Peter Rosegger
Der Höllbart
Peter Rosegger

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Peter Rosegger

Von Adolf Stern

Das lebensvolle und kräftige Talent Peter Roseggers hat, von der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte und Erzählungen an, eine gewisse Volkstümlichkeit gewonnen und zugleich die Teilnahme auch aller Bildungskreise gefesselt, die für die unverkünstelte Unmittelbarkeit und frische Lebendigkeit poetischer Darstellung Sinn und Verständnis bewahrt haben. Die Eindrücke, aus denen die reiche Erfindungs- und Gestaltungslust des steirischen Dorfkindes und ehemaligen Dorfschneiders sich nährt, stammen zum größten Teile aus seinen Jugendjahren, aus der Zeit, wo der Knabe und Jüngling mit schlichter Volksschulbildung doch bereits einen unwiderstehlichen, fast rührenden Drang verspürte, sich mit »Gedichten« und »Gschriften« zu betätigen. Sie sind aber durch die später erworbene Bildung Roseggers vielfach erweitert, geklärt und berichtigt worden. Nur daß der Dichter, eben weil er eine Natur war, sich nie versucht gefühlt hat, das Erlernte über das Erlebte zu stellen, daß er mit Recht von sich sagen durfte: »Von meinen ersten Dorfgeschichten an bis zum ›Waldschulmeister‹ und ›Gottsucher‹ (wir setzen hinzu: bis zu den neuesten Werken) geht derselbe Grundgedanke: ich stelle das Natürliche höher als das Gemachte, das Ländliche höher als das Städtische, die Einfachheit höher als den Prunk, die Taten höher als das Wissen, das Herz höher als den Geist. Ich habe mich durch verschiedene Schichten der menschlichen Gesellschaft durchgelebt. Es gibt Überzeugungen und Ideale, die in der Erfahrung sich auflösen, die meinen sind in der Erfahrung entstanden und befestigt worden.« Und für sein ganzes Verhältnis zur überstiegenen Bildung und allem als »modern« gefeiertem krankem Leben und fratzenhaftem Übermenschentum hat Rosegger in seinem jüngsten Romane »Weltgift« ein glückliches Bild und Wort gefunden: »Da möchte was Rechtes herauskommen, wenn der Pflug tiefer tät greifen als sechs Zoll tief. Sie sind ja ein Bauernsohn. So wissen Sie doch, daß in der Tiefe die Steine sind. Die fruchtbare Erdschicht ist auf der Oberfläche. Mit den Gedanken wird's halt auch nit viel anders sein!« Alle Erweiterung seines Gesichtskreises, alle Fülle seiner Erlebnisse und alle Einsicht in den Wandel der Zeiten hat Roseggers tiefe Liebe zur heimatlichen Alpennatur und seine Überzeugung, daß Leben und Glück des Menschen dem vermeintlichen »Fortschritt der Zeit« nicht geopfert werden dürfen, niemals erschüttert. Und so stellen die kleinen Erzählungen, wie die großen Romane, die humoristischen und lebensfrischen, ja kecken Geschichten und Skizzen, wie die tiefernsten, tragischen Charakterbilder, die ganz realistischen Lebensbilder und die symbolischen Phantasiestücke Roseggers in all ihrer Mannigfaltigkeit doch eine Einheit dar. Er hat sich die Heimat zur Welt erweitert, aber es ist seine Welt, auch seine Dichterträume empfangen Leben, Atem und Farbe von seinen Heimaterinnerungen und »wie einem echten Waldkinde fließen ihm Genuß des Augenblicks und Genuß der Erinnerung, Wirklichkeit und Traum zusammen«.

Die große Zahl der Erzählungen und Romane dieses Dichters entspricht dem Reichtum seiner inneren Erlebnisse und Anschauungen. Nicht vollkommen gleichwertig, bezeugen doch alle den lebendigen Anteil des Erzählers an Menschengestalten und Menschenschicksalen. Die vollendetsten, in denen sich die glückliche Erfindungskraft mit der Grundstimmung Roseggers am besten deckt, in denen seine Weise der Charakteristik dem Leser die erfundenen lebensvollen Gestalten am nächsten bringt, große Dichtungen, wie »Die Schriften des Waldschulmeisters«, »Heidepeters Gabriel«, »Der Gottsucher« und »Das ewige Licht«, aber auch köstliche kleine Geschichten aus den vertrauten Kreisen des Alpenvolkes und der Waldleute bezeugen überall, daß – die Phantasie und die künstlerische Gestaltungslust in Ehren! – das warme, freischlagende Herz die köstlichste Mitgift eines ursprünglichen Talents bleibt. Der eigene Glaube eines Dichters an seine Gebilde und das nie versagende Mitgefühl für Vorzüge und Schwächen, Wonnen und Leiden der von ihm geschilderten Menschen betätigen sich bei Rosegger selbst da, wo er scheinbar Alltägliches zu belichten und wiederzugeben hat. In Wahrheit ist ihm nichts alltäglich. Der ernste Sinn der steirischen Alpenbewohner, der sich mit der süddeutschen Lebenslust und dem Humor so unlöslich verbindet, fühlt und sieht auch in den sich unablässig wiederholenden täglichen Vorgängen des Lebens eine tiefere Bedeutung. Und Rosegger, der sich so eins fühlt mit seinen Heimatgenossen, teilt diesen Sinn. Er lebt eben ganz und gar im Volke und die herbe Sorge um dessen Zukunft, die ein so erschütterndes Buch wie den Roman »Jakob der Letzte« und die Schilderung des Untergangs der Gemeinde St. Maria im Torwald ins Leben rief, steht in ihm dicht neben der hellen Lust am bescheidenen Genuß, am fröhlichen Schwank, an der beherzten Zuversicht des ehrlich arbeitenden Menschen.

Wie bei fast allen echten Volksschriftstellern lebt in Peter Rosegger ein lehrhafter Zug, der indessen weit von der Klugrednerei und dem Moralisieren anderer Erzähler entfernt ist. Nur flüchtig wirft er sein Wort der Belehrung oder Ermahnung zwischen die anschauliche, lebenstrotzende Darstellung, in der es ihm immer um Menschenseelen und Menschengeschicke zu tun ist, auch wo er, wie im »Martin der Mann« oder in »Weltgift«, dem abstrakten Gedanken ein größeres Recht einzuräumen scheint. Nun gar in seinen kleineren Gebilden, in denen der Brunnen frischer Unmittelbarkeit zu Zeiten überquillt, ist Rosegger durchaus der naive, liebenswürdige, schalkhaft kluge Seelenergründer und Herzenskündiger. Nichts vermag ihm die Gewißheit zu trüben, daß »der Menschen echtes Glück nicht von Osten kommt und nicht von Westen, daß es in keiner Himmelsgegend aufsteigt, durch keinen Wind herbeigeweht wird, daß es still und wunderbar entkeimt aus dem eigenen innersten Herzen«. Zum rechten Menschenglück gehört freilich für diesen Dichter auch die schöne, zu gleicher Zeit große und heimlich-lauschige Natur, von deren mächtigem Leben und deren Stille die Seelen seiner Gestalten sich unbewußt nähren. Es ist, wie Rosegger selbst im Vorwort zu seiner »Waldheimat« meint: ein wunderliches Seelenleben, welches sich in dem Schatten der Tannenwälder, in den tauigen Wiesentälern und auf den stillen Hochmatten entwickelt.« Daß alles menschlich Gute auch in anderer Landschaft gedeihen kann als in den steirischen und sonstigen Alpen, weiß unser Erzähler natürlich. Aber seine eigene Sehnsucht in die Welt ist nie viel über die Berge hinausgegangen und allezeit hat es ihn zu diesen zurückgezogen. Die Menschen, die er kennt, die Zustände, denen er sich innerlich nahe fühlt, stammen alle aus den Bergen, den Tal- und Waldgründen zwischen ihnen. Insofern ist Rosegger ein Heimatkünstler und doch reicht der Gehalt seiner Schriften weit über das hinaus, was ein paar Jahrzehnte nach seinem ersten Auftreten Heimatkunst hieß. Sicher aber weiß der Dichter die Liebe für seine heimatliche Natur, die Untergrund und Hintergrund aller seiner Darstellungen bleibt, auf die Zehntausende und Hunderttausende von teilnehmenden Lesern zu übertragen, die seine Schriften gefunden haben.

Die kleineren Erzählungen, die in den Sammlungen »Volksleben in Steiermark«, im »Buch der Novellen«, »Die Älpler«, »Sonderlinge aus dem Volke der Alpen«, »Feierabende«, »Dorfsünden«, in den »Neuen Waldgeschichten« und den »Geschichten des Wanderers«, in »Allerhand Leute«, im »Schelm aus den Alpen«, in den »Guten Kameraden«, und den »Idyllen aus einer versinkenden Welt« vereinigt sind, hinterlassen fast alle den Eindruck, daß sie mit voller behaglicher Leichtigkeit aus einer unversieglichen Fülle geschöpft wurden. Denn so hell und klar die Augen des Erzählers für die ihn umgebende Welt, die Menschenmannigfaltigkeit der Gegenwart sich erweisen, Rosegger hat sich von vornherein mit dieser Gegenwart nicht begnügt. Die Wälder, die Hochtäler, die Einöden, in denen er zu Hause ist, haben auch eine Vergangenheit und auch diese steht in voller Deutlichkeit vor der Anschauung und dem lebendigen Anteil des Dichters. Bezeichnet ein so mächtiges und eigentümliches Buch wie »Der Gottsucher« den Höhepunkt der Bestrebungen Roseggers, sich in vergangene Tage zurückzuversetzen, und verfährt er dabei mit dichterischer Freiheit, insofern er es zweifelhaft läßt, in welchem Jahrhundert die dunkeln Vorgänge dieses Romans eigentlich spielen, aber vollkommen das Gefühl erweckt, man blicke um Jahrhunderte rückwärts, so sind einige der kleineren Erzählungen für die lebendige Vorstellung des Dichters von älteren Schicksalen seines Alpenvolks höchst bezeichnend. Zu diesen Erzählungen gehört vor allen auch »Der Höllbart«, eine Geschichte aus den Zeiten der auch in die österreichischen Erblande hereindringenden Reformation und der Türkengefahr, von der im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert die Steiermark von Ungarn her mehr als einmal bedroht war.

Roseggers historische Novellen, wenn man sie so nennen will, gehen vor allem davon aus, daß das Leben der Gegenwart der Schlüssel zur Darstellung auch der Vergangenheit bleibe. Da die Natur stärker ist als die Geschichte, die Lebensbedingungen der Älpler im vierzehnten, sechzehnten oder neunzehnten Jahrhundert immer die gleichen gewesen sein müssen, so liegt es nahe, daß auch die Charaktere und die menschlichen Hauptgeschicke ferner Zeiten nicht allzusehr von den gegenwärtigen abweichen können, daß höchstens noch ein besonderes zeitlich Charakteristisches hinzukommen müsse. Diese Hirten, Jäger, Holzfäller, diese Waldbauern, die dem kargen Boden ein wenig Hafer und Roggen abgewinnen, diese Priester und Mönche, diese Flüchtlinge im Hochwald, die durch die Geschichte vom »Höllbart« hindurchgehen, müssen in der Hauptsache denen geglichen haben, denen wir noch jeden Tag begegnen können, »so hängen die alten Zeiten zusammen mit dem heutigen Tage«. Das frische Leben, das die Erzählungen durchdringt, die sich gestern zugetragen haben und morgen zutragen mögen, braucht sich auch in denen aus den Zeiten der Glaubenskämpfe, der Bauernkriege und der Türkennot nicht zu verleugnen. Die großen historischen Vorgänge ragen in die Schicksale der Einzelnen hinein, wie die Höhenzüge und Firngipfel in die Täler. Aber die Einzelnen müssen leben und leiden, lieben und freien, hoffen und verzagen, wie es die Hof- und Hüttenbewohner tun, die der »weiland wandernde« Dorfschneider »auf der Ster« alle Tage vor Augen gehabt hat.

Die Erfindungen Roseggers haben auch in den historischen Novellen, von denen »Höllbart« eine der vortrefflichsten ist, die naturwüchsige Art, die die Hauptsachen klar und anschaulich vorführt und Nebendinge weder ängstlich motiviert noch streng verbindet. Es scheint, als ob die Erzählung Lücken hätte, sieht man jedoch genauer zu, so wird alles deutlich und zusammenhängend. Die Flucht des reformatorisch gesinnten Pfarrers Matthäus Hellbert, den die Mönche und alle Altgesinnten Höllbart nennen, aus salzburgischer Gefangenschaft, die Rast in der Schenke, der Überfall durch Bruder Jonas, die erneute Flucht auf dem Esel des Mönchs, die lange Wanderung zum Mürztal, die Begegnung mit der jungen Fischerin Sanna, der Entschluß, sich bei ihrem Oheim, dem Pfarrer von Krieglach, der in Wahrheit ihr Vater ist, als Knecht zu verdingen, die Werbung um Sanna in der Maske des Knechts und Küsters, die Trauung des Paares, die unmittelbar darauf folgende Entdeckung durch Hellberts alten Feind, den Ablaßkrämer, die gemeinsame Wanderung in die Einöde am Gölk, wo der Wald dichter, das Gebirge öder wird, die Aufnahme der Flüchtigen unter den »Waldteufeln«, deren Haupt der Zarb ist, die Erwählung Hellberts zum Pfarrer der Wildlingsgemeinde, der Hereinbruch der Türken, die Gefangennahme der schönen Türkin Chausade, die sich als eine Tochter Sultan Solimans herausstellt, die Schicksale der Gefangenen, die den jungen Lindolf, der gleich ihr aus morgenländischem Blut stammt, unwiderstehlich an sich zieht, die Aussöhnung der Waldgemeinde am Fuße des Teufelssteingebirges mit der Landes Herrschaft – alles tritt bei knapper Kürze lebensvoll heraus. Rosegger hat das stärkste Gefühl dafür, daß ein Strom elementaren, stetig wiederkehrenden, stetig neu bleibenden Lebens durch die Wirrnisse und Hemmnisse menschlichen Irrtums, wilder, willkürlicher und unfruchtbarer Kämpfe hindurchrinnt, und dies Gefühl gibt seiner Darstellung solcher Kämpfe noch einen besonderen Reiz. Die Gewißheit, daß lange vor ihm selbst in und auf seinen Bergen Menschen gehaust haben müssen, die sich gleich ihm selbst zu Frieden und stiller Entsagung, zu freier, weltumfassender Liebe durchgerungen hatten, erfüllt auch Geschichten vergangener Zeit mit dem echten Roseggerschen Geiste.

Es ist vollkommen müßig, untersuchen zu wollen, wie viele von Roseggers Erfindungen und kernigen prächtigen Menschengestalten in ferne Zukunft hinauswirken werden. Sicher die besten, vielleicht viel mehr, als sich solche Beurteiler träumen lassen, die nur den Erzählungen Dauer zusprechen, die das Gepräge gleichartiger Vollendung in jeder Einzelheit ausweisen. Der Hauch warmer, selbstloser Liebe zu seinem Volke, reiner, freier Natürlichkeit kann gleiche, ja größere Wunder wirken wie die eherne Plastik des Künstlers. Diesen Hauch aber läßt uns der Volkserzähler, der in aller Schlichtheit und Anspruchslosigkeit ein kühner und mächtiger Dichter geworden ist, nur selten missen und überall verspüren, wo er aus dem Vollen schöpft, wie in der nachstehenden Geschichte »Der Höllbart«.

Adolf Stern.

Peter Rosegger wurde geboren am 31. Juli (dem Vorabend von Petri Kettenfeier) 1843 zu Alpel bei Krieglach in Obersteiermark, trat im 17. Lebensjahre bei einem wandernden Dorfschneider in die Lehre, zog mit diesem vier Jahre lang, »auf der Ster« arbeitend, von Hof zu Hof. 1864 sandte er die ersten Proben eines lange in der Stille geübten poetischen Talents an Dr. Albert Swoboda, den Herausgeber der »Grazer Tagespost«; studierte mit Hilfe seiner neugewonnenen Gönner von 1865–1869 auf der Grazer »Akademie für Handel und Industrie«, veröffentlichte zuerst 1870 seine Gedichte in obersteirischer Mundart, erhielt zur Fortsetzung seines Studiums und zur weiteren Ausbildung auf Reisen ein Stipendium des steiermärkischen Landesausschusses, ließ sich 1873 dauernd in Graz nieder, wo er seit 1876 die Wochenschrift »Heimgarten« herausgibt, und erwarb ein Haus auch in der alten Waldheimat, in Krieglach, wo er den Sommer zuzubringen pflegt. Die Zahl seiner Schriften ist sehr groß, allein die Sammlung der »Ausgewählten Schriften« (1881–1894) umfaßt dreißig Bände.›



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