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Die Marquise von Créquy erhielt in ihrem Stadtpalast an der Straße von Grenelle täglich genug Besuche und im Jahr unzählige aus der Stadt und aus der Provinz, Leute von höchstem Rang, aber noch nie wurde sie so angenehm überrascht, als da ihr eines Tages eine obskure Landedelfrau, eine Gräfin von Sombremont aus dem Beaujolais gemeldet wurde. Zuerst blickte sie die Karte, die ihr ein Lakai auf silberner Platte darreichte, befremdet und zerstreut an, bis ihr dann plötzlich in freudiger Aufwallung die Erinnerung kam. »Ach,« rief sie aus, »sollte das meine liebste Jugendfreundin sein aus dem Kloster Chelles, meine treue, meine gute Therese?« Sie befahl hastig, daß man eintreten lasse.
Und sie war's. In Reisekleidern stand die Fremde vor ihr, erst ein wenig befangen, bis die beiden Frauen sich im Ueberschwall der Gefühle in die Arme fielen und Küsse wechselten wie zwei Verliebte. Sie waren zu Chelles miteinander erzogen worden, und es hatte sich zwischen ihnen eine jener zarten und innigen Mädchenfreundschaften ausgebildet, die manchmal das Leben zu überdauern pflegen und wie sie sich in späterer Zeit bei Frauen selten wieder knüpfen. Man hatte sich auch lange Zeit zärtlich schwärmerische Briefe geschrieben; aber bald nach ihrer Verheiratung waren die Briefe der Gräfin von Sombremont spärlich geworden und sind dann ganz ausgeblieben. Sie lebte in keiner glücklichen Ehe, und da es nicht in ihrer Natur lag, anders zu schreiben, als es ihr ums Herz war, und sie auch ihre Freundin, die eine so glänzende Weltdame geworden war, nicht mit ihren täglichen Sorgen behelligen wollte, war sie zuletzt verstummt.
Auch jetzt kam sie in einer höchst sorgenschweren Angelegenheit in die Hauptstadt. Die Familie ihres verstorbenen Mannes hatte ihr am Parlament zu Dijon einen ungerechten Prozeß anhängig gemacht, wodurch ihre Existenz und die Zukunft ihrer Tochter ernstlich bedroht wurden. Ihr gutes Recht stand außer Frage, aber die genannte Familie war sehr mächtig in der Provinz, ein Umstand, den die Hohen Gerichtshöfe, dortzuland Parlamente genannt, selten außer Acht zu lassen pflegten. So lief denn dieser Prozeß bereits im fünften Jahr und schien sich in die Ewigkeit hinschleppen zu wollen. Man hatte ihr darum geraten, bei dem Großsiegelbewahrer zu Versailles einen Schritt zu tun, daß der, wie es ja oft vorkam, sein Machtwort einlege.
»Das wollen wir bald haben,« rief die Marquise in sicherer Zuversichtlichkeit, »Herr von Machault gehört zu meinen Freunden; ich werde selber nach Versailles zu ihm hinausfahren, noch heute nachmittag.«
So tat sie auch, aber kam sehr enttäuscht zurück.
»Wie ich empört bin, meine teure Therese, der Mensch war unglaublich, er will ernstlich nichts in der Sache tun. In allem stehe er mir mit seinen Diensten vollkommen zur Verfügung, in diesem Fall unmöglich, denn es sei sein unverbrüchlicher Grundsatz, niemals in den Gang der Gerichte einzugreifen. Oh, diese Minister! Sie machen nie größere Tugendworte, als wenn sie entschlossen sind, Tugend und Gerechtigkeit im Stich zu lassen. Was da wieder für eine Politik dahinterstecken mag!«
Bei diesen Worten trat ein junger Zisterziensermönch mit einem von Diamanten besetzten Abtkreuz über dem weißen Skapulier in den Saal, der, sich niederbeugend, der Dame des Hauses galant die Hand küßte.
»Ihr kommt wie gerufen, Herr Abt,« redete diese ihn an. »Ihr trefft mich voll Entrüstung über den Großsiegelbewahrer, Euren tugendstrengen Vater – oh, so tugendstreng, das kommt vielleicht von seiner intimen Freundschaft mit der Dame Poisson-Pompadour. Kurz, er hat mich schnöd behandelt, ich hätte es nicht für möglich gehalten.«
Und die Marquise von Créquy erzählte dem Abt von Clerval, um was es sich handelte.
»Ich werde dem Herrn Großsiegelbewahrer sofort schreiben,« sagte dieser; »mir hat er noch nie eine Bitte abgeschlagen, ich bin ein wenig sein enfant gâté. Vielleicht, weil er sich im Unrecht gegen mich fühlt; er meint, ich grolle ihm heimlich im Herzen, weil er mich in diese Kutte gesteckt hat, und Ihr werdet zugeben, verehrte Marquise, nicht jeder Vater ist so zartfühlend gegen einen Sohn. Und also, meine Damen, lasten Sie Ihre Köpfe nicht hängen. Lassen Sie mir aber Schreibzeug geben und halten eine Stafette bereit, die meinen Brief befördert.«
Schon eine halbe Stunde darauf war ein reitender Bote nach Versailles abgegangen, der Saal der Marquise aber hatte sich unterdessen mit Gästen gefüllt, denen sich die Hausfrau widmen mußte, die darüber die Sorgen ihrer Freundin fast vergaß. Doch fielen ihr diese wieder ein, als der Graf von Argenson, der allmächtige Kriegsminister, sie begrüßte. Sie nahm ihn auf die Seite und erzählte ihm den Fall.
»Wie,« sagte dieser, »er hat es gewagt, Ihnen, der schönen Marquise von Créquy, eine Bitte abzuschlagen? Welch ein Kaffer!«
Man konnte leicht merken, daß der Kriegsminister und der Großsiegelbewahrer sich kaum zärtlich liebten.
»Und Sie glauben, daß ein Mönch mehr vermag bei ihm als Sie?« fuhr der Graf von Argenson fort. »Ihre Bescheidenheit, schöne Marquise, ist rührend. Nun, wir werden ja sehen. Er soll ja für diesen Abt von Sohn eine besondere Vorliebe haben. Jedoch ...«
»Was jedoch?« fragte die Marquise von Créquy mit ängstlicher Spannung.
»Nämlich,« erwiderte der Kriegsminister, »mein Herr Kollege ist augenblicklich sehr zärtlich gegen die Parlamente, er hätschelt sie, wo er nur kann und er wird sie jetzt kaum irgendwem zuliebe vor den Kopf stoßen. Er rechnet auf ihre Dienste, er will sie gebrauchen gegen die Jesuiten, die er stürzen will, in höherem Auftrag natürlich.«
In diesem Augenblick näherte sich der Abt von Clerval den beiden und der Kriegsminister zog sich diskret zurück.
»Sie haben Antwort erhalten?« fragte nicht ohne Aufregung die Marquise.
Der Abt reichte ihr den Brief von seinem Vater. Er war in fast zärtlichen Ausdrücken gehalten. Man fühlte, daß es dem Minister Schmerz machte, seinem Sohn eine Bitte abzuschlagen. Aber eine Ablehnung war es eben trotzdem.
Nun bleibt nur noch die Dame Poisson, dachte die Marquise bei sich und noch vor dem Schlafengehen sprach sie darüber mit ihrer Freundin.
»Ich kenne sie nicht, diese Poisson, die sich die Marquise von Pompadour nennt, ich kann sie also nicht besuchen, du begreifst das, Therese. Du aber gehörst ja sozusagen nicht zur Gesellschaft; wenn du sie aufsuchen willst, für dich ist ein solcher Schritt ohne alle Konsequenz. Sie soll ja gutmütig sein. Vielleicht rührt sie deine Lage. Dann hast du gewonnen. Ihrem Willen wird Seine Exzellenz sich keinesfalls widersetzen.«
Die Gräfin von Sombremont hätte, schon ihrer Tochter zuliebe, noch Härteres unternommen als einen Besuch bei der allmächtigen Königskebse.
Und so befand sie sich denn bereits am darauffolgenden Vormittag zusammen mit ihrer Kammerzofe in einer Kalesche der Marquise von Créquy auf der Straße nach Versailles in einem wahren Getümmel von sich kreuzenden, einander ausweichenden oder einander sich überholenden Fahrzeugen aller Gestalten und Farben, von der vergoldeten und panachierten Staatskarosse der Großen mit dem Vierer- oder Sechsergespann bis zur wackeligen schwarzen Mietskutsche der Geringen und den leinwandüberspannten buntfarbigen Lastkarren der Fuhrleute, einem wahren Tohuwabohu von Mensch und Vieh und Gerät: so daß man sich nicht zu wundern brauchte, wenn kein Tag ohne den einen oder andern Unfall ablief. Aber man könnte sagen, daß es nicht nötig gewesen wäre, daß nun gerade die Dame aus dem Beaujolais heute von einem solchen betroffen wurde. Das wäre jedoch nur wieder die bekannte anmaßende Kurzsichtigkeit; denn dieser Unfall war wirklich nötig, wie sich später zeigen wird.
Er ereignete sich mitten in dem Dorf Bas-Chaville, wo naturgemäß die Straße schmäler war als im Freien. Als nämlich mitten in diesem Dorf vor dem in scharfem Trab entgegenkommenden Sechsgespann des Herzogs von Richelieu alles Fahrzeug zur Seite stiebte und drängte, gelang dem Kutscher der Gräfin von Sombremont das Ausweichen nur halb, so daß das leichtgebaute Hinterrad seiner Kalesche von der weit vorstehenden schweren Achse des herzoglichen Wagens zwischen den Speichen gefaßt und vollständig zertrümmert wurde.
Indem nun die Gräfin zusammen mit ihrer Zofe etwas ratlos am Wege stand, trat mit ehrfurchtsvollem Gruß ein junger Mann auf sie zu in schlichtem bürgerlichen Anzug. Er sagte, er sei auf dem Wege nach Versailles und wisse von hier aus einen Pfad durch Feld und Gärten, angenehmer als das Gewühl der staubigen Straße, und es wäre ihm eine große Ehre, die Dame diesen Weg zu führen. Die Gräfin nahm dies gern an, und unterwegs kam sie mit ihrem Begleiter, der es verstanden hatte, schnell ihr Vertrauen zu gewinnen, so in mitteilsames Gespräch, daß sie sogar mit ihrem Vorhaben in Versailles und bei der Marquise von Pompadour nicht zurückhielt.
»Sie werden mit diesem Besuche kaum etwas erreichen,« meinte der Unbekannte, »und ich will Ihnen auch genau sagen, warum. Die Frau Marquise kennt augenblicklich keine höhere Sorge als die Vernichtung der Väter Jesu, von denen sie sich tödlich gehaßt weiß. Dieses Ziel kann sie nur erreichen durch die Hilfe der Parlamente. Darum muß der Großsiegelbewahrer diese mit allen Mitteln bei guter Laune erhalten und alles vermeiden, was ihr eifersüchtiges Machtbewußtsein verletzen könnte. Die peinliche Rücksicht des Ministers gegen die Parlamente geht auf niemand zurück als auf die Frau Marquise selber, und Euer Gnaden würden von ihr sehr wenig gnädig empfangen werden.«
Damit schien der armen Frau von Sombremont der letzte Boden unter den Füßen entzogen, und sie konnte ihre tiefe Bestürzung nur schlecht verbergen. Ihr Begleiter betrachtete sie mit großer Teilnahme.
»Ich wüßte Ihnen vielleicht einen Rat,« sagte er. »Für den Augenblick kann ich noch nichts sagen, aber wenn Sie bis zum Abend hierbleiben und mich gegen sieben am Schloßhof vor dem Standbild des Kardinals von Richelieu erwarten wollten ...« Er unterbrach sich hier. Ihre Augen drückten ungläubiges Erstaunen aus. »Ich kann freilich nicht verlangen,« sagte er bescheiden, »daß Sie auf mich irgendeine Hoffnung setzen.«
»Verzeihen Sie,« fiel die Dame ein, »meine Augen waren unhöflich, seien Sie mir nicht böse; ich werde Sie Schlag sieben zu den Füßen des berühmtesten aller Diplomaten erwarten. Hat mir sein Neffe heut in sehr ungalanter Weise auf die Beine geholfen, indem er mir ein Rad zerbrach, vielleicht daß der Onkel den Schaden wieder gutmacht.«
Sie waren vor dem Gasthaus, wo sie ihre Kutsche erwarten wollte, angekommen, und der unbekannte junge Mann, nachdem er seine Versicherung erneuert, daß er rechtzeitig zur Stelle sein werde, verabschiedete sich mit tiefer Verbeugung.
Am Abend versäumte sie nicht, dem steinernen Kardinal ihre Aufwartung zu machen. Ihr junger Beschützer, wie sie ihn scherzhaft bei sich nannte, erwartete sie bereits. Er verbeugte sich stumm und überreichte ihr ein umfangreiches Papier. Sie brauchte kaum einen Blick darauf zu werfen, das Siegel, die Unterschrift des Ministers sagten ihr schon alles. Sie hielt in Händen, was sie schon nicht mehr für erreichbar gehalten hatte.
»Aber, um Himmelswillen, mein Herr, wer sind Sie, wem darf ich danken?«
»Ich heiße Poiret.«
»Poiret?« wiederholte die Gräfin verständnislos.
»Ich bin der Sekretär des Herrn von Saint-Clair, des geheimen Sekretärs Seiner Exzellenz des Herrn Ministers.«
Schönheit, hoher Rang und Macht des Blutes hatten es nicht erreicht, die unterirdischen Mächte aber hatten sich als stärker erwiesen.