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Gespenster der Kirche

Es war in der Blütezeit des Konkordats, als ein junger Mann aus reicher und geachteter bürgerlicher Familie im Büro des österreichischen Polizeidirektors von P. erschien und um dessen Rat und Hilfe bat, welche ihm auch bereitwillig zugesagt wurde.

»Mein Vater droht mir mit Enterbung«, begann hierauf der junge Mann, »ohne daß ich je gegen die Gesetze des Staates, die Sittlichkeit oder die väterliche Autorität verstoßen hätte, einfach aus dem Grunde, weil ich seine blinde Ehrfurcht vor der katholischen Kirche und ihren Dienern nicht teile, ich gelte deshalb nicht allein als Freigeist, sondern geradezu als Atheist bei ihm, und ein alter treuer Diener unseres Hauses, welcher mich sehr liebt und unlängst zufällig das Testament meines Vaters gesehen hat, machte mir die vertrauliche Mitteilung, daß mein Vater sein ganzes Vermögen dem Jesuitenorden vermacht hat. Ich finde dies im höchsten Grade verdächtig und fürchte, daß ich von geistlicher Seite bei meinem Vater verleumdet worden bin, denn wir haben noch vor einem Jahre sehr gut und friedfertig zusammen gelebt, seitdem er aber viel mit Geistlichen verkehrt, ist die Ruhe unseres Hauses dahin.«

»Was Sie mir da sagen«, entgegnete der Polizeidirektor, »ist ebenso wahrscheinlich als bedauernswert, aber ich vermag nicht einzusehen, wie ich da eingreifen soll; Ihr Vater ist bei vollem Besitz seiner Geisteskräfte und kann frei über das, was ihm gehört, verfügen. Auch scheint mir Ihr Protest gegen seinen Letzten Willen verfrüht, Sie müssen abwarten, bis das Testament rechtskräftig wird, und dann den Schutz der Gerichte anrufen, ich kann leider nichts für Sie tun.«

»Doch«, meinte der junge Mann, »denn ich vermute, daß hier ein raffinierter Betrug im Spiele ist.«

»Wie? Erklären Sie sich deutlicher!«

»Mein Vater hat sich nämlich, als ich ihm gestern abend Vorstellungen machte, auf meine verstorbene Mutter berufen und mir endlich im Tone tiefster Überzeugung eröffnet, meine Mutter sei ihm wiederholt erschienen und habe ihm mit allen Qualen der Verdammten gedroht, wenn er den von Gott abgefallenen Sohn nicht enterbe und sein gesamtes Vermögen der Kirche schenke. Ich glaube aber nicht an Gespenster.«

»Ich auch nicht«, fiel der Polizeidirektor ein, »aber mit Vermutungen allein vermag ich gerade auf diesem gefährlichen Terrain nichts anzufangen. Sie wissen, wie die Kirche seit dem Abschlusse des Konkordates mit Rom alle unsere Verhältnisse beherrscht; wenn ich eine Untersuchung einleite und keinen Erfolg erziele, setze ich geradezu meine Stellung auf das Spiel. Anders läge die Sache, wenn Sie mir Beweise für Ihre Vermutungen beibringen könnten. Ich leugne nicht, daß ich der klerikalen Partei, welche Österreich, wie ich fürchte, an den Abgrund führen wird, eine ordentliche Schlappe gönnen würde. Sehen Sie also der Sache auf den Grund zu kommen, und dann reden wir weiter.«

Ein Monat etwa verging, ohne daß der junge Freigeist etwas von sich hören ließ; plötzlich kam er eines Abends, sichtlich aufgeregt, zum Polizeidirektor und teilte ihm mit, daß er nun in der Lage sei, eine Entdeckung des von ihm angezeigten kirchlichen Betruges herbeizuführen, wenn der Polizeidirektor ihm seinen Beistand leihen wollte. Der letztere verlangte nähere Angaben.

»Ich habe eine Reihe wichtiger Anhaltspunkte gewonnen«, erklärte der junge Mann. »Zuerst gestand mir mein Vater, daß ihm meine Mutter nicht in unserem Hause, sondern auf dem Kirchhofe, wo sie begraben liegt, erschienen sei. Meine Mutter war nämlich lange Jahre lungenkrank und zog wenige Wochen vor ihrem Tode auf das Land, und zwar nach dem Dorfe Sch., wo sie auch starb und beerdigt wurde. Ferner erfuhr ich durch unsern Diener, daß mein Vater bereits zweimal spätabends das Haus in Begleitung des Jesuitenpaters K. verlassen hat und jedesmal erst am Morgen zurückgekehrt ist. Nach jedem dieser Ausflüge zeigte er eine auffallende Unruhe und Niedergeschlagenheit und ließ drei Seelenmessen für meine selige Mutter lesen. Endlich kündigte mir mein Vater an, daß er heute abend in Geschäften verreise. Unmittelbar ehe er mir jedoch diese Eröffnung machte, sah unser Diener den Jesuiten das Haus verlassen. Es ist also anzunehmen, daß er sich heute nacht wieder mit dem Geiste meiner verstorbenen Mutter beraten will, und es wäre also die beste Gelegenheit da, der Sache auf die Spur zu kommen, wenn Sie, Herr Polizeidirektor, sich nicht scheuen, um eines unbedeutenden Menschen willen, wie ich bin, der mächtigsten Gewalt im Staate entgegenzutreten.«

»Jeder Bürger hat gleiches Recht auf den Schutz der Gesetze«, entgegnete der Polizeidirektor, »und ich glaube, oft genug Beweise gegeben zu haben, daß es mir nicht an dem Mute fehlt, meine Pflicht zu tun, mögen die Folgen noch so ernst sein, aber ohne Aussicht auf Erfolg handelt nur die Jugend, von ihrem Gefühle fortgerissen. Als Sie das erste Mal bei mir waren, mußte ich Sie abweisen. Heute stehen Ihre Aktien besser. Wir haben acht Uhr. Ich erwarte Sie in zwei Stunden hier in meinem Büro. Sie haben vorderhand nichts zu tun, als zu schweigen, alles andere ist meine Sache.«

Mit dem Einbruch der Dunkelheit stiegen im Hofe der Polizeidirektion vier Männer in einen geschlossenen Wagen, welcher hierauf die Richtung nach dem Dorfe Sch. einschlug, jedoch nicht in diesem selbst, sondern in der Nähe, an dem Rande eines Wäldchens anhielt. Hier stiegen die vier aus, es war der Polizeidirektor, begleitet von dem jungen Freigeist, einem Polizeibeamten und einem Polizeisoldaten, welcher jedoch in Zivilkleidern war.

»Das erste ist, daß wir die Örtlichkeit gehörig rekognoszieren«, begann der Polizeidirektor, »es ist elf Uhr, die Geisterbeschwörer werden nicht vor Mitternacht erscheinen, also haben wir Zeit, unsere Maßregeln zu treffen.«

Hierauf näherten sich die vier dem Friedhofe, welcher am Ende des Dorfes, gegen das Wäldchen zu, lag.

Sie fanden alles wie ausgestorben, still und leer. Der Totengräber saß offenbar im Wirtshause. Die Türe seines Häuschens fanden sie verschlossen, ebenso die zu der kleinen Kapelle, welche mitten im Friedhofe stand.

»Wo ist das Grab Ihrer Mutter?« fragte jetzt der Polizeidirektor.

Es war, da wenige Sterne am Himmel standen, nicht so leicht, dasselbe zu finden, aber endlich gelang es doch.

Der Polizeidirektor sah sich nun in der Nähe um. »Die Lage ist für uns nicht günstig«, sagte er endlich, »es ist nichts da, nicht einmal ein Gebüsch, hinter dem wir uns verbergen könnten.«

Plötzlich meldete der Polizeisoldat, daß er versucht habe, durch Tür oder Fenster in das Totengräberhäuschen einzudringen, und es ihm gelungen sei, indem er eine mit Papier verklebte Scheibe aufgerissen und das betreffende Fenster geöffnet habe, sich der Schlüssel zu bemächtigen, welche er dem Polizeidirektor brachte.

Nun war der Plan des letzteren schnell fertig. Er ließ die Kapelle öffnen und trat mit dem jungen Freigeist in dieselbe, dann befahl er dem Polizeibeamten, die Türe hinter ihnen wieder zu sperren, die Schlüssel an ihren Ort zurückzugeben und das Fenster des Totengräberhäuschens sorgfältig zu schließen. Endlich traf er Anordnungen für eine Reihe verschiedener Fälle, welche in der Folge der Ereignisse eintreten konnten, worauf der Beamte und der Polizeisoldat den Friedhof verließen und sich in einiger Entfernung von demselben der Pforte gegenüber in einen Graben legten.

Es schlug halb zwölf Uhr.

Auf einmal hörte man Schritte in der Nähe der Kapelle, worauf sich der Polizeidirektor mit dem jungen Freigeist an das Fenster stellte, um das Beginnen der Geisterbeschwörer zu beobachten; da die Kapelle nicht erleuchtet war, nahmen sie an, daß sie sehen konnten, ohne gesehen zu werden.

Aber es kam anders.

Plötzlich knarrte der Schlüssel im Schloß, und die Pforte der Kapelle ging auf, die beiden hatten kaum Zeit, unbemerkt hinter den Altar zu gelangen und sich hier zu verbergen. Zwei Männer traten ein, von denen der eine eine Blendlaterne trug. Der eine war der Vater des jungen Mannes, ein sehr beschränkt und gedrückt aussehender ältlicher Stadtbürger, der andere der Jesuitenpater K., ein hoher, hagerer, starkknochiger Mann mit einem eingesunkenen galligen Gesicht, in dem zwei große graue Augen unruhig unter buschigen schwarzen Brauen brannten. Er zündete die Kerzen an, die auf dem Altare standen, und begann dann eine Seelenmesse zu lesen, während der Alte, unten auf den Stufen knieend, ihm ministrierte.

Als die Messe zu Ende war, ergriff der Jesuit das Evangelium und den Weihwedel und schritt langsam zur Kapelle hinaus, während ihm der Alte, in der einen Hand den Weihbrunn, in der andern eine Kerze, folgte. Der Polizeidirektor verließ jetzt sein Versteck und schlich sich gebückt, so daß er nicht gesehen werden konnte, bis zu dem Fenster der Kapelle, wo er sich vorsichtig niederkauerte. Der Freigeist folgte seinem Beispiel. Sie blickten jetzt geradeaus auf das Grab seiner Mutter.

Der Jesuit, von dem alten abergläubischen Bürger gefolgt, umschritt dreimal das Grab, dann blieb er vor demselben stehen und las beim Scheine der Kerze einige Stellen aus dem Evangelium, dann tauchte er den Weihwedel dreimal in den Weihbrunn und bespritzte dreimal das Grab, dann kehrten beide zur Kapelle zurück, warfen sich vor derselben, das Antlitz gegen das Grab gerichtet, auf die Knie nieder und begannen laut zu beten. Endlich sprang der Jesuit in einer Art wilder Verzückung auf und schrie dreimal mit gellender Stimme: »Exsurge! Exsurge! Exsurge!«

Kaum war das letzte Wort der Beschwörung verhallt, so stieg ein dichter blauer Rauch aus dem Grabe gen Himmel, der sich rasch zu einer Wolke vergrößerte, welche sich jetzt zusammenballte und die Linien eines Körpers anzunehmen begann. Endlich stand eine hohe weiße Gestalt hinter dem Grabe und winkte mit der Hand.

»Wer bist du?« fragte der Jesuit feierlich, während der Alte leise zu weinen begann.

»Im Leben nannte man mich Anna Maria B.«, antwortete das Gespenst mit hohler Stimme.

»Willst du mir Antwort geben auf jede Frage?« fuhr der Beschwörer fort.

»Soweit ich kann.«

»Bist du durch unsere Gebete und die Seelenmessen, welche wir für dich gelesen haben, noch immer nicht aus dem Fegefeuer befreit?«

»Noch nicht, aber bald, bald, bald.«

»Wann?«

»Wenn mein Sohn, der Gottesleugner, gestraft sein wird.«

»Ist es denn nicht geschehen, hat dein Gatte nicht, wie du es gewünscht, in seinem Testamente den verlorenen Sohn enterbt und die Kirche zum Erben eingesetzt?«

»Es ist nicht genug.«

»Was soll noch geschehen?«

»Er soll das Testament als einen freiwilligen Letzten Willen bei Gerichte hinterlegen und den Verworfenen aus seinem Hause jagen.«

»Bedenke wohl, was du sagst: Muß dies sein?«

»Es muß, sonst werde ich lange noch im Fegefeuer schmachten«, antwortete die Grabesstimme mit einem tiefen Seufzer, im nächsten Augenblicke schrie sie aber voll Angst: »Jesus, Maria!«, und das Gespenst begann zu laufen. Ein gellender Pfiff ertönte und ein zweiter. Zugleich legte der Polizeidirektor seine Hand auf die Schulter des Geisterbeschwörers.

»Sie sind verhaftet«, sagte er.

Unterdessen hatten der Beamte und der Polizeisoldat, welche in den Friedhof eingedrungen waren, das Gespenst eingefangen und führten es vor. Es war der Totengräber, welcher sich in ein schleppendes weißes Gewand gehüllt hatte und eine Wachslarve vor dem Gesichte trug, welche, wie der eigene Sohn bezeugte, eine frappante Ähnlichkeit mit dem Antlitz seiner Mutter zeigte.

Das Verhör ergab, daß dieselbe nach einem Bilde der Verstorbenen mit vielem Geschick angefertigt worden war.

Die damalige Regierung befahl, die Untersuchung so geheim als nur möglich zu führen, und überließ, wie es zu jener Zeit, wo der Priester noch außer dem Gesetze stand, selbstverständlich war, die Bestrafung des Paters K. der geistlichen Behörde.

Wir brauchen wohl nicht zu sagen, daß derselbe sich während seines Arrestes in einem mit Wild und Forellen gesegneten Kloster des Landes sehr wohl befand.

Das einzige wertvolle Resultat der pikanten Geistergeschichte war die Versöhnung von Vater und Sohn, der erstere hatte übrigens vor der katholischen Kirche und ihren Gespenstern einen solchen Respekt bekommen, daß er, kurze Zeit nachdem seine Frau zum letzten Male das Fegefeuer verlassen hatte, um sich mit ihm zu unterhalten, Protestant wurde.


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