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Zweite Abteilung: Von den Gesinnungen der Derwische

Ein Großer fragte einst einen frommen Mann, was er von einem gewissen in Werken der Frömmigkeit eifrigen Manne halte, dem die andern soviel Böses nachsagten; er antwortete: Einen Fehler in seinem Äußern sehe ich nicht, und das Verborgene in seinem Innern kenne ich nicht.

Wen du im Kleid der Frömmigkeit auch sehen magst,
      Du mußt für einen guten, frommen Mann ihn halten;
Wenn du auch was in seinem Innern ist nicht weißt,
      Es hat der Marktaufseher nichts im Haus zu schalten.

*

Einst sah ich einen Derwisch, der hatte das Haupt auf die Schwelle der Kaba gelegt und das Angesicht auf den Boden gedrückt und seufzte und sprach: O Gnädiger und Erbarmungsreicher, du weißt, was von dem Ungerechten und Unwissenden kommen kann, das deiner würdig wäre.

Für den mangelhaften Dienst bring' ich Entschuld'gung,
      Denn auf meine Werke kann ich ach! nicht bauen.
Widerspenst'ge tun für ihre Frevel Buße,
      Auf Verzeihung ruht der Wissenden Vertrauen.

Die Werkheiligen verlangen den Lohn ihrer Werke und die Kaufleute den Preis ihrer Ware, ich Armer habe nur Hoffnung mitgebracht, keine Werke, ich bin gekommen zu betteln, nicht zu markten. »Handle mit uns, wie es dir zukommt, tue nicht mit uns, wie es uns zukommt.«

Ob du mich tötest, ob du mir vergebest,
      Vom Boden hebt sich nicht mein Angesicht.
      Dem Sklaven kömmt nicht zu, daß er gebiete:
Was du befiehlst zu tun ist meine Pflicht.

*

Ich sah einst einen Betenden, der sprach,
      Indem er weinend flehte vor der Kaba Haus:
Ich spreche nicht: Nimm meine Werke an,
      Mit deiner Feder streiche meine Sünden aus.

*

Abdelkader Gilani hatte in dem heiligen Umkreis der Kaba das Angesicht auf kleine Kiesel gelegt und sprach: O Herr, verzeihe mir; wenn ich aber Strafe verdient habe, so erwecke mich blind am Tage der Auferstehung, damit ich vor den Augen der Guten nicht erröten muß.

Das Antlitz auf dem Staub der Demut, sprach ich
      Bei jeder Morgenröte frischem Hauch:
O du der meinem Denken nie entschwindet,
      Gedenkest du wohl deines Knechtes auch?

*

Ein Dieb kam in das Haus eines frommen Mannes; so sehr er aber auch suchte, er fand nichts und wurde betrübt. Der fromme Mann, der es merkte, warf den Mantel, auf dem er lag, dem Diebe in den Weg, damit er nicht mit leeren Händen fortgehn mußte.

Ich hörte, daß der wahrhaft Fromme
      Den Feinden selbst nie Gram bereitet.
Wann wirst denn du so weit gelangen,
      Der mit den Freunden zankt und streitet?

Die Liebe der Reinen ist vor den Augen wie hinter dem Rücken gleich, nicht so, daß sie hinter dir sich in Tadel ergehen und vor dir in Liebe vergehen,

Dir gegenüber wie die Schafe zahm,
      Von hinten reißend wie die grimm'gen Wölfe.
Wer wohlgefällig andrer Fehler vor dir aufgezählt,
Sei sicher, daß er deine Fehler andern gern erzählt.

*

Einige Reisende waren übereingekommen, eine gemeinsame Wanderung zu unternehmen und sich zu gleicher Mühe und Ruhe zu bequemen. Ich wünschte ihnen beizutreten, allein sie ließen mich nicht zutreten. Da sprach ich: Es ist den edeln Gesinnungen der Großen fremd, ihr Angesicht von der Gesellschaft der Armen abzukehren und ihnen einen Vorteil zu verwehren, denn ich bin mir bewußt, daß ich die Kraft und das Vermögen besitze, im Dienste der Leute ein lustiger Kumpan, nicht ein lästiger Gespan zu sein.

»Kann ich mich nicht auf euren Sattel strecken,
So trag' ich euch doch eure Satteldecken.«

Einer von ihnen erwiderte: Betrübe dich nicht über die Worte, die du gehört hast; in diesen Tagen hat sich nämlich ein Dieb in Gestalt eines Derwisches bei uns eingefunden und an den Faden unserer Gesellschaft angereiht.

Wie kann man wissen, wer in diesem Kleide geht?
Der Schreiber weiß allein, was in dem Briefe steht.

Da die Derwische auf geradem Wege wandeln, war keinem eine Ahnung seiner Bosheit gekommen, und er wurde zum Gefährten angenommen. Doch es ist gesagt worden:

In einer Kutte pflegt der Wissende zu gehen;
Für Menschen ist's genug, die nur das Äußre sehen.
Sei eifrig und zieh' an beliebiges Gewand,
Die Krone auf das Haupt, das goldne Achselband.
Die Frömmigkeit besteht nicht in dem Lumpenkleide;
Bist du nur fromm und rein, so kleide dich in Seide.
Die Welt mit ihrer Lust und die Begierden fliehn,
Das ist das Frommsein, nicht das Weltkleid auszuziehn.
In Eisenpanzer muß ein tapfrer Mann sich stecken;
Was soll beim Feigen wohl die Kriegsrüstung bezwecken?

Kurz, als wir eines Tages bis in die Nacht gewandert und uns des Nachts am Fuße eines Kastells gelagert, nahm der gottverlassene Dieb das Wassergefäß eines Gefährten, indem er sagte, er gehe zur Abwaschung, er ging aber zur Plünderung.

Seht doch den heil'gen Mann, der eine Kutte trägt,
Der Kaba Tuch hat er dem Esel aufgelegt.

Sobald er den Derwischen aus den Augen war, stieg er in einen Turm des Kastells und stahl ein Schmuckkästchen, und bevor der helle Tag anbrach, hatten ihn in der Finsternis seine Füße schon weit getragen, während seine Gefährten in aller Unschuld im Schlafe lagen. Am Morgen wurden alle in das Schloß geführt und in das Gefängnis geworfen. Seit dieser Zeit haben wir von der Gesellschaft Abschied genommen und uns den Weg der Absonderung vorgenommen, denn »die Sicherheit ist in der Einsamkeit«.

Wenn einer in dem Volke töricht handelt,
      So fällt Verachtung gleich auf groß und klein.
Oft kann ein einz'ger Ochse auf der Weide
      Verderber einer ganzen Herde sein.

Ich sagte: Gott, dem Mächtigen und Erhabenen, sei Lob und Dank, daß ich von den Vorzügen der Derwische nicht ausgeschlossen bleibe, wenn ich auch von der Gesellschaft dieser hier getrennt bin; mir ist diese Erzählung von Nutzen gewesen, und wird für meinesgleichen zu jeder Zeit eine gute Lehre sein.

Durch einen nur, der in Gesellschaft ungeschliffen,
Wird des Verständ'gen Herz von Gram und Schmerz ergriffen.
Füllt man mit Rosenwasser einen ganzen Teich
Und fällt ein Hund hinein, zum Kote wird es gleich.

*

Ein heiliger Mann war Gast eines Königs; als man sich zum Essen niedersetzte, aß er weniger, als er Lust hatte, und als man zum Gebete aufstand, betete er länger, als er sonst zu tun pflegte, damit man eine desto größere Meinung von seiner Frömmigkeit haben sollte.

Ich fürchte sehr, o Araber, du kommst nicht zu der Kaba,
Denn dieser Weg, auf dem du gehst, der führt nach Turkestan.

Als er in seine Wohnung zurückkam, verlangte er etwas zu essen; sein Sohn, der einen scharfen Verstand hatte, sagte: O Vater, hast du denn bei dem Gastmahle des Königs nichts gegessen? Vor den Augen jener, antwortete er, habe ich nichts Rechtes gegessen. Dann, erwiderte der Sohn, mußt du auch dein Gebet nachholen, weil du nichts Rechtes gebetet hast.

O der du das Verdienst legst auf die flache Hand,
      In das Versteck der Achsel deine Fehler bringest:
Was glaubst du denn, daß an dem Tage des Gerichts,
      Betörter, mit dem falschen Gelde du erringest?

*

Ich erinnere mich, daß ich in der Zeit meiner Kindheit mich der Frömmigkeit befliß, die Nächte durchwachte und eifrig nur an Fasten und Kasteiung dachte. Eine Nacht hatte ich in Gegenwart meines Vaters gewacht und die ganze Nacht kein Auge zugemacht; ich hatte das heilige Buch in die Arme gefaßt, alle andern aber lagen um uns her vom Schlafe erfaßt. Da sprach ich zu meinem Vater: Von diesen vermag keiner das Haupt aufzurichten, um ein Gebet zu verrichten; sie liegen in tiefem Schlaf, als wär' es ein Todesschlaf. Mein geliebter Sohn, antwortete mein Vater, du tätest auch besser, dich schlafen zu legen, als deine Zunge zu übler Nachrede zu regen.

Der Eingebildete sieht nur sich selber,
      Der Eigenliebe Schleier deckt sein Auge.
Könnt' er durch Gottes Auge schau'n, er sähe,
      Daß unter allen keiner wen'ger tauge.

*

Einen Großen fing man einst in einer Gesellschaft an zu loben, und seine schönen Eigenschaften wurden über alle Gebühr erhoben; er aber richtete sein Haupt auf und sprach: Was ich bin, hab' ich im Sinn.

»Behüte dich der Herr, der du mein Gutes aufzählst;
      Mein Äußres ist dies nur, das Inn're kennst du nicht.«
Schön mag wohl mein Äußres scheinen in der Erdbewohner Augen,
      Doch ob meines Innern Schmutze senkt das Haupt sich mir vor Gram.
Viel wird wohl der Pfau gepriesen wegen seiner Farben Schimmer,
      Doch wie häßlich seine Füße, ach! das sieht er stets mit Scham.

*

Einer von den Frommen des Berges Libanon, durch seine Heiligkeit in den Gegenden Arabiens berühmt und wegen seiner Wundergaben gerühmt, trat einst in die Moschee zu Damaskus und verrichtete seine Waschung am Rande des Wasserbehälters; sein Fuß glitt, und er fiel in den Behälter und konnte nur mit großer Mühe wieder herauskommen. Nachdem das Gebet vollendet war, sprach einer seiner Gefährten zu ihm: Mir macht etwas Schwierigkeit. Was ist es? fragte der Scheich. Ich erinnere mich, sagte jener, daß du auf der Fläche des westlichen Meeres gingest, ohne daß dein Fuß benetzt wurde, und heute bist du in diesem mannshohen Wasser kein Haarbreit von deinem Verderben gewesen; was liegt darin für ein geheimer Grund? Der Scheich senkte sein Haupt in die Falten der Betrachtung, und nach langem Nachdenken sprach er: Hast du nicht gehört, daß der Herr der Welt, Mohammed der Auserwählte, Gottes Gnade und Heil mit ihm! gesagt hat: »Ich habe bei Gott eine Zeit, wo weder ein dienender Engel noch ein abgesandter Prophet es mit mir aufnehmen kann?« Er hat aber nicht gesagt, daß dieses beständig so sei. In einer solchen Zeit wie die, von der er spricht, mochte er sich nicht zu Gabriel und Michael kehren, zu einer andern Zeit aber konnte er mit Hosnah und Zeineb verkehren; denn der »Gnadenstand der Gerechten ist zwischen Erleuchtung und Verdunklung«; bald gefunden, bald verschwunden.

Bald zeigst du dich, bald wird dein Anblick uns verweigert:
So wird dein Preis, so unser Feuer nur gesteigert.
»Von Angesicht erschau' ich den Geliebten,
      Doch bald geschieht's, daß ich den Pfad verliere.
Er zündet an, dann löschet er das Feuer,
      Drum siehest du, daß ich bald brenn', bald friere.«

Man fragte den, der seinen Sohn verloren:
Verständ'ger Greis, o du vom Licht erkoren,
Wie rochst aus Misr du seines Hemdes Duft,
Und sahst ihn nicht in Kanaans Brunnengruft?
Dem Blitze gleich, sprach er, der plötzlich funkelt,
So leuchtet es in uns, dann ist's verdunkelt;
Bald sitz' ich in des Himmels hohem Licht,
Bald seh' ich meine eignen Füße nicht.
Wär' immer gleich des Derwischs Geistesleben,
Er würde nicht nach beiden Welten streben.

*

In der Moschee zu Baalbek sprach ich einige Worte der Ermahnung zu einer Versammlung erstarrten Sinnes und erstorbenen Herzens, welche den Weg aus der Welt des Scheins in die des Seins nicht genommen hatte. Ich sah, daß der Hauch meiner Worte sie nicht erfaßte, und daß mein brennendes Feuer ihr nasses Holz nicht ergriff, und es dauerte mich, unvernünftige Tiere zu unterweisen und Blinden einen Spiegel vorzuweisen; doch die Türe meiner Gedanken war aufgebunden und die Kette meiner Worte war abgewunden. In der Erklärung dieses Verses: »Wir sind ihm näher als die Halsader«, war ich in meiner Rede zu einer Stelle gelangt, wo ich sagte:

Der Freund ist näher mir, als ich mir selbst es bin,
      Und ich bin von ihm fern: o wundervoll Erbarmen!
Was tu' ich gegen ihn, von dem man sagen kann:
      Ich bin von ihm getrennt, er ist in meinen Armen?

Ich ließ in Trunkenheit den Wein dieser Rede überfließen, und wollte den Rest meines Bechers ausgießen, als einer an dem Rande der Versammlung vorüberging, und noch den letzten Wellenschlag meiner Worte auffing; dieser stieß einen solchen Schrei aus, daß die andern gleichfalls in geräuschvolle Bewegung, und die rohen Gemüter der Versammlung in Aufregung gerieten. Ich rief: O großer Gott, nahe sind durch die Erkenntnis die Fernen, und fern sind ohne Einsicht die Nahen!

Wenn der Hörer nicht das Wort versteht,
      Fordere nicht vom Redner Kraft und Schärfe.
Bring' ein weites Feld der Lernbegier,
      Daß er drauf den Ball der Rede werfe.

*

Eine Nacht in der Wüste von Mekka versagten mir wegen übermäßig langer Schlaflosigkeit die Füße ihren Dienst; ich legte mein Haupt nieder und sprach zu dem Kameltreiber: Lasse mich in Ruhe.

Genug schon ging des armen Wandrers Fuß,
      Selbst das Kamel kann nicht die Last mehr tragen.
Bevor der Fette mager wird, muß schon
      Den Magern die Erschöpfung niederschlagen.

Er aber sprach: O Bruder, das Heiligtum ist vor uns und der Räuber ist hinter uns: gehst du, wirst du entgehn, schläfst du, wirst du untergehn.

Süß ist's, unter dem Mugailan sich zur Ruhe zu bequemen
Nachts am Wüstenweg, doch muß man auch vom Leben Abschied nehmen.

*

Ich sah am Ufer des Meeres einen frommen Mann, welcher von einem Tiger verwundet worden war, und durch keine Arznei geheilt werden konnte; lange Zeit lag er daran krank, und von Zeit zu Zeit dankte er dem Herrn und sprach: Gelobt sei Gott, daß mir ein Unfall begegnet ist, nicht eine Untat.

Gibt mich der mächt'ge Freund dem Schmerzenstode hin,
      O glaube nicht, daß mich mein armes Leben daure.
Ich frage nur: Was hat dein armer Knecht verübt?
      Daß ich dich kränkte, das nur ist's, warum ich traure.

*

Ein Derwisch, der durch die Not gedrängt war, stahl einen Mantel aus dem Hause eines Freundes. Der Richter befahl, die Hand solle ihm abgehauen werden, doch der Herr des Mantels legte Fürbitte für ihn ein und sagte: Ich verzeihe ihm. Der Richter aber entgegnete: Um deiner Fürbitte willen kann ich die Vollziehung des Gesetzes nicht unterlassen. Du hast wahr gesprochen, sagte jener, allein wer von dem Gute einer frommen Stiftung etwas stiehlt, bei dem ist das Handabhauen nicht vom Gesetze verhängt; nun heißt es aber: »Der Fakir besitzt nicht und wird nicht besessen«; alles was den Derwischen gehört, ist eine fromme Stiftung für die Bedürftigen. Der Richter ließ den Dieb los und sagte zu ihm: War denn die Welt für dich so enge geworden, daß du nur eben in dem Hause eines solchen Freundes einen Diebstahl begingest? O Herr, antwortete der Dieb, hast du nie jenes Sprichwort gehört: Das Haus der Freunde kehre aus, aber bei den Feinden kehre nicht ein?

Bist du von Not gedrängt, laß dich nicht niederschlagen:
      Den Feinden zieh' die Haut, den Pelz den Freunden ab.

*

Ein König sagte einst zu einem frommen Manne: Denkst du auch jemals an mich? Ja, antwortete er, sooft ich Gottes vergesse.

Wen Gott von seiner Türe stieß, der schweifet überall umher,
Doch rief ihn Gott zu sich herbei, sucht er niemandes Türe mehr.

*

Ein frommer Mann sah im Traume einen König im Paradiese, und einen Klausner in der Hölle; er fragte: Aus welchem Grunde ist jener erhöht und aus welcher Ursache ist dieser erniedrigt worden? wir hatten gerade das Gegenteil gedacht. Ihm wurde geantwortet: Jener König ist wegen seiner Liebe zu den Derwischen im Paradiese, und dieser Klausner ist wegen seines Umgangs mit den Königen in der Hölle.

Was nützt dir Kutte, Rosenkranz und Kleid von Lappen,
      Wenn du dich selber wälzest in des Lasters Pfütze?
Die lämmerwollne Mütze brauchst du nicht zu tragen:
      Sei wahrhaft fromm und trage die Tatarenmütze.

*

Ein Fußgänger mit bloßem Haupte und bloßen Füßen zog mit der Hedschaskarawane von Kufa aus und wurde unser Reisegefährte. Er schritt freudig einher und sang:

Ich sitze nicht auf einem Tiere, muß auch des Tieres Last nicht tragen,
Ich bin nicht Herr von Untertanen, muß nicht im Fürstendienst mich plagen,
Ich bin nicht mit des Reichtums Sorgen, nicht mit der Armut Not geschlagen,
Drum kann ich frei und fröhlich atmen, sorglos des Lebens Ziel erjagen.

Einer, der auf einem Kamele ritt, sagte zu ihm: O Derwisch, wo gehst du hin? Kehre um, denn du wirst vor Not umkommen. Doch er hörte nicht darauf, setzte seinen Fuß in die Wüste und ging weiter. Als wir an die Palme Mahmuds kamen, erreichte den Reichen die Todesstunde, und er starb; der Derwisch trat an sein Sterbebett und sprach: Wir starben zu Fuß nicht vor Not, du fandest auf dem Kamele den Tod.

Weinend hatt' bei einem Kranken einer eine Nacht verweilt,
Als der Morgen kam, starb dieser, und der Kranke ward geheilt.
So viele Pferde schnellen Laufes bleiben liegen,
      Indes der lahme Esel doch das Ziel erreicht.
So mancher Kräft'ge wird im Erdenstaub begraben,
      Indes vom Kranken nicht der Lebensodem weicht.

*

Ein König ließ einen heiligen Mann zu sich rufen; dieser dachte: Ich will eine Arznei nehmen, daß ich schwach werde, vielleicht faßt er eine desto größere Meinung von mir. Man erzählt, die Arznei sei tödlich gewesen, er habe sie eingenommen und sei gestorben.

Er, der als Pistazie lauter Kern geschienen,
      Zeigte sich nur wie die Zwiebel, Haut auf Haut.
Wer sich zu Geschöpfen beim Gebet gewendet,
      Hat zur Kibla mit dem Rücken nur geschaut.
Will der Mensch zu seinem Gotte flehen,
Muß er außer Gott nichts andres sehen.

*

Eine Karawane wurde in Griechenland von Räubern angegriffen, die ihr zahllose Schätze raubten; die Kaufleute jammerten und flehten, und schrien zu Gott und dem Propheten, aber es half nichts.

Gelang's dem Räuber, Beute zu erjagen,
Was kümmern ihn der Karawane Klagen?

Der weise Lokman war dabei; einer von der Karawane sagte zu ihm: Sprich doch zu ihnen einige Worte der Weisheit und Ermahnung, vielleicht lassen sie uns einen Teil unsrer Güter; es wäre jammerschade, wenn so viele Schätze verlorengingen. Es wäre jammerschade, erwiderte Lokman, Worte der Weisheit zu solchen Leuten zu sprechen.

Ein Eisen, das der Rost zerfressen,
      Machst du nicht mit der Feile rein.
Was nützt's, den Bösen zu ermahnen?
      Der Nagel dringt nicht in den Stein.
Zur Zeit des Glücks nimm dich der Betrübten an:
      Den Armen wohlzutun, dient Unglück abzuwenden.
O gib, was jammervoll der Flehende verlangt,
      Daß nicht ein Mächt'ger es entreiße deinen Händen.

*

So sehr mir auch der Scheich Schemseddin Abulfaradsch Ibn Dschusi der Charesmier die Liebe zur Musik verwies und mich auf die Einsamkeit und Eingezogenheit hinwies, so siegten doch die jugendlichen Triebe und die weltliche Lust und Liebe. Wider Willen handelte ich meinem Lehrer zum Verdruß und fand an Musik und Gesellschaft Genuß; wenn ich mich an den Rat des Scheich erinnerte, sprach ich:

Sitzt der Kadi bei uns, muß er auch der Kunst durch Beifall huldigen,
Trinkt der Stadtvogt Wein, so wird er auch den Trunknen gern entschuldigen.

Bis ich mich eine Nacht in einer Versammlung einfand, in deren Mitte ich einen Musiker fand,

Herzzerreißend war der Stimme jammervoller Ton,
Ärger heult nicht bei des lieben Vaters Tod der Sohn.

So daß die Genossen den Finger bald vor seiner Musik in das Ohr steckten, bald, damit er schwiege, auf die Lippen deckten.

»Gern hört man auf der Sänger schöne Stimme;
      Bei dir, o Sänger, ist das Schweigen schön.«
Glaubst du denn, daß einem dein Gesang gefalle?
Dann nur, wenn du schweigst und fortgehst, freu'n sich alle.
Als dieses Musikanten Zitherspiel ertönte:
      Um Gottes willen, sprach ich zu dem Wirt, ich flehe,
Verschließ' und stopfe mir das Ohr, daß ich nichts höre,
      Wo nicht, so öffne mir die Türe, daß ich gehe.

Doch ich mochte meiner Freunde Sinn nicht widerstreben, und mußte eine Nacht bis zum Tage in dieser Qual verleben.

Zur rechten Zeit rief nicht die Stunde der Mueddhin,
      Er wußte nicht, wieviel vergangen von der Nacht;
Bei meinen Augenlidern konntest du's erfahren,
      Sie hatte keinen Schlaf ins Auge mir gebracht.

Am frühen Morgen löste ich vom Kopfe den Turban und vom Gürtel das Gold, und legte es vor den Musiker als Ehrensold; dann umarmte ich ihn mit Inbrunst, und versicherte ihn meines Dankes und meiner Gunst. Die Freunde sahen mit Erstaunen meine ganz ungewöhnliche Huld, sie lachten heimlich darüber und gaben der Leichtfertigkeit meines Geistes die Schuld; einer von ihnen aber fing an, die Zunge des Tadels auszustrecken und mir seine Mißbilligung aufzudecken. Du hast dich, sagte er, nicht als einen verständigen Mann gezeigt, daß du den ehrwürdigen Schmuck der Scheiche diesem Musikanten gereicht, der in seinem ganzen Leben keinen Dirhem in die Hand genommen, und kein Goldspänchen auf die Trommel bekommen.

Ein Musikant, weit geh' er von hier fort!
Nicht zweimal sieht man ihn an einem Ort.
Wahr ist es, wird nur seine Stimme laut,
So schaudert jedem auch sogleich die Haut;
Der Vogel flieht erschreckt des Hauses Pfähle;
Das Hirn zerreißt er uns und sich die Kehle.

Ich rate dir, erwiderte ich, die Zunge des Tadels einzuziehn, denn die Wunderkraft dieses Mannes ist mir offenbar geworden. Laß mich wissen, sagte er, wie es sich damit verhält, damit wir alle ihm unsre Gunst schenken, und ihn bitten, der Scherze die wir uns erlaubt haben, nicht zu gedenken. Die Ursache ist, antwortete ich, weil mich der ehrwürdige Scheich, Gott heilige sein Grab! oftmals der Musik zu entsagen ermahnt und mich vielfach darüber vermahnt hatte, ich hatte aber seine Vorstellungen nie mit geneigtem Ohre aufgenommen, bis diese Nacht mich ein gesegnetes Gestirn und ein glückbringendes Geschick an diesen Ort geführt hat, wo ich durch diesen Musikanten dazu gebracht worden bin, Reue zu empfinden, und den Entschluß gefaßt habe, mich ein andermal bei Musik und Gesellschaft nicht mehr einzufinden.

Die schöne Stimme, die aus süßem Mund ertönt,
      Ob rhythmisch oder nicht, sie muß das Herz verführen.
Doch Töne von Aschak, Sefahan und Hedschas
      Aus widerlicher Gurgel können mich nicht rühren.

Lokman wurde gefragt: Von wem hast du das gute Betragen gelernt? Von denen, die sich schlecht betrugen, antwortete er; was ich Mißfälliges bei ihnen bemerkte, dessen enthielt ich mich.

Das kleinste Wort, das man im Scherz gesprochen,
      Es kann dem Weisen doch Belehrung bringen.
Dem Toren lese hundert Weisheitssprüche,
      Als Scherz nur wird's zu seinem Ohre dringen.

*

Man erzählt von einem Werkheiligen, der in einer Nacht zehn Pfund Speise verzehrte und bis zum Sonnenaufgang einen ganzen Koran durchbetete. Ein Einsichtsvoller, der dieses hörte, sprach: Wenn er ein halbes Brot äße und schliefe, wäre es weit besser.

Leer von Speise muß dein Magen sein,
      Soll dir glänzen der Erkenntnis Licht.
Darum ist dein Geist an Weisheit leer,
      Weil vom Fette glänzt dein Angesicht.

*

Das göttliche Erbarmen erleuchtete mit der Fackel der Gnade den Pfad eines in Sünden Verirrten, daß er in den Kreis der Wahrheitsforscher eintrat, und durch den Segen der Gesellschaft der Derwische und den aufrichtigen Ernst ihrer Worte seinen tadelnswerten Lebenswandel in einen lobenswerten verwandelte, und seine Hand von den Lüsten und Begierden der Welt abzog; doch die Zunge der Schmähsüchtigen streckte sich gegen ihn aus, und sie sagten, er sei dennoch immer seinen frühern Gewohnheiten dahingegeben, und auf seine Frömmigkeit und Tugend dürfe man sich nicht verlassen.

Durch Buße kann man Gottes Strafe fliehn,
      Allein der Menschen Zunge flieht man nicht.

Er vermochte diese ungerechten Verleumdungen nicht zu ertragen, und klagte darüber bei dem Vorsteher des Ordens; der Scheich weinte und sprach: Wie kannst du Gott genug für die Huldgabe danken, daß du besser bist, als man von dir hält.

Du klagst: »Stets sind Böswillige bemüht,
      Auf Rüg' und Tadel über mich zu sinnen;
Bald steh'n sie auf und zielen auf mein Blut,
      Bald sitzen sie mir Böses anzuspinnen.«
Sei gut und laß sie reden: besser ist's,
      Als wärst du schlecht und würdest Lob gewinnen.

Sieh doch mich an, mir legt die gute Meinung aller Vollkommenheit bei, und doch bin ich durch und durch voll Unvollkommenheit.

Würd' ich nach meinen Reden handeln,
So würd' ich fromm und lauter wandeln.
»Wenn ich mich auch vor meines Nachbars Blick verstecke,
So weiß doch Gott, was ich enthüll' und was verdecke.«
Vor den Leuten bin ich eingeschlossen,
      Daß sie meine Fehler nicht erzählen;
Doch wozu verschlossen? Dem Allkund'gen
      Kann ich das Geheimste nicht verhehlen.

*

Ich beklagte mich bei einem der Scheiche, daß jemand etwas Ungeziemendes von mir ausgesagt habe. Er erwiderte: Beschäme ihn durch deine Tugend.

Wandle recht, so daß kein schlechter Mann
Irgend Böses von dir sagen kann.
Wenn die Zither rechte Stimmung hält,
Zieht der Spieler nicht die Saiten an.

*

Einer von den Scheichen in Damaskus wurde gefragt, was denn das wahre Wesen der Sufi sei? Er antwortete: Ehedem war es eine Menschenklasse, in der Welt zerstreut, aber in Wirklichkeit gesammelt; jetzt sind es Leute, äußerlich gesammelt, aber innerlich zerstreut.

Wenn immerfort dein Herz bald da, bald dorthin schweifet,
      Bist du in Einsamkeit nicht heilig und nicht rein:
Doch hast du Reichtum, Rang und Ackerland und Handel,
      Ist nur dein Herz bei Gott, so wohnst du doch allein.

Ich erinnere mich, daß, als ich einst mit einer Karawane die ganze Nacht hindurch fortgezogen war, und wir am frühen Morgen am Saume eines Waldes der Ruhe pflogen, ein Liebetoller, der auf dieser Reise unser Gefährte war, ein Geschrei erhob und in die Wüste lief und sich nicht einen Augenblick der Ruhe hingab. Als es Tag geworden war, fragte ich ihn nach dem Grunde seiner Verzückung. Er antwortete: Ich hörte die Stimme der Nachtigallen von den Bäumen und der Rebhühner von den Bergen und der Frösche aus dem Wasser und der Tiere aus dem Walde ertönen; da bedachte ich, daß es eines Menschen nicht würdig sei, während alle Wesen sich zum Preise Gottes regen, sich gedankenlos zum Schlafe niederzulegen.

Es sang ein Vogel so am vor'gen Morgen,
      Daß ich Besinnung und Verstand verlor.
Von ungefähr drang dem vertrauten Freunde
      Mein liebetrunknes Schreien an das Ohr.
Er sprach: Kann ich es glauben? bringt die Stimme
      Des Vogels die Verzückung dir hervor?
Nicht ziemt's dem Menschen, sprach ich, daß er schweige,
      Indes dem Herrn lobsingt der Vögel Chor.

*

Einst waren auf der Reise nach Hedschas einige einsichtsvolle Jünglinge meine Genossen und Reisegefährten, die von Zeit zu Zeit leise etwas summten und einige mystische Verse sprachen. Ein Werkheiliger machte die Reise mit uns, der für die Verzückung der Derwische keinen Sinn und von ihrer Pein keinen Begriff hatte. Als wir an die Palmen der Söhne Helal gelangten, kam ein kleiner Negerknabe aus einem Zeltlager der Araber heraus und ließ eine Stimme ertönen, welche die Vögel aus der Luft herabzog. Da sah ich, wie das Kamel des Werkheiligen anfing, den Boden zu stampfen, dann seinen Herrn abwarf und der Wüste zulief. O Scheich, sprach ich, auf das Tier hat es Eindruck gemacht, und auf dich macht es keinen Eindruck?

Weißt du, was zu mir ertönet aus der Nachtigallen Munde?
Bist du denn ein Mensch und hast doch von der Liebe keine Kunde?
Da, wo das Kamel entzückt ist von des Arabers Gesange,
Wenn du kalt bleibst, o geboren bist du nicht zur rechten Stunde.
Wo das Kamel sogar Lust und Vergnügen findet,
Da ist der Mensch ein Esel, wenn er nichts empfindet.
»Wenn des frischen Windes Kühle über Feld und Garten wehet,
Neigen sich der Bäume Zweige, nicht des Felsens harter Stein.«
Zu seinem Lobe reget sich alles, was wir sehn;
Wer Ohren hat zu hören, kann was es heißt verstehn.
Nicht loben ihn auf Rosen allein der Vögel Weisen,
Denn jedes Dornes Zunge bewegt sich ihn zu preisen.

*

Ein König fühlte das Ende seines Lebens herannahen; da er keinen Nachfolger hatte, so verordnete er durch sein Testament, daß man dem ersten, der am frühen Morgen zum Stadttore hereinkäme, die Königskrone auf das Haupt setzen und die Regierung in die Hand geben solle. Zufällig war der erste, der hereinkam, ein Bettler, der sein ganzes Leben Bissen um Bissen zusammengesucht und Lappen auf Lappen zusammengeflickt hatte. Die Großen des Reiches und die Vornehmen des Hofes vollzogen das Testament des Königs und überlieferten ihm Reich und Schätze. Der Derwisch regierte eine Zeitlang das Königreich, bis einige der Emire des Reiches ihren Hals dem Joche des Gehorsams entzogen, und die Könige der umliegenden Länder sich von allen Seiten zum Kriege erhoben und ihre Heere zum Kampfe rüsteten; kurz, Soldaten und Untertanen wurden aufrührerisch und ein Teil der Provinzen machte sich von seiner Herrschaft los. Der Derwisch war über diese Ereignisse in Sorge und Unruhe, als einer seiner frühern Freunde, der in der Armut sein Gefährte gewesen war, von der Reise zurückkam. Als dieser ihn zu einer so hohen Stufe emporgestiegen sah, rief er aus: Dank sei Gott, dem Mächtigen und Erhabenen, daß das hohe Glück dir geholfen und das große Heil dich geleitet, so daß deine Rose aus dem Dorn und dein Dorn aus dem Fuße gegangen, und du auf diese Stufe gelangt bist; wie der Araber sagt: »Bei dem Schweren Leichtes.«

Entfaltet ist die Blume bald, und bald verwelkt zu Staub,
Der Baum ist nackt zu einer Zeit und dann bedeckt mit Laub.

O Bruder, entgegnete jener, bezeige mir dein Beileid, denn zum Glückwünschen ist es der Ort nicht; damals, als du mich sahest, kümmerte ich mich um ein Brot, jetzt macht mir eine Welt Kummer und Not.

Haben wir kein Gut der Welt, so quält uns das Verlangen,
Haben wir's, ist unser Fuß in seiner Lust gefangen.
Unruhvoller ist doch nichts als der Genuß der Welt:
Ob man ihn besitzt, ob nicht, gleichwohl ist man gequält.
Suchst du Glück und Reichtum, o so strebe nur
      Nach Genügsamkeit, der besten aller Haben.
Schüttet auch der Reiche Gold in Haufen aus,
      Glaube nicht, er werd' an Lohn sich einst erlaben.
Oft schon hört' ich von den Weisen, daß Geduld
      Eines Armen besser als des Reichen Gaben.
Nicht so viel ist's, wenn dir Behram einen Onager gebraten,
Als wenn die Ameis' auf einen Heuschreckfuß dich eingeladen.

*

Jemand hatte einen Freund, der ein Amt im Diwan verwaltete; er hatte zufällig während einiger Zeit keine Gelegenheit gehabt ihn zu sehn, da sagte jemand: Es ist lange her, daß du deinen Freund nicht gesehn hast. Ich will ihn gar nicht sehn, antwortete er. Einer von den Leuten jenes Freundes, der eben zugegen war, fragte: Welchen Fehler hat er denn begangen, daß du ihn zu sehen überdrüssig bist? Nicht wegen eines Fehlers ist es, antwortete er, aber einen Freund, der im Diwan sitzt, kann man lange genug sehn, wenn er abgesetzt ist.

In Größe, wicht'gem Amt und hohem Rang,
      Vermeiden sie wohl der Bekannten Haus;
Doch kömmt das Unglück und die Absetzung,
      Den Freunden schütten sie den Kummer aus.

Abu Horeirah, der Gottgefällige, kam jeden Tag dem Auserwählten, Gottes Gnade und Friede mit ihm! seine Aufwartung zu machen. Einst sagte dieser zu ihm: »O Abu Horeirah, besuche mich weniger, daß die Liebe sich mehre.«

Zu einem Einsichtsvollen sagte man: So schön auch die Sonne ist, haben wir doch nie gehört, daß jemand sie zur Freundin genommen oder Liebe für sie gefühlt habe. Die Ursache ist, antwortete er, weil man sie jeden Tag sehen kann, nur im Winter ist sie verhüllt und geliebt.

Leute zu besuchen ist kein Fehler,
      Doch soviel nicht, bis man sagt: Halt' ein!
Wußtest du dich selbst zurechtzuweisen,
      Wirst du andrer Rüg' enthoben sein.

*

Als ich einst der Gesellschaft meiner Freunde in Damaskus überdrüssig geworden war, begab ich mich in die Wüste von Jerusalem und nahm die Tiere zu Genossen; ich geriet aber zuletzt in die Gefangenschaft der Franken, und wurde in einem Graben von Tripolis mit den Juden zur Erdarbeit angehalten, bis ein vornehmer Mann von Haleb, mit dem ich früher bekannt gewesen war, vorbeikam, mich erkannte und ausrief: In welchem Zustande sehe ich dich? wie bringst du dein Leben zu? Ich antwortete:

Ich floh vor den Menschen in Berge und Wald,
      Auf Gott nur allein die Gedanken zu stellen.
Was jetzt mir im Sinne, das denkst du dir bald,
      Wo ich mich zu Nichtmenschen mußte gesellen.
Besser ist's, vor Freunden stehn in Banden,
Als im Garten gehn mit Unbekannten.

Er wurde durch meine Lage zum Mitleide bewegt, kaufte mich für zehn Dinare aus den Ketten der Franken los und führte mich mit sich nach Haleb. Er hatte eine Tochter, diese gab er mir zur Frau mit einer Morgengabe von hundert Dinaren. Nach Verlauf einiger Zeit zeigte sich die Tochter böswillig, eigensinnig und widerspenstig, sie fing an ihrer Zunge freien Lauf zu lassen und mir das Leben zu verbittern, denn mit Recht hat man gesagt:

Hat ein guter Mann im Haus' ein böses Weib,
Brennt er in der Hölle bei lebend'gem Leib.
Von der bösen Sieben halte fern die Hände!
»O daß Gott die Feuerstrafe von uns wende!«

Indem sie einst ihre schmähsüchtige Zunge gehn ließ, sagte sie: Du bist ein nichtsnutziger Mensch, mein Vater hat dich für zehn Dinare von den Franken losgekauft. Wohl, antwortete ich, hat er mich für zehn Dinare losgekauft, aber für hundert Dinare hat er mich dir zum Gefangenen gegeben.

Ich hörte, daß ein Starker auf der Weide
Ein Lamm einst aus des Wolfes Klau'n befreite.
Drauf bohrt' er ihm das Messer in die Kehle,
Und schwindend seufzte noch des Lammes Seele:
Du wehrtest zwar dem Wolfe mich zu morden,
Doch seh' ich, du bist selbst mein Wolf geworden.

*

Ein König fragte einen heiligen Mann: Wie bringst du denn deine liebe Zeit zu? Er antwortete: Die ganze Nacht mit Andachtsübungen, die Frühe mit Bitten und Gebet, und den ganzen Tag mit der Sorge für die täglichen Bedürfnisse. Der König ließ ihm eine bestimmte Summe zum Lebensunterhalt anweisen, damit die Last der Familie von seinem Herzen genommen würde.

Wenn dich Familienbande fest umstricken,
So darf dein Geist nicht mehr nach Freiheit blicken:
Die Sorg' um Kinder, Kleider, Nahrung, Geld,
Zieht dich zurück vom Weg zur Geisterwelt.
Den ganzen Tag hab' ich mir vorbedacht,
Mit Gott nur umzugehn die ganze Nacht,
Allein beim Beten kann ich nie vergessen:
Was werden meine Kinder morgen essen?

*

Ein heiliger Mann von Damaskus pflog viele Jahre der Andacht in einem Walde und aß Baumblätter. Der König jenes Landes stattete ihm einen Besuch ab und sprach: Wenn du es für gut findest, so wollen wir in der Stadt einen Ort für dich einrichten, wo du leichter und besser als hier deinen Andachtsübungen obliegen kannst, und wo die andern auch von den Segnungen deiner Worte Nutzen ziehn und deine frommen Werke zum Vorbild nehmen können. Der heilige Mann wollte diesen Vorschlag nicht annehmen, aber die Großen des Hofes sprachen zu ihm: Um die gute Absicht des Königs anzuerkennen, ist es ratsam, daß du einige Tage in die Stadt kommest; wenn du dich dann in deinen heiligen Übungen durch die Gesellschaft Fremder gestört findest, so bleibt dir immer die freie Wahl. Der heilige Mann kam, wie man erzählt, in die Stadt, und ein dem Könige gehörendes Gartenhaus wurde für ihn eingerichtet, ein herzentzückender, geisterquickender Ort.

Die roten Rosen sah man wie der Schönen Wangen,
Wie der Geliebten Locken Hyazinthen prangen,
Noch schauernd von dem Frühlingsfrost die jungen Sprossen,
Wie Kinder, die der Amme Milch noch nicht genossen.
»Granaten unter Baumesblüten
Wie Feuer an den Zweigen glühten.«

Der König schickte ihm alsbald ein schönes Mädchen,

Ein Mond, der Heil'ge leitete zur Schuld,
Mit Pfauenschmuck, den Engeln gleich an Huld,
Daß, wenn ein frommer Mann sie je gesehen,
Nicht Ruh' mehr für ihn war und nicht Geduld.

Und ebenso nachher einen Knaben von wunderbarer Schönheit und lieblicher Wohlgestalt.

»Man schmachtete vor Durst an dieses Schenken Seite,
Er zeigte nur von fern des Bechers Hochgenuß.«
Von seinem Anblick war das Auge nie ersättigt,
Wie Wassersücht'ge nicht ersättigt Euphrats Fluß.

Der heilige Mann fing an, süße Bissen zu essen und feine Kleider anzuziehn, an Früchten und Wohlgerüchen Lust und Genuß zu finden, und auf die Schönheit des Knabens und des Mädchens mit Wohlgefallen zu blicken. Die Verständigen haben aber gesagt: Die Locke der Schönen ist eine Fußkette für den Verstand und ein Netz für den flüchtigen Vogel.

Um deinetwillen gab ich Herz und Glauben und Verstand,
      Der flücht'ge Vogel bin ich in der Tat und du das Netz.

Kurz, die glückliche Zeit seiner andächtigen Ruhe schwand dahin, wie der Spruch sagt:

Gelehrte, Heil'ge, Scheiche und Novizen,
      Und die vom Predigtstuhl die Stimm' erheben:
Wenn sie sich in die Welt herabgelassen,
      Sie bleiben wie die Flieg' am Honig kleben.

Einst wünschte der König ihn zu sehen; er fand den heiligen Mann in ganz veränderter Gestalt: er war weiß und rot und dick und fett geworden, und lag auf einem seidenen Ruhekissen ausgestreckt, und der Knabe von Perigestalt mit einem Fächer von Pfauenfedern stand zu seinem Haupte. Der König freute sich über sein Wohlbefinden und besprach sich mit ihm über allerlei, bis er zuletzt sagte: Für zwei Menschenklassen habe ich besondere Freundschaft, die Gelehrten und die, welche frommen Werken obliegen. O König, sprach ein philosophischer, welterfahrener Wesir, der zugegen war, die Freundschaft erfordert, daß du beiden Klassen Gutes tust: den Gelehrten gib Gold, damit sie noch mehr lernen, den Frommen gib keines, damit sie fromm bleiben.

Nicht Silber und nicht Gold gebührt dem Frommen;
Nimmt er es an, laß einen andern kommen.
Wer frommen Wandel führt und lebt im Gottvertrauen,
      Ist Mönch auch ohne Stiftungsbrot und Bettelbissen;
Ist herzentzückend einer Schönen Ohr und Finger,
      Wird man daran nicht Ohr- und Siegelring vermissen.
Der Derwisch klugen Sinns und frommen Wandels
      Braucht Bettelbissen nicht und Klosterbrot;
Die Dame schön von Wuchs mit edlem Antlitz
      Braucht Ringe nicht und Schminke schwarz und rot.
Hab' ich und bin auf mehr erpicht,
So nenne man mich Heil'ger nicht.

*

Damit stimmt folgende Erzählung überein: Ein König hatte ein wichtiges Geschäft vor; er gelobte, wenn der Erfolg seinem Wunsche entspräche, soundso viel Geldstücke den heiligen Männern zu geben. Als sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, mußte er die Verpflichtung, die er durch das Gelübde auf sich genommen hatte, lösen; er gab daher einem seiner vertrauten Sklaven einen Beutel voll Direms, die er unter die heiligen Männer austeilen sollte. Der Jüngling, so wird erzählt, der klug und verständig war, trieb sich den ganzen Tag herum und kam abends wieder, küßte das Geld und legte es vor den König und sprach: Ich habe keine heiligen Männer gefunden. Was ist das für ein Märchen? sagte der König; soviel ich weiß, sind vierhundert heilige Männer in dieser Stadt. O Herr der Welt, entgegnete jener, wer ein heiliger Mann ist, nimmt nichts, und wer etwas nimmt, ist kein heiliger Mann. Der König lachte und sprach zu seinen Vertrauten: Soviel ich für diese Klasse der Gottesmänner Wohlwollen und Zuneigung habe, soviel hat dieser Laffe Feindschaft und Abneigung, und noch dazu hat er recht.

Sucht ein Frommer Silber oder Gold,
O so sei du einem Frommern hold.

*

Man fragte einst einen Mann von gründlicher Gelehrsamkeit, was er von dem Stiftungsbrote halte? Er antwortete: Wenn man es um der Sammlung des Geistes und der Muße zur Andacht willen nimmt, ist es recht; wenn man sich aber um des Brotes willen sammelt und müßig geht, ist es unrecht.

Das Brot ergreifen Fromme um der Andacht willen,
Nicht nehmen sie die Andacht sich mit Brot zu füllen.

*

Ein Derwisch kam auf der Reise in ein Haus, dessen Besitzer ein edelgesinnter Mann war und mehrere Leute von Talent und Redefertigkeit in seiner Gesellschaft hatte, von denen ein jeder, nach der Sitte geistreicher Männer, etwas Witziges und Spaßhaftes zum besten gab. Der Derwisch hatte einen weiten Weg in der Wüste zurückgelegt; er war ermüdet und hungrig. Einer aus der Gesellschaft sprach fröhlich zu ihm: Willst du uns nicht auch etwas sagen? Ich besitze nicht, antwortete der Derwisch, wie die andern Talent und Redefertigkeit, und habe auch nichts gelernt, begnügt euch also mit einem einzigen Verspaare. Neugierig und wohlwollend riefen alle: Sprich. Er sprach:

Verhungert steh' ich da, den Tisch von fern zu schauen,
Wie an des Bades Tür' der Junggesell die Frauen.

Alle lachten und ließen ihm Speise vorsetzen. Freund, sagte der Wirt, warte noch ein Weilchen, daß dir meine Mägde Gehacktes bereiten. Der Derwisch hob den Kopf auf und sprach:

Auf meinem Tische braucht es wahrlich kein Gehacktes;
Für den Gehackten ist das trockne Brot Gehacktes.

*

Ein Novize sagte zu einem Scheich: Was soll ich tun? Die Leute quälen mich durch die Menge ihrer Besuche, und sie stören und beunruhigen meine kostbaren Stunden durch ihr Ein- und Auslaufen. Der Alte antwortete: Leihe denen, welche arm sind, und verlange etwas von denen, welche reich sind, so werden sie nicht mehr zu dir kommen.

Gingen vor des Islams Heere Bettler her,
Wahrlich, der Ungläub'ge flöhe bis nach China.

*

Ein Rechtsgelehrter sprach zu seinem Vater: Keine von den rührenden Reden der Prediger macht Eindruck auf mich, weil ich nicht sehe, daß ihre Handlungen ihren Worten entsprechen.

Die Leute lehren sie der Welt entsagen,
Indes sie Geld und Korn zusammentragen.
Ein Weiser, der auf Reden sich beschränkt,
Der glaube nicht, daß er die Herzen lenkt.
Ein Weiser ist, wer immer weise wandelt,
Nicht wer nur spricht und nach dem Wort nicht handelt.

Gott spricht: »Wollt ihr denn die Menschen zur Frömmigkeit ermahnen und euch selber vergessen?«

Wer nur strebt, dem Leib Genüsse zu bereiten,
Der ist selbst verirrt, wie kann er andre leiten?

Der Vater erwiderte: O mein Sohn, bloß um dieser eiteln Einbildung willen ziemt es dir nicht, das Angesicht von den Belehrungen der Prediger abzuwenden und in Eitelkeit dahin zu leben, und indem du einen tadellosen Weisen suchst, von den Vorteilen der Weisheit ausgeschlossen zu bleiben; sonst gleichst du jenem Blinden, der nachts in eine Pfütze fiel und rief: O Muselmänner, bringt doch ein Licht her auf meinen Weg! Ein liederliches Weib, welches dies hörte, sprach: Du kannst das Licht nicht sehen, was willst du denn mit dem Lichte sehen? Eine Predigtversammlung ist eine Krämerbude; wenn du hier kein Geld gibst, so kannst du keine Ware forttragen, und wenn du dort keine Lernbegierde mitbringst, kannst du keinen guten Erfolg davontragen.

Gleicht auch des Weisen Tat dem Worte nicht,
      Laß nicht von seinem Wort zurück dich schrecken.
Voll eitler Anmaßung ist's, wenn du fragst,
      Wie denn ein Schläfer soll den Schläfer wecken?
Der Mann nimmt überall den guten Rat,
      Sollt' er geschrieben nur die Mauer decken.

*

Ein Kund'ger trat einst aus dem Kloster in die Schule,
      Zerriß den Umgang, den mit Mönchen er gepflogen.
Ich sprach: Sind Heil'ger und Gelehrter so verschieden,
       Daß diesen du so sehr dem andern vorgezogen?
O, sprach er, jener rettet nur den eignen Mantel,
      Doch dieser zieht auch den Ertrunknen aus den Wogen.

*

Einer lag an einer Straßenecke betrunken, und die Zügel des freien Willens waren seiner Hand entsunken; ein heiliger Mann, der vorüberging, bemerkte ihn zufällig und betrachtete seinen schmachvollen Zustand mißfällig, als jener den Kopf aufhob und sprach: »Und wenn sie bei Häßlichem vorbeigehn, gehn sie mit edelm Sinn vorbei.«

      »Siehst du den Sünder sich vergehn,
      Mußt du mit Nachsicht auf ihn sehn,
      Und tadelst du auch sein Versehn,
      Mit edlem Sinn vorübergehn.«
O wende dich nicht von dem Sünder ab,
      Voll Nachsicht wirf den Blick zu mir hinüber.
Bin ich auch edel nicht in meinem Tun,
      Geh' du als Edler doch an mir vorüber.

*

Ein Haufen Taugenichtse kam heraus, um einen Derwisch zu schmähen; sie führten unziemende Reden, schlugen und schimpften ihn. Er klagte es dem Vorsteher des Ordens und erzählte, was ihm zugestoßen war. O mein Sohn, erwiderte dieser, die Kutte der Derwische ist das Kleid der Ergebung; wer in diesem Rocke das Unerwünschte nicht zu ertragen weiß, ist ein Heuchler, kein Derwisch.

Die weite Meeresfläche wird nicht durch den Stein getrübt:
      Der Fromme, der die Kränkung fühlt, ist noch ein seichtes Wasser.
Wenn dich ein Schaden trifft, ertrag ihn ruhig,
      Damit du nicht der Schuld zum Raube werdest.
O Bruder, da ja doch dein Ende Staub ist,
      Sei Staub, bevor du noch zum Staube werdest.

*

In Bagdad, hört es, in vergang'ner Zeit,
Entstand einst zwischen Fahn' und Vorhang Streit.
Mit Staub bedeckt, vom Ritte ganz zerschlagen,
Begann die Fahne vorwurfsvoll zu klagen:
Wir sind dem einen Herrn doch Untertan,
Gehören einem Hof als Diener an;
Ich muß mich ohne Rast im Dienste regen,
Zur Zeit und Unzeit hin auf allen Wegen;
Du kennst die Mühsal nicht, nicht Schlacht und Raub,
Weißt nichts von Wüstenwind und Sand und Staub,
Ich geh' voran in Müh' und Kampf und Wehre,
Warum genießest du die größre Ehre?
Bei mondesgleichen Knaben wohnest du,
Lebst in der Mädchen Jasminduft in Ruh;
Ich bin bei der Soldaten wildem Trosse,
Und wirbelnd hebt mein Haupt sich auf dem Rosse.
Mein Haupt, sprach jener, ist im Staub gebeugt,
Indes das deine stolz zum Himmel steigt.
Wer eitel strebt den Hals emporzurecken,
Muß mit gebroch'nem Hals sich niederstrecken.

*

Ein Einsichtsvoller sah einen Mann von großer Leibesstärke, der so ergrimmt und zornig war, daß ihm Schaum aus dem Munde floß. Was ist diesem geschehn? fragte er. Jemand antwortete ihm: Es hat ihm einer ein Schimpfwort gesagt. Wie, sagte er, dieser erbärmliche Mensch kann einen Stein von tausend Pfunden tragen, und die Last eines Wortes kann er nicht ertragen?

Hör' auf, der Fausteskraft und Mannheit dich zu rühmen,
      Ohnmächt'gen Geistes du, soll Mann soll Weib ich sagen?
Du mußt, wenn du's vermagst, der andern Mund versüßen,
      Nicht männlich ist's, den Mund mit deiner Faust zu schlagen.
Zerriß er auch des Elefanten Stirn,
      Ein Mann ist nicht, wer Mannessinn nicht hat.
Die Adamssöhne sind aus Staub geformt:
      Ist Adamssohn, wer Staubessinn nicht hat?

*

Einen Großen fragte man über das Verhalten der treuen Freunde; er antwortete: Das Geringste ist, daß sie den Wunsch ihrer Freunde ihrem eignen Nutzen vorziehen, denn die Weisen haben gesagt: Der Bruder, der nur sein eigner Freund ist, ist weder Bruder noch Freund.

Dein Weggefährte ist nicht der, der auf dem Wege treibt und drängt;
Nicht hänge du dein Herz an den, der nicht an dich sein Herz gehängt.
Weiß der Verwandte nichts von gottesfürcht'gem Leben,
Ist's besser, der Verwandtschaft Pflichten aufzuheben.

Ich erinnere mich, daß ein Anmaßender mir wegen dieser letztern Verse widersprach, und sagte: Gott, der Mächtige und Erhabene, hat in seinem heiligen Buche das Aufheben der Verwandtschaftspflichten verboten und die Liebe zu den Verwandten befohlen; was du aber sagst, widerspricht diesem. Du bist im Irrtum, antwortete ich, es stimmt mit dem Koran überein, denn Gott sagt: »Wenn die Eltern in dich dringen, daß du mir beigesellest, wen du nicht kennst, gehorche ihnen nicht.«

Der Verwandten Tausende Gott fremd und unbekannt,
Opfre einem Gottbekannten, der dir nicht verwandt.

*

In Bagdad hatt' ein guter Alter eben
Die Tochter einem Schustersmann gegeben.
Das harte Männlein biß in Liebeswut
Der Tochter Lippe grausam bis aufs Blut.
Als dies der Vater sah am andern Tage,
Kam er zum Schwiegersohne mit der Frage:
Was kaust, Elender, du mit deinem Zahn?
Du siehst die Lippe wohl als Leder an?
Dies sei dir nicht gesagt bloß um zu scherzen!
Laß nur den Scherz und nimm den Ernst zu Herzen:
Sitzt in der Seel' einmal die Bosheit fest,
Verläßt sie nur am Todestag ihr Nest.

*

Ein Gelehrter hatte eine über alle Maßen häßliche Tochter, welche längst mannbar war; aber ungeachtet ihrer Mitgift und ihres Reichtums, zeigte sich doch niemand geneigt, sie zu heiraten.

Häßlich ist schimmernder Goldstoff und Seide,
Ist eine häßliche Braut in dem Kleide.

Endlich ließ man sie notgedrungen mit einem Blinden den Ehebund schließen. Man erzählt, daß in dieser Zeit ein Arzt aus Serendib ankam, welcher den Blinden die Augen zu öffnen verstand. Als man den Gelehrten fragte, warum er seinen Schwiegersohn diesem Arzte nicht in die Kur gebe, antwortete er: Ich fürchte, wenn er sehend würde, möchte er meiner Tochter den Scheidebrief geben.

Der Häßlichen gehört ein blinder Mann.

*

Man fragte einen Weisen, welche von beiden Eigenschaften besser sei, die Freigebigkeit oder die Tapferkeit? Er antwortete: Wer die Freigebigkeit besitzt, kann der Tapferkeit entbehren.

Auf dem Grabe Behram Gurs geschrieben stand:
Besser ist als starker Arm freigeb'ge Hand.
Längst ist Hatem Tai gestorben, doch bis in die fernsten Zeiten
      Glänzt durch seine edle Güte seines Namens heller Strahl.
Gib den Vierzigsten der Habe: denn sobald die üpp'gen Ranken
      Durch den Winzer abgeschnitten, mehret sich der Trauben Zahl.

*

Ein König blickte mit dem Auge der Verachtung auf eine Schar Derwische; einer derselben, der es gewahr wurde, sprach: O König, wir sind in dieser Welt an Soldaten ärmer als du, aber an Lebensgenuß reicher, im Tode gleich und bei der Auferstehung besser.

Genießt der mächt'ge Fürst mühlos des Lebens Frucht,
Indes der Derwisch oft nach kargen Bissen sucht,
So kann, wenn beiden einst die Sterbezeit geschlagen,
Doch keiner aus der Welt mehr als ein Bahrtuch tragen.
Wo man das Bündel schnürt, der Wanderung gewärtig,
Sind Fürsten nicht so leicht als Bettler reisefertig.

Das Äußere des Derwisches ist ein abgenutztes Kleid und abgeschornes Haar, sein wahres Wesen aber ist ein aufgeweckter Geist und abgestorbne Lust:

Nicht der voll Anmaßung am Tor sich niedersetzt,
      Zum Streite sich erhebt, wenn man ihm widersteht;
Ja, wenn ein Mühlstein selbst vom Berg herunterrollt,
      Kein Wissender ist der, der aus dem Wege geht.

Die Regel der Derwische ist Lobpreisung und Danksagung, Gehorsam und Dienstbeflissenheit, Spendung und Genügsamkeit, Vertrauen und Erhebung, Geduld und Ergebung; wer diese Eigenschaften besitzt, ist ein echter Derwisch, und ist er auch in ein Prachtgewand gekleidet. Wer aber eitle Dinge schwatzt und an das Beten nicht denkt, seinen Begierden frönt und seinen Lüsten sich schenkt, den Tag bis zur Nacht in den Banden der Üppigkeit sich wiegt, und die Nacht bis zum Tage in dem Schlafe der Gedankenlosigkeit liegt, ißt, was seine Hand greift und spricht, was ihm über die Zunge läuft: der ist ein Taugenichts, und ist er auch mit der Kutte bekleidet.

Der du entblößt von Gottesfurcht im Innern bist,
      Und heuchlerisch ein fromm Gewand um dich gelegt:
Laß doch den siebenfarb'gen Vorhang von der Tür',
      Ist deines Hauses Inn're nur mit Stroh belegt.

*

Umwunden sah ich einst mit einem Grase
Den frischen Rosenstrauß im Blumenglase.
Was fällt, sprach ich, dem schlechten Grase ein,
Zu sitzen in der Rosen edlen Reihn?
O tadle, sprach das Gras, nicht mein Vermessen,
Der edle Sinn kann Freundschaft nicht vergessen;
Fehlt mir auch Schönheit, Farbe, süßer Duft,
Doch atmet' ich auch seines Gartens Luft.
Ich bin dem edeln Herrn im Dienst ergeben,
Durch stete Güte schmückt er mir das Leben.
Ob er Verdienst mir beilegt oder nicht,
In seiner Huld strahlt mir der Hoffnung Licht.
Obgleich ich nicht des Vorrats viel besitze,
Mich nicht auf guter Werke Summe stütze,
Er weiß doch, was dem armen Sklaven fehlt,
Wenn er in eitelm Streben sich gequält.
Gebrauch ist's, daß, wenn Herren Freiheit schenken,
Des alten Knechtes sie zuerst gedenken:
O Weltenherr voll Langmut und Geduld,
Dem alten Knecht erzeige deine Huld.
O Sadi, suche der Ergebung Segen,
O Gottesmann! geh' nur auf Gottes Wegen.
Wer sich gewandt von dieser Pforte Licht,
Weh' ihm! er findet eine andre nicht.

*


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