Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war am nächsten Morgen kurz vor sechs Uhr, als Joe Jenkins den Polizeigewaltigen von Sollihögda »herausklopfte«. Der stand erschrocken vor dem Amerikaner, der ihm von seiner vorgesetzten Behörde längst avisiert war und strich sich verlegen den Schnauzbart.
»Haben Sie ein festes Haftlokal, Herr Wachtmeister?«
»Aber gewiß, Mr. Jenkins.«
»Mit vergitterten Fenstern?«
»Versteht sich.«
»Haben Sie auch eine Feile?«
»Eine was …?«
»Eine Feile. Zum Feilen.«
»Das habe ich mir gedacht. Hier habe ich Ihnen eine mitgebracht.«
Der Schnauzbärtige nahm verblüfft das lange schmale Ding in die Hand. »Was soll ich denn damit?«
»Ich werde es Ihnen zeigen. Führen Sie mich mal in Ihren Kerker.«
Die beiden gingen zum Spritzenhaus hinüber, einem festen Gebäude mit vergitterten Fenstern, das der Wachtmeister aufschloß.
Die Zwei traten ein. Joe Jenkins klopfte an die Stäbe, die das Fenster vergitterten, es gab einen hellen Klang. »Also sehen Sie mal her: nun nehmen Sie diese Feile und feilen Sie diese drei Stäbe nacheinander an: so daß noch ein kleiner Rest von Haltbarkeit bleibt.«
»Aber wenn die einer anfaßt, dann merkt er doch, was los ist.«
»Das soll er ja.«
»Dann bricht er die Stäbe auseinander und türmt.«
»Er soll türmen.«
»Drei Gitterstäbe – ausgerechnet drei Gitterstäbe – da geht ja gerade einer zwischen durch.«
»Also hiermit wiederhole ich Ihnen feierlichst Ihren Auftrag: drei Gitterstäbe – anfeilen – so daß er türmen kann. Kommen Sie mir bitte so schnell wie möglich nach – nach dem Steinbruch der Waggerydwerke. Sie wollen jemanden festnehmen.«
»Wohl – wohl – Mr. Jenkins. Aber das eine müssen Sie mir schon sagen: wer ist es denn?«
»Unter strengster Amtsverschwiegenheit: Herr Morck.«
»Um Gotteswillen – ist Herr Morck der Mörder?«
»Das weiß ich vorläufig nicht.«
»Warum verhaften Sie ihn dann?«
»Damit er ausrückt.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wenn er ausrückt, so wird sein erster Weg zu denen sein, die in Gefahr sind. Verstehen Sie das?«
»Ja – das verstehe ich.«
»Gutwillig nennt er sie mir nicht. So muß ich auf diese Weise zu erfahren suchen, wird ie leute sind, die mit Morck zusammenhängen.«
»Meinen Sie, es könnte der Mörder sein?«
»Es sieht so aus.«
»Das ist ein schwieriges Verfahren, Mr. Jenkins. Darauf wäre ich nie gekommen.«
»Feilen Sie recht gut und recht schnell. Ja – und noch eins – haben Sie irgendeinen alten Mantel und eine alte Mütze?«
»Ich denke schon. Was wollen Sie damit?«
»Anziehen. Am liebsten wäre mir ein Pelzmantel – denn ich muß aller Voraussicht nach heute mein Brot als Chauffeur verdienen.«
*
Durch den Steinbruch von Sollihögda liefen feine seidene Schnüre, deren Endungen mitten in das Gestein führten. Arbeiter kamen und gingen mit Batterien und Galvanometern; einige andere trugen vorsichtig kleine Kästen mit länglichen Astralitpatronen. Als oberster Leiter dieses krausen Durcheinanders aber thronte Herr Morck; er stand auf einer kleinen Anhöhe und dirigierte die einzelnen Trupps. Dann, auf ein Zeichen von ihm, zog sich alles zurück; er drückte auf einen Knopf, und mit einer ohrenbetäubenden Detonation explodierte das Gestein, Unmassen von Splittern und von Erde in die Luft schleudernd.
Eben rief Morck wieder die Arbeitenden zusammen, um neue Anweisungen zu geben, als der Polizeigewaltige von Sollihögda auf dem Plan erschien; er sah feierlich amtlich aus. Gleichwohl sagte er leise, so daß niemand von den Anwesenden aus dem ganzen Vorgang so recht klug wurde:
» Herr Morck – ich erkläre Sie hiermit für verhaftet.«
Auf die bestürzte Frage des Herrn Morck antwortete er, immer in derselben leisen Tonart: »Es geschieht auf Veranlassung des Mr. Jenkins. Ich werde hier die Pappelallee hinuntergehen – geben Sie den Leuten Ihre Aufträge und folgen Sie mir. Sie werden schon eine Ausrede finden.« – – –
So wurde Morck in das Spritzenhaus eingeliefert.
Nachdem er sich von seiner ersten wirren Betäubung erholt hatte, blickte er in dem kahlen Raum suchend um sich. Die Fenster waren dicht vergittert – es war ein Wahnsinn, an Flucht zu denken. Er legte die Hände an die Gitter wie in einem instinktiven Freiheitsdrang – und siehe da – seine werkzeuggewohnte Hand spürte die schadhafte Stelle. Erstaunt betrachtet er die Stäbe – hatte da vielleicht ein früherer Häftling vorgearbeitet? Drei der Sprossen waren angefeilt.
Er rüttelte – einer der Stäbe gab nach. Er riß ihn heraus und schlug damit auf die beiden andern ein. Klirrend splitterte das Eisen ab. Dann öffnete er behutsam das Fenster und glitt hinaus.
Er hatte Glück, die Chaussee war leer. Zum Bahnhof? Das wäre sträflicher Leichtsinn gewesen; vielleicht war seine Verhaftung schon bekannt und man würde ihn aus der Stelle wieder einfangen. Also zu Fuß? Jede Minute konnte man seine Flucht entdecken, und in einer Viertelstunde war er überholt.
Während er sich noch suchend umsah, hörte er einen wohlbekannten tröstlichen Klang: das Rattern eines Autos, das sichtlich von Westen kam, also in der Richtung nach Christiania fuhr. Er hatte Glück. Das Auto war leer. Der Chauffeur steckte in einem alten schimmligen Pelz und hatte die Mütze tief ins Gesicht gedrückt. Für den waren Hundert Kronen sicher ein kleines Vermögen.
»Wollen Sie mich mit nach Christiania nehmen?«
»Was geben Sie aus?« brummte der Gefragte.
»Fünfzig Kronen.«
»Ist mir zu wenig.«
»Fünfundsiebzig Kronen.«
»Sagen Sie schon achtzig.«
»Meinetwegen. Also los.«
»Nach Briskeby, Lövenskiolds-Gade 24.«
Der Chauffeur riß den Hebel herüber – und das Auto zog mit einem solchen Ruck an, daß Herr Morck beinahe Purzelbaum geschlagen hätte.
Der Weg ging bergab; die alte Kirche Tanum tauchte auf; jemand winkte, schrie; aber der Chauffeur schaltete die letzte Geschwindigkeit ein und der Wagen raste weiter talabwärts. Wasser schimmerte aus: der Sandvikselv, an den sich die Landstraße gehorsam anschmiegte. Dann kam ein frischer kühler Hauch vom Osten: der Fjord.
Das Auto raste durch das Örtchen Sandviken und donnerte über die Brücke. Die Porphyrhöhen Kolsaas schimmerten rötlich – der Horizont weitete sich – dort drüben dämmerte es grau über den Fjord herüber.
In einer scharfen Kurve bog das Auto nach rechts ein. Die Mündung des Sverkedalselvs glitt heran; ein paar hölzerne Brücken nahmen rumpelnd das Fahrzeug auf; Lysaker sauste vorüber.
Die Ausläufer der Stadt meldeten sich: Trambahnschienen blitzten, flankiert von hohen Masten mit glänzenden Leitungsdrähten: Skoeien, das Einfahrtstor der Halbinsel Bygdö.
Ein weiter Park tat sich auf – das Schloß Oskarshall glitt vorüber. Luftige Bauten aus weißem Holz mit lustig flatternden Markisen grüßten: das Seebad Dronningen. Die Schwebende Brücke flog heran; dann bog der Wagen in die Bygdöallee ein.
Der Führer wandte halb den Kopf. »Wie geht es weiter?«
»Sind Sie nicht aus Christiania?« fragte der Fahrgast mit einem leichten Unterton des Mißtrauens in der Stimme.
»Ich bin aus Drammen.«
»Es ist gut – ich steige hier aus.« Er drückte dem Chauffeur den abgezählten Betrag in die Hand, den dieser mit einem dankenden Brummen einsteckte. Dann bog er in den Elisenbergvej ein und verschwand im Gewimmel des frischen hellen Morgens.
*
Joe Jenkins stand vor dem Hause Lövenskiolds-Gade 24 – einem kleinen sauberen Einzelhaus. Der Name Myrdal stand auf dem kleinen Zinkschild. Er klingelte.
Irgendwo ging eine Tür; ein leichter Schritt kam über den Korridor; eine junge Dame stand in der Tür. Trotz des Halbdunkels erkannte der Detektiv, daß sie jung und hübsch war.
»Ich möchte Herrn Morck sprechen.«
Sie ließ einen schnellen Blick über sein Gesicht gleiten, dann wandte sie sich um und ging wortlos den Korridor hinunter. Der Besucher folgte ihr; eine Tür ging auf.
Vor dem Amerikaner stand Laurids Morck.
»Joe Jenkins!« schrie er betroffen.
»Herr Morck – draußen ist ein Herr, der den Wunsch hat, Sie zu sehen. Sie erlauben wohl, daß er eintritt.«
Morck stand wortlos im Zimmer – Joe Jenkins kam eine Minute später mit einem jungen Mann zurück.
»Kennen Sie diesen Herrn?« wandte sich der Amerikaner an den Eintretenden.
Der Gefragte nickte. »Es ist der Fremde, der Herrn Waggeryd am Mittwoch nachmittag besuchte und der das Geld zählte, als er die Treppe hinunterging.«
»Dies ist der Zimmerkellner aus dem Hotel Nobel, Herr Morck. Sie sehen – auch er erkennt Sie wieder.«
Morck zuckte gleichmütig die Achseln. »Ich habe Ihnen bereits bestätigt, daß ich bei Herrn Waggeryd war. Was wollen Sie also noch?«
»Sie haben es abgelehnt, mir irgend etwas über die weiteren Dinge zu sagen, die das Drum und Dran des Falles bilden: über den Schmuck und über das Geld – und vor allem über die Personen, die damit zusammenhängen. Diese kleine Fahrt von Sollihögda nach Briskeby hat sich also rentiert.«
Morck wandte sich erstaunt zu ihm herum.
»Waren Sie etwa der Chauffeur?«
»Ja.«
»Sie haben mich von Sollihögda nach Christiania gefahren?«
»Ich war so frei.«
»Dann haben Sie auch wohl die Gitterstäbe angesägt?«
»So ungefähr ist es. Ich wollte Ihnen eine Fluchtmöglichkeit geben. Freiwillig hätten Sie mir den Namen und die Adresse des Fräulein Myrdal nicht genannt; es war also meine Aufgabe, Sie dies unfreiwillig tun zu lassen. Sie sehen – sie ist gelungen. Und nun, Herr Morck, bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, Sie verhaften zu lassen.«
»Halten Sie mich im Ernst für den Mörder?«
»Ich kann darauf weder ja noch nein sagen. Aus alle Fälle glaube ich, daß Sie den Mörder kennen.«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Mr. Jenkins, daß ich den Mörder nicht kenne.«
»Ihre Flucht, Herr Morck, spricht nicht gerade zu Ihren Gunsten. Wenn man ein reines Gewissen hat, bleibt man auf dem Platze und verteidigt sich.«
»Das mag auf den ersten Blick so aussehen, Mr. Jenkins«, antwortete Morck nachdenklich. »Sie sind gewohnt, alle Dinge von der rein kriminellen Seite anzusehen. Sie teilen die Menschheit ein in Unschuldige und Verbrecher – Zwischentöne kennen Sie nicht.«
»Sie irren sich, mein lieber Herr Morck« antwortete Joe Jenkins. »Ich habe für Nuancierungen ein sehr geschultes Ohr.«
»Nein. Das ist nicht möglich. Sie müßten sonst wissen, daß es für mein Verhalten auch eine andere Deutung gibt als die rein kriminalistische.«
»Natürlich gibt es die. Da es sich aber um Dinge handelt, die im engsten Zusammenhang mit dem schwersten Kriminalfall den es gibt – nämlich einem Mord stehen, so dürfen Sie es mir nicht verübeln, wenn ich in diesem Falle kriminelle Zusammenhänge unterstelle. Und nun haben Sie die Güte,« – wieder ging Joe Jenkins zur Tür und öffnete sie – »diese Treppe hinunterzugehen. Zwei Herren werden Sie in Empfang nehmen und sich Ihrer Person versichern. Stellt sich heraus, daß es unnötig war, so werde ich der Erste sein, der diesen Mißgriff korrigiert.« – – –
Die Tür schloß sich hinter Laurids Morck und dem Kellner – Joe Jenkins war mit der jungen Dame allein. Sie stand in regloser Haltung, die Augen auf den Boden geheftet, schweigend vor dem Amerikaner.
Er zog einen Zettel aus der Tasche:
» Gib auch dies zurück.«
G.
»Kennen Sie diesen Zettel?«
Sie warf einen kurzen Blick auf das Schriftstück und nickte. »Das habe ich geschrieben.«
»Sie sind also die Absenderin des Saphirschmuckes?«
»Ja.«
»Der Schmuck trägt die Firma J. H. Hall. Es war nicht schwer festzustellen, an wen dieser Juwelier den Schmuck geliefert hat. Der Empfänger war Herr Waggeryd – im Hotel Nobel.«
»Das stimmt.«
»Sagen Sie mir, Fräulein …«
»… Gudrun Myrdal …«
»… Fräulein Gudrun Myrdal; was wollte Herr Morck hier?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Jenkins.«
»Sie wissen, wer ich bin?«
»Ja.«
»Herr Morck hat also von mir gesprochen?«
»Ja.«
»In der vorigen Nacht wurde ein Betrag von Hunderttausend Kronen in das Zimmer des toten Herrn Waggeryd gebracht – zurückgebracht. Herr Morck hat mir gestanden, daß er der mitternächtliche Besucher war, der dies Geld in die Uhr gelegt hat. Der Inhalt dieses Zettels, den Sie geschrieben haben, läßt darauf schließen, daß Sie um die Zurückbringung der Hunderttausend Kronen gewußt – ja, daß Sie diese Zurückbringung veranlaßt haben. Denn Sie schreiben ausdrücklich: gib auch dies zurück. Ist es so, Fräulein Myrdal?«
»Es ist so.«
»Auf dem Scheckkupon, der die Auszahlung dieser Hunderttausend Kronen belegt, befindet sich der Buchstabe M. Das bedeutet zweifellos entweder Morck oder Myrdal – wahrscheinlich beides.«
»Es ist möglich.«
»Allem Anschein nach handelt es sich um eine Erpressung.«
»Mr. Jenkins!«
»… an der Sie beide beteiligt sind. Waggeryd hat sich bluffen lassen und hat das Geld gezahlt. Offenbar hat Waggeryd Herrn Morck später mit Anzeige bedroht. Aus Angst vor dieser Anzeige hat Morck in jener Nacht Herrn Waggeryd umgebracht.«
»Das ist nicht wahr.«
»Aus einer jener seltsamen Nervenzwangsvorstellungen heraus hat Morck das erpreßte Geld dann später in die Wohnung des Toten zurückgebracht – die alte Erfahrung: der Mörder, den sein Opfer mit magischer Gewalt zurückholt.«
»Morck ist kein Mörder und kein Erpresser.«
»Bleibt noch der Schmuck aufzuklären. Sie sind die Absenderin. Haben Sie Herrn Waggeryd gekannt?«
»Ja.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Joe Jenkins sah ihr mit unverhohlenem Erstaunen ins Gesicht. » In Ihrer Gesellschaft war er am Tage seiner Ermordung?«
»Ja.«
»Wo waren Sie mit Herrn Waggeryd zusammen?«
»Hier. Herr Waggeryd war in dieser Wohnung.«
»Zum ersten Male?«
»Nein. Vielleicht zum zwanzigsten Male.«
»Was wollte er hier?«
»Er brachte mir den Schmuck.«
»Das ist merkwürdig. Im übrigen – kennen Sie seine Frau?«
»Was für eine Frau?«
»Herrn Waggeryds Frau.«
»Herr Waggeryd hatte keine Frau.«
»Woher wissen Sie das?«
»Er kann keine Frau gehabt haben.«
»Warum nicht?«
» Weil ich seine Braut bin …!
»Alle Wetter! Dieser Fall Waggeryd begann wie ein Scherz und endet wie eine Tragödie. Können Sie mir beweisen, daß Sie seine Braut waren?«
Gudrun Myrdal ging an ein Schränkchen und öffnete es. Darin stand ein Stoß Kartons. Sie nahm eine der Karten und gab sie dem Detektiv. Es war eine Anzeige:
Gudrun Myrdal
Verlobte. |
»Sie haben diese Verlobungskarten noch nicht versandt?«
»Nein. Herr Waggeryd hat sie am Mittwoch bestellt. Am Freitag sind sie gekommen.«
» Er starb also in dem Moment, in dem er im Begriffe war, seine Absicht Sie zu heiraten zu publizieren. Das ist wichtig. Warum begleiteten Sie Ihren Verlobten nicht ins Boulevard-Restaurant? Brautleute pflegen gern beieinander zu sein, Fräulein Myrdal.«
Sie seufzte. »Als Hjalmar diese Wohnung verließ waren wir so gut wie ›auseinander‹. Er hatte an jenem Tage darauf gedrängt, daß das Aufgebot stattfinden solle – da kam mir die ganze Trostlosigkeit meines Schicksals zum Bewußtsein. Also kurz und gut: ich weigerte mich.«
»Warum also hat Herr Waggeryd die Hunderttausend Kronen gezahlt – an Sie oder aber an Herrn Morck?«
»Herr Morck sollte dafür nach Amerika gehen.«
»Welches Interesse hatte Herr Waggeryd hieran?«
» Morck und ich lieben uns.«
Joe Jenkins tat einen Pfiff. »So etwas habe ich mir gedacht. Warum nahmen Sie Waggeryds Bewerbung an, da Sie Morck liebten?«
»Mein Vater ist ein kleiner Steinmetz, der an die Waggerydwerke seit Jahren verschuldet ist und tiefer und tiefer in Bedrängnis geriet. Seine Existenz lag in Hjalmars Händen. Er war es, der mir die Partie mit Hjalmar vorschlug. Ich muß auch gestehen, daß mir Waggeryd zuerst recht gut gefiel. Ich war damals mit Morck ein bißchen entzweit und hielt diese Liebesgeschichte für abgetan. Später vertrugen wir uns wieder, und von Tag zu Tag fühlte ich es mehr, daß ich keinem anderen Menschen auf dieser Welt gehören könne, als Laurids Morck.«
»Trotzdem nahm Morck die Hunderttausend Kronen an und verpflichtete sich hierfür, nach Amerika zu gehen?«
»Er wollte sie nicht nehmen. Er weigerte sich aus das Heftigste, es kam zu einer furchtbaren Szene zwischen ihm und meinem Vater.«
»Trotzdem sagte er schließlich ja?«
»Mein Vater verschanzte sich hinter mich. Er gestand mir, daß er vor dem Zusammenbruch stehe – ja … wohl noch vor Schlimmerem«, setzte sie leise hinzu. »Er hatte die Bücher unordentlich geführt – nein, das ist es auch nicht allein – er hatte … um seine Gläubiger zu beruhigen … verschiedene Eintragungen stimmten nicht … bei einem Konkurs wäre alles entdeckt worden – mein Vater wäre verloren gewesen. Das gab den Ausschlag. Die Armut hätte ich vielleicht ertragen – aber meinen Vater im Gefängnis wissen … also eines Tages bat ich Morck, zu den Vorschlägen meines Vaters Ja und Amen zu sagen. Dieser Tag war der traurigste meines Lebens. Wir weinten beide sehr – endlich verließ er mich und ging zu Waggeryd …«
»… und nahm das Geld.«
»Noch am selben Tage brachte er es meinem Vater; er wollte nichts davon haben.«
»Herr Waggeryd war also am Mittwoch bei Ihnen, um Ihnen den Schmuck zu bringen?«
»Ja. Den Schmuck und einen kostbaren Blumenstrauß: herrliche Syringen.«
»Warum faßten Sie den Entschluß, Geld und Schmuck zurückzugeben?«
»Ich habe Ihnen so viel von Morck und seinen Eigenschaften erzählt, daß Sie das verstehen werden. Wir beide hatten das Gefühl, das uns dieser Reichtum nicht gehöre, daß er uns Unglück bringen müsse.«
Joe Jenkins hatte sich gedankenvoll auf den Stuhl niedergelassen, der in der Nähe des Fensters stand und blickte schweigend vor sich hin. »Wie mag es kommen, Fräulein Myrdal, daß Herr Waggeryd niemandem von dem Verlöbnis mit Ihnen erzählt hat? Selbst mir nicht? Er war nämlich an jenem Mittwoch abend bei mir, um mir von einer seltsamen Begegnung mit einem Doppelgänger zu berichten, die ihn sehr erregt hatte. Er hielt sie für den Vorboten seines Todes – und diese Ahnung hat sich noch in derselben Nacht erfüllt. In solchen Stimmungen pflegt man die Wahrheit zu sagen.«
»Ich kann es Ihnen vielleicht erklären,« antwortete Gudrun zögernd, »wenn auch mehr mit dem Gefühl als mit der Logik. Hjalmar Waggeryd war im Grunde ein durch und durch vornehmer Mensch. Ich glaube, es tat ihm selbst leid, daß er trennend zwischen mich und Morck getreten war – ein paarmal hat er sogar den Gedanken gehabt, sich wieder von mir zu trennen. Aber er war so rettungslos in mich verliebt, mit der ganzen Liebe des alternden Mannes, daß er einfach dazu unfähig war. Der ganze Handel mit Morck war ihm unsagbar peinlich – ich glaube im Grunde genierte er sich ein bißchen wegen dieser ganzen Verlobungsgeschichte. Dazu kommt etwas, was ich Ihnen bereits sagte: als er mich verließ, waren wir so gut wie erzürnt. Er nahm vielleicht an, daß er mich überhaupt nicht mehr wiedersehen würde.«
»Herr Waggeryd sagte mir, er habe an der Konferenz der Steinbruchbesitzer teilgenommen. Das war eine Unwahrheit.«
»Sie müssen ihm diese Lüge verzeihen – es wird ihm wohl zu schmerzlich gewesen sein, von mir zu sprechen. Denn gerade an jenem Nachmittag mußte er den unumstößlichen Eindruck gewonnen haben, daß ich ihn nicht liebte, daß mein Herz jetzt und für immer Morck gehörte.«
Joe Jenkins nickte. »Er nahm vielleicht obendrein an, daß seine privaten Verhältnisse mit dieser Erscheinung nichts zu tun hätten und daß diese Dinge, die ihm obendrein peinlich waren, nicht hierher gehörten.«
»Und Laurids?« fragte Gudrun Myrdal. »Halten Sie ihn noch immer für den Mörder?«
Joe Jenkins lächelte. »Ich denke, Sie werden ihn bald in die Arme schließen können.«
*
»Ein Herr wartet«, sagte der Portier des Belvédère-Hotels, als Joe Jenkins vorfuhr.
Der Amerikaner fuhr hinauf.
In seinem Zimmer saß Brinjulf Jarl mit wirrem Haar und flackernden Augen.
»Ich habe ihn wiedergesehen«, sagte er, indem er die Augen schloß und lehnte sich erschöpft gegen die Tür.
»Wen?«