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So fein und kostbar war sie und von so zartem Teig und Korn, daß sie später sogar zu Paris in der besten Gesellschaft nicht wenig bewundert wurde und unter dem spaßhaften Spitznamen »Madame de Bussi« noch in den Anfängen der Revolution keine kleine Rolle gespielt hat, wie alle wissen, die die galante Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts etwas näher kennen. Wenn aber die Herren Puristen, worunter ich Leute verstehe, die sich aus den Buchstaben der Wörter sehr viel, aus ihrem Sinn aber mit seinen mannigfaltigen Färbungen, Tonwerten und Lichtbrechungen nur wenig machen – wenn diese Puristen, wollt ich sagen, vielleicht hier wieder einmal an der französischen Wortgestalt Anstoß nehmen sollten, so möchte ich Sie bitten, doch erst die Geschichte anzuhören; sie werden dann zugeben (wenn Puristen überhaupt etwas zugeben), daß es wirklich Fälle gibt, wo das sogenannte Fremdwort schlechterdings nicht vermieden werden kann, ohne daß der Sinn dumm wird.
Ein Purist aber, wenn gleich von anderer Art, nämlich moralischer, war auch jener Bischof von Chalons aus dem herzoglichen Hause von Choiseul, der zwar in seiner Jugend, als er noch der Abbé von Choiseul hieß, es so bunt trieb, wie nur einer aus seiner Gilde, später aber sich zum Jansenismus bekehrt hat, in dessen Namen er nun verpflichtet war, das Banner der Sittenstrenge, einer übermenschlichen und überchristlichen Sittenstrenge zu schwingen über alle Banner.
Dieser musterhafte Bischof hatte auch – nein, keine Magd – aber einen Neffen. Jeder französische Bischof von damals pflegte einen zu haben. Derjenige unseres würdigen Prälaten aber war der junge Marquis von Choiseul-la-Baume, der jedoch keineswegs in den Fußstapfen seines heiligmäßigen Onkels wandelte. Er neigte vielmehr sehr, trotz seiner persönlichen Armut, zu allerlei luxuriösen Liebhabereien und war außerdem ein wenig das, was man einen kleinen Taugenichts nennt. Das schmerzte natürlich den Bischof nicht wenig, denn da der junge Marquis zu seinen Hausgenossen gehörte, befürchtete er mit Recht, daß der allzu lose Lebenswandel des Jünglings einigermaßen dem Onkel zur Last gelegt werde, wovon dann sein Heiligenschein leicht eine ärgerliche Trübung erfahren konnte.
Er ließ es darum an weisen Ermahnungen nicht fehlen, aber da dieselben bei dem losen Vogel von Neffen durchaus in den Wind gesprochen waren, ließ er zuletzt den Dingen ihren Lauf, still auf den lieben Gott vertrauend, der gewiß eines Tages mit der Kraft seiner Gnade dazwischentreten werde. Unterdessen, und daraus sieht man, daß es ein menschlicher Jansenist war, liebte er den hübschen Neffen deswegen nicht weniger, denn es war nun einmal sein einziger Neffe, und das Blut hat dortzuland immer, und besonders in jenem Jahrhundert, bei allen Wohlgeborenen eine mächtige Sprache geredet.
An diesem sonst allzeit lustigen Jüngling bemerkte nun der Bischof eines Tages eine gewisse Niedergeschlagenheit, und gütig fragte er ihn nach dem Grund seiner trüben Stimmung, worauf der junge Marquis gestand, daß er in der Stadt, in der Gasse des Hl. Antonius, eine Cafetière gesehen habe, im reinsten Stil Louis quinze und von solcher Schönheit, daß ihm nun sein Herz daran hänge; aber sie sei sehr teuer.
»Was soll sie denn kosten?« fragte der Onkel.
»Hundert Louisdor verlangt die alte Hexe, die sie zu verkaufen hat.«
»Wie,« rief der Bischof entsetzt, »fünfundzwanzighundert Lires für ein Gefäß des täglichen Gebrauches.«
»Täglichen Gebrauches,« seufzte der Neffe.
»Heißt es nicht Gott lästern,« fuhr der Bischof fort, »für eine erbärmliche Eitelkeit so sündhafte Summen wegzuwerfen? Nein, mein lieber Neffe, das ist zu viel, schlage dir diese Cafetière aus dem Sinn, sie ist wirklich zu teuer.«
Es ist nun nicht festzustellen, ob der Marquis sich wirklich Mühe gegeben hat, seine Cafetière zu vergessen, aber wenn er es getan hat, war's vergeblich. Das merkte der Bischof nur zu gut, und da bald der sechste Dezember herannahte, wo er sein Fest feierte, denn er hatte zum Patron den Hl. Bischof Nikolaus, wollte er sich den Tag nicht mit der Leichenbittermiene des lieben Neffen verderben lassen. Also sagte er »in Gottes Namen« und gab seufzend die hundert Louisdor dem Marquis, der nun wieder strahlte wie ein Cherubim, am zweiten und dritten Tag noch mehr als am ersten. Der fromme Bischof aber, wiewohl so eitlen Dingen tief abgeneigt, hätte die kostbare Cafetière nun doch auch gern einmal gesehen. Der Neffe suchte auszuweichen. »Lieber Onkel,« sagte er, »Ihr würdet vielleicht erst recht finden, daß sie zu teuer bezahlt ist, warum wollt Ihr Euch den Aerger machen. Es könnte Eurer werten Gesundheit schaden.« Doch der Bischof ließ sich damit nicht abspeisen.
»Morgen ist mein Fest,« sagte er, »da könnte mich sogar der liebe Gott nicht ärgern. Und zu schenken hast du mir doch nichts, du Schlingel, also zeige mir morgen deine Cafetière.«
Nun denn, dachte der gottlose Marquis bei sich, er soll sie sehen, da er es nicht anders haben will. Wenn er sich darüber zu Tode ärgert, ist es seine Schuld, und ich bin sein Erbe. Und am andern Vormittag, als der Bischof von dem hoch feierlichen Pontifikalamt im vierspännigen Wagen in seinen Palast zurückkehrte, und da er noch nüchtern war, eiligst nach seinem privaten Frühstückszimmer eilte, fand er dort die kostbare Cafetière bereits aufgesetzt. Und zwar stand sie nicht auf dem Tisch, sondern auf einem Stuhl saß sie, und nicht wenig errötend erhob sie sich zusammen mit dem Neffen, als der Bischof eintrat, der nun erfuhr, daß in den Kaffeehäusern beide, die zierlichen Gefäße sowohl, aus denen der Kaffee geschenkt wird, wie auch die noch zierlicheren Personen, die ihn einschenken, mit dem gleichen Namen benannt zu werden pflegten.
War das eine Namenstags-Ueberraschung! Aber zu Tode geärgert hat sich der Bischof nicht. Er hat nach der ersten Verblüffung sogar herzlich gelacht, denn er war alles in allem doch achtzehntes Jahrhundert, und der Jansenismus und die überchristliche Sittenstrenge war für ihn eben nur ein Banner, womit man politischen Wind macht, wenn man sie schwenkt über den Köpfen der Menge. Und nun sagt, ob ich nicht gleich anfangs recht gehabt habe, wenn ich meinte, daß es Dinge gibt, die man gut tut, lieber nicht, wenigstens nicht ungeschickt, in unser geliebtes Deutsch zu übersetzen.
* * *
Wie einige Jahre später die kostbare Cafetière Karriere machte zu Paris, wurde bereits angedeutet; es war eine Zeit, d™ie sich dem Emporkommen von Cafetièren besonders günstig zeigte, und wenn man genauer hinsieht, hat es vielleicht noch gar keine Zeit gegeben, die diesen holden und kunstreichen Geschöpfen ernstlich ungünstig war. Von Einer, besonders, wäre vielleicht noch ein Wort zu sagen, da aber streng genommen keine rechte Novelle darin steckt, so habe sie auch keine Nummer und keinen Titel; die Heldin berichtet selber:
Ich will nun erzählen, wie ich Seiner geheiligten Majestät zum erstenmal vor Augen kam. Ich war noch nicht ganz neunzehn, aber schon bereits zwei Jahre mit dem Unterpächter der Steuern, dem Herrn Lenormant vermählt, den man auch den Herrn von Etiolles nannte, weil ihm das schöne Schloß Etiolles nahe bei Versailles zu eigen gehörte.
Auf diesem Schloß verlebten wir in jenem Jahr zum erstenmal die schönen Herbsttage zur Zeit der großen königlichen Jagden in den Wäldern von Sénart, an die unser Schloßpark angrenzte. Der König hatte von meiner Schönheit viel Rühmens gehört, denn alle Welt sprach davon, und da Herr von Etiolles einflußreiche Freunde bei Hof besaß, erhielten wir eines Tages die Einladung zu diesen Jagden. Man kann sich denken, wie mir das Herz klopfte; ich liebte den König schon, obwohl ich ihn nie mit eigenen leiblichen Augen gesehen hatte, und meine Mutter hegte in Hinsicht auf den König so ehrgeizig-phantastische Pläne, vor denen mir zwar schwindelte, denn ich war trotz meiner zweijährigen Ehe noch ein rechtes Kind, die ich aber doch nicht anhören konnte, ohne mich unendlich geschmeichelt zu fühlen. An ihre Möglichkeit konnte ich freilich um so weniger glauben, da mein armer Vater, der zu Paris ein großes Handelsgeschäft mit Getreide und anderen Lebensmitteln betrieben hatte, wegen angeblicher Fälschungen zum Galgen verurteilt und nur mit knapper Not zur lebenslänglichen Verbannung begnadigt worden war. Meine Mutter aber sagte mir, nicht ohne giftige Vorwürfe, daran zu denken sei eine kindliche Albernheit, diese Sache sei bereits längst vergessen, und der König besonders habe wahrscheinlich überhaupt keine Ahnung davon. Die Einladung zur königlichen Jagd aber entzündete die Phantasie meiner guten Mutter zu flammend leuchtenden Zukunftsbildern.
Herr von Etiolles – er war sehr reich – hatte mir einen weißen Zelter geschenkt, dazu trug ich ein leuchtend blaues Reitkleid mit silbernen Stickereien am Mieder und einen ebensolchen Hut nach der Art Heinrichs des Vierten, mit drei weißen Straußenfedern. Dieses Kostüm hätte bei jeder andern Gelegenheit einen etwas theatermäßigen Eindruck gemacht, aber auf der Jagd im herbstlichgelben Walde und beim Gekläff der Meute und dem Halali der Jagdhörner, nahm ich mich gut darin aus. Mein einziger Gedanke aber war, ob der König mich sehen werde.
Es war ein goldig schöner Tag, und wir wußten, der König werde im Freien sein Frühstück nehmen. Darauf setzte ich meine Hoffnung. Nur wußten wir den Ort nicht. Aus dieser Verlegenheit half uns mein Vetter, Herr Binet, der Herrn von Etiolles die Nachricht überbrachte, daß der König mich zu sehen wünsche, was meinem Gemahl nicht wenig schmeichelte.
Wir kamen nun bald an den Ort, wo der König frühstückte. Es war eine große Tafel in Hufeisenform aufgerichtet für die hohen Gäste, der König saß in der Mitte der äußeren Peripherie neben der Herzogin von Chateauroux, mit der er sich gut zu unterhalten schien. Wir waren von unseren Pferden gestiegen und näherten uns auf einen gewissen Abstand. Der König warf mir einen erstaunten Blick zu, er hatte mich erkannt, Herr Binet, der sein Leibapotheker war, hatte ihm mein Kostüm beschrieben. Aber noch ein anderer Blick traf mich, er kam aus den schwarzen Augen der Chateauroux, man weiß, welche Rolle sie bei dem König spielte, und dieser zweite Blick verkündigte mir Unheil; denn der König, eingeschüchtert von dem zornfunkelnden Auge seiner Geliebten, deren Tyrannei er sich seit Jahren vergeblich zu entziehen trachtete, wagte es nicht, noch einmal das Auge zu mir hinzuwenden.
Ich kam am Abend recht klein nach Hause. Meine Mutter aber nahm die Sache anders. Du hast gute Aussicht, sagte sie, aber natürlich, auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden.
Man weiß, daß bei der Paradetafel des Königs im großen Saal des Schlosses jedermann Zutritt hat. Es ist das eine öffentliche Zeremonie. Der König und die Königin allein sind die Speisenden, der ganze Hof umgibt stehend die Majestäten in ehrfurchtsvollster Haltung, und nur in kleinem Abstand davon drängt sich das zugelassene Volk. Zu dieser Zeremonie führte mich mein Vetter Binet nun öfter, aber es war schwer, dabei einen Platz zu bekommen, wo man dem König auffallen konnte. Einmal gelang es mir jedoch, Seiner Majestät auf zwanzig Schritte gegenüber zu stehen, und ich durfte hoffen, von ihm bemerkt zu werden. Aber schon im nächsten Augenblick wurde mir die Aussicht versperrt. Die Herzogin von Chateauroux, die sich in der Nähe hielt, hatte mich erblickt, hatte meine Absicht erraten und war kurz entschlossen vor mich hingetreten. Damit verdeckte sie mich vor dem Auge des Königs. Sie tat noch ein mehreres, sie trat mir auf die Zehen mit ihrem ganzen Körpergewicht, daß ich vor Schmerz einen leisen Schrei ausstieß. Das aber bewirkte nun gerade, daß der König auf mich aufmerksam wurde und mich erkannte, und wenn ich ehrlich sein will, muß ich gestehen, daß ich mit meinem kurzen Aufschrei eben dies bezweckt hatte.
Der König war, wie ich wohl bemerkt hatte, bei dem kurzen Vorfall unwillig errötet, und diesmal verließ ich mit dem Gefühl der Siegerin den Palast.
Noch mehr frohlockte meine Mutter, als ich ihr den Hergang der Sache erzählte. Sie war sehr ehrgeizig. Ich selber, dieses Zeugnis darf ich mir ausstellen, war es damals nicht im geringsten; ich war einfach verliebt wie ein dummes Mädchen; aber daß mein Angebeteter der tausendfach angebetete König von Frankreich war, gab meiner Liebe natürlich eine besondere Farbe.
In jenen Tagen starb plötzlich die Herzogin von Chateauroux, die den König, allerdings mit allerlei Wechselfällen, so lange Zeit beherrscht hatte. Man sprach von Gift. Ach, das tut man immer in solchen Fällen. Mein Vetter Binet, der sich doch als Apotheker darauf verstehen mußte, glaubte nicht daran.
Er kam eines Tages zu uns, und da er mich allein traf mit meiner Mutter, plauderte er. Seit dem Tod der Herzogin habe sich der König wiederholt nach mir erkundigt. Jeden Augenblick frage er: Nun, mein lieber Binet, was macht deine hübsche Base? Geht es ihr gut? Denkt sie manchmal an mich? Spricht sie von mir? Kurz, er komme, mein Vetter nämlich, im ausdrücklichen Auftrag des Königs, um mich auszuforschen und dem König Bericht zu erstatten. Von diesen Worten wurde meine gute Mutter so getroffen, daß sie einen Herzkrampf bekam, sie drohte mir unter den Händen zu sterben. So nahe hatte sie sich die Erfüllung ihrer kühnen Hoffnungen nicht gedacht; das plötzliche Glück tötete sie fast. Ich selber schwamm in höchsten Wonnen. Eine Art Ekstase ergriff mich. »Ein Wort von ihm,« rief ich aus, »ein einziges Wort von dem geliebten König, und ich werde mich ihm in die Arme stürzen und sollte es auch mein Tod sein, und sollte mich auch das Schicksal jener Tochter des Alkinous treffen. Die Liebe des Königs bezahle ich gern mit meiner Vernichtung.«
Herr Binet dämpfte aber einstweilen diesen Ueberschwang meiner Gefühle. So weit seien die Sachen noch nicht. Der König sei in seiner Liebe mißtrauisch und launenhaft. »Ich habe aber noch heute Abend,« fügte er hinzu, »vor dem Schlafengehen bei Seiner Majestät dienstlich vorzusprechen, um den König zu purgieren, da er an schwerer Verdauung laboriert, und wenn er dann wieder von Euch sprechen wird, mein herziges Bäschen, so verlaßt Euch darauf, daß ich als guter Vetter Euer Interesse vertreten werde. Das weitere sollt Ihr morgen vormittag von mir hören.«
Man kann sich denken, mit welcher Ungeduld wir, meine Mutter und ich, am andern Tag die Ankunft des Herrn Binet erwarteten. Wir wurden dabei ordentlich auf die Folter gespannt, denn die festgesetzte Stunde verstrich, ohne daß sich von dem Herrn Vetter etwas sehen ließ. Meine Mutter kämpfte mit einer Ohnmacht, mir selber wurde es grün und grau vor den Augen. Endlich sahen wir ihn die große Kastanienallee heraufkommen, und als er uns auf der Schloßterrasse erblickte, winkte er uns mit seinem Taschentuch, es war wie ein Fahnenschwenken des Triumphes.
Als er auf unserer Terrasse angelangt war, mußte er sich erst setzen und sich verschnaufen, ehe er reden konnte. Und folgendes ungefähr war der Inhalt seiner Mitteilungen. Bereits im Begriff, sein Bett zu besteigen, brachte der König plötzlich die Rede auf mich. »Was macht denn die blaue Amazone,« fragte er wie nebenbei, »jagt sie immer noch auf ihrem weißen Roß durch den Wald von Sénart?« Binet antwortete: »Seit meine schöne Base keine Hoffnung mehr hat, Eurer Majestät dort zu begegnen, hat sie den Wald nie wieder betreten. Nur Eurer Majestät wegen ist sie damals gekommen. Seitdem ist sie ganz verwandelt. Ein einziger Blick aus Eurer Majestät Augen hat ihr Herz so vollkommen bezwungen, sie ist davon wie verzaubert, Ihr seid der einzige Gegenstand all ihrer Gedanken und Träume, Euch noch einmal zu sehen, denkt sie sich als ihr höchstes irdisches Glück, wofür sie Euch dankbar sein würde alle Zeit ihres Lebens. Aber sie ist tugendhaft und nicht ohne Strenge; Eure Majestät wird verzeihen, Eure Majestät wird begreifen, daß ich es für meine Pflicht hielt, diese Bemerkung nicht zu unterdrücken.«
Das war eine kluge Rede meines Vetters, sie machte den König neugierig, welcher nun förmlich darauf brannte, den seltenen blauen Vogel näher kennenzulernen, von dem er bis jetzt kaum das Gefieder gestreift hatte, abgesehen davon, daß er ihm allerdings von aller Welt als wahrer Wundervogel angepriesen worden. Also antwortete der König meinem Vetter, daß er sehr geschmeichelt sei von der Wirkung, die seine Person auf das junge unschuldige Herz hervorgebracht habe und daß ihm eine geheime Unterredung mit dem schönen Bäschen seines Apothekers nur erwünscht wäre, worauf Herr Binet versicherte, daß er gleich am andern Morgen zu mir eilen und seine ganze Beredsamkeit aufwenden werde, um mich zu bewegen, in das gewünschte Stelldichein einzuwilligen.
Daß es dazu bei meiner Mutter und mir keiner allzu großen Beredsamkeit bedurfte, geht deutlich genug hervor aus dem, was ich bereits verraten habe. Die Frage war nur, ein Mittel zu finden, wie ich die Nacht außerhalb des Hauses zubringen könnte, ohne die Eifersucht des Herrn von Etiolles zu erregen, und siehe, dieses Hindernis hatte der Gott Zufall – oder vielleicht der Gott Amor – bereits zur Hälfte hinweggeräumt. Wir hatten drei Tage zuvor einem gewissen Herrn Amelot zu Meudon einen Besuch gemacht, weil mein Gemahl erfahren hatte, daß dieser sein dortiges Besitztum, ein schönes Schlößchen mit einem nach dem neu aufgekommenen englischen Geschmack angelegten Park zu verkaufen die Absicht habe. Wir fanden Haus und Park allerliebst, besonders den großen Weiher mit seinen Hängeweiden und Schwänen, so daß Herr von Etiolles am liebsten den Kauf sogleich abgeschlossen hätte; nur die Erwägung, nicht durch allzu große Begierde das Geschäft zu verschlechtern, bewog ihn, die Sache noch hinauszuzögern. Darauf bauten wir unsern Plan und er wurde uns erleichtert durch den Umstand, daß gerade die Frau von Beaupré, eine Dame vom Hof, zu einem Besuch bei uns ankam, die wir, intim mit ihr befreundet, sofort in Instruktion nahmen.
Unterdessen war die Stunde der Mahlzeit herangekommen und Herr von Etiolles selber rief uns zur Tafel. Man sprach dies und jenes, bis dann plötzlich Frau von Beaupré ihr gutgezieltes Geschütz losbrannte.
»Denken Sie, Herr von Etiolles,« wandte sie sich an meinen Gemahl, »unser Freund, Herr von Marchais, hat gestern zu Meudon ein wunderschönes Haus mit neuangelegtem englischen Park gesehen, es gehört einem gewissen Herrn Amelot, der es verkaufen möchte. Herr von Marchais ist mit ihm über den Kaufpreis noch nicht ganz einig geworden; aber morgen früh will er hinüberfahren und den Kauf richtig machen, er freut sich unsinnig auf den schönen Besitz.«
Ueber diese Nachricht war Herr von Etiolles merklich unruhig geworden und nicht lange, so gab er seinem Lakaien einen heimlichen Befehl, und als dann sein Phaeton vor die Terrasse rollte: »Die Damen müssen mich entschuldigen,« sprach er, indem er sich erhob, »daß ich nicht länger die Ehre haben kann, Ihrer angenehmen Gesellschaft teilhaftig zu sein. Ein eiliges Geschäft ruft mich nach Paris,« – und dann, sich an mich wendend – »es ist möglich, daß sich die Sache nicht im Handumdrehen machen läßt, ich werde wahrscheinlich heute nacht nicht zurückkehren!« Damit verbeugte er sich und eilte nach seinem Wagen. Wir sahen uns an und lachten, wir wußten wohl, wohin er fuhr.
Es wurde bereits allmählich dunkel, die Lakaien zündeten die Lichter an und Mama und Frau von Beaupré setzten sich an den Spieltisch. Schon vorher hatte mir meine Mutter, indem sie mich auf die Seite nahm, gewisse Ermahnungen eingeschärft, jetzt warf sie mir nur einen vielsagenden Blick zu, dann verschwand ich.
Ich war in einer Aufgeregtheit, die aller Beschreibung spottet. Mit zitternden Knien und doch wie im Flug erreichte ich die Hintere Gartenpforte, wo mich Herr Binet, unserer Verabredung gemäß, mit einer Sänfte erwartete.
Was sich dann zu Versailles ereignete, will ich nur andeuten und zwar so kurz und so nüchtern als möglich. An der Hand von meinem Vetter geführt, durchschritt ich dunkle Korridore und enge, steile Geheimtreppen, und plötzlich stand ich im Schlafzimmer des Königs vor Seiner Majestät. Ich hatte mir den ganzen Nachmittag lang, zwischen hunderterlei höflichen Reden mit meiner Umgebung, mein Betragen überlegt, das ich dem König gegenüber einzuhalten habe und mir selber genau Vorschriften darüber gemacht bis in die kleinsten Einzelheiten. Ach, wie eitel und vergeblich war das alles gewesen. Denn als mich jetzt der König mit heftigem Ungestüm umfing und in seine Arme schloß, da war es geschehen um alle meine Verhaltungsmaßregeln, um mich selber war's geschehen, ich kam gar nicht erst zur Besinnung.
Es kam mir alles vor wie ein Traum, aus dem ich aber, als das erste Morgengrauen mit seinem kalten Licht durch die Spalten der Gardinen sickerte, sehr unschön aufgeweckt wurde. »Es beginnt zu tagen,« sagte der König gähnend, »so wird es für Euch Zeit sein, das Schloß zu verlassen.« Er verabschiedete mich dann sehr kühl und wie vollkommen ernüchtert. Mich wundert nur, daß ich nicht laut herausheulte. Das Gefühl von meinem Elend drohte mich zu ersticken, ich zweifeite nicht, daß nun alles aus und vorbei sei. Mein glänzender, mein feuriger Traum von Größe und Macht war mir sozusagen wie ein schmutziger Lumpen vor die Füße gefallen. Was hatte ich alles gehofft von dieser Nacht und nun war es nichts als ein Häuflein von Schmach und Elend. Denn ich fühlte mich ganz und gar verschmäht und verstoßen. Oh, ich war keine Herzogin von Chateauroux, ich war nichts als eine verächtliche Kreatur.
Mit solchen verzweifelten Gedanken verließ ich das Schloß, und noch größere Pein empfand ich, wenn ich an meine Mutter dachte, die sich in diesem Augenblick noch immer glückselig wiegte in ihren kühnsten Träumen, die diese Träume im Geiste bereits erfüllt sah und mich selber umgeben von allem Glanz dieser Welt, während ich in Wahrheit mich wie eine Bettlerin hart an den Mauern des Schlosses hinschlich und hindrückte, weil ich dem Spott der Hofleute nicht eine Elende zeigen wollte, die für eine Nacht die uneingestandene Geliebte des Königs war.
Soweit die Erzählerin. Sie hieß mit ihrem Mädchennamen Jeanne-Antoinette Poisson; ihr pitoyables erstes Abenteuer hat sie nicht gehindert, die absolute Herrin des absolutesten Königs, eine neue Großmacht unter den Großmächten Europas, kurz die Marquise von Pompadour zu werden, und wenn diese Cafetière den König von Frankreich oder vielmehr den französischen Staat beträchtlich mehr gekostet hat als den Bischof von Chalons diejenige seines leichtsinnigen Neffen, so ist das natürlich nur in der Ordnung.
»Ade, ade, du schöne Frau,
Wir singen nun andere Lieder.«
Altes Volkslied.