Leopold von Sacher-Masoch
Polnische Geschichten
Leopold von Sacher-Masoch

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Im Schlitten

Der Mond scheint hell und die Fenster des Edelhofes von Wolkow erglänzen im Kerzenschimmer. Die Stimmen der Diener, welche die Kutscher herbeirufen, mischen sich gellend in das Gespräch und die Scherze der Damen und Herren, welche, in kostbare Pelze gehüllt, zwischen den Säulen des Vorbaues, auf denen der von Schnee, Eis und Mondlicht versilberte grosse Balkon ruht, ihre Gefährte erwarten. Der Herr des Hauses, Baron Hudetz, in seinem Zobelpelz und seiner Mütze von Zobelfell, das wetterbraune Gesicht von einem schwarzen Bart umrahmt, an einen mächtigen Starosten der einstigen Polenrepublik mahnend, sendet dem ersten Schlitten, der sich in Bewegung gesetzt hat, den letzten freundlichen Gruss nach, doch vergebens.

Die schöne Frau Ludmilla Augustinowitsch hat sich auffallend beeilt, sein gastliches Dach zu verlassen, und während ihr Gatte dem alten Heger, der mit zwei Hunden an der Schnur sich ehrerbietig vor dem wohlbekannten Nimrod verneigt, herzlich zunickt, hat sie nicht einmal einen Blick für den galanten Magnaten.

Ihr war auf dem Parket zu Wolkow zu Muthe wie jener bösen Königin des Volksmärchens, die in glühenden Pantoffeln tanzen muss; sie fühlte sich erst wieder frei und wohl, als sie, in ihren weichen, warmen Pelz geschmiegt, in den Bärenfellen sass, mit denen ihr Schlitten gefüllt war, die Peitsche knallte und das Dreigespann muthig davonflog.

Ludmilla war schön und geistreich, alle Welt huldigte ihr, aber dies befriedigte ihren Ehrgeiz nicht, sie wollte als echte galizische Dame ihre Rolle auf der politischen Bühne spielen und begann damit, dass sie ihren Mann à tout prix zum Deputirten machen wollte.

Sie war aber gleich bei ihrem ersten Versuch in dem Edelhofe zu Wolkow, wo sich der Adel der Umgegend bei Gelegenheit des Namensfestes der Baronin Hudetz versammelt hatte, in einer Weise gescheitert, welche sie beleidigte und ihre ganze Thatkraft herausforderte. Sie sass auch jetzt noch, während ihr Mann behaglich seine Meerschaumpfeife rauchte, in sich gekehrt, brütend da und ihr reizendes Gesicht blickte gar finster und trotzig aus dem weissen Baschlik hervor.

Vor ihr lag die weite Ebene, vom schimmernden Schnee bedeckt, bis zum fernen Horizonte war nichts zu sehen als hie und da ein Ziehbrunnen, ein paar verkrüppelte Weidenbäume oder ein hölzernes Kreuz, nichts hemmte ihren Blick und nichts den Flug ihrer Gedanken. Je nachdem Wolken an dem Monde vorüberzogen oder er voll und rein an dem blassblauen Himmel zu sehen war, strömten Glanzwellen über den Schnee oder spielten unheimliche Schatten auf demselben. Ein verlorener Glockenton wurde vom Winde, der sich plötzlich erhob, durch die Stille der Nacht getragen, er schien ein Signal zu sein, denn mehr und mehr blies es von Osten her über die Fläche, schon stand jedes Härchen an dem Marderpelz der schönen, sinnenden Frau empor, und jetzt begann sich auch der Schnee zu kräuseln, in kleinen Säulen aus dunkelnden Sternchen ringsum emporzusteigen und endlich grosse Wellen zu schlagen wie ein stürmisches Meer.

Der Kutscher hielt die Pferde an.

»Gnädige Frau,« sprach er, »Gott soll und beschützen, wir fahren geradeaus in einen Schneewirbel hinein.«

»Was ist da zu machen?«

»Wenn wir uns bei dem Teiche rechts wenden, sind wir bald in Granadka, wo wir eher Schutz finden.«

»Also nach Granadka.«

Der Teich war bald erreicht. In dem Augenblick, wo der Schlitten die Richtung nach dem Dorfe nahm, kamen aber aus dem Gebüsche Wölfe hervor. Sofort begannen die Pferde zu schnauben und mächtig auszugreifen; aber bis zu den ersten Häusern des Dorfes waren die grimmigen Verfolger immer hinterdrein, man sah sie zwar nicht, denn der Sturm hatte dichte weisse Schneevorhänge um den Schlitten gezogen, aber man hörte von Zeit zu Zeit ihr heiseres Gebell.

Erst vor der Schänke in Granadka hielt der Kutscher die wie rasend dahineilenden Pferde an. Herr Augustinowitsch hob seine Gemahlin aus dem Schlitten, und beide traten, von dem Branntweinpächter Aaron Malkes mit den drolligsten Complimenten empfangen, in die grosse Schänkstube, die mit Bauern und Bäuerinnen in schweren Stiefeln und Schafspelzen, Tabaksqualm und wirbelndem Staub angefüllt war und in der fünf jüdische Musikanten eben eine Mazur spielten.

Frau Augustinowitsch liess sich auf einer Bank an der Wand nieder und sah halb neugierig, halb verdriesslich dem ungewohnten Treiben der Leute zu, welche bereits sämmtlich durch den Branntwein des wackern Malkes lustig geworden waren, während ihr Mann sich einen Slivovitz einschänken liess und mit der hübschen, gluthäugigen Jüdin scherzte.

Da näherte sich der schönen Edelfrau eine bekannte Gestalt, Tomasch Kintzki, der greise Richter von Granadka, mit einem Branntweingläschen in der Hand.

»Der Himmel soll es Ihnen lohnen,« begann er, »dass Sie sich einmal unter uns Bauern blicken lassen, wenn die Herren ein Herz für uns hätten, es wäre Vieles anders. Bleiben Sie gesund.«

Er nippte von dem Branntwein und reichte dann das Gläschen Ludmilla, welche, einer plötzlichen Regung folgend, aufstand und dasselbe auf einen Zug leerte.

»Viele Jahre! Viele Jahre!« rief der alte Richter und die Anderen fielen laut ein.

Frau Augustinowitsch näherte sich indess rasch ihrem Mann und nahm ihn beim Ohrläppchen.

»Höre, Alter,« flüsterte sie ihm zu, »ich habe eine grosse Idee.«

»Du hast immer grosse Ideen, meine Geliebte.«

»Erinnern wir und doch, dass wir Abkömmlinge der alten Bojaren sind, die in Halitsch den Thron des Zaren umgaben,« fuhr sie fort, »wozu sich mit den polnischen Edelleuten verbrüdern, die und doch nie als ihresgleichen ansehen; kehren wir zu unserem Volk zurück, ich bin gewiss, dass Dich die Bauern zum Deputirten wählen«

»Wie Du glaubst.«

»Versuch Dich populär zu machen, Alter. Sieh mich nur an, ich werde Dir mit gutem Beispiel vorangehen.«

Und wirklich warf sie rasch ihren prächtigen Pelz und den Baschlik ab, schürzte ihre Pariser Robe auf und trat mit dem Sohne des Richters, Tarass Kintzki, dem schönsten und verwegensten Burschen von Granadka, der bereits vier Bären erlegt hatte und mit der Tapferkeitsmedaille aus dem letzten Krieg heimgekehrt war, in die Reihen der Tanzenden.

Alle machten Platz und bald tanzte das schöne Paar allein mitten in der grossen Schänkstube, während die Anderen nach dem wilden Tacte der Musik eine kecke ausgelassene Kolomijka sangen:

»Steh’ ich auf dem Berg, dem hohen,
Scheint der andere nieder,
Ist ein Liebchen mir entflohen,
Kommt die Zweite wieder.«

Wenn Tarass mit der stolzen Würde eines Bojaren die schöne, schlanke Frau umkreiste, so wiegte sich diese wieder mit der ganzen Grazie und Elasticität einer vornehmen Dame nach den feurigen Rhythmen der diabolischen Musik in den üppigen Hüften. Bald folgte ihr Mann ihrem Beispiel und nahm eine hübsche, frische Bäuerin um den Leib. Er sprang zwar wie ein Gaisbock herum und ersetzte durch kräftiges Stampfen mit den Füssen, was ihm an Anmuth abging, aber nichts wäre mehr im Stande gewesen, die Begeisterung der Bauern zu dämpfen, welche ihrem Entzücken durch lautes Mitsingen der Melodie, durch Zusammenschlagen der Hände über dem Kopfe und wüthendes Treten des Fussbodens Ausdruck gaben.

Kaum hielten die Tanzenden inne, rief der alte Richter:

»Kosak! Kosak! Tanzen Sie Kosak, wir bitten darum.«

»Von Herzen gern,« antwortete Ludmilla, »aber so geht es nicht.«

Sie war im Nu verschwunden und zog mit Hilfe der Jüdin im Nebenzimmer den Sonntagsanzug ihrer Magd an; als die dann unerwartet in rothen Stiefeln, an denen kleine Hufeisen von Stahl gleich Sporen erklangen, einem kurzen bunten Rock und rothen Mieder, den Kopf mit einem weissen Tuch umwunden, die Brust mit Korallen bedeckt, hereintrat, wollte der Jubel kein Ende nehmen, und als sie erst, den linken Arm kokett eingestemmt, den Kosak zu tanzen begann, hatte sie alle Herzen gewonnen.

Plötzlich entstand Lärm im Hofe.

»Wölfe! Wölfe!« rief der Jude und stürzte todtenbleich herein. Die jungen Burschen eilten mit Stecken und Peitschen hinaus. Eine wilde Jagd begann und während der allgemeinen Verwirrung flüchtete ein Wolf durch die offene Thür in die Schänkstube und stand jetzt, die Zähne fletschend, mitten unter den Frauen und Mädchen, welche schreiend auseinander stoben.

Da sprang Frau Augustinowitsch auf ihren Pelz zu, zog aus der Tasche desselben einen Revolver und schoss den Wolf nieder.

Dies Alles war das Werk eines Augenblicks, im nächsten hoben die Bauern die schöne Frau auf ihre Schultern und trugen sie im Triumphe herum.

Als der Schneesturm sich gelegt hatte und Augustinowitsch mit seiner Frau die Heimfahrt antrat, gab ihnen ein halbes Hundert Bauern zu Pferde mit Kienfackeln das Geleite.

In den nächsten Tagen fand in dem Edelhofe des Ehepaares Augustinowitsch zu Koschowize eine förmliche Umwälzung statt. Die Bilder, welche bisher die Wände geziert: König Sobieski, Marschall Poniatowski, Bem, die Gräfin Plater, Miczkiewicz wanderten in die Rumpelkammer, ihre Stelle nahmen die Portraits des Zaren Wladimir des Grossen, der Grossfürstin Olga von Kiew, des Fürsten Leo von Halitsch, des Erzbischofs Litwinowitsch und der kleinrussischen Dichter Gogol und Schewtschenko ein. Die Schlachten bei Wien, Somma Siera, Ostrolenka, Grochow wurden durch Darstellungen der Siege der Kosaken über die Polen verdrängt. Auf dem Tische im Salon lagen nicht mehr »Konrad Wallenrood« und »Jermola der Töpfer«, sondern der »Heldensang von Igor« und die »Todten Seelen«. Ludmilla spielte auf dem Piano nur noch kleinrussische Lieder, Dumkas und Kolomijkas, und Alles ging im Hause im Kosakenanzug umher, die Diener, welche bisher das Krakusencostüm getragen hatten, Herr Augustinowitsch, die Kinder, vor Allem aber Ludmilla selbst, der die rothen Stiefel mit klingenden silbernen Absätzen, der kurze seidene Rock, die sammtene, mit Pelz besetzte, ärmellose Kosakenjacke, welche ihre schönen, vollen Arme sehen liess, und die langen fliegenden Zöpfe einen neuen Reiz verliehen.

Statt der polnischen Edelleute waren jetzt kleinrussische Pfarrer, Kirchensänger, Lehrer und Bauern die täglichen Gäste in Koschowize.

Ludmilla lebte durch ein paar Wochen nur noch im Schlitten; in ihren prächtigen Marderpelz gehüllt, mit Bärenfellen zugedeckt, flog sie von Dorf zu Dorf, von Pfarrhof zu Pfarrhof, überall, wo sie sich nur blicken liess, die Leute bezaubernd und für ihren Mann erobernd.

Als Augustinowitsch schliesslich noch die Schule in Koschowize auf seine Kosten herstellen liess und dem Nationalhause in Lemberg eine namhafte Schenkung machte, war seine Wahl entschieden, und vierzehn Tage später ging er als Deputirter des Wahlbezirkes Wolkow, Koschowize, Granadka aus der Urne hervor.

Es gab an diesem Tage ein grosses Fest in Koschowize. Die Bauern kamen von weit und breit, zu Pferde, mit farbigen Bändern geschmückt, einige mit blau und gelben Fähnchen, andere mit kleinen Tannenbäumen in den Händen, welche mit vergoldeten Nüssen und Äpfeln behangen waren. Sie brachten ihrem Deputirten ein dreimaliges Hurrah und wurden dann in der grossen Scheuer bewirthet. Augustinowitsch trank ihnen zu, und als die Musikanten zu spielen begannen, tanzte Ludmilla unermüdlich mit den Burschen Kolomijka und Kosak.

Heute hat die schöne, ehrgeizige Frau ihr Ziel vollständig erreicht und spielt genau jene Rolle, von welcher sie so lange vergeblich geträumt hat. Sie hat in Lemberg einen politischen Salon, welcher einen Brennpunkt des kleinrussischen Parteilebens bildet, alle Welt huldigt ihrer Schönheit und ihrem Geiste. Durch ihre kleinen weissen Hände laufen die unsichtbaren Fäden so mancher politischen Intrigue, die versteht es, mit kluger Berechnung heimlich und sicher Minen zu legen, welche dann plötzlich in Wien oder Prag, Kiew oder St. Petersburg explodiren, sie dictirt den Redacteuren Artikel über die Lage des Landes und die europäische Politik, und die Reden, welche Augustinowitsch im Landtag hält, sind so sehr ihr Eigenthum, dass der Landesmarschall jedesmal, wenn sich ihr Mann zum Worte meldet, mit Fug und Recht ausrufen könnte: »Frau Augustinowitsch hat das Wort!«

 


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