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Wie ich dem lieben Herrgott mein Sonntagsjöppel schenkte

In der Kirche des Alpendorfes Ratten steht links am Hochaltar eine fast lebensgroße Reiterstatue. Der Reiter auf dem Pferd ist ein stolzer Kriegsmann mit Helm und Busch und einem kohlschwarzen Schnurrbärtchen. Er hat das breite, funkelnde Schwert gezogen und schneidet mit demselben seinen Mantel entzwei. Zu Füßen des sich bäumenden Rosses kauert eine Bettlergestalt in Lumpen.

Als ich noch so ein nichtiger Knirps war, wie er einem ordentlichen Menschen kaum zum Hosensack emporgeht, führte mich meine Mutter gern in diese Kirche. In der Nähe der Kirche steht eine Marienkapelle, die sehr gnadenvoll ist und in welcher meine Mutter gerne betete. Als oft kein Mensch sonst mehr in der Kapelle war und vom Turm schon die Mittagsglocke in den heißen Sommersonntag hinausklang, kniete die Mutter immer noch in einem der Stühle und klagte Marien ihr Anliegen. Die »Liebe Frauen« saß auf dem Altar, legte die Hand in den Schoß und bewegte weder den Kopf noch die Augen noch die Hände, und da konnte meine Mutter nachgerade sagen, was sie wollte.

Ich hielt mich lieber in der großen Kirche auf und sah den schönen Reiter an.

Und einmal, als wir auf dem Weg nach Hause waren und mich die Mutter an der Hand führte und ich immer drei Schritte machen mußte, sooft sie einen tat, warf ich meinen kleinen Kopf auf zu ihrem guten Angesicht und fragte: »Zuweg (warum) steht denn der Reiter allfort auf der Wand oben, und zuweg reitet er nicht zum Fenster hinaus auf die Gasse?«

Da antwortete die Mutter: »Weil du so kindische Fragen tust und weil es nur ein Bildnis ist, das Bildnis des heiligen Martin, der, ein Soldat, ein sehr guttätiger frommer Mann gewesen und jetzt im Himmel ist.«

»Und ist das Roß auch im Himmel?« fragte ich.

»Sobald wir zu einem rechten Platz kommen, wo wir rasten können, so will ich dir vom heiligen Martin was erzählen«, sagte die Mutter und leitete mich weiter, und ich hüpfte neben ihr her. Da wartete ich schon sehr schwer auf das Rasten, und in einem fort rief ich: »Mutter, da ist ein rechter Platz!«

Erst als wir in den schattigen Wald hineinkamen, wo ein platter, moosiger Stein lag, fand sie's gut genug, da setzten wir uns nieder. Die Mutter band das Kopftuch fester und war still, als habe sie vergessen, was sie versprochen. Ich starrte ihr fort und fort auf den Mund, dann guckte ich wieder zwischen den Bäumen hin, und mir war ein paarmal, als hätte ich durch das Gehölz den schönen Reitersmann reiten gesehen.

»Ja, 'leicht wohl, mein Bübel«, begann meine Mutter plötzlich, »allzeit soll man den Armen Hilfe reichen um Gottes willen. Aber so, wie der Martin gewesen, traben heutzutag nicht viel Herrenleut herum auf hohem Roß.

Daß im Spätherbst der eiskalte Wind über unsere Schafheide streicht, das weißt wohl, hast dir ja selber drauf im vorig Jahr schier die Tatzelein erfroren. Siehst du, völlig eine solche Heide ist's auch gewesen, über die der Reitersmann Martinus einmal geritten ist an einem späten Herbstabend. Steinhart ist der Boden gefroren, und das klingt ordentlich, sooft das Roß seinen Huf in die Erden setzt. Die Schneeflöcklein tänzeln umher, kein einziges vergeht. Schon will die Nacht anbrechen, und das Roß trabt über die Heide, und der Reitersmann zieht seinen weiten Mantel zusammen, so eng es halt hat gehen mögen. Bübel, und wie er so hinfährt, da sieht er auf einmal ein Bettelmännlein kauern an einem Stein; das hat nur ein zerrissenen Jöpplein an und zittert vor Kälte und hebt sein betrübtes Auge auf zum hohen Roß. Hu, und wie das der Reiter sieht, hält er sein Tier an und ruft zum Bettler nieder: ›Ja, du lieber armer Mann, was soll ich dir reichen? Gold und Silber hab ich nicht, und mein Schwert kannst du nimmer brauchen. Wie soll ich dir helfen?‹ – Da senkt der Bettelmann sein weißes Haupt nieder gegen die halbentblößte Brust und tut einen Seufzer. Der Reiter aber zieht sein Schwert, zieht seinen Mantel von den Schultern und schneidet ihn mitten auseinander. Den einen Teil des Kleidungsstückes läßt er hinabfallen zu dem armen, zitternden Greis: ›Hab vorlieb damit, mein notleidender Bruder!‹ – Den andern Teil des Mantels schlingt er, so gut es halt gehen will, um seinen eigenen Leib und reitet weiter seine Straßen.«

So hatte meine Mutter erzählt und dabei mit ihrem eiskalten Herbstabend den schönen Hochsommertag so frostig gemacht, daß ich mich fast schaudernd an ihr lindes Busentuch schmiegte.

»'s ist aber noch nicht ganz aus, mein Kind«, fuhr die Mutter fort, »wenn du es nun gleichwohl weißt, was der Reiter mit dem Bettler in der Kirche bedeutet, so weißt du's noch nicht, was weiter geschehen ist. Wie der Reitersmann nachher in der Nacht daheim auf seinem harten Polster ruhsam schläft, kommt derselbige Bettler von der Heide zu seinem Bett, zeigt ihm lächelnd den Mantelteil, zeigt ihm die Nägelwunden an den Händen und zeigt ihm sein Angesicht, das nicht mehr alt und kummervoll ist, das strahlet wie die Sonne. Derselbe Bettelmann auf der Heid ist der liebe Herrgott selber gewesen. – So, Bübel, und jetzt werden wir wieder anrucken.«

Da erhoben wir uns und stiegen den Bergwald hinan.

Bis wir heimkamen, waren uns zwei Bettelleute begegnet; ich guckte jedem sehr genau in das Gesicht; ich hab gemeint, es dürft doch der liebe Herrgott dahinterstecken.

Gegen Abend desselben Tages, als ich mein Sonntagskleidchen des sparsamen Vaters wegen schon hatte ablegen müssen und nun wieder in dem vielfarbigen Werktagshöslein herumlief und hüpfte und nur noch das völlig neue, graue Jöppel trug, das ich nicht ablegen wollte und mir noch für den Tagesrest erbeten hatte, und als die Mutter auch schon lange wieder bei ihrer häuslichen Arbeit war, eilte ich gegen die Schafheide hinauf. Ich mußte die Schäflein, worunter auch ein weißes Lämmchen als mein Eigentum war, heim in den Stall führen.

Wie ich aber so hinhüpfe und Steinchen schleudere und damit die goldenen Abendwolken treffen will, sehe ich plötzlich, daß dort am Fels ein alter weißköpfiger, sehr arm gekleideter Mann kauert. Da stehe ich erschrocken still, getraue mir keinen Schritt mehr zu tun und denke bei mir: jetzt, das ist aber doch ganz gewiß der lieb Herrgott. Ich habe gezittert vor Furcht und Freud, ich habe mir gar nicht zu helfen gewußt.

Wenn es doch der lieb Herrgott ist, ja, da muß eins ihm wohl was geben. Wenn ich jetzt heimlauf, daß die Mutter komme und gucke und mir sage, wie ich dran bin, so geht er mir zuletzt gar dieweilen davon, und es wär doch eine Schand und ein Spott. Ich denk, sein wird er's gewiß, just so hat derselb ja auch ausgeschaut, den der Reitersmann gesehen.

Ich schlich einige Schritte nach rückwärts und begann an meinem grauen Jöppel zu zerren. Es ging nicht leicht, es war so fest über dem grobleinenen Hemd oben, und ich wollte das Schnaufen verhalten, ich meinte, der Bettelmann sollte mich früher nicht bemerken.

Einen gelbangestrichenen Taschenfeitel hatte ich, nagelneu und just scharf geschliffen. Diesen zog ich aus der Tasche, das Röcklein nahm ich unters Knie und begann es nun mitten auseinanderzutrennen.

War bald fertig, schlich zum Bettelmann, der halb zu schlummern schien, und legte ihm seinen Teil von meinem Rock zu Häupten. – Hab vorlieb damit, mein notleidender Bruder! Das habe ich ihm still in Gedanken gesagt. Dann nahm ich meinen Teil vom Rock unter den Arm, lugte noch eine Weile dem lieben Gott zu und jagte dann die Schäflein von der Heide.

In der Nacht wird er wohl kommen, dachte ich, und da werden ihn Vater und Mutter sehen, und wir können ihm, wenn er bei uns bleiben will, gleich das hintere Stübel und das Hausaltarl herrichten.

Ich lag im Schiebebettlein neben Vater und Mutter, und ich konnte nicht schlafen. Die Nacht verging, und er, den ich gemeint hatte, kam nicht.

Am frühen Morgen aber, als der Haushahn die Knechte und Mägde aus ihren Nestern hervorgekräht hatte und als draußen im Hof schon der laute Werktag anhub, kam ein alter Mann (sie hießen ihn den Schwamm-Veitel) zu meinem Vater, brachte ihm den verschenkten Teil von meinem Rock und erzählte, ich hätte denselben abends zuvor in meinem Mutwillen zerschnitten und ihm das eine Stück an den Kopf geworfen, wie er so ein wenig vom Schwammsuchen ausgeruht habe auf der Schafheide draußen.

Darauf kam der Vater, eine Hand hinter dem Rücken, ganz leicht an mein Bett geschlichen: »Geh, tu mir's sagen, Bub, wo hast denn du dein neues Sonntagsjöppel?«

Das leise Schleichen mit der Hand hinter dem Rücken war mir sogleich verdächtig vorgekommen, und jetzt ging mir schon das Gesicht auseinander, und weinend rief ich: »Ja, Vater, ich hab gemeint, dem lieben Herrgott hätt ich es 'geben.«

»Jesses, Bub, du bist aber so ein Trottel, so ein Halbnarr!« schrie mein Vater, »für die Welt bist du viel zu dalkert, zum Sterben bist du gar zu dumm. Dir muß man mit einem rechten Besen die Seel aus der Haut schlagen!«

Wie nun die Hand mit der gewundenen Birkenrute zum Vorschein kam, erhob ich ein Zetergeschrei.

Eilte sogleich die Mutter herbei. Sie tat sonst selten Einsprache, wenn der Vater mit mir Gericht hielt, heute aber faßte sie ihm die Hand und sagte: »'s Röckel flick ich leicht wieder zusammen, Alter. Geh jetzt mit, ich muß dir was sagen.« Sie gingen beide hinaus in die Küche; ich denke, dort haben sie über die Martinigeschichte gesprochen. Sie kamen nach einer Weile wieder in die Stube.

Der Vater sagte mit fast dumpfer Stimme: »Sei nur still, es geschieht dir nichts.«

Und die Mutter flüsterte mir zu: »Ist schon recht, wenn du das Röckel dem lieben Herrgott hast wollen geben, aber besser ist's noch, wir geben es dem armen Thalmichelbuben. In jedem Armen steckt der liebe Gott. Schau, der heilige Martinus hat's auch schon gewußt. So, und jetzt, mein Bübel, hupf auf und schlüpf ins Höslein; der Vater ist noch nicht allzuweit mit der birkenen Liesel.«


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