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Der nächtliche Einbrecher

Es wird erzählt, als Khalid, der Sohn des Abdel Allah El-Kusheyri, Statthalter von El-Basra war, da kamen Leute zu ihm und brachten einen Jüngling von großer Schönheit, guter Erziehung und reicher Begabung. Und die Männer sprachen also: »Der hier ist ein Dieb, den wir gestern in unserm Haus ergriffen haben.« Als Khalid den Jüngling anschaute, bewunderte er seine schöne Gestalt und seine edlen Züge und sprach: »Laßt ihn los!«

Dann näherte er sich dem Gefangenen und fragte ihn um seine Geschichte. Und der Jüngling antwortete: »Die Leute haben die Wahrheit berichtet, und die Geschichte verhält sich so, wie jene dir erzählt haben.« Und Khalid fragte: »Wie ist es gekommen, daß du einer solchen Tat fähig warst mit deinen edlen und schönen Zügen?« Der Jüngling antwortete: »Die Habsucht hat mich dazu verführt. So wollte es Gott, dessen Name gepriesen sei.«

Und Khalid sprach weiter: »Möge deine Mutter diese Worte niemals erfahren! Hattest du nichts in deinem Innern, was dich zurückhielt, ein Dieb zu werden?« Und der Jüngling schwieg. Khalid sprach weiter: »Dein offenes Geständnis hat mich bewegt; aber ich kann nicht glauben, daß du ein gewöhnlicher Dieb seiest. Vielleicht hast du mir eine Geschichte zu erzählen, die nicht die Geschichte eines Diebes ist. Erzähle sie mir.«

Aber der Jüngling entgegnete: »O Emir, bilde dir nichts anderes ein als das, was ich dir bekannt habe; denn es gibt keine andere Geschichte, als daß ich in das Haus jener Leute eingedrungen bin, daß ich geraubt habe, was ich vermochte, daß sie mich ergriffen und zu dir hergeführt haben.«

Darauf verordnete Khalid, daß er eingekerkert werde. Und sein Herold ging durch die Straßen von El-Basra und rief aus: »Jeder, der den Wunsch hat, Zeuge der Bestrafung eines Diebes zu sein, finde sich morgen früh vor dem Hause unseres Emirs ein.«

Und als der Jüngling im Kerker saß und sie ihm die Füße mit Eisen gefesselt hatten, seufzte er, vergoß verstohlen Tränen und murmelte: »Khalid hat mir angedroht, daß mir meine Diebshände abgehackt werden, wenn ich ihm nicht die Geschichte erzähle. Aber fern sei es von mir, von der Liebe zu sprechen, die mein Herz erfüllt! Mögen sie mir die Hand abhacken, ich werde es eher dulden, als daß jene entehrt sei, die ich liebe!«

Und der Wächter, der dies gehört hatte, ging zum Khalid und berichtete ihm solches. Und mitten in der Nacht ließ Khalid, der Gerechte, den Jüngling zu sich führen, gab ihm Speise und Trank und hub dann an: »Ich weiß, daß du mir eine Geschichte zu erzählen hast, die nicht die Geschichte eines Diebes ist. Wenn also morgen das Volk mit dem Kadi versammelt ist, um die Strafe, die den Dieb erwartet, an dir zu vollführen, möge dann sich erfüllen, was der Prophet Gottes, dessen Name gepriesen sei, also gesprochen hat: In Zweifelsfällen finde die gesetzliche Bestrafung nicht statt.«

Darauf gab er Auftrag, ihn in das Gefängnis zurückzuführen. Am Morgen aber strömte das Volk von El-Basra zusammen, um anzusehen, wie dem Gefangenen die diebische Hand abgehackt werden sollte. Männer und Weiber kamen, um der Bestrafung des Jünglings beizuwohnen. Khalid, begleitet von den Vornehmsten von El-Basra, empfing den Kadi und übergab ihm den Jüngling, den sie herbeiführten, in Ketten gefesselt.

Und alles Volk staunte über seine Schönheit; die Männer murmelten, und die Weiber weinten. Und Khalid befahl den Weibern zu schweigen und sprach zu dem Jüngling: »Jene Leute dort behaupten, du seiest nächtlich in ihr Haus geschlichen und habest ihr Eigentum geraubt. Vielleicht raubtest du weniger als einen Vierteldenar.« »Nein,« antwortete der Gefangene, »ich raubte einen ganzen Denar.« »Vielleicht«, fuhr der Khalid fort, »bist du in irgendeiner Weise beteiligt an dem Eigentum jener Leute.« Aber der Jüngling entgegnete: »Nein, alles gehört ihnen; ich hatte nicht das geringste Recht an ihrem Eigentum.«

Und Khalid berührte mit dem Richterstab des Jünglings Stirn und winkte dem Henker. Der zog sein Schwert, ergriff die Hand des Jünglings und legte sie unter das Messer.

Da drängte sich eine Jungfrau, mehr Kind als Weib, in fliegendem Gewand weinend aus der Menge und warf sich zwischen Jüngling und Henker. Dann erhob sie die Augen zum Khalid, und man sah ein Antlitz, schön wie die Sonne. Und eine große Ergriffenheit bemächtigte sich aller Zuhörer.

Die Jungfrau aber rief mit brechender Stimme: »O Emir, ich beschwöre dich bei Allah, dessen Name gepriesen sei, laß nicht das Urteil vollziehen, bevor du dieses Blatt gelesen hast.« Und sie reichte Khalid zitternd ein Blatt und verhüllte das Antlitz.

Auf dem Blatt aber stand dies:

»O Khalid, jener Jüngling liebt mich. Er hat eine Tat eingestanden, die er nicht begangen hat. Er möchte lieber Verstümmelung erdulden als die entehren, die er liebt. Du aber habe Mitleid mit jenem, der kein Dieb ist, sondern einer der Edelsten des menschlichen Geschlechtes.«

Als Khalid dies gelesen hatte, winkte er dem Volk, sich zurückzuziehen. Der Jungfrau aber gab er Geheiß, sich zu nähern und zu berichten. Und er hörte aus ihrem Mund folgendes:

Jener Jüngling war mit stiller Liebe für sie erfüllt, und er war in ihr Haus eingeschlichen mit dem Wunsch, sie zu sehen, und hatte zur Nachtzeit einen Stein in ihr Gemach geworfen; aber ihr Vater und ihre Brüder hörten das Fallen des Steines, eilten hinzu und ergriffen ihn. Und sie waren bestürzt und empört darüber, daß der Ehre ihrer Tochter und Schwester Gefahr gedroht hatte. Sie häuften das Silberzeug der Familie zusammen, riefen die Nachbarn herbei und schrien: »Der hier hat versucht, uns nächtlich zu bestehlen!« Sie führten ihn zum Khalid und wiederholten ihre Anklage.

Und Khalid fragte den Jüngling: »Ist es so, wie jenes Weib berichtet?« Und der Jüngling entgegnete: »Es ist so.« Und Khalid küßte ihm die Augen und ließ den Vater der Jungfrau vortreten.

»O Scheich,« sprach er zu ihm, »wir hatten beschlossen, den Jüngling mit Verstümmelung seiner Hand zu bestrafen für einen Diebstahl, den er nicht begangen hat; aber Gott, dem Weisheit und Macht zugeschrieben werden, hat mich davor behütet, einen Unschuldigen zu strafen. Und Gott gibt mir ein, dich zu bitten, daß du deine Tochter diesem Edlen als Gattin zuführst. Ich bitte dich, mir zu gestatten, diesem großherzigen Jüngling deine Tochter zu vermählen.«

Und der Familienvater antwortete: »Emir, ich erlaube dir, solches zu tun.« Und Khalid lobte Gott und dankte ihm und verrichtete ein herrliches Gebet. Darauf sprach er zu dem Jüngling: »Ich verlobe dich jener Jungfrau, die dir zur Seite steht, und schenke euch ein Heiratsgut von zehntausend Silberstücken zur Belohnung eurer edlen Gesinnung.«

Der Jüngling verneigte sich schweigend, die Jungfrau vergoß Tränen der Freude, und alles Volk lobte die Großmut seines Emirs. Jener Tag war seit Jahren der schönste in El-Basra.

*

 


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