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Siebentes Kapitel. Die Äbtissin

Aber auch als sie endlich in dem kleinen Dörfchen Boulogne an der Seine ankamen, verhinderte noch ein zufälliges Hindernis die sofortige Erreichung ihres Ziels. Es war gerade Jahrmarkt am Ort, und sie fanden den Marktplatz vor der Kirche und die anstoßenden Straßen so überfüllt von Buden und Volk, daß sie sich genötigt sahen, am Gasthaus zum »Roten Roß« auszusteigen und das Pfarrhaus zu Fuß aufzusuchen. Durch das ganze Jahrmarktsgewühl mußten sie sich mühsam hindurchdrängen.

»Das trifft sich ja glücklich für uns,« äußerte Richelieu, »der alte Pfarrer wird Gott danken, daß es ihm erspart sein soll, sich heut in diesen Tumult herauszuwagen.«

Besonders um die Kirche und das Pfarrhaus her staute sich die Menge, ein buntes Gemisch von Bauern und Stadtleuten, denn hier waren die Schaubuden aufgeschlagen. Da boten sich wilde Tiere zur Schau an und allerlei Meerwunder; Riesendamen und sprechende Hunde waren zu sehen, ein Kalb mit zwei Köpfen wurde ausgeschrien, ein Schwerttänzer und ein Feuerfresser angepriesen; Teppiche waren ausgebreitet, wo armselige Akrobaten ihre Künste sehen ließen, unter denen besonders ein schwarzes Weib mit brennend roter Lendenschürze die Aufmerksamkeit erregte. Vom Kirchturm aus war ein Seil nach dem gegenüberliegenden Hausgiebel gezogen, auf dem ein dicker Kerl in rosafarbenem Trikot sich produzierte. Trompeten schmetterten, Drehorgeln und Leierkasten und Sackpfeifen erfüllten die Luft mit ohrenzerreißendem Getön, närrisch aufgeputzte Marktschreier, als orientalische Zauberer verkleidet, boten ihre Wunderpillen und Mixturen an, fahrende Sänger suchten sich Gehör zu verschaffen mit gesungenen Schauerballaden, und vor grellen Bildern, auf Stangen in die Höhe gehalten, deklamierte ein Mann und ein Weib abwechselnd die neueste Moritat.

Vor diesen beiden war fast der lärmigste Andrang, es mußte eine ganz besondere Neuigkeit sein, die das Paar, miteinander abwechselnd, in Reim und Prosa den ergötzten Hörern zum besten gab. Gerade war der Mann an der Reihe.

»Hier seht Ihr, liebe Leut',« schrie er, mit einem Stecken nach der Bildertafel weisend, die das Weib in die Höhe hielt und worauf zwei Frauengestalten mit nackten Büsten zu sehen waren, die mit Pistolen aufeinander zielten, aus deren Mündung es Rauch und Feuer spie ...

»Hier seht Ihr, liebe Leut', die hochgeborene Gräfin von Polignac, die Base seiner Eminenz gleichen Namens, und die hochgeborene Marquise von Nesle, wie sie im Duell und Zweikampf sich totschießen aus Eifersucht gegeneinander, weil sie beide den hochmächtigen Herzog von Richelieu liebten, den verhätschelten Liebling der Götter und aller Damen des Königreichs. Ganz nahe von hier in unserem Walde draußen, an dem Kreuzweg, den man ›zu den drei Eichen‹ nennt, haben sie auf Tod und Leben miteinander gefochten.

›Ach, liebe Leut', war das ein Schießen
Zwischen der Gräfin und der Marquisen,
Die Gräfin war braun, die andere blond,
Sie schossen, bis sie nicht mehr gekonnt.
Zwölf Kugeln haben sie abgedrückt,
Und wahrlich, jede ist herrlich geglückt;
Zwölfmal haben sie geschossen,
Ist aber kein Tröpflein Blut geflossen,
Vergossen haben sie Tränen der Wut,
Aber nicht ein Spritzerchen Blut.
Denn es hatten die Gräfin und die Marquisen
Ein schweinemäßiges Glück im Schießen,
Sie haben nichts als Luft getroffen,
Dann sind sie schleunigst davongeloffen,
Und jede hat mörderisch gelacht,
Weil das Ding so schön gekracht;
Der Richelieu aber, zu ihrem Leid,
Hat sie durchgeprügelt alle beid'.‹«

Ein schallendes Gelächter, frenetische Beifallsrufe und das Gerassel von kleinen Kupferstücken in dem Tamburin, das die Frau herumhielt, belohnten den Dichter. Sogar die beiden jungen Geistlichen, die erst notgedrungen, und dann mit steigender Belustigung zugehört, stimmten in das Lachen mit ein. Der Abbé von Saint-Saturin warf ein großes Silberstück in das Tamburin.

»Wie findet Ihr das, Herr Konfrater?« fragte er seinen Begleiter. »Also zum Jahrmarktshelden wären wir bereits avanciert, immerhin etwas, bei unserer Jugend. Aber nicht wahr, diese Frechheit! Ist es nicht wirklich toll?«

»Unter dem großen Ludwig«, antwortete der andere, »hätte das Volk nicht gewagt, drei edle französische Namen auf solche Weise öffentlich zu verunglimpfen.«

»Der große König«, entgegnete der Abbé von Saint-Saturin lachend, »hat eben das Volk zu wenig gekannt, das denn zuletzt auch immer offener gegen ihn gemurrt hat. Unser Regent weiß besser Bescheid. Er liest selber mit großem Vergnügen die Spottlieder, die man auf ihn macht. Er weiß, das Volk will seinen Spaß haben, dann kann man ihm jeden noch so harten Druck auflegen. Ludwig der Große hat die Franzosen zu ernst genommen. Wer dieses Volk singen und sagen läßt, darf ihm dafür alles andere nehmen. Mit Brot und Komödie beschwichtigten die alten Kaiser den Pöbel von Rom, der Pöbel von Paris ist mit der Komödie schon zufrieden. Ein bequemes Volk wahrlich. Und ich muß sagen, der Brüllaff von Dichter hat mir nicht übel gefallen. Besonders der Schluß war gut. Der Mensch weiß, was wirkt. Ein Glück für ihn, daß ich ihm in diesem priesterlichen Gewand zugehört habe; ich wäre sonst verpflichtet gewesen, ihn für seine Frechheit zu strafen, und ihm selber die Prügel zu geben, die er mit poetischer Lizenz so freigebig andern zukommen läßt. Es ist recht schade, daß es nicht so geschah. Denkt Euch nur, was das erst ein Gaudium für das Publikum gewesen wäre: ein plötzlich auftauchender leibhaftiger Herzog von Richelieu, ein Achill sozusagen, der seinen Homer prügelt. Der Geprügelte hätte nicht für den Spott zu sorgen brauchen.«

Unter solchen Reden schlängelten sich die zwei Priester vorsichtig durch das Gewühl und standen jetzt endlich vor dem kreuzüberragten Zufahrtstor des Pfarrhofs.

Sie hatten nicht bemerkt, daß der verdächtige »Advokatenschreiber« vom Greveplatz auch im hiesigen Marktgewühl plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war, diesmal, ohne sich bemerkbar zu machen. Wie sie, hatte er sich, den beiden Geistlichen auf den Fersen, durch die Menge gedrückt und beobachtete sie auch jetzt, wie sie durch den hohen Bogen des Einfahrtstores in den Pfarrhof eintraten.

* * *

Unterdessen war auch die Karosse des Fräuleins von Valois mit ihren vier Trabern in der Abtei von Longchamp angelangt, wo die Nonnen, zusammen mit ihrer alten und etwas schwachsinnigen Äbtissin, in keine geringe Aufregung gerieten über den hohen Besuch. So sehr verloren sie die Köpfe, daß sie über der lebendigen Prinzessin die tote Schwester ganz vergaßen, die darum, weil sie als die einzige sich nicht wie die andern auf die Beine machen konnte, wirklich eine Zeitlang mutterseelenallein auf ihrem Bahrtuch im Chor der Kirche zurückblieb, schön angetan übrigens mit schneeweißem Wollenkleid und himmelblauem Skapulier und Mantel. Zwölf hohe Kerzen brannten ihr zu den Seiten und ein Kranz weißer Rosen schmückte die wachsgelbe Stirne.

Und jedenfalls macht eine tote Nonne – was man auch von den andern denken mag – nicht die Ansprüche einer lebendigen Prinzessin, die umgeben sein will, die ehrfurchtsvolle Knixe, demütig niedergeschlagene Blicke und in devoten Gesichtern ein Lächeln grenzenloser Bewunderung und Huldigung vor Augen haben muß, wenn sie in guter Laune bleiben soll; die man nach ihren Befehlen fragen muß, der man es schuldet, daß man ihr die Wünsche, die sie selbst nicht kennt, vom Gesicht abliest, und was dergleichen prinzeßliche Bedürfnisse und Unentbehrlichkeiten mehr sind: welche denn eine Nonnengemeinde, wie die in Frage stehende, um so mehr zu würdigen und zu befriedigen verpflichtet war, als ihre Mitglieder selber sich nicht gemeinen Blutes fühlten, vielmehr allesamt aus fürstlichen, herzöglichen, gräflichen und andern erlauchten Häusern zu stammen die Ehre und das Glück hatten.

Da muß eine Tote sich bescheiden.

Das Fräulein von Valois geruhte so gnädig zu sein, noch vor der Zeremonie auf den für sie bestimmten Gemächern eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Wie in feierlicher Prozession wurde sie und ihre Ehrendame, die alte Herzogin von Châteauneuf, von der Schar der blauweißen Nonnen dahin eskortiert, allwo ihre Hoheit weiter geruhte, die ehrwürdige Frau Äbtissin, eine Dame aus dem gräflichen Hause derer von Crouy-Ruppelmonde, an ihren Tisch einzuladen und sich von den vornehmsten Nonnen bedienen zu lassen.

Und also reichte eine ihr die Schokolade, eine andere den Zucker, und wieder eine andere das Konfekt unter unzähligemal wiederholten Knicksen. Und die ehrwürdige Frau Äbtissin, genannt Mutter Seraphika, aus dem hochgräflichen Hause derer von Crouy-Ruppelmonde, erfuhr die Huld, daß man sich nach ihrer Gesundheit erkundigte wie auch nach ihren sonstigen persönlichen Umständen, als zum Beispiel, ob ihr das Tabakschnupfen noch gut bekomme, ob auch das böse Zipperlein sie wieder geplagt habe in letzter Zeit und was sie für ein Tränklein anwende in Tagen der Übelkeit und Schwäche. Und die ein wenig kindisch gewordene Greisin kargte nicht mit ihren Worten, sondern ließ sich in breiter Behaglichkeit über alles aus, als ob es einer Prinzessin wirklich darum zu tun sein könnte, ihre tausenderlei kleinen Nichtigkeiten und Armseligkeiten zu erfahren.

Scheinen konnte es ja so. Die Prinzessin zeigte nicht das leichteste Anzeichen von Ungeduld und Gelangweiltheit bei den eingehenden und weitgehenden Indiskretionen der ehrwürdigen Frau Äbtissin. Und von den ganz persönlichen leiblichen Angelegenheiten der Mutter Seraphika fand die Rede einen natürlichen Übergang zu den allgemeinen des Klosters, und die Zahl und Familienzugehörigkeit der Novizen und Pensionärinnen, die Schenkungen und Vermächtnisse der letzten Jahre, die hohen Besuche, die die Abtei empfangen, die Vorzüglichkeit von allerlei Eingemachtem, wofür die Mutter Seraphika das Geheimnis besaß, und tausend ähnliche Dinge gaben für geraume Zeit genügenden Gesprächsstoff.

Aber dann hielt sich doch einmal die Prinzessin die weiße Hand vor den Mund, worüber die Äbtissin nicht wenig erschrak, der es nun auch einfiel, daß die für die Beisetzungsfeierlichkeit festgesetzte Stunde bereits um ein beträchtliches überschritten sei.

Darum sagte sie unter vielen Entschuldigungen, wenn Hoheit geruhen wollte, könnte man jetzt zur Vollziehung der Zeremonie schreiten, da wahrscheinlich der gute Pfarrer längst seines Amtes harre.

»Hoffentlich hat man,« richtete sie das Wort an die eben eintretende Schwester Bonaventura, »hoffentlich hat man unserem armen Pfarrer unterdessen eine Erfrischung vorgesetzt, wie er sie liebt.«

Schwester Bonaventura aber, die einen Bogen Papier in der Hand hielt, hatte etwas ganz anderes zu berichten, nämlich: daß nicht der altehrwürdige Pfarrer von Boulogne unten warte, sondern zwei junge Geistliche, die dieses Schreiben an die ehrwürdige Frau Äbtissin überbracht hätten.

Die Äbtissin nahm das Blatt, entschuldigte sich untertänigst gegen die Prinzessin, und nachdem sie hierauf mit großer Umständlichkeit ihren Hornkneifer mit zwei ungeheuren kreisrunden Gläsern aus der Tasche hervorgesucht und sich denselben auf die Nase gedrückt hatte, begann sie die Schrift leise zu lesen. Sie brauchte dazu mehr Zeit, als man für nötig gehalten haben würde.

»Unsere in den Herrn eingegangene Schwester«, sagte sie nach Vollendung der schweren Arbeit, »hat im Tode noch Glück; statt von dem alten Pfarrer soll sie unter der Assistenz von zwei Jünglingen zur letzten Ruhe gebettet werden.«

Sie erläuterte nun der Prinzessin den Inhalt des Briefes.

Zwei Geistliche, der eine sei der Abbé von Mouzon aus Paris, der andere dessen Vetter aus der Provinz, ein Herr Abbé von Saint-Saturin, hätten sich dem alten Pfarrer vorgestellt, und ihn gebeten, an seiner Statt die heutigen Obsequien bei uns vornehmen zu dürfen. Sie hätten nämlich vernommen, daß eine hohe Prinzessin vom königlichen Hause der Feierlichkeit beiwohne, und der jüngere von beiden, der Abbé von Saint-Saturin, aus angesehenem Hause, aber arm, hoffe eine Audienz bei ihrer Hoheit zu erlangen, um vielleicht in ihr eine mächtige Gönnerin zu gewinnen.

»Durch das eigenhändige Schreiben unseres allverehrten Seelenhirten«, setzte die Äbtissin hinzu, »ist für mich die Sache in der Ordnung und Regel, ob aber Eure Hoheit geruhen wollen, die begehrte Audienz zu gewähren?«

»Es ist meine Pflicht,« antwortete die Prinzessin, deren Wangen sich lebhaft gerötet hatten; »denn wenn man in einem heiligen Hause, wie dem Eurigen, nicht christlich mildtätig wäre, wo in aller Welt sollte man es sein.«

Die Äbtissin und ihre umherstehenden blauweißen Schäfchen machten der Tochter des Regenten mit dem Ausdruck ehrlicher Bewunderung tiefe Verbeugungen.

»Sind die Herren Geistlichen bereit?« fragte die Mutter Seraphika, und Schwester Bonaventura berichtete: »sie wären beide bereits von Schwester Josepha, der Sakristanin, mit Chorhemd, Kragen und Stola versehen worden und harrten in der Kirche des Winkes der ehrwürdigen Frau Äbtissin.«

»Also denn zur Sache,« sprach die Tochter des Regenten, indem sie sich erhob. »Darf ich Euch meinen Arm bieten, hochwürdige Mutter?«

Die Prinzessin war heute wahrhaftig von nie erhörter Güte und Gnade.

In wenigen Minuten fand sich die ganze blau- und weißgekleidete Schar zusammen mit den schwarz umhüllten Novizen und Pensionärinnen in der Kirche versammelt. Die beiden Geistlichen, mit dem offenen Ritualbuch in der Hand vor sich, traten an die Bahre, der Akt der Einsegnung begann.

Aber diese jungen Kleriker schienen noch nicht oft funktioniert zu haben. Sie sprachen wohl von einzelnen Gebeten und Responsorien die Eingangsworte mit auffälliger Deutlichkeit und Lautheit, das übrige aber murmelten sie unverständlich durch die Zähne oder verschluckten es ganz und gar. Viel Besseres jedoch waren die Nonnen auch von ihrem alten Pfarrer nicht gewöhnt.

Nur wurde die Sache fast brenzelig. Der Abbé von Saint-Saturin hatte beim letzten Räuchern das Rauchfaß allzu heftig geschwenkt, dabei hatte sich eines der Kettchen in einem Haken verfangen, der Kohlenbehälter war umgekippt und einige von den herausfahrenden und weit umhersprühenden Kohlen fielen auf das Bahrtuch, das alsobald zu brennen begann. Erschreckt sprangen die Schwestern hinzu, um zu löschen, indem sie die aufzüngelnden Flämmlein herzhaft mit Fußtritten niederkämpften, dabei aber Gefahr liefen, selber in Brand zu geraten. Sie wurden zuletzt des Unheils Herr, aber viel hätte doch nicht gefehlt, daß die tote Nonne verbrannt, statt begraben worden wäre.

Das geschah nun jedoch nicht, und laut, fast gebieterisch rezitierte der Abbé von Saint-Saturin sein: Requiem sempiternam, dona ea, Domine.

Dann wurde der Sarg von zwei Schwestern geschlossen, sechs andere ergriffen die kupfernen Handhaben, und im Handumdrehen war die Tote auf dem kleinen Kirchhof draußen vor der Türe eingesenkt.

Vor der offenen Grube noch einmal dreimaliges Aussprengen von Weihwasser, Asperge nos, Domine, ebenso ein dreimaliges Räuchern – der Abbé von Saint-Saturin machte es diesmal behutsamer, und ein lautes befriedigtes Requiescas in pace, was bei einer Beisetzung so viel heißt als bei der Messe das ite missa est, nämlich: Gott sei Dank, wir sind fertig.

In der Tat war die Zeremonie glücklich zu Ende, die Äbtissin dankte den beiden Geistlichen und begleitete dann, während diese in der Sakristei sich ihrer heiligen Gewänder entledigten, die Prinzessin zurück zu ihren Gemächern.

»Für die Kollation«, sagte hier die Tochter des Regenten, »bitte ich Euch, hochwürdige Mutter, mich zu entschuldigen. Ich will jetzt den Herrn Abbé von Saint-Saturin empfangen und dann werde ich für einige Zeit der Ruhe bedürftig sein. Man bescheide also den Herrn Abbé zu mir. Ihr, meine liebe Châteauneuf,« wandte sich die Prinzessin an ihre Ehrendame, »werdet für die Dauer des Frühstücks unserer ehrwürdigen Mutter das Vergnügen Eurer Gegenwart nicht versagen wollen.«

Und man ließ, wie sie es wünschte, die Prinzessin allein, dem Abbé von Saint-Saturin aber wurde bedeutet, daß Ihre Hoheit ihn erwarte.

An der Frühstückstafel aber saß der Abbé von Mouzon zur Linken, die Châteauneuf zur Rechten der Äbtissin. Die Unterhaltung begann diskret und bescheiden unter salbungsvollen gedämpften Worten und gut beherrschten Mienen, wie es einer Trauergesellschaft geziemt. Aber diese peinliche Gezwungenheit dauerte nicht allzu lange.

Mutter Seraphika liebte über alles in der Welt ein gemütliches Schwatzen. Sie war unermüdlich im Auskramen von Histörchen und drolligen Anekdoten; ihr etwas gackernder Redeton, der gewisse Zuhörer auf die Dauer totmachen konnte, war ihr selber das höchste Behagen, das sie auf der Welt kannte. Und dieses hatte ihr noch kein Mensch so ausgiebig verschafft, wie ihr heutiger Nachbar zur Linken, der Abbé von Mouzon, der ihr nicht nur mit englischer Geduld, sondern auch mit unübertrefflich weltmännischer Liebenswürdigkeit zuhörte, und nur zu dem Zweck hie und da ein Wort einwarf, das Redegeplätscher der Alten, wenn es einmal zu stocken schien – es schien wirklich nur so – immer wieder neu zu beleben.

Die Herzogin von Châteauneuf langweilte sich ebenfalls nicht. Sie fühlte sich von der ganzen Tafelrunde so aufrichtig beneidet um das Glück, in der Gegenwart einer so bezaubernden Prinzessin leben zu dürfen, beneidet und in Bewunderung angestaunt, daß sie darüber in die beste Laune geriet und nicht verschmähte, ja eine große Genugtuung darin fand, den aufhorchenden Nönnchen und Pensionärinnen – ah, wie die Augen machten – immer neue heitere und heikle Dinge vom Hof und Weltleben zu erzählen. Eine der jungen Novizen nahm sich, trotz ihrer Schüchternheit, das Herz, nach dem jungen König zu fragen. Die Châteauneuf hatte nur darauf gewartet. Das war ihr Lieblingsthema: »König Ludwig, das Kind.«

Sie wußte tausend Züge zu erzählen von Naivität, Liebenswürdigkeit, Geist und Witz, womit, nach ihrem Sagen, das königliche Kind alle Welt in Erstaunen versetze.

So verging die Zeit rasch. Die mannigfaltigen leckeren Speisen und süßen Getränke taten auch das ihrige und als auf einmal der Abbé von Saint-Saturin lächelnd – ein unsagbarer Hohn lag in seinem Lächeln – unter der Türe erschien, da waren wohl an die zwei Stunden verflossen, ohne daß eine Seele dieser klösterlichen Tafelrunde es gedacht hätte.

»Es scheint, Herr Abbé,« sagte Mutter Seraphika, triefend von Milde und Güte, »es scheint, Ihr seid mit Eurem Empfang bei der Hoheit zufrieden.«

»Sehr,« antwortete dieser mit einer drolligen Miene. »Ihre Hoheit haben geruht, mir ein eindringliches Examen abzunehmen, aber ich habe es mit Glück bestanden.«

Die Einladung der Äbtissin, Platz zu nehmen, lehnte er ab.

Auch der Abbé von Mouzon hatte sich erhoben, und beide verabschiedeten sich von der ehrwürdigen Mutter und den andern Jungfrauen in vollendet weltmännischer Form.

So verliefen die Ereignisse an diesem Tag in der Abtei zu Longchamp. Am Nachmittag aber fuhr der Herzog von Richelieu und sein Freund, der Fürst von Rohan-Guémené, beide noch immer im Priesterkleid, mit der nämlichen wankenden Mietskutsche, mit der sie gekommen waren, von Boulogne aus nach Paris zurück. Eine ähnliche Kutsche folgte ihnen in beträchtlichem Abstand, ohne daß sie darauf achteten.


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