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Dante Gabriele Rossetti

The man who, on seeing a work with claim to regard, does not perceive its beauties before its faults, is a conceited fool.

D. G. R.

 

... toujours je me suis senti oppressé par le sentiment de inéluctable impuissance des mots à traduire la complexité des sensations, les extatiques vertiges, où venait de me ravir l'irrésistible magie de ce génie exeptionnel et radieux.

Gabriel Mourey.

 

Ich sage, ein Künstler ... der in seinem persönlichen Auftreten nichts von Seltsamkeit und Eigenheit hat, oder was die Welt so nennt, der wird nie und nimmer ein ausserordentlicher Geist sein.

Michel-Angelo.

 

I.

Von Felicien Rops giebt es einen Ausspruch: dass er einer Rasse entstamme, die gezeugt sei in einer Ehe der Sonne mit dem Schnee. Man darf das Bild – obwohl es von einem grossen Bildner stammt – nicht allzu genau ansehen; aber was es sagen will, passt nicht nur auf Rops sondern fast noch mehr auf Rossetti.

Ein Sohn der Abruzzen, der ein Engländer, der ein Kind von London geworden ist: es lässt sich fast nicht denken. Wenn aus einem so seltsamen Prozess ein Geistiges hervorging, so wird man sich nicht wundern, wenn sich das Produkt innerhalb der englischen Kultur sehr fremdartig und exotisch ausnahm. Wenn aus dem anglisierten Abruzzensohn ein Dichter und Maler wurde, so müsste er einfach nichts Eigenes zu geben gehabt haben, hätte er in dem nebelgrauen England, mit seinen Fabrikschlöten zwischen der grünen Landschaft, nicht ganz überraschende fremde Töne, wie Wohllaute aus einer andern Welt vernehmen, nicht ganz verblüffende Farben wie Widerscheine aus fernen geheimnisvollen Paradiesen aufleuchten lassen.

Denn Dante Rossetti hatte nicht nur einen reinen Napolitaner zum Vater; auch seine Mutter, eine Polidori, war mehr als eine halbe Italienerin. Sein Grossvater, ein armer Schmied in Vasto, erfuhr bei der Napoleonischen Invasion von den Franzosen eine Misshandlung und starb, im Gefühl seiner Ohnmacht zur Rache, an verletzter Ehre.

Der Name Rossetti bedeutete die Rötlichen, die Rothaarigen, und es ist wie ein mystisches Zusammentreffen, dass rote Haare später das Glück und das Verhängnis seines Lebens geworden sind.

Ebenso wurde sein Vorname Dante auf seine Kunst von vorbestimmender Macht.

Die Verhältnisse, in denen Dante Rossetti im Hause 38 der Charlottenstreet zu London heranwuchs, waren durchaus ärmliche. Sein Vater, ein politischer Flüchtling des Königreichs Neapel, war ein armer Sprachlehrer.

Freilich war er auch der Verfasser von verschiedenen Schriften über Dante, die durch ganz Europa Widerhall erweckt hatten. Und von Haus aus war er Maler und Dichter gewesen.

* * *

Das erste öffentliche Ereignis von künstlerischem Charakter, das auf Dante Gabriele einen grossen Eindruck machte, war die Cartons-Ausstellung zu Westminster Hall im Jahr 1843 zum Zweck einer Konkurrenz für die Ausschmückung des neuen Parlamentsgebäudes. Der fünfzehnjährige Dante schrieb darüber an seine Mutter, die sich mit dem kranken Vater an der Riviera aufhielt, einen langen Brief, in dem besonders zwei Stellen bemerkbar sind.

Zunächst findet der Knabe den Mangel an Nacktheiten bedauerlich ... er, der später nie welche gemalt hat. Und so unschuldig ist er, dass er nichts weiss von der englischen Prüderie, dass er vielmehr alle Schuld auf das Unvermögen der Künstler schiebt, die sich der Aufgabe des Nackten wohl nicht gewachsen fühlten und darum mit den Gewändern nicht nur die Blössen ihrer Figuren sondern auch die Blössen ihres Talents zu bedecken bestrebt seien.

Und zweitens ist es erstaunlich, mit welcher Begeisterung der junge Schüler von den Cartons des George Fredreck Watts spricht, die er weit über alle Werke der zahlreichen Aussteller hinaushebt. Man möchte fast sagen, das Kind Rossetti habe hier mit prophetischem Geist eine Entwicklung vorausgesehen, die damals noch kein Mensch ahnte. Denn niemand hätte es damals dem stark akademischen Watts vorhergesagt, dass er einst der grösste Symboliker der modernen Kunst werden sollte, vielleicht der grösste Seelenmaler der Zeit, in seinen Bildnissen wie in seinen Compositionen: so dass kein Name so unzertrennlich mit dem von Rossetti zusammen stehen wird als der seinige, enger und unzertrennlicher als der von vielen andern, die mit Rossetti in Bündnisse zusammengetreten sind.

Von Hunt besitzen wir eine Charakteristik des damaligen Rossetti. Darnach trug er langes braunes Haar, das ihm bis über die Schulter herabhing. Seine grossen grauen Augen blickten starr ins Weite wie in einen Traum hinein. Unter der feinen Adlernase öffnete sich ein schöner Mund mit schwellenden halbgeöffneten Lippen. Sein Gang war nachlässig schlendernd, ohne alle Achtsamkeit.

Damit verband sich eine lärmige heftige Art des Auftretens. Sein ganzes Wesen hatte etwas Stürmisches, Herausforderndes, so dass es nicht leicht fiel, fügt Hunt hinzu, in dem heftigen und formlosen Jungen die ganze reiche Zärtlichkeit und Güte seines Innern immer gleich herauszufühlen. Nur wer ihn anredete, wurde betroffen von der Höflichkeit und Feinheit seiner Rede und von seiner gewinnenden Bereitwilligkeit, sich gegen Andere in Lob und Begeisterung auszusprechen.

Und sein Leben war, wie Hunt es so schön sagt, trotz aller Starrköpfigkeit und einem völligen Mangel an Besonnenheit, in musterhaftem Grad fleckenlos. In würdiger Weise erfreute er sich der poetischen Athmosphäre jener heiligen und geistigen Träume, die ihn unaufhörlich umkreisten. Freilich Viele, die ihn nur nach seinen lärmenden Demonstrationen beurteilten, hatten davon keine Ahnung.

Es ist das schöne Bild eines jungen Poeten.

Und Dichter war Rossetti einstweilen in erster Linie. Dichterwerke beschäftigten ihn im weitesten Masse. Lesen war seine Leidenschaft. Schon damals verwendete er dazu ganze Nächte. Schon damals fing er die heillose Methode an, sich den Schlaf abgewöhnen zu wollen.

Neben den englischen interessierten ihn besonders die deutschen und älteren italienischen Dichter. Auch Viktor Hugo liebte er sehr. Von nicht geringem Einfluss auf ihn war Hoffmann.

Eine gewisse Liebe fürs Geisterhafte blieb ihm sein Leben lang eigen. Darum stand Edgar Poe so hoch in seiner Bewunderung, und seine übertriebene Schätzung der Bernsteinhexe und der Sidonie von Bork hängt ebenfalls damit zusammen. Diese Schätzung betonte er später so stark, dass noch heute in der »Burne-Jones-Gemeinde«, als deren oberster creator spiritus er gelten muss, die beiden genannten Romane für die besten der deutschen Litteratur gehalten werden.

Daneben las er von Deutschen den Peter Schlehmil und die Undine von Fouqué. Aus dem Nibelungenlied und dem Armen Heinrich übersetzte er Stellen ins Englische.

Auch seine Uebersetzungen alt-italienischer Dichter und der Vita nuova gehen in ihren Anfängen auf diese Zeit zurück.

Unter den mitlebenden englischen Dichtern wurde Browning sein Liebling und Freund.

Und selbstverständlich fehlt es nicht an eigener Produktion. Zwei seiner berühmtesten und beliebtesten Dichtungen entstanden bereits: The Blessed Damozel und My Sister's Sleep.

Nicht so gross war sein Eifer als Jünger der Kunst. Als Akademie-Schüler machte er keine grossen Fortschritte. Er scheint seine Lehrer kaum befriedigt zu haben und ist über die Antiken-Klasse, also über die unterste nie hinausgekommen.

Wie so viele eigenartige und bedeutende Geister wusste auch er mit der offiziellen Schule nichts anzufangen.

Sein Bruder William giebt darüber interessante Erklärungen ab, die sowohl für den Psychologen wie für den Pädagogen lehrreich sein können. Auch den Moralisten seien diese brüderlichen Ausführungen empfohlen. Darnach arbeitete Rossetti mit unverfälschter Begeisterung hinsichtlich des Ziels, aber mit Gleichgültigkeit und Schlaffheit in Rücksicht auf die Mittel, die man ihm, als zu diesem Ziele führend, aufdrängte.

»Sobald mir etwas als Pflicht auferlegt wird, sagte er einmal zu seinem Bruder, ist auch meine Lust und Fähigkeit, die Sache zu thun, für immer dahin. Was ich thun soll, das gerade kann ich nicht.«

In diesen Worten drückte sich der Grundton seines Charakters aus, der sich im Wesentlichen durch sein ganzes Leben hindurch gleichblieb. Als er selbständig wurde, richtete er es, wie jeder rechte Mann, so ein, dass Sollen und Wollen zusammen fielen, d. h. er wollte eben nur, was seinen Neigungen, was seinen Fähigkeiten, mit einem Wort, was seiner Natur gemäss war. Er that sich keinen Zwang an. Er folgte nur seinem Drang. Und da ging alles gut. »Denn ein guter Mensch in seinem rechten Drange ...«

Aber in der Schule, wo man ihn den Zwang fühlen liess und nur allzu deutlich fühlen liess, verdarb man ihm (wie schon so vielen andern) alle Lust und allen guten Willen.

Ein entschiedenes Pflichtgefühl, meint William Rossetti, ein festes Vertrauen auf seine Lehrer und besonders der Trieb, das Nötige so zu thun, wie alle Welt es that, wären ihm hier nützlich und förderlich gewesen. »Aber gerade diese Tugenden« fehlten ihm zu jener Zeit. Und ganz war es mit ihm aus, wenn er das, was andere von ihm verlangten, nicht einmal auf seine eigene Weise thun sollte.

Diesen frei wiedergegebenen Erklärungen des Bruders möchte ich folgendes hinzufügen: William bemerkt einmal, Dante habe von Kind auf nie die geringste handliche Geschicklichkeit an den Tag gelegt. Diese Thatsache ist unendlich wichtig. Sie besagt, Dante Rossetti war nicht zum Handwerker veranlagt. Ein Maler im vollsten Sinn des Wortes aber ist zu allererst ein Handwerker. Also zu einem solchen Maler, zu einem Maler wie Rembrandt, Rubens, Velasquez fehlte Rossetti nicht weniger wie alles. Wenn er dazu in sich die Bestimmung, d. h. wenn er dazu in sich die Anlagen getragen hätte, so hätte er sie auch ausgebildet, so hätte er sie ausbilden müssen, nicht aus Pflicht, wenigstens nicht aus einer allgemeinen moralischen Pflicht, sondern aus einer besondern persönlichen, aus einer ihm innewohnenden Fatalität und Notwendigkeit.

Genie ist auch Fleiss.

Und darum gilt für das Genie, in diesem Sinn, wirklich nicht die gemeine Moral der Gesellschaft. Nämlich nicht eine fremde, nicht eine von aussen, von andern ihm auferlegte Pflicht muss dem Genie heilig sein, sondern nur seine eigene: die Pflicht, die ihm in der eigenen Seele lebendig ist als allmächtiger Drang, als Notwendigkeit, als göttliches Fatum.

Nicht aus Mangel an Pflichtgefühl ist Rossetti kein Velasquez geworden sondern aus Mangel an Anlage.

Seine Anlagen waren andere.

Und anders waren seine Aufgaben.

Ich lese eben den Wilhelm Meister, schreibt Rossetti einmal an Bell Skott, und darin ist die Selbstkultur des Helden eine grosse Sache, die uns erstaunt und mit Freude erfüllt. Aber dieser nämliche Held ist in Verzweiflung über den Tod eines Mädchens ... Nichts, das ist klar, wird der Aufgabe der Selbstkultur so verhängnisvoll als eine noch so geringe Neigung zu Selbstaufopferung, zu Selbstentäusserung.

* * *

Im März 1848 sieht Rossetti in der Ausstellung den »Giaour« von Madox Brown und wird von einer solchen Begeisterung für diesen Maler ergriffen, dass er ihm, dem persönlich ganz Unbekannten, sofort schreibt und ihn bittet, sein Schüler werden zu dürfen.

Damit tritt Brown in den präraphaelitischen Kreis.

Die Art wie sich dies zunächst vollzog, entbehrt sogar nicht eines gewissen Humors. Brown war so wenig verwöhnt, dass er die Begeisterung Rossetti's gar nicht ernst zu nehmen vermochte; er glaubte, dass irgend ein loser Vogel sich einen Spass mit ihm erlauben wolle. Er soll sogar mit einem dicken Knüppel vom Haus 50 der Charlottenstreet nach Nummer 38 gekommen sein, um dem Schreiber mit dem schönen Namen seine Scherze gründlich auszutreiben.

Aber der Besuch endete zu beiderseitiger Befriedigung. Brown trug Rossetti ohne Zögerung seine Freundschaft an. Es wurde eine Freundschaft fürs Leben.

Viel weniger lang dauerte die Schülerschaft. Es ging Rossetti bei Brown nicht viel anders als auf der Akademie. Er hätte gern malen können; aber die Wege, die ihm andere dazu vorschlugen, gefielen ihm nicht, waren ihm zu langweilig. Brown stellte ihm ein Stilleben zusammen: Einmachtöpfe und so was. Rossetti verzweifelte. Die Einmachtöpfe machten ihn zum unglücklichsten der Sterblichen.

Er sah sich nach andern Lehrern um. Millais und Hunt boten sich ihm dar. Die beiden konnten malen, obwohl sie nicht älter waren. Mit der ganzen Naivität des Genies und in der Stimmung eines Hoffnungslosen fragte er Hunt, ob es denn wirklich nötig sei, dass er die Einmachtöpfe male ...

* * *

Man könnte sich wundern, dass Brown und dass auch Leute wie Hunt und Millais, die mit redlichem Bemühn und sauerem Schweiss ihr Handwerk gelernt hatten, nicht unglimpflich mit Rossetti umgingen. Aber sie wurden nicht nur seine treuen Freunde; sondern als nun bald die berühmte Bruderschaft ins Leben trat, wurde er ausgesprochenermassen die Seele derselben, und alles beugte sich ihm, ihm dem schönen Liebenswürdigen, dem Dichter, dem auch im gemeinen Alltag ein wunderbarer Zauber der Rede zu Gebote stand.

Aber diese Wirkung übte er nicht nur innerhalb der Bruderschaft. Die Geringfügigkeit seiner handwerklichen Befähigung und Ausbildung hinderte nicht, dass sein künstlerischer Genius weit über die Dauer der Bruderschaft hinaus Schule machte und befruchtend und bestimmend eine der grössten Bewegungen in der englischen Kunst beeinflusste.

Das war die Macht des Geistes in Rossetti. Er hiess nicht umsonst Dante. »Warum ist er nur nicht ein grosser verbannter König, schrieb ein junger Mann an Madox Brown, dass wir unser Leben einsetzen könnten in dem Versuch, ihn in sein Königreich zurückzuführen!«

Die berühmte Praeraphaelite Brotherhood, P.R.B., als welche sich die Freunde Hunt, Millais und Rossetti nun konstituierten, wurde in ihren Folgen wohl eines der merkwürdigsten Ereignisse der englischen Kunstgeschichte; zunächst aber war die Sache nicht viel mehr als ein lustiger Einfall von drei jungen Leuten, mit kaum zwanzig Jahren. Rossetti selber bezeichnete später die Gründung – sie fiel in den Herbst 1848 – als einen Dummenjungenstreich.

Jenes Jahr war ergiebig an solchen Früchten. Man denkt hier unwillkürlich an die deutschen Vorgänge. Die Revolution in London, die sich Präraphaelismus nannte, verlief freilich nicht ganz so geräuschvoll als wie die revolutionären Ereignisse in Deutschland; aber das haben die beiden gemeinsam: dass diejenigen ihrer Früchte, die sich später zu Bäumen auswuchsen, nicht gern an ihren Ursprung erinnert sein mochten. Rossetti in seinen reiferen Jahren konnte ordentlich bös werden, wenn man ihn einen Präraphaeliten nannte; er sei ein Maler, einfach ein Maler, kein Ding auf »it«.

So empfand er nicht im Gründungsjahr 1848. Damals war er von allen der leidenschaftlichste Sektierer – womit ja auch das Wort Sezession zusammenhängt. Damals dachte er, als ächter Jüngling, nicht gering von der Wichtigkeit ihres geheimen Bundes, ihrer Geheimbündelei.

Die schwärmerische Jugend hat zu aller Zeit solche Formen des Zusammenwirkens geliebt. Der »Cenacle« der französischen Romantiker sieht der Praeraphaelite Brotherhood auf ein Haar ähnlich. Von dem Zusammenleben der »nazarenischen« Brüder im Kloster San Isidoro am Monte Pincio, schreibt Overbeck: »Wir führten ein wahres Mönchsleben, zogen uns von allem zurück und lebten nur der Kunst. Morgens kauften wir zusammen ein; mittags kochten wir abwechselnd selbst unser Essen.« Von einem solchen Leben träumte auch Rossetti. Eifrig betrieb er das Zusammenleben in einem gemeinschaftlichen Hause. Die geheimnisvollen P.R.B, sollte in goldnen Lettern über der Thüre prangen.

Die Bestrebungen der Bruderschaft bezogen sich rein auf die Kunst. Die Religion kam nicht in Frage. Aber unwillkürlich nahm ihr Bund eine religiöse Färbung an, und dem Programm der Nazarener, »der junge Maler wache vor allem über seine Empfindungen, er lasse nie ein unreines Wort über seine Lippen oder einen unreinen Gedanken in seine Seele ...« hätten die Mitglieder der Bruderschaft mit Begeisterung beigestimmt.

Sie haben selber ähnliche Forderungen aufgestellt. Sie bildeten nach ihrer äussern Lebensweise eine Art Bohême, wenn man überhaupt von so etwas in London sprechen kann. Sie blieben Thee trinkend und rauchend (nur Rossetti rauchte nicht) ganze Nächte im Gespräch beisammen. Sie waren Freunde der Unordnung eher als Freunde der Ordnung. »Wenn Sie mir zu gefallen wünschten, schrieb der säuberliche Ruskin damals an Rossetti, so würden Sie Ihr Zimmer besser in Stand halten und Nachts zu Bette gehen.«

Doch beschränkte sich bei den Präraphaeliten das zigeunerische Wesen auf Aeusserlichkeiten. Nach dem Geist, der sie beseelte, waren sie in Wahrheit eine Bruderschaft im mittelalterlich-religiösen Sinn des Wortes. Jedenfalls waren sie auch in dieser Beziehung der halb- oder ganz mönchischen Bohème vom Monte Pinco verwandter als irgend einer Bohème vom Mont-Geneviève oder Mont-Martre.

Madox Brown, der damals schon, obwohl ebenfalls noch sehr jung, ein reifer Maler war, ist der Bruderschaft nie förmlich beigetreten; er blieb aber den Brüdern stets ein treuer Freund und Berater.

Zu den Gründern Rossetti, Hunt und Millais gesellten sich dagegen bald William M. Rossetti und Stephens, zwei spätere Kunstschriftsteller, sowie der Bildhauer Thomas Woolner und der Maler James Colinson. Es war also die mystische Zahl »Sieben« glücklich beieinander.

Zur Königin des ausserordentlichen Bundes wurde Dantes und Williams begabte Schwester Christina ernannt.

Dennoch nahm die Bruderschaft, äusserlich genommen, ein frühes Ende, das Christina in humoristisch-elegischen Versen also besang:

The P.R.B. is in its decadence:
For Woolner in Australia cooks his chops,
And Hunt is yearning for the land of Cheops;
D.G. Rossetti shuns the vulgar optic;
While William M.Rossetti merely lops
His B's in English disesteemed as Coptic;
Calm Stephens in the twilight smokes his pipe,
But longs the dawning of his public day;
And he at last the Champion great Millais,
Attaining Academic opulence,
Winds up his signature with A.R.A.
So rivers merge in the perpetual sea;
So luscious fruit fall when over-ripe;
And so the consummated P.R.B.

Aber wenn die Bruderschaft als solche auch früh, ungefähr nach drei Jahren, auseinander ging, ihr Geist wirkte weiter. Er wirkte am stärksten in Dante Gabriele Rossetti, obwohl dieser den Namen der Bruderschaft verleugnete; und er feierte eine neue Auferstehung in dem ältern Watts, in William Morris, in Burne-Jones. Aus diesem Geist erwuchsen Schöpfungen der Kunst, der darstellenden wie der schmückenden, die mit ihrer starken Eigentümlichkeit dem Kunstschaffen Englands eine ganz neue Physiognomie gaben, Schöpfungen, die innerhalb der englischen Kultur fast fremdartig und exotisch wirken, und die dennoch in ihrer tiefsten Seele durchaus englisch sind.

Und weitaus den grössten Anteil an der Physiognomie dieser Kunst hat Rossetti. Millais und Hunt blieben, so weit sie präraphaelitisch malten, mehr oder weniger in einer archaistischen Art stecken. So wirkt z. B. das Bild von Millais, »Lorenzo und Isabella«, durchaus wie die Copie eines alten Florentiners. Durch solche Werke kam die Kunst innerlich wenig vorwärts.

Von Rossetti und seinen Schülern lässt sich das nicht sagen.

* * *

Am wenigsten gilt es von Rossetti. Seine Kunst ist die persönlichste. Er war nie Nachahmer. Er war Präraphaelit nur in dem Sinn, »dass er bei den alten Italienern, von Giotto bis Lionardo, und ebenso bei den alten vlämischen und oberdeutschen Malern jene Eigenschaften bewunderte, die er selbst in der Kunst anstrebte: ein starkes und tiefes Empfindungsleben, das oft mit rührender Naivität, oft aber auch in erhabener und feierlicher Weise ausgedrückt ist, dann eine gewisse schlichte Anmut, ein starker Sinn für dekorative Reize, grosse Gewissenhaftigkeit und Treue in der Beobachtung und Wiedergabe der Natur, endlich eine geduldige und liebevolle aber nicht virtuose Arbeit.«

Seine Mitbrüder stimmten darin wohl mit ihm überein; aber sie verstanden alles äusserlicher. Sie hatten nicht so viel Eigenes hinzu zu geben.

Dessen war sich Rossetti, bei aller Bescheidenheit, wohl bewusst. In einem Briefe an den Franzosen Erneste Chesneau aus dem Jahr 1868 meint er, les qualités de réalisme, émotionnel mais extrèmement minutieux, qui donnent le cachet au style nommé Préraphaélite, fänden sich hauptsächlich in den Werken von Hunt, Brown und dem jungen Millais. Und er fährt dann fort: C'est la camaraderie, plutôt que la collaboration réelle du style, qui a uni mon nom aux leurs dans les jours d'enthousiasme ...

Diesen Satz mag die Bescheidenheit nicht allein diktiert haben. Rossetti mag sich oft geärgert haben, dass man ihn von den Präraphaeliten nicht unterschied. Im Grunde war er gar keiner; oder er war es wenigstens in einem ganz andern Sinn als seine Genossen, und die Schule, die gewöhnlich auf den Präraphaelismus zurückgeführt wird, ging in Wahrheit allein von Rossetti aus.

II.

Interessant ist es, die Bilder mit einander zu vergleichen, welche die drei Hauptleute der Bruderschaft im Jahr 1849 zur Ausstellung brachten, gleichsam als die Sichtbarwerdung ihres Programms, als die That nach ihren Worten.

Hunt und Millais stellten in der königlichen Akademie aus, der schüchterne Rossetti, der, eben nicht mit Unrecht, kein allzugrosses Vertrauen in sein Malerhandwerk setzte, zeigte sich in einer Privatausstellung.

Das Bild von Hunt hiess: »Rienzis Racheschwur«, das von Millais: »Lorenzo und Isabella«. Die beiden Bilder waren, bloss auf ihre Farben und ihre Malweise hin angesehen, gewiss ein lebhafter Protest gegen die herrschende Schule. Sie besassen zweifellos in hohem Grad »les qualités de réalisme, émotionnel mais extrèmement minutieux« ...

Aber in dem was in einem Bild geistig ist, in ihrer Conzeption und Erfindung huldigten sie durchaus dem Herkommen. Beide waren Historienbilder im schlimmen Sinn des Wortes. Beide erzählten eine Anekdote, aus der Geschichte oder aus der Dichtung. Beide waren verständlich nur mit Hilfe eines gelehrten Wissens. Beide nahmen als Ausgangspunkt einen singularen Vorgang. Beide sind also eigentlich nur Illustrationen. Ihr »Realismus« machte sie höchstens genrehafter als andere ihrer Art.

Rossettis Bild hiess »The Girlhood of Mary Virgin«, das Magdtum der Jungfrau Maria. In diesem Bild war keine Anekdote, kein Ereignis, kein singularer Vorgang. Dieses Bild konnte darum, was es sagen wollte, in seiner Sprache wirklich aussprechen: den Zustand der Unschuld eines erwachsenen Mädchens im Heiligtum der Familie. Dieses Gemeine, ich will sagen dieses Allgemeine wird durch leichtverständliche Symbole zu einem Besondern, zu einem Einzigen. Die Taube, die Lilie als Stickmuster, die lebendige Lilie, der Engel der sie begiesst: sie sagen, und zwar durchaus allgemein verständlich, dass es sich nicht um ein beliebiges Jungfräulein handelt, sondern um unsere höchste religiösgesteigerte und poetisch verklärte Idee von Unschuld und Reinheit, wie die dogmatisch oder symbolisch begriffene Jungfrau Maria sie der modernen Menschheit allein darstellt.

Nicht um das Bild irgendwie zu erklären, schrieb Rossetti die Sonette auf den Rahmen. Das Bild brauchte sie nicht. Er hatte nur das Bedürfnis sich auch als Dichter, der er war, über den Gegenstand auszusprechen. Und er brachte nur in Verse, was aus dem Bild von selber sprach:

An angel-watered lily, that near God
Grows and is quiet till, on dawn at home
She woke in her white bed, and had no fear
At all, – yet wept till sunshine, and felt awed:
Because the fulness of the time was come.

Ein Bild wie Rienzis Racheschwur von Hunt hat ganz die heftige theatralische Geste, welche durch die missverstandene Nachahmung der Hochrenaissance in die Malerei gekommen ist, und seine »beiden Edelleute von Verona« sind wie ein »lebendes Bild« gestellt.

Solche Mittel hat Rossetti von seinem ersten Werk an und durch sein ganzes Leben hindurch gründlich verschmäht und hat doch Inneres durch Aeusseres stärker ausgedrückt als die meisten Maler des Jahrhunderts.

Was von der Girlhood gilt, dasselbe ist von Ecce Ancilla Domini zu sagen.

Kein Gegenstand ist wohl so oft gemalt worden wie die Verkündigung. Die älteren Maler besonders liebten diesen Vorwurf, und man weiss, welche Innigkeit, ja welche Inbrunst des Gefühls sie in diesen Bildern ausdrückten. Zu verwundern ist das nicht. Schon der äussere Vorgang gehört zum Anmutigsten was sich denken lässt. In seiner rührenden Einfachheit ist er ganz besonders eine Aufgabe für den Maler. Namentlich der Präraphaelit muss notwendig auf ihn verfallen.

Noch mehr ist der innere Vorgang geeignet, den Künstler zu begeistern. Das zu Grunde liegende Mysterium bildet nicht nur, als Dogma, eine unendliche Vergeistigung der beliebtesten antiken Mythen, es schliesst auch, als Symbol verstanden, in sich das süsseste Geheimnis des Lebens.

Einem solchen Gegenstand gegenüber nicht zum Copisten zu werden, sondern der tausendfach variierten Darstellung eine neue Wendung abzugewinnen, ja ihr eine ganz neue Physiognomie zu geben, das war kein Kleines.

Aber Rossetti hat es geleistet. Mit einer für England geradezu erstaunlichen Kühnheit oder Unschuld lässt er die Jungfrau auf ihrem Bette ruhen. Das war eben so neu wie kühn. Dennoch ist das Bild von geradezu herber Keuschheit.

Die englische Kritik mochte anders denken. Rossettis Verkündigung ist ganz fraglos ein Fortschritt gegen die Girlhood. Sie ist es nicht nur durch die einfachere Composition, sie ist es noch mehr durch die Farbe. Das Bild ist weiss in weiss gemalt, Rossetti hat damit dem spätern Whistler sein Prinzip der symbolischen Farbenwirkung vorweggenommen. Auch möchte ich den sehen, der in der Londoner Nationalgalerie, trotz der ertötenden Anzahl der Bilder, nicht von dieser neu-präraphaelitischen Verkündigung einen starken Eindruck empfangen hätte, als von einem Werk, das, wiewohl im bewussten Widerspruch zu seiner Zeit gemalt, dennoch keine archaistische sondern eine durchaus moderne Sprache redet. Die zeitgenössische Kritik jedoch war höchst ärgerlich über das Bild, und ich wollte wetten, dass an dem frommen anglikanischen Aerger nichts so sehr schuld war als das Bett, was man natürlich nicht eingestand.

Ein Rezensent des Athenäum's führt das Bild als ein Beispiel an von der Perversion des Talents, die seit einiger Zeit immer weiter um sich griffe und die hoffnungsvollsten Kräfte junger Leute verderbe. Diese setzten absichtlich alle Errungenschaften der grossen Kunst bei Seite, alle mühsam gewonnenen Grundsätze über Licht und Schatten, über Farbe und Composition, und behaupteten, nur die Natur in ihrer Wahrheit und Einfachheit als Lehrmeisterin anzuerkennen. Aber solchen schönen Reden zum Trotz seien sie nichts, als die sklavischen Nachahmer künstlerischer Unvollkommenheiten ...

Das war das Losungswort zum Kampf gegen den Präraphaelismus, als gegen einen plötzlich auferstandenen Feind.

Denn die Kritik hat immer das seltsame Bedürfnis, etwas, das sie nicht versteht, als Todfeind zu behandeln.

Und Rossetti wurde, das ist höchst merkwürdig, als das Haupt der neuen Schule empfunden.

Die Ehrlichkeit der Rezension im Athenäum erfährt eine eigentümliche Beleuchtung, wenn man sie mit dem vergleicht, was, ein Jahr zuvor, die nämliche Zeitschrift über die Girlhood schrieb, von dem doch die »Verkündigung«, man kann wohl sagen, nur eine zweite künstlerisch vereinfachte Auflage bildete.

Geradezu in Extase war der Kritiker vor dieser ersten Jungfrau geraten. Ihre überirdische Schönheit hatte den gelehrten Herrn so von heiligem Feuer erfüllt, dass er, wie die Apostel am Pfingsttag, in fremden Zungen redete und sein anglikanisch-gurgelndes Organ auf den höchsten italienischen Hymnenton stimmte. »Or pensa quanta bellezza avea la Vergine, che avea tanta santità che risplendeva in quella faccia, della quale dice San Tommaso: che nessuno che la vedesse mai la guardò per concupiscenza, tanta era la santità che rilustrava in lei«. Diese Worte des Savonarola riefen ihm Gestalt und Antlitz der Jungfrau in die Erinnerung. Er meint, Rossetti müsse von derselben Empfindung durchdrungen gewesen sein wie der berühmte Dominikaner, der grosse Reformator in Kunst und Moral; ja er macht nicht übel Miene, Rossetti selber als einen Savonarola seiner Zeit zu beglückwünschen.

Es ist höchst erfreulich, sagt er, sich von der Masse der Durchschnittsbilder, die blose Geschichtserzählungen oder Illustrationen unserer Dichter sind, hinweg zu einer Manifestation wahrer geistiger Kraft zu wenden, zu einer Kunst, wo das »of the earth, earthy« keine Geltung mehr zu haben scheint, wo über der würdigen und bedeutenden Idee alles Stoffliche vergessen wird.

Damit meint er Rossettis Bild – ein Werk, so fährt er fort, das durch seine Erfindung sowohl wie durch die Ausführung einzelner Teile jeder Ausstellung Ehre machen würde ... Das Bild ist voller Symbole und hat viel von jenem heiligen Mystizismus, der von den Werken der alten Meister unzertrennlich ist und viel von dem Ton der Dichter aus derselben Zeit. Während die Ausführung des Bildes oft Unsicherheit und Mangel an Schulung verrät, giebt jeder Teil seines geistigen Gehalts Zeugnis von der Reife des Gedankens ... Die Verkündigung der Jungfrau ist eine Leistung, einer ältern Hand würdig. Die geistige Kraft ihrer Attribute und ihre grosse Sensibilität berechtigen zu der Erwartung, dass Mr. Rossetti die hier eingeschlagene stolze Laufbahn noch weit verfolgen wird ...

So der Mann vom Athenäum, das, ein Jahr später, an Rossetti keinen guten Fetzen liess.

* * *

Die Präraphaeliten waren zu sehr – man möchte fast sagen litterarisch durchseucht; sie fühlten ganz naturgemäss das Bedürfnis nach einem litterarischen Organ. Und sie gründeten eine Zeitschrift: The Germ. Dieser »Keim« war aber wenig keimkräftig, er erlebte drei ganze Nummern unter drei verschiedenen Verlegern.

Zwischen hinein fällt Rossettis erste Reise nach Paris, 1849. In seinen Briefen von dort und unterwegs stehen eine Reihe sehr charakteristischer Urteile. Von den zeitgenössischen Malern kommt der grosse Delacroix am schlechtesten bei ihm weg. Rossetti findet ihn einfach entsetzlich. Das günstigste, was er von ihm sagt, ist: er sei ein wildes wirres Genie.

Darüber wird man sich kaum wundern. Man wird von Rossetti kaum erwartet haben, dass er dem farbentrunkenen Romantiker gerecht werden konnte. Wenn er aber nun gar David höher stellt als Delacroix, das begreift man schon nicht mehr.

Um so erklärlicher findet man es, dass er von Ary Scheffer enttäuscht ist, und dass ihn einzelne Werke von Ingres aufs höchste entzücken. Ueber alles aber stellt er Hippolyte Flandrin und dessen Fresken in St. Germain des Prés – Flandrin, den Schüler der deutschen Nazarener: Hier kommt die innere Verwandtschaft zum Ausdruck.

Daneben interessiert ihn doch auch Gavarin sehr. An dem genialen Zeichner macht er bloss moralische Aussetzungen, von seinem Charivari kauft er alle Nummern zusammen, die er nur auftreiben kann.

Im Louvre dagegen sieht er sich nur die ganz Alten an, die Präraphaeliten, und auch zu Brüssel ergreift er vor Rubens förmlich die Flucht. Dafür möchte er zu Albrecht Dürer nach Nürnberg reisen.

Rossetti kam später noch drei Mal nach Paris. Er hat im einzelnen manche seiner Urteile korrigiert. Sehr hoch schätzte er in der Folge Millet. Aber zu Delacroix, und ich glaube auch zu Rubens, hat er sich nie bekehrt – er hätte nicht wahr gegen sich selber sein dürfen. In diesem Punkt schien er wie Ingres empfunden zu haben. Wenn der mit seinen Schülern im Louvre durch die Rubensgalerie kam, pflegte er zu sagen: Admirez, Messieurs, mais n'y regardez pas.

* * *

Ueber Rossettis eigenes handwerkliches Bemühen um diese Zeit macht sein Bruder William einige Bemerkungen. Dante gewann allmählig eine grössere Leichtigkeit sich auszudrücken; aber er zeigte keine starke Neigung, sich eine hervorragende Meisterschaft in Zeichnung und Pinselführung anzueignen. Wichtig waren ihm überhaupt nur die menschlichen und tierischen Formen. Ganz ungern bemühte er sich mit der Perspektive, mit den architektonischen und landschaftlichen Beigaben.

Doch scheint ihm Gurlitt Unrecht zu thun, wenn er ihn die meisten Bilder so viel wie aus dem Kopfe malen lässt. Obwohl Dante, schreibt der Bruder William, sich in Behandlung der Gegenstände einen grossen und freien Spielraum gestattete, so hat er doch selten, wenn überhaupt je, eine Figur gemalt ohne Zuhilfenahme der Natur. William zählt allein siebzehn weibliche Modelle auf. Böcklin scheint nicht so viel gehabt zu haben. Nach einer solchen Aufzählung, erklärt der Bruder, wäre es eine eigensinnige Unaufrichtigkeit, Rossetti noch immer nur ein Modell und ein Ideal zuzugestehen.

Grosse Aufmerksamkeit widmete er der Farbe. Von ihr dachte er sehr hoch. Er nannte sie eine ganz unentbehrliche Eigenschaft der höchsten Kunst. Kein Bild könne ohne sie zum höchsten Rang gehören, während viele Werke, z. B. die von Titian, nur durch die Farbe diesen Rang einnähmen, trotz des begrenzten Grades ihrer andern Eigenschaften.

Die Farbe bezeichnete er als die Physiognomie eines Bildes, und wie die Form des menschlichen Angesichts nicht völlig schön sein könne ohne den Ausdruck von Güte und Adel, so ein Bild nicht ohne Farbe.

Delacroix aber war für ihn kein Colorist!

Rossetti liebte für die Farbe einen dünnen klaren Auftrag und war besonders darauf bedacht, dass seine Farben Glanz erhielten. Er handhabte mit Bewusstsein ein primitives Verfahren und übertrieb eher die Lokaltöne, als dass er sie milderte zu Gunsten eines Gesamttons. Er war intelligent genug, aus der Not eine Tugend zu machen. Von wohlberechneter und sorgfältig ausgearbeiteter Verteilung der Compositionsflächen und der Lichter und Schatten war bei ihm kaum die Rede. Diese Dinge waren seine geringste Sorge. Er war nie ein Adept dieser Geheimnisse des höheren Handwerks der Malerei.

Und also – ich mag es gern noch einmal betonen: der Mann, aus dessen künstlerischem Schaffen eine ganz neue und eigenartige, wenn auch vielleicht etwas allzu zarte Blüte der englischen Malerei hervorging, er war eigentlich kein »geborner Maler«.

Er war zu sehr ein geborner Dichter. Er war zu sehr ein Mann des Geistes. Man muss ihn hören, wie er über sein dichterisches Produzieren spricht. Es entstand damals die Prosadichtung »Hand und Seele« und er äussert sich darüber später in einem Briefe an Hall Caine. Ich schrieb die Erzählung, berichtet er, in einer Nacht im Dezember. Ich begann um zwei Uhr morgens – die Stunden sind charakteristisch – und war etwa um Sieben damit zu Ende. Bei solchem Arbeiten thut sich dann vor meinem Geiste eine Landschaft auf, eine weite Landschaft mit Meer und Himmel, eine Art geistiger »Turner«, wo man zwischen schönen Hügeln wandelt, wo man hinausrudert aufs Meer, einer unbekannten Freiheit entgegen. Doch nur bei nächtlicher Arbeit widerfährt mir das ... und am Ende bin ich dann völlig gebrochen. Der furchtbare Zustand, den ich am Schluss von »Seele und Hand« darstelle, war mein eigener.

Und noch einmal äussert er sich über seinen Zustand während der dichterischen Produktion: Ich liege gleichsam auf dem Lager als ein ausgestrecktes und gequältes Medium, dem kein Augenblick der Unterbrechung und des Erathmens gegönnt wird, als bis das Ding heraus ist ...

Dennoch wäre er am liebsten nur Dichter geworden, und wenn die Möglichkeit gewesen wäre, von schönen Versen zu leben, hätte er wohl mit Freuden auf das Malhandwerk verzichtet. Er machte sogar einmal den leisen Versuch, sein Brod im Telegraphendienst zu verdienen. Er bot sich der Nordwestbahn-Gesellschaft an und ging eines Tages wirklich auf eine Station, um wenigstens zu sehen, was das für ein Ding ist, so ein Telegraph.

So wenig reizte ihn das Handwerk der Malerei. Handwerk war einmal nicht seine Sache. Er dachte gering davon. Und er that es, weil er kein Talent dazu hatte. Sein Hochmut den handwerklichen Anforderungen gegenüber entsprang aus seinem Unvermögen. Darin liegt seine ganze Schwäche als Maler.

Es war ganz natürlich, dass er sich auf diese Schwäche noch etwas zu Gute that. Jeder Mensch ist in gewissem Grad eingebildet auf die Fehler seiner Tugenden. Die Kehrseite der ungenügenden Handwerklichkeit war bei Rossetti die starke Geistigkeit. Sie beherrschte in so hohem Grade sein ganzes Wesen, dass er, der Engländer, nie einen Sport getrieben hat. Und darauf war er mit Recht stolz. Ich schäme mich, sagt er einmal, einer Profession anzugehören, bei welcher der Besitz von Geist eher eine Disqualifikation ist als ein Vorzug.

Das ist nun aber einmal so. Künstler wie Raphael und Rubens, Velasquez und Veronese waren gewiss mehr sinnliche als geistige Naturen. Bei Rossetti stand die hohe Geistigkeit dem Künstler, soweit dieser Handwerker sein muss, hindernd im Wege.

Ich möchte den Versuch machen, schrieb er einmal an Bell Skott, mein grosses Bild (Dante's Traum) selbst zu lithographieren. Wenn man so was unternähme mit allen Schöpfungen seiner Phantasie (und in diesem Sinn allein mag ich als Maler etwas bedeuten), so könnte man, wie Albrecht Dürer, seinen ganzen geistigen Gehalt, sein ganzes Gehirn vor seinem Tod in Druck bringen und vielleicht ausserdem im Leben frei sein und unabhängig von der Gönnerschaft reicher Leute.

Es war ein wunderbarer Gedanke. Aber beim Gedanken blieb es auch. Ihn auszuführen und mit der Ausführung einen abgestorbenen Zweig der Kunst plötzlich wieder neu zu beleben, das war dem »Bossler« Hans Thoma vorbehalten.

* * *

Bei aller Handwerksantipathie und geringen Vertrautheit mit den Erfordernissen der Kunst, soweit dieselbe in der Hand liegt, wurde Rossetti dennoch das thätige Mitglied einer Gesellschaft, die auf die Herstellung gewisser industrieller und rein handwerklicher Produkte einen ebenso grossen reformatorischen Einfluss ausübte, wie die präraphaelitische Vereinigung auf die Malerei – einer Gesellschaft, von der eigentlich der moderne Stil in Wohnung und Wohngeräth nicht nur für England sondern für ganz Europa seinen Ausgang nahm.

Eine Anzahl junger Leute, die alle der Litteratur und Dichtung näher zu stehen schienen als der darstellenden Kunst, wurden dennoch die Reformatoren des ganzen sogenannten Kunsthandwerks. Durch diese Leistung allein haben sie den gelegentlichen Spott über ihre stark litterarische Färbung gründlich entkräftet.

Und Rossetti gehörte zu ihnen.

In München giebt es seit einigen Jahren die »Vereinigten Werkstätten«. Ihr Prinzip ist das Zusammenwirken von Künstlern und Handwerkern zur Herstellung von häuslichen Gegenständen, des Gebrauchs oder der Ausschmückung, in einem künstlerischen Sinn, in einer stil-reformatorischen Tendenz. Und ihre Ausstellungen, sei es im eigenen Hause am Maximiliansplatz, sei es in Vereinigung mit den alljährlichen grossen Vorführungen der Gesammtkunst, haben bereits weit über Deutschland hinaus die Aufmerksamkeit der beteiligten Kreise auf sich gelenkt.

Der Gedanke dieser Unternehmung ist, so viel ich weiss, von Herman Obrist, also von einem Halb-Engländer ausgegangen. In England aber gab es bereits vor 40 Jahren eine ähnliche Einrichtung.

Dort wurde sie merkwürdigerweise von einem Poeten ins Leben gerufen. Die Idee mag jedoch von John Ruskin ausgegangen sein, der damals auf die Künstler und Dichter, die mit dem präraphaelitischen Kreise zusammenhingen, einen grossen Einfluss ausübte. Und William Morris, der Gründer der »Firma«, der Dichter zartfarbiger Verse, war recht eigentlich der Schüler des Oxforder Professors. Auch die Verschmelzung von geschmacksreformatorischen mit socialreformatorischen Aufgaben, wie die Fabrik von Morris sie anstrebte, sieht einem Gedankengewächs aus Ruskins Gehirn nur allzu ähnlich.

Doch geschäftlich beteiligt war Ruskin nicht bei der Gründung dieses einzigartigen industriellen Unternehmens. Rossetti dagegen wurde wirklicher Teilhaber. Ebenso die Maler Madox Brown und Burne-Jones. Im ganzen waren es Sieben, wie bei der präraphaelitischen Bruderschaft.

Und wie diese eine Revolution in der Malerei anstrebte und durchsetzte, so die »Fabrik Morris« auf dem ganzen grossen Gebiet der Wohnungs-Einrichtung und Wohnungs-Ausschmückung – ganz abgesehen davon, dass sie nebenbei für die Arbeiter die Lohnfrage durch Gewährung vom Gewinnanteil zu lösen suchte.

Es war also kein kleines Unternehmen. Und wenn man seine Wirkung übersieht, die ganz erstaunlich ist, so wird man diesen kühnen »Gründern« seine Bewunderung nicht versagen.

Ich will, um ein Beispiel herauszugreifen, nur an die Stoffe zur Möbel- und Wandbekleidung und an die Papier-Tapeten erinnern. Unsere deutsche Fabrikation vor dem englischen Einfluss lasse ich am besten dabei aus dem Spiel. Aber man vergleiche die modernen englischen Sachen mit den französischen, so weit nämlich auch diese noch nicht englisch beeinflusst sind. Diese acht französischen Muster sind doch oft von einer klassischen Langweiligkeit. Da sieht man nichts als die ewige Wiederholung der bekannten Rokokoschnörkel, als das ewige und unvermeidliche, schäferlich-stilisierte Rosensträusschen in seiner Verbindung mit immer denselben paar armen Blümchen.

»Geschmackvoll« sind die Sachen ja. Die zarten Farben-Nüancierungen können jedes Auge entzücken. Sie verraten auf den ersten Blick, dass sie eine gute und lange Tradition hinter sich haben, dass sie die zarten Gewächse sind eines alten kunstgedüngten Kulturbodens. Das rein sinnliche Bedürfnis befriedigen sie vollauf. Aber ihre Formensprache ist nachgerade leer und nichtssagend geworden. Sie langweilt uns, die wir anderes gewöhnt sind. Unserer Phantasie bieten sie nichts.

Und nun rufe man sich moderne englische Stoffe und Tapeten ins Gedächtnis. Es ist, wie wenn man von der Natur des Watteau in die des Böcklin einträte, von einem Gessner'schen Schäferroman in eine Kundri-Parzival-Welt, von einem zierlichen Hausgärtchen mit altmodischen Buchs-Verbrämungen in einen tropischen Blumen-Märchenwald. Wir geraten in einen Rausch des Entzückens vor diesem Reichtum an Formen und Farben, vor der Fremdartigkeit und Seltsamkeit der einen, vor der verblüffenden einfachen Schönheit der andern, vor dem immer wieder neuen kühnen Spiel der Phantasie mit der Natur, ja man möchte sagen der Natur mit der Phantasie.

Wo eine Industrie so neuschöpferisch ist, da ist sie Kunst im besten Sinn des Wortes. Sie nahm auch bald nicht nur die nationale, sondern auch die fremde Produktion in ihren Bann.

Eigentlich leistet nur Frankreich heute noch einigen Widerstand. Die nationale Tradition ist hier zu alt, der nationale Geschmack zu stark und selbstbewusst. Aber wenn der englische Stil auch noch nicht in den französischen Wohnraum eingedrungen ist, auf der Strasse, aus den farbenblühenden Plakaten heraus, springt er uns schon oft genug in die Augen.

Wie sehr wir Deutschen auf diesem Gebiet unter englischem Einfluss stehen, braucht man nicht erst zu betonen. Nur durch diesen Einfluss wurde ein Peter Behrens von einem impressionistischen Farben-Experimentierer zu einem symbolistischen Linien-Fanatiker. Ohne die Engländer besässen wir nicht die wundervollen Tapeten von Otto Eckmann aus der Fabrik von Engelhardt in Mannheim.

Ohne den Vorgang und die Vorbilder von Burne-Jones würde wohl auch Melchior Lechter in Berlin seine brennendfarbigen Glasgemälde nicht so geschaut und ins Werk gesetzt haben.

Denn neben Stoffen, Tapeten und Teppichen, wofür William Morris selber viel zeichnete, und neben Möbeln jeder Art, wurde in der »Firm of Morris and Co.« besonders die dekorative Glasmalerei gepflegt, für welche Rossetti und Burne-Jones am öftersten die Entwürfe lieferten.

Auch in dieser Kunst begann damit ein neuer Stil. Vorher hatten deutsche Fabriken die Glasmalereien für England geliefert. Entworfen waren diese von deutschen Malern, die sich um die spezielle Technik kaum gekümmert hatten, die in ihren Entwürfen keinen Unterschied machten, ob sie als Fresken oder Glasbilder ausgeführt werden sollten: so dass denn von einem stilbildenden Prinzip keine Rede sein konnte. Hier, wie überhaupt bei aller deutschen Kunstübung jener Zeit, legte man fast nur Wert auf den Sinn des Dargestellten, und man legte fast keinen Wert auf den schmückenden Charakter der Darstellung.

Das aber thaten in hohem Maasse die Künstler der Fabrik Morris.

Als geschäftlicher Grundsatz des Unternehmens galt: keine, auch nicht die geringste Einräumung an den Geschmack der Käufer zu machen und nur beste Arbeit zu höchsten Preisen zu liefern.

Wahrhaftig William Rossetti sagt nicht zu viel: Je mehr man darüber nachdenkt, umsomehr ist es zu verwundern, dass drei Jünglinge, fast Knaben, alle drei mit grossem Leichtsinn des Herzens und gänzlicher Missachtung des Aeussern ... eine so ernste Bewegung wie die des Präraphaelismus unternahmen, und dass, in der Richtung dieser gleichen Bewegung, andere Jünglinge von verwandter Geistesstimmung eine so breite und tiefe Umformung und Neubelebung der ganzen dekorativen Kunst durchsetzten, als wie der blosse Name »Morris and Comp.« sie darstellt ...

Und bei der ersten dieser beiden Kühnheiten war Rossetti unstreitig die Hauptperson. Bei der zweiten aber war er, seinem Bruder zu glauben, vielleicht nicht durchaus Primus inter pares, aber gewiss auch nulli secundus.

III.

Eine andere Frage ist freilich, was Rossetti für sich gewann durch seine Beschäftigung in der Firma Morris.

Natürlich hatte er hier nur Entwürfe zu liefern. Und das war allerdings gewiss sein Glück. Denn dazu war seine erfindungsreiche rege Phantasie allerzeit bereit. Aber handwerkliche Förderung, die er so nötig hatte, erfuhr er in diesem Zusammenhang mit Handwerkern am wenigsten. Auch tritt um diese Zeit die Dichtung wieder stark bei ihm in den Vordergrund. Er wurde in dieser Bevorzugung bestärkt durch den Beifall, den seine Poesie immer mehr fand. Schon bemühten sich die Zeitschriften um seine Beiträge, und Swinburne, das stärkste Talent der modernen englischen Dichtung, wurde sein begeisterter Verehrer.

Rossettis Dichtung, äussert sich Swinburne, hat die vollste Inbrunst und Kraft des Impulses, und der Impuls geht immer auf Harmonie und Vollendung hinaus. Ihm ist die unnachahmliche Note des Instinkts zu eigen, eines hohen und unverirrten Instinkts ...

Und die besondere persönliche Färbung der Rossetti'schen Dichtung charakterisiert Swinburne also: Ein starker Einfluss auf des Dichters Geist ist unverkennbar. Durch Ton- oder Visionsreiz, durch Farben- oder Traumzauber zog es ihn zu christlichen Gestalten und Bildern. Aber es war der Hauptsache nach nur die mythologische Seite der Religion, die Macht auf ihn übte. Allein unter allen grösseren Künstlern seiner Zeit hat Rossetti den rein sinnlichen Reiz des Christentums empfunden und in seiner Dichtung zum Ausdruck gebracht, in einer Weise, die die vollste Unbekümmertheit ums Dogmatische verrät.

Rossetti war eben kein Engländer. Das kommt schon in einer Aeusserlichkeit seiner Malerei zum Ausdruck. In keiner Art Malerei sind die Engländer so gross wie in der Landschaft. Rossetti scheint die englische Landschaft nie angesehen zu haben. Das Landschaftliche vernachlässigte er ganz. Wie die grossen Meister der Renaissance hält er sich ausschliesslich an den Menschen.

Er will ein Engländer sein, aber wie sehr er sich dies auch einredete, in seinem geheimen und unbewussten Wesen war er ein Italiener und romanischer Katholik.

Das heisst aber nicht, im ethischen Sinn des Wortes ein Christ sein. Kirche und Christentum sind nicht identisch. Der Katholik, der romanische Katholik, hat ein anderes Verhältnis zum Christentum als der Protestant. Dieser bleibt meist auch dann ein Christ, wenn er allen äussern Zusammenhang mit seiner Kirche aufgegeben, wenn er alte Dogmen als absurd verworfen hat. Das Christentum liegt nicht in Dogmen.

Viel leichter als der Protestant wird der romanische Katholik ein Antichrist. Und darum sehen Italiener und Franzosen, so frei sie in religiösen Dingen sein mögen, im Protestantismus keine Freiheit, keinen Fortschritt. Die Ungläubigsten unter ihnen sind fast noch stolz auf die Kirche. Sie wollen die Kirche nicht, sie brauchen sie nicht, aber wenn sie wählen sollten zwischen ihr und dem Protestantismus, würden sie die Kirche vorziehen. Sie hassen vielleicht die Kirche von heute, und die Kirche von gestern; aber die ganze Kirche, das Ideal der Kirche finden sie doch gross und schön, und finden sie besonders schön durch das, was ihr der Protestantismus zum Vorwurf macht; sie lieben an der Kirche ganz besonders: dass sie den Paganismus nicht ausgemerzt, sondern dass sie ihn beibehalten und nur durch das Christentum vergeistigt hat; und dass sie hinwiederum durch den Paganismus dem jüdischen Christentum Form und Farbe verliehen und seinen orientalischen Geist aufgelichtet und aufgehellt hat zur grösseren Freiheit und Freudigkeit.

In einem solchen Verhältnis zur Kirche denke ich mir Rossetti.

Dem deutschen Protestanten freilich wird es schwer, eine derartige Liebe zu begreifen. Er sieht in der Kirche immer nur das Prinzip der geistigen Unfreiheit, immer nur die gehasste politische Institution, die sie ja ist. Als das andere, was sie noch ist, vermag er sie nicht zu fassen, nämlich als den Inbegriff eines unendlich reichen Formenschatzes und Mythenschatzes, in denen der Geist alter Volksreligionen lebendig ist, wenn auch in bloss schlummerndem Zustand, bis auf den heutigen Tag. Man braucht nur, von allem Ferneren abgesehen, an die deutsch-heidnischen Mythen und Gebräuche zu denken, die von der Kirche sanctioniert und, zuletzt dem deutschen Protestantismus zum Trotz, bewahrt worden sind.

Der Protestantismus macht immer der Kirche den Vorwurf, kein reines Christentum zu sein; er hat sie aber noch nie gefragt, ob sie das überhaupt sein will.

Rossetti ist in keine Kirche gegangen und hat keinen Priester gebraucht, und so findet ein deutscher Kunsthistoriker einen Widerspruch zwischen seinem Leben und seiner Dichtung, und findet gewisse »fromme« Bilder und Gedichte Rossetti's nur »dichterisch empfunden«, nicht »seelisch selbst erfahren« – was mir übrigens ein Contradictio in adjecto zu sein scheint. Aber davon abgesehen, braucht man doch wahrhaftig nicht notwendig ein »praktizierender« Katholik zu sein, um Madonnenkult und Heiligenverehrung, um Wallfahrtsgelübde und sakramentale Opferhandlungen, selbst wenn sie uns in verrohter Form und noch so engpfäffischer Auslegung entgegentreten, ausser als Dogmen noch als Symbole zu begreifen, als rein menschliche und unmetaphysische Symbole, als einfache religiöse Idealisierungen und Poetisierungen von durchaus irdisch-dieseitigen Bedürfnissen des menschlichen Herzens.

Es ist aber wahr, dass der Protestantismus einem solchen Begreifen wenig entgegen kommt, und hier schaut bei Rossetti der Katholik und Italiener deutlich heraus, der sich einen Mythus nicht durch ein ihm angehängtes Dogma stören lässt, und dem eine christliche Form, hinter der eine heidnische Uridee hervor blickt, dadurch nicht verleidet wird.

Ein ganzer Christ, ein protestantischer Christ war Holman Hunt; er predigt in jedem seiner Bilder ethisches Christentum. Rossetti predigt überhaupt nicht. Er malt einfach seine Stimmungen.

* * *

Ich komme auf Rossetti den Maler zurück. Wenn dieser, trotz seines verhältnismässig geringen »Malenkönnens« dennoch Bilder gemalt hat, die den Geweihtesten der Kunst im höchsten Grad zum Entzücken gereicht haben und noch gereichen, so konnte er das nicht nur durch sein hohes geistiges Künstlertum, sein Poetentum, seine zarte sublime Phantasie: es musste ihm ausserdem das holde Glück zu Hilfe kommen. Denn das gehört auch mit zum Wesen des Genie's, dass es Glück hat. Eine geheimnisvolle Wahlverwandtschaft verknüpft beide mit einander, Cäsar und sein Glück. Es war das immer der fatalistische Glaube der Grossen. Die Elenden und Impotenten freilich glauben nicht daran.

Wie sich Verstand und Glück verketten,
Das sehn die Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
Der Weise mangelte dem Stein.

Und dem neuen Dante, dem Neudichter der Vita nuova, im Wort und im Bild, erschien das Glück fast selbstverständlich als Beatrice, als Beata Beatrix. In doppelter Gestalt, in zwei ausserordentlichen Frauen-Verkörperungen, in zwei Menschenblüten von vergeistigter Schönheit und Seltsamkeit erschien es ihm, und wurde durch sie sein Halt, seine Kraft, sein Vermögen.

Hätte Dante Alighieri ohne die Beatrice je Himmel und Hölle durchwandert und ihre Schrecken und Seligkeiten der Menschheit auf Erden in seinen Terzinen kund gethan! Man kann sich Dante ohne Beatrice nicht denken. Und noch weniger kann man sich Dante Rossetti in seiner künstlerischen Entwicklung und Physiognomie denken ohne Elisabeth Siddal und Mrs. Morris.

Noch in einer dritten, etwas schulmeisterlichen Gestalt erschien Rossetti das Glück: in John Ruskin, der viel an ihm nörgelte, was wenig genützt hat, der ihm aber auch, was sehr viel genützt hat, durch Jahre hindurch alle seine Sachen abkaufte, ihm und der Mss. Siddal, wodurch Rossetti vielleicht allein über Wasser gehalten wurde.

Von John Ruskin und seinem starken Einfluss auf die Präraphaeliten in christlich-puritanischer Richtung war bereits in einem besondern Artikel die Sprache. Hier mögen endlich die Frauengestalten und mit ihnen der Zauber der Schönheit und der Liebe auf dem Plan erscheinen.

* * *

A silence falls upon my heart
And hushes all its pain.
I stretch my hands in the long grass,
And fall to sleep again,
There to lie empty of all love
Like beaten corn of grain.

Diese Verse sind nicht nur eine Probe von dem dichterischen Talent der Miss Elisabeth Eleonor Siddal, sie charakterisieren zugleich überraschend ihre ganze Erscheinung.

Lizzie Siddal wurde in einem Putzmachergeschäft entdeckt. Ein Freund Rossettis sah sie dort und gewann sie als Modell. Sie war auch wie gemacht für einen Präraphaeliten. Ihre schlanke schmalbrüstige Gestalt, ihre geschwächte Gesundheit, die ihr ein vergeistigtes Aussehen verlieh, dazu ein schöner sinnlicher Mund, ein paar grosse, starr-traumhaft blickende, grünliche Augen unter streng gezeichneten Lidern, und vor allem ein reiches goldigrotes Haar, unter dessen Last sich ihr weisser Nacken zu beugen schien: man braucht sich nicht zu verwundern, wenn der zweiundzwanzigjährige Rossetti in ihr etwas sah wie den Körper zu den Seelen seiner heimlichen Träume, also dass sie sehen und sie lieben in eins zusammenfiel.

Es war eine grosse und wahre Liebe. Die Erscheinung des Mädchens hatte auch andere begeistert. Sie hatte verschiedenen der Freunde als Modell gedient. Aber um ihre Seele hatte sich niemand gekümmert, wie sie klagte.

Das that Rossetti, der sie liebte. Und im Sonnenstrahl seiner Liebe erblühte in ihr ein neues geistiges Leben, entwickelten sich Keime ungeahnten Talents, bildnerischen und dichterischen, dass sie alle Welt, die Frauen nicht ausgenommen, bezauberte, dass selbst der strenge Ruskin sich fast in sie verliebte.

Rossetti konnte nicht mehr ohne sie leben. Sie wurde nicht nur seine Muse, sie wurde auch sein Glück. In eine bürgerliche Verbindung mit ihr trat er erst sehr spät, erst nach 10 Jahren, wahrscheinlich aus äussern Gründen; aber als sie ihm dann kurz darauf durch den Tod entrissen wurde, da wollte er verzweifeln, und da beging er, einem plötzlichen Impulse seines Schmerzes folgend, jene symbolische Handlung, die so charakteristisch ist für ihn: er legte ihr den Manuskriptband aller seiner Gedichte, die Blüten seiner Liebe und Leidenschaft, in den Sarg und liess sie mit ihr begraben.

Und was mag das später, nach vielen Jahren, für ihn eine schmerzensvolle und schauervolle Nacht gewesen sein, als die Freunde, mit seiner Erlaubnis, das Grab der Geliebten öffneten, um die mitbegrabene Seele, um die Gedichte wieder herauszuholen!

Der Gedanke an Dantes Beatrice liegt zu nahe. Auch diesen neuen Dante vermochte nur die Geliebte sicher durch Himmel und Hölle zu führen, den Himmel und die Hölle der Kunst und das dazwischen liegende Fegfeuer obendrein. Nur durch sie, nur durch ihr körperliches Erscheinen gewannen seine Traumbilder bleibende Gestalt. Ihre lange weisse Hand, ihr kühngeschwungener Nacken, ihr süsser Mund, ihr tiefes Auge, die leuchtende Glut ihres Haares: ihr ganzes Selbst lieh sie seinen Bildern; sie wurde mit der Zeit buchstäblich, was er zuerst mystisch empfand: sie wurde der Körper von den Seelen seiner Träume.

Selbst noch lange nach ihrem Tode erlebte sie in seinen Bildern immer wieder neue Auferstehungen, die berühmteste in »Dantes Traum«, Rossettis erschütterndstem Bilde.

Aus der leiblichen Verbindung der beiden ging ein einziges totgeborenes Kind hervor. Ihrer geistigen Verbindung erwuchsen viele Kinder. Und sie waren gewiss lebendig. Und lange werden sie lebendig bleiben. Aber Elisabeth Siddal's schwache körperliche Gesundheit, bei unverhältnismässig hoher geistiger Kraft, wurde doch auch für sie wie zu einer symbolischen Vorbedeutung: sie sind alle, diese bildnerischen Produkte, bis zu einem gewissen Grad schwach im Körperlichen und stark in Geist und Gedanken, in Sinn und Phantasie ...

Nicht nur so weit das Körperliche von der Maltechnik, vom Malenkönnen abhängt, ist es vernachlässigt; nicht nur ist in der Nachbildung von Stoff und Haut und Haar nur eine geringe täuschende Wirkung angestrebt: auch in der Zeichnung, in der ganzen Auffassung des Körpers als solchem scheint ihm wenig Wert und Bedeutung beigelegt.

Nicht der physische Mensch, nicht das schöne menschliche Tier zieht ihn an, sondern der innere Mensch, die Seele des Menschen. Er ist unbekümmert um schöne körperliche Formen. Nur um den seelischen Ausdruck ist es ihm zu thun.

Und darum ist er ewig auf der Suche allein nach der Art von Schönheit, die diesen Ausdruck in hohem Grade an sich trügt.

Ja es ist ihm vielleicht überhaupt nur darum zu thun, die Stimmung seiner eigenen Seele zu malen, seine Träume, seine Visionen, seine innern Andachten. Diese geistigen Werte dünken ihm schöner, als die schönsten Arme und Schultern. Nur auf die Hände verwendet er grosse Sorgfalt; denn sie, mit dem Auge zusammen, sind, wenigstens für den Maler, vor allem die Ausdrucksformen der Seele, die Worte der Seele.

In diesem Sinn ist die Beurteilung Rossettis als eines italienischen Katholiken einzuschränken. In diesem Sinn muss man ihn fast einen Protestanten nennen, einen Menschen des Nordens. Niemals hätte er in Italien so gemalt wie in London. Dazu musste seine Kunst erst hamletisch von des Gedankens Blässe angekränkelt, erst von dem Hauch des nordisch protestantischen Christentums berührt werden.

Erst dadurch, erst durch diese Vermählung südlichen und nordischen Blutes, kam das heraus, was diesem Malerpoeten seinen besondern Duft, seine eigentümliche, durchaus einzige narkotische Kraft verleiht.

* * *

Sinnlich-kräftigere, freudigere Gebilde verdankt Rossetti seinen Beziehungen zu einer andern, noch wunderbareren Frau.

Im Jahre 1855 wurde Rossetti nach Oxford berufen. Dort sollte er, mit seinen Freunden zusammen, die Wände des neugebauten Museums mit Fresken bekleiden.

Aus dieser Freskenmalerei wurde nicht viel, es fehlte diesen Malern dazu alles nöthige Wissen und Können. Die Bilder verblassten fast schneller als sie gemalt wurden.

Aber Rossetti gereichte dieser Oxforder Aufenthalt zum grössten Gewinn. Er wurde hier wieder einmal das Haupt einer Künstlergesellschaft. Er lernte Swinburne, Morris und Burne-Jones kennen. Er bekräftigte Burne-Jones in seinem Entschluss, Maler zu werden und gewann sich damit seinen bedeutendsten und erfolgreichsten Schüler und Anhänger.

Und er machte die Bekanntschaft der seltsamsten und ausserordentlichsten Frauenschönheit, die wohl in England zu finden war: der Mss. Burden, der nachmaligen Frau seines Freundes William Morris.

Das war in Anbetracht seiner Kunst das glücklichste Ereignis seines Lebens. Seine solidesten und zugleich ergreifendsten Malereien sind von ihr inspiriert. Durch die begeisternde Magie ihrer Schönheit erreichten seine Bilder die höchste sinnliche Kraft, deren seine zartgeistige Natur fähig war. Besonders in seine Farben kommt jetzt ein Glanz, eine Leucht-Kraft, die fast an die schönste farbenfreudigste Zeit der Frührenaissance erinnert.

Auf diesen Bildern beruht sein Anspruch auf Unsterblichkeit.

William Rossetti, der gern über Mrs. Morris spricht, schildert den Ausdruck ihres Gesichts als zugleich tragisch und mystisch, leidenschaftlich und ruhig, schön und anmutig, nicht dem herkömmlichen englischen Geschmack entsprechend, der sich nur an das hübsche, »pretty«, hält statt an das wirklich Schöne und Stolze, überhaupt keinem englischen Frauenkopf, sondern nur dem einer junonischen Griechin vergleichbar.

Ihre schwere üppig gewellte Haarfülle war fast schwarz mit einem blau schillernden Glanz.

Vollkommener als in irgend einem andern fand Rossetti in diesem Frauenkopf das Ideal, das seinem künstlerischen Suchen entsprach, das, mit seinem geheimnisvollen und unerschöpflichen Inhalt, seine Phantasie belebte, seine Kräfte steigerte.

Ihre Züge einfach wiederzugeben war schon schwer, ihre Rätselhaftigkeit zu übertreffen unmöglich. Wenn man nur ihren flüchtigsten Ausdruck festhielt, so stand man schon hoch in der Region des Typischen oder Symbolischen. Diesen Kopf zu idealisieren gab es nur ein Mittel: ihn zu realisieren.

So meint William Rossetti. Und mit ihm sind wir überzeugt, dass seinem Bruder gelang, was wenig Malern gelungen wäre: dass er diesem erstaunlichen Kopf vollkommen gerecht wurde.

Und auch darin stimmen wir mit ihm überein: Wenn Rossetti weiter nichts hinterlassen hätte, als die ideale und zugleich sehr reale Umschreibung dieses einzigartigen Typus von Frauenschönheit, so würde er schon dadurch für immer in den Annalen der Kunst weiter leben.

Aus seinen mächtigsten und ergreifendsten Bildern sehen uns ihre Züge an: aus der unheimlich schönen Lilith, wie aus der seligträumenden Beata Beatrix; aus der weltlich-eitlen Bella Mano wie aus der fromm-unschuldsvollen Sancta Lilias; aus der prophetisch-tiefsinnigen Sibylla Palmifera, wie aus der orientalisch-üppigen, grauenhaft-leidenschaftlichen Astarte Syriaca. Und aus zwei Bildern sehen sie uns, diese Züge, in seltsamen Verschiebungen und Widerspiegelungen, gar dreimal an, dreimal aus jedem, aus dem lieblich anmutigen, fernher an Botticelli erinnernden Blessed Damozel und aus der einzigen, mystisch-symbolischen Rosa Triplex ...

IV.

Fast alle diese Bilder sind im Original sehr wenig bekannt. Rossetti hat nach seinen ersten Erfahrungen nicht mehr ausgestellt. Er war durch nichts dazu zu bewegen. Er kannte nur zu gut seine Schwächen, die in der technischen Ausführung lagen, und wodurch er vielen nachstand; er kannte aber auch seine Stärken und Vorzüge, die er mit niemand teilte, und er war zu nervös, um sich den Nörgeleien einer kleinlichen Kritik aussetzen zu mögen.

Und wenn er auch den Ruhm liebte, so war ihm der »Ruf« dafür um so gleichgiltiger. In seiner Flucht vor der Publizität hat er in seinem Jahrhundert nur einen Genossen, Felicien Rops, bei dem aber die Sache einen andern Sinn hat. Ich glaube nicht, sagt Edouard Rod, dass in der ganzen Geschichte der Kunst etwas so seltsames wieder vorkommt, wie diese absolute Zurückgezogenheit eines jungen Künstlers, der während dreissig Jahren, ganz ungekannt von der Menge, auf eine nicht unbeträchtliche geistige Elite seines Landes eine Art heimliches Königtum ausübte.

Im Jahr 1877 wurde er dringender als je eingeladen, in der Grosvenor Gallery auszustellen, wo sich Burne-Jones, der dem Geschmack gewisser Kreise besser entgegen zu kommen wusste, rasch einen glänzenden Namen gemacht hatte. Rossetti lehnte ab. Was mich zurückhält, äusserte er, ist einfach das lebenslängliche Gefühl von der grellen Ungleichheit zwischen Erstrebtem und Erreichtem.

Das klingt bescheiden genug.

Doch lag auch eine gewisse nervöse Empfindlichkeit zu Grunde. In diesem Punkt war er ebenfalls nicht Engländer – wie er denn auch nie körperliche Uebungen gepflegt und geliebt hat. Er ist der einzige bedeutende Maler, von dem mir bekannt geworden ist, dass er die Musik hasste. Ihre Wirkung war ihm zu stark für seine feinen Nerven. Er nannte sie aufdringlich und beleidigend.

Und so konnte ihn auch die Kritik leicht sehr schmerzlich verletzen. Eine that es besonders. Als er im Jahr 1870 seine wiederausgegrabenen Gedichte veröffentlichte, da wurden sie von Herrn Robert Buchanan der prüden englischen Meinung und gesellschaftlichen Sittenpolizei als unsittlich denunziert, als »eine Schule der fleischlichen Lust«. Diese hämische Kritik traf Rossetti ins Herz. Sein ganzer Lebensabend, ohnedies durch Krankheit bereits düster geworden, wurde ihm damit vergiftet.

In England hat man es immer verstanden, (und ich weiss noch ein zweites Land so) die hochheilige Moral dazu zu gebrauchen, grossen Männern damit das Leben zu verbittern.

Wenn das Moral ist ... Wenn das die hohe englische Kultur ist ...

Selbst ein Mann wie John Ruskin unterlag dieser nationalen Schwäche. Sie scheinen mir, schreibt er an Rossetti, unter allen Malern, die ich kenne, das meiste Genie zu haben und so viel ich beurteilen kann, sind Sie auch ein guter Mensch.

Ein andermal nennt er Rossetti die oberste intellektuelle Kraft in der modernen künstlerischen Bewegung, die den Geist der modernen Kunst gehoben und gänzlich verändert hat.

Und wieder äussert er sich: Man muss es Rossetti liebend in Erinnerung behalten, dass er der einzige unserer modernen Maler war, der die Schüler (der Arbeitsschule) aus Liebe zu ihnen belehrte. Rossetti war in Wahrheit kein Engländer sondern ein grosser Italiener, gequält im Inferno von London, das Beste thuend, was er konnte, das Beste lehrend, was er wusste ...

Eine höhere Moral kann man einem Menschen nicht zugestehen.

Aber Ruskin muss sein Christentum auch hier ellenlang heraushängen. Denn leider, meint er, war Rossettis Können geschwächt durch die Stärke seiner animalischen Leidenschaften, und sein Leben war, (das konnte ihm Ruskin nie verzeihen) ohne führenden Glauben.

Wir aber haben bei Rossetti das Gegenteil gesehen: nicht eine zu starke oder zu derbe Sinnlichkeit, sondern eine zu einseitige und sublimierte Geistigkeit bildete die hemmende Schwäche in dem Complex seiner hohen Talente.

* * *

So lang in Frankreich, in Malerei und Litteratur, der Naturalismus unbedingt herrschte, wurde die englisch-präraphaelitische Bewegung entweder nicht beachtet oder durchaus geringschätzig beurteilt. Dieses Schicksal teilte auch Dante Rossetti. Die Revue des deux Mondes brachte 1858 einen langen Artikel von Delaborde, der von wegwerfenden Urteilen strotzt. Die Franzosen konnten von ihrem damaligen Gesichtspunkt aus gar nicht anders urteilen. Sie hatten in der Malerei, in dem was darin handwerkliche Kunst ist, so gewaltige Fortschritte gemacht, so erstaunliche Leistungen aufzuweisen, dass ihnen die Präraphaeliten wie Kinder vorkommen mussten.

Aber da drang, von dem vlämischen Norden her, der Symbolismus und der Mysticismus in die französische Litteratur ein, und in der französischen Malerei erstand ein Künstler, der Rossetti fast verwandt war, Gustave Moreau.

Und überhaupt hatte sich die impressionistisch-technische Evolution erschöpft. Man hatte in der Wiedergabe des zitternden Sonnenscheins, der flimmernden Dämmerung, der wogenden Nebel, der ins unendliche gebrochenen Farben das menschenmögliche geleistet und hatte zuletzt erkannt, dass mit dieser ganzen Kunst, die so viel Schweiss der Redlichen gekostet hatte, doch nur die Haut der Dinge zu packen sei und nicht auch die Seele der Dinge.

Man fing aber an, sich wieder zu sehnen nach der Seele der Dinge.

Und man sehnte sich zugleich wieder nach der Linie, die fast verloren gegangen war, die, selber wie eine arme Seele, sich verflüchtigt hatte in all dem Lichtergeflirr und Farben-Töne-Geschwummer.

Man sah auf einmal die Präraphaeliten mit andern Augen an Edouard Rod wusste die Revue eines bessern zu belehren. Rossetti hat begriffen, äussert er sich, dass in einer Zeit, wo die Cultur ein einseitig geistiges Gepräge hat, auch die Malerei der herrschenden Strömung folgen und sich ein anderes Ideal erobern muss als das der reinen Form, und dass dieses Ideal kein anderes sein kann als das des Ausdrucks. Er hat erkannt, dass die ruhigste Haltung, dass die unmerklichste Geste durchaus vereinbar sind mit dem höchsten Grad von innerem Leben. Er hat der Kunst Eigenschaften wiedergegeben, die sie seit der Renaissance verloren hatte.

Welcher Dichter, welcher Künstler, ruft ein anderer Franzose aus, hat je eine so tiefe, eine so leidenschaftliche Sprache geredet! Sein Werk, seine Kunst ist voll von mystischen Beziehungen, von übersinnlicher Kraft, von sanfter Melancholie. Es ist eine halb religiöse, halb profane Kunst, eine Kunst, die die letzte Grenze des wörtlich oder plastisch Ausdrückbaren erreicht und dies allein durch den hohen Wert der Seele, deren Spiegel sie ist, und ganz unabhängig von den technischen Mitteln, die oft ungenügend und manchmal geradezu verfehlt sind. Es ist eine Kunst, die die fernsten kulturellen Offenbarungen verknüpft und verschmilzt, die neubelebte, halb christliche, halb heidnische Begeisterung Dantes, des grössten Visionärs aller Zeiten, und das unruhige, ungewisse, nervöse Suchen des modernen Menschen nach dem Ideal. Es ist eine Kunst, die einfältig-naive Gestalten aus fast kindlicher Seele schafft und in nordisch-religiösen Mystizismus taucht, während zugleich die heisse Leidenschaftlichkeit der reinen romanischen Rasse aus ihr züngelt.

Und wahrhaftig eine erschöpfendere, eine tiefere, eine wahrere Formel für Rossettis Kunst wird sich nicht leicht in Worte fassen lassen.

* * *

Die stark geistige Seite in Rossettis Kunst hat ein deutscher Kritiker missverstanden, wenn er dieselbe mit der deutschen philosophirenden Kunst und Aesthetik aus der Mitte des Jahrhunderts in eine Linie stellt. Die beiden unterscheiden sich wie Symbol und Allegorie.

Die Allegorie ist immer – nun sagen wir, ein Frauenzimmer, ein an sich gleichgiltiges Frauenzimmer; und allein durch ihre Attribute oder auch bloss durch eine Unterschrift sagt sie unserem Verstand, was sie vorstellen soll. Dieselbe weibliche Figur kann ein halbes Dutzend abstrakter Begriffe, z. B. Tugenden oder Laster, für unsern Verstand personifizieren.

Nicht so die symbolische Gestalt. Sie will durch ihre Erscheinung an sich sprechen. Sie will keinen Sinn haben, den der Verstand errathen könnte. Sie will uns nur ihre Seele zum Gefühl bringen. Sie will in uns, und zwar allein durch ihre sinnliche Erscheinung, eine Stimmung erwecken, eine ganz bestimmte, und diese Stimmung eben ist ihre Seele. Sie will uns ihre Seele suggerieren. Das allegorische und das symbolische Kunstwerk unterscheiden sich wie Verstand und Gefühl, wie Philosophie und Poesie.

Und so unterscheidet sich Rossetti von Cornelius und Kaulbach. Diese deutschen Künstler wandten sich an den Verstand, meistens sogar nur an den wissenschaftlich gerüsteten Verstand. Ihre Kunst wollte abstrakte Ideen vermitteln. Ihre Gestalten waren nicht ihrerselbst wegen da, sondern nur als Träger von verstandesmässigen Ideen, d. h. von Gedankenreihen, die allein der Verstand ergreifen konnte, die aber auch der Verstand erst in sie hineindeuten musste. Es waren also, wenn sie auch keine Attribute hatten, reine Allegorien, und wollten nichts anders sein.

Rossetti dagegen malt seine Gestalten ihrer selbst willen. Ihre Erscheinung an sich soll zu uns sprechen, nicht das was sie bedeuten. Er malt sie nur so, dass ihr geistiger Ausdruck, dass ihre Seele, die allem Lebendigen innewohnen muss, einen unendlich viel stärkern Eindruck auf uns macht als ihr Körper. Und dadurch allerdings unterscheidet er sich von vielen Malern ersten Ranges. Das ist sein ganzer Symbolismus. Er ist eigentlich sehr einfach. Und er ist durch aus gesund künstlerisch.

 

In der ganzen Zeit zwischen dem Vorwort und diesem Nachwort stand, wie ein unheildrohender Komet, am deutschen Himmel, »die Lex Heinze« welcher desshalb im Vorstehenden einigemal Erwähnung geschah. Einen lichten Schweif hatte das Ungeheuer gerade nicht, eher einen schwarzen und schmutzigen. Man hat ihn nun beschnitten, und alles freut sich. Es ist freilich an sich nichts erfreuliches, dass in einem Land, das sich zu den lichten zählt, ein derartiges Gespenst so lange ungestraft umgehen konnte. Aber alles ist relativ, und man kann jedermann dazu bringen, dass er sich freut, mit abgeschnittenen Ohren davon gekommen zu sein; man braucht ihn nur vorher die Leiter zum Galgen hinaufgestossen zu haben.


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