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Wie rührend klagt eine Urkunde aus jenen Schreckenstagen:
»In der unteren Gegend haben die Türken sieben Häuser verbrannt; ist alles Trait und Hausrat verbrunnen. – Dem Freisleben Jörgen haben die Türken sein Weib mit zwei Kindern und große Dirn weggeführt. – Dem Hans Kneissel haben sie einen Knaben weggeführt, ist sein Sun gewesen. – Dem Bogner Andree haben die Türken sein Weib weggeführt, ist hoch schwanger gewesen. – Der Gemeinschusterin ist ein Dienstdirnl weggeführt worden. – Dem Erhart ist eine große Dienstdirn weggeführt worden. – Der Sand Hannes ist von den Türken verbrennt worden. – Den Kirchen haben sie an Bildern, Meßgewand und anderem großen Schaden tan und das hochwürdige Sakrament auf die Erden getreten. – Dem Peter Mängel haben sie seinen Vetter köpft. – Dem Munssen Jackel haben sie Haus und Hof verbrennt und seine Mutter köpft. – Dem Bauer Hans steht sein Hof noch, aber die Türken haben ihm Roß und vier Kinder weggeführt. – Dem Schmied Jeckel steht sein Hof, aber die Türken haben ihm das Maul voneinander gehackt. – Die Gstettnerin Witib ist hart von den Türken verwundet und ihr Sun weggeführt worden –« und so weiter, eine erschreckend ausführliche Liste aus dem unseligen Jahre.
Von dem Kirchensprengel Krieglach allein achthundert Personen in die Sklaverei fortgeschleppt! so erzählt heute noch eine Inschrift in benannter Kirche.
Die noch übrigen Flüchtlinge in ihren Alpenverstecken haben vergebens auf das kaiserliche Heer geharrt, das endlich siegreich sie erlösen möchte. Aber des Landes zerrissene Kriegsmacht wußte kaum die Burgen und Städte zu schützen. Das Landvolk war sich selbst überlassen, um auf Not und Tod mit dem Ungeheuer zu ringen.
Heldentaten sind geschehen. Jeder Bauer erschlug der Türken drei, und sein Weib deren zwei, lautet eine Urkunde. Und Lindolf mit seinen wenigen Genossen hatte manche böse Scharte gerissen in den Haufen des Feindes. Einmal war er bereits gefangen und entwaffnet, da erwürgte er den Wächter mit dessen eigenem Roßschweif, bemächtigte sich wieder der Streitaxt und schlug sich eine Gasse bis zu den Seinen.
Da war es eines Morgens, daß vom Semmering her, inmitten zahlreichen Trosses, zwölf bartlose Gesellen in gelben Kitteln ein buntes, klingelndes Gezelt herantrugen.
»Das ist der Soliman oder sein Schatz!« meinten einige, und es glühte und zuckte die Kampflust. Da führte Lindolf die Schar seiner Getreuen auf Umwegen durch dichtes Strauchwerk, und dem Zuge nahekommend rief er zum Ansturme. Mit Hurra ging's aus dem Dickicht hervor; die Deckung des Zuges wurde durchbrochen, die Gelbkittel zum Teile niedergemacht, und ein wilder Recke führte einen blinden Schlag in das Gezelt, welches in den Staub der Straße stürzte.
Mit einem mächtigen Ruf gebot Lindolf Einhalt, denn in dem Zelte saßen zwei Frauen, wovon die eine am Haupte getroffen bereits in die Ecke gesunken war, während die andere mit einem gellenden Schrei auf die Sterbende hinstürzte.
Im nächsten Augenblicke war das Gezelt zerrissen in tausend Fetzen, aber schon nahten feindliche Rotten und Lindolf hatte nur noch Zeit, die eine unverletzte Frauengestalt um die Hüften zu fassen und mit ihr in das dichte Gesträuche der Waldschlucht zu fliehen. Seine Genossen folgten ihm und brachten auch noch einen grinsenden Gelbkittel mit.
Und die Türken fanden auf der Straße einige gespaltene Schädel, ein zerrissenes Gezelt und ein totes Weib. Wohl brachen sie wütend auf zur Verfolgung; aber Lindolf war bereits im Schutze des Hochwaldes und der Felsen, und vor ihm auf dem Flechtwerke des Mooses lag ein ohnmächtiges Mädchen von wunderbarer Schönheit.
Es war im zarten Kleide und im reichen Schmucke einer Königin. Schwere Perlenketten lagen über dem milden Busen, und in dem lose wallenden, glänzend schwarzen Haar lag ein Band, in welchem ein Frühling von buntleuchtenden Edelsteinen blühte. Über das Angesicht ging ein weißer zarter Schleier, einen doppelten Reiz über die feinen ausdrucksvollen Züge gießend. Die Wangen waren rund und blaß, zwischen den halb offenen Lippen schimmerten schneeweiße Zähnchen, aber kein Atemhauch war zu spüren.
Über Lindolfs Stirne ging eine Röte wie Blitzeszucken; er riß einen Kümmelstamm ab, zerrieb die Rispe desselben zwischen den Fingern und hielt die zerquetschten Körner der Ohnmächtigen unter das feingeformte Näschen. Der stechende Geruch wirkte, das Kind schlug die Augen auf.
Und als Lindolf in dieses große, tiefschwarze Auge sah, vergleichbar mit einer Sommernacht, in welcher Wetterleuchten zuckt – da wurde ihm ein Traum aus frühester Kindheit wach; es war wie Mutteraugengruß aus morgenländischer Heimat. Gleichwohl in den Bergen des Nordens geboren, lebte der orientalische Blutstropfen des Stammes nach ungezählten Jahren endlich in diesem Manne wieder auf.
Als das Mädchen die fremden Männer sah, da schien es seine Lage sogleich zu erkennen. Hastig griff die kleine rechte Hand nach einem schmalen, scharfen Messerchen, das im Gürtel stak, doch Lindolf fing den Arm auf und steckte die gefährliche Waffe zu sich. In demselben Augenblicke fuhr die Gefangene mit der Hand nach der Perlenschnur, die sie am Halse trug, und zog dieselbe zusammen. Lindolf hatte Mühe, den schönen schlanken Hals von der mörderischen Schnur zu befreien.
Und als sich das Kind so in allem überwunden sah, schloß es trotzig den Mund und schloß das Auge, als sollte der Feind nimmermehr in seine Seele schauen. Kein Laut und keine Träne war hier aus diesem Wesen noch gedrungen. Wie ein Marmorbild lag es jetzt da, und es war, als ob sich dieses Leben sofort gefügt hätte dem eigenen Willen – zu sterben.
Der Jüngling aus dem Gebirge des Schwab, über das Begebnis auf alles andere vergessend, beschloß nun, seine wundersame Beute in volle Sicherheit zu bringen.
Auf einer Sänfte aus Lärchengeflecht trugen die Männer das Mädchen über Berg und Tal. Der Zug ging gegen die Hochwälder des Teufelsstein. Und Lindolf folgte der Sänfte.
In den Haufen des Feindes war große Verwirrung. Planlos schossen sie umher, nach der Entführten zu fahnden. Das erschlagene Weib hüllten sie in kostbare Tücher und führten es in einem hohen, schwankenden Wagen davon. Ein großer Teil des Heeres folgte dem Wagen, ein anderer zog, da er die Jagd nach der Entführten als fruchtlos erkannte, mit zahllosen Gefangenen ab.
Aber der Aussatz blieb zurück: ein wild umherstreifendes Mordgesindel, zahllos wie die Kohlraupen jenes Herbstes, untilgbar und grauenhafter noch wirtschaftend als die eigentlichen Henkersknechte des fürchterlichen Soliman. Sie haben den Raub des schönen, jungen Weibes arg gerächt.
Gegen Ende des Monats September gab es an den Ufern der Mürz nur mehr Brandstätten und Leichenhügel. In demselben Jahre sind in der Mürz die Forellen verdorben.
Die Leute sagen, das Wasser sei zu trüb und blutig gewesen.
Der Gaberfranz lebte noch, aber die Seinen waren zugrunde gegangen. Er hatte das Würgen gesehen und war darüber irrsinnig geworden. Da hatte er eines Tages an der Gölkkapelle eine brennende Opferkerze unter den Dachstuhl gehalten, bis die Flamme in dem Gebälke sich mehrte. »Hast schon kein Auge und Ohr für der Menschen Bitten und muß alles verbrennen und versterben, so sollst du auch selber verbrennen und versterben!« Er sprach's zum Marienbilde, als es das Feuer schon umzüngelte. Und der Atem des heiligen Josef ist auch verbrannt – hört ihr es hallen im Walde? Das ist das Lachen vom Gaberfranz.
Als dann in einer der nächsten Nächte die Burg Hohenwang in Flammen stand, daß das ganze weite Tal in rotem Scheine lag, da lachte der Alte wieder.
Als hierauf ein Rudel menschlicher Bestien mit den kupfernen fletschenden Galgengesichtern, zerzausten Roßschweifen und blutrostigen Krummsäbeln durch die Gegend strich, nach Menschen jagend, Fangschlingen über sie auswerfend, da lachte der Gaberfranz. Und als sie die winselnden Gefangenen hin gegen die Kirche von Krieglach zerrten, deren altes Gemäuer noch unversehrt aufragte mitten in den Aschenstätten, und als die Barbaren das Gotteshaus vollpfropften mit den unglücklichen Opfern, die für einen grausamen Tod oder für ewige Gefangenschaft bestimmt waren – da lachte der Gaberfranz. Sein Lachkrampf trieb ihm Tränen aus den Augen.
Und als endlich zu ihm selbst eine pfeifende Fangschlinge herantanzte und er mitten in einer johlenden Rotte hastig zur Kirche zappelte, in die ächzende Menge hineingeschleudert wurde und die schwere Tür hinter ihm zufiel – da lachte der Gaberfranz ganz gewaltig.
Die Türkenhaufen hatten aus Rache gegen Hinterlist und Widerstand, so sie erfahren, und besonders durch den Überfall jenes Tragzeltes erbittert, beschlossen, vor ihrem Abzuge noch eine Tat zu verüben, die ihres abendländischen Kriegszuges würdig sein sollte. So hatten sie die Kirche vollgepfropft mit Menschen, in der Absicht, sie mitsamt dem Baue zu verbrennen.
Rasender Wahnsinn, wilde Verzweiflung, dumpfe Ergebung herrschte in der wettergrauen Pfarrkirche, die nun ein grauenhaft Gefängnis geworden war. War hier nicht die Gemeinde, sowie das Geschlecht der Vorfahren gelegen auf den Knien im Gebete: »Herr, erlöse uns von dem Übel!« Und das Übel war doch gekommen und unendlich furchtbarer, als je hätte geahnt werden können.
Darum lachte der alte Gaberfranz so sehr.
Noch einmal umarmten sich hier Mann und Weib, Mutter und Kind – die Stunde der Trennung war so nahe. Ein fieberndes Wogen und Schnaufen und Stöhnen war in der Menge – aber kein Weinen mehr. Wer hätte noch Tränen in so späten Tagen?
Mancher lehnt in stummer Wut am Altartische und starrt zu den hohen vergitterten Fenstern auf. Manches holde Mädchen kauert an der feuchten Mauer eines finsteren Winkels und wimmert vor Kälte und Scham. Nicht um Befreiung, sondern um einen einzigen Lappen fleht sie, sich zu bedecken. Ein Bursche, in Fieberglut rasend, jauchzt auf und strebt nach dem Mädchen mit schäumenden Lippen. Auf der Wand steht Sankt Bartholomä, des Schlachtmessers Märtyrzeichen in der Hand. Nach diesem Werkzeuge hascht das unglückliche Kind und fährt damit gegen die Brust; aber das gleißende Ding aus morschem Holz bricht zu Moder, anstatt erlösend in das Herz zu dringen.
Die Türe knarrt! Nahen die Barbaren? Ein kugelrundes Pfäfflein wird hereingestoßen. Noch an der Pforte verhandelt es beredt mit den Schergen; allen Ablaß gibt es gerne, kostet ihnen keinen Heller, nur martern und brennen, das sollen sie ihm nicht antun, um Gottes willen!
Die Heiden werfen die Türe in das Schloß.
»Hei!« schreit der Gaberfranz, »der Pfaff wär' jetzt auch da; die Gemeinde ist schon beisammen. Läutet zur heiligen Mess'!«
»Wehe!« ruft der Mönch – es ist der Pater Jonas, den sie aus seiner Waldklause hervorgeholt haben – »wehe! Wisset, was die Heidenteufel draußen tun! Holzwerk schichten sie um die Kirche. Wir all' miteinander werden lebendig gebraten!«
Da tönt ein bebender Schreckruf aus aller Lippen; aber der Gaberfranz schreit: »Ehrwürdiger Herr, Ihr habt so vortreffliche Ablässe gegen das Fegefeuer, ist keiner darunter, der Erdenfeuer löscht?«
Hin sinkt der Pater vor den geschändeten Altar: »Herr, erbarme dich unser!«
»So bring' das Meßopfer!« ruft der Wahnsinnige; »wo ist das Gotteslamm? Du frommer Mann, bist ja der Mittler zwischen Gott und den Menschen! Hast dich doch dafür bezahlen lassen, so hilf uns jetzt und sei kein Schurk'! – Hei, wie er zittert und kriecht! Herr, erbarme dich unser! Das sagt sich leicht, dazu brauch' ich kein Pfaff zu sein. Hörst, geistlicher Herr, du bist ein jämmerlicher Wicht, wie wir all' miteinand'.«
Bald darauf saß der Franz im Beichtstuhl: »Keinen sprech' ich los von Sündennot, solange er noch Atem hat. Der Atem ist die Sünde und der Tod ist die Buße!«
Dann wieder rief der Wahnwitzige von der Kanzel herab: »Auf, Brüder, morgen geht's ins heilige Land!« Und er erraffte ein Kruzifix: »Auf, zum Kreuzzug! Verbrennet die Ketzer, schlachtet die Heidenhunde, erobert das Heilige Grab! – Hahaha!« lachte er dann. »So fromm und tapfer sind nur unsere Väter gewesen, und die Türken bleiben uns nichts schuldig, und an allem bist du schuld, Gespenst!« Er schleuderte das Kruzifix auf das Steinpflaster nieder.
Da wurde in der Menge das Entsetzen noch größer.
»Ite missa est!« sang der Alte. »Jetzt könnt ihr nach Hause gehen! – Ei, was das für eine fromme Gemeinde ist, bleibt den ganzen Tag in der Kirch' und im Wirtshaus geht's so lustig zu!«
»Werft den Lästerer von der Kanzel herab!« rief der Mönch.
»Und steinigt ihn!« setzte der Gaberfranz bei, »steinigt ihn, er ist der Höllbart!«
»Wohl!« ächzte der Pater, »der Höllbart ist an allem schuld. Diese Kirche hat er entweiht, diesen Altar hat er geschändet, so ist Gottes Geißel über uns gekommen.«
In demselben Augenblicke verfinsterte sich der Kirche Raum, schwarzer Rauch qualmte an den Fenstern auf und draußen hetzte die wilde Horde.
Ein hundertstimmiges Jammergeschrei hallt auf, aber das Knistern und Knattern des Feuers ist lauter und schrillend springen die Fenster und die Rauchmassen qualmen herein.
»Gebt acht!« schreit der Franz, »jetzt ist's bald überstanden!«
Alles drängt gegen das Turmgewölbe. Tief in einer Mauernische ruhen unter Flitter die Gebeine eines »heiligen Leibes«; diese zerrt der zähneklappernde Mönch heraus, daß das Rauschgold flattert, und kriecht selbst in die Nische.
Da tönt auf dem Chore plötzlich voller Orgelton. Man weiß schon lange nicht mehr, daß der Franz die Tasten spielen kann; aber unsäglichen Trost senkt der helle Klang in die Herzen und wie aus einem Munde stimmen die Gefangenen das uralte deutsche Kriegslied an:
»Verlaß uns nicht, wenn Unkraft uns befallen,
Wenn unser Mut entfleucht, sei Stab uns allen.
O, gib uns nicht dem bitteren Tod zum Raube,
Barmherziger Gott, du unser Hort und Glaube!
Heiliger Gott! Heiliger starker Gott!
Heiliger unsterblicher Gott, erbarme dich unser!«
Und siehe, da sie noch sangen, erhob sich plötzlich von außen ein mächtiges Geheul, und ein Gebrüll war zu hören, als nahe ein Löwenrudel der Wüste. Ein paar Schläge fielen auf das Kirchentor, daß die Mauern bebten, und die Pforte flog berstend auf und hinaus, hinaus in den freien Tag drängt die Menge.
Auf dem Kirchhofe entbrennt ein mörderisches Schlachten. Ein Haufe wildbärtiger, hünenhafter Männer, die niemand kennt, ist herangefahren aus den Wäldern und wütet nun mit wuchtigen Keulen und langen Messern im Türkengezüchte. Das heult und purzelt und flieht.
Und als die Flammen ohnmächtig an den Kirchenwänden verloschen, waren kaum zehn lebende Türken mehr im Orte.
Die Befreiten lagen auf den Knien und konnten wieder weinen.
»Daniel, Daniel!« rief der Gaberfranz, »sind deine Engel auch solche Wildbären gewesen?«
Der Mönch lehnte an einer Mauerstätte und betete – betete wahr und im Herzen, wie vielleicht noch nie.
Da stürzte einer der riesigen Wildlinge mit geschwungener Keule auf ihn heran: »Der auch noch nieder, weil wir heut' schon dran sind!«
Aber ein anderer fiel ihm rasch in die Arme: »Halt ein, Zarb, und laß des Mordens genug sein!«
Ehern war der Ruf und der Riese ließ die Keule sinken.
»Herr Jesus, das ist er!« schreit plötzlich der Wahnsinnige drein und fällt, von einem schwirrenden Pfeile getroffen, auf die Erde.
Alles drängt sich an den Mann, der den Schlag gegen den Mönch verhindert hatte, und ein Murmeln geht: »Das ist der Höllbart!«
Wir müssen nun noch einmal in die Teufelssteinwälder hinein und einen kurzen Rückblick tun.
Wir kennen den Zarb; in dem war ein herber, aber menschenechter Kern. Wir kennen den Höllbart und haben bereits sein Streben angedeutet, auf die Waldleute und besonders auf den Sabin einzuwirken.
So war ein Plan der beiden Männer gereift; und eines Tages, als seit seinem Waldleben der Kreis der Jahreszeiten einmal um war, predigte Höllbart auf der Wiese einen Zug gegen die Türken.
Diese Predigt unterbrachen sie: »Was schiert uns der Türk'! Recht hat der Türk'!«
Da sah es der Zarb wohl ein, das war ein böses Leben mit diesen Gesellen. Sie sind nicht zu führen und zu leiten; der eine fährt rechts, der andere links; der eine ist ein Taugenichts, der andere ein Raufbold, der dritte ein Dieb, der vierte ein Heuchler und Schleicher, der fünfte ein sonstiger Galgenstrick. Und gesetzt, sie hielten zusammen, und der Zarb wäre ihr Hauptmann – was weiter als eine Bande, vor der die Pfaffen und Herren könnten zetern: »Seht den Volksaufrührer Zarb, ein Räuberhauptmann ist er geworden!«
In einen Verbrecherkranz hat sich der Sabin verflochten. Ohne Zweifel, er führte die Herrschaft, aber zuzeiten war ihm übel zumute. Der Strang war kein Halsband nach seinem Geschmack, und das war kein Leben für seinen Tochtermann, Wandolf den Schützen.
Der Mann hatte viel Kraft und Mut, und seiner Erscheinung Gewalt war hinreißend; aber er hatte den Scharfblick nicht, um einen Pfad zu finden, der ihn aus finsterem Walde wieder hinausgeführt hätte.
Höllbart mit dem hellen Blick und mit der treuen Hand hat ihm diesen Pfad gezeigt.
Aber die Wildlinge hatten gerufen: »Was schiert uns der Türk'! Der Türk' hat recht!«
Doch an dem Plane weiterbauend ließen es die beiden Führer Tage und Wochen anstehen. Mittlerweile kam manche böse Post aus dem Tale der Mürz. Und eines Abends, als schon die große rote Mondscheibe hinter den schwarzen Wipfeln heraufstieg, nahte die Wiese heran ein seltsamer Zug.
Lindolfs Mannen kamen mit der Sänfte, und ein blöder Gelbkittel kam mit. Und Lindolf war auch dabei und bat vor dem Hause des Zarb um Hort und Schutz für das schöne Türkenkind.
Die Waldteufel strömten zusammen und heulten vor Befriedigung über die junge Türkin, und selbst der Zarb streckte seine Hand aus, man weiß nicht, ob zur Rache oder zum Begehr.
Kaum hatte Lindolf den so sehnlich gesuchten Schutz erlangt, da kam Höllbart, der den Sohn des gastlichen Hauses auf dem Schwab sofort erkannte, und der auch andere Gründe hatte, ein strenges Wort hier zu reden. Er wies darauf hin, daß man diese erbeutete Türkin wahren und hüten müsse wie einen Augapfel, daß gewiß ein großes, ja vielleicht ein ungeheures Lösegeld dafür gezahlt werden würde.
Das leuchtete den Gesellen ein, sie wichen zurück und begnügten sich nur mit dem Ansehen des wunderlieblichen Menschenbildes, das auf der Tragbahre bewegungslos lag und die Augen geschlossen hielt.
Das blasse Mondlicht übergoß die Gestalt, und die Perlen und die Diamanten funkelten hell, und das Antlitz war weiß. Aber ein grünes Heidezweiglein zitterte doch vor dem Atemhauch des zarten Mundes.
Lindolf hatte mit einem unsäglich innigen Blick dem Höllbart für sein Wort gedankt.
Hierauf wurde die Sänfte in das Haus Höllbarts gebracht und daselbst in eine Kammer gestellt. Ein frisches Binsenlager war hier und eine weiße Leinwand darüber; allein das Mädchen wendete sich widerwillig davon und blieb auf der Sänfte ruhen. Sanna nahte und brachte der seltsamen Gastin Ziegenmilch; diese wurde verschmäht. Hilla war noch auf und kam mit einem Körbchen, in welchem die köstliche Frucht des Waldes, die Preißelbeere war. Das fremde Mädchen schlug auch diese Gabe aus und schloß stets Augen und Mund.
Um so gieriger jedoch fiel der Gelbkittel über die Ziegenmilch her und auf seinem glatten aufgedunsenen Gesichte lag die Lust des Gesättigtwerdens. Dieser Gelbkittel war einer jener Männer, wie sie sich der Beherrscher Kleinasiens auserlesen und zubereitet hatte zu Hütern seiner Frauen. Als das Vollgesicht nun gesättigt war und merkte, daß ihm hier nichts Böses bevorstand, hub es an zu schwätzen; das war türkisch, aber es gab zum Erstaunen der Umstehenden viele deutsche Worte darunter. Und als der Türke dann noch mehr Milch getrunken und auch Waldobst gegessen hatte, wurde er durch Lindolf und Höllbart ersucht, von sich und der schönen Jungfrau, die seine Herrin war, zu erzählen.
Der Gelbkittel war wohl unbeholfen im Erzählen, besonders in deutscher Sprache, und er mußte sich oft mit Mienenspiel behelfen. Demungeachtet gab er genügend Aufschluß über die Dinge.
Er deutete denn an, daß er Hassim heiße, auch einen früheren Zug in das Abendland mitgemacht habe und ein Diener der schönen Frauen des Beherrschers sei. Der Beherrscher besitze neunundvierzig schöne Frauen; von diesen neunundvierzig habe er sich sieben erlesen, daß sie ihn in das Abendland begleiteten. Von diesen sieben habe Sobeide allein eine Tochter gehabt, ein schönes Kind, das der Beherrscher unsäglich geliebt habe. Obwohl im Morgenlande sonst Töchter des goldenen Thrones niemalen zur Bedeutung gelangen könnten, so habe der Beherrscher dieses sein Kind doch so sehr geliebt, daß er es zu aller Zeit in seiner Nähe wissen wollte. So habe er Sobeide mit dem Kinde, dessen Name Chansade sei, mit in das Abendland geführt. Vor der festen Stadt Wien seien sie nun viele Tage gelegen, denn der Beherrscher sei gekommen, den Herzog Ferdinand zu suchen. Hierauf habe der Beherrscher nach Islams Gebot die feste Stadt dreimal bestürmt; aber da sei große Not und Gefahr gekommen, die Feinde seien mehrmals aus den Mauern hervorgebrochen, und so habe der Beherrscher vor dem letzten Ansturme die schöne Frau Sobeide mit dem schönen Kinde Chansade unter guter Deckung in das Gebirge gesandt, um sie vor den Feinden zu schützen.
Im Gebirge aber seien starke Männer aus dem Walde gestürzt, hätten Sobeide erschlagen und die schöne Jungfrau Chansade gefangen genommen. Er aber, Hassim, habe sich freiwillig gefangen gegeben, um mit Chansade zu sein; denn der Beherrscher habe ihn bestellt, Chansade zu hüten, und er werde die schöne Jungfrau, die hier in diesem fremden Hause liege, unversehrt in den Palast des Beherrschers, den Allah beschütze, zurückführen.
Hassim wich nicht von seiner Gebieterin; er kauerte an ihrem Lager die ganze Nacht und schloß kein Auge.
Und als die Morgenröte aufging und durch die Flechtmatten der Fenster blickte, da trat Lindolf in das Gemach und blieb eine lange Weile unbeweglich vor dem Mädchen stehen, das auf der Sänfte lag und zu schlummern schien. Er hielt eine Steinschale mit großen duftenden Erdbeeren in der Hand.
Endlich, als schon der erste Goldstreifen der Sonne auf dem Bette lag, ließ sich Lindolf nieder auf ein Knie, und gegen das Antlitz der Schlummernden gewendet, sagte er mit unbeschreiblich weicher, zitternder Stimme den Namen »Chansade!«
Und jetzt schlug sie ihre Augen auf und sah ihn an.
Er bot ihr die Schale mit Erdbeeren, und sie hob die kleine weiße Hand und aß. Dann blickte sie ihn wieder an, und in ihrem Auge war tiefe Wehmut und Trauer.
Hierauf sagte Lindolf die Worte: »Du, schöne Jungfrau, sei nicht betrübt, du bist unter freundlichem Dach. Und ich werde dich beschirmen, so schwöre ich bei meinem und bei deinem Gott!
Chansade senkte traurig das Haupt; da bat Lindolf den Hassim, die obigen Worte seiner Gebieterin in ihrer Sprache zu sagen.
Und als dieses geschehen war, richtete sich das Mädchen auf, löste das Diamantenband vom Haar und reichte es mit dankbarer Gebärde dem jungen Manne.
Da hat Lindolf das Band geküßt und dasselbe wieder seiner schönen Besitzerin zurückgegeben.
Die Waldteufel waren in großer Bewegung. Keiner hatte in seinem Leben noch eine so schöne Jungfrau gesehen, als Chansade es war. Und das war des Sultans Kind.
»Wehe!« heulten die Weiber. »Die bringt Unheil unter unsere Männer und führt letztlich gar noch den türkischen Brauch ein?«
In Anbetracht der jüngeren konnte diese Befürchtung ihren Grund haben; die älteren aber fragten und berechneten, wie hoch der Wert so eines Sultankindes wohl zu veranschlagen sei, ob die Jungfrau mit Gold aufgewogen werde oder mit Edelsteinen. Den Waldteufeln stand eine glänzende Zukunft bevor.
Sie beschlossen, sofort für Chansade ein schönes festes Haus zu bauen, damit sie nicht Schaden leiden und nicht entkommen könne. Das Haus sollte aus glatten Buchen und Eichenstämmen gezimmert werden, und die Einrichtung desselben sollte sein aus Linden- und Kirschbaumholz, und der Fußboden sollte sein aus schneeweißen Eschendielen, und die Decke sollte sein aus den blaugesprenkelten Fäden der Föhre, und die Fenstertäfelung aus Wacholderholz, und die Scheiben aus zartem Mariensilber, wie es oben im Gewände in ganzen Tafeln zu finden war. Und das feinste Flechtwerk sollte die Wohnung zieren, und das Bettlein sollte gefüllt sein von dem Federflaum der Wildtauben.
In den Herzen der Waldteufel war eine seltsame Wärme wach geworden für das schöne fremde Kind. Aber es war an der Zeit, und Höllbart strebte, die Tatkraft der Männer einem anderen Gegenstande zuzulenken.
Nach seinem Plane veranstaltete der Zarb bei einer gemeinsamen Frühherbstjagd eine Zusammenkunft oben auf der Bergeshöhe, wo der Teufelsstein liegt. Von diesem Steine ging die Sage, der Teufel habe daselbst einen Turm bis zum Himmel erbauen wollen, um der Hölle zu entgehen. Er sei in der ihm gegönnten Zeit nicht zu Rande gekommen und habe nur die Grundfesten gelegt. Und diese Grundfesten sähe man in den drei gewaltigen Felsblöcken, die auf der höchsten Höhe des Gebirgszuges heute noch übereinanderliegen.
Der Zarb, Höllbart und die Waldteufel kamen zusammen. Sie machten Feuer, verzehrten einen Teil ihrer Beute und tranken »Brennwasser«. Sie hetzten und balgten sich untereinander um das bessere Teil und waren unzufrieden wie gewöhnlich.
Da sprang Höllbart plötzlich auf die übereinandergetürmten Felsblöcke und rief voll Feuer und Erregung.
»Brüder! Bei meiner Seel', wir sind arme Teufel! Tut auf die Augen, drunten liegt die herrliche Welt. Die Welt voll Reichtümer und Freuden! Und wir Wichte müssen hungern und frieren mit Weib und Kind. Wir haben kein eigen Dach, keinen Stein, um unser Haupt zu betten. Die Menschen haben uns verstoßen und werden uns zugrunde richten, wo sie uns finden.«
Da erhoben die Männer ein grollendes Gemurmel.
»Warum?« fuhr Höllbart in einem seltsamen Pathos fort. »Sie haben gesagt, daß wir feige Ausreißer und Diebe und Mörder sind. Aber vom Altar des Vaterlandes reißen wollen wir unser Teil, unser Recht! Mit dem Messer erkämpfen wollen wir von neuem unser Leben, unseren ehrlichen Unterhalt, unsere Zukunft, unser Teil an der Welt! Auf, Brüder, brechen wir aus unserer ewig belagerten Zwangburg, der Wildnis. Auf zum Sieg, zur Befreiung!«
Es war ein kühnes Spiel und der Brand des Aufruhrs war geschleudert von des Teufels eigener Tribüne.
»Auf zur Befreiung!« erscholl es in den weiten Wäldern. »Auf gegen die Pfaffen und Herren!«
»Nimmermehr!« rief Höllbart. »Gegen die Feinde des Landes müssen wir streiten, wollen wir den Dank der Herren uns sichern.«
»Den brauchen wir nicht!« schrien die Männer. »Wir halten mit dem Türken!«
Fluchend und geifernd drängten sie heran gegen den Stein; da meinte Höllbart einen Augenblick lang, das Spiel sei verloren. Doch verließ ihn die Geistesgegenwart nicht.
»Wie,« rief er fast höhnenden Tones, »mit den Türken wollt ihr gehen? Und ihnen siegen helfen? Ja, ihr Leutchen, wer soll euch dann Chansade aufwiegen mit Gold und Edelstein? Mit dem Krummsäbel werden sie die Jungfrau holen!«
Keiner war, der jetzt den Mund auftat. Das sahen sie alle ein, der Türke mußte unterliegen und vertrieben werden, sollte das schöne Weib mit Reichtümern von des Sultans Schatzkammer ausgelöst werden.
Und einen Tag später hatten sich die wilden Gesellen schwer bewaffnet auf der Wiese vor des Zarb Haus zusammengerottet. Auch Lindolfs Mannen waren unter ihnen.
Gegen die Türken! Die Gemüter sprühten und loderten nun wie harzige Tannen, vom Blitze getroffen.
Unter dem Schmettern des Waldhorns führten der Zarb und Höllbart die plötzlich kampfgierige Rotte aus der Wildnis.
Befreiung der Heimat von Feindesnot! Befreiung des Waldes, Erkämpfung der Menschenrechte und Güter! – Ein begeistert' Kriegsheer ist leicht zu lenken.
Zarb schwang die Fahne, Höllbart das Wort.
So kamen sie nach starkem Marsche in das verwüstete Tal der Mürz. Noch wilder entbrannte in jedem die Kampfeslust, als sie die Greuel sahen und als sie um den Ort Krieglach die bunten Gezelte gewahrten und den wüsten geifernden Haufen, um die Kirche herum Stroh und Holzklötze schichtend.
Nun kannten sie ihr Ziel.
»Pfaff!« rief ein schwarzbärtiger Wäldler dem Höllbart zu, als sie mit geschwungenen Keulen gegen die Kirche stürmten, »Pfaff, wenn ich jetzt hin bin, ist mir mein Luderleben verziehen?«
Eine Ahnung war's. Der Schwarzbart war der erste, der in den Reihen der Waldteufel fiel.
Der Zarb und sein Tochtermann Wandolf waren es, die das Tor der Kirche hatten erbrochen.
Kein fröhlicher Augenblick, als nach dem Kampfe Höllbart und der Zarb die Ihren zählten. Sie lagen zur Hälfte auf der Walstatt.
»Kommt,« sagte Pater Jonas, »ich will für sie eine Messe lesen.« Er trippelte der Kirche zu, an der noch die erloschenen Brände rauchten; aber es folgte ihm nachgerade niemand. Da kehrte auch er wieder um und verlor sich.
Die Türkenzelte waren leer. Voll wehmütigen Jubels und voll Dankbarkeit feierten die noch verschont gebliebenen Bewohner des Tales ihre Retter aus dem Walde, die sie sonst nur unter dem Namen »Waldteufel« gekannt und gefürchtet hatten.
Während im Tale der letzte Kampf geschlagen wurde, stand Lindolf im Walde vor dem Hause des Höllbart. In der Hand hielt er das Beil, mit dem er einst die Fichtenäste für den Sarg seines Ahnes herabgeschlagen hatte. Er bewachte Chansade. Einmal stieg das wundersame Mädchen langsam die Treppe nieder und schwebte in seinem langen weichen Seidenkleide über das zarte Gras der Wiese hin. Hassim ging drei Schritte hinter der liebreichen weißen Gestalt. Plötzlich blieb Chansade stehen und blickte auf eine rote Blumenglocke, die zu ihren Füßen stand. Und als sie eine Weile so gestanden war, kehrte sie um gegen das Haus und ließ durch Hassim dem Manne mit dem Beil folgende Worte sagen: »Fremdling, die Schnur mit Perlen, die ich trage, kann ich dir nicht geben, sie ist von meiner Mutter, die sie erschlagen haben. Aber das Band mit den Diamanten und diesen goldenen Armring hier und die drei Edelsteine in meinem Gürtel kann ich dir geben für die rote Blume, die in deinem Garten steht. In dem schönen Lande, aus welchem ich komme, in dem Zedernwald, in welchem ich so oft gewandelt bin, stehen auch solche Blumen. Darum möchte ich diese dort zu eigen haben.«
Lindolf ging über die Wiese bis zur roten Blume. Es war eine wilde Hyazinthe. Diese stach er mit seinem Beile aus der Erde und brachte sie mitsamt dem feuchten Wurzelgeflechte der schönen Jungfrau. Und Hassim mußte die Worte sagen: »Gott hüte mich, daß ich nichts von deinem Eigentum nehme. Es ist meine größte Freude, daß ich dir diese Blume spenden kann, daß sie dir so wert ist. Nimm und pflege sie, und möge sie nicht eher welken, als bis du dein schönes Land wiedersiehst und im Zedernwalde wandelst!«
Als das Mädchen diese Worte vernommen hatte, tat es einen hellen Ruf und stürzte nieder zu Lindolfs Füßen. Rasch hob sie der junge Mann zu sich empor, und ihr Haupt sank hin an seine Brust . . .
Endlich waren auch die Waldteufel wieder zurückgekehrt zu ihren Weibern und Kindern – und zwar als freie Männer.
Ein landesfürstlicher Erlaß war ergangen. – Habe ihr Vorleben gleichwohl den inneren Frieden des Landes gefährdet, es sei der Heldentat willen vergessen. Sie seien frei und möchten unter dem Schutze des Reiches in dem Teufelssteingebirge sich ansiedeln und reuten und ackern.
Frei nach außen und innen, im Herzen frei und gewissensleicht – da schwand ihre Wildheit von Tag zu Tag. Sie waren ja guten, ehrenhaften Familien entsprossen; die große Tat hatte sie wieder erhoben, und die Arbeit hielt sie aufrecht. Sie fällten Stämme, bauten feste Häuser, reuteten den Boden und trieben Viehzucht und Ackerbau.
Den Zarb hatten sie Form Rechtens zu ihrem Vormanne gewählt. Sein Erstes als Vormann war, daß er anordnete, es solle ein großes Haus gebaut werden für Witwen und Waisen der Erschlagenen.
Den Pfarrer Matthäus Hellbert wollten die Bewohner von Krieglach haben. Er hatte allen verziehen und freute sich, daß sie ihn endlich erkannten. Aber er konnte es nicht unterlassen, seinen Entschluß scherzhaft dadurch auszudrücken, daß er sagte, er sei der Höllbart und gehöre zu den Teufeln.
Und er ging wieder zu den Waldteufeln ins Gebirge.
Der Türke, teils von selbst abgezogen, teils verjagt, teils erschlagen, war denn überwunden. Das schwergeprüfte Land konnte sich sammeln, und im Tale der Mürz sind auf den Brand- und Mordstätten wieder Häuser und Dörfer entstanden. Es keimte ein neukräftiges, lebensfreudiges Volk. Der Schmerz um die Gefallenen linderte sich mit jedem Grashalm, der auf den Gräbern wuchs. Hingegen aber wurde die Betrübnis der armen Davongeschleppten wegen mit jedem Tage tiefer und schwerer. Und an jedem Morgen zur siebenten Stunde tönte vom Turme die Glocke zum Gedächtnisse an die unglücklichen Brüder, die gefangen im fernen Morgenlande schmachteten.
Da stieg eines Tages Höllbart nieder von den Wäldern und vertraute den Herren des Tales die Geschichte von der Gefangenhaltung der jungen Türkin.
»Die sei euch geschenkt!« war der herrische Bescheid. Fast beschämt zog Höllbart ab und suchte andere Wege, die Sache nach Gerechtigkeit zu schlichten. Und er hatte die Wege gefunden, hatte im Namen seiner Wäldler Verhandlungen mit dem Soliman angeknüpft.
Nach vielen Monaten kam aus dem Osten die ausweichende und doch angelegentliche Anfrage, wieviel des Goldes die Waldmänner denn verlangten gegen die Auslieferung des jungen gefangenen Weibes namens Chansade.
Lindolf, der die Jungfrau immer noch bewachte und nicht von dem Hause wich, in welchem sie in stillem Harme fast zu welken begann, wollte die Frage nicht hören.
Aber die Wäldler meinten, die Türkin müsse aufgewogen werden mit gediegenem Golde.
»Ist zu wenig,« sagte Höllbart.
»Sie ist das Kind des Sultans,« rief der Zarb, »da werden zehn schwere Körbe voll von Karfunkelgestein nicht zu viel wiegen.«
»Ist zu wenig,« sagte Höllbart.
»He!« rief Wandolf, »wir merken es schon, der Pfarrer will die Stadt Jerusalem und das heilige Grab und den Tempel Salomons noch dazu!«
Da erhob Höllbart seine Stimme: »Ihr braven und rechtschaffenen Männer, so hört mich an. Ihr wisset, daß der Türk' Tausende von unseren Mitbrüdern in die Gefangenschaft davongeführt hat. Sollen sie sterben und verderben unter den Barbaren? Ist einer unter euch, der Geld verlangt und die unglücklichen Mitmenschen in fremden Ländern kann verschmachten lassen?«
Kein einziges Wort der Entgegnung.
»Wir geben die Türkin und verlangen die Gefangenen zurück!« rief Höllbart, »wer dafür ist, der erhebe die Hand!«
Gewaltiger Jubel brach aus und hundert Hände ragten über die Köpfe.
Lindolf hatte auch seine Hand erhoben. Dann ging er hinein in das Haus und verkündete der Jungfrau, daß die Stunde ihrer Erlösung nahe sei. Und dann stellte er eine Frage an sie, die sie nicht anders beantwortete als mit einem Erröten ihrer Wangen.
Nun war wohl auch die Regierung des Landes auf die vielbedeutsame Sache aufmerksam geworden. Und eines Frühlingsmorgens, da der letzte Streifen Schnee auf der Waldwiese zerging, kamen Bevollmächtigte und führten die schöne Türkin davon.
Eh' sie ging, hatte Chansade der Hausfrau Sanna, von der sie stets mit großer Sorge und Liebe und mit herzlichem Mitleide behandelt worden war, das Band mit den Diamanten in das Haar gelegt.
Hassim schlürfte noch einmal sehr viel Ziegenmilch, dann schnitt er sich einen Stock aus dem keimenden Lärchendickicht und schritt hinter der Sänfte seiner Herrin.
Lindolf sagte ein kurzes, warmes Wort des Dankes, dann steckte er sein Beil zu sich und ging dem Zuge nach . . .
Noch in demselben Sommer kehrten zahlreiche Gefangene zurück und begrüßten mit heißen Freudentränen ihre liebe grüne Heimat.
Lindolf kam nicht mehr. Auf einem Marmorstein Kleinasiens steht es noch heute eingegraben, daß er seine Heimat und sein Glück im Morgenlande gefunden hat.
In der Wald- und Alpengemeinde am Fuße des Teufelssteingebirges herrscht Arbeitsamkeit und Frieden. Matthäus Höllbart hat beides gestiftet und gefördert. Er ist der armen Leute treuer Bruder geblieben.
Auf gelichteter Au bewohnte er viele Jahre lang mit Weib und Kind ein stattliches Haus.
Alljährlich ein einziger Tag war es, den er nicht der Gemeinde und nicht seinem Hause weihte, sondern sich allein und einer alten betrübenden Erinnerung. Das war der Jahrestag der Enthauptung jener braven Männer, die ihn aus dem Verlies zu Mittersill gerettet hatten.
Mit der Gründung einer freien, dem Pfaffentum entrückten Bauerngemeinde hatte Höllbart an seinem erzbischöflichen Verfolger zu Salzburg sich und den Tod seiner Freunde gerächt.
In seinen späten Tagen aber, als seine erwachsenen Kinder teils im öffentlichen Dienste des Landes standen, teils die Scholle der Waldheiden bebauten, überkam den greisen Höllbart die Sehnsucht nach seiner Kindesheimat. Er hat den Pilgerstab genommen, und wie er einst, ein junger Mann, geächtet und verfolgt, über das weite unwirtliche Gebirge der Steiermark gewandert war, so ist er nun als gebückter Greis denselben Weg wieder zurückgegangen. Er hat die gewaltigen Herrlichkeiten des Hochgebirges wiedergefunden, nicht mehr aber die Menschen jener vergangenen Tage. Auf dem Gebirgsstocke des Schwab hat er nach jenem Hause geforscht, dessen Bewohner sich seit den Kreuzzügen länger als ein Jahrhundert dem Weltunfrieden entrückt hatten. Er hat das Haus nicht mehr gefunden, wohl aber die Fichtengruppe, unter welcher die Väter des Hauses zur Ruhe gebracht waren. Ihre Nachkommen hat es endlich doch selbst wieder hinabgedrängt zu den Mitmenschen, um in ihren Reihen den unendlichen, alles zerstörenden und alles gebärenden Weltkampf mitzuringen.
Im Hochlande der Heimat hat Höllbart seine Geburtsstätte besucht und den Kirchhof, der die Gebeine seiner längst vergangenen Eltern barg. Er hat keinen Verwandten mehr gesehen, und die Gräber sind mit Disteln überwuchert gewesen.
So ist der alte Matthäus Hellbert, genannt der Höllbart, wieder zurückgekehrt in die friedsame Alpengegend, mittagsseitig von dem Tale der Mürz. – »Sanna,« hat er gesagt zu seinem treuen Weibe, »jetzt will ich bei dir verbleiben bis zum Schlafengehen.«
Längst sind sie schlafen gegangen all' beide; längst vielleicht von der Natur wieder erweckt worden aus kühler Waldeserde zu einem jüngsten Tage . . .
Aber ihr Andenken lebt heute noch, nicht bloß in dem Diamantenband der schönen Jungfrau Chansade, das die Enkel stets treu bewahrten, sondern in manchem der sagenkundigen Bewohner des Waldlandes. Und das Beste, was in der armen, halbverlornen Gemeinde heute noch ist, rührt vom »Höllbart« her.
Der Zarb ist sehr alt geworden, aber sein struppig Haar und Bart ist rot geblieben. Seine Wildheit hat der Alte nie ganz abgelegt; aber den Holzbirnbaum hat er nicht mehr belastet. Noch sein letztes Wort ist gewesen: »Schurken sind wir nicht, aber Waldteufel werden wir verbleiben!«
Mit diesen Worten ist der Zarb gestorben.
Ein Enkel des Zarb hat eine Tochter des Höllbart gefreit, und der Mann, der die Geschichte aufgeschrieben hat, ist ein Urenkel dieses Paares.