! kommt mir wieder diese verwünschte Stelle, die ich nicht los werden kann! Verdammt sei mein Gedächtniß! ... Was fang' ich an, daß ich Schlaf finde! ... Vier Uhr! es ist unerhört ... Ich werde noch krank davon.

Plötzlich kam ein herrlicher Gedanke dem guten Kanonikus zu Hülfe. Er stand auf, holte sein Schreibzeug und nahm sich vor, die Einleitung des berühmten Buches, an dem er lange hatte arbeiten wollen, niederzuschreiben, wenigstens den Anfang der Einleitung. Er nahm ein Compendium des kanonischen Rechts zur Hand, um sich in die Materie hineinzulesen; doch kaum hatte er zwei Seiten gelesen, so verwirrten sich seine Gedanken, die Augenlieder wurden ihm schwer wie Blei, das Buch glitt sanft von seinem Deckbett und sank auf den Teppich, die Kerze erlosch von einem Seufzer schlaftrunkener Seligkeit, den die kräftige Brust des heiligen Mannes von sich blies, und nun endlich schlief er den Schlaf des Gerechten bis zehn Uhr Morgens.

Ach wie bitter war sein Erwachen, als er mit noch schwerer, lässiger Hand das Briefchen öffnete, welches Andreas auf seinen Nachttisch neben seine Tasse Chokolade gelegt hatte. Es lautete:

»Wir reisen ab, hochwürdiger Herr Kanonikus! Eine gebieterische Pflicht ruft uns nach Wien und wir haben gefürchtet, Ihren großmüthigen Aufforderungen nicht widerstehen zu können. Wir machen uns aus dem Staube, wie Undankbare; aber wir sind es nicht, und das Andenken der Gastfreundschaft, die Sie uns erwiesen haben und der hohen Menschenliebe, mit der Sie sich des verlassenen Kindes angenommen haben, wird nie von uns weichen. Wir werden wiederkommen, um Ihnen dafür zu danken. Ehe acht Tage vergehen, werden Sie uns wiedersehen. Schieben Sie Angelika's Taufe bis dahin auf, und glauben Sie, daß wir mit ehrfurchtsvoller und inniger Ergebenheit uns nennen Ihre unterthänigen Schützlinge

Bertoni, Beppo.«

Der Kanonikus erblaßte, stieß einen Seufzer aus und schellte.

– Sie sind abgereist? sagte er zu Andreas.

– Vor Tage, Herr-Kanonikus!

– Und was haben sie beim Weggehen gesagt? Haben sie wenigstens gefrühstückt? Haben sie den Tag bestimmt, an welchem sie wiederkommen wollen?

– Es hat sie Niemand weggehen sehen, Herr Kanonikus. Sie sind gegangen, wie sie gekommen sind, über die Mauer. Ich hab heut Morgen gleich nach dem Aufstehn ihre Zimmer leer gefunden, das Billet, das Sie erhalten haben, auf dem Tisch, und alle Thüren des Hauses und des Gartens fest verschlossen, wie ich sie gestern Abend gelassen habe. Sie haben kein Stück Obst angerührt, die armen Kinder! ...

– Ich glaub's! rief der Kanonikus, und seine Augen füllten sich mit Thränen.

Andreas wollte ihn zerstreuen und bat ihn um seine Befehle wegen des Frühstücks.

– Gieb, was du willst, Andreas! antwortete der Kanonikus mit herzzerreißender Stimme und fiel seufzend auf sein Kopfkissen zurück.

Am Abend dieses Tages zogen Consuelo und Joseph unter dem Schutze der Dunkelheit in Wien ein. Der brave Keller wurde in das Vertrauen gezogen. Er empfing sie mit offenen Armen und brachte die edle Reisende so gut unter als er konnte. Consuelo bewies der Braut Josephs tausend Freundschaft, während sie sich im Stillen betrübte, daß sie sie weder angenehm noch schön fand.

Am andern Morgen in der Frühe flocht Keller Consuelo's Haar ein. Seine Tochter war ihr behülflich, sich wieder weiblich zu kleiden und führte sie dann bis an das Haus,in welchem Porpora wohnte.

8.

Der Freude, welche Consuelo empfand; ihren Lehrer und Wohlthäter zu umarmen, folgte ein schmerzliches Gefühl; das sie Mühe hatte in ihre Brust zu verschließen. Es war noch kein Jahr verflossen, seit sie den Porpora verlassen hatte, und dieses Jahr voll Ungewißheit, Selbstqual und Verdruß hatte der sorgenvollen Stirn des Maestro tiefe Spuren des Leidens und des Alters eingedrückt. Er hatte jene krankhafte Beleibtheit angenommen, die sich alternde Personen durch Unthätigkeit und geistige Erschlaffung zuziehen. Sein Blick hatte das Feuer verloren, welches ihn damals noch belebte und eine gewisse Röthe und Aufgedunsenheit seines Gesichts verrieth die Anstrengungen, welche er gemacht hatte, im Weingenuß Vergessenheit seiner Leiden oder Neubelebung seiner von Alter und Muthlosigkeit erkälteten Phantasie zu suchen.

Der unglückliche Componist hatte sich geschmeichelt, in Wien, wo er einst Glück gemacht hatte, noch einige Möglichkeiten von Erfolg und von Vortheilen für sich zu finden. Er war mit kalten Achtungsbeweisen empfangen worden, er fand seine glücklicheren Nebenbuhler im Besitze der kaiserlichen Gunst und des öffentlichen Beifalls. Metastasio hatte Dramen und Oratorien geschrieben für Caldara, für Predieri, für Fuchs, für Reutter, für Hasse; Metastasio der Hofpoet – poeta Cesareo – der Dichter à la mode, der »neue Albani«, der Liebling der Musen und der Damen, der reizende, süße, liebliche, zarte, göttliche Metastasio, mit einem Worte: von allen dramatischen Köchen der, dessen Speisen die mundrechtesten und verdaulichsten waren, hatte für den Porpora nichts geschrieben und ihm nichts versprechen wollen.

Der Maestro besaß vielleicht noch Erfindung, wenigstens besaß er seine regelrechte Sicherheit, seine bewundernswürdige Stimmführung, seine gute neapolitanische Schule, seinen strengen Geschmack, seinen gewaltigen Styl, seine stolzen, männlichen Recitative, deren großartige Schönheit von keinem Andern erreicht worden ist. Aber er hatte kein Publicum, er bat vergebens um ein libretto. Er war kein Schmeichler, kein Ränkemacher; seine Geradheit und Derbheit machte ihm Feinde und seine finstere Laune schreckte alle Welt zurück.

Selbst in den liebevollen, väterlichen Empfang seiner Schülerin mischte er die Bitterkeit seiner Stimmung.

– Warum hast du Böhmen sobald verlassen? sagte er, nachdem er sie bewegt umarmt hatte. Was willst du hier, armes Mädchen? Hier giebt es keine Ohren dich zu hören, keine Herzen dich zu fassen, hier ist dein Platz nicht, meine Tochter! Dein alter Lehrer ist beim Publikum in Verachtung gesunken, und wenn du hier dein Glück machen willst, so mußt du den Anderen nachahmen, und thun als kenntest du ihn nicht, mußt ihn über die Achsel ansehen wie Alle thun, die ihm ihre Gunst, ihr Glück, ihren Ruhm verdanken.

– Wie? Sie zweifeln auch an mir? sagte Consuelo, deren Augen sich mit Thränen füllten. Sie wollen meine Liebe, meine Ergebenheit verkennen, mich den Argwohn und die Geringschätzung fühlen lassen, zu denen Andere Ihnen Ursach gegeben haben! O lieber Lehrer, Sie werden sehen, daß ich diese Mißhandlung nicht verdiene. Sie werden es sehen, das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.

Porpora zog die Augenbrauen in die Höhe, wendete sich schnell um, that einige Schritte in sein Zimmer, kam dann wieder auf Consuelo zu, und, da er sie weinen sah und kein sanftes, zärtliches Wort ihr zu sagen fand, nahm er ihr das Taschentuch aus den Händen, fuhr ihr damit über die Augen und sagte mit begütigendem Tone, wie ein rauher Vater: »Na! Na!« Consuelo sah, daß er blaß war und große Seufzer in seine gewölbte Brust zurückdrängte. Er bezwang aber seine Weichheit und sagte, indem er einen Stuhl neben sie zog:

– Nun! erzähle mir, wie du in Böhmen gelebt hast, und warum du so plötzlich hierher gekommen bist. So rede doch, setzte er etwas ungeduldig hinzu. Hast du mir nicht tausend Dinge zu sagen? Du hast dich da hinten gelangweilt, he? Oder haben dich die Rudolstadt nicht gut behandelt? Ja, auch denen, auch denen traue ich's zu, daß sie dich gekränkt, daß sie dich gequält haben. Gott weiß, es waren die einzigen Menschen auf der Welt, in die ich noch Vertrauen setzte. Aber Gott weiß auch, daß alle Menschen zu Allem fähig sind, was bös ist.

– Sagen Sie das nicht, mein väterlicher Freund, antwortete Consuelo. Die Rudolstadt sind wahre Engel, und ich sollte von ihnen nur auf meinen Knien reden. Aber ich habe sie verlassen müssen, ich habe fliehen müssen, ohne ihre Einwilligung, ohne ihnen Lebewohl zu sagen.

– Was will das heißen? Hast du dir etwas gegen sie zu Schulden kommen lassen? Hätte ich mich deiner zu schämen? Wie, müßte ich es mir zum Vorwurf machen, dich diesen braven Leuten geschickt zu haben?

– O nein! nein, Gott sei Dank, Meister! Ich habe mir nichts vorzuwerfen und Sie haben sich meiner nicht zu schämen.

– Nun, was hat es denn also gegeben?.

Consuelo wußte wohl, wie kurz und bestimmt man dem Porpora antworten mußte, wenn er auf eine Sache gespannt war: sie sagte ihm also mit wenigen Worten, daß der Graf Albert sie habe heiraten wollen, und daß sie sich nicht habe entschließen können, ihm ein Versprechen zu geben, ohne zuvor ihren Adoptivvater zu Rathe gezogen zu haben.

Der Porpora machte ein spöttisches und zorniges Gesicht.

– Der Graf Albert! rief er, der Erbe von Rudolstadt, der Abkömmling von den böhmischen Königen, der Herr von Riesenburg! er hat dich heiraten wollen, dich kleine Zigeunerin? Dich, den Schmutzfink der Scuola, die vaterlose Dirne, die Comödiantin ohne Vermögen und ohne Engagement, dich, die du barfüßig an den Straßenecken von Venedig gebettelt hast?

– Mich, Ihre Schülerin! Mich Ihre Adoptivtochter! ja, mich, die Porporina! antwortete Consuelo mit ruhigem, sanftem Stolz.

– Schöne Erklärung! brillante Stellung! Wahrhaftig! versetzte der Maestro bitter. Diese Ehrentitel hatte ich in meiner Aufzählung vergessen. Ja, die letzte und einzige Schülerin eines Meisters ohne Schule, die künftige Erbin seiner Lumpen und seiner Beschimpfung, die Fortpflanzerin eines Namens, der schon ausgelöscht ist aus dem Gedächtniß der Menschen! Das ist es auch worauf du dir etwas einbilden kannst, womit du allen Söhnen der edelsten Familien den Kopf verrücken kannst.

– Wahrscheinlich, Meister, sagte Consuelo mit wehmüthigem, schmeichelndem Lächeln, sind wir doch noch nicht so tief in der Achtung der guten Mensch gesunken, wie Sie es sich gern einbilden wollen! Denn es ist eine Thatsache, daß der Graf mich heiraten will, und daß ich hierher gekommen bin, mir Ihre Zustimmung zu erbitten, um einzuwilligen, oder Ihren Beistand, um es abzulehnen.

– Consuelo, antwortete der Porpora mit strengem, kaltem Ton, ich liebe dergleichen Dummheiten nicht. Sie sollten wissen, daß ich die Liebeshändel, die nach der Pensionsanstalt schmecken, und die Zierpuppen-Abentheuer wie den Tod hasse. Ich hatte Sie nie in meinem Leben für fähig gehalten, sich solche einfältige Kinderpossen in den Kopf zu setzen und ich schäme mich wahrhaftig so etwas von Ihnen zu hören. Es ist möglich, daß der Graf von Rudolstadt sich von einer albernen Neigung für Sie habe anwandeln lassen, daß er Ihnen in der langen Weile des einsamen Lebens dort oder in einem schwärmerischen Augenblick von Ihrem Gesang hingerissen einen Gedanken von Hof gemacht habe: aber wie sind Sie zu da Unverschämtheit gekommen, die Affaire ernst zunehmen und sich durch diese ridicüle Finte das Ansehen einer Romanprinzessin zugeben? Sie dauern mich in der That, und wenn der alte Graf, wenn das Stiftsfräulein, wenn die Baronesse Amalie von Ihren Prätentionen unterrichtet sind, so machen Sie mir Schande. Ich sage es Ihnen noch einmal, Sie machen mich schamroth.

Consuelo wußte, daß man dem Porpora, wenn er seiner Beredtsamkeit den Lauf ließ, nicht widersprechen und daß man ihn nicht im besten Predigen unterbrechen durfte. Sie ließ ihn also austoben und nachdem er alles vorgebracht hatte, was er nur des Verletzendsten und Ungerechtesten erdenken konnte, erzählte sie ihm von Punkt zu Punkt im Tone der größten Aufrichtigkeit und mit der gewissenhaftesten Genauigkeit alles was sich auf Riesenburg zwischen ihr, dem Grafen Albert, dem Grafen Christian, Amalien, dem Stiftsfräulein und Anzoleto zugetragen hatte. Der Porpora, der, wenn er nur einmal seiner Hitze und Scheltlust Luft gemacht hatte, recht gut zu hören und zu fassen verstand, lieh ihrer Erzählung das aufmerksamste Ohr, und als sie geendet hatte, legte er ihr noch mehrere Fragen vor, um sich bis ins Einzelste und Kleinste über das häusliche Leben auf Riesenburg und die Denkart aller Familienglieder zu unterrichten. – .

– Gut! ... sagte er endlich, du hast recht gehandelt, Consuelo! Du hast dich verständig, du hast dich würdig, du hast dich fest benommen, wie ich es von dir erwarten konnte. Sehr gut! Der Himmel hat dich behütet und er wird dich belohnen, indem er dich ein für allemal von diesem schändlichen Anzoleto erlöst. Was den jungen Grafen betrifft, so sollst du nicht an ihn denken. Ich verbiete es dir. Das ist kein Loos, das für dich paßt. Der Graf Christian wird nie erlauben, daß du wieder Künstlerin werdest, das glaube mir nur. Ich kenne besser als du den unbezähmbaren Stolz dieser Adligen. Nun sieh! Wofern du dir nicht in dieser Hinsicht Illusionen machst, die ich kindisch und unsinnig finden würde, so denke ich doch, du wirst keinen Augenblick anstehen, dich zu entscheiden, wenn du zwischen dem Glück der Großen und dem des Künstlerlebens die Wahl hast ... Was denkst du? ... Antworte mir doch, Corpo di Bacco! man sollte meinen, du verstehst mich nicht.

– Ich verstehe Sie sehr gut, lieber Lehrer! ich sehe nur, daß Sie Alles, was ich Ihnen sagte, nicht verstanden haben.

– Wie? Ich nicht verstanden? Nun, ich verstehe nichts mehr, nicht wahr?

Und die kleinen schwarzen Augen des Maestro wurden wieder feurig, vor Zorn. Consuelo, die ihren Porpora aufs Haar kannte, sah, daß sie ihm die Stirn bieten mußte, wenn sie sich noch ferner Gehör in dieser Sache sichern wollte.

– Nein, sagte sie mit festem Tone, Sie haben mich sicher nicht verstanden. Denn Sie setzen bei mir Bestrebungen des Ehrgeizes voraus, welche sehr verschieden sind von denen, die ich wirklich hege. Ich neide den Großen ihr Glück nicht, glauben Sie mir, und sagen Sie nicht, lieber Lehrer, daß mir dies im Kopfe liege, wenn ich unschlüssig zögere. Ich verachte Vorzüge, die man nicht durch sein eigenes Verdienst erlangt; in dieser Gesinnung haben Sie mich aufgezogen und ich werde von ihr nicht weichen. Aber es giebt im Leben noch ein anderes Gut als Reichthümer und Eitelkeiten und dieses Gut ist werthvoll genug, um den Berauschungen des Ruhmes und den Freuden des Künstlerlebens die Wage zu halten. Die Liebe eines Mannes wie Albert, das häusliche Glück, die Familienfreuden meine ich. Das Publicum ist ein eigensinniger, undankbarer, tyrannischer Herr. Ein edler Gatte ist ein Freund, ein sicherer Halt, ein zweites Ich. Wenn ich dahin gelangen könnte, Albert so zu lieben wie er mich liebt, so würde ich nicht mehr an den Ruhm denken und wahrscheinlich würde ich dann glücklicher sein.

– Was sind das für dumme Reden! rief der Maestro. Sind Sie verrückt geworden? Hat Sie die deutsche Sentimentalität angesteckt? Lieber Gott! In welche Mißachtung der Kunst sind Sie hineingerathen, Frau Gräfin! Erzählen mir da, daß Ihr Albert, wie Sie ihn zu nennen sich erlauben, Ihnen mehr Furcht als Lust macht, daß Sie sich an seiner Seite halb todt vor Schauder und Herzensangst fühlen und tausenderlei, was ich recht gut verstanden und begriffen habe, mit ihrer gütigen Erlaubniß, und jetzt, da Sie Ihre Freiheit wieder erlangt haben, das einzige Gut, die einzige Lebensbedingung für den Künstler, jetzt fragen Sie mich, ob es nicht besser sei, sich den Stein wieder an den Hals zu hängen und sich damit in den Brunnen zu stürzen, in dem Ihr mondsüchtiger Freund wohnt? Nur zu! recht schön! immer zu, wenn es Ihnen gut scheint; ich kümmere mich nicht mehr um Sie, ich habe nichts mehr darein zu reden. Ich will meine Zeit nicht damit todtschlagen, mit einer Person zu schwatzen, die nicht mehr weiß, was sie redet und was sie will. Sie haben keinen Menschenverstand, und ich bin Ihr gehorsamer Diener.

Mit diesen Worten setzte sich der Porpora an sein Klavier und ging mit kurzem, festen Anschlag der Accorde in gelehrten Modulationen aus Ton in Ton, während Consuelo, nicht mehr hoffend, ihn an diesem Tage zu einer gründlicheren Erwägung der Frage zu bringen, überlegte, wie sie ihn wenigstens besserer Laune machen könnte. Dies gelang ihr indem sie ihm die Nationalmelodien vorsang, welche sie in Böhmen gelernt hatte und deren Originalität den alten Maestro entzückte.

Dann brachte sie ihn allmählig dahin, daß er ihr seine neuesten Entwürfe zeigte. Sie sang sie ihm vom Blatte und mit solcher Vollkommenheit, daß er alle seine Begeisterung und seine ganze Zärtlichkeit für sie wieder gewann. Der Aermste, der keinen geschickten Schüler mehr um sich hatte und Allem mißtraute, was sich ihm näherte, mußte die Freude entbehren, seine Gedanken von einer schönen Stimme wiedergegeben und von einer schönen Seele begriffen zu sehen.

Es ergriff ihn so, sich von seiner großen, immer gelehrigen Schülerin Porporina ganz nach seinem Herzen vortragen zu hören, daß er Freudenthränen vergoß und Consuelo an sein Herz preßte mit dem Ausruf:

– Ach! du bist die erste Sängerin der Welt. Deine Stimme hat sich an Kraft und Umfang verdoppelt und du bist so fortgeschritten, als ob ich dir das ganze Jahr täglich Unterricht gegeben hätte. Noch einmal, noch einmal, mein Kind, singe mir noch einmal dieses Thema. Du schenkst mir den ersten frohen Augenblick, den ich seit vielen Monaten genossen habe.

Sie speisten mit einander, sehr dürftig, an einem Tischchen beim Fenster. Der Porpora wohnte schlecht; sein Zimmer, trübselig, finster und immer in Unordnung, hatte die Aussicht auf einen engen, verödeten Winkel. Da ihn Consuelo in günstiger Stimmung sah, machte sie einen Versuch, Haydns zu erwähnen. Das Einzige, was sie ihm geheim gehalten hatte, war ihre lange Fußreise mit diesem jungen Manne und die wunderlichen Abentheuer, welche zwischen ihnen eine so herzliche Freundschaft gestiftet hatten. Sie wußte, daß ihr Lehrer seiner Gewohnheit gemäß auf Jeden, der seinen Unterricht wünschte, sogleich einen Grimm werfen würde, wenn man damit anfinge, ihn ihm zu rühmen. Sie erzählte also mit gleichgültiger Miene, daß sie in einem Wagen nicht weit von Wien mit einem armen Teufel zusammengetroffen wäre, der mit so viel Achtung und Enthusiasmus von der Schule des Porpora gesprochen hätte, daß sie ihm versprochen hätte, sich beim Porpora selbst zu seinen Gunsten zu verwenden.

– Nu! was ist er, der Mensch? fragte der Maestro, was will er werden? Künstler, ganz gewiß! Er ist ja ein armer Teufel. O, ich bedanke mich für solche Klienten. Ich will nur noch Familiensöhnen Singstunde geben. Die bezahlen, lernen nichts, und sind stolz auf unseren Unterricht, weil sie sich einbilden etwas zu können, wenn sie aus unseren Händen kommen. Aber die Künstler! lauter Elende, lauter Undankbare, lauter Verräther und Lügner! Kein Wort mehr von Künstlern! Ich werde keinen mehr über diese Schwelle lassen. Wenn einer käme, siehst du, da zum Fenster hinaus würfe ich ihn auf der Stelle.

Consuelo suchte ihm diese Vorurtheile auszureden, aber sie fand sie so eingewurzelt, daß sie es aufgab, und in einem Augenblick, wo ihr Lehrer ihr den Rücken zuwendete, sich ein wenig aus dem Fenster biegend, mit ihren Fingern erst Ein, dann noch ein Zeichen machte. Joseph, der auf der Straße umherschlenderte in Erwartung dieses verabredeten Signals, verstand, daß ihm das erste Zeichen jede Hoffnung abschnitt, als Schüler zu Porpora zu gelangen, das zweite-ihn aufforderte, sich erst in einer halben Stunde einzustellen.

Consuelo sprach nun von anderen Dingen, um dem Porpora das, was sie eben gesagt hatte, aus dem Sinne zu bringen, und nachdem die halbe Stunde verflossen war, klopfte Joseph an die Thür. Consuelo ging, um ihm zu öffnen, that als kennte sie ihn nicht und kam zu dem Maestro mit der Nachricht zurück, daß ein junger Mensch da sei, der einen Dienst suche.

– Laß einmal dein Gesicht sehen, rief Porpora dem zitternden Jüngling zu. Nur her! Wer hat dir gesagt, daß ich einen Bedienten brauche? Ich brauche keinen.

– Wenn Sie keinen Bedienten brauchen, antwortete Joseph bestürzt aber gute Miene machend, wie es ihm Consuelo anempfohlen hatte, so ist das ein großes Unglück für mich, Ihr Gnaden, denn ich brauche einen Herrn.

– Sollte man nicht denken, daß es keinen Menschen auf der Welt giebt um dich in Brot zu nehmen als mich? antwortete Porpora. Da, betracht' einmal meine Stube und mein Mobiliar. Meinst du, daß ich einen Lakaien brauche, um das in Ordnung zu halten?

– Das meine ich schon, daß Ihr Gnaden einen brauchen, antwortete Haydn, indem er eine dumm vertrauliche Miene annahm, denn's ist alles sehr in Unordnung.

Bei diesen Worten machte er sich an die Arbeit und fing an im Zimmer mit einer scheinbaren Kaltblütigkeit aufzuräumen, so daß Porpora große Lust zu lachen hatte. Joseph setzte Alles für Alles aufs Spiel, denn wenn seine Dienstfertigkeit den alten Meister nicht belustiget hätte, so war er sehr in Gefahr; mit Stockschlägen belohnt zu werden.

– Ist das ein närrischer Bursch, der mich wider meinen Willen bedienen will, sagte der Porpora, indem er ihm zusah. Ich sag' dir, Hans Narr, daß ich keinen Bedienten bezahlen kann. Willst du noch dienstfertig sein, he?

– Schadt nichts, Ihr Gnaden! Geben Sie mir nur Ihre abgelegten Kleider und ein Stück Brot alle Tag, so ist's schon genug. Ich bin so in Noth, daß ich schon sehr zufrieden sein werde, demnach nicht zu betteln brauche.

– Aber warum gehst du nicht in ein reiches Haus?

– Es geht nicht an, Ihr Gnaden. Sie finden mich zu klein und zu garstig. Und ich versteh auch nichts von der Musik und wissen Sie die großen Herrn verlangen heut zu Tage, daß ihre Lakaien immer wenigstens etwas Flöte oder Bratsche bei der Kammermusik mitspielen können. Ich habe mir aber nie eine Note Musik in den Kopf bringen können.

– So, so! du verstehst keine Musik. Nun, du bist der Mann, den ich brauche. Wenn du mit der Kost und den alten Kleidern zufrieden bist, so nehm' ich dich; denn, schau, da ist auch meine Tochter, die einen fleißigen Burschen brauchen wird, um ihre Commissionen auszurichten! Nun also! was kannst du? Kleider bürsten, Stiefel putzen, auskehren, die Thür auf- und zu machen?

– Ja, Ihr Gnaden, das kann ich schon.

– Nun gut, so fang' an. Mach mir das Kleid zurecht, das da auf dem Bett liegt, denn in einer Stunde geh ich zu dem Botschafter. Du sollst mit, Consuelo! Ich will dich dem Herrn Corner vorstellen, den du schon kennst, und der eben mit der Signora aus dem Bade zurückgekommen ist. Es ist da unten ein Kämmerchen, das ich dir abtreten will, geh', mach du auch ein wenig Toilette, während ich mich in Stand setze.

Consuelo gehorchte, ging durch das Vorzimmer und in der dunkeln Kammer angelangt, welche zu ihrem Zimmer bestimmt war, zog sie ihr ewiges schwarzes Kleid an und steckte ihr getreues weißes Tuch um, die beide auf Josephs Schulter die Reise mitgemacht hatten.

– Um auf die Gesandtschaft zu gehen, dachte sie, ist es kein sehr schöner Anzug! Aber man hat mich in Venedig so anfangen sehen, und es hat das nicht verhindert, daß man mich mit Vergnügen hörte.

– Als sie fertig war, ging sie wieder in das Vorzimmer und fand dort Haydn beschäftigt, des Porpora Perücke, die auf dem Stock hing, mit großer Ernsthaftigkeit zu kräuseln. Als sie einander erblickten, erstickten sie fast vor innerem Lachen.

– Sag', wie kommst du denn mit dieser schönen Perücke zu Stande? fragte sie ihn leise, um nicht von dem Porpora gehört zu werden, der sich im Nebenzimmer ankleidete.

– Pah! antwortete Joseph, das geht ganz von selbst. Ich hab Keller oft arbeiten sehen. Und dann hat er mir auch heut Morgen eine Lection gegeben, und er wird noch damit fortfahren, bis ich das Schlichten und das Kräuseln aus dem Grund verstehe.

– Nun, nur Muth, du armer Bub, sagte Consuelo ihm die Hand drückend, der Meister wird sich zuletzt schon entwaffnen lassen. Die Wege zur Kunst sind dornenvoll, aber man gelangt dahin, schöne Blumen zu pflücken.

– Ich küß' die Hand für das Gleichniß, liebe Schwester Consuelo! glaub'. ich werd mich nicht abschrecken lassen und wenn du mir nur im Vorbeigehn auf den Stiegen oder in der Kuchel von Zeit zu Zeit ein Wort der Aufmunterung und der Freundschaft sagst, so will ich alles gern ertragen.

– Und ich werde dir fleißig bei deinen Geschäften helfen, antwortete Consuelo lächelnd. Glaubst du denn, daß ich nicht auch so angefangen habe wie du? Als ich klein war, habe ich dem Porpora oft Magddienste geleistet. Ich habe mehr als einmal Gänge für ihn besorgt, seine Chocolade gequirlt, seine Kragen gebügelt. Für's Erste will ich dir zeigen, wie du diesen Rock ausbürsten mußt. Du machst es nicht recht, du zerbrichst die Knöpfe und du verknitterst die Aufschläge.

Sie nahm ihm die Bürste aus der Hand und machte es ihm geschickt und behend vor. Da sie aber den Porpora kommen hörte, gab sie ihm die Bürste geschwind zurück, nahm eine ernste Miene an und sagte zu ihm laut in Gegenwart des Meisters:

– Nun, Kleiner! sput' dich doch!

9.

Nicht auf die Gesandtschaft, sondern zu dem Gesandten, d. h. in das Haus seiner Maitresse führte der Porpora Consuelo. Die Wilhelmine war ein schönes Geschöpf, sie hatte den musikalischen Tick und setzte ihre ganze Lust-und ihren Stolz darin, bei sich in kleinem Zirkel die Künstler zu versammeln, welche sie an sich ziehen konnte, ohne durch zu viele Umstände die diplomatische Würde des Herrn Corner zu compromittiren.

Als Consuelo eintrat, war ein Augenblick des Staunens, des Zweifelns, dann ein allgemeiner Freudenschrei und ein Erguß von Herzlichkeit, sobald man die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß es die Zingarella, das Wunder vorigen Jahres von San Samuel wirklich war. Wilhelmine, die sie als kleines Mädchen, wo sie dem Porpora seine Notenbücher nachtrug und wie ein Hündchen hinter ihm herlief, bei sich gesehen hatte, war sehr kalt gegen sie geworden, als sie sie hernach so viel Beifall und so viele Huldigungen in den Salons der Noblesse und so viele Kränze auf der Bühne ernten sah. Nicht, daß diese schöne Person ein schlechtes Herz gehabt oder sich herabgelassen hätte, eifersüchtig auf ein Mädchen zu sein, das so lange dafür gegolten hatte, zum Erschrecken häßlich zu sein. Aber die Wilhelmine spielte gern die große Dame, wie alle die es nicht sind. Sie hatte beim Porpora große Arien gesungen (denn er behandelte sie als Dilettantin und ließ sie alles versuchen) als noch das arme kleine Ding Consuelo nichts als das berühmte Blättchen studirte, auf welches der Meister seine ganze Gesangmethode zusammengedrängt hatte, und wobei er seine wirklichen Zöglinge fünf bis sechs Jahre festhielt.

Die Wilhelmine stellte sich also vor, daß sie für die Zingarella kein anderes Gefühl als das einer herablassenden Theilnahme haben könnte. Und weil sie derselben ehemals einige Bonbons geschenkt oder ihr ein Bilderbuch in die Hand gegeben hatte, damit sie sich in ihrem Vorzimmer nicht langweile, so machte sie darauf Anspruch, für eine der ersten und eifrigsten Beschützerinnen dieses jungen Talents zu gelten. Sie hatte es also sehr außer der Ordnung und sehr unpassend gefunden, daß Consuelo, als sie mit einem Male zu dem Gipfel des Triumphs emporstieg, sich nicht demüthig, eifrig und voll Erkenntlichkeit gegen sie bewiesen hatte. Sie hätte erwartet, daß bei ihren kleinen Réunions von ausgewählten Personen Consuelo willfährig und unentgeldlich die Kosten der Unterhaltung auf sich nehmen und bei ihr und mit ihr so oft und so lange sie es wünschte, singen würde, und daß sie Consuelo ihren Freunden mit einer solchen Miene würde vorstellen können, als ob sie ihr zum Debütiren verholfen und sie gleichsam in das Verständniß der Musik eingeführt hätte.

Es war anders gekommen. Porpora, dem es mehr am Herzen lag, seine Schülerin Consuelo gleich im ersten Anlauf zu dem Range zu erheben, welcher ihr in der Hierarchie der Kunst zukam, als ihrer Gönnerin Wilhelmine einen Gefallen zu thun, hatte über die Ansprüche der letzteren ins Fäustchen gelacht, und hatte Consuelo die zuerst ein wenig zu familiären, hernach ein wenig zu gebieterischen Einladungen der Frau Botschafterin von der linken Hand anzunehmen verboten. Er hatte tausend Vorwände zu finden gewußt, um nicht genöthigt zu sein, sie ihr zuzuführen und die Wilhelmine hatte einen absonderlichen Widerwillen gegen die Debütantin gefaßt, welcher so weit ging, daß sie Bemerkungen hinwarf wie diese: sie, ist nicht schön genug, um jemals unbestrittene Erfolge zu erlangen; ihre Stimme ist zwar im Salon recht angenehm, hat aber nicht Klang genug für das Theater; sie erfüllt auf den Brettern keineswegs das, was sie in ihrer Kindheit versprach – und andere Bosheiten ähnlicher Art, wie sie immer und überall vorkommen.

Bald aber hatte der laute und allgemeine Enthusiasmus des Publicums diese kleinen Insinuationen erstickt und die Wilhelmine, die darauf hielt, für eine gediegene Kennerin, für eine kunstverständige Schülerin Porpora's und für eine großmüthige Seele zu gelten, hatte nicht länger gewagt, ihren heimlichen Krieg gegen den glänzendsten Zögling des Maestro und den Abgott des Publicums fortzusetzen. Sie hatte in den Beifallsjubel der wahren Dilettanti für Consuelo eingestimmt, und wenn sie sie noch ein wenig anschwärzte wegen des Hochmuths und der Aufgeblasenheit, die sie darin kund gegeben haben sollte, daß sie ihre Stimme nicht der »Frau Botschafterin« zur Verfügung stellte, so geschah das doch nur ganz im Stillen und nur gegen einige wenige Personen wagte die »Frau Botschafterin« ihre Ungehaltenheit im engsten Vertrauen lautbar zu machen.

Als sie nun diesesmal Consuelo in ihrer kleinen Toilette von ehemals kommen sah und als der Porpora sie ihr förmlich vorstellte, was er zuvor nie gethan hatte, verzieh die eitle, leichtsinnige Wilhelmine im Augenblick alles Frühere und bildete sich ein, der Edelsinn und die Großmuth selbst zu sein, indem sie die Zingarella auf beide Backen küßte.

– Sie ist ruinirt, dachte sie, sie hat vielleicht einen dummen Streich begangen oder ihre Stimme verloren; denn man hat lange nicht von ihr reden hören. Sie wirft sich uns nun aus Discretion in die Arme. Das ist der Augenblick, sie zu beklagen, sie zu protegiren, ihre Talente zur Geltung zu bringen oder in ein vortheilhaftes Licht zu stellen.

Consuelo hatte eine so sanfte, so begütigende Miene, daß die eingebildete Gönnerin, da sie an ihr nicht mehr den prunkenden, hochmüthigen Ton fand, den sie in Venedig bei ihr vorausgesetzt hatte, sich ganz behaglich mit ihr fühlte und sie mit Zuvorkommenheiten überhäufte. Einige Italiener, Freunde des Botschafters, welche zugegen waren, wetteiferten mit ihr, Consuelo mit Lobeserhebungen und mit Fragen zu überschütten, denen diese geschickt und in heiteren Wendungen auszuweichen wußte.

Plötzlich aber wurden ihre Züge ernst und eine gewisse Bewegung verrieth sich in ihnen, als sie mitten in der Gruppe von Deutschen, die sie vom andern Ende des Salons neugierig betrachteten, ein Gesicht erkannte, welches ihr schon bei einer früheren Gelegenheit lästig geworden war, das Gesicht jenes Unbekannten, der drei Tage früher mit dem Kanonikus auf der Dorfpfarre gewesen, wo sie mit Haydn die Messe aufführte, und der sie damals so scharf angesehen und ausgefragt hatte. Dieser Unbekannte betrachtete sie auch jetzt wieder mit außerordentlicher Neugier und es war leicht wahrzunehmen, daß er seine Nachbarn über sie befragte. Die Wilhelmine bemerkte Consuelo's Spannung.

– Sie sehen Herrn Holzbauer an? sagte sie. Kennen Sie ihn?

– Nein, ich kenne ihn nicht, antwortete Consuelo, und ich weiß nicht, ob der es ist, den ich ansehe.

– Der Erste rechts vom Consul, entgegnete die Botschafterin. Es ist der jetzige Director des Hoftheaters und seine Frau ist die erste Sängerin bei diesem Theater. Er mißbraucht seine Stellung, setzte sie leise hinzu, um den Hof und die Stadt mit seinen Opern zu regaliren, die den Teufel nicht taugen. Soll ich Sie mit ihm bekannt machen? Er ist ein sehr galanter Mann.

Mille grazie, Signora, antwortete Consuelo, ich bin hier zu wenig, um diesem Herrn vorgestellt zu werden und ich weiß doch im Voraus, daß er mich für sein Theater nicht engagiren wird.

– Warum, mein Herz? Sollte diese schöne Stimme, die nicht ihres Gleichen in Italien hatte, von dem Aufenthalt in Böhmen gelitten haben? Denn Sie haben diese ganze Zeit in Böhmen verlebt, sagt man; in dem kältesten, trübseligsten Lande der Welt. Das ist freilich sehr schlimm für die Brust und ich wundere mich gar nicht, daß Sie die nachtheiligen Wirkungen davon empfunden haben. Aber es thut nichts, die Stimme wird unter unserer schönen venetianischen Sonne schon wiederkommen.

Da Consuelo die Wilhelmine so geschwind bei der Hand sah, den Verfall ihrer Stimme zu decretiren, gab sie sich keine Mühe, diese Meinung zu widerlegen, und um so mehr, als die Dame selbst gefragt und geantwortet hatte. Diese menschenfreundliche Muthmaßung machte ihr keine Sorge, wohl aber die Abneigung, die sie gegen sich Herrn Holzbauer durch jene ihr über seine Compositionen entfahrene, etwas abfertigende und etwas zu aufrichtige Antwort eingeflößt zu haben glaubte. Der Hofkapellmeister, dachte sie, würde nicht ermangeln aus Rachlust zu erzählen, in welchem Aufzuge und in welcher Gesellschaft er sie auf der Landstraße getroffen habe: sie fürchtete, daß dieses Abentheuer dem Porpora zu Ohren kommen und ihn gegen sie und besonders gegen den armen Joseph aufbringen würde.

Es kam aber anders. Holzhauer erwähnte des Abentheuers mit keinem Worte, aus Gründen, die man später erfahren wird, und weit entfernt, die mindeste Gereiztheit gegen Consuelo zu verrathen, trat er näher und richtete Blicke auf sie, deren schalkhafte Freundlichkeit nur Wohlwollen anzeigte. Sie that als merkte sie nichts davon. Sie hätte fürchten müssen, sich den Schein zu geben, als ob sie ihn um Verschwiegenheit bäte, und welche Folgen auch immer jenes Zusammentreffen mit ihm haben konnte, sie war zu stolz, um denselben nicht ruhig entgegen zu gehen.

Ihre Aufmerksamkeit wurde durch das Gesicht eines Greises abgelenkt, der eine schroffe, hochmüthige Miene hatte, sich aber, wie es schien, viel Mühe gab, eine Unterhaltung mit dem Porpora anzuknüpfen. Porpora jedoch, seiner übeln Laune getreu, gab ihm kaum Antwort und machte jeden Augenblick einen Versuch und ergriff einen Vorwand, um sich von ihm los zu machen.

– Der da, sagte Wilhelmine, die ganz gern mit den Celebritäten, welche ihren Salon zierten, vor Consuelo prunkte, ist ein berühmter Maestro, der Buononcini. Er kommt von Paris, wo er selbst eine Violoncellpartie in einem Motett von seiner Komposition vor dem Könige gespielt hat. Sie wissen, es ist der, welcher in London so lange furore machte und nach einem hartnäckigen Kampfe zwischen Theater und Theater gegen Händel, diesen endlich in der Oper besiegt hat.

– Sagen Sie das nicht, Signora, rief Porpora lebhaft, der sich vom Buononcini losgemacht und sich den beiden Frauen nähernd Wilhelminens letzte Worte gehört hatte. Nein, sprechen Sie keine solche Blasphemie aus! Niemand hat Händel besiegt, Niemand wird ihn besiegen. Ich kenne meinen Händel, Sie kennen ihn noch nicht. Er ist der erste unter uns, und ich gestehe es, obgleich ich selbst, die Kühnheit gehabt habe, in den Tagen toller Jugend mit ihm zu ringen; ich bin zermalmt worden, das mußte so sein, das war Recht. Buononcini, glücklicher als ich, obgleich nicht bescheidener noch geschickter als ich, hat in den Augen der Dummköpfe und in den Ohren der Barbaren gesiegt. Glauben Sie denen nicht, die von seinem Siege reden. Das wird meinen Mitbruder Buononcini ewig zum Gelächter machen und England wird eines Tages noch erröthen, daß es dessen Opern denen eines Genies, denen eines solchen Riesen wie Händel vorzog. Die Mode, fashion wie sie dort sagen, der schlechte Geschmack, die günstige Lage eines Theaters, eine Koterie, Intriguen, und am meisten von allem das Talent bewundernswürdiger Sänger, die Buononcini's Sachen ausführten, das ist es was ihm den anscheinenden Triumph verschafft hat. Aber in der heiligen Musik hat Händel eine furchtbare Rache genommen  ... Und was den Herrn Buononcini betrifft, ich schlage ihn nicht hoch an; ich liebe die Taschenspieler nicht und ich sage es gerade heraus, daß er seinen Erfolg in der Oper mit ebenso guter Manier als in der Kantate seinem Nebenbuhler aus der Tasche gespielt hat.

Porpora spielte hier auf einen ärgerlichen Diebstahl an, welcher die ganze musikalische Welt in Aufruhr gebracht hatte: der Buononcini hatte nämlich in England den Ruhm eines Musikstückes, welches Lotti dreißig Jahre zuvor componirt hatte, sich angeeignet und es dem Componisten lange mit der größten Frechheit streitig gemacht, bis es diesem endlich gelang den unumstößlichen Beweis zu führen, daß das Stück von ihm sei. Wilhelmine versuchte, den Buononcini zu vertheidigen, und Porpora, dem ihr Widerspruch nur noch mehr die Galle aufregte, rief ohne sich darum zu kümmern, ob es Buononcini hörte oder nicht:

– Ich sage Ihnen, und ich bleibe dabei, daß Händel größer ist als alle Componisten die je gelebt haben und die noch leben. Ich will Ihnen auf der Stelle den Beweis liefern. Consuelo, geh an's Klavier und sing' uns die Arie, die ich dir nennen werde.

– Ich sterbe vor Verlangen die bewundernswürdige Porporina zu hören, entgegnete Wilhelmine, aber ich bitte Sie inständig, lassen Sie sie nicht hier, in Buononcini's und Holzbauers Gegenwart mit Händel debütiren. Eine solche Wahl kann diesen Herren nicht schmeichelhaft sein  ...

– Das glaub' ich, versetzte Porpora, es ist ihre Verdammniß bei lebendigem Leibe, es ist ihr Todesurtheil.

– Nun! wenn das ist, antwortete sie, so lassen Sie um so mehr etwas anderes, etwas von Ihrer Composition singen, Maestro!

– Sie haben allerdings Recht, das würde keines Menschen Eifersucht erregen. Nein! ich will, sie soll von Händel singen, ich will es durchaus.

– Lieber Meister, sagte Consuelo, verlangen Sie nicht, daß ich heute singe, ich bin erst von einer langen Reise gekommen ...

– Allerdings, es hieße die Gefälligkeit der jungen Dame mißbrauchen, fiel Wilhelmine ein, und ich wenigstens muthe es ihr nicht zu, ich verlange nichts. Vor solchen Richtern als hier zugegen sind, und zumal vor Herrn Holzhauer, dem die Leitung des Kaiserlichen Theaters anvertraut ist, müssen Sie Ihre Schülerin nicht kompromittiren, hüten Sie sich davor!

– Compromittiren? sie compromittiren? was denken Sie sich? sagte der Porpora die Achseln zuckend, ich habe sie heut Morgen gehört und ich weiß, ob sie Gefahr läuft, sich vor euren Deutschen zu compromittiren.

Diese Verhandlung wurde zum Glück durch die Ankunft eines neuen Gastes unterbrochen. Alle Welt beeilte sich, diesem ihr Compliment zu machen. Consuelo hatte in Venedig, als sie noch Kind war, diesen schmächtigen, weibisch aussehenden Mann von aufgeblasenem Wesen und aufschneiderischen Manieren gesehen und gehört, und obgleich sie ihn gealtert, welk und häßlich geworden, lächerlich frisirt und mit dem schlechten Geschmack eines überjährigen Seladon gekleidet fand, erkannte sie ihn doch sogleich wieder; solch einen tiefen Eindruck hatte der unvergleichliche, unnachahmliche Sopranist Majorano genannt Caffarelli oder vielmehr Caffariello, auf sie gemacht.

Man konnte keinen dreisteren unerträglicheren Gecken sehen als diesen guten Caffariello. Die Frauen hatten ihn verhätschelt, der jauchzende Beifall des Publikums hatte ihm den Kopf verrückt. Er war so schön, oder um es richtiger zu sagen hübsch in seiner Jugend gewesen, daß er in Italien in Frauenrollen debütirt hatte; jetzt da er in den funfziger Jahren stand (und er schien, wie die meisten Sopranisten, noch älter als er wirklich war), konnte man ihn sich schwerlich als Dido oder Galatea denken, ohne zu lachen: um zu bedecken was in seiner Erscheinung Unnatürliches lag, gab er sich beständig ein wichtiges Ansehen und erhob bei jeder Gelegenheit seine helle, feine Stimme, ohne daß er doch deren Natur ändern konnte.

Bei aller Ziererei und allem Uebermaß von Eitelkeit hatte er aber auch eine gute Seite. Caffariello fühlte die Ueberlegenheit seines Talentes zu sehr, um liebenswürdig zu sein, aber er fühlte auch zu sehr die Würde seiner Künstlerrolle, um Höfling zu sein. Er bot den hochansehnlichsten Personen blind und toll die Spitze, selbst Souverainen, und deshalb war er bei den flachen Schmeichlern gar nicht beliebt, denen er dreistweg Wahrheiten sagte. Die ächten Freunde der Kunst verziehen ihm gern um seiner Virtuosität willen, und ungeachtet aller Schwachheiten, die er sich als Mensch zu Schulden kommen ließ, war man gezwungen anzuerkennen daß er in seinem Leben als Künstler Beweise von Muth und Sinnesadel gegeben hatte.

Nicht geflißentlich und mit Vorbedacht hatte er den Porpora vernachläßigt und sich ein wenig undankbar gegen seinen Lehrer gezeigt. Er vergaß es nicht, daß er unter ihm acht Jahre studirt und alles was er wußte von ihm gelernt hatte, aber er vergaß es noch weniger, daß sein Lehrer eines Tages zu ihm gesagt hatte:

– Jetzt habe ich dir nichts mehr zu lehren. Va, figlio mio, tu sei il primo musico del mondo. Geh, mein Sohn, du bist der erste Musiker der Welt.

Von diesem Tage an hatte Caffariello, der wirklich (nach Farinelli) der erste Sänger der Welt war, für nichts mehr Interesse was nicht Er war.

– Da ich der erste bin, hatte er zu sich selbst gesagt, so bin ich demnach der einzige. Die Welt ist meinetwegen geschaffen, der Himmel hat den Poeten und den Compositoren nur Genie gegeben, damit Caffariello zu singen habe. Der Porpora ist nur deswegen der erste Gesanglehrer der Welt gewesen, weil er dazu bestimmt war, Caffariello zu bilden. Nunmehr ist Porpora's Ziel erreicht, seine Sendung ist erfüllt und für den Ruhm, für das Glück, für die Unsterblichkeit des Porpora reicht es hin, daß Caffariello lebe und singe.

Caffariello hatte gelebt, gesungen, er war reich und gefeiert, der Porpora war arm und verlassen, allein Caffariello war darüber sehr ruhig und sagte sich, er habe Gold und Ruhm genug gesammelt, daß sein Lehrer sich für sattsam belohnt achten könnte, ein solches Wunder wie ihn in die Welt gesetzt zu haben.

10.

Caffariello trat ein und grüßte alle Welt nur sehr kurz, ging aber auf Wilhelmine zu, der er zärtlich und achtungsvoll die Hand küßte, worauf er seinem Director Holzbauer mit einer gütigen Gönnermiene zunickte und seinem Lehrer Porpora mit lässiger Vertraulichkeit die Hand schüttelte, Getheilt zwischen dem Aerger über Caffariello's Manieren und der Einsicht, daß er ihn nothwendig schonen müßte (denn Caffariello konnte, wenn er eine Oper Porporas verlangte und die erste Rolle darin übernähme, die Angelegenheiten des Maestro wieder in Schwung bringen), ließ sich der Porpora herbei, ihm Complimente zu machen und ihn mit einer Persiflage, die zu fein war, um nicht von dem Fatt im umgekehrten Sinne genommen zu werden, über die Triumphe, welche er zuletzt in Frankreich gefeiert hatte, zu befragen.

– Frankreich? antwortete Caffariello. Sprecht mir nicht von Frankreich! Wollt ihr wissen was da zu Hause ist? Kleine Musik, kleine Virtuosen, kleine Amatori, kleine große Herren, alles klein. Stellet euch vor, ein Sgangherato wie Ludwig XV. läßt mir, nachdem er mich ein halbes Dutzend Male in Concerts spirituels gehört hat, durch einen seiner ersten gentilshommes – rathet was? eine erbärmliche Tabatière zustellen.

– Aber golden ohne Zweifel und mit kostbaren Steinen besetzt? sagte der Porpora, indem er die seinige, die nur von Feigenholz war, mit Ostentation hervorzog.

Anzi Anzi , eine unübersetzliche Formel die zu allen Dingen. Manchmal steht es so, daß man es mit: »Im Gegentheil! umgekehrt! nichts weniger als das!« übersetzen müßte. Hier bedeutet es: »Allerdings! Das ist noch mehr als keine Frage! Sehr golden und mit sehr kostbaren Steinen besetzt.« – D. U., versetzte der Sopran, aber nun denke man sich die Impertinenz! Kein Portrait! Mir eine simple Tabatière? Als ob es mir an Schnupftabaksdosen fehlte! Pfui, welche Bourgeoisie von einem Könige! Ich war indignirt.

– Und ich hoffe, antwortete der Porpora, indem er eine große Prise in seine spöttische Nase steckte, daß du diesem Königlein eine tüchtige Lection gegeben hast?

Anzi! Corpo d'Iddio! Monsieur, habe ich zu dem ersten gentilhomme des Königs gesagt,indem ich eine Schublade vor seinen geblendeten Augen öffnete, sehen Sie hier dreißig Tabatièren, von denen die schlechteste dreißigmal so viel werth ist als diese, die Sie mir anbieten, und Sie bemerken außerdem, daß die übrigen Souveraine es nicht verschmäht haben, mich mit ihren Miniaturen zu beehren. Caffariello hat keinen Mangel an Tabatièren, Gott sei Dank.

– Beim Blut des Bacchus, wie wird sich dieser König geschämt haben! sagte Porpora.

– Warte! es ist noch nicht alles. Der Gentilhomme hat die Insolenz gehabt, mir zu antworten, daß Fremde anbetreffend Seine Majestät Ihr Portrait nur an Ambassadeurs verschenke.

– Nun ja, der Taps! Und was hast du geantwortet?

– Geben Sie wohl Acht, Monsieur, habe ich geantwortet, und merken Sie was ich sage, mit allen Ambassadeurs der Welt kann man keinen Caffariello machen!

– Unvergleichlich geantwortet! Da erkenne ich meinen Caffariello! Und du hast die Tabatière nicht angenommen?

– Nein, bei Gott! versetzte Caffariello, indem er in der Zerstreuung eine goldene, mit Brillanten besetzte Dose aus der Tasche zog.

– Es ist doch nicht diese per avventura? sagte Porpora, die Dose gleichgültig betrachtend. Aber sage mir, hast du nicht dort unsere junge Prinzessin von Sachsen gesehen, die, der ich in Dresden die Finger zum erstenmale auf das Klavier gelegt habe, als mich noch die Königin von Polen, ihre Mutter, mit ihrer Protection beehrte? Es war eine liebenswürdige kleine Prinzessin!

– Marie Josephine?

– Ja, die Grande Dauphine von Frankreich.

– Ob ich sie gesehen habe? In Intimität! Es ist eine recht gute Person! Ach das gute Frauenzimmer! Bei meiner Ehre, wir sind die besten Freunde von der Welt. Zum Exempel, das habe ich von ihr.

Er zeigte einen ungeheuren Diamant, den er am Finger trug.

– Man sagt aber auch, sie habe sich todt lachen wollen über die Antwort, die du dem Könige auf sein Geschenk gegeben hast.

Anzi! sie fand, daß ich sehr gut geantwortet habe, und daß der König, ihr Schwiegervater, mich wie ein Pedant behandelt hat.

– Sie hat dir das gesagt, ohne Zweifel?

– Sie hat es mich wissen lassen, und hat mir einen Paß geschickt den sie vom Könige selbst hat unterzeichnen lassen.

Alle welche dieses Gespräch mit anhörten, wendeten sich ab und lachten sich ins Fäustchen. Denn eine Stunde vorher hatte der Buononcini von Caffariello's Narrenstreichen in Frankreich gesprochen und dabei erzählt, wie die Dauphine ihm einen durch das Handzeichen Sr. Majestät verherrlichten Paß, aber mit der Bemerkung, daß derselbe nur auf zehn Tage gültig sei, habe zustellen lassen, was offenbar einem Befehle, das Königreich in kürzester Frist zu verlassen, gleich kam.

Caffariello, der vielleicht fürchtete über diesen Umstand befragt zu werden, fing von etwas Anderem zu sprechen an.

– Nun Maestro! sagte er zu Porpora, hast du in letzter Zeit viele Eleven in Venedig gebildet? hast du einige unter Händen gehabt, die Hoffnung geben?

– Schweig mir davon! antwortete Porpora. Nach dir ist der Himmel geizig und meine Schule unfruchtbar gewesen. Als Gott den Menschen gemacht hatte, ruhete er. Seit Porpora den Caffariello gemacht hat, kreuzt er die Arme und langweilt sich.

– Guter Meister! entgegnete Caffariello von dem Compliment entzückt, das er ganz im ehrlichsten Sinne nahm, du hast zu viel Nachsicht für mich. Aber du hattest doch einige Schülerinnen die Hoffnung gaben, als ich dich in der Scuola de' Mendicanti besuchte? Du hattest da schon die kleine Corilla gebildet, die das Publikum goutirte, ein schönes Geschöpf, bei meiner Treu!

– Ein schönes Geschöpf, nichts weiter!

– In der That? fragte Herr Holzbauer, der die Ohren gespitzt hatte.

– Nichts weiter, habe ich gesagt, entgegnete der Porpora mit Bestimmtheit.

– Es ist gut, daß man das weiß, sagte ihm Holzbauer in's Ohr. Sie ist gestern Abend hier angekommen, ziemlich krank, wie man sagt; dessen ungeachtet habe ich diesen Morgen Vorschläge von ihrer Seite erhalten, sie wünscht ein Engagement beim Hoftheater.

– Das ist nicht was Euch dient, antwortete der Porpora. Eure Frau singt ... zehnmal besser als sie.

Er hätte beinah gesagt: auch nicht schlechter! aber er besann sich bei Zeiten eines Besseren.

– Ich danke Euch für den Wink, sagte der Director.

– Eh! und sonst keine Schülerin als die dicke Corilla? fragte Caffariello weiter. Ist Venedig auf dem Sande? Ich habe Lust gehabt nächstes Frühjahr mit der Tesi hinzugehen.

– Warum nicht?

– Ja, die Tesi ist auf Dresden versessen. Werd' ich denn keine Katze in Venedig zum Miauen finden? Ich bin nicht sehr difficil, und das Publicum ist es auch nicht, wenn es einen primo nomo wie mich hat, der die ganze Oper hebt. Eine hübsche, gelenkige, gebildete Stimme für die Duetten, und ich bin zufrieden. Aber a propos Meister, was hast du denn aus der kleinen Schwarzen gemacht, die ich bei dir gesehen habe?

– Ich habe vielen kleinen Schwarzen Unterricht gegeben.

– O ja! aber diese hatte ein Wunder von Stimme und ich erinnere mich noch, daß ich zu dir sagte, als ich sie gehört hatte: das ist ein kleines Eulengesicht, das es weit bringen wird. Ich habe mir sogar den Spaß gemacht, ihr etwas vorzusingen. Armes gutes Ding! Es hat vor Entzücken geweint.

– Ah so, ah so! sagte der Porpora und sah Consuelo an, die so roth wurde wie die Nase des Maestro.

– Wie zum Teufel hieß sie doch? fuhr Caffariello fort. Ein närrischer Name ... Nun, du mußt dich ihrer erinnern, Maestro, sie war häßlich wie alle Teufel.

– Ich war es, sagte Consuelo, indem sie durch ihre Offenheit und Gutmüthigkeit die Verlegenheit überwand und sich dem Caffariello mit einer launigen doch achtungsvollen Verbeugung vorstellte.

Caffariello ließ sich durch eine solche Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen.

– Sie? sagte er lachend, indem er sie bei der Hand nahm. Sie lügen; denn Sie sind ein sehr schönes Mädchen, und die welche ich meine ...

– O, ich war es in der That! antwortete Consuelo. Sehen Sie mich nur recht an! Sie müssen mich wieder erkennen. Es ist wirklich dieselbe Consuelo!

– Consuelo! ja, das war der verteufelte Name. Aber ich erkenne Sie ganz und gar nicht wieder, und ich habe große Furcht, daß Sie ausgetauscht sind. Mein Kind, wenn Sie etwa, seitdem Sie schön geworden sind, Ihre Stimme und das Talent das Sie damals zeigten verloren haben, so wäre es besser gewesen, häßlich zu bleiben.

– Du sollst sie hören! sagte Porpora, der vor Begierde brannte, seine Schülerin vor Holzbauer zu produciren.

Und er trieb Consuelo an das Klavier, ein wenig gegen ihren Willen; denn sie war lange nicht vor einer Versammlung von Kennern aufgetreten und hatte sich gar nicht darauf gefaßt gemacht, an diesem Abend zu singen.

– Ihr mystificirt mich, sagte Caffariello. Es ist nicht die nämliche, die ich in Venedig gesehen habe.

– Du wirst dich überzeugen, entgegnete Porpora.

– In Wahrheit, Maestro, es ist grausam mich heut singen zu lassen, da ich noch den Staub von funfzig Meilen in der Kehle habe.

– Gleichviel, singe! sagte der Maestro.

– Fürchten Sie sich nicht vor mir, Kind! sagte Caffariello. Ich weiß recht gut, welche Nachsicht man haben muß, und um Ihnen alle Furcht zu benehmen, will ich mit Ihnen singen, wenn Sie wollen.

– Unter dieser Bedingung, ja! antwortete sie. Der Genuß, Sie zu hören, wird mich verhindern an mich zu denken.

– Was können wir mit einander singen? sagte Caffariello zu Porpora. Bestimme du ein Duett! ...

– Bestimme selbst, antwortete er. Es giebt nichts was sie nicht mit dir singen könnte.

– Nun gut! Etwas von deiner Mache. Ich will dir heut Vergnügen machen, Maestro! Und zudem weiß ich, daß die Signora Wilhelmine alle deine Sachen kostbar und mit Goldschnitt eingebunden stehen hat.

– Ja, murmelte Porpora zwischen den Zähnen, meine Werke sind reicher gekleidet als ich.

Caffariello griff unter die Notenbücher, blätterte und wählte ein Duett aus Eumenes, einer Oper die der Maestro in Rom für Farinelli geschrieben hatte. Er sang das Recitativ mit jener Majestät, jener Vollendung, jener maestria, welche im Augenblick alle seine Lächerlichkeiten vergessen machte und nichts als der Bewunderung und dem Entzücken Raum ließ. Consuelo fühlte sich von der ganzen Macht dieses außerordentlichen Menschen durchdrungen, gehoben, und sang nun ihrerseits das Recitativ der Frauenstimme besser vielleicht als sie je gesungen hatte. Caffariello wartete das Ende nicht ab, er unterbrach sie mit dem lebhaftesten Beifallrufe.

Ah cara! rief er zu mehren Malen, jetzt kenne ich dich wieder. Ja, das ist das merkwürdige Mädchen, das mir in Venedig auffiel. Aber nunmehr figlia mia, bist du ein Wunder geworden ( un portento). Caffariello sagt dir das.

Die Wilhelmine war ein wenig überrascht, ein wenig bestürzt, Consuelo's Stärke noch größer als in Venedig zu finden. Ungeachtet der Befriedigung die es ihr gab, ein solches Talent zuerst in ihrem Salon zu begrüßen, sah sie sich nicht ohne einen kleinen Schreck und Verdruß in die Unmöglichkeit versetzt, nach einer solchen Virtuosin sich selbst hinzustellen und ihrer Gewohnheit gemäß zu singen. Sie sprach indessen ihre Bewunderung mit vielem Geräusch aus.

Holzbauer lächelte immer in seine Cravatte hinein, aber er mochte wohl fürchten nicht Geld genug in seiner Kasse zu haben, um ein solches Talent zu bezahlen und beobachtete bei allen seinen Lobesergießungen eine diplomatische Behutsamkeit. Buononcini erklärte, daß Consuelo noch Madame Hasse und Madame Cuzzoni überträfe. Der Botschafter schwamm in solcher Seligkeit, daß der Wilhelmine Angst und Bange wurde, besonders als sie ihn einen großen Saphir von seinem Finger ziehen und der Porporina anstecken sah, die das Geschenk weder anzunehmen noch abzulehnen wagte.

Das Duett wurde wüthend da capo verlangt, aber da ging die Thür auf, und der Lakai kündigte mit respectvoller Feierlichkeit den Herrn Grafen Hoditz an. Alle Welt erhob sich, von jener unwillkürlichen Hochachtung ergriffen, die man nicht dem Berühmtesten, nicht dem Würdigsten, wohl aber dem Reichsten zu zollen pflegt.

– Ich muß doch viel Unglück haben, dachte Consuelo, daß ich hier gleich im ersten Sturme und ohne daß ich Zeit gehabt habe zu parlamentiren, zwei Personen antreffe, die mich unter Weges in Josephs Gesellschaft gesehen haben, und die sich nun ohne Zweifel eine falsche Vorstellung von meinem Lebenswandel und von meinem Verhältniß zu ihm machen. Immerhin, guter, ehrlicher Joseph! um aller Verläumdungen willen, welche unsere Freundschaft uns zuziehen mag, werde ich sie nicht, weder in meinem Herzen, noch in meinen Worten verleugnen.

Der Graf Hoditz, ganz mit Gold und Stickerei verbrämt schritt auf Wilhelmine zu und an der Art wie man dieser unterhaltenen Frau die Hand küßte, erkannte Consuelo den Unterschied der zwischen einer solchen Maitresse und den stolzen Patricierinnen gemacht wurde, welche sie in Venedig gesehen hatte. Man war galanter, liebenswürdiger, vergnügter bei der Wilhelmine, aber man sprach geschwinder, man trat weniger leise auf, man kreuzte die Beine höher, man stellte sich mit dem Rücken gegen den Kamin, kurz man war ein anderer Mensch als in der officiellen Welt. Man schien sich in diesem sans-gêne besser zu gefallen, aber es lag doch im Grunde etwas Verletzendes und Wegwerfendes darin, das Consuelo augenblicklich fühlte, obgleich dieses Etwas, maskirt durch die Gewohnheit der großen Welt und die Egards die man dem Botschafter schuldig war, sich gleichsam unmerklich machte.

Der Graf Hoditz zeichnete sich unter Allen durch jene feine Beimischung von Sichgehenlassen aus, welche der Wilhelmine, weit entfernt sie zu kränken, nur eine Huldigung mehr schien. Consuelo litt dabei nur in der Seele dieser armen Person, deren prahlende Selbstzufriedenheit ihr erbärmlich dünkte. Sie für sich selbst hätte sich nicht beleidigt gefunden: die Zingarella machte keinerlei Ansprüche, und da sie auch nicht einmal einen beachtenden Blick verlangte, so war es ihr sehr gleichgültig, ob sie zwei oder drei Linien höher oder tiefer gegrüßt wurde.

– Ich bin hierher gekommen, mein Gewerb als Sängerin zu treiben, sagte sie sich; wofern man sich nur mit meinem Gesang zufrieden zeigt, so verlange ich nichts Besseres als in meinem Winkel unbemerkt zu bleiben. Aber diese Frau, die ihre Eitelkeit in ihr Lieben mischt (wenn es anders an dem ist, daß sie ein wenig Liebe in so viel Eitelkeit mischt), wie würde sie erröthen, wenn sie die Verachtung, die Ironie fühlte, welche sich hinter allen diesen galanten und höflichen Manieren versteckt!

Man ließ sie noch mehr singen, man erhob sie in die Wolken und sie theilte im buchstäblichen Sinne mit Caffariello die Ehren der Soiree. Jeden Augenblick erwartete sie, von dem Grafen Hoditz angeredet zu werden und das Feuer neckender und mit Anspielungen gewürzter Lobsprüche aushalten zu müssen. Aber seltsam! der Graf Hoditz näherte sich gar nicht dem Klavier, gegen welches sie geflissentlich ihr Gesicht gekehrt hielt, damit er ihre Züge nicht sähe, und als er sich nach ihrem Namen und Alter erkundigt hatte, schien es, als habe er nie zuvor von ihr reden hören.

Die Sache war, daß das unbesonnene Billet, das ihm Consuelo in der Verwegenheit der Reisestimmung durch die Frau des Deserteurs zugeschickt hatte, noch nicht an ihn gelangt war. Außerdem hatte er ein sehr kurzes Gesicht und da es damals noch nicht Mode war im offnen Salon zu lorgniren, so sah er die bleichen Züge der Sängerin nur undeutlich.

Man wundert sich vielleicht, daß er, der sich mit seiner Musikliebhaberei so viel wußte, nicht neugieriger war, eine so bemerkenswerthe Virtuosin näher zu sehen. Man muß sich aber erinnern, daß der mährische Herr nichts liebte als seine eigene Musik, seine eigene Methode und seine eigenen Sänger. Die großen Talente gewannen ihm keine Aufmerksamkeit und keine Theilnahme ab, er liebte es, ihre hohen Ansprüche in seiner Schätzung herabzusetzen. Und wenn man ihm sagte, daß die Faustina Bordoni in London jährlich 50 000 Fr. gewönne und Farinelli 150 000 Fr., so zuckte er die Achseln und sagte, daß er bei seinem Theater auf Roswald in Mähren für ein Jahrgeld von 200 Gulden Sänger, von ihm selbst gebildet, habe, die wohl Farinelli, Faustina und Herrn Caffariello noch obenein werth wären.

Des Letzteren hochfahrendes Wesen war ihm ganz besonders widerwärtig und unleidlich, aus dem Grunde weil der Herr Graf in seiner Sphäre ganz dieselben Schrullen und Lächerlichkeiten hatte. Wenn die Ruhmredigen klugen und bescheidenen Leuten mißfallen, den Ruhmredigen flößen sie Haß und Abscheu ein. Jeder Eitele verschmäht seines Gleichen und verspottet in ihm das Laster das er selber hegt.

Wenn man Caffariello singen hörte, so dachte Niemand an den Dilettantismus des Grafen Hoditz; während Caffariello seine Prahlereien auspackte, konnte der Graf Hoditz keinen Raum für die seinigen finden: genug, sie waren einander im Wege. Kein Salon war groß genug, kein Auditorium aufmerksam genug, um zu gleicher Zeit zwei so von Beifallssucht verzehrte Menschen in sich zu fassen und zufrieden zu stellen.

Noch ein dritter Umstand verhinderte den Grafen Hoditz, sich seines Bertoni von Passau zu erinnern: er hatte ihn in Passau kaum recht angesehen, und es wäre ihm daher sehr schwer geworden, ihn in solcher Umwandlung wieder zu kennen. Er hatte ein kleines Mädchen gesehen assez bien faite, wie man sich damals ausdrückte um eine passable Person zu bezeichnen, er hatte eine hübsche, frische, leicht ansprechende Stimme gehört, er hatte eine ziemlich bildungsfähige Anlage wahrgenommen, mehr hatte er nicht vermuthet und bemerkt, und er brauchte nicht mehr für sein Theater in Roswald.

Bei seinem Reichthum hatte er sich gewöhnt, ohne viel Prüfung und ohne knausernd zu feilschen alles zu erstehn, was ihm gelegen kam. Er hatte Consuelo's Talent und Person kaufen wollen, wie man in Châtellerault ein Messer und in Venedig Glasperlen kauft. Der Handel war nicht zu Stande gekommen und da er Liebe keinen Augenblick für sie gefühlt hatte, so war ihm das keinen Augenblick leid gewesen. Der Verdruß hatte wohl ein wenig die Heiterkeit seines Erwachens in Passau getrübt, aber Leuten, die von sich sehr eingenommen sind, macht ein Fehlschlag dieser Art nicht lange Kummer. Sie vergessen ihn schnell: gehört ihnen nicht die Welt, zumal wenn sie reich sind? Eine Gelegenheit verfehlt, hundert andere finden sich! hatte der edle Graf gedacht.

Er flüsterte mit der Wilhelmine während, des letzten Stückes, das Consuelo sang, und da er bemerkte, daß der Porpora wüthende Blicke auf ihn schoß, entfernte er sich bald, ohne sich unter diesen pedantischen und übelerzogenen Musikern sonderlich erbaut zu haben.

11.

Consuelo's erster Gedanke, als sie wieder in ihr Zimmer trat, war, an Albert zu schreiben; aber sie ward bald inne, daß das nicht so leicht auszuführen war, als sie es sich vorgestellt hatte. In einem ersten Concept fing sie damit an, ihm alle Vorfälle ihrer Reise zu erzählen, aber mitten im Schreiben kam ihr die Furcht ein, daß die Schilderung ihrer ausgestandenen Mühseligkeiten und Gefahren ihn zu sehr aufregen möchte. Sie erinnerte sich der Art Raserei, welche sich seiner damals bemächtigt hatte, als sie ihm in der Grotte die Aengste schilderte, die sie erduldet um zu ihm zu dringen.

Sie zerriß daher diesen Brief und indem sie sich sagte, daß ein so tiefer Geist und eine so erregbare Natur die Darlegung eines herrschenden Gedankens und eines einigen Gefühles fodere, beschloß sie ihm die beunruhigende Aufzählung ihrer Erlebnisse zu ersparen und ihm nur in wenig Worten ihr Liebesversprechen und Treugelöbniß zu wiederholen.

Aber diese wenigen Worte durften nicht unbestimmt sein. Konnte sie nicht ihr uneingeschränktes Jawort geben, so mußte ihr Brief neue Seelenangst und peinigende Furcht erwecken. Konnte sie versichern, daß sie endlich das wirkliche Dasein der unbedingten Liebe und den unerschütterlichen Entschluß, dessen Albert bedurfte, um in der Erwartung ihrer zu leben, in ihrem Innern gefunden habe? Consuelo's Gewissenhaftigkeit und Ehrgefühl konnten sich einer Halbwahrheit nicht anbequemen.

Sie befragte mit Strenge ihr Herz und ihr Gewissen. Die Kraft und die Ruhe des Sieges, den sie über Anzoleto davongetragen, fand sie wohl darin. Auch fand sie wohl darin, wenn sie an Liebe, schwärmerische Verehrung dachte, die vollkommenste Gleichgültigkeit gegen alle Menschen außer Albert. Aber jene Art Liebe, jene wahre Begeisterung, die für Albert sie erfüllte, war immer noch dasselbe Gefühl, das sie an seiner Seite schon erfahren hatte. Es schien ihr nicht genug, daß Anzoleto's Andenken überwunden, daß er aus ihrer Seele verbannt war, um Albert in ihrem Herzen als den Gegenstand einer wahren Leidenschaft zu erkennen.

Es hing nicht von ihr ab, sich ohne ein gewisses Grausen die Geisteskrankheit des armen Albert vorzustellen, die traurige Einförmigkeit des Lebens auf Riesenburg, die widerstrebenden aristokratischen Vorurtheile des Stiftsfräuleins, den Mord Zdenko's, die schauerliche Grotte unter dem Schreckenstein, kurz, dieses ganze düstere und wunderliche Treiben, das sie in Böhmen gleichsam geträumt hatte; denn seit sie auf dem böhmischen Gebirge die freie Luft des Wanderlebens eingeschlürft, seit sie an Porporas Seite sich mitten in der musikalischen Sphäre wiederfand, stellten sich ihr die Ereignisse ihres böhmischen Aufenthalts nur wie die Bilder eines schweren, bangen Traumes dar.

Obgleich sie den wilden Ausbrüchen der Künstlerleidenschaft, die ihr Porpora entgegenhielt, widerstanden hatte, sah sie sich doch jetzt in einen Lebenskreis versetzt, der ihrer Erziehung, ihren Fähigkeiten, ihrer angewöhnten Denkungsweise so gemäß war, daß es ihr gar nicht wie eine Möglichkeit erschien, sich in Gedanken in die Gutsbesitzerin von Riesenburg zu verwandeln.

Was konnte sie also Albert sagen? Was konnte sie ihm verheißen, was ihm als Gewißheit melden? Befand sie sich nicht noch immer in derselben Unschlüssigkeit, in derselben innern Angst wie bei ihrer Flucht aus dem Schlosse? Wenn sie sich nach Wien lieber als anderswohin geflüchtet hatte, so war das geschehen, weil sie sich dort unter dem Schutze der einzigen rechtmäßigen Autorität befand, die sie in ihrem Leben anzuerkennen hatte. Der Porpora war ihr Wohlthäter, ihr Vater, ihre Stütze, ihr Herr und Meister in der engsten Bedeutung des Wortes. Bei ihm fühlte sie sich nicht mehr verwaist, maß sie sich nicht mehr das Recht bei, über sich nach der bloßen Eingebung ihres Herzens oder ihres Verstandes zu verfügen.

Nun aber hatte der Porpora den Gedanken an eine Heirat, in welcher er nichts als einen Mord des Genies, eine große Bestimmung der Grille einer romanhaften Hingebung zum Opfer gebracht sah, getadelt, verspottet, mit Strenge verworfen. In Riesenburg war zwar auch ein hochherziger, edler, feinfühlender Greis, der Consuelo's Vater sein wollte: aber wechselt man die Väter nach den Umständen? Und wenn der Porpora Nein sagte, konnte Consuelo das Ja des Grafen Christian annehmen?

Sie durfte, sie konnte nicht und sie mußte warten was für einen Ausspruch der Porpora nach reiferer Erwägung des Geschehenen und der vorhandenen Gefühle thun würde. Was aber sollte sie, während sie die Bestätigung oder die Widerrufung seiner bisherigen Meinung erwartete, dem unglücklichen Albert sagen, um ihn geduldig zu machen, indem sie ihm seine Hoffnung nicht raubte? Den ersten Zornerguß des Porpora ihm schildern? Hätte das nicht Albert's Zuversicht in Grund und Boden erschüttern müssen? Darüber schweigen? Hieß das nicht Albert betrügen? Und Consuelo wollte sich nicht gegen ihn verstellen. Und wenn sie das Leben dieses edeln Jünglings durch eine Lüge hätte retten können, Consuelo würde nicht gelogen haben. Es giebt Wesen, die man zu hoch achtet, um sie zu täuschen, und wäre es zu ihrem Besten.

Zwanzigmal fing sie daher den Brief von vorn an und zerriß alle diese Anfänge wieder, ohne sich zur Fortsetzung eines einzigen entschließen zu können. Wie sie es auch versuchte, immer begegnete ihr beim dritten Wort eine gewagte Versicherung oder ein zweifelhafter Ausdruck, der üble Folgen haben konnte.

Sie legte sich in's Bett, überwältigt von Müdigkeit, Verdruß und Angst und litt lange von Frost und Schlaflosigkeit, ohne daß sie zu einem festen Entschluß, zu einer reinen Entscheidung über ihre Zukunft und Bestimmung gelangen konnte. Sie schlief endlich ein und schlief so spät in den Tag hinein, daß Porpora, der immer sehr früh aufstund, schon aus- und seinen Geschäften nachgegangen war. Sie fand Haydn, wie am vorigen Tage, damit beschäftigt, die Kleider seines neuen Herrn zu bürsten und im Zimmer aufzuräumen.

– Nun, schöne Schläferin, rief er, als er seine Freundin endlich erscheinen sah, ich sterb vor Ungeduld, Betrübniß und besonders Furcht, wenn ich Sie nicht wie einen Schutzgeist zwischen mir und diesem fürchterlichen Professor seh. Es ist mir immer, als ob er meine Absicht merken, das Complott zu Schanden machen und mich in sein altes Klavier einsperren würd, um mich harmonisch zu ersticken. Er treibt mir die Haare zu Berge, dein Porpora und ich kann mir nicht anders denken, als daß er ein alter italienischer Teufel ist, denn euer Satan dort ist bekanntlich viel böser und feiner als unserer.

– Beruhige dich, Freund, antwortete Consuelo, unser Herr ist nur ein Unglücklicher, böse ist er nicht. Laß uns zuvörderst alle unsere Mühe anwenden, ihm ein wenig Glück zu bereiten und wir werden ihn bald sanfter werden und zu seinem wahren Character zurückkehren sehen. Als ich noch Kind war, habe ich ihn herzlich und heiter gesehen, er war berühmt für die Feinheit und Scherzhaftigkeit seiner Antworten. Du hättest ihn damals kennen sollen als sein Polyphem auf dem Theater San-Mose gesungen wurde, als er mich mit auf das Theater nahm und mich in die Kulisse stellte, von wo ich die Comparsen von hinten und den Kopf des Riesen sehen konnte! Wie schön und schrecklich schien mir das alles von meinem Winkelchen aus! Ich hockte hinter einem Felsen aus Pappe oder auf einer Coulissenleiter Es heißt im Original échelle à quinquets (der leiterartige Lampenwagen). Aber die Argand'schen Lampen sind erst 1783 erfunden und man pflegte früher die Theater mit Talglichtern zu beleuchten. – D. U.: kaum wagte ich zu athmen und unwillkürlich machte ich mit meinem Kopfe und mit meinen kleinen Armen alle Geberden, alle Bewegungen der Schauspieler nach. Und wenn der Maestro auf die Bühne gerufen und durch das Geschrei des Parterrs gezwungen wurde, siebenmal vor dem Vorhange längs der Rampe hinzugehen, so erschien er mir wie ein Gott. Wie stolz, wie schön in seiner Freude sah er dann aus! Ach, er ist noch nicht sehr alt, und so verändert, so niedergebeugt! Nun, Beppo, an's Werk, daß er sein armes Logis, wenn er wieder nach Hause kommt, ein wenig behaglicher finde, als er es verlassen hat. Zuerst will ich seine Sachen durchsehen, um zu wissen, was ihm fehlt.

– Was ihm fehlt, wird ein Bissel viel sein und was er hat, desto leichter zu übersehen, antwortete Joseph; denn ich glaube nicht, daß meine eigene Garderobe armseliger und schlechter im Stande ist.

– Nun, ich werde auch dafür sorgen, die deinige in Stand zu bringen, denn ich bin deine Schuldnerin, Joseph, du hast mich die ganze Reise ernährt und gekleidet. Zuerst laß uns an Porpora denken. Oeffne mir den Schrank da. Was? nur Ein Kleid? Das, welches er gestern beim Gesandten anhatte?

– Leider ja! Ein kastanienbrauner Leibrock mit gravirten Stahlknöpfen, nicht mehr sehr neu. Den andern Rock, der zum Erbarmen abgenutzt und zerfallen ist, hat er zum Ausgehen angezogen. Was den Schlafrock betrifft, so weiß ich nicht, ob er je einen gehabt hat, ich hab eine Stunde lang vergeblich danach gesucht.

Consuelo und Joseph durchstöberten alle Winkel, aber sie überzeugten sich, daß des Maestro Schlafrock so wie auch sein Ueberrock und sein Muff nur in ihrer Einbildung vorhanden waren. Bei Durchsicht der Hemden ergab sich ein Bestand von drei Stück in Lumpen, die Manchetten fielen in Stücke und so alles Uebrige.

Joseph, sagte Consuelo, da ist ein schöner Ring, den ich gestern für's Singen erhalten habe; ich will ihn nicht verkaufen, das würde die Aufmerksamkeit auf mich ziehen und vielleicht die Personen, denen ich ihn verdanke, gegen meine Habgier aufbringen. Aber ich kann ihn verpfänden und mir das Geld, dessen wir benöthigt sind, darauf leihen lassen. Keller ist ein ehrlicher und gewandter Mensch: er wird diesen Ring wohl schätzen können und vielleicht irgend einen Wucherer wissen, der mir eine hübsche Summe darauf vorstreckt. Geh geschwind und komm bald wieder.

– Das wird leicht gemacht sein, antwortete Joseph. Es wohnt ein Jud', eine Art Juwelenhändler mit Keller in demselben Hause, und dieser Mann ist für solche geheime Geschäfte das Factotum von mehr als einer Dame; Sie können in Zeit von einer Stunde Geld haben. Aber für mich will ich nichts, hören Sie, Consuelo! Sie selbst haben Kleider nöthig, denn Ihre ganze Garderobe hat die Reise auf meiner Schulter mitgemacht, und Sie werden morgen, vielleicht heut Abend noch in Gesellschaft gehen müssen, da müssen Sie etwas Anderes als dieses Lapperl haben.

– Wir wollen nachher schon berechnen, was sich ausführen läßt. Und nach meinem Sinne, Joseph! Ich habe deine Dienste unbedenklich angenommen, nun habe ich das Recht zu fordern, daß du die meinigen nicht ausschlägst. Hurtig, zu Keller!

Haydn kam wirklich nach Verlauf einer Stunde zurück und brachte Keller mit und 1500 Gulden. Keller, von Consuelo's Absichten unterrichtet ging und kam bald mit einem Schneider von seiner Bekanntschaft, einem geschickten und raschen Arbeiter wieder, welcher das Maß von Popora's Kleidungsstücken nahm und sich anheischig machte, in einigen Tagen zwei vollständige Anzüge und einen guten wattirten Schlafrock fertig zu schaffen, auch Linnenzeug und andere zur Kleidung erforderliche Gegenstände zu besorgen, die er bei zuverlässigen Arbeiterinnen bestellen würde.

– Jetzt, sagte Consuelo zu Keller sobald der Schneider fort war, müssen Sie mir über dieses alles das strengste Geheimniß versprechen. Mein Lehrer ist ebenso stolz als er arm ist, und er würde gewiß meine armen Gaben zum Fenster hinauswerfen, wenn er auch nur argwöhnte, daß sie von mir kämen.

– Wie wollen Sie's aber anstellen, Signora, bemerkte Joseph, daß er, ohne es gewahr zu werden, die neuen Kleider statt der alten anziehe?

– O, ich kenne ihn und ich stehe Ihnen dafür, daß er nichts merken soll. Ich weiß schon, wie man es anstellen muß.

– Schön! Und nun Signora, fuhr Joseph fort, der den richtigen Takt besaß, nie, wenn sie nicht allein waren, in vertraulichem Tone mit seiner Freundin zu sprechen, um den Andern keine falsche Vorstellung von der Art ihrer Freundschaft beizubringen, wollen Sie nun nicht auch an sich denken? Sie haben beinah nichts von Böhmen mit hergebracht, und außerdem sind Ihre Kleider nicht nach hiesiger Mode gemacht.

– Bald hätte ich diese wichtige Angelegenheit vergessen! Der gute Herr Keller muß hierin mein Rath und mein Führer sein.

– Schon gut! sagte Keller, ich versteh mich darauf, und wenn ich Sie nicht nach dem neusten und besten Geschmack herausputz, so sollen's sagen, daß ich ein Pinsel und ein Flausenmacher bin.

– Ich verlasse mich auf Sie, guter Keller; nur muß ich Ihnen bemerklich machen, daß ich sehr einfach bin, und daß alles was in die Augen fällt, lebhafte Farben und dergleichen weder zu meiner gewöhnlichen Blässe noch zu meinem schlichten Geschmack stimmt.

– Sie kränken mich, Signora, wenn's denken, daß Sie mir das erst sagen müssen. Das verlangt schon mein Fach, daß ich wissen muß, was für Farben zu den Gesichtern stehen, und meinen's, daß ich in Ihrer Visage nicht schon Ihr Naturel erkennen thu. Ich will Ihnen sagen, was dem Ankleider und Coiffeur sein Sach ist, man muß die Person herausstaffiren aber nit entstellen.

– Noch ein Wort ins Ohr, lieber Herr Keller, sagte Consuelo indem sie den Friseur bei Seite nahm. Sie sollen auch Herrn Haydn von Kopf zu Fuß neu kleiden, und von dem Rest des Geldes sollen Sie für Ihre Tochter ein hübsches seidnes Kleid besorgen, das ich ihr zu ihrer Hochzeit schenken will. Ich hoffe, die wird bald sein, denn wenn ich hier Succeß habe, so werde ich unserm Freund nützlich sein und ihm helfen können, sich bekannt zu machen. Er hat Talent, viel Talent, das glauben Sie nur.

– Wirklich, Signora? Es ist mir eine große Freud, daß Sie mir das sagen thun, ich bin mir's schon immer vermuthend gewesen. Was sag' ich? Ich hab's gewiß geglaubt, vom ersten Tag an, daß ich ihn im Kapellhaus als ganz kleinen Chorbuben gesehen hab.

– Es ist ein nobles Kind, antwortete Consuelo, und seine Erkenntlichkeit und Rechtschaffenheit wird Sie für alles belohnen was Sie an ihm gethan haben, denn Sie, Herr Keller, ich weiß es wohl, sind auch ein würdiger Mann und ein nobles Herz.

– Nun aber sagen Sie uns doch, fuhr sie fort, indem sie sich mit Keller Joseph wieder näherte, ob Sie schon ausgeführt haben, was wir in Bezug auf Josephs Gönner verabredeten. Es war Ihr Gedanke: haben Sie ihn schon ins Werk gerichtet?

– Ob ich's gethan hab, Signora! antwortete Keller. Sagen und thun, das ist bei mir eins. Als ich heut morgen meine Kunden frisiren gegangen bin, hab ich zuerst den Herrn Botschafter von Venedig in Kenntniß gesetzt (ich hab nicht die Ehr, ihn in Person zu coeffiren, aber ich frisir seinen Herrn Secretair), sodann den Herrn Abbate von Metastasio, dem ich alle Morgen den Bart zurecht mach und sein Mündel Mademoiselle Mariane Martinez, deren Kopf ebenfalls in meinen Händen ist. Endlich bin ich noch bei zwei oder drei anderen Personen eingedrungen, die Seppel von Gesicht kennen und ihn bei Meister Porpora einmal sehen könnten. Bei denen, die nicht meine Kunden sind, hab ich eine Ausred gemacht. »Die gnädige Frau,« hab' ich gesagt, »haben, wie ich hör', herum geschickt nach dem veritablen Bärenfett, und ich nehm mir die Freiheit, Ihr Gnaden welches zu bringen, wofür ich einsteh. Ich beehr' mich, es den hohen Herrschaften gratis zu überreichen und verlang halt nichts als die Lieferung, wenn es zu Ihrer Zufriedenheit ist.« Oder ich hab gesagt: »Hier ist ein Gebetbuch, das vorigen Sonntag im S. Stephan gefunden ist, und weil ich die Kathedralen frisir (wollt sagen die Herrn vom Kapellhaus) so hab ichs auf mich genommen zu fragen, ob das Buch nicht Ihr Gnaden ist.« Es ist halt nur eine alte lederne, vergüldte Scharteken gewesen, die ich einem Domherrn von seinem« Stuhl weggenommen hab, und die hab ich vorgezeigt. Und wenn ich dann nur erst den Eingang gehabt hab, so hab ich zu plauschen angefangen, wie es die Herrschaften bei Einem von meiner Profession halt schon gewohnt sein. Ich hab zum Exempel gesagt:

– »Ein geschickter junger Musikus hat mir viel von Ew. Gnaden erzählt, der Joseph Haydn: das hat mir die Dreistigkeit gemacht, daß ich gewagt hab, mich in Ihr Gnaden hoch-ansehnliches Haus einzudrängen.«

– »Was, haben's gesagt, der Seppel? Ein charmantes Talent, ein junger Mensch, der viel verspricht.«

– »Ja wohl,« hab' ich gesagt, »es wird Ihr Gnaden Spaß machen, zu hören was für eine närrische Sach und ein Glück ihm arrivirt ist.«

– »Was ist ihm denn arrivirt? ich weiß nichts davon.«

– »Jesus Marie, es ist die allernärrischste und gespaßigste Sach, die man sich denken kann. Er ist Kammerdiener geworden.«

– »Was, Bedienter? Pfui doch, wie kann er sich so herabsetzen! Ist er denn so in Noth? Da will ich ihm doch helfen.«

– »Halten's zu Gnaden, hab ich gesagt, aus Liebe zur Kunst hat er den närrischen Entschluß gefaßt. Er hat mit aller Gewalt Stunden bei dem berühmten Meister Porpora haben wollen ...«

– »Ach ja, ich weiß, der Porpora hat nichts von ihm wissen wollen und hat ihn nicht angenommen. Das ist ein recht griesgrämiges Genie.«

– »Es ist ein großer Mann, ein großes Herz,« hab ich geantwortet, wie es Signora Consuelo gewünscht haben, damit Ihr Lehrer nicht von den Leuten um diese Sach getadelt und verspottet werd. »Sein's versichert,« hab ich weiter gesagt, »daß er bald dem jungen Haydn sein großes Talent erkennen und sich seiner annehmen wird; aber um ihn nicht zu chagriniren und um sich bei ihm zu introduciren, ohne ihn wild zu machen, hat der Haydn nichts gescheuteres zu thun gewußt, als in seinen Dienst als Kammerdiener zu treten und sich so zu stellen, als ob er nichts von der Musik verstehen thät.«

– »O das ist eine allerliebste, rührende Idee,« haben's mir ganz empfindsam geantwortet, »das ist ein rechter Heldenmuth von einem Künstler, aber er muß geschwind machen, sich in des Porpora Gunst einzustehlen, damit der Porpora nicht erfahr', daß er schon ein recht guter Künstler ist, denn es sind Personen, die den jungen Haydn lieb haben und protegiren und die auch zu dem Porpora ins Haus kommen.«

– »O diese Personen,« hab' ich dann mit einer zutraulichen Mienen gesagt, »sein zu edel und zu großmüthig, um nicht Seppels Geheimniß, so lang es Noth thut, zu hüten und sich gegen den Porpora ein Bissel zu verstellen, damit er nicht mißtrauisch gegen den Haydn werden thu.«

– »O, haben's dann gesagt, ich werd gewiß nicht der sein, der den guten, braven jungen Haydn verräth. Ich geb ihm mein Wort darauf und meinen Leuten werd' ichs auch verbieten, daß sie in Gegenwart des Maestro kein unbehutsames Wort fallen lassen.«

Dann haben's mich weggeschickt mit einem kleinen Geschenk oder einer Commission auf Bärenfett, und was den Herrn Secretair des Herrn Botschafters betrifft, so hat er sich für die Sach sehr interessirt und hat mir versprochen, sie dem Herrn Corner beim Frühstück vorzutragen, damit der Herr Botschafter, der den Seppel sehr gern hat, sich gegen den Porpora in Acht nehmen thu. So hab ich meine diplomatische Mission ausgeführt. Sein's zufrieden, Signora?

– Wenn ich Königin wäre, so würde ich Sie auf der Stelle zum Ambassadeur ernennen, antwortete Consuelo. Aber ich sehe meinen Lehrer auf der Straße. Geschwind, lieber Keller, machen Sie, daß Sie fortkommen, damit er Sie nicht hier finde.

– Warum soll ich machen, daß ich fortkomm, Signora? Ich will Sie coeffiren, und er wird denken, daß Sie, durch Seppel den ersten besten Friseur haben holen lassen.

– Er ist hundertmal klüger als wir, sagte Consuelo zu Joseph, und sie überließ ihr schwarzes Haar Kellers leichten Händen, während Joseph seinen Staubbesen nahm und seine Schürze vorband und Porpora schwerfällig die Treppe heraufstieg, ein Thema aus seiner nächsten Oper vor sich hin singend.

12.

Porpora, der sehr zerstreuten Wesens war, küßte seine Adoptivtochter auf die Stirn, ohne Keller, der sie beim Schopfe hielt, auch nur zu bemerken, und fing an nach dem Notenblatte zu suchen, worauf er das Thema, das ihm im Kopfe herumging, geschrieben hatte. Als er nun seine Papiere, die gewöhnlich in unvergleichlicher Unordnung auf dem Klaviere zerstreut lagen, alle in regelmäßige Haufen vertheilt sah,erwachte er aus seiner Zerstreuung und schrie:

Spitzbube nichtswürdiger! Er hat sich erfrecht, meine Manuskripte anzurühren. Das hat man nun von den Bedienten! Sie meinen Ordnung zu machen und kramen alles durch einander! Ich hatt's auch gerade nöthig, einen Bedienten zu nehmen. Da hab' ich nun meine Qual.

– Verzeihen Sie ihm, Meister, sagte Consuelo. Ihre Noten waren in einem Chaos ...

– In diesem Chaos fand ich mich zurecht! Ich konnte in der Nacht aufstehn und im Finstern nach jedem Blättchen aus meiner Oper greifen, jetzt kann ich nichts mehr finden, ich bin verloren, ich brauch' einen Monat, ehe ich wieder in Ordnung komme.

– Nein, Meister, Sie werden sich gleich zurecht finden. Uebrigens habe ich den Fehler begangen, und obgleich die Blätter nicht numerirt waren, glaub ich doch jedes an die rechte Stelle gelegt zu haben. Sehen Sie, ich weiß gewiß, Sie werden jetzt bequemer in dem Heft lesen, das ich daraus gemacht habe, als in dieser Masse fliegender Blätter, die jeder Windstoß zum Fenster hinaus werfen konnte.

– Windstoß! Ist denn meine Stube die Lagunen von Fusina?

– Nun, wenn kein Windstoß, doch ein Luftzug beim Auskehren und Abstäuben.

– Was braucht meine Stube gekehrt und gestäubt zu werden? Vierzehn Tage hab' ich darin gewohnt und habe keinen Menschen hineingelassen.

– Ich hab's gemerkt, dachte Joseph.

– Ei, Meister, Sie müssen mir erlauben, hierin von Ihrer Gewohnheit abzugehen. Es ist nicht gesund, in einem Zimmer zu schlafen, das nicht alle Tage gelüftet und gereinigt wird. Ich will es auf mich nehmen, jedesmal die Unordnung, die Ihnen lieb ist, methodisch wieder herzustellen, wenn Beppo gefegt und geräumt haben wird.

– Beppo, Beppo, was ist Beppo? Ich weiß von keinem Beppo.

– Beppo ist Der, sagte Consuelo auf Joseph zeigend. Er hatte einen Namen, der so hart klingt, daß er Ihnen jeden Augenblick das Ohr zerrissen hätte, und da habe ich ihm den ersten venetianischen Namen gegeben, der mir einfiel. Beppo ist gut, es ist kurz, es läßt sich singen.

– Wie du willst, antwortete Porpora, der sich zu besänftigen anfing, indem er seine Oper durchblätterte und sie wohl geordnet und in ein einziges Buch zusammengeheftet fand.

– Nicht wahr, Maestro, sagte Consuelo, da sie ihn lächeln sah, es ist so bequemer?

– Ach, du willst nur immer Recht haben, du! du wirst dein Lebenlang ein eigensinniges Geschöpf sein.

– Meister, haben Sie gefrühstückt? fragte Consuelo, die Keller jetzt frei ließ.

– Und du? hast du gefrühstückt? fragte Porpora dagegen, halb ungeduldig halb besorgt.

– Ja, ich habe gefrühstückt. Aber Sie, Meister?

– Und der Bursch da, der ... Beppo, hat er Frühstück bekommen?

– Er hat bekommen. Aber Sie, Meister?

– Ihr habt also etwas hier gefunden? Ich erinnere mich nicht, daß ich Lebensmittel im Hause hatte.

– Wir haben ganz gut gefrühstückt. Und Sie, Meister?

– Und Sie Meister! Und Sie Meister! Geh zum Teufel mit deinem Fragen. Was geht es dich an?

– Meister, du hast nicht gefrühstückt! antwortete Consuelo, die sich manchmal erlaubte, den Porpora mit venetianischer Vertraulichkeit zu dutzen.

– O, ich sehe schon, daß mir der Teufel ins Hans gefallen ist. Sie wird mir keine Ruhe lassen. Marsch, geh her und sing' mir da die Stelle. Aber ich bitte dich, gieb Acht.

Consuelo trat an das Klavier und sang die Stelle, während Keller, der ein Dilettant trotz Einem war, am andern Ende der Stube mit dem Kamm in der Hand und mit offenem Munde stehen blieb. Der Maestro, der mit seiner Melodie nicht zufrieden war, ließ sie sich dreißigmal nach einander wiederholen, indem er bald auf diesen, bald auf jenen Ton den Druck legen ließ und die Wendung, die ihm vorschwebte, mit einer Hartnäckigkeit suchte, der nur Consuelo's Geduld und Fügsamkeit gleich kamen.

Inzwischen war Joseph auf ein Zeichen von ihr, nach der Chocolade gegangen, welche sie, während Keller ihre Aufträge besorgte, eigenhändig bereitet hatte. Er brachte sie und stellte sie, die Absicht seiner Freundin errathend, leise auf das Notenpult, ohne Porpora's Aufmerksamkeit zu erwecken, der nach einigen Augenblicken mechanisch danach griff, sie in die Tasse schüttete und mit großem Appetit genoß. Eine zweite Tasse wurde hereingebracht und ebenso verzehrt, nebst Brot und Butter, und Consuelo, die ein kleiner Trotzkopf war, sagte zu ihm, als sie ihn behaglich essen sah:

– Ich wußte es wohl, Meister, daß du nicht gefrühstückt hattest.

– Es ist wahr, sagte er ohne Verdrießlichkeit, ich glaube, ich hab' es vergessen; das begegnet mir oft, wenn ich componire, und ich bemerke es erst im Laufe des Tages, wenn sich mir der Magen zusammenzieht.

– Und dann trinkst du Branntwein, Meister?

– Wer hat dir das gesagt, dumme Trine?

– Ich habe die Flasche gefunden.

– Nun was geht's dich an? Willst du mir etwa den Branntwein verbieten?

– Gewiß, ich werd' ihn dir verbieten. In Venedig hast du kein hitziges Getränk genossen und hast dich wohl dabei befunden.

– Ja wohl, das ist wahr, sagte der Porpora traurig. Ich dachte mir, daß dort alles so schlecht als möglich ginge und es würde hier alles besser gehen. Aber es geht bei mir immer aus dem Schlechten ins Schlechtere. Geld, Gesundheit, Ideen ... alles!

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen.

– Soll ich dir sagen, warum dir hier das Arbeiten schwer wird? fing Consuelo wieder an, die seine Gedanken von der Schwermuth, die ihn befiel, durch Nebendinge ablenken wollte. Weil du deinen guten Kaffee nach venetianischer Art nicht hast, der Kraft giebt und munter macht. Du willst dich nach deutscher Art einrichten und trinkst Bier und Branntwein; das bekommt dir nicht.

– Ja, du hast wieder Recht. O mein guter venetianischer Kaffee! Das war eine unerschöpfliche Quelle von guten Einfällen und Gedanken. Das war das Genie, der Geist, die mit angenehmer Wärme durch meine Adern flossen. Alles was man hier genießt, macht traurig oder toll.

– Nun, Meister, trink doch Kaffee!

– Hier? Kaffee? Nein, ich mag nicht. Das macht zu viele Umstände. Da muß man Feuer haben, eine Magd, ein Geschirr, das gewaschen, hingeworfen, zerbrochen wird und einen mißtönenden Lärm mitten in dem besten harmonischen Gedanken macht. Nein, nichts davon!Meine Flasche, auf dem Fußboden, zwischen meinen Beinen, das ist bequemer, das ist gleich fertig.

– Und zerbricht sich auch. Ich habe sie heut Morgen entzweigeschlagen, als ich sie in den Schrank setzen wollte.

– Was? meine Flasche hast du mir entzweigeschlagen? Was hält mich ab, Kröte du, daß ich dir nicht meinen Stock auf dem Rücken entzweischlage?

– Pah, seit funfzehn Jahren haben Sie mir das gesagt, und Sie haben mir noch keinen Klapp mit der Hand gegeben. Ich fürchte mich gar nicht.

– Schwätzerin! wirst du singen? Wirst du mir aus diesem verdammten Thema helfen? Ich wette, du kannst es noch nicht einmal, so zerstreut bist du diesen Morgen.

– O ich weiß es auswendig, Sie sollen sehen! sagte Consuelo und schloß hastig das Buch.

Sie sang nun die Stelle, wie sie dachte daß sie sein müßte, nicht wie sie Porpora geschrieben hatte. Sie kannte seine Launen, und wiewohl sie gleich beim ersten Singen gemerkt hatte, daß er sich in seinen Gedanken verwickelt und ihn, je mehr er daran feilte, desto mehr aus seinem natürlichen Geschick gebracht hatte, wollte sie sich doch nicht erlauben, ihm einen Rath zu geben. Er würde denselben aus Widerspruchsgeist verworfen haben. Aber indem sie ihm die Phrase so sang wie sie sich dieselbe dachte und dabei that als ob es nur aus Irrthum geschähe, war sie gewiß, daß er davon betroffen sein würde.

Kaum hatte er sie gehört, so hüpfte er auf seinem Stuhle, klopfte in die Hände und rief:

– Das ist es, das ist es! das ist, was ich gewollt habe und nicht finden konnte. Wie zum Teufel bist du darauf gekommen?

– Ist es nicht das was Sie geschrieben hatten? Oder wäre zufällig ...? Gewiß aber, es ist Ihre Melodie.

– Nein! es ist die deine, Spitzbübin! rief Porpora, der die Ehrlichkeit selbst war und bei all seinem krankhaften und unmäßigen Ehrgeize sich doch niemals aus Eitelkeit mit fremden Federn geschmückt hatte. Du, du hast sie gefunden. Singe sie mir noch einmal vor! Sie ist gut und ich will sie gebrauchen.

Consuelo wiederholte ihre Melodie noch ein Paarmal und der Porpora schrieb sie nach; dann drückte er seine Schülerin an seine Brust und sagte:

– Du bist der Teufel. Ich habe es immer gesagt, daß du der Teufel bist.

– Ein guter Teufel, glauben Sie mir, Meister, antwortete Consuelo lächelnd.

Vergnügt, daß er nach einem ganzen Morgen vergeblicher Qual und unnützer Anstrengung endlich sein Thema hatte wie er es haben wollte, tastete Porpora unwillkürlich auf dem Fußboden nach dem Hals seiner Flasche, und da er nichts fand, griff er ebenso mechanisch auf das Musikpult und trank aus der Tasse, welche auf demselben stand. Es war vortrefflicher Kaffee, den Consuelo zugleich mit der Chocolade mit kundiger und sorgsamer Hand bereitet und den Joseph, auf einen neuen Wink seiner Freundin, ganz heiß hereingebracht hatte.

– O Nectar der Götter! Freund der Componisten! rief Porpora, ihn schlürfend. Welcher Engel, welche Fee hat dich unter ihrem Flügel aus Venedig hierher gebracht?

– Der Teufel, antwortete Consuelo.

– Du bist ein Engel und eine Fee, mein gutes Kind, sagte Porpora sanft, indem er wieder auf sein Pult sank. Ich sehe wohl, daß du mich lieb hast, daß du mich pflegst, daß du mich glücklich machen willst! Sogar der arme Bursch da nimmt Antheil an meinem Loose! fügte er hinzu, als er Joseph auf der Schwelle des Vorzimmers stehen und ihn mit nassen, glänzenden Augen anblicken sah. Ach, meine armen Kinder, ihr wollt ein sehr klägliches Leben versüßen! Ihr seid unklug! ihr wißt nicht was ihr thut. Ich bin zum Unglück geboren und ein Paar Tage der Liebe und des Wohlbehagens werden nur dazu dienen, mich, wenn sie vorüber sind, desto schmerzlicher fühlen zu lassen, wie schrecklich mein Schicksal ist.

– Ich werde dich nie verlassen, ich werde stets deine Tochter, deine Magd sein, sagte Consuelo, seinen Hals umfassend. Der Porpora ließ sein kahles Haupt auf das Notenbuch sinken und zerfloß in Thränen. Auch Consuelo und Joseph weinten und als Keller, den seine Musikleidenschaft noch festgehalten hatte, und der, damit er einen Grund zum Bleiben hätte, sich im Vorzimmer mit des Meisters Perücke zu schaffen machte, durch die halboffene Thür das ehrwürdige und ergreifende Schauspiel seines Schmerzes sah, Consuelo's kindliche Pietät und die Begeisterung für den ruhmvollen Greis, die Josephs Herz klopfen machte, ließ er seinen Kamm aus der Hand fallen und drückte, verwirrt durch die Rührung, in welche er ganz versunken war, Porporas Perücke statt des Sacktuchs an seine Augen.

 

Einige Tage mußte Consuelo wegen eines Fiebers das Zimmer hüten. Sie hatte auf ihrer langen, abentheuerlichen Reise allem Ungestüm der Witterung getrotzt, allen Launen des Herbstes, der je nach den höheren oder tieferen Gegenden, die sie durchwanderte, bald heiß, bald regnicht und kalt war. Leicht gekleidet, nur einen Strohhut auf dem Kopfe, ohne Mantel, ohne Kleider zum Wechseln wann sie durchnäßt war, hatte sie doch nicht den leichtesten Schnupfen davon getragen. Kaum aber war sie wieder eingemauert in Porporas düstere, feuchte, schlecht gelüftete Wohnung, als Frösteln und Unbehagen ihre Kraft und ihre Stimme brach.

Der Porpora war sehr verdrießlich über diesen Querstrich. Er wußte, daß Eile nöthig war, wenn seine Schülerin ein Engagement bei der italienischen Oper erlangen sollte: denn Madame Tesi, die nach Dresden hatte gehen wollen, schien schon wankend zu werden durch Caffariello's Bitten und Holzbauers glänzende Anerbietungen, der es für eine Ehrensache hielt, eine so berühmte Sängerin dem kaiserlichen Theater zu erhalten.

Von einer andern Seite ließ die Corilla, die in Folge ihrer Niederkunft noch das Bett hüten mußte, durch die Freunde, welche sie sich in Wien gewonnen hatte, bei den Directoren intriguiren und machte sich stark, um nöthigenfalls schon in acht Tagen zu debütiren. Es war Porpora's glühender Wunsch, Consuelo engagirt zu sehen, sowohl ihretwegen als der Oper wegen, die er zugleich mit ihr anzubringen hoffte.

Consuelo ihrerseits wußte nicht, wozu sie sich entschließen sollte. Nahm sie ein Engagement an, so hieß das die Möglichkeit ihrer Verbindung mit Albert hinausschieben; es hieß, die Rudolstadt in Schreck und Jammer stürzen, die ganz gewiß nichts weniger als ihr Wiederauftreten auf dem Theater erwarteten; es hieß, ihrer Meinung nach, auf die Ehre, ihnen anzugehören, verzichten und dem jungen Grafen zu erkennen geben, daß sie ihm den Ruhm und ihre Freiheit vorzöge.

Auf der andern Seite, das Engagement ausschlagen hieß Porpora's letzte Hoffnungen zerstören; hieß ihm nun wieder dieselbe Undankbarkeit zeigen, die bisher die Verzweiflung und das Unglück seines Lebens gewesen war; kurz, hieß ihm einen tödtlichen Stoß versetzen. Voll Angst erkannte Consuelo den Scheideweg, an welchen sie gestellt war, sie sah, daß sie tief verwunden würde, wohin immer sie sich wendete, und sie versank in tiefen Trübsinn. Ihre kräftige Constitution bewahrte sie vor einer ernsten Krankheit, aber in diesen Tagen voll Angst und Pein, von Fieber durchschauert, entkräftet, bei einem kümmerlichen Kaminfeuer kauernd, oder sich in wirthschaftlicher Beschäftigung von einem Zimmer ins andere schleppend, zehrte sie an dem Wunsche, an der traurigen Hoffnung, daß eine schwere Erkrankung sie aus dem Widersinn der Pflichten und der Bedrängniß ihrer Lage retten möchte.

Porpora, dessen böse Laune einen Augenblick verscheucht gewesen, wurde wieder finster, zänkisch und ungerecht, als er Consuelo, die Quelle seiner Hoffnungen, die Triebfeder seiner Kraft, plötzlich in Niedergeschlagenheit und Willenlosigleit versinken sah. Anstatt sie aufzurichten, sie anzufeuern durch geistige Anregung und Zärtlichkeit, zeigte er ihr nur krankhafte Ungeduld, wodurch sie nun vollends niedergedrückt wurde.

Abwechselnd schwach und heftig, sah der ebenso liebreiche als grämliche Greis, von demselben Spleen verzehrt, der Jean Jacques Rousseau nicht lange nach dieser Zeit aufrieb, überall Feinde, Verfolger, Undankbare, ohne zu bemerken, daß sein Argwohn, seine Aufwallungen und seine Ungerechtigkeit nicht wenig dazu beitrugen,das Uebelwollen und das feindselige Benehmen, das er den Andern beimaß, hervorzurufen und zu rechtfertigen. Diejenigen, welche er so verletzte, mußten ihn zuerst für toll halten, dann für schlecht und damit enden, sich von ihm loszureißen, sich vor ihm zu hüten oder sich an ihm zu rächen. Es giebt eine Mitte zwischen niederer Gefügigkeit und wildem Menschenhaß, die Porpora nicht kannte und niemals erreichte.

Nachdem Consuelo verschiedene unnütze Versuche gemacht und sich überzeugt hatte, daß Porpora ihre Liebe und ihre Heirat nie gut heißen würde, nahm sie sich vor, keine Erklärungen weiter hervorzurufen, die ihren unglücklichen Lehrer nur immer mehr erbitterten und in seinen Vorurtheilen befestigten. Sie sprach Albert's Namen nicht mehr aus und war entschlossen, den Contract zu unterzeichnen, den ihr Porpora aufbringen würde. Wenn sie mit Joseph allein war, fand sie einige Erleichterung darin, ihm ihr Herz zu öffnen.

– Wie seltsam ist mein Schicksal, sagte sie oft. Der Himmel hat mir für die Kunst Anlagen und Neigung gegeben, das Bedürfniß der Freiheit, die Liebe zu einer stolzen, keuschen Unabhängigkeit; und anstatt der kalten, schroffen Selbstsucht, welche dem Künstler die nöthige Kraft sichert, sich durch alle Schwierigkeiten und Lockungen des Lebens Bahn zu brechen, hat der himmlische Wille mir zugleich ein zärtliches, fühlendes Herz in die Brust gelegt, welches nur für die Anderen schlägt, welches nur von Liebe und Hingebung lebt. So getheilt zwischen zwei Kräften verzehrt sich mein Leben und ich muß auf jede Weise mein Ziel verfehlen. Wenn ich dazu bestimmt bin, mich als Weib hinzugeben, möchte mir doch Gott die brünstige Liebe zur Kunst, den poetischen Sinn, den Freiheitshang aus dem Herzen reißen, die mir meine Hingebung zu einer Marter, zu einer Todesqual machen; wenn ich für die Kunst geschaffen bin, warum tilgt er nicht aus meinem Innern das Mitleid, die Liebe, die Furcht und Sorge Leiden zu erregen, die immer und ewig meine Triumphe vergällen und mich in meinem Laufe aufhalten werden?

– Wenn ich dir einen Rath geben sollte, arme Consuelo, antwortete Haydn, so wäre es der, daß du der Stimme deines Genius folgtest und den Schrei des Herzens unterdrücktest. Aber ich kenne dich jetzt schon, und ich weiß, du wirst das nicht können.

– Nein, ich kann es nicht, Joseph, und ich glaube, daß ich es nie können werde. Aber sieh mein Unglück, sieh die wunderbare Verstrickung meines traurigen Schicksals. Selbst auf dem Wege der Hingebung bin ich so nach verschiedenen Seiten hin und her gerissen, daß ich nicht dahin gehen kann, wohin mein Herz mich treibt, ohne das Herz zu brechen, das gern nach beiden Seiten Gutes spenden möchte. Wenn ich mich dem Einen weihe, so verlasse, tödte ich den Andern. Ich habe einen Adoptivgatten vor der Welt, dessen Frau ich nicht werden kann ohne meinem Adoptivvater das Herz zu brechen, und umgekehrt, wenn ich meine Pflichten als Tochter erfülle, so breche ich meinem Gatten das Herz. Es steht geschrieben, daß die Frau Vater und Mutter verlassen und dem Manne nachfolgen soll, aber in Wahrheit bin ich weder Gattin noch Tochter. Das Gesetz lehrt nichts für mich, die Gesellschaft nimmt an meinem Schicksal keinen Antheil. Ich muß mein Herz entscheiden lassen. Nicht Leidenschaft für einen Mann beherrscht es, und in dem Falle worin ich bin, kann ich nicht der Pflicht die Hingebung des Herzens entgegensetzen. Albert und Porpora sind gleich unglücklich, auf gleiche Weise in Gefahr, Vernunft oder Leben einzubüßen. Ich bin dem einen so nöthig wie dem andern ... Einen von beiden muß ich nothwendig opfern.

– Und warum denn? Wenn Sie den Grafen heiraten, könnte nicht der Porpora friedlich bei euch leben? Sie würden ihn aus seiner elenden Lage reißen, Sie würden ihn pflegen, ihn erheitern, ihm das Leben angenehm machen, Sie würden Ihre beiden Pflichten zu gleicher Zeit erfüllen.

– Ja, wenn das anginge, Joseph, dann schwöre ich dir, würde ich der Kunst und der Freiheit entsagen. Aber du kennst den Porpora nicht: er schmachtet nicht nach einem gemächlichen, angenehmen Leben, sondern nach Ruhm. Er lebt im Elend und weiß es kaum; er leidet davon, und merkt nicht, woher sein Mißbehagen rührt. Und dann, er, der nichts im Sinne hat als Triumphe und die Bewunderung der Menschen, würde sich nie herablassen, Wohlthaten von ihnen anzunehmen.

Glaube mir, sein Mißgeschick ist größtentheils das Werk seiner Nachlässigkeit und seines Stolzes. Er brauchte nur ein Wort zu sagen, er hat noch Freunde, man würde ihm helfen; aber außerdem, daß er nie untersucht hat, ob seine Tasche voll oder leer sei (du hast gesehen, daß es ihm sogar mit seinem Magen ebenso ergeht) würde er sich lieber in seine Kammer einschließen und Hungers sterben, als von seinem besten Freunde die Wohlthat eines Mittagsessens annehmen. Er würde glauben die Kunst herabzuwürdigen, wenn er vermuthen ließe, daß der Porpora noch etwas anderes braucht als sein Genie, sein Klavier und seine Feder.

Auch der Botschafter und dessen Maitresse, die ihn lieben und verehren, haben keine Ahnung davon, wie entblößt er ist. Wenn sie ihn in einem engen, verfallenen Zimmer wohnen sehen, so denken sie, daß es eine Grille von ihm sei, daß er Dunkelheit und Unordnung liebe. Sagt er ihnen doch selbst, er könnte sonst nicht componiren. Ich weiß das Gegentheil, ich habe ihn in Venedig auf die Dächer steigen sehen, um sich durch das Rauschen des Meeres und den Anblick des Himmels begeistern zu lassen.

Wenn man ihn in seinem abgenutzten Kleide, seiner zerzausten Perücke und seinen durchlöcherten Schuhen bei sich aufnimmt, so glaubt man ihm eine Höflichkeit zu erweisen. Er liebt es schmutzig zu gehen, heißt es dann; es ist eine Altenmannes- und Künstlerschrulle; seine Lumpen sind ihm bequem; er kann in neuen Schuhen nicht gehen. Er selbst sagt das: aber ich habe ihn, als ich ein Kind war, anders gesehen: damals trug er sich immer sauber, gewählt, war immer parfümirt, rasirt und schüttelte mit Koketterie seine Spitzenmanschetten auf der Orgel oder auf dem Klaviere; damals aber konnte er es haben, ohne Jemand dafür einen schönen Dank zu sagen.

Nie würde sich der Porpora dazu entschließen, müßig und unbekannt tief in Böhmen und auf Kosten seiner Freunde zu leben. Er würde nicht drei Monate aushalten, ohne alle Welt zu verwünschen und zu beleidigen, sich einbildend, daß alles zu seinem Untergange verschworen sei und daß ihn seine Feinde gefangen halten, damit er nicht neue Werke schaffen und zur Aufführung bringen könne. Er würde gewiß eines guten Morgens auf und fort gehen, den Staub von seinen Füßen schüttelnd, und sein Dachstübchen, sein von den Ratten zernagtes Klavier, seine leidige Flasche und seine lieben Manuscripte wieder aufsuchen.

– Und sehen Sie denn keine Möglichkeit, Ihren Grafen Albert nach Wien, oder nach Venedig, oder nach Dresden oder Prag, kurz nach einer musikalischen Stadt zu führen? Bei euerem Reichthum würdet ihr euch überall niederlassen, euch überall mit Musikfreunden umgeben, die Kunst auf eine oder die andere Art pflegen und dem Ehrgeiz des Porpora, ohne ihn einzuengen, Nahrung geben können.

– Nach dem was ich dir über Albert's Character und Gesundheitszustand erzählt habe, kann dies wahrlich für dich keine Frage sein. Er, der kein gleichgültiges Gesicht um sich leiden kann, soll diesem Haufen von schlechten Gesellen und Narren, den man die Welt nennt, die Stirn bieten? Und wie würde die Welt nicht ihren giftigen Spott, ihre schneidende Kälte, ihre Verachtung über diesen Mann ausgießen, der in heiligen Gefühlen schwelgt, der von ihren Regeln, ihren Sitten und Gewohnheiten nichts wissen will! Das mit Albert zu versuchen wäre eben so gewagt als der Versuch den ich jetzt mache, mich ihm in Vergessenheit zu bringen.

– Sie dürfen indessen überzeugt sein, daß alle Uebel ihm geringer scheinen werden als die Trennung von Ihnen. Wenn er Sie wirklich liebt, wird er das alles ertragen; und liebt er Sie nicht genug, um alles zu ertragen und alles sich gefallen zu lassen, so wird er Sie vergessen.

– Nun Ja, ich warte auch und beschließe nichts. Sprich mir nur Muth ein, Beppo, und bleib bei mir, damit ich wenigstens ein Herz habe, in das ich meinen Kummer ausschütten, das ich auffordern kann, mit mir nach Hoffnung zu suchen.

– O meine Schwester! rief Joseph aus, sei ruhig; wenn ich so glücklich bin, dir diesen kleinen Trost zu gewähren, so will ich alle Heftigkeit Porpora's gern aushalten; ich würde mich selbst von ihm schlagen lassen, wenn ihn das davon abziehen könnte, dich zu quälen und traurig zu machen.

Unter solchen Gesprächen mit Joseph war Consuelo immer ämsig beschäftigt gewesen, entweder mit ihm die gemeinschaftlichen Mahlzeiten zuzurichten, oder Porpora's Leibwäsche auszubessern. Sie schafften die Möbel, die zur Bequemlichkeit ihres Lehrers nöthig waren, eines nach dem andern in das Zimmer. Ein guter Lehnstuhl, breitarmig und mit Haaren gepolstert, nahm die Stelle des Strohstuhles ein, auf welchem er seine alterschwachen Glieder ruhete, und nachdem er sich durch eine süße Siesta erquickt hatte, war er ganz erstaunt und fragte mit gerunzelter Stirn, woher dieser bequeme Stuhl käme.

– Die Wirthin hat ihn heraufgesetzt, antwortete Consuelo; das alte Möbel war ihr im Wege, und ich war es gern zufrieden, daß er hier in der Ecke stünde, bis sie ihn zurückfordern würde.

Porpora's Matratzen wurden vertauscht, und über die Güte seines Bettes machte er keine andere Bemerkung, als daß er sagte, seit einigen Nächten habe er wieder einen guten Schlaf, worauf Consuelo erwiderte, es käme daher, daß er jetzt Kaffee und nicht mehr Branntwein tränke. Eines Morgens als er einen herrlichen Schlafrock angezogen hatte, fragte er Joseph mit mißtrauischer Miene, wo er den gefunden habe. Joseph, der auf die Antwort vorbereitet war, sagte, er habe ihn beim Kramen auf dem Boden eines alten Koffers gefunden.

– Ich glaubte wirklich, ich hätte ihn nicht mitgenommen, entgegnete Porpora. Es ist aber mein Schlafrock, den ich in Venedig hatte, wenigstens hat er dieselbe Farbe.

– Was für einer sollte es sonst sein? sagte Consuelo, die sorgfältig Stoff und Farbe des verstorbenen Schlafrocks von Venedig gewählt hatte.

– Nun, ich hatte geglaubt, daß er abgeriebener gewesen wäre als dieser.

– Das glaube ich! antwortete sie; ichs habe neue Aermel eingesetzt.

– Womit?

– Mit einem Stück vom Futter.

– Die Weiber! die Weiber! es ist doch erstaunlich, wie sie sich alles zu Nutze machen können!

Als das neue Kleid eingeführt war und der Porpora es bereits zwei Tage getragen hatte, fiel ihm auf, daß es sehr neu aussah und besonders machten ihn die schönen Knöpfe nachdenklich.

– Das ist nicht mein Rock! sagte er zürnend.

– Ich habe ihn beim Fleckausmacher gehabt, entgegnete Consuelo, du hattest dir gestern Flecke hineingebracht. Er ist aufgebügelt und daher sieht er wieder wie neu aus.

– Ich sage dir, es ist nicht mein Rock! schrie der Maestro ganz außer sich. Er ist mirs beim Fleckausmacher vertauscht worden. Dein Beppo ist ein Esel.

– Nein; er ist nicht vertauscht. Ich habe ein Zeichen hineingenäht.

– Und diese Knöpfe, ha? willst du mir diese Knöpfe auch in den Leib reden?

– Ich habe eine neue Garnitur aufgesetzt, ich habe sie selbst angenäht. Die alten taugten gar nichts mehr.

– Was das fürs Einfälle sind; sie konnten sich noch ganz gut sehen lassen. Dummheit über Dummheit! Bin ich ein Stutzer, daß ich mich zu putzen brauche und zwölf Zechinen wenigstens für Knöpfe ausgeben muß?

– Sie kosten nicht zwölf Gulden, sagte Consuelo, ich habe sie durch Gelegenheit gekauft.

– Es ist auch so zu viel! brummte der Maestro.

Alle Stücke seines Anzugs wurden ihm auf diese Weise untergeschoben, immer mit Hülfe geschickter Lügen, über die Consuelo und Joseph wie die Kinder lachten. Einiges blieb ganz unbemerkt, Dank der Zerstreuung Porpora's. Die Spitzen und das Linnenzeug wurden einzeln nach und nach in den Schrank gelegt, und als er die Manchetten an seinen Händen mit Aufmerksamkeit zu betrachten schien, schrieb sich Consuelo die Ehre zu, sie ausgebessert und sorgsam geplättet zu haben. Um die Sache wahrscheinlicher zu machen, flickte sie unter seinen Augen einige seiner alten Sachen und mischte sie unter die neuen.

– Dummes Zeug! sagte eines Tages Porpora, und riß ihr ein Jabot aus den Händen, welches sie säumte; genug der Läppereien! Eine Künstlerin muß keine Hausfrau sein, und ich will dich nicht so alle Tage über einander gebückt sitzen und sticheln sehen. Schließ mir das alles ein, oder ich werfs ins Feuer. Du sollst auch nicht immer am Heerde stehen und den Rauch einathmen. Willst du dir die Stimme ruiniren? Willst du ein Küchenschnudel werden? Willst du mich rasend machen?

– Nein, Sie sollen nicht rasen, sagte Consuelo. Ihre Sachen sind jetzt in gutem Stande und meine Stimme ist auch wieder da.

– Nun gut, antwortete der Maestro; wenn das ist, so singst du morgen bei der Gräfin Hoditz, der verwitweten Markgräfin von Bayreuth.

Ende des siebenten Theils.


 << zurück weiter >>