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Algier war im 16. Jahrhundert Mittelpunkt und festeste Stütze der Barbaresken, welche die Bewohner aller christlichen Staaten des Mittelmeers in Schrecken hielten.
Das moderne Algier erinnert nur noch in seinen Moscheen und seiner Burg, der Kasbah, an die alte Stadt, die von fast uneinnehmbaren Befestigungen und von zahlreichen, mit den unerschrockensten und grausamsten Seeleuten der Zeit bemannten Schiffen verteidigt war.
Sie zählte viele glänzende Paläste, die an Schönheit mit denen Granadas wetteiferten, und prächtige Moscheen.
Ihre Bazare waren gefüllt mit Erzeugnissen Innerafrikas, Indiens, des Orients und Europas. Ihre sechs großen Bagnos waren voll von Gefangenen aus allen Ländern. Sie konnten gegen 25 000 Leute bergen. Unter den Bagnos enthielt das der Santa Caterina eine christliche Kapelle, wofür die Tempelritter eine hohe Summe jährlich zu zahlen hatten.
Tunis zählte gar neun, aber kleinere Bagnos, die 2000 Gefangene faßten. Tripolis nur eins für 500 und Salè zwei sogenannte »Matamur«, unterirdische Räume, die viel schrecklicher als die Bagnos waren.
Algier war der Hauptplatz für die Christensklaven und hatte nie weniger als 25 000, dazu 2000 aus Europa geraubte Frauen. In jener Zeit stand es auf dem Gipfel seiner Macht und konnte es mit Konstantinopel aufnehmen. Alle Mittelmeerstaaten zitterten vor ihm und nahmen ruhig die gröbsten Beleidigungen und Herausforderungen hin.
Seine Flotten beherrschten das Meer und überfielen häufig selbst Küstenstädte. Am meisten litten Sardinien, Neapel, Genua, Venedig und die Romagna unter den Räubereien, da sie ständig die Tributzahlung an den Bey verweigerten. Ihre Schiffe waren selbst im Adriatischen Meere nicht sicher. Aber auch Frankreich, Spanien und andere Staaten hatten mit Überfällen zu rechnen, wenn der Tribut nicht rechtzeitig abgeführt wurde. So unglaublich es klingt, die europäischen Mächte konnten sich nicht entschließen, sich zu vereinen und mit einem Schlage die Räuber zu vernichten oder wenigstens Europa vor ihnen sicherzustellen.
Erst Jahrhunderte später wurde Tripolis von Venedig bombardiert, nachdem das stolze Venezia viele Kämpfe mit den Türken in Kreta, Zypern und im Schwarzen Meere zu bestehen hatte. Dann zwang Piemont diesen Staat nach mehrmaliger Beschießung zur Unterdrückung oder wenigstens Beschränkung seiner Seeräuberei. Jedoch erst die Eroberung Algiers durch Frankreich machte dem Unwesen für immer ein Ende.
Die Stimme des Muezzin rief die Gläubigen zum Morgengebet, als der Normanne in des Ritters Kabine trat und ihm heiteren Tones sagte:
»Wir können in voller Sicherheit an Land gehen. Niemand hat uns beobachtet. Die Nachbarn glauben, ich hätte nur den Platz gewechselt, um näher an die Mole zu kommen! Aber ihr scheint sehr abgespannt zu sein, Herr, als hättet ihr die Nacht kein Auge zugetan!«
»So ist es auch!«
»Laßt gut sein! Wir werden die junge Gräfin schon finden! Haben mehr Freunde hier, als ihr glaubt! Wir haben sogar Freunde unter den heulenden Derwischen, und einen solchen wollen wir jetzt aufsuchen! Nehmt den Mantel um, steckt Pistolen und Dolch in den Gürtel und kommt!«
»Und was machen wir mit Eisenkopf?«
»Den nehmen wir mit! Ich mag ihn nicht hier lassen. Er schwatzt zu gern, und ein Wort könnte uns verraten!«
Während der Baron sich fertig machte, warfen sich der Normanne und die Besatzung zu Boden und beteten mit lauter Stimme, den aus Mekka stammenden Rosenkranz zwischen den Fingern drehend.
Dann wurden Hände, Arme, Gesicht und Füße streng nach den Regeln gewaschen, ehe sich alle mit dem üblichen Gruße »Allah il Allah« erhoben.
Der Normanne hing den Rosenkranz an den Gürtel recht offen zwischen die Pistolen und den Yatagan, ließ ein Laufbrett legen und stieg mit seinen beiden Begleitern an Land.
Die große, weiße Stadt lag vor ihnen. Sie machte einen zauberhaften Eindruck mit ihren zahllosen Minaretts, die sich malerisch vom blauen Himmel abhoben, mit ihrem Meer schneeweißer, übereinandergetürmter, flacher Häuser, wo grüne Palmen ihre Wedel in der leichten Brise bewegten.
Schon herrschte reges Leben. Alle Wege und Stege waren gedrängt voll von Menschen, die mit Eseln, Kamelen und Dromedaren teils hinauf zur Stadt, teils zum Hafen wollten. Ein Strom wälzte sich zu den Waren, die am Ufer ausgeladen und zu Bergen aufgetürmt wurden.
Alle Stämme waren vertreten. Schlanke Kabylen in Ziegenfellen, mit Waffen reich beladen, stolze Mauren im prächtigen, weißen Burnus und kostbaren Seidengürteln mit Säbeln und Pistolen darin, langbärtige Araber mit scharfgeschnittenen Gesichtern und funkelnden Augen, Tuaregs der Wüste Sahara in schwarzen Gewändern, hochgewachsene Fellachen, reich mit Gold und Silber geschmückte Türken und Neger verschiedenster Herkunft.
Dann und wann machte der Menschenstrom einer unendlichen Reihe von Kamelen Platz, die schwerbeladen einherschritten, oder nicht weniger beladenen Eselherden, aufweiche Neger erbarmungslos einschlugen.
Plötzlich ertönten wilde Flüche und Schmerzensschreie. Kettenklirrend erschienen Scharen weißer Sklaven, die zum Hafen getrieben wurden.
Dem armen Eisenkopf sträubten sich die Haare.
Der Normanne führte seine Begleiter so rasch wie möglich durch das Gewühl nach der oberen Stadt, wo weniger Verkehr herrschte.
»Wohin gehen wir?« fragte der Baron.
»Zur Moschee. Heute ist Mittwoch. Da führen die Derwische ihre Tänze zu Ehren Mohammeds auf. Mein Freund gilt unter ihnen als eine Art Heiliger, und niemand könnte in ihm einen Christen vermuten, der schon Hunderte von Sklaven befreit hat!«
»Und dürfen wir das Ersehnte von ihm erhoffen?«
»Er ist eine Macht. Gilt auch etwas in der Kasbah, wo er Zutritt hat!«
»Spart nur nicht mit Geld!«
»Bei ihm bedarf es dessen nicht. Er ist ein ehemaliger Templer, ein wahrer Held!«
»Wo werden wir ihn sprechen können?«
»Abends in seiner Klause, dem Grabe eines Heiligen!«
Die zur Moschee führende enge Gasse, die sie jetzt durchschritten, war ebenfalls voller Menschen. Letztere drängten sich vor den kleinen Läden, die mit Waren aller Länder des Ostens vollgestopft waren. Da gab es Ziegenfelle, rote Feze, Süßigkeiten, Teppiche aus Rabat und Anatolien, Angoraschals, weiche Seidenstoffe, Lederwaren und Waffen.
Man war kaum zur Mitte gelangt, als aus einer Seitengasse ein Menschenhaufen drängte, der wild brüllte: »Dal ah! Dal ah! Ein Christ, ein Christ!«
»Was ist geschehen« fragte der Baron leise den Normannen, als er ihn erblassen sah.
Dieser riß seine Begleiter schnell zur Seite nach einem Mauervorsprung.
»Wahrscheinlich haben sie einen flüchtenden Christen erwischt und wollen ihn umbringen!«
Die Menge tobte wie besessen.
Mauren, Türken, Kabylen, Marokkaner schrien durcheinander. Waffen wurden geschwenkt, nackte Arme fuchtelten durch die Luft mit Säbeln und Dolchen.
»Suchen wir so rasch wie möglich zu entkommen!« raunte der Seemann dem Ritter zu. »Im vorigen Jahre hat ein Landsmann von mir, Guillaume de Pornie, den ich befreien sollte, die unmenschliche Grausamkeit dieser Leute gegen geflüchtete Sklaven erleiden müssen. Ich zittere noch bei dem Gedanken daran.«
»Hat man ihn zu Tode geprügelt oder gepfählt?«
»Sein Herr hat ihn erst halbtot schlagen, ihm dann die Ohren abschneiden lassen und ihn gezwungen, sie aufzuessen!«
Jetzt drängte eine Truppe Janitscharen rücksichtslos mit Hieben die Masse in die Läden und Häuser.
Sie führten ein Kamel, auf dem man einen weißen Mann erblickte, der, in dichten Rauch gehüllt, fürchterlich schrie.
Es war der zum »Schamgat«, jener von den Mauren entsetzlichen Marter, verurteilte Christ. Er saß auf einem großen, mit angezündeten, leicht brennenden Stoffen gefüllten Gefäß, mit Ketten festgehalten und mit Harz übergössen. In dieser furchtbaren Lage führte man ihn durch die Straßen, bis ihn der Tod erlöste.
Es war ein starker Mann, der sich verzweifelt wehrte, während er grauenhafte Schreie ausstieß.
Der Baron mußte, angesichts dieses qualvollen Erlebnisses, die Augen schließen. Ohne den Normannen hätte er sicher eine verhängnisvolle Unbesonnenheit begangen.
Auch der Seeman mußte sich Gewalt antun, um Ruhe zu bewahren.
»Wer ist der Mann?« fragte er einen durch den Menschenstrom dicht an ihn herangedrängten Beduinen.
»Ein Christensklave.«
»Und was hat er begangen?«
»Seinen Herrn getötet und ist dann entflohen! Es soll ein Spanier sein!«
»Wem gehörte er?«
»Dem Ali El-Tusy, einem Mauren, der nicht sehr milde gegen seine Sklaven war und sie oft Hungers sterben ließ!«
»Ein Hund! Schlimmer als die Christen!« entschlüpfte es dem Normannen.
Der Beduine schaute ihn scharf an.
»Aber der Hund war ein eifriger Muselmann, weißt du das nicht?«
»Der Prophet hat keinen frommeren Gläubigen als mich«, sagte jetzt der Seefahrer, alle wissen das, besonders, Ald-el-Hagisi, der Marabut und das Haupt der tanzenden Derwische! Aber auch die Christen sind von Gott geschaffen, und man sollte sie weniger martern!«
»Sie sind Ungläubige und verdienen daher keine Schonung!«
Damit wandte der Beduine wieder seine ganze Aufmerksamkeit dem schrecklichen Schauspiel zu.
Aber von Zeit zu Zeit warf er einen Seitenblick auf den Normannen, der seine Unvorsichtigkeit schon bitter bereut hatte. Letzterer gab daher seinen Begleitern einen leisen Wink und drängte sie in die dem Kamele folgende Menge.
Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm aber, daß der Beduine seinem Beispiel gefolgt war.
Er eilte, um einer etwaigen Verfolgung zu entgehen, mit dem Baron und Eisenkopf durch verschiedene Winkel, bis er die Moschee erreichte.
»Zieht die Schuhe aus und folgt mir!« rief er ihnen zu.