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Ein Pfau und seine Henne wandelten einst am Ufer des Meeres und hielten eifrig Umschau; denn sie fürchteten sich beide vor den wilden Tieren, die in jener Gegend sich aufhalten sollten. Da tauchte eine bewaldete Insel vor ihnen auf, und sie flogen hinüber und erfreuten sich an den vielen Bäumen, Sträuchern und Gewässern.
Nach einiger Zeit erblickten sie eine Ente, die näherte sich erschreckt der schattigen Sykomore, unter der das Pfauenpaar saß, und war nur schwer zu beruhigen. Der Pfau erkannte sogleich, daß der Ente ein außergewöhnliches Erlebnis widerfahren sei, und fragte sie nach dem Grund ihrer Aufregung. Die Ente seufzte und sprach: »Es ist eine wundersame Geschichte von dem Sohn Adams, die ich erzählen könnte; aber sie ist zu lang und möchte euch langweilen.«
»Durchaus nicht,« erklärte die Pfauenhenne, »laß uns hören!«
Und die Ente räusperte sich und begann das Folgende zu erzählen: »Ich habe mein Leben nur auf dieser Insel verbracht, und meine Tage flossen ruhig wie ein sanftes Bächlein dahin. Da erblickte ich eines Nachts im Traum jenes riesenhafte Wesen, das der Sohn Adams genannt wird, und gleichzeitig warnte mich eine Stimme: ›Hüte dich vor diesem; denn weder die Vögel in der Lust noch die Fische im Wasser, selbst der gewaltigste Vierfüßler, der Elefant, ist vor ihm seines Lebens sicher.‹ Beim Aufwachen verkroch ich mich in einen Schlupfwinkel; als ich aber Hunger und Durst verspürte, wagte ich mich wieder hinaus und sprach mir Mut zu, weil einer jeden Kreatur ihr Schicksal zuvor bestimmt ist.
Da gewahrte ich in einem Höhleneingang einen jungen Löwen, der zeigte sich über meine Ankunft erfreut. Meine Farben sowohl als meine ansehnliche Gestalt erregten sein Wohlgefallen, und er fragte mich nach Namen und Stamm. Ich entgegnete artig, man nenne mich die Ente und ich sei eine Vogelart. Ich fragte ihn meinerseits, wie er in diese Höhle komme. ›Es ist der Wunsch meines Vaters‹, bedeutete mir der junge Löwe. ›Mein Vater wurde im Traum vor dem Sohn Adams gewarnt, und er hat mich darauf hier in Sicherheit gebracht.‹ Da erzählte ich ihm, daß ich auf die gleiche Weise gewarnt worden sei und schloß mit der Aufforderung: ›O Sultan der Tiere, der du vor keinem lebenden Wesen erschrickst, wolle doch auch dich nicht vor dem Sohn Adams fürchten, der uns beiden nachstellt, sondern bringe du ihn um!‹ Er überlegte, und da ich nicht nachließ, ihm zuzureden, erhob er sich und winkte mir, ihm zu folgen. Als ich hinter ihm herschritt, sah ich ihn stolz mit dem Schweif die Flanken schlagen.
Dann sahen wir eine Staubwolke vor uns aufwirbeln, und alsbald erblickten wir einen Esel, der wollte an uns vorbeirennen. Der junge Löwe gebot ihm zu verweilen und fragte ihn nach seinem Namen und Stamm. Jener erwiderte dem Herrn der Tiere, er sei vom Stamme der Esel und auf der Flucht vor dem Sohn Adams begriffen. Als der junge Löwe sich über die Furcht des kräftigen Esels wunderte, erklärte dieser: ›Wisse, o Sultan der Tiere, ich würde den Sohn Adams schwerlich fürchten, wenn er nicht so arglistig und grausam wäre. Aber er besitzt tückische Hilfsmittel, gegen die meine Kraft nicht aufkommt: einen Knüppel für meinen Rücken, ein Eisen für mein Maul und einen Strick unter meinen Schweif: alles Dinge, mit denen sein jüngstes Kind mich gefügig macht. Als ich heute darüber nachdachte, wieviel Prügel mir noch bevorstehen, bevor ich eines Tages abgerackert verende, da bin ich auf und davongelaufen, in der Hoffnung, irgendwo ein Versteck vor meinem Peiniger oder gar ein ständiges Obdach zu finden.‹
Du kannst mir glauben, schönes Pfauenpaar, daß die Schilderung des Esels meine Furcht vor dem Sohn Adams vermehrte«, beteuerte die Ente. »Wir glauben es gern,« sprach die Pfauenhenne, »doch erzähle weiter!« Und die Ente räusperte sich und fuhr fort: »Während der junge Löwe den Esel beruhigte, sahen wir eine Staubwolke vor uns aufwirbeln, und alsbald erblickten wir ein Pferd, das wollte an uns vorbeirennen. Der junge Löwe gebot ihm zu halten und fragte es nach Name und Stamm. Jenes erwiderte dem Herrn der Tiere, es sei vom Stamm der Pferde und auf der Flucht vor dem Sohn Adams begriffen. Der junge Löwe aber rief erstaunt: ›Wie vermagst du bei deiner Größe und Schnelligkeit den Sohn Adams zu fürchten! Siehe, trotz meiner Jugend und geringeren Größe bin ich entschlossen, jenen aufzusuchen, seine Knochen zu zermalmen und sein Fleisch zu verspeisen und somit sowohl diesen verprügelten Esel als auch diese würdige Ente von ihrem Schrecken zu befreien. Weißt du übrigens, daß du mit einem einzigen Hufschlag den verschlagenen Sohn Adams töten könntest?‹
Da lächelte das edle Pferd und antwortete: ›Wohl weiß ich das, erhabener Sultan der Tiere; aber nicht weniger kenne ich alle die abgefeimten Hilfsmittel, Peitsche, Kandare, Gurt und Sporen, gegen die meine Kraft nicht aufkommt. Und ebenso weiß ich, daß ich nach einem Leben voll harter, unablässiger Arbeit eines Tages als halb- oder ganzerblindeter Klepper durch den Roßschlächter verende und daß mein Herr nach meinem Tode noch mit meinem Fleisch und Fett, Haut und Haaren Handel treibt.‹
Du wirst mir glauben, schönes Pfauenpaar, daß die Schilderung des Pferdes meine Furcht vor dem Sohn Adams noch vermehrte«, beteuerte die Ente. »Wir glauben es gern,« erklärte die Pfauenhenne, »doch erzähle weiter.« Und die Ente räusperte sich und fuhr fort: »Während der junge Löwe das Pferd beruhigte, sahen wir eine Staubwolke vor uns aufwirbeln, und alsbald erblickten wir ein Kamel, das wollte an uns vorüberrennen. Der junge Löwe glaubte, dies sei der Sohn Adams, und er erschrak. Ich beruhigte ihn mit den Worten: ›O Sultan der Tiere, das ist nicht der Sohn Adams, vielmehr ein Kamel, und es scheint gleichfalls auf der Flucht vor dem Sohn Adams begriffen.‹ Und also war es, wie das Kamel, traurig und zornig zugleich über sein hartes Los, dem jungen Löwen berichtete.«
»Ich glaube, daß seine Schilderung deine Furcht vor dem Sohn Adams noch vermehrte,« unterbrach der Pfau die Ente; »doch erzähle weiter!« Und die Ente seufzte und fuhr fort: »Während der junge Löwe das Kamel beruhigte und versprach, dem Sohn Adams binnen kurzem alle Knochen zu zermalmen und ihn alsdann aufzufressen, sahen wir eine Staubwolke aufwirbeln, und alsbald erblickten wir ein altes, dürres Männchen, mit Schreinergerät beladen, das uns entgegenkam. Kaum hatte der Ankömmling den jungen Löwen gesehen, als er ihn mit beredten Worten begrüßte. Geschmeichelt fragte der junge Löwe ihn nach Name und Stamm. Jener erwiderte, daß er Ibrahim heiße und von der Zunft der Tischler sei. ›Und wohin wanderst du?‹ fragte der Löwe weiter. Jener berichtete: ›Der Luchs, der Wesir deines Vaters, erlauchter Sultanssohn, hat mich rufen lassen, damit ich ihm eine sichere Unterkunft anfertige vor den Nachstellungen des Sohnes Adams, vor dem er gewarnt wurde.‹ Da hieß der junge Löwe den Esel, das Pferd und das Kamel beiseitetreten. Eifersüchtig auf den Luchs, befahl er sodann dem Schreiner, er möge zuvor ihm eine solche Behausung anfertigen, wie sie der Wesir seines Vaters wünsche.
Der Alte erwiderte: ›Herr, ich habe nur die Bretter zu der einen Behausung bei mir.‹ Aber der junge Löwe bestand auf seinem Verlangen, und der Alte begann zu hämmern. Bald stand eine Holzkiste fertig da, und der alte Ibrahim bat den Löwen, sie auszuprobieren. Der Löwe glitt geduckt hinein, und nur sein Schweif blieb draußen. Schon wollte er wieder hinauskriechen; aber der Alte rief: ›Warte; ich will sehen, ob dein Schweif nicht auch hineinpaßt.‹ Während der junge Löwe zusammengekauert wartete, schob der Alte dessen Schweif hinein, schob gleichzeitig ein Brett vor die Öffnung, vernagelte es eiligst und rief: ›Du wirst keinem Adamssohn jemals die Knochen zermalmen und ihn auffressen!‹
›Mein Bruder, was tatest du und was redest du?‹ rief drinnen der Löwe in kläglichem Tonfall. ›Wisse denn, du Hund der Wüste, ich will dich unschädlich machen‹, sagte der Schreiner Ibrahim. Und in diesem Augenblick, schönes Pfauenpaar,« (so erzählte die Ente bekümmert weiter) »erkannte ich in jenem arglistigen Wesen den leibhaften Sohn Adams und versteckte mich rasch in verwildertem Buschwerk, während Esel, Pferd und Kamel schleunigst davoneilten.«
»Und was hat sich nunmehr ereignet?« fragte der Pfau und seine Henne aus einem Munde. Die Ente fuhr fort: »Dann sah ich jenen Sohn Adams nebenan eine Grube herrichten, sah ihn die Kiste hineinschieben, sah, wie er sie mit dürren Zweigen bedeckte und das Ganze anzündete.«
Die Ente seufzte und schwieg. Das Pfauenpaar dankte ihr für die lange und lehrreiche Erzählung und forderte sie auf, bei ihm zu bleiben. Denn zu dreien seien sie vor dem hinterlistigen Sohn Adams wohl sicher. Die Ente erklärte zwar, daß niemand seinem Schicksal sich entziehen könne, das ihm zuvor bestimmt sei; blieb aber bei dem Pfauenpaar. Und eine Staubwolke erhob sich und kam näher. »Laßt uns fliehen!« rief die Ente; doch schon zerteilte sich die Staubwolke, und eine Gazelle wurde sichtbar. Die Pfauenhenne beruhigte die vor Angst schnatternde Ente und sprach zu ihr: »Das ist eine Gazelle vom Stamm der Vierfüßler, so wie wir vom Stamm der Vögel sind. Sie nährt sich von Gräsern und Kräutern und hat daher ein sanftes Gemüt. Darum beruhige dich; denn die Aufregung zehrt am Körper.«
»Du hast recht«, versetzte die Ente. »Ich möchte nunmehr eine Weile schlummern.« Und sie ging abseits in den Schatten, stellte sich auf ein Bein und fleckte den Kopf in ihr Federkleid. Inzwischen begrüßte die Gazelle das Pfauenpaar und erzählte ihm mancherlei von der Schönheit und Fruchtbarkeit der Insel, an deren Ufer sie lustwandelten. Sie beschlossen, gute Freunde zu werden und zusammenzuhalten in guten und schlimmen Tagen.
Ein leises, eintöniges Geräusch klang zu ihnen hinüber: die Ruderschläge eines Bootes, das an einer seichten Stelle anlegte. Ihm entstieg ein Mensch, und als sie ihn erblickten, schwang das Pfauenpaar sich in die Lüfte, und die leichtfüßige Gazelle eilte in das Innere der Insel. Der Bootsmann bemerkte die schlafende Ente, die mit tief eingezogenem Kopf am Ufer saß, schlich hinzu und fing sie. »Meine Klugheit hat mich nicht vor dem Los bewahrt, das mir bestimmt war«, sagte gefaßt die Ente. Das Pfauenpaar, das den Vorgang aus der Höhe beobachtet hatte, war der Meinung, die Ente sei in Gefangenschaft geraten, weil sie wohl unterlassen habe, Allah regelmäßig Lob und Dank zu sagen – ein heiliger Brauch, dem keine Kreatur sich ungestraft entziehen könne. Dennoch beklagten beide die gefangene Ente sehr.
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