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Der wahnsinnige Graf

In einer deutschen Landschaft, welche sich weder durch geistiges Leben noch Naturschönheiten auszeichnet, in der sogar Berge und Bäume den Eindruck machen, abscheuliche Philister zu sein, lebte vor zwanzig Jahren etwa ein Graf W. mit seiner Gemahlin und seinen Kindern, von der Welt, die er genügend genossen und kennengelernt hatte, zurückgezogen, auf seinem Schlosse, welches eine gewisse historische Romantik mit allen modernen Bequemlichkeiten und dem Luxus der Gegenwart vereinte.

Der Graf war nahe an vierzig Jahre, noch immer schön, ja interessant, aber von einer an das Unheimliche streifenden Abspannung und Blasiertheit. Die Gräfin, eine jener guten, bescheidenen Frauen, welche ohne besondere körperliche Reize oder glänzende Geistesgaben doch einen Mann, der für das Familienleben Sinn hat, sehr glücklich machen können, hatte mit ihrem Gatten schlechte Tage, schwere Stunden.

Graf W. war von einem schönen, geistvollen Weibe, das er angebetet hatte, in infamer Weise betrogen worden und hatte in einem Anfluge von Resignation seine hochgeschraubten Ansprüche an das Leben aufgegeben und eine Verstandesheirat geschlossen. Er hatte seine Frau nie geliebt, aber er hoffte, mit derselben anständig leben zu können, und täuschte sich auch nicht darin, bald aber fand ein interessanter psychologischer Prozeß bei ihm statt.

Als Gegensatz seiner guten Frau, welche ihn eben langweilte, tauchte in seiner Phantasie immer wieder das Bild jenes verworfenen Weibes mit allen dämonischen Reizen, welche sie geschmückt hatten, auf. Er kam allmählich zu der Ansicht, daß es kein Weib gibt, das uns zugleich Achtung und Leidenschaft einzuflößen imstande ist, er teilte die Frauen in zwei Gruppen, in brave, aber reizlose und beschränkte, und in geistreiche, schöne, berauschende, aber schlechte. Und endlich bildete er sich ein ganz apartes Frauenideal. Er wollte mit den diabolischen Eigenschaften des Weibes rechnen, er verlangte nur Ehrlichkeit in der Sünde, er haßte die Betrügerinnen und verabscheute die ehrlichen Frauen, und so erschien ihm als das Wünschenwerteste ein Weib, das, ohne zu heucheln oder zu täuschen, den Mut hat, sich offen zu dem Evangelium des Genusses zu bekennen, ungescheut seinen Egoismus hervorzukehren und den Mann als ein Werkzeug zu behandeln, das weggeworfen wird, sobald man seiner nicht mehr bedarf, und je grausamer, um so besser. Ein solches Weib, das fühlte er, konnte er anbeten, aber eine Art Instinkt hielt ihn doch immer ab, es zu suchen, denn er mußte sich sagen, daß er in Gefahr war, nicht allein der Sklave, sondern geradezu der Spielball desselben zu werden, da es seinen müden Nerven sogar als ein pikanter, physischer Reiz erschien, von einem schönen, treulosen Weibe mißhandelt zu werden.

Aus dieser Krankhaftigkeit entsprang eine geheimnisvolle Vorliebe für Pelzwerk, welche sich noch am besten durch die große Elektrizität desselben erklären läßt, und so bekam sein Ideal in seiner Phantasie eine ganz bestimmte Toilette, eine mit Pelz besetzte Jacke in der Art, wie man sie häufig bei den Almanach-Damen der vierziger Jahre oder bei emanzipierten Russinnen sieht.

Bei allen diesen Seltsamkeiten, welche in den Augen der Verwandten und Freunde des Grafen als Verrücktheit galten, war W. ein vortrefflicher Vater und beschäftigte sich eifrig mit der Erziehung seiner Kinder. Es kam endlich die Zeit, daß die Schweizerin bei denselben nicht mehr ausreichen wollte und man sich nach einer tüchtigen deutschen Erzieherin umsah. Dieselbe war nicht so leicht gefunden, aber endlich kam doch der Abend, wo der Wagen des Grafen dieselbe an der Poststation abholen und in das Schloß bringen konnte. Es war indes keines jener blaugestrumpften, abgetragenen Fräuleins mit tadelloser Tugend und langen Schmachtlocken, das jetzt vor dem Portale desselben ausstieg, sondern eine junge, feine reizende Dame, welche im nächsten Augenblick den elegant chaussierten kleinen Fuß mit dem festen Entschluß über die gräfliche Schwelle setzte, hier ihr Glück zu machen.

Der Teufel, den der Graf beschworen hatte, war ihm in diesem Momente näher, als er glaubte, denn das schöne Mädchen, das jetzt ohne jede Befangenheit, sicher und klug vor ihm in dem großen Ahnensaale stand, besaß jene Selbstsucht, jene Kälte des Blutes, jene Härte des Gemütes, welche er so reizend fand, im höchsten Grade, und doch war Bella Hartmann eine vollkommene Unschuld im Sinne der Welt, freilich nicht in dem des Psychologen. Durch ihren jungfräulichen Zauber fesselte sie ebenso die Gräfin wie den Grafen durch den stolzen Charakter ihrer Schönheit. So mag Brunhild vor Gunther gestanden sein, so hoch und schlank, das hochmütige Haupt von den goldroten Zöpfen gekrönt, und so eisig mag der Blick ihrer diabolischen grünen Augen in die weiche Seele des verliebten Mannes gedrungen sein.

Der Eindruck, den Bella gleich im ersten Augenblicke auf den Grafen W. machte, war unbeschreiblich, er verlor so sehr seine Selbstbeherrschung, daß er der Erzieherin Galanterien erwies, welche seine Frau jederzeit vergebens von ihm erwartet hatte, er bediente sie beim Tee, als sei sie ein ebenbürtiger Gast in seinem Hause und nicht seine Dienerin. Bella zeigte sich vorläufig durch seine Aufmerksamkeiten beschämt, was ihr das Herz der Gräfin vollends gewann. Sie überblickte nur zu bald die Situation und begann, den Grafen, den sie sich gleich am ersten Abende zum Opfer ausersehen hatte, zu beobachten, und auch die Gräfin, und zwar die letztere, um zu wissen, wie sie nicht sein dürfe, wenn sie den Grafen zu ihren Füßen sehen wollte. Als sie vollkommen klar sah und insbesondere die Neigung des Grafen teils entdeckt, teils erraten hatte, begann Bella, soweit es ihre Stellung erlaubte, ihm sein Ideal zu verkörpern.

Während die Gräfin ihren Gemahl durch die Einfachheit und Schmucklosigkeit ihrer Toilette erbitterte und vor Pferden und Waffen eine ihm verächtliche Scheu zeigte, stellte die schöne Erzieherin dieselbe nicht allein durch ihren lebhaften Geist, ihre weitaussehende Bildung und ihren feinen Geschmack für Kunst und Literatur in den Schatten, sondern entfaltete weit über ihre Verhältnisse eine poetisch reiche Toilette, schoß mit dem Grafen mit Pistolen nach der Scheibe und bestieg zu seiner Freude ohne Zögern die mutigsten Pferde, ja sie ritt mit ihm zur Hetzjagd, und als der Herbst kam, erschien sie sogar in einer pelzbesetzten Samtjacke, welche ihre plastischen Formen prächtig hob. Kühn, eine vollendete Amazone, setzte sie an der Seite des Grafen mit ihrem Pferde über Hecken und Gräben, und wenn sein Auge bewundernd auf ihr haftenblieb, verzog sie spöttisch den Mund.

Einmal stürzte der Graf mit seinem Lieblingspferde. Als er sich erhob, hatte das edle Tier den Fuß gebrochen, und es blieb also nichts übrig, als es zu töten. Der Graf zog eine geladene Pistole aus dem Halfter und richtete die Mündung auf seinen getreuen Gefährten, aber er war nicht imstande loszudrücken, Tränen traten in seine Augen. Da nahm ihm Bella mit einer spöttischen Bemerkung die Waffe aus der Hand. Ein Schuß – das Tier hatte verendet. Der Graf blickte mit unheimlichem Entzücken auf das herzlose Mädchen.

Ein anderes Mal geschah es, daß ein großer Neufundländer im Schlosse einen der Diener gebissen hatte. Niemand hatte es gewagt, das große, imposante Tier zu strafen, aber Bella, welche ihn mit ihrem magnetischen Blicke bändigte, band den Hund an einen eisernen Ring und peitschte ihn, bis er winselnd zu ihren Füßen lag.

»Ich glaube, Sie wären imstande, einen Menschen ebenso grausam zu behandeln«, sagte der Graf, als er zu der Exekution kam.

»Oh! Mit Vergnügen«, erwiderte Bella.

»Auch einen Menschen, der Sie liebt?«

»Den erst recht!« sprach die schöne Amazone.

»Mich zum Beispiel?« flüsterte der Graf.

»Sie?« Bella zuckte verächtlich die Achseln. »Lieben Sie mich denn?«

»Ich bete Sie an …«

»Und Sie würden sich von mir peitschen lassen?« fragte das Mädchen mit dem steinernen Herzen lauernd.

»Ich wäre selig …«

Bella begann zu lachen. »Aber ist es denn möglich, daß ein grausames, treuloses Weib das Ideal eines Mannes sein kann?«

»Ich würde ein solches Weib anbeten«, sagte der Graf.

»Nun, so beten Sie mich an«, erwiderte Bella.

»Sie wären so ein Weib …«, stammelte der Graf, »und Sie könnten mich lieben?«

»Wer sagt denn das?« entgegnete Bella stolz, »ist es nicht genug, wenn ich Ihnen gestatte, mich zu lieben?«

Diese Stunde entschied über das Schicksal des Grafen, er fühlte fortan von Tag zu Tag die Leidenschaft für die Erzieherin seiner Kinder wachsen und um so mehr, als sie seinen Bitten, Tränen, Schwüren eine unerschütterliche Gleichgültigkeit entgegensetzte. Nichts war imstande, dieses Mädchen zu rühren.

Lange kämpfte der Graf, plötzlich wurde die Welt durch die Nachricht überrascht, daß er sich von seiner Gemahlin geschieden und die Erzieherin seiner Kinder geheiratet hatte. Nicht lange, und Graf W. zog mit seiner jungen, schönen Gemahlin nach der Residenz, wo dieselbe bald durch ihren Bongout und ihre Koketterie die Löwin der high life wurde. Er hatte sein Ideal gefunden, denn Bella blieb nicht bei den Äußerlichkeiten desselben stehen, sie trug prächtige Pelze, reizende Pelzjacken in allen Farben, aber sie hatte dazu ihre Anbeter, und den Grafen behandelte sie wie damals seinen Neufundländer. Er litt entsetzlich, er starb beinahe vor Eifersucht, aber je mehr Bella über ihn lachte, je grausamer sie ihn behandelte, je größer der Kreis ihrer Verehrer wurde, um so wahnsinniger liebte sie Graf W.

So vergingen Jahre. Sie begann im Laufe derselben eine politische Rolle zu spielen und trat zu einem Prinzen des regierenden Hauses in innige Beziehungen. Ihr Gemahl wurde ihr allmählich lästig, und je mehr sich Liebe und Eifersucht bei ihm steigerten, endlich unerträglich.

Eines Abends, als er sie mit Vorwürfen überschüttete, sagte sie ruhig: »Du bist im Rechte, aber ich werde mich nicht ändern. Jetzt, wo du dein Ideal hast, entsetzest du dich vor demselben; es ist besser, wir trennen uns.«

Der Graf starrte sie an, dann warf er sich verzweifelt vor ihr nieder und beschwor sie, ihn nicht zu verlassen.

»Gut«, sagte Bella trocken, »aber ich bleibe nur unter der Bedingung bei dir, daß du vollkommen von mir abhängig bist, verschreibe mir augenblicklich dein ganzes Vermögen.«

Der Graf gehorchte freudig dem Gebote seiner schönen Gemahlin, er ahnte nicht, daß er in diesem Augenblicke sein Todesurteil unterschrieb. Es fiel ihm auch durchaus nicht auf, daß Bella plötzlich den Wunsch äußerte – und jeder ihrer Wünsche war ja Befehl –, wieder einmal einige Wochen auf ihrem Schlosse zuzubringen.

Wenige Tage, nachdem Graf W. mit seiner Gemahlin angekommen war, erschien, während er sich auf der Jagd befand, ein junger, schöner Mann im Schlosse, welcher mit der Gräfin eine längere Unterredung hatte. Dieser schöne Mann galt in der Residenz als einer der begünstigtsten Anbeter der neuen Messalina, es war der Direktor der Irrenanstalt.

Als der Graf gegen Abend zurückkehrte, fand er Bella in einem weißen Spitzennegligé in ihrem Schlafgemache, ihr offenes goldrotes Haar spielte um ihre üppige, schlanke Gestalt bis zu den Hüften herab. »Du bist so seltsam schön heute«, begann er, indem er den Arm um sie schlang.

»Ah! Du willst wieder einmal gepeitscht werden«, erwiderte Bella mit eisigem Hohn.

»Ja, tritt mich mit Füßen«, bat der Graf, »ziehe aber deine Pelzjacke dazu an.«

»Heute, an dem heißen Augustabend«, erwiderte Bella sehr laut, »bist du verrückt?«

»Zieh sie an«, fuhr der Graf fort, »du kennst die köstliche Wirkung, die Pelzwerk auf mich übt, besonders an einer Frau, die so schön, so grausam ist, so schlecht wie du.« Er kniete vor ihr nieder, während sie eine mit Hermelin reich ausgeschlagene veilchenblaue Samtjacke aus dem Kasten holte und anzog.

»Dein Anblick macht mich wahnsinnig«, rief der Graf, »mißhandle mich, ich bitte dich darum.«

Die Gräfin nahm nun rasch mit einem seltsamen Blick auf ihren Gemahl die Peitsche und begann ihn damit zu schlagen. »Oh! Du schlechtes, verworfenes, treuloses Weib«, murmelte der Graf dabei, »deine Mißhandlungen sind weit köstlicher als die Küsse einer Madonna!«

»Verlangen Sie noch mehr zu sehen und zu hören?« sprach plötzlich Bella mit erhobener Stimme.

»Nein«, erwiderte der Irrenarzt und trat hinter dem Vorhang, der ihn versteckt hatte, hervor in das Zimmer.

»Was wollen Sie? Wie kommen Sie hier herein?« fragte der Graf, indem er aufsprang.

»Ich komme um Sie, Herr Graf«, erwiderte der Irrenarzt, ihn scharf ins Auge fassend, »Sie sind krank.«

»Krank – ich?« stammelte der Graf.

»Ja, geisteskrank«, sagte der Irrenarzt, »Sie werden die Güte haben, mich zu begleiten.«

In diesem Augenblicke sah der Graf plötzlich klar, mit einem Wutschrei stürzte er sich auf seine Gemahlin, aber ehe er sie ereilte, war er von dem Irrenarzt und dessen Leuten, die auf seinen Wink aus dem Nebengemache herbeigestürzt waren, zu Boden geworfen.

»Verraten!« stöhnte er. Eine Ohnmacht entzog ihn allen weiteren Mißhandlungen.

Als er zu sich kam, stak er in der Zwangsjacke und befand sich an der Seite des Vertrauten seiner Frau auf dem Wege in das Irrenhaus. Bella hatte ihr Ziel erreicht, ihr Glück gemacht.

Ein Jahr nach der Katastrophe verbreiteten sich Gerüchte über dieselbe, welche ein Verbrechen wahrscheinlich machten. Endlich erfolgte sogar eine Anzeige von der Seite eines ehemaligen Dieners des Grafen. Die Untersuchung wurde eingeleitet, aber ohne Erfolg, da die Kommission, welche sich in das Irrenhaus begab, den Grafen wirklich wahnsinnig fand. Er war in der Zwangsjacke und unter den grausamen Peitschenhieben seines Peinigers, welche ihm offenbar weniger Genuß bereiteten als die der schönen Bella, wirklich toll geworden. Es war einer jener, nicht eben seltenen Fälle, wo sich die strafende Gerechtigkeit vollkommen ohnmächtig sieht und die Vergeltung anderen, höheren Mächten überlassen muß.


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