Leopold von Sacher-Masoch
Polnische Geschichten
Leopold von Sacher-Masoch

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Drei Hochzeiten

Es herrschte grosse Freude in Bronkowka, denn sie war wirklich gekommen, die alte Frau, die Marschallin, wie sie Jedermann nannte, die Grossmutter der Braut. Mittags war eine grosse Karosse, eine Arche Noah auf Rädern, in den Hof des Herrensitzes eingefahren und derselben entstieg, noch immer frisch und rüstig, in majestätischer Haltung eine hochgewachsene Matrone von mehr als achtzig Jahren. Nachdem man die zahlreichen Koffer und Schachteln, mit denen der Wagen gefüllt war, in das Haus gebracht, und die Marschallin sich in demselben umgesehen hatte, fragte sie erstaunt:

»Was soll denn das wieder bedeuten? Ich sehe keine Art von Zurüstungen.«

»Ach, gute Mutter,« erwiderte Frau Wistewska, die Tochter der Marschallin, »das ist nicht mehr Mode.«

»Leider, leider, an allem ist diese Eisenbahn schuld, man heirathet jetzt, glaube ich, auch mit Dampf.«

Die alte Frau seufzte, aber es blieb dabei und ohne alle Zurüstungen, so einfach wie nur möglich, fand am folgenden Vormittag die Trauung ihrer Enkelin Magda mit dem Gutsbesitzer Herrn Pistozki statt: Die Marschallin zog sich zu derselben genau drei Stunden an, während ihre Tochter nicht ganz drei Viertelstunden gebraucht hatte und die Braut selbst in fünfzehn Minuten fertig war.

Jetzt sass die kleine Hochzeitsgesellschaft heiter bei einem kleinen Déjeuner à la fourchette, und nur die alte Frau blickte ernst und ein wenig missgelaunt auf den kleinen Kreis, der sie umgab.

»Ach! wie sich die Zeiten ändern,« sagte sie endlich, »wie simpel das Alles heut zu Tage ist. Vordem war es anders. Ach wie die Herrlichkeit dahingegangen ist! aber Eure Amour, war sie auch si sans façons? Erzählt mir doch, meine Kinder, wie Ihr Euch gefunden habt?«

»Nein, Grossmama,« rief die Braut lebhaft, »Du sollst uns einmal erzählen, wie Du den Grosspapa geheirathet hast.«

»Deine Mutter soll erzählen,« erwiderte die Marschallin, »als sie Hochzeit machte, war es ja gottlob auch noch anders als jetzt?«

»Nein, nein, Du, Grossmama,« fiel die Enkelin wieder ein, »Du wirst den Anfang machen, ich bitte Dich, und nach Dir wird die Mutter erzählen und zuletzt will ich das Meine thun.«

Der ganze Kreis stimmte freudig bei.

»Es sei,« sagte die Marschallin, indem sie sich stolz aufrichtete. Sie thronte in einer kostbaren Sammtrobe mit langer Schleppe, ein mit Federn geschmücktes Barett auf dem Kopfe und einen alten Familienschmuck von ungeheurem Werth um Hals und Arme, in ihrem Fauteuil, während ihre Tochter über einem einfachen Seidenrock eine vornehme, mit Pelz besetzte Hausjacke trug und ihre Enkelin im Reisekleid dasass.

»Zu meiner Zeit,« begann die alte Frau, »da geschah Alles noch mit Würde und Pomp. Die romantischen Abenteuer waren noch nicht üblich. Man schloss Bündnisse ab zwischen den Familien, wie es jetzt etwa nich unter Monarchen Brauch. Zuerst wurde die ältere Schwester an Mann gebracht, dann kan ich an die Reihe, so war es damals, nicht anders. Ich war erst sechzehn Jahre alt, als mein Vater, der Starost, mir sagte: ‘Fräulein, Du wirst den Obersten Krasizki heirathen.’ Ich verneigte mich, und damit war die Sache abgemacht. Ich ah meinen seligen Mann erst am Tage der Verlobung und da nicht recht, denn ich fürchtete mich zu sehr. Wie ich ihn aber so von der Seite musterte, entdeckte ich eine Narbe auf seiner Stirne und diese gefiel mir. Die Hochzeit selbst wurde mit unerhörter Pracht gefeiert, von weit und breit kamen die Gäste, über zweihundert an der Zahl, die mein Vater vor dem Schloss empfing, und ausserdem wurde Jeder bewirthet, der zufällig des Weges kam. Da es an Unterkunft fehlte, erbaute man rasch ein hölzernes Haus, in dem die jungen Herren nicht viel besser als auf Stroh schliefen. Immerfort hörte man Musik und Schiessen.

Der Oberst kam als Bräutigam in einem mit sechs Pferden bespannten Wagen, er trug ein polnisches Kleid von persischem Stoff mit Zobel, an seiner Mütze und seinem Säbel blitzten kostbare Edelsteine. Seinen Wagen begleiteten vielleicht fünfzig Kosaken, Hajduken und andere Diener zu Pferde. Mit ihm kamen viele seiner Freunde, alle in grosser Gala, die Wagen mit vier Pferden bespannt.

Die Hochzeit begann damit, dass meine selige Mutter mich anzog. Ich hatte ein schönes Kleid von weisser Seide mit langer Schleppe, wie eine Königin, aber keinen Schmuck an mir, denn dieser, war damals der Glaube, bringe Thränen.

Nun gottlob, ich war bei vierzig Jahre verheirathet und habe nur zweimal geweint. Das erste Mal vor Freude, als mein einziges süsses Kind zur Welt kam, und dann an dem Tage, wo ich meinem Mann die Augen schloss. Wer dachte damals daran? Meine Mutter befestigte mir ein kleines Sträusschen aus Rosmarin an der Seite, in dem sich ein Dukaten, ein Stückchen Brot und Salz befand. Das hatte die Bedeutung, dass es mir in dem neuen Hausstand an diesen dreien niemals fehlen sollte, und ganz zuletzt flüsterte sie mir noch zu, die Gute: ‘Wenn Du Deinen Mann beherrschen willst, so setz den Fuss zuerst auf den Teppich vor dem Altar oder Trachte, dass Deine Hand bei der Copulation auf die seine zu liegen kommt.’

Indess hatte sich die ganze Hochzeitsgesellschaft im Saale versammelt und die Mädchen hatten die Sträusschen vertheilt. Ich war mehr todt als lebendig, als man mich hereinführte, auf einen Teppich setzte und mir den mit einem geweihten Zweig durchwundenen Rosmarinkranz auf das Haupt drückte. Ich fand keine Worte, als der Oberst mich zu den Eltern führte, die auf einem Divan Platz genommen hatten, er aber sprach für mich, schön und gewandt, dann knieten wir nieder und empfingen den Segen. In Thränen aufgelöst ging ich mit meinem Bräutigam durch den Saal und empfing die feierlichen Glückwünsche und zahlreiche prachtvolle Geschenke; wir brauchten fürwahr einen Wagen, um sie dann fortzubringen.

Endlich ging es im stolzen Zuge zur Kapelle. Ich versäumte es nicht, zuerst den Fuss auf den Teppich zu setzen, trotzdem legte ich aber auch noch bei der Copulation meine Hand auf die des Obersten, denn, dachte ich, besser mehr als nöthig thun als zu wenig, und die Folge hat es gelehrt, der tapfere Löwe, er liess sich von mir an einem Seidenfädchen führen.

In dem Moment, wo wir die Ringe wechselten, wurden auf den Wällen des Schlosses die Kanonen gelöst, ja, im Ernste, hatte ja doch mein Vater vier wirkliche grosse Kanonen, die donnerten Euch, dass es eine Freude war, während wir in den Saal zurückkehrten. Man setzte sich hierauf zur Tafel, die mir zu Ehren den Anfangsbuchstaben meines Namens, ein riesiges W, darstellte. Ich heisse nämlich Wanda, wenn es die Herren nicht wissen sollten. Die Mitte derselben nahm eine Torte ein, Hymens Tempel, vor dem Amoretten Wache hielten, ein wahrer Feenpalast aus Zucker.

Während des Mahles wurde ein ganzes Fass Ungarwein getrunken, das mein Vater an meinem Geburtstage gekauft und für meine Hochzeit aufbewahrt hatte – auch eine alte Sitte, die nicht mehr geachtet wird – und nach jedem Toast wurden die Flaschen zerbrochen. Trotz der Lustigkeit, welche herrschte, trat sofort tiefe Stille ein, als man den Familienpokal brachte. Während mein Vater denselben füllte, hätte man eine Fliege summen hören können, wenn eine dagewesen wäre, aber es war ja Winter. Also gut, was wollte ich sagen? Mein seliger Vater erhob sich und trank auf das Brautpaar, Alles rief Vivat, die Musik spielte, die Kanonen donnerten und der grosse Becher ging von Hand zu Hand, von Mund zu Mund.

Es kamen aber noch ganz andere, minder feierliche und rührende Dinge vor. Der junge Kochanowski kroch unter den Tisch und was that er? Er raubte Euch meinen Schuh und während alle Welt jubelte, goss er Wein hinein und die Herren alle, auch die mit weissen Schnauzbärten, tranken aus meinem Schuh. Ja, damals ehrte man die Frauen und huldigte Ihnen.

Nachdem man sich von den Freuden und Anstrengungen der Tafel erholt hatte, begann der Ball.

Damals tanzte man noch gerne, es galt noch nicht für nobel, dass man sich, wo man auch ist, langweilen muss, man begann mit der Polonaise. Da blieben nicht einmal die Alten sitzen, paarweise zog man dahin und Herr Holonizki verstand es, uns gleich einer Riesenschlange, die sich hin und her windet, durch die Flucht der Zimmer und Corridore, ja sogar Treppen auf und ab zu führen, wie kein Zweiter. Dann folgten Menuette und Quadrille, Mazur und Krakowiak. Beim letzteren sang Herr Holonizki eine hübsche Strophe auf mich, die sehr schmeichelhaft war, er verglich mich mit einer Rosenknopse. Zuletzt wurde mir der Kranz abgenommen und die Haube aufgesetzt; nachdem ich so geschmückt, gewissermassen schon als junge Frau, noch mit jedem Herrn eine Tour getanzt hatte, führte man uns mit grossem Pomp, mit Windlichtern und Musik in das Brautgemach.

Am folgenden Tage nahmen wir Abschied. Der Oberst, mein seliger Mann, hüllte mich selbst in den prachtvollen Zobelpelz, den ich mit meinem reichen Trousseau von den Eltern erhalten hatte, das war kein Pelzchen für einen Sperling, wie man es heut zu Tage trägt, diesen Pelz hätte jede Monarchin tragen können, er reichte bis zur Erde und war schwer wie ein Sack Dukaten. Man geleitete uns bis zum nächsten Dorfe, dort wurden noch Vivats ausgebracht, Thränen flossen, dann fuhren wir davon, nur von unseren Leuten zu Pferde begleitet.

An der Grenze unserer Güter empfingen uns die Bauern mit Brot und Salz und riefen: Vivat! Hundert Jahre sollen Sie leben!

Nachdem ich eine Nacht unter seinem Dache geschlafen, überreichte mir mein Mann den grossen Schlüsselbund. So wurde ich verheirathet, meine lieben Kinder, und als Herrin installirt.«

»Und Sie haben also den Grossvater ohne Liebe genommen?« fragte die Braut.

»Ohne Liebe, nun ja,« gab die Marschallin zur Antwort, »aber die Liebe kam nach und nach und dauerte dafür bis über das Grab hinaus. Als mein Mann das erste Mal aus dem Kriege heimkehrte, in dem er mit grossen Ehren für das Vaterland gekämpft hatte, da wusste ich, dass ich ihn liebte, und wie stolz war ich auf ihn. Ach, schöne gute Zeit, wie bist Du rasch dahingeschwunden, wie ein Augenblick, wie ein Sonnenstrahl. Man wird alt und lebt nur noch von Erinnerungen.«

Nach einer kleinen Pause begann die Braut: »Und Du, Mama, wie hast Du Hochzeit gehalten?«

»Ich?« sagte Frau Wistewska seufzend, »was soll ich Euch erzählen? Damals, als ich Deinen Vater kennen lernte, war es mit der alten Herrlichkeit vorbei. Auch schwiegen in jenen Tagen die Waffen, die Denker und Dichter waren zu Wort gekommen. Man lebte einfacher, aber ich glaube herzlicher und glücklicher und vor Allem mehr für sich und die Seinen. Wie ich Deinen Vater kennen lernte? In einer schönen Mondnacht. Er kam von der Jagd und ich ruderte in meinem kleinen Kahn durch die silbernen Wellen des Teiches und sang ein wehmüthiges Lied. Wir trafen uns dann oft, im Walde, zwischen den goldenen Ähren des Kornes oder auf einem grünen Hügel, auf dem ein Kreuz stand und viele Blumen blühten, und stets war der Mond unser Freund und Vertrauter. Ich wand Kränze und er sagte mir Gedichte, die er auswendig konnte. Die Eltern hatten mir einen anderen Gatten erwählt und so – so entführte mich denn Dein Vater mitten im Winter, bei Sturm und Schnee. Das war Alles sehr romantisch, wie Du siehst, wir haben aber trotzdem stets glücklich zusammen gelebt.

Bei unserer Hochzeit waren etwa fünfzig Personen geladen. Dein Vater kam mit zwei Reitknechten und ebensoviel Kosaken ohne allen Prunk an. Bei der Trauung trug er ein polnisches Costüm von rothem Sammet und weissem Atlas. Es gab wenig Geschenke, nur meine guten Eltern überhäuften mich mit Allem, was das Herz einer jungen Frau verlangen kann. Nach dem Diner, bei dem hundert Flaschen Champagner ausgestochen wurden, tanzte man bis zum Morgen. Dann nahm mir die theure Mutter in alter Stille den Kranz herab, unter heissen Thränen und Segenswünschen, und ich entfloh mit meinem Mann im gedeckten Schlitten allen weiteren Ceremonien.«

»Es war doch noch immer der Rede wert, so eine Hochzeit damals,« sagte die Marschallin; »aber jetzt –«

»Jetzt lässt man sich in Reisekleidern trauen,« fiel die reizende kleine Braut ein, »statt zweihundert Personen sind hier nur eine böse Grossmama, eine gute Mutter, zwei alte treue Freunde als Zeugen, ein junger Freund und eine junge Freundin als Brautführer und Kranzmädchen anwesend und statt der Kanonen knallten nur zwei armselige Champagnerflaschen.«

»Und Niemand wird uns empfangen,« sagte der Bräutigam lächelnd.

»Wozu wäre das gut,« sagte die Mutter, »Ihr fahrt ja doch nach Wien und Paris und kommt erst Gott weiss wenn nach Hause.«

»Ja, ist denn eine Hochzeit kein Fest mehr, frage ich,« rief die alte Frau aus, »liebt man sich denn heut zu Tage nicht mehr, nicht vor und auch nicht nach der Hochzeit, was sind das für Zeiten?«

»Man liebt sich, theure Grossmama,« erwiderte die Braut, »aber anders wie zu Ihrer Zeit und anders als damals, wo die gute Mutter im Mondschein schwärmte. Man wird nicht verheirathet und hat deshalb keinen Grund, sich bei Nacht und Nebel entführen zu lassen. Man wählt sich – ich möchte sagen – aus Geschmack. Nicht die Leidenschaft reisst uns zu einem vielleicht übereilten Bündnis hin und nicht die Convenienz entscheidet über Glück und Leben. Alles wird praktisch. Man weiss aber, dass es ebenso unpraktisch ist, ohne gegenseitige Achtung und Neigung zu heirathen, wie ohne Geld.

Weisst Du auch, wie ich das Herz meines Mannes erobert habe? Indem er zufällig dazukam, wie ich die Bauernkinder unterrichtete. Ich glaube, die Zeiten ändern sich, Grossmama, aber die Herzen nicht, und solange die Welt besteht und Menschen auf der Erde athmen, wird auch die Liebe ihre Herzen regieren. Und deshalb zum Schlusse einen Toast aus Deiner Zeit, Grossmama. Vivat, lieben wir uns!«

 


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