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Der Lausbub wird Soldat.

Die verbogene Lebenslinie. – Ein schneller Entschluß. – Beim Oberleutnant Green vom Signaldienst. – Ich werde angeworben! – Abschied von Allan McGrady. – B Company des 1. Infanterieregiments. – Korporal Jameson. – Wiggelwaggeln. – Der sprechende Sonnenspiegel. – »Ich gehe nach Kuba!«

Daß meine Verhältnisse sich völlig ändern würden, der mühsam erarbeitete erste Lebenserfolg völlig über den Haufen geworfen wurde, die Zukunft sich anders gestalten mußte – an meine ganze schöne Lebenslinie dachte ich auch nicht einen Augenblick lang. Her nur mit dem praktischen Trotz, der törichte Wünsche in Wirklichkeit umsetzt!

Ich ging zum Oberleutnant Green ins Presidio.

»Hoffentlich kommen Sie nicht in beruflicher Angelegenheit,« sagte er lächelnd, als ich in das kleine Signalbureau im Adjutanturgebäude trat, »denn nicht ein Wörtchen könnte ich Ihnen in diesen Zeiten sagen. Befehl von Washington!«

»Das wäre an und für sich schon eine Neuigkeit im Zeitungssinne!« lachte ich. »Aber ich komme mit einer persönlichen Bitte ...« Und ich erzählte ihm, was ich mit Allan McGrady gesprochen hatte und erklärte, daß ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt hätte, den Feldzug mitzumachen. Der Offizier hörte aufmerksam zu.

»Sie wollen also Soldat werden?«

»Ja.«

»Und Ihr Beruf?«

»Auf den pfeif' ich!«

»Hm. Haben Sie sich da in Ihrer Enttäuschung über die Kriegskorrespondentengeschichte nicht in eine Idee verrannt, deren Tragweite Sie nicht übersehen? Würden Sie sich unter allen Umständen anwerben lassen, auch wenn ich nicht helfe?«

»Ja, unter allen Umständen.«

»Schön. Wie alt sind Sie?«

»Zwanzig Jahre und drei Monate.«

»Hm. Das Gesetz schreibt zwar ein Alter von 21 Jahren vor, aber um der paar Monate willen wollen mir uns nicht streiten. Ich will Ihnen helfen. Sie scheinen ja ernstlich genug zu wollen, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Unter den besonderen Umständen wird Ihnen übrigens eine kurze Dienstzeit in der blauen Jacke Onkel Sams gar nicht schaden. Nun hören Sie, bitte, genau zu. Was ich Ihnen jetzt sage, ist vertraulich: Wir könnten Sie im Korps gebrauchen, und das wäre wohl auch das Beste für Sie, schon weil die Arbeit sehr interessant ist. Telegraphieren können Sie ja schon. Der Haken ist nur der, daß ich zur Anwerbung nicht autorisiert bin. Der Signalkorpsdienst der Vereinigten Staaten besteht augenblicklich nur aus etwa dreißig Offizieren und etlichen fünfzig Sergeanten. Mannschaft haben wir vorläufig gar nicht. Ich erwarte jedoch von Stunde zu Stunde die Order, die ein Signalkorps im größeren Stil für den Krieg organisiert. Sie lassen sich also jetzt für das hiesige Regiment, das 1. Infanterieregiment, anwerben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie sofort zum Telegraphendienst abkommandiert werden, und sobald das neue Signalkorps autorisiert ist, werde ich Sie versetzen lassen. Abgemacht?«

»Ja.«

»Schön. Sie müssen sich auf drei Jahre verpflichten, aber eine vorherige Entlassung würde keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen, wenn Sie eine solche nach Beendigung des Feldzugs wünschen.«

Ich horchte auf, denn das war es gerade, was ich wollte!

»Abgemacht?«

»Ja.«

» Well, ich hoffe, daß Sie den Schritt, den Sie heute unternehmen, nicht bereuen werden. Und nun wollen wir die Sache ins Reine bringen. Warten Sie hier einen Augenblick, bitte. Ich werde den Adjutanten verständigen, der Sie formell anwerben wird.«

Nach kurzer Zeit kam er wieder. »Kommen Sie mit, bitte!«

Wir gingen über den Korridor ins Adjutanturzimmer. Dort saß an einem Schreibtisch ein junger Leutnant, und an einem großen Tisch arbeiteten zwei Sergeanten. Fast gleichzeitig mit uns trat ein Militärarzt ins Zimmer, der mich in einen Nebenraum winkte. Ich mußte mich auskleiden und wurde untersucht. Das war in wenigen Minuten geschehen. Dann ging's wieder ins andere Zimmer, und der Leutnant stellte mir die knappen geschäftsmäßigen Fragen der Anwerbung. »Sie wollen freiwillig in den Kriegsdienst der Vereinigten Staaten treten?«

 

»Es ist keinerlei Zwang auf Sie ausgeübt worden?«

 

»Sie sind nicht verheiratet?«

 

»Sie sind im Besitz der amerikanischen Bürgerpapiere?« (Oberleutnant Green flüsterte da dem Adjutanten etwas zu, und ich glaubte zu verstehen: Ist allright – ich bürge für den Mann.) Der Werbeoffizier wartete keine Antwort ab. »Natürlich. Sie stammen aber von deutschen Eltern, nicht wahr?«

So kam ich um die Notwendigkeit herum, meine Absicht, Bürger der Vereinigten Staaten werden zu wollen, feierlich beschwören zu müssen. Da ich diese Absicht durchaus nicht hatte, so erfreute mich das ungemein. Wäre es aber notwendig gewesen, so hätte ich damals sieben Bürgererklärungen abgegeben und sieben Eide geschworen, nicht nur einen. Ich wollte doch nach Kuba!

Fünf Minuten später hatte ich dem Adjutanten die kurzen Worte des Fahneneids nachgesprochen und war Soldat in Company B, 1st Regiment, U S. Infantry – bis um acht Uhr morgens des nächsten Tages beurlaubt, um meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

 

Allan McGrady fiel beinahe vom Stuhl –

»Heh? Sagen Sie das noch einmal!« schrie er.

»Ich habe mich im Presidio anwerben lassen. Ich wollte nun einmal nach Kuba...«

»Ist also kein schlechter Witz?«

»Nein.«

»Sie Dickschädel – Sie ganz unglaublicher Dickschädel! Ich pflege mir meine Entschlüsse gerade auch nicht vier Wochen lang zu überlegen, aber das bricht doch den Rekord! Läuft das Söhnchen hin und wird Soldat! Mir nichts, dir nichts! Weshalb sind Sie denn eigentlich nicht zu mir gekommen? Hätten mir doch wenigstens sagen können, was Sie vor hatten! So viel Vertrauen zu mir hätten Sie doch wenigstens haben können!«

Ich versuchte, ihm zu erklären, daß das alles sehr plötzlich gegangen war.

»Verdammt plötzlich!« rief McGrady. »Verdammt unüberlegt. Sie haben sich in die Nesseln gesetzt! Aber ich werde dafür sorgen, daß Ihnen aus Ihrem Anstellungsvertrag mit dem Examiner keine Schwierigkeiten erwachsen. Schließlich hat jeder Dickkopf das Recht, sich den Schädel an derjenigen Mauer einzurennen, die ihm am besten gefällt!«

Er lachte und nickte vor sich hin. »Im Grunde verstehe ich Sie ja. Ich glaube überhaupt, daß in mir ein besonderes Verständnis ist für – nun, sagen wir, unschilderbare Sausewinde Ihres Schlags; die Götter mögen wissen, weshalb und woher. Also: Die Dummheit haben Sie nun einmal gemacht, denn eine Dummheit ist es vom Standpunkte der Vernunft. Eines möchte ich Ihnen aber sagen, mein Junge – sorgen Sie dafür, daß Sie so schnell als möglich wieder aus der Uniform schlüpfen, wenn die Geschichte vorbei ist! Sie sind viel zu jung, als daß man auch nur eins Ahnung haben könnte, was aus Ihnen noch werden wird, aber – well, das ist alles Unsinn! Lassen Sie von sich hören, sonny

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mac.«

Und der gereifte Mann, der mir stets ein väterlicher Freund gewesen war, schüttelte mir die Hand. Der Amerikaner hatte Verständnis für den abenteuerlichen Drang und dessen Wert im Leben. In der alten Heimat drüben hätten sie mich einen leichtsinnigen Narren genannt: mehr noch, einen Verlorenen, der eine gesicherte soziale Stellung um einer Laune willen wegwarf. Ich wollte aber auf meine eigene Fasson selig oder unselig werden ...

»Uebrigens wollte ich auch als Soldat für den Examiner schreiben über –«

Mac unterbrach mich. »Werden verdammt wenig Zeit und Gelegenheit dazu haben! Lassen Sie aber von sich hören. Kommen Sie wieder, so wartet hier ein Platz für Sie: gegen Zeilengeld im schlimmsten Fall.«

Noch ein Händedruck.

Ich habe Allan McGrady nie wieder gesehen.

 

» B« Company des ersten regulären Infanterieregiments war auf voller Kriegsstärke und ich der einzige Rekrut. Meine Ausbildung drängte sich in Tage zusammen, und wenn der Lausbub auch Lust und Talent gehabt hätte, zu nachdenklicher Besinnung zu kommen, so würde er doch ganz gewiß keine Zeit dazu gehabt haben.

Ein neues Spiel begann. Ein Wirrwarr neuen Lernens. Der alte Korporal meiner » squad« wurde dazu abkommandiert, mich in seine besondere Obhut zu nehmen. Zum Uniformdepot ging es zuerst, und in einer Stunde war ich ein bewaffneter und uniformierter blauer Junge Onkel Sams geworden. Hellblaue Hosen, knappe dunkelblaue Jacke, Mütze. Alles neu, aus ausgezeichnetem Stoff, gut sitzend. Die Sparsamkeiten der Alten Welt, deren Armeen ihre Uniformen von Soldatengeneration auf Soldatengeneration vererben, liebt der Amerikaner nicht. Dafür bezahlt er für seine kleine Armee ein Militärbudget, das fast so hoch ist wie diejenigen der europäischen Mächte ... Mein Bett, die »bunk«, wurde mir angewiesen im Mannschaftszimmer, mit nagelneuen Wolldecken und nagelneuem Bettzeug. Dann marschierte mich der alte Korporal nach einem einsamen schattigen Fleckchen in einer Eichenallee beim großen Paradefeld des Presidio, und heiße Arbeit begann. Leibesübungen. Kommandodrill. Gewehrgriffe. Arbeit von morgens bis abends, aber Arbeit, die mir genau die gleiche Freude machte wie das Lernen auf der Texasfarm und in der Texasapotheke und bei der San Franziskozeitung, denn wie jenes weckte sie den Ehrgeiz, sich geschickt und rasch auffassend zu zeigen. Und dann war's eine kleine Episode. Das Große lag im Kommenden. Fabelhaft rasch ging's mit der Ausbildung. Korporal Jameson, der schnauzbärtige alte Kalifornier verstand sein Soldatenmetier von Grund auf und hielt sich nicht mit langweiligen Wiederholungen auf, sobald er merkte, daß der neue Kompagnierekrut begriffen hatte.

» Your're allright,« sagte er. »Lesen Sie das Zeug selber!« Und gab mir sein Manual of Infantry-Drill, das Infanteriereglement. Da suchte ich mir die einfachen Anweisungen für den Kompagniedrill heraus, während er gemütlich seine Zigarette rauchte, und dann probierten wir's praktisch.

Wenn ein einziger alter Unteroffizier sich Tag auf Tag einzig und allein nur mit der Ausbildung eines einzigen jungen Soldaten beschäftigt, der weder dumm noch faul ist, so können Wunder an Schnelligkeit erzielt werden. Zehn Stunden und mehr im Tag wurde gearbeitet. Zu dem Infanteriedrill kam während zwei Stunden des Nachmittags Unterweisung im Signaldienst durch den Signalsergeanten Hastings. In Flaggensignalen vor allem, denn so einfach auch der Code des »Wiggelwaggelns« war, so erforderte es doch viel Uebung des Auges und beim Gebrauch des Feldstechers. Aber es war sehr interessant. Die großen Signalflaggen, zwei Meter beinahe im Quadrat und an einer drei Meter langen Stange befestigt, bildeten die Buchstaben durch ein Geschwungenwerden nach rechts und nach links. Die rechte Seite hieß 2, die linke 1. So bedeutete ein einmaliges Schwingen nach rechts den Buchstaben c. Aber in der Signalsprache sagte man nicht c, sondern 2. Alle Buchstaben waren Kombinationen dieser beiden Ziffern. 22, also ein zweimaliges Schwingen nach rechts, bedeutete a; 11, ein zweimaliges Schwingen nach links, bedeutete n: 212, rechts – links – rechts war m. Eine Pause, ein gerades Emporhalten der Flagge vor dem Leib trennte die einzelnen Buchstaben. Ein gerades Niederschwingen der Flagge auf den Boden zeigte das Ende eines Wortes an; ein zweimaliges Niederschwingen den Schluß eines Satzes; ein dreimaliges den Schluß der Depesche. Die Flaggen, die je nach der Witterung, der Sichtigkeit und dem Hintergrund aus Rot mit weißem oder Weiß mit rotem Zentrum bestanden, waren auf sehr große Entfernungen sichtbar. Wir verständigten uns mühelos vom Presidiohügel nach dem Meeresstrand hinunter, eine Entfernung von fast zwei Kilometern.

Noch viel mehr Freude machte mir der Heliographendienst, denn hier konnte eine Geschwindigkeit erzielt werden, die dem Telegraphieren wenig nachstand. Es war ein raffiniertes kleines Instrument, dieser sprechende Sonnenspiegel – zwei auf einer stählernen Querstange angebrachte Spiegel, die sich durch ein Präzisionswerk von Schrauben nach jeder Richtung hin einstellen ließen. Der eine Spiegel wurde durch Korn und Kimme wie bei einem Gewehr scharf auf den Empfänger einvisiert, der andere so, daß er die Sonnenstrahlen direkt auffing. Die beiden Spiegel ergänzten sich und warfen nach den feststehenden Regeln der Lichtspiegelung und ihrer Brechungswinkel zusammen ein glänzendes Licht in Form einer großen künstlichen Sonnenscheibe nach dem anvisierten Punkt.

Vor den Spiegeln stand eine Deckplatte, die durch leichten Fingerdruck geöffnet und geschlossen werden konnte. Mit langen und kurzen Lichtblitzen übermittelte man so die Buchstaben des Morsealphabets.

Daneben kamen Uebungen im Legen und Verbinden von Telegraphen- und Telephonleitungen und das interessante Anzapfen, das »Melken« der städtischen Drähte auf offener Straße mit unseren Taschenapparaten.

Der Signalrekrut wurde auf den Krieg vorbereitet.

Holtergepolterarbeit war es, mit viel Aufregung und mit vielem Lernen. Und mir gefiel es immer besser im Soldatenrock.

Von meinen Freunden beim Examiner hörte ich nur ein einziges Mal.

Das war an einem Nachmittag, als ich auf Jamesons Kommandos voller Eifer mit Holzpatronen »schnellfeuerte«. Da tauchten am Alleerand zwei Gestalten auf, und als ich hinsah, erkannte ich Ferguson und Hayes. Gemütlich kauerten sie sich unter eine Eiche und sahen zu.

»Wohl Freunde von Ihnen?« fragte der Sergeant leise. »Ja? Dann wollen wir Schluß machen!« Wie alle Sergeanten witterte Jameson Bier! »Weggetreten!« kommandierte er.

Zwei Stunden später brachte ich meine Freunde zum Fortausgang.

»Freund. Sie sind ein großer Narr!« sagte Ferguson. »Aber wenn ich so jung wäre wie Sie, hätte ich's vielleicht auch so gemacht. Viel Glück!«

Ich aber dachte: »Der Narr bist du, guter alter Ferguson. Du mußt in San Franzisko bleiben – und ich gehe nach Kuba!«


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