Peter Rosegger
Der Gottsucher
Peter Rosegger

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Zweites Buch

Die Gottlosen.

Und zu jener Zeit war’s, daß der kleine Erlefried eines Tages herangestiegen kam zur Kirche von Trawies, um in seiner kindlichen Einfalt zur nahenden Weihnacht das Jesukind zu grüßen. Er war im Festtage aus- und inwendig; sein blühender Leib strebte in Lust den Thaten des Lebens zu, seine Seele schwebte in frommer Heiterkeit und Zuversicht und flog gläubig, wie ein Waldkind nur gläubig sein kann, an diesem Tage in die Ewigkeit hinein.

Er, der vom Berge niedersteigt, weiß von Allem noch nichts, man hat’s ihm verhüllt – er ist noch in der Gnade. Er weiß wohl, daß etwas Außerordentliches geschehen ist, etwas, das seinen Vater betrifft; wohl ist sein kleines, junges Herz bedrängt, aber er hat gehört, das Beten wäre heilsam, so will er beten. Nicht wie sonst klingen ihm die hellen Kirchenglocken entgegen, und als er zur Pforte des Gotteshauses kommt, erschrickt er. Ein Landsknecht steht da mit bloßem Schwerte und zwei Männer vermauern den Eingang.

»O Kind,« murmelte ihm einer der Arbeiter zu, »Du willst beten gehen und wir haben keinen Gott mehr! Er hat uns alle verlassen und sein Tempel ist eine Mördergrube geworden.«

Da erhält der Sprechende schon vom Landsknecht einen Seitenstoß, er habe nicht zu schwatzen, er habe zu arbeiten.

Erlefried schleicht davon. Der Sandhock erklärt ihm alles.

»Suchest Du etwas, Kleiner?«

»Meinen lieben Herrgott suche ich,« schluchzt der Knabe.

»O Schäflein, Du, was Du da schwätzest! Weißt Du denn nicht, daß sie Neuzeit die Dreifaltigkeit ertränkt haben? Seien wir froh, jetzt haben wir frei Ding!«

Gar traurig macht sich Erlefried auf den Heimweg gegen das Haus des Bart. Da kommt es ihm vor, es schwankte der Boden unter seinen Füßen. Es mag ja sein, wie soll denn was feststehen, wenn’s Niemand hält! Wenn er nur glücklich nach Hause kommt zur Mutter, zum guten Bart.

Auf dem Wege trifft er mit dem Bauer Isidor zusammen. Der sagt ihm’s noch klarer, die Trawieser Leute wären gottlos geworden.

Auf der Freiwildhöhe unter zwei alten Buchen, die ihre Äste starr in die blaue Winterluft hinausrecken, steht ein Marienbild. Der Knabe, der des Weges kommt, will in seiner Herzensbedrängnis davor beten – wenn schon kein Herrgott mehr ist, so muß man sich ganz an unsere liebe Frau halten. Und da es so recht still ist um ihn, im Thale kein Klang, auf den Wipfeln kein Sang und als Erlefried so kniet auf dem schneefreien Stein, da hört er in der Brust Mariens das Klopfen des Herzens. Zitternd vor Freude steht er auf und küßt das Holzbild, das lebendige, und eilt weiter. – Gottlob, es ist Niemand zugegen, der ihm sagte, daß in dem Holze der Statue ein Klopfkäfer bohrt.

Als der Knabe immer weiter und weiter den Waldweg hinaufschreitet und nichts Anderes denken kann, als daß, da in Trawies kein Gott mehr ist, auch kein Himmel mehr sein kann – und als er zwischen den Stämmen ein Reh hüpfen sieht, daß das Reisig knistert, fällt es ihm plötzlich bei: Was wird’s fürder mit dem Sündigen sein? Besser, denn der Vogt sieht nicht Alles. Ein Eichkätzchen läuft den Baumstamm hinan, steigt einen Ast hinaus und blickt nieder auf den Knaben. Gar höhnisch blickt es nieder, als wollte er sagen: »Armer Schlucker da unten, jetzt bist Du auch nicht besser als ich. Ihr Gotteskinder habt so gern gesagt, wir hätten keinen Heiland, wir hätten blos ein armseliges Leben, und nach diesem Leben habt Ihr uns getrachtet. Jetzt sind wir gleich viel, aber klettern kann ich besser als Du.«

Dann hörte der Knabe das Rauschen des Waldbaches; wie oft hat er es gehört, aber heute wird ihm angst und bang. Was ist das am Morgen ein anderer Weg gewesen! Es ist die Sonne da, aber sie hat nicht mehr den hellen Schein, die Schatten der Bäume legen sich gespensterhaft über den Pfad und so oft der Knabe auf einen solchen Schatten steigt, ist ihm zu Muthe, als trete er in einen Abgrund hinaus. Dann hört er das Donnern einer niederfahrenden Schneelawine und das Knattern brechender Bäume. Keine allmächtige Hand schützt vor der Gefahr; Raben fliegen über den Wald hin und her und der Gegend zu, wo die Lawine niedergegangen ist, um zu sehen, ob es nicht etwas aufzufressen gäbe.

Als der Junge über den hohen Steg der Freiwildschlucht geht, steht er mitten auf demselben still und starrt in den Abgrund. Er kann seinen Blick nicht wenden von der Tiefe; ist ihm doch der Blick zur Höhe verleidet worden! Es ist, als beginne sich der Steg mit ihm zu drehen, ein paar gute Sprünge retten ihn noch zu rechter Zeit, ehe ihn der Schwindel vollends erfaßt. Als er endlich in das alte berghaus des Bart tritt, ist er sehr erschöpft.

Seine Mutter hat so blaße Wangen. Sie trägt das Leid er Erde willig, meint sie doch, sie komme zum lieben Gott. Und alles ist angewiesen auf den lieben Gott. Sie wissen nicht, was Erlefried weiß ...

»Warum läßt denn Du heute die Krautsuppe stehen?« Frägt die Mutter, da er das vorgesetzte Mittagsmahl nicht berührt.

Der Knabe antwortet nicht.

»Du bist heute so still.«

Der Knabe beginnt zu schluchzen.

»Kind, ist Dir was widerfahren?«

»Mutter,« antwortete der Knabe und birgt sein Lockenhaupt an ihre Brust, »ich weiß etwas Fürchterliches.«

»Von Deinem Vater,« murmelt das Weib.

»Was ganz Anderes – gar nicht zu sagen, wie fürchterlich.«

»Fasse Dich, Erlefried, dann sage mir, was geschehen ist.«

»Es giebt keinen!« stößt der Knabe hervor, »keinen Gott.« Vor Entsetzen vergräbt er sein Gesicht in die Kleider des Weibes.

Dieses richtet sich auf und sagt ruhig: »Du Närrchen, wer hat Dir denn gesagt, daß es so sein mag oder nicht so sein mag? Schau, das ist kindisches Gerede. Wer wird viel Ja oder Nein sagen zu einer Sach’, die von Ewigkeit zu Ewigkeit feststeht und nicht anders sein kann!«

»Er ist? Er ist?« Fragte der Knabe freudig.

»Du weißt es, Du lebst, Himmel und Erde ist sein Leib.«

Und hierauf fing das Weib, theils um ihre Bangigkeit selbst zu zerstreuen, theils um den traurigen Knaben zu ermuntern, an, von Gott und Himmel zu erzählen und that’s nach ihrer Weise.

»Im Himmel ist’s wie in der Kirche, nur noch tausendmal schöner. Die Lichter, die brennen, kannst nicht zählen, die Englein, die fliegen kannst nicht zählen. Voran, auf gold’nen Wolken sitzt die heilige Dreifaltigkeit, gleich neben ihnen unsere liebe Frau. Hernach kommen die Apostel und die Blutzeugen und alle heiligen; sie haben weiße Kleider an, Palmen in den Händen und singen den himmlischen Gesang und der heilige König David spielt dazu die Harfen. D’rauf kommen die Seligen; da sind auch Deine Großeltern darunter und die verstorbenen Bekannten. Sie sitzen in der Seligkeit und haben nasse Augen; Eins thut ihnen weh in ihrer ewigen Freud’ – daß sie uns noch in der Gefahr und im Leiden wissen. Jedes hat an seiner Seiten einen Platz leer und hat was d’rauf liegen, daß er ihnen nicht versessen wird. Das, mein Kind, sind die Plätze für ihre Lieben auf Erden. Jetzt, Erlefried, denke Dir eine Mutter, die sitzt dort und wartet auf ihr liebes Kind. Alle kommen nach und nach und setzen sich zu den Verwandten und Freunden, aber ihr Nebenplatz bleibt leer und ihr Kind will nicht kommen. Die Lebenszeit muß schon lange aus sein; Andere, die sich verirrt und verspätet haben, folgen auch noch und setzen sich, Rosen auf dem Haupt, zur heiligen Rast. Die Mutter steht auf, geht um wie ein Schatten und frägt jeden Ankömmling, ob er ihr Kind nicht hätte gesehen. Und Jeder schüttelt das Haupt. Jetzt wankt sie hin zum lieben Gott; er frägt, warum sie denn weint? Sie weiß sich keine Ruh’, will fort aus dem Himmel, will wieder auf die Erden und suchen, bis sie ihr Kind gefunden hat. – D’rum thu’ ich fortweg sagen: Sich selber und die Seinigen gerettet wissen vor dem Bösen, das ist die Seligkeit. Mein lieber Sohn! Wenn ich einmal nicht mehr bei Dir bin, denke d’ran und thu’ meiner nicht vergessen!«

Erlefried wischte sich mit dem Rockärmel das Wasser von den Augen und dann sagte er zu seiner Mutter, wenn Gott nur auch fortan die Sterne leuchten lasse, so würde er den Weg zum Himmel wohl finden.

Guter Knabe. Sterne leuchten viele, aber alle stehen nicht in den Höhen.

 

 

Winter im Hochwalde. Das Blühen des klingenden Lenzes liebt der Urgermane, aber wohler fühlt er sich mitten im weiten, kräftigen Winter. Es ist eine stille, ernste, vom Himmel gefallene Welt – das kühle, starre, nordische Nifelheim. Die gedehnten Auen und Wiesen, so mannigfaltig durchzogen sonst von zarten Gewächsen, von Bächlein, Steigen und Steintrümmern, sind eins und gleich, darüber hin liegt der hohe Schnee in seinen sanften Wellungen. Und die knorrigen Arme der nordischen Bäume, der Tannen, Lärchen und Kiefern, die sich sonst weithin ausgestreckt hatten, wie zu Segen über das Erdreich, deren Triebe und Zweige alljährlich im jugendlichen Schwunge des Lenzes von Neuem himmelan strebten, um erhaben zu werden, wie die Wipfel ihrer Stämme, sie beugen sich nun tief unter Lasten. Anfangs spielte das Gezweige mit den zart und leicht wie Blütenstaub niederwehenden Flocken, und es freute sich, daß die fliegenden Einwanderer von oben sich auf ihr Genadel setzten, wie es sonst die Schmetterlinge gethan hatte, die weißen und die bunten, in sonnigen Tagen. Und sachte wiegten die Zweige ihre Gäste, zu denen, weil es ihnen auf lustiger Schaukel ja so gut ging, sich immer noch neue gesellten, sich allmählich fester ans Genadel klammernd ein weiches Nest bauten, sich bauend verbanden mit anderen Zweigen, sich sachte, anmuthig wie Kissen und schwer wie Sand hinlegten und das Astwerk, das starre, tief niederwärts drückten. Und so stehen die Bäume nun da, mit weißen Banden gefesselt, aber trotzig, wie die Söhne des nordischen Waldes in ihrer ganzen Stolzheit und thun, als ob sie den schweren Hermelinmantel freiwillig trügen auf ihren Schultern; er wärmt, das fühlen sie, ja doch die Glieder und verleiht ein ehrwürdiges Aussehen.

Auf ein ehrwürdiges Aussehen halten sie was, die genadelten Stämme. Die genadelten sind es, während jene dort am Wiesenraine die geadelten heißen. Das ist der wamstige Ahornbaum und der weibisch glatte, flatterhafte Buchenstamm und die sich wie ein Pfauenrad bauschende Eiche, welche deutschen Boden allerwärts gepachtet zu haben glaubt. In die slavischen Wälder gehört sie hinein, wo sich der Bär und der Eber umtreibt. Zu den Schweinen der Pußten hinab – deutscher Erde Kind, der Alpen Felsenburg entstammend, sind wir die Tanne. Wohin die Esche dort am Angerrande zuständig sei, müßte sich erst weisen, über diesen Baum sagt man nicht gern, was man weiß, geht doch die Mär’ heute noch vom Welteschenbaum, und wie aus dem Moder des hohlen Stammes, Holzwürmern gleich, die Menschenbrut gekrochen sei. – Zur Sommerszeit allerdings, da geben sie es bunt, die geadelten mit dem geschlachten Holze, flattern mir grünem Gefieder, stecken ihre Büsche auf und im Herbst, wo es dem Walde geziemt, sich zu bereiten auf die heilige Wintersruh’, prangt der Laubbaum freventlich noch in schreiendem Roth und flunkert voll Übermuth mit Goldfarbenschein. Der Prahler! Aber das ist sein Letztes. Der erste Athemzug des Winters bläst die Herrlichkeit weg. Wie närrisch flattern und wirbeln die entheimten dürren Blättern auf dem Boden herum, bis der Schnee sie verhüllt! Und durch das armselige Gerippe dieser Edelbäume tanzen höhnisch die Flocken und wollen nichts zu thun haben mit den kahlen, knochigen Armen. Und sitzt wie ein müder Spatz auch einmal eine auf, sie fliegt doch bald wieder davon. Armsünderlich stehen sie, und da zeigt es sich, wie unbeholfen und fremd sie sind in deutschem Walde. Ja freilich, solchen Schluckern gegenüber thut sich die Tanne im weißen Hermelin auf ihr ehrwürdig Aussehen doppelt viel zugute! Obzwar es ihr noch besser stünde, wenn sie groß wäre und demüthig zugleich.

Viele vom Sturme gebrochene Stämme liegen unter dem Schnee und strecken völlig gespensterhaft einzelne Äste heraus, so wie man sagt, daß manchmal aus dem Grabe der Erschlagenen eine drohende Hand wächst. Daneben steht der Strunk und hat eine Schneemütze über seine Splitter gedrückt. Dort wölbt sich ein rundes Hügelches, ein Küppelchen auf. Darunter ein Junges, ein kleiner Tannling, träumend die ferne Zeit, da mitten im Winter die jungen Tannlinge auferstehen werden aus dem Schnee, um kindlichen Augen und Herzen zur Lust in einer Flammenkrone zu strahlen. Denn eine Zeit wird sein dereinst in deutschen Landen, in welcher durch die Winternebel nieder die Sterne des Himmels gleiten, in welcher die Lichter, die von Bergen und aus Waldschluchten nächtig der Kirche zueilen, um des lieben Herrn Christi Geburt zu feiern, herbeiflimmern und sich versammeln werden – wie im Frühling die aus sonnigen Strichen kommende Vögleinschaar – um den grünen Wipfel, der im Heime des Menschen steht.

Um die Quelle, die im Sommer lebendig sprudelte aus moosigem Gestein, haben die Flocken kunstvoll sinnig, wie Bienen Zellen bauen, ein Gewölbe gemauert, ein Brunnenhaus, unter welchem, von grüner Kresse noch umkränzt, kaum hörbar das Wässerlein murmelt.

Und so legt sich das endlose Schneetuch hin über Auen und Wälder, und die Tannen stehen in ungezählten weißen, schwarzgesprenkelten Zacken und Spitzen empor, wie ein ungeheurer Dom der Gothen.

In den Thälern ruht das Grau des Nebels, aber hehr über den Höhen leuchtet das weite Rund des Felsengebirges; nicht die Wände leuchten jetzt, sondern die Schneefelder, die sich heute noch an steilsten Hängen halten, morgen aber von Odin’s Athemzug gelöst donnernd in den Abgrund fahren.

»Des Winters Leichentuch,« dieses Wort haben danklose und gedankenlose Menschen gemacht. Hätte es denn Keiner noch empfunden, wie erquickend, belebend, versöhnend und aufmunternd der Gang über eine Winterlandschaft ist! Hat denn Keiner den aus knisterndem Schneegeflocke wehenden kühlen Hauch getrunken, in welchem reiner als aus dem Athem der sommerlichen Blätter, reiner als aus dem Dufte der Blumen, der Lebensfunke in unsere Nerven übergeht? Hat denn Keiner noch die süße Ruhe gefühlt, in welche das kampfmüde Reich der Pflanzen und Thierchen unter der lichtdurchwirkten Schneehülle gesunken ist? Keiner an die jungen Kräfte gedacht, die sich unter dieser Hülle beständig entwickeln und sammeln, um nach wenigen Monden eine Welt voll neuer Herrlichkeit vor uns aufzubauen? Wie eine aus weißer Seide gewobene Decke, so hat Mutter Natur den Winter niedergesenkt auf die Wiege des Frühlings. Kennen die Bewohner jener Gegenden, denen der weiße Winter versagt ist, bei denen es sich vom Großvater vererbt auf den Enkel, wenn die welken Blätter der Pinien eines Morgens mit Schneereif überzogen sind – kennen sie die Wonnen des Frühlings in dem Maße, wie der Nordländer, der auf lustig gleitendem Schlitten den lieblichen Tagen der Blüthe entgegenfährt.

Und wenn in einem der Himmelskörper dort oben ein Auge offen ist, das ausspäht nach Licht, und wenn dieses Auge an seinen nächtlichen Himmel die blasse Scheibe der Erde betrachtet, aus welchen Strichen sonst wird ihm der hellste Schimmer entgegengrüßen, als aus den winterlichen Zonen! Denn licht ist unsere Welt, wenn die Sonne strahlt auf das schneeumhüllte Land! –

Dergleichen Winterphantasien spielen gern in der träumerischen Seele des Germanen. Doch vielleicht nicht so an jenem Tage, da Wahnfred, der Mann aus dem Gestade, auf dem Rücken ein schweres Bündel und ein Schußgewehr geschnallt, sich durch Schnee und Wildstrupp emporarbeitete aus den Wänden der Rabenkirche, an den Lehnen der Mieslingschluchten, an dem felsigen Vorgeschiebe des Trasank bis zu jener Höhung, wo die Grunde von Trawies zu Ende gehen und der Ritscherwald beginnt. Der Ritscher schließt sich an den Birstling und an den Tärnwald, mit dem er auf gleichem Gebirgszuge liegt, hat jedoch eine höhere Lage und breitet sich auf einer weiten Hochebene hin, stets allmählich aufsteigend und emporziehend an das Felsengebirge, bis an diesem die Bäume immer schütterer und verwitterter, die Felsblöcke immer dichter und mächtiger werden, und sich so der ungeheure Wald allmählich verwebt mit dem Gesteine des Hochgebirges. Der Ritscherwald hat nur wenige Gräben und Schluchten, die Wässerlein rinnen in seichten Rinnsalen entlang und scheinen zum großen Theile wieder zu versickern, bevor sie hinab zu Bächen und Flüssen gelangen. Zahlreich ragen zwischen Bäumen und auf sandigen Heidegründen massige Felsblöcke, die vom Hochgebirge herniedergerollt zu sein scheinen und ein gar verwittertes Aussehen zeigen. Heute ist dieser Urwald zum großen Theile hingeschlachtet, sind die Quellen, die einst so zahlreich waren, zum großen Theile versiegt. Zur Zeit dieser Begebenheiten aber führte kein Weg und kein Steg in den so ab- und so hochgelegenen Wald, der Mensch suchte ihn nicht mit Gewinngier, wie heute, er mied ihn, er fürchtete ihn seiner Wildnisse und seiner Raubthiere wegen, und so wucherte in demselben, was wuchern wollte. Das Gestämme der Tannen, der Buchen und Eichen war üppig und wuchtig – ein Riesengeschlecht. Schauerlich wilde Formen, theils dicht umflochten von Reisigmassen, theils erstorben und fahl, ragten auf, und der Specht, der Habicht, der Adler, und was eben fähig war zum Streite, das lebte hier und herrschte. Einmal des Jahres brauste das wilde Heer der Klosterjagden durch den Wald und fahndete nach dem Wolf und dem Eber und führte eine reiche Beute von Hirschen heim.

So war das Bergreich, in welches Wahnfred nun einzog. Der Mann, wie das damalige Geschlecht überhaupt, kannte die Naturbetrachtung noch nicht solchergestalt, wie wir Heutigen; er fürchtete sich vor den Alpenstürmen, vor den Wildwässern, vor den Lawinen, ihm war die Wildheit, die wir heute Schönheit nennen, drückend dämonenhaft. So hatte die Natur dazumal keine Seele; erst der Mensch muß die seine in sie hineinlegen, und je größer das Herz eines Beschauers ist, desto bedeutungsvoller wird ihm die Außenwelt. Viele sind gewöhnt worden, den sie umgebenden Ring der Welt auf sich selbst zu beziehen, während eine große Seele bereit ist, das Herz opferfreudig in die Außenwelt zu versenken.

Einen ähnlichen, aber unbewußten Drang fühlte auch Wahnfred; er sah, er hatte sich selbst verwirkt, so wollte er sich hingeben, nur wußte er nicht, an wen. Jetzt dachte er an nichts, als an Flucht, um sich zu retten für eine freiwillige Sühne.

Hoch aufathmete er, als er mit seiner Last zu Höhe gelangt war, rings um ihn der sonnige Glanz des Winters. Nun blickte er zurück in das Engthal der Trach, das von den Wänden des Trasank sich zweigte und in vielen Windungen zwischen schroffen Waldbergen hinausging, vorüber dort an dem ätherblauenden, kegelförmig aufstrebenden Johannisberge, linksab gegen das Gestade. Da in der Tiefe der Nebel lag, war es zu schauen, wie ein langgestreckter, grauer, welliger See, von steilen Ufern umrahmt, die theils in der Sonne blinkten, theils im dämmernden Blau des Schattens lagen. Schräge gegenüber stand der Rockenberg und die Felswand mit dem Wasserfalle an der Wildwiesen. Über den Bäumen strebte ein Bändchen blauen Rauches auf aus dem Hause des Waldhüters. Dort draußen, wo sich der See ein wenig weitete, ragten aus dem Nebel die Zacken einer Wand, der Dreiwand. Dort lag Trawies. Dort, Wahnfred, liegt der starre Mann, der im Tode Dir noch ein größerer Feind ist, als er es im Leben gewesen ...

Weit links hin, am Fuße des Firner, über dem Gestade, schiebt sich der Nebel in dichterem Massen ineinander, zu sehen, als ob darunter auch Wirbel des Rauches wären. Vielleicht! Jene Nebel brauen über einer Brandstätte ...

Noch weiter links, schon an den diesseitigen Bergzug sich schließend, blaut der Tärn. In jener Gegend sieht das Haus des Bart und in diesem Hause weilt ein heimatloses Weib, ein vaterloses Kind ...

In seinen Füßen zuckte es heiß, seine Schuhspitzen waren gegen den Tärn gerichtet; aber er war gewarnt, er wußte, wie dort unten die Häscher Haus um Haus durchstöberten, und daß seine Rückkehr nicht bloß ihm, sondern auch seiner Familie, ja der ganzen Gemeinde die größte Gefahr bringen müßte.

Wahnfred bedauerte seine That, sie hatte sein innerstes Wesen aufgewühlt, wie der Ausbruch eines Vulcans den Schoß der Erde – aber er bereute sie nicht. Er war entschlossen, sich nun verborgen zu halten und aufzubewahren für die Zeit, da er ungefährdet in sein Thal zurückkehren durfte. Er war entschlossen, sein Leben ganz der Waldgemeinde Trawies zu weihen, der erste Theil seiner Aufgabe war gethan; das Verderbliche war niedergerissen. Der zweite Theil blieb ihm noch übrig zu thun: das Gedeihliche aufzubauen.

Nun wendete er sich und ging hinein in die winterliche Wildniß.

Fast eben war der Boden. Zwischen den Bäumen lag hoher Schnee, der den Mann streckenweise trug, streckenweise brach unter der Last, so daß Wahnfred oft bis an die Lenden, mehrmals sogar bis an die Brust einsank und es ihm nur mit großer Mühe gelang, sich wieder herauszuarbeiten. Er kam kaum vorwärts und wurde allmählich so erschöpft, daß er in den Schnee zurücksank. Vor seinen Augen sah er nichts mehr, als das Kreisen buntfarbiger Sternchen und sein Gedanke war: das also ist mein Ende ...

Doch erholte er sich wieder und seine Beine fühlten sich gestärkt im Schoße des Schnees, und die Sonne schien so warm über die zackigen Wipfel des Waldes her. Wahnfred sann auf Mittel, um vorwärts zu kommen. Am Abend friert der Schnee, dann dürfte er tragen. Aber wer konnte in der Nacht hier wandern und die Richtung einhalten, die gefunden werden mußte! Oder sollte er sich der Länge nach auf den Boden legen und weiter rollen wie ein voller Sack? Undenkbar. Es blieb ihm nur Eins übrig. Er hieb mit dem Handbeil, das er mit sich trug, Zweige von einem Tannling und flocht aus denselben zwei Scheiben, die er sich an die Fußsohlen band. Mit solch breiten Pfoten versuchte er’s nun wieder; der Schnee knackte unter den Tritten, aber er brach nicht ein.

So schritt der Mann vom Gestade nun dahin. Er ging über weite Blößen, er brach durch Dickicht und Gefälle, indem er sich Pfad schlug mit dem Handbeil. Er ging durch glatt- und hochstämmigen Wald, der sich so dicht und finster über ihm schloß, daß der Boden schneelos war. Dann wieder ging er über Gesteppe, in welchem die Bäume einzeln und gar zerzaust dastanden, alle die verkrüppelten Äste nach einer Seite hinneigend, wie sie der Windlauf verkümmert hatte. In die Gegend von Trawies sah er nicht mehr; ein fremder Gesichtskreis voll Wald und Winter, so weit das Auge reichte. Nur einzelne Warten des Trasank ragten goldig leuchtend über die Höhe.

Endlich kam er zu einem Bächlein, das zwischen dem Schnee auf braunem Kieselgrunde, die Wellen in verschobenen Quadraten glitzernd, heranrieselte. Nun war unser Wanderer auf rechtem Weg; an diesem Wasser mußte er fortgehen, bis er zur Klause des Einsiedlers kam. Auf dem Boden gingen stets Spuren von Hochwild in Kreuz und Krumm durcheinander; im Gewipfel flatterte manchmal ein Geier auf, daß der Schnee niederstäubte von Ast zu Ast. Da sah denn Wahnfred, daß er nicht einsam sein werde. Freilich bemerkte er im Schnee mitunter auch so etwas wie Hundspfoten, die aber theilweise durch einen Besen wieder verwischt schienen, als wär’ auch da Einer gegangen, der Ursache hatte, hinter sich die Spur zu vertilgen.

Wahnfred kannte den Übelthäter, es war der Wolf mit dem buschigen Schwanze.

Endlich – die Sonne hatte ihre winterliche Mittagshöhe schon überschritten – setzte sich Wahnfred auf einen frei aus dem Schnee ragenden Stein, um zu rasten und Tisch zu halten. Er holte Etwelches von seinem Mundvorrathe hervor und aß; dann schöpfte er mit hohler Hand Wasser aus dem Bächlein und trank. Hierauf stützte er sein Haupt auf die Hand und blickte sinnend ins Weite hinaus. – So von den Menschen fern sein, ein einziges Herz zwischen der starren Erde und dem ehernen Himmel – verlassen, vergessen, verloren ...

Der Stern seiner Augen wendete sich mählich, das Lid sank, er schlummerte.

Dort im Dickicht funkelten die grünlichen Augen eines Fuchses; auf dem Zweig einer Lärche saß ein Schneeammer, flatterte mit den Flügeln und neigte sein Köpfchen Schief gegen den Schläfer herab, als käme ihm diese Gestalt hier gar erstaunlich seltsam vor.

Plötzlich zuckte Wahnfred zusammen und sprang vom Steine auf und wendete sein Haupt und starrte umher. Er sah den Fuchs nicht und auch nicht den Ammer, er suchte einen Anderen und fürchtet ihn zu sehen. Er hatte die Stimme gehört im Halbschlummer: Kain, wo ist Dein Bruder?!

 

 

Wahnfred ging weiter. Die Mühe des Vorwärtskommens beruhigte wieder ein wenig seinen aufgeregten Geist. Er kam zu einer sich weit hinziehenden und ihm quer den Weg abschneidenden Felswand, die aus waagrecht liegenden Steinschichten aufgebaut war, und an welcher der kleine Bach von Stufe zu Stufe rauschend herabsprang. Das armselige, morsche Leitergeflecht, welches die Männer aus Trawies damals, als sie diesen Weg gingen, um den Einsiedler zu begraben, hier gefunden hatten, war nun nicht mehr da. An die Umgehung der langgestreckten Wand, die sich weit in der Wildniß verlor, war kaum zu denken. An dem Wasserfalle hatten sich theils in Orgelpfeifen, theils in Pfeilerform Eismassen angesetzt, und an denselben empor schlug Wahnfred mit dem Beile seinen Pfad und hackte Stufen in das Eis. Die Reisigscheiben mußten hier freilich von den Füßen gelöst werden, dann aber stieg er kühn und kam glücklich oben an. Das erste Thauen wird diese Treppe schmelzen, und die Wand wird ihn hüten und schützen vor seinen Verfolgern wie eine feste Burg.

Dann ging es wieder eben, oder sanft ansteigend fort durch Wald oder über Blößen. Mehrmals hörte Wahnfred jenes scharf ausgestoßene und langgezogene Bellen, vor dem in den Wäldern alles floh, was sich nicht wehrhaft fühlte.

Endlich, als die Kruste des Schnees wieder starr geworden war, als die Sonne glanzlos hinter dem blauenden Wipfelwalle niedergesunken war, sah der Wanderer am Bächlein den dreispitzigen Stein, der ihm zum Wahrzeichen war. Hier bog er vom Wasser links ab, wand sich durch wucherndes Dickicht zu einer Anhöhe hinauf, deren Boden hin und hin mit schneelosen, grünbemoosten Steinen bestreut war, ging dann wieder thalwärts in einen weiten Kessel, der hier von Hochwald, dort von Felslehnen umgeben war und in welchem nur wenige Baumgruppen standen. Er war am Fuße einer kahlen, felsigen Kuppe, der Donnerstein genannt. Und nun erblickte Wahnfred sein Ziel.

Es stand noch da, wie damals, unter einigen Tannen, die ihr Geäste undurchdringlich dicht ineinander verschlangen und über diesem Gefilze ihre zerzausten Wipfel in die Luft reckten. Eine dieser Tannen war geköpft und ihr kahler Strunk mit den knochenweißen Astresten ragte abenteuerlich empor über die Kronen der anderen.

Unter diesen Bäumen stand das Haus, die Klause des Einsiedlers.

Sie war fest gebaut und kaum einer Klause ähnlich. Die Zimmerbäume waren so massig, daß sie ein Mann kaum hätte zu umspannen vermocht. Auch das giebelsteile Dach war aus dicken Bäumen gezimmert, so daß es weder ein Raubthier durchbrechen, noch ein fallender Baumast durchschlagen konnte. Das rindenlose Holz war klingend hart – ein Holz, wie wir es in unseren Tagen nimmer haben, weil wir den Stämmchen unserer Wälder die Bedingungen ihres Ausreifens nehmen und ihnen keine Ruh’ und Zeit geben, um Bäume zu werden.

Der Fensterlein des Hauses waren nur wenige, dieselben waren von innen mit Schubern wohl verschlossen. Den Eingang zu finden mußte man schier um den Baum herumgehen; ganz rückwärts, wo das finstere Dickicht des niederstehenden Geästes am üppigsten wucherte, war die schmale, schwere Thür, die noch mit jener Vorrichtung versperrt war, welche die Männer beim Tode des Einsiedlers angelegt hatten.

Wer in dieser Wildniß dieses Haus gebaut hatte, war gar nicht bekannt; es war vor vielen Jahren mitsammt dem Einsiedler vom Feuerwart entdeckt worden. Der Feuerwart war bei einer Klosterjagd als Treiber betheiligt gewesen, und als er – er allein – an den Bau stieß, bat ihn der Einsiedler kniefällig, ihn nicht zu verraten. Der Feuerwart hatte es ihm versprochen und sein Wort gehalten. Von drei zu drei Jahren aber stieg er hinauf in den Ritscherwald, nach dem Einsiedler zu sehen. Der that, was einem Einsiedler zukam, er aß Wurzeln und Kräuter und betete. Er sah gar wild und bärtig aus und hatte fast das Sprechen verlernt. Der Mann aus Trawies behelligte ihn nicht, und da er sich überzeugt hatte, daß dieses Menschenthier einen Beistand nicht bedurfte oder ihn verschmähte, stieg er stets beruhigt in sein fernes Thal hinab. Einmal, als er wieder hinaufgekommen war, fand er den Waldmenschen todt, aber in einer Stellung, vor der er erschrak und die er niemanden verrathen hatte. Er ließ ihn zu Thale tragen und auf dem Kirchhofe zu Trawies begraben. Das Haus im Ritscherwald jedoch merkte er sich, und da es nun galt, den Wahnfred in Sicherheit zu bringen, wählte er es diesem zum Asyle. In dieses Haus trat Wahnfred, der Schreiner aus dem Gestade an der Trach nun ein. Es graute ihm vor dem Modergeruch, der da hervorwehte, und er riß die Schuber der Fenster auf. Dann machte er Feuer an, und da die Flamme prasselte, der Hertha heiliger Geist, da ward ihm wohler.

Der Herd war größer, als man es in der Wohnung eines Wurzel- und Kräuteressers hätte vermuthen mögen, er war gut eingewölbt und hatte sogar eine Vorrichtung für den Abzug des Rauches. Daneben war auf einem Gestelle ein Mooslager, ein Betschemel vor dem Holzkreuze an der Wand, ein Tisch, ein Schrank, und es fand sich auch manch Anderes, welchem sich der Mensch damals schon angelebt hatte. Ja, die mit glatten Tafeln beschlagenen Wände, das Glas in den Fenstern, der gut gedielte Fußboden und anderes waren Dinge, die man sonst in der Einsiedlerklause nicht zu finden pflegte. Wahnfred legte die Nahrungsmittel und andere Dinge aus, die er mitgebracht hatte, das Schußgewehr lehnte er zur steten Bereitschaft an die Ecke der Wand; machte sich dann so bequem als möglich, um nach der mühevollen Wanderung zu rasten.

Als es still wurde und die Flammen verflogen waren, starrte er in die Gluth. Und nun – kaum zwei Stunden nach seinem Einzug in dieses Haus – überkam ihn das Grauen der Einsamkeit, die Sehnsucht nach den Seinen. Denn hier in dieser öden Ruhe das erstemal, als ob es nun der Gluth entstiege, schaute er jene Szene am Altare – das Bild in seiner gräßlichen Lebendigkeit. Im Dunkel der Nacht hatte er sich neben dem eintretenden Pfarrherrn in die Sacristei geschlichen. Im Winkel hinter dem großen Kasten, in welchem die kirchlichen Kleider aufbewahrt sind, stand er wie eine schwarze Säule und kein Strahl der Altarkerzen fiel auf ihn. Als das Glöcklein klang, schlug er mit Rechten das Kreuz, während seine Linke unter dem Mantel krampfhaft die Axt festhielt. Bei der Aufwandlung, da der Priester die Hostie emporhielt, kam ihm der Gedanke: Laß fahren. Thu’s nicht! – Aber da er durch die Fuge der halb offenen Thür den Kelch heben sah, fiel ihm ein: Christi Blut! Blut muß fließen, daß die Welt erlöst sei. Beim Agnus dei schlug er auf seine Brust und betete, daß nicht Haß- oder Rachegefühl seinen Arm lenke. Und als er sah, wie der Priester in Demuth sich neigte, um des Herrn Leib aufzunehmen, wärmte sich sein Herz in Mitleid und Liebe, und er freute sich, daß dieser Geist in ihn gekommen war und seine That zu einem edlen Werke weihen wollte. Mit ausgebreiteten Händen wandte sich der Priester gegen das Volk und der Chor sang: »Selig die Todten, die im Herrn sterben. Ruhen sollen sie von ihrem Leide und ihre Thaten werden mit ihnen eingehen in die ewigen Ewigkeiten!« Wahnfred hatte den Ausgang ins Freie vorbereitet und sich dann in der dunklen Sacristei hingestellt an die Thüre, durch welche vom Altare her der Priester kommen mußte. Dieser hob die heiligen Geräthe, stieg nieder von den Stufen und schritt heran. Wahnfred faßte das Beil mit beiden Händen, trat ein paar Schritte zurück und stürzte dann auf sein Opfer hin ... Einen Schrei stieß Wahnfred aus, da er nun an der knisternden Gluth saß und sein Angesicht verhüllte er mit den Händen, denn er sah den Blick, welchen der Sterbende auf ihn geworfen, und er sah hinfallen den Kelch auf die Stufen und hinfallen die Seele in die Gluthen. Daß er einen Menschen vielleicht in die Hölle hätte geschickt! Als Seelenmörder zitterte und wimmerte er vor der knisternden Gluth.

Tief erschöpft vor Anstrengung und Aufregung sank er endlich in den Schlummer. –

So lebte er nun. Das fröhliche Feuer auf dem Herde, das er nicht verlöschen ließ, war sein einziger Genosse und Freund. Raben umkreisten die Baumgruppe, in welcher der Rauch emporstieg. In den Nächten heulten die Wölfe und nicht selten hörte der schlaflose Wahnfred die Sprünge und das Röhren der draußen durch Raubthiere vorübergejagten Hirsche. Mehrmals des Tages ging er selbst ins Freie, um Holz zu sammeln, oder um in einem roh ausgehöhlten Gefäße, das er vorgefunden hatte, vom Bächlein her Wasser zu holen, oder um die Gegend zu untersuchen, ging auch mit dem Gewehre auf Jagd aus und kam selten ohne Beute zurück. Der sonst so ahnungsreiche Mann, ahnungslos spielte er mit den Kohlen seines Feuers, während unten die Männer von Trawies verhängnisvolle Körner aus dem Kelche zogen. Er schlief ruhig zu jener Stunde, da unten in der Kirche der Tod, den er zum Altar gesandt hatte, dort die Opfer heischte. Nur einmal, als er auf dem Block vor seinem Hause saß und hinausblickte in das weite stille Schneegefilde und in den bleigrauen Himmel hinein, war ihm plötzlich, als höre er das Glockengeläute von Trawies. Es klang so wunderlich in der Luft, jede der drei Glocken ganz deutlich zu vernehmen, aber als Wahnfred aufsprang, um zu horchen, war es vorüber.

Die alte Schrift sagt: »Das seyn gewest die Klocken von Trawies, so verbannet worden, gleichsamblich in die Wildnussen entfleuchend.«

So nahte die Zeit, in welcher die Christenwelt das Weihnachtsfest begeht. Wahnfred mußte nicht einmal genau den Tag, im Verstecke bei Feuerwart und in der Wildniß war ihm die Zeitrechnung abhanden gekommen. Er sehnte sich so sehr danach, in jener Nacht, in welcher alle Christen zum Jesukinde beten, auch miteinzustimmen, wenngleich in der Einsamkeit und Verlassenheit. Auf dem Wege zu Gott treffen ja Alle zusammen und finden sich und umarmen sich geistig im Vaterunser, in diesem hohen Gebete, das allgemein wie Sturmgebraus und Vogelgesang um den Erdball schallt. – Und nun war Wahnfred so sehr in die Einsamkeit verstoßen, daß ihm nicht blos der Raum, daß ihn auch die Zeit von den Menschen trennen wollte. In jenen Tagen noch hielten die Gläubigen das Weihnachtsfest nicht wie heute für den willkürlich angekommenen und festgesetzten, sondern für den wahrhaftigen Jahrestag der Geburt des Herrn. Und so strenge schlossen sie sich an die Zeit, daß sie selbst in der Winternacht aufstanden, um genau die Stunde zu feiern, die uns den Heiland gebracht hat.

Und diesen Tag und diese Stunde wußte Wahnfred nicht mit jener Bestimmtheit, wie es sein religiöser Sinn verlangte. Nach vielfachen Erwägunen stellte er endlich einen Tag als den heiligen Abend fest. Und an diesem Tage ging er mit kräftigem Stocke bewaffnet aus dem Hause. Die Luft war kalt, der Himmel klar, der Schnee fest gefroren. Er schritt über die weiten Blößen hin, er stieg den felsigen Hang hinan zur Höhe des Donnersteins, von der er weit ins Land sah. Die Trawieser Gegend selbst lag zu tief, nur das Gewände des Trasank baute sich auf, und die Spitze des Johannesberges und ein Waldrücken des Tärn erhoben sich für das Auge. Darüber hinaus blaute das weite Land. Dort stehen die Kirchen und Klöster, die sich vorbereiten zur nächtlichen Feier, dort leben die Menschen, die an Weihgesängen sinnend, freudigen Herzens dem heiligen Feste entgegengingen. Jedes Haus wird ein Tempel, jede Familie umschlingt sich heute inniger als sonst.

So war es auch am Gestade gewesen, wo jetzt aus dem Schnee die Brandstätte ragt ...

Sonst war an diesem Tage, wenn die Sonne sich zu neigen begann, eine eigenthümliche Stimmung über die Gegend gebreitet. In den wachsenden Schatten lag ein wundersamer Zauber. Die Bäche unter dem Eise stellten ihr Flüstern ein und aus den Wäldern widerhallte die Stimme des Menschen nicht mehr. Es war, als ob in Erwartung des göttlichen Wiegenfestes die Natur den Finger an den Mund legte: Stille, stille!

Heute aber? Heute war es, wie es zur Winterszeit in den Bergen immer ist. Wahnfred vermißte jene kindliche Stimmung, weil er sich, wie er glaubte, an dem Tage irren mußte.

Es war ihm noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß dem Unglücklichen, dem eine That zur schuld geworden, das kindliche Himmelreich auf Erden für immer dahin ist.

Während im weiten Lande schon das Meer der Dämmerung herrschte, lag auf der Kuppe, auf welcher Wahnfred stand, noch der lichte Sonnenschein. Da dachte er: Wenn Einer von den Menschen dort jetzt sein Auge erhebt, so wird er wohl im Hochgebirge das Alpenglühen sehen, aber er wird nichts dabei denken und er kann nicht wissen, daß hier in der kalten, leuchtenden Einsamkeit ein Verbannter steht. Daß ich diesem Feste, welches ich nun, wie es einem Einsiedler geziemt, andächtigen Herzens beginne und feiern will, daß ich ihm ein Denkmal setze, einen Altar, so nenne ich den Berg, auf den ich stehe, den Christtagberg.

Er schrieb mit dem Stocke das Wort in den Schnee und dann stieg er herab zu seinem Hause. In demselben ordnete er seine Geräthe, lichtete und reinigte die Stube so gut es ging und steckte in Ermangelung eines anderen Schmuckes Tannenreisig an das rohgeschnitzte Kreuz. Er wußte nicht recht, was er beginnen sollte, um dem Weihnachtsgefühle Genüge zu thun.

Er legte sich in derselbigen Nacht nicht zu Bette. Stets tat er frisches Holz ins Feuer, daß die Flamme lohte und leuchtete. Und dabei dachte er an Weib und Kind. Abseits von Herde zündete er jetzt auf einem Stein zwei Flämmchen an, das eine seinem Weibe, das andere seinem Kinde. Als sie im Verlöschen waren, wendete er sich ab, als wollte er nicht sehen, welches zuerst dahinging. So peinigte ihn selbst die Liebe. Er suchte auch die Bilder von Bethlehem in seinem Gedächtnisse wachzurufen, aber sein Herz blieb heute kalt. Ein anderes Bild, finster und blutig, umgaukelte die lieblichen Idyllen aus dem Morgenlande, und jene Engel, die in den Lüften schwebten und sonst bei den Menschen Frieden verkündeten, bliesen heute Posaunen.

Wahnfred sah, daß er nicht mehr denken und träumen konnte wie sonst, und nicht mehr selig sein in diesem Träumen. Er sehnte sich nach einem Liede, wie sie sein Weib in dieser Nacht gern gesungen hatte, nach einem Erbauungsbuche, nach seiner Bibel sehnte er sich. Hatte denn der Mann, der vor ihm in dieser Klause gewohnt, keine Seele gehabt? Hatte er denn die ganze Aufgabe seines Lebens darin gesehen, Wurzeln und Kräuter zu kauen, vor dem Kreuze zu knien? Hatte er den gar keine Spur eines geistigen Lebens hinterlassen?

Wahnfred durchsuchte noch einmal den Schrank, in welchem er sonst nur einen härenen Sack, ein paar Betschnüre und allerlei alltägliche Dinge gefunden hatte. Er wühlte heute das vertrocknete Moos auf, das sein Lager bildete und unter diesem Lager fand er zwischen zwei Holzbrettchen, die mit einer Schnur umwunden waren – Schriften. Nicht ein gedrucktes Buch, sondern ein Packet von Handschriften. Das war etwas Seltenes. Nicht viele Leute konnten lesen und die Schreibkunst war nur in Klöstern, Schlössern und Städten daheim. Trawies war eine wunderliche Ausnahme. Der Geist der Selbständigkeit, der in dieser Waldgemeinde seit jeher geherrscht hatte, wußte es wohl, daß die Kunst zu lesen, schreiben und rechnen eine Hauptnothwendigkeit geworden war für Jeden, der sein Stückchen Erde frei beherrschen wollte. und so stand ein des Lesens Kundiger vor den Schriften.

Wahnfred legte frisches Holz in die Gluth, setzte sich ans Feuer, durchblätterte die grauen Papierstücke und las sie. Der Inhalt zog seine ganze Seele an ; sein Auge begann seltsam zu leuchten, bis der plötzlich aufsprang und ausrief: »Das ist die Wahrheit!«

Wörtlich könnte es heute nicht mehr gegeben werden, was in diesen Schriften stand, denn die Blätter sind verbrannt worden. Der sie geschrieben hatte, war ein Phantast gewesen. In selbstverschuldetem Elend untergehend, hatte er Gott und Welt dafür verantwortlich machen wollen, hatte sich aufgelehnt gegen die menschlichen Satzungen und auch gegen jene, welche die göttlichen genannt werden. Und er hatte sich eine eigene Lehre erdichtet, die ihm anfangs zugesagt zu haben schien und an der er schließlich zugrunde gegangen war.

Überschrieben war eine Abtheilung der Blätter, die etwas von dem wilden Humor eines zum Tode Verurtheilten in sich hatten, mit den Worten: Offenbarungen eines frommen Einsiedlers. Ihr Inhalt war der Hauptsache nach folgender:

Gott hat den Himmel erschaffen. Deß war der Engel Oberster von Bosheit und Neid geplagt, hat seine Flügel ausgebreitet, hat ein Ei in den Himmel gelegt. Hierauf hat Gott den bösen Engel und sein Ei aus dem Himmel geworfen. Das Ei war groß und schwebte in den Lüften und das Ei war voll von Gluth und Schreckniß und hieß die Hölle. Da das Ei so schwebte, daß sein Äußeres von der Sonne beschienen wurde, so entstanden darauf allerlei Wesen, als Pflanzen, Thiere und Menschen, und das Äußere des Eies hieß die Erde. Der böse Engel aber ist Teufel genannt, und sobald von den Wesen der Erde eines gestorben war, warf er dessen arme Seele in die Höllengluth. Dagegen hat sich Gott aufgethan und gerufen: »Es ist unrecht, schuldlose Geschöpfe ins ewige Feuer zu werfen!« Darauf entgegnete der Teufel: »Was geht das Dich an! Ich habe das Ei gebrütet, es gehört mein! Du hast es mit mir aus dem Himmel geworfen, es gehört mein! Du hast es verflucht, es gehört mein!« Hierauf sprach Gott: »Das Ei gehört Dein. Aber die Wesen, die auf seiner Oberfläche gewachsen sind, gehören mein, denn meine Sonne hat sie erzeugt und großgezogen, in meinen himmlischen Sternen habe ich zu ihnen gesprochen und sie haben sich meines Lichtes gefreut und meinen Winken gelauscht.« Und der Teufel antwortete: »Was? Deine Sonne, die in der Nacht nicht scheint? Deine Sterne, die am Tage nicht leuchten? Die Wärme der inneren Gluth ist durch die Schale gedrungen und hat auf der Oberfläche die Wesen erzeugt und großgezogen. Ihr Blut und ihre Leidenschaften sind Gluth von meiner Gluth. Der Weizen wächst auf meinem Felde, den ernte ich!« Gott bedachte, daß der Teufel zum großen Theile Recht hatte und sprach: »Wohlan, wir wollen theilen. Behalte Du die Pflanzen und Thiere, ich nehme die Menschen.« »Wie Du schlau bist!« rief der Teufel, »nimm Du die Pflanzen und Thiere, just nach den Menschen gelüstet’s mich.« Hierauf sprach Gott: »Mit Dir will ich nicht streiten. Überlassen wir die Entscheidung dem Menschen selbst, Er empfindet Deine Höllengluth, er fühlt und sieht mein Sonnenlicht: sein Fuß steht auf der Erde, sein Haupt schaut gegen Himmel. Er soll wählen. Läßt er sich leiten von deiner Gluth, ergiebt er sich den Früchten Deiner Erder, so sei er Dein. Weist er Dein Feuer zurück, verschmäht er die Güte Deines Reiches, so sei er mein.« »Was soll das heißen?« Versetzte hierauf der Teufel, »Verschmäht er das Feuer, die Güte der Erde, so wird er nicht leben.« »Ja,« sprach Gott, »er wird sterben. Er wird in die Wildnisse gehen, wo ihm Deine Spur am seltensten begegnet, er wird sein Auge zum Himmel richten und freiwillig sterben. Und je mehr er erfüllt ist vom Hasse gegen Dich und von der Liebe zu mir, mit desto größerer Sehnsucht wird er von der Erde hinweg zu mir zutrachten. Und wenn es ihm gelingt, so selbstlos zu sein, daß er mit eigener Hand die blutigen Fesseln zerhackt, die ihn an Dich ketten, so fliegt er jauchzend in meine Arme und jauchzend werde ich ihn empfangen.

Die zweite Abteilung der Schrift, welche Wahnfred unter dem Moose seines Lagers aufgefunden hatte, trug die Bezeichnung: Das Bekenntniß des Einsiedlers.

Darin war Folgendes enthalten:

«Wenn ich hier meine Lebensgeschichte aufschreibe, so thue ich es nicht, um sie der Welt als dem Reiche des bösen Feindes zu hinterlassen, sondern mein Wunsch ist, daß sie in die Hand eines Solchen falle, der wie ich die Erde flieht und dem Himmel zustrebt. Ein Anderer wird ja in dieses Haus der Einsamkeit nicht kommen. Und wenn Keiner kommt, so möge die Schrift vermodern, und ich trage mein Geheimnis mit zu Gott, der mich meiner Buße willen in Gnaden richte!

Meine väterliche Burg steht zwei Tagesreisen von hier auf einem Felsen, an dessen Sohle der große Fluß rinnt. Es der einzige Felsen in dem fruchtbaren Lande, das, so weit man ihn schaut, der Burg unterthan ist. Wir sind die Grafen von Bechern, unser Urahn reichte am Hofe des römischen Kaisers Karl den Becher. Die Thaten unseres Geschlechtes verschweige ich, sie sind nur groß in den Augen der Welt. Nur meine Missethat bekenne ich und flehe mit jedem Athemzuge meines Mundes zu Gott um Verzeihung.

Mein Vater hinterließ, als er zur Erde sank, zwei Söhne, meinen Bruder und mich. Mein Bruder war der ältere und der Herr auf Bechern. Er war ein Heißblut und ein Sprühgeist und that, von der Macht des Augenblicks erfaßt, die unglaublichsten Dinge. Seine Leidenschaft war heiß wie die Hölle, seine Jugend war reich an Freuden und Sünden und unter den schönen Weibern der Grafschaft gab es wenige, die nicht für seine Sünden büßten. Zerfahren an Leib und Seele fiel mein Bruder – er war damals im sechsundzwanzigsten Jahre seines Lebens – in eine schwere Krankheit. Ärzte und Priester kamen zu seinem Lager, die Einen um seinen Leib, die Anderen um seine Seele zu retten. Im wilden Fieberträumen tobte er, darauf lag er dahin, als wäre er schon gestorben, und in einer Nacht, da wir versammelt waren, um ihm die letzte Liebe zu erweisen, erhob er sich, streckte die Arme aus und blickte mit leuchtenden Augen gen Himmel. »Mein Gott!« so rief er mit heller Stimme, »mein großer, einziger Gott! Mein lieber Jesus! Meine heiligste, schönste Jungfrau Maria! Nehmt mich auf, ich will bei Euch sein! Die schnöde Welt, ich verachte sie! Ich dürste, dürste nach dem Reiche Gottes!« – Und sank hierauf erschöpft zurück aufs Kissen und lag dahin. Am nächsten Tage war die Krankheit gebrochen, mein Bruder schritt der Genesung zu. Aber als er genesen war, wurden seine Wangen nicht mehr so roth, wie sie sonst gewesen waren, sein Auge war noch glühender und er that mir die Absicht dar, seinen Lebenswandel zu ändern, in die Einsamkeit zu gehen und, wie die heiligen Büßer es gethan, Gott zu dienen in Kasteiung und Gebet. Ich hörte es und widersprach nicht. Ich pries die Gnade Gottes, die seine Seele erleuchtet hatte; er verließ die Burg und zog in die tiefste Wildniß, die in unserem Lande ist, und erbaute sich durch mitgeführte Hörige daselbst eine feste Klause. Er richtete sie ein, so gut es ging, weil er dachte, in der Behaglichkeit habe der Mensch mehr Lust, Gott zu dienen und den Himmel zu erwerben, als in Elend und Widerwärtigkeiten. Die Arbeiter sandte er zurück, nachdem er ihnen den Eid abgenommen hatte, seinen Aufenthalt keinem Menschen auf der Welt zu verrathen. Und hierauf begann er sein Büßerleben und hatte Verzückungen, in welchen er den Himmel offen sah, in welchen der Heiland seinen Arm vom Kreuze loslöste, um ihn zu umarmen, in welchen die Jungfrau Maria ihm Rosen zuwarf und sich niederbeugte um ihn zu küssen.

Ich lobte meinen frommen Bruder und war nun Herr der Burg und der Grafschaft. Auch ich genoß jene Freuden, die mein Bruder genossen hatte, aber ich genoß sie nicht im Rausche, sondern mit Bedachtsamkeit, und atzte somit auch meine Seele. Ich liebte ein schönes Burgfräulein aus nachbarlichem Gaue, das mich als den Herrn von Bechern erhörte. Wie war es schön, die Huldin an der Seite, hinter vier Rappen oder sechsen, dahinzurollen! Wie war es schön, auf hohem Rosse durch die Gegend zu sprengen und zu sehen, wie alles ehrfurchtsvoll den Herrn begrüßt, und in fröhlichem Muthe Einem oder dem Anderen mit der Peitsche Eins über den Rücken geben zu können! Alles hatte ich, was der Jugend und dem Ehrgeize wohl that, und nach Allem trachtete ich, was die Lust der Jugend und des Ehrgeizes noch erhöhen konnte. Einer der schon von Kindheit auf zur Herrschaft erzogen und mit dem Gedanken daran vertraut geworden ist, kann nicht jenes Glück empfinden, das ich als junger Herr auf Bechern empfunden habe. Und das lange Leben, das vor mir lag, wie sollte es reich und herrlich sein!

So war es mondelang gewesen, da stand eines Tages mein Bruder vor mir. Das Leben da d’rin in der Wildniß habe ihm doch nicht behagt, es sei überaus langweilig, auch wären die Wurzeln und Kräuter seiner Gesundheit nicht zuträglich und so habe er sich entschlossen, wieder auf sein Gut zurückzukehren und sein frommes Leben auf der Burg fortzuführen. Er danke mir freundlich für die Verwaltung der Grafschaft, die ich während seiner Abwesenheit geführt hätte.

Ich war wie aus den Wolken gefallen. Was ich ihm auf seine Worte geantwortet habe, weiß ich nicht mehr; was ich aber gefühlt und gedacht habe, beim Himmel, das weiß ich noch. Eher sterben, als gestürzt werden!

Erst am nächsten Morgen besaß ich so viel Sammlung, daß ich hintreten konnte vor Den, der meinem begonnenen Lebensglücke so rücksichtslos in den Weg gesprungen war.

»Bruder,« sagte ich, »was ich heute mit Dir zu besprechen habe, wir wollen es mit Ruhe abthun, wie es Rittern geziemt. Einer von uns Beiden ist auf diesem Schlosse zu viel.«

Er verstand mich wohl und antwortete: »Wenn Du, mein lieber Bruder, in der väterlichen Burg nicht Platz zu haben wähnst, so laß’ Dir das Deine reichen und ziehe Deiner Wege.«

»Das steht anders,« sagte ich, »denn der Herr auf Bechern bin ich. Du hast verzichtet auf die Güter und ein Ritter bricht sein Wort nicht.«

»Wem habe ich mein Wort gegeben?«

»Mir, stillschweigend, aber in der That, indem Du das väterliche Erbe herrenlos und schutzlos im Stiche ließest. Ich habe es bewahrt vor den Händen der Feinde, so ist es zu Rechten mir anheimgefallen. Dem Himmel hast Du laut Dein Wort gegeben, auf diese Welt zu verzichten.«

»Bist Du der Anwalt des Himmels?« Sagte hierauf mein Bruder, »willst Du mich verantwortlich machen für das, was ich etwa im Fieber gesagt habe?«

»Schurke!« rief ich, »Du bist immer im Fieber.«

»Zum mindesten jetzt!« schnaufte er und riß sein Schwert aus der Scheide.

Ich sprang einen Schritt zurück, erfaßte meinen Degen. Wir kämpften, ich stieß ihn nieder.

Nun war ich Herr auf Bechern.

Ich machte mich daran, das begonnene Leben fortzusetzen. Aber das war jetzt anders; die Lust und den Übermuth mußte ich heucheln, ich fühlte Unlust und Unmuth. An dem Busen der Huldin wollte ich wieder erwarmen, diese aber stieß mich zurück und sagte: Mörder liebe sie nicht.

»Mein Bruder ist im Zweikampfe gefallen!« rief ich ihr zu.

»Wer giebt deß Zeugniß? Wer hat es gesehen? Dir stand er im Wege, Du hattest die Absicht, ihn zu tödten, Du hast es gethan!«

Ich schwieg, denn gegen die Wahrheit habe ich niemals gestritten. Sie rief es laut, was mir mein Gewissen im Innern vorwarf. Ich war Herr auf Bechern, aber die Braut floh mich, verachtete mich. Die Unterthanen grüßten mich kriechend, aber ihr Gruß war wie Hohn, jedem Auge merkte ich’s an, daß es an mir den Mörder sah. Die Nächte wurden mir vergällt durch schreckliche Träume und Erscheinungen. Ich kämpfte dagegen; Almosen gab ich. Messen ließ ich beten für meinen Bruder. Vergebens, meine innere Last wurde immer unerträglicher. Das Gemach hatte ich verschließen lassen, in welchem der Bruder gefallen; aber nun graute mich vor der ganzen Burg. Elend war ich, krank war ich, vor Gespenstern bebend, wankte ich selbst wie ein Gespenst umher. Meinem Schloßcaplan wollte ich das gerade nicht mittheilen, woran ich am schwersten trug, dazu war ich zu stolz, und ich wußte doch, daß er mir nicht vergeben konnte. Ach ja, es reiten so Viele unter der Sonne, die finstere Verbrechen auf der Seele haben, und freuen sich doch des Lebens! Ich war zu schwach dazu, vielleicht auch hatte mich Gott noch lieb und ließ das Gewissen nicht schweigen. Ich ertrug es, so lange ich vermochte, dann warf ich es ab. Verwandte und Freunde nahmen meine Güter in Besitz und erklärten mich für einen Narren. Da floh ich. Einen alten Hörigen nahm ich mit auf die Flucht, er fragte: »Wohin?« Ich lachte ihm ins Gesicht. »Von den Menschen weg, von Allen, auch von Dir und von mir selbst!« Da hat mich der Mann traurig angeblickt und hat mir dann mitgetheilt: wie es mit mir stünde, wisse er wohl einen Platz, der für mich passe. »Die Gruft,« rief ich. »Die Zelle,« sagte er. »Ins Kloster, wohin Jeder seine Sünden trägt?«

»Ich habe es,« fuhr der Mann fort, »dem Herrn, Eurem Bruder geschworen, daß ich die Klause nicht verrathe, die er in der Wildniß für sich gebaut hat. Aber, da der Herr nicht mehr in der Zelle lebt, da er todt ist, so mag ich das Geheimnis auf Euch übertragen.

Die Zelle, die mein Bruder in der Wildniß gebaut hat? Anfangs graute mir vor diesem Vermächtnisse, aber der Gedanke blieb, und je vertrauter ich mich mit demselben machte, desto leichter und tröstlicher wurde mir zu Muthe. Ja, das ist die Sühne. In jener Klause will ich als Einsiedler leben und büßen und beten, bis der Getödtete versöhnt ist.

Wohlan, Freund, führt mich! Führt mich hin, versorgt mich mit dem Nöthigsten und dann geht, geht, wohin Ihr wollt, ich geb’ Euch frei, aber meinen Aufenthalt dürft Ihr nicht verrathen. Ich will allein sein.

So hat er mich heraufgeführt in diesen weiten Wald und zu dieser Klause.

Gott wird meinen Bruder in Gnaden zur Urständ rufen; mir ist’s mit dem Eremitenleben ernster gewesen als ihm. Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre ich schon hier lebe, ich bin nun alt, das weiß ich. Der Kampf ist groß, den ich gegen der Welt Versuchung geführt habe, und ich kann nicht sagen, daß ich mit ihm fertig wäre. Gott hat mich einer Offenbarung gewürdigt, die mein Leitfaden ist, ein Leitfaden, der mich in den Himmel führen wird. Die Flucht vor dem Teufel, die Verachtung dieser Welt, die Abtödtung der Begierden, die Sehnsucht nach Gott, die freiwillige Vernichtung der Fessel ... das ist mein Weg. Es gelang mir fast alles, aber vor dem letzten stehe ich mit Bangigkeit.

Oft höre ich himmlische Stimmen, die mich rufen. Ach wie glücklich ich bin! Bald werde ich selig sein.«

 

 

So viel des Hauptsächlichen der Schrift, wie es in dem Gedächtnisse Wahnfred’s verblieben war. Darunter fand sich auch allerlei Wunderliches, Unverständliches. Besonders gegen Ende hin war sowohl in der Schreibart eine wachsende Verwilderung, als auch in der Denkweise eine steigende Verwirrung bemerkbar. Die äußere Welt, sowie die Lebensweise des Einsiedler, seine Schicksale und etwaigen Abenteuer in der langen Reihe von Jahren fanden kaum Erwähnung. Überall nur die Laute einer ringenden Seele. Die Klagen und Selbstanklagen waren allmählich verstummt, Zufriedenheit und Glück fanden stets begeisterten Ausdruck; die letzten Seiten waren völlig im Tone der Verzückung geschrieben.

Es wirkte ansteckend, und als Wahnfred, der Mann vom Gestade, all das gelesen hatte, rief er aus: »Das ist die Wahrheit!«

Es war lange nach Mitternacht. Das Feuer auf dem Herde war matt geworden. Im Walde heulten die Wölfe, Wahnfred hörte sie nicht. Er war vertieft in die Offenbarung und in das Bekenntniß des Einsiedlers.

Das ist mein Vorbild. Was er gesühnt hat, das habe auch ich zu sühnen, und noch mehr. Mit eigenem Willen und eigener Hand will ich ein Band um das andere zerreißen, das mich an diese Erde knüpft, wo mich der Teufel gelehrt hat, zu sündigen. Was Gemeinde? Es ist doch nur eine Gemeinschaft zum Genusse irdischer Güter. So viele Opfer für sie gebracht werden mögen, keines hebt sie zu Gott. Was Familie? Sie muß der Erde entfremdet werden. Wenn ich für sie lebe und sorge, wird sie das nicht. Wenn ich ihr vorausgehe, den Weg weise, wird sie mir nachblicken und folgen. Mein Weib, mein Kind, wie habe ich Euch lieb! Wäre es nur nicht eine Liebe, die mich kettet, die ein Werk des Teufels ist! Diese Kette muß gebrochen werden. Ich will Euch ein Zeichen hinterlassen, daß wir uns im Himmel wiederfinden.

Solche Gedanken hegte der arme Wahnfred, sie reiften zwar nicht zum Entschluß, aber er gab sich ihnen hin.

Wir von heute wenden uns, wenn nicht gar spöttelnd, so doch mit Kopfschütteln von derlei Religionsschwärmerei der Vorfahren ab, der Himmelsucher, die in Drangsal und Herzensnoth zu Gott ihre Zuflucht nahmen. Und doch, wie unvergleichlich elender ist das heutige Geschlecht, welches die Überzeugung erklügeln will, daß kein Gott lebe, daß ein allmächtiger Helfer und Retter der Menschen weder am Himmel, noch auf Erden zu finden sei, daß der Mensch, ein Spiel des Zufalls, wenn auch nicht am besten, so doch für sich am vernünftigsten handle, sich in einer Art von Galgenlust an den Genüssen dieser Welt zu betäuben, um nicht zutiefst zu empfinden den unbegrenzten Jammer, von dem uns nur der einzige treue und doch gefürchtete Freund, der Tod erlösen kann. Es ist das gleiche Ziel heute wie damals, nur daß in jenen Tagen ein glühender Idealismus seine magischen Strahlen warf auf die dunklen Wege der Erdgeborenen.

Aber Wahnfred’s neuer Weg war nicht der damals gewöhnliche. Er hegte jetzt Gedanken des Selbstmordes und träumte sich hinein in das Leben des Grafen von Bechern.

Das ist die Gefahr der Einsamkeit, daß der Geist wie spielend anfangs aus den regelmäßigen Bahnen entgleist, daß er dann hintollt über Grund und Ungrund und rasch auch den Körper mit sich zieht.

Wenige Wochen vergingen nach dieser unseligen Weihnacht, und Wahnfred ging ernstlich mit dem Gedanken um, sich das Leben zu nehmen. Oft, wenn ihn das blutige Bild aus der Kirche zu Trawies beängstigte, fand er in diesem Vorhaben Beruhigung. Blut um Blut, so sagten ja auch die heiligen Schriften.

Nur seinem Erlefried hätte er noch gerne die Lehren des Vaters ans Herz, den Segen des Vaters aufs Haupt gelegt. Das konnte zu solcher nicht sein. Hinaus ging er, schrieb es mit dem Stabe auf den Schnee: »Mein Sohn! Sei liebreich gegen die Menschen und wahr, aber folge ihnen nicht. Ohne Wehmuth zerhaue das Band zwischen ihnen und Dir und wandle den einsamen Pfad durch Noth und Tod hinauf zu Deinem Herrn.« Wenn dieser Schnee zerrinnt und die Wasser niederbrausen, und wenn Deine Worte Häuser niederreißen und Städte zerstören, was dann?

Er grub mit dem Stabe über die Schrift hin und strich sie aus.

 

 

In den ersten Tagen des Februar wurde der Gesichtskreis so rein, daß Wahnfred, wenn er auf den Donnerstein, dem Christtagberge, stand, über die Waldkämme hin das Heideland mit den fünf Kiefern sah und dahinter das Hügelgelände mit den breiten Thälern und den vielen Ortschaften, die ganzen weiten Gaue mit dem zackigen Bergzug, der in der Ferne durchsichtig wie Glas erschien und den Wahnfred’s Auge bisher noch nie erreicht hatte. Eine laue Luft wehte aus jenen Gegenden her und die letzten Schneeschollen fielen von den Bäumen herab, so daß der Wald und die einzelnen Baumgruppen ganz schwarz dastanden auf dem weißen Grunde. Alle Waldrücken des Ritscher schienen näher geschoben, und es lag mitten im Tage über Allem eine matte Dämmerung. Der Himmel war gleichmäßig grau angelaufen und die Sonne nicht sichtbar. Die Luft war feucht, und wenn Wahnfred über den Schnee ging, so brach er ein bis auf den Grund.

In diesen Tagen ließen die Wölfe das heulen sein, denn sie litten keinen Hunger. Das Hochwild, das sie jagten, konnte nicht weiter und war leicht zu erjagen. Auch Wahnfred schoß einen großen Hirschen und war nun einige Zeit mit Fleisch versorgt.

Und in einer dieser Nächte war es, daß Wahnfred aus dem Schlafe geweckt wurde. Er hörte ein eigenartiges Tosen, daß davon das Haus erbebte. Er dachte an Wasser und sprang auf. Als er die Thür öffnete, um hinaus ins Freie zu sehen, ging ein vielstimmiges Pfeifen hin über das Dach. Er trat hinaus, betäubt noch vom Schlafe, da drang es wie ein Ruthenschlag an sein Haupt.

»Wer ist da?« Rief er laut, aber das Brausen und Pfeifen währte fort, und Wahnfred bekreuzte sich und sein Gedanke war: Die wilde Jagd fährt über mein Haus.

Als das Sausen und Brausen immer fortwährte, jetzt tosend in den Schutztannen des Hauses, jetzt rauschend dort in den Baumgruppen am Waldsaume, da wurde Wahnfred endlich gewahr, daß es der Sturm wäre. Er zog sich zurück unter das schützende Dach und machte Feuer an. Selbst die sonst so fröhlichen Flammen zuckten und zitterten, und in Wahnfred wurde die Erinnerung an seine That, das Bewußtsein seines Elendes von Neuem mächtig aufgerüttelt; in dem Getöse und Gezische des Windes hörte er winselnde Gespenster. Vom Trasank hernieder schwebten blasse Nebelgestalten, sie trugen Lichter, welche keinen Schein gaben, blaue zuckende Flämmlein. Eine der verschleierten Gestalten in den Wolken hielt einen Kelch empor, aus welchem Blut überfloß und vom Sturme hingepeitscht auf die Erde tropfte. Dann kamen Wesen in schwarzen Hüllen, sie trugen auf hoher Bahre den Erschlagenen.

Wahnfred sprang auf.

»Ein Ende, ein Ende!« rief er aus, »ich bin bereit, Wenn es Gottes Wille ist, er nehme mich. Nur die eigene Hand sträubt sich dagegen. O, möchte eine von euch, ihr Tannen, über mein Haupt niederbrechen! Jauchzend wollte ich sterben. Nur ich selbst kann nicht mehr tödten. Wohlan, über den Ritscherwald stürmt jetzt der Tod, ich höre die Äste krachen, die Stämme brechen. Ich will einen Spaziergang machen.«

Und als der Morgen graute und ein blasses Licht lag über den Blößen und über dem Gebäume, das heute alllebendig war, verließ Wahnfred das Haus. Er trug weder Stock noch Beil, noch andere Wehr mit sich. Oft brach er tief in den weichen Schnee, er rang sich wieder heraus und dem Walde zu. Oft wollte ihm der Wind, der lau über das Schneefeld fegte, den Athem verschlagen. Unweit von ihm, in einer Gruppe rüttelte der Sturm mit aller Macht, das Geäste schlug wie abwehrend auf und nieder, die Wipfel bogen sich wie ausweichend hin und her, nur einer stand inmitten, der größte, der älteste, der Ahn; er stand und – brach. Knisternd, schmetternd, krachend, dröhnend stürzte er in den Schnee, der wie Wasser hoch auffluthete und den Stamm in sich begrub. Nur wuchtiges Geäste ragte noch hervor, und an diesem rüttelte und zauste der Sturm.

Überall im Walde rauscht es, alle Wipfel wiegten sich beständig hin und her, jetzt mäßiger, gelassener, plötzlich wieder erfaßt zu heftigem Schwunge, sich stemmend dann und bäumend – der eine widerstand, der andere brach. Was war das für eine Aufruhr in der Wildniß! Die Bäume schienen sich gegenseitig zu jagen, zu peitschen. Die kleinen bogen sich leicht und duckten sich, aber die großen schleuderten ihre Äste auf sie nieder. Besäet mit Strünken, Zweigen und Zapfen war der Boden. Manches Rabennest war mit dem Wipfel herabgeflogen und die Thiere flatterten und kreischten zornig oder rathlos darüber hinweg.

Durch diesen Wald schritt nun Wahnfred, der Mann vom Gestade. Sein Haupt war entblößt, harrte willig des Streiches. Er ging nicht langsam, er ging nicht rasch, aber er ging seinen gleichmäßigen Schritt. Er sprang nicht hin dort, wo ein Baum brach, er wich nicht aus dort, wo ein Strunk stürzte. Oft streifte ihn das Reisig eines niederfahrenden Astes, oft flog ihm der aufspringende Schnee ins Gesicht, aber er blieb unversehrt. Je wilder der Sturm wüthete, desto freudiger brannte sein Auge. Mehrmals war sein Weg verlegt. Mit hochragendem Knie lehnte manch geknickter Stamm, manch anderer hing noch an seinem Strunk, kopfüber den Wipfel in den Schnee gestürzt. Manch anderer wieder, aus der Höhe niedergebrochen, war hängen geblieben im luftigen Geäste der niedrigeren, die ihn nun mit ihren Armen hielten und trugen wie eine Bahre.

Wahnfred, den Todsucher, hat keiner getroffen.

Er wand sich weiter durch das Gestrüppe und das Gefälle, er kroch darunter und kletterte darüber hin. Dort wo stürzende Bäume ihre Wurzelscheiben mit sich aufgerissen hatten, daß diese nun wie Bergmassen ragten, war das Weiterkommen am mühsamsten, und wenn auch noch die Grundlosigkeit des Schnees dazukam, in welchen Wahnfred, schon erschöpft und unbehilflich, oft bis an die Brust einsank, und wenn er sich umstrickt sah von dem Gewirre des zerrissenen Waldes und über all dies hin ungebändigt die Windsbraut raste, so wollte ihn doch das Schauern des Todes erfassen.

Als er so in den Schneemassen lehnte, als er sich den Schweiß vom Angesichte wischte und mit dem Schweiß eine Thräne über sein unglückliches Leben, stieg auf einem Baumstamme, der vor ihm hingeworfen lag, vorsichtigen Schrittes ein Wolf heran. Ein großes Thier, mager mit verfilzten Haaren und mit Hungersgier in den grünlich glühenden Augen. Als er denn Mann sah, blieb er auf seinem Wege stehen, drehte die gespitzten Ohren nach vorwärts, und aus seiner Schnauze blinkten die Zähne. Lange stand er unbeweglich da mit eingezogenem Schweife und kräftig gestemmten Vorderbeinen und ließ seine Augen glühen. Als er erwogen haben mochte, wie ganz wehrlos der Mann im Schnee stak, fing er an zu knurren und schon stand er auf dem Sprunge nach seinem Opfer, da rauschte ein buschiger Wipfel hernieder. Erschrocken sprang das Raubthier mit mächtigen Sätzen über das Gefälle hin.

Wahnfred, nun durch die Angst vor dem Wolf neu belebt, sichte sich aus seiner Lage allmählich wieder hervorzuarbeiten. Es gelang ihm; er ging weiter, sein Ohr war fast betäubt von dem steten Gebrause. Er hatte einen solchen Sturm noch nie erlebt. Zur Zeit, als er ein siebenjähriger Knabe gewesen, hatte auch ein Sturmwind die Wälder von Trawies verheert. Die Leute hatten damals nach altem Volksglauben gesagt, es müsse sich Jemand erhenkt haben, weil sich die Bäume so schüttelten. Und bald darauf erfuhr man es, daß sich im Trasankthale ein Holzknecht aus Verzweiflung darüber, daß sein vergrabenes Geld ausgehoben worden war, an einen Baumast geknüpft hatte. Der Knecht kam nicht in geweihte Erde, sondern wurde unter seinem Baum verscharrt. Was hat damals Wahnfred’s Großvater, der alte Zimmermann auf der Krücke für ein Wort ausgesprochen? – Jedes Verbrechen, so sagte der Greis, kann verziehen werden, nur der Selbstmord nicht. Denn der Selbstmord kann nicht mehr gebüßt werden.

Wahnfred blieb stehen und dachte über das Wort seines Vorfahren nach. Die ganze, unmeßbare Liebe, mit welcher einst der Knabe an seinem Großvater gehangen war, erwachte zu dieser Stunde und begann sein Herz zu wärmen. In schmerzlichen Leiden war der alte Mann dahingesiecht, jeden Tag den Tod vor Augen und jeden Tag seinem Gott für das Leben dankend. Wie war die Krankheit qualvoll! Verzehrend fraß sie an den Knochen seines linken Beines; und wie war er doch heiter, liebreich gegen seine Umgebung, wie machte er oft noch Scherze über die eigenen Schmerzen! Und in seiner letzte Zeit lag er still auf dem Bette, preßte die Lippen zusammen, verwand das Zucken seiner Glieder und lächelte mit den Augen. Als sie ihm diese Augen endlich zugedrückt hatten, sagte der Pfarrer: »Ihr wisset es Alle nicht, wie gräßlich er gelitten hat; ich ahne es. Der Dulder fährt vom Mund auf in den Himmel.« – Ja guter Pfarrherr der damaligen Zeit, das ist das rechte Wort gewesen. Dieser Dulder war ein Held. Auf die Freuden der Welt verzichten ist leicht, aber ihrer Leiden spotten, das ist das Trotzigste, das man dem Teufel entgegenstellen kann.

So dachte Wahnfred, dessen Stimmungen wandelbar waren, wie Luft und Wetter unter den wandelnden Sternen. Da ihn der Himmel an diesem Tage verschonen zu wollen schien, nahm er dies für ein Orakel und war entschlossen, muthig weiter zu leben, sich wieder den Lehren seiner Vorfahren zuzuführen, in denselben Sühne und Rettung zu suchen und die Schriften des Einsiedlers zu verbrennen.

Er wendete sich auf Umwegen, über Lichtungen, wo der Wind den Schnee theils weggefegt, theils geschmolzen hatte, seiner Thalung zu. Da war über die Blöße her plötzlich ein Schnoben, welches nicht vom Sturme kam; er wendete sich rasch und sah den Wolf – es war jener vom Baumsteg – in eiligem Sprunge auf sich zurasen.

Kaum hatte Wahnfred noch Zeit, einen aus moderndem Strunke hervorragenden Ast zu brechen. Denselben mit beiden Armen schwingend – barmherziger Gott, wenn jetzt das gräßliche Bild aufsteigt, um ihn zu lähmen! Nein, die funkelnden Augen des Raubthieres hielten ihn gespannt, er erwartete die Bestie und hieb mit aller Kraft darauf los, beim ersten Schlage schon brach der Ast entzwei! Auf zu seiner Brust sprang das wüthende Thier und lechzte nach warmem Blut, eine einzige Wendung, und Wahnfred stieß ihm das gebrochene Stück Holz mit seinem scharfen Splitter tief in den Rachen. Noch bäumte sich die Bestie und schlug mit den Pfoten an die Schnauze, als wollte sie den Speer herausziehen, Blut schoß hervor und röchelnd wälzte sich der Wolf auf dem Boden.

Wahnfred selbst sank erschöpft auf einen Strunk und sah dem Thiere zu, bis es verendet hatte. Dann lachte er auf; er lachte über sich, des ausgegangen war, um zu sterben. Das war ihm klar, selbst mit dem unerschütterlichstem Vorsatz, zugrunde zu gehen, hätte er sich gegen das Raubthier zur Wehr gesetzt. Da ist keine Zeit zum Denken: willst du, willst du nicht? Durch die Glieder fährt ein Blitz, die Arme ringen von selbst; und der sonst so träumerische Mann hatte in diesem Augenblicke der Todesgefahr, dem Ziel- und Ausgangspunkte all seiner Philosophie, nichts gedacht als: Bestie, ich wehre mich!

Wölfegeheul, das vereint mit dem Brausen des Windes vom Walde her drang, bewog den Mann zu raschem Aufbruche. Mit einem schweren Aste bewaffnet, eilte er, so gut es ging, seinem Asyle zu, und die Arme des Windes hinter ihm drängten, schoben ihn vorwärts, bis er unterhalb des Christtagberges auf eine Höhung gelangt war. Hier drang ihm Brandgeruch entgegen. In der Mulde zogen sich Streifen Rauches, und einen Augenblick später sah Wahnfred seine Klause brennen.

Der Sturm hatte eine der Schutztannen gebrochen und niedergeworfen auf das Haus, dessen Dach unter der stürzenden Last geborsten war. Die Trümmer waren auf die Gluth des Herdes gefallen, der Wind hatte das Feuer entfacht und nun flogen die Flammen hochauf in das Geäste und Gewipfel der rauschenden Baumgruppe.

Als Wahnfred dieses sah, gerieth er in eine Art von Entzücken.

»Nun weiß ich, o Herr,« rief er aus, »Du willst, daß ich leben soll. Während ich ausging, um den Tod zu suchen, hast Du mich vom Tode gerettet.«

Nun aber?

Nun wollte er leben und konnte nicht. Sein geringer Nahrungsvorrath war verbrannt, sein Schießgewehr, der Rest seiner Kleider war mitsammt dem Obdache verbrannt. Schutzlos stand er da und im Walde rüttelte der Sturm, heulten die Raubthiere. Ein Meer von weichem Schnee umgab ihn weit und breit und machte das Fortkommen selbst mittelst Fußscheiben unmöglich. Er fühlte sich hungernd und entkräftet und hatte nichts, um sich zu erquicken. Auf einmal bettelarm. Ja, wenn du das wärest, unseliger Mann, wenn du betteln könntest! Die Bäume werden dir mit schwingenden Armen ihre Zapfen zu.

Wie unnöthig, Wahnfred, war alles, was du plantest! Der Himmel erhält dich, verdirbt dich, wann er will.

 

Mit Schnee hatte er sich geatzt. Aus der Asche seines Hauses hatte er die halbverkohlten Reste von Hirschfleisch gegraben und sie verzehrt. Die nächste Nacht hatte er schlaflos auf der glosenden Brandstätte zugebracht.

Der Sturm war vergangen, grauenhaft still lagen die tausend und tausend gebrochenen Stämme. Die laue Luft hatte den Schnee um ein gut Theil zusammengebeizt; wenn nun, wie es den Anschein hatte, wieder Kälte kam und der Schnee fror, so war an ein Entkommen aus diesem nun furchtbar unwirthlich gewordenen Hochthale wohl zu denken. Wohin, was dann? Deß fragte sich Wahnfred heute noch nicht. Vor Allem galt es, auf der Brandstätte das Feuer zu wahren und von den verbrannten Nahrungsresten so viel genießbar zu finden, als der Körper in äußerster Noth bedurfte. Der verbrannte Hirsch duftete weithin, und auch die Wölfe rochen den Braten. Lauernd kamen sie heran, in immer engeren Kreisen umschlichen sie die rauchende Stätte. Wahnfred rettete, was zu retten war, mit sich auf eine der dichtästigen Schirmtannen. Und so saß er nun oben im Astgeflechte einen Tag und eine Nacht. Während der Nacht hatte er sich mit einem zähen Zweig an den Stamm gebunden, daß er im Schlafe nicht hinabstürzen konnte. Wie war die Wohnung, deren Asche nun verglimmte, königlich gewesen gegen diesen Wohnsitz im Getanne! Aber Wahnfred war zufrieden, daß ihn der Baum noch schützte. In der Gefahr war seine Lust zum Leben gar wundersam erwacht, und seine Hoffnung, mit sich und den Menschen doch wieder ins Reine zu kommen, neu erstarkt.

Die Nacht war kalt und still. Er hatte aus Reisig einen Mantel um seinen Leib geflochten. Die Füße stellten sich auf einen Ast, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Es standen die Sterne am Himmel, und die Ruhe, die über dem weiten Walde lag, war so groß, daß sie in der Seele des Menschen fast Unruhe erzeugte.

Als endlich nach Mitternacht, da sich das Gestirn schon gewendet hatte, die Augen des Baumbewohners sinken wollten, war es, als hätte dort drüben durch den Wald ein Schuß gehallt. Wahnfred fuhr empor. Da aber nichts mehr zu hören war, als das Schweigen der Nacht, da keine Wahrscheinlichkeit gedacht werden konnte, daß wirklich ein Mensch in der Nähe sei, beruhigte sich Wahnfred wieder und sank endlich in Schlaf.

Als im Morgenschimmer schon die Ammern zwitscherten, als die Sonne aufging und ihr Flammengold goß über das Schneeland, schlief Wahnfred noch immer, aber die Füße waren losgerutscht und gängelten zwischen den Ästen frei herab. Die Reisighülle schützte den Schläfer, dem wohl zu sein schien, wie jenen Thieren, die sich zur Winterruhe in die Bäume verkriechen, und zur Frühlingszeit wieder fröhlich erwachen.

Wahnfred lag in seiner erquickenden Ruhe wirklich dahin, wie in einem Winterschlafe, und vielleicht wäre er in den Frühling, in den ewigen, hinübergeschlummert, hätte ihn nicht eine laute Menschenstimme aufgeschreckt.

»O Herrgot!« rief es unten, »hat sich Der auch erhenkt?«

»Wer ist denn hier?« Fragte Wahnfred und suchte sich eilig von seinen Banden und Panzern freizumachen.

»Lebst Du doch?« Hierauf die Stimme von unten. »Aber Schreiner, was hast Du für eine Wirthschaft angerichtet?«

Die Stimme des Feuerwart war’s.

»Du bist es, Gallo?« Mit diesen Worten kletterte Wahnfred rasch herab und sprang auf den Boden. Aber als er vor einem gebeugten, weißlockigen und graubärtigen Manne stand, meinte er, er habe sich geirrt.

»Was Du dreinschaust wie ein Wildling! Wahnfred, kennst Du mich nicht mehr?«

»Wie bist Du grau geworden, Feuerwart, seit wir uns das letztemal gesehen haben!«

»Möchte wetten, Du wärest es in diesen zwei Monden ebenfalls geworden an meiner Stelle unten in Trawies. Doch wie ich sehe, lebst Du auch nicht am vergnügtesten.«

»Vor zwei Tagen, wie der Sturm war, hat mir dieser Baum, von dem Du die Brände siehst, das Haus eingeschlagen und in Brand gesteckt.«

»Willst es nicht, so brauchst es nimmer.«

»Es ist weg. Vor Allem bitte ich Dich, daß Du mir die Worte vergißt, die ich in der Rabenkirche gesagt habe – es hat mir so viel weh gethan. Und jetzt sage mir, was Dich heraufführt?«

»Eins, das auch Dich angeht.«

»Mein Weib und Kind?«

»Die leben im Frieden beim Bart am Tärn. Das Haus des Bart liegt ja hoch im Wald.«

»Das werde ich Dir schon erzählen. Jedoch denke ich, wir machen vorher Feuer an und nehmen ein Morgenbrot. Wollte mich wundernehmen, wenn Du schon gefrühstückt hättest.«

»Dazu, mein lieber Gallo, hätte ich wahrlich des Heilands bedurft.«

»Laß Dir nicht bange sein, siehe ich habe Dir etwas mitgebracht.« Dabei wies er auf ein Bündel, das er vorher unter den Baum gelegt hatte. »Aber um Gotteswillen, Wahnfred, wenn ich nicht gekommen wäre?«

»Greulich ist der Weg von Trawies in den Ritscherwald, das kannst mir glauben, aber mein Freund, der Weg vom Ritscher nach Trawies ist noch schreckbarer.«

Nach diesen Worten begann er aus dem Reste von Brennholz ein Feuer anzumachen und dann Brot und Branntwein auszupacken.

Sie aßen und schwiegen dabei, als bange Jedem vor dem, was er zu berichten und zu hören habe.

»Warum hast Du den Vorrath in der Rabenkirche nicht geholt?« Fragte endlich Gallo.

»Bevor mir das Gewehr verbrannte, habe ich Nahrung genug gehabt.«

»Etlichemale,« fuhr der Feuerwart fort, »bin ich gegangen, um nachzuschauen, und da die Sachen immer dort gewesen sind, so habe ich mich aufgemacht, um zu sehen, ob Du wirklich in dieser Klause Deine Zuflucht genommen habest und ob Dir nichts widerfahren sei. Kann wohl sagen, daß ich über dreißig Stunden vom Dürrbachgraben her gebraucht habe.«

»Wieso, daß Du vom Dürrbachgraben herkommst, Feuerwart?«

»Es ist nicht zu glauben, was dieser Sturmwind angerichtet hat,« erzählte der Gallo, »die Mieslingschlucht schaut aus, wie ein Scheiterhaufen, so liegen darin die zerspaltenen Bäume. Die Trach ist verlegt und verworfen und das Hochwasser reißt die Stämme mit sich und staut sich an der Klamm, daß der See schon herein bis zur Rabenkirche geht. Auf der Tärnleithen, Du weißt, wo der schöne Wald gestanden ist, die Stämme wie gegossen, kein Wurmstich im Holz und kein welkes Zweiglein, liegt alles hingestürzt. Vom Hause des Uli hat der Wind das Dach gehoben und es auf dreißig Schritt Weiten hin in den Bach geworfen. Über meine Hütte ist ein großmächtiger Baum gestürzt, aber so, daß er an einen anderen aufgefallen und daran hängen geblieben ist, und wir unterhalb d’rin hocken und keine Stunde sicher sind vom Erschlagenwerden. Wie es weiter hinten auf dem Tärn aussieht, das weiß ich selber nicht; ein Schwarm von Krähen ist herübergekommen in den Dürrbachgraben, so sind drüben sicherlich ihre Nester zerstört. – Wie ich durch eine solche Zerstörniß heraufgekommen bin, meinst? Ich habe den Umweg über die Birstlingblößen genommen. Habe wohl viel kriechen und klettern müssen und hätte es nicht vermeint, daß es den Ritscherwald, der hoch liegt, und wo die Luft freien Ausweg hat, so arg mitnehmen sollte können. Zum Weiterkommen ist’s gewesen bis zur Wand her, wo der Wasserfall ist. Du wirst es wissen, die Leiter ist weg; einen stundenlangen Seitenweg habe ich machen müssen, sonst wäre ich gestern Abends schon dagewesen. So hat mich die Nacht übereilt; zum Weitergehen war’s in der Finstern nicht, habe mich im Dickicht niederlassen müssen und Feuer anmachen und sonst dazuthun, daß ich nicht angefroren bin. Die Bestien haben mir keine Ruh’ lassen wollen, und sind wir sogar ernstlich aneinander gerathen – solltest den Schuß ja gehört haben. Denn weit war’s nicht von da, und mich hat’s heute noch gewundert, daß ich auf einmal hier auf der Blöße stehe und die Baumgruppen erkenne und die Nacht über so nahe bei Dir gewesen bin. Aber erschrecken kannst Einen, Wahnfred, wie Du vom Baum die Füße herabhängen läßt. Auf der Stelle ist mir durch den Kopf gefahren, Du hättest es auch so gemacht wie Dein Vorgänger, der fromme Einsiedler. Ich habe es dazumal nur nicht sagen wollen, daß er nicht etwan um seine geweihte Erden gekommen wäre! Aber gefunden habe ich den Schelm an der Schnur. Dir wird’s auch lieber gewesen sein, Schreiner, daß Du es nicht gewußt, wie sich der Klausner mit der Rosenkranzschnur erdrosselt hat.«

»Der Mann ist seinem Grundsatze treu geblieben,« murmelte Wahnfred. »Wie Gallo, wenn Du auch mich so an die Ewigkeit geknüpft gefunden hättest?«

»Heute wäre nicht mehr nöthig, es zu verheimlichen.«

»Aus Ehrenpflicht hättest Du es thun mögen.«

»Der geweihten Erden wegen thut heute bei uns Keiner das Maul mehr auf.«

»Wie meinst Du das?«

»O mein Freund,« sagte der Feuerwart, »was ich Dir zu erzählen habe! Als wir damals in der Rabenkirche auseinandergegangen sind, hast Du gegrollt, daß wir Dich ins Unglück gestürzt hätten. Du bist heraufgestiegen in diesen Frieden, der wie ein Himmel ist gegen Trawies, das sie jetzt zur Hölle gemacht haben. Wir haben kein Christfest gehabt in diesem Jahre, haben kein Läuten gehört und keinen Orgelklang seit langer Zeit. Wahnfred, Du bist es nicht schuld, wir Anderen sind es auch nicht, es hat so sein müssen. Nur schreckbar ist, was jetzt über uns gekommen. Das Erdenleben haben sie uns zerstört, den Himmel haben sie uns entrissen, Wahnfred, unsere Heimat ist in Bann gelegt!«

Wahnfred war bei diesen Worten von seinem Strunke aufgesprungen. Nun stand er da, ein blasser, wildbärtiger Mann und grub sein Auge in das Antlitz des unseligen Boten. Endlich murmelte er: »Ich muß Dich doch nicht verstanden haben?«

»Du hast mich wohl verstanden, Wahnfred, ich sehe Dir’s an.«

»Sage, daß der Sturm jeden Baum gebrochen, jedes Haus zerstört hat in Trawies, daß er die Leute todtgeschlagen oder lebendig begraben thut. Nur das nicht, Feuerwart, nur nicht von Gott verstoßen sein!«

»Wenn es allein der Fluch wäre! Wenn’s nur der kirchlichen Dinge wegen wäre – das wollte mich nicht erschrecken. Wir gingen zum reinen Christenthum zurück. Aber die Folgen, die Zügellosigkeit! Und es ist gerade, als ob sie zum Bann auch die Acht über uns verhängt hätten. Alles läßt uns im Stich, auch die weltliche Obrigkeit.«

»Feuerwart, das mag ein Elend werden!«

»Schon heute, mein Wahnfred. Alles ist aus Rand und Band. Auf der einen Seite die Noth, auf der anderen die Willkür. Die Straßen ins land sind zerstört; es geht kein Fuhrwerk hinaus und kein Geld herein. Die Grenzen sind umstrickt. Da unten, wo der Tärn anhebt, kannst Du den Strick gezogen sehen, soweit ihn der Sturm nicht zerrissen hat. Aber den Bann zerreißt kein Sturm. Der Bursch’ vom Schmied in Trawies, der arbeitslos geworden ist, hat wollen auf die Wanderschaft gehen; bei den fünf Kiefern ist er zurückgejagt worden. Der Holzmeister vom Trasankthale wollte nach Neubruck um seine Rait; ehe er noch in die Stadt hineinkommt, haben sie ihn mit Steinen todtgeworfen. –Anfangs sind die Leute gar verzagt gewesen und Viele sind auf dem Angesicht gelegen vor der vermauerten Kirchenthür, auf welcher das Interdict angenagelt gewesen. Wenn Du es hättest gelesen, würdest Dich verwundert haben, was die Herren fluchen können! Der Sandhock hat die Schrift aber herabgerissen. Bald ist auch Anderes geschehen. Auf der Höhe, wo man von Freiwildbach hinübergeht in den Tärn – wirst Du wissen – ist eine Bildsäule gestanden in einer Baumnische, der heilige Nikolaus. Bischof brauchen wir keinen bei uns! haben sie geschrieen und haben das Bild zu Boden geworfen. Wenn wir verflucht sein sollen, haben sie wieder geschrien, so kann uns auch kein Heiliger helfen, und haben vom Brückenkreuz an der Trach den heiligen Sebastian, und von der Capelle, die vor dem Wirthshaus steht, die heilige Katharina gerissen. Und die Wildesten darunter sind gar über die Muttergottesbilder hergefallen, und Einen höre ich heute noch, wie er ruft: Wenn wir schon des Teufels sind, so brauchen wir kein Kreuz und keinen Herrgott! – und haben die Crucifixe zerstört. Es waren wohl Leute da, die sich dem Treiben widersetzt haben; mein Gott, die sind nicht beachtet, sind zurückgestoßen worden. Die Anderen sind schon die Stärkeren. Streit und Hader giebt es, daß es ein Schreck ist.«

»Und bist denn Du kein Mittler geworden?« fragte der entsetzte Wahnfred.

»Schreiner, das sind andere Zeiten gewesen, als sie auf das Wort des Feuerwart gehört haben. Freilich war ich so kindisch und habe Ordnung machen wollen. So! hat es geheißen, der Alte, der uns hineingeritten hat, will auch noch reden? Heut’ ist nicht gestern, heut’ haben die Jungen und Starken das Wort in der Hand. Althausgesessen! Wir brauchen keine Althausgesessenen; Jeder soll sich’s selber erwerben, was er haben will. Her mit dem Großbauernhof, den wollen wir uns theilen. Um Mitternacht sind sie gekommen – eine Rotte und ein Gesindel, wie ich es zu Trawies nicht vermeint hätte; scheint es doch gerade, als wie wenn alle Galgenstricke von weit und breit zusammenliefen ins vogelfreie Trawies! Um Mitternacht sind sie gekommen mit Hacken, Sensen und Pflugscharen. Meine Knechte und Mägde will ich wecken – ist nicht mehr vonnöthen, sie sind Alle schon bei der Rotte und schlagen gegen mich mit meinen eigenen Geräthen. Eine alte Magd, halb blind und halb lahm, ist uns treu geblieben, ist mit uns gewesen, als sie uns hinausgestoßen haben aus dem Feuerwarthof. Die Lahme hat mir geholfen, mein krankes Weib zu schleppen. Das Töchterlein ist noch die Vernünftigste gewesen von uns; der Sela fiel es ein, in der finsteren Nacht könnten wir nicht weiter und hat eilig an der Herdgluth die Laterne angezündet. Sonst wäre das Ahnfeuer auch dahin, ich hätte an nichts mehr gedacht. Weit in den Dürrbachgraben sind wir gerathen, dort haben wir uns in einer verlassenen Holzerhütte eingeheimst, dort leben wir heut’ noch, und wir werden von Glück sagen dürfen, wenn sie uns leben lassen.«

»Das sind schöne Zeitungen, Feuerwart, die Du mir mit aus dem Thale bringst,« versetzte der Wahnfred in der Ironie des heimlich kochenden Zornes. »Aber die Anderen, regen sie sich denn nicht?«

»Wer?«

»Der Bart vom Tärn, der Firnerhans –«

»Der Firnerhans!« unterbrach Gallo. »Jesus Maria, Schreiner, Du weißt es nicht! – Weißt Du es wirklich noch nicht?«

»Was noch?« Fragte Wahnfred.

»Ja wie solltest Du es denn wissen können! Die Nebel, die aufgestiegen sind aus Trawies zu Dir, sind ja nicht blutig gewesen, die Berge haben ja nicht gebebt, wie das Ungeheuerliche geschehen ist. Der Firnerhans war unter ihnen.«

»Dein Vetter, der Holzer Thom aus dem Tärn, war auch unter ihnen. Elf waren ihrer. Mit elf Köpfen bist Du erkauft, Wahnfred! In der Kirche hingerichtet, enthauptet – o mein Gott, wie gräßlich ist’s auf dieser Erden!«

Mit diesem Rufe war der alte Mann zusammengeknickt, hatte das Gesicht verhüllt mit seinem Mantel.

 

 

Wahnfred stand wie eine Bildsäule da in der Morgensonne. Sein Schatten lag hingestreckt über den Schnee. »So dieser Schatten hätt’ künnen aufstehn,« sagt die Schrift, »hätt’ er leichtlich dem Baumschokk bis zum führnehmbsten Wipfel gereicht.«

»Feuerwart!« schrie Wahnfred nun plötzlich und stand mit geballten Fäusten drohend vor dem alten Mann: »Warum hast Du mich nicht gerufen?«

»Schlage mich todt,« murrte der Gallo Weißbucher, »wir ist es das Liebste. – Dich nicht gerufen! Und hätte ich auch meineidig werden wollen, es wär dazu keine Zeit mehr gewesen. Du hättest es nicht besser gemacht. Verlange Dir auch jetzt nicht nach Trawies!«

Wahnfred schwieg.

»Du nimmst Weib und Kind und suchest Dir unter neuem Namen eine neue Heimat!«

»Thue Du’s, wenn Du kannst!« antwortete der Wahnfred, und seine Stimme klang fremd.

»Ich kann es nicht. Ich bin auf dem Boden meiner Vorfahren alt geworden, ich gehe mit der Heimat unter. Aber Du bist noch jung genug, um auf fremdem Boden Fuß zu fassen, um die Greuel, die Du noch nicht gesehen hast, zu vergessen, um mit Deiner Hände Geschicklichkeit Dir Brot zu erwerben und wieder ein zufriedenes Leben zu führen.«

Da sagte Wahnfred: »Ich gehe hinab nach Trawies!«

»O, wenn Du so hinabsteigen könntest, wie Moses vom Berge Sinai, mit neuen Gesetzestafeln.«

Wahnfred sagte: »Ich gehe hinab.«

 

 

Aus hohen Einöden, wo nur die That der Trägheit herrscht: das Träumen, stiegen die beiden Männer nun nieder.

Ihre Wege waren tausendfach verrammelt, gleichsam, als hätte auch die Natur den Bann gesprochen, oder anders: als wollte ihnen ein guter Geist die Rückkehr ins Thal des Fluches wehren. In den Tiefen rauschten die Wildwässer des sich lösenden Winters, ein warmer hauch wehte Regenschauer nieder, und die Zacken des Trasank waren in Nebel gehüllt.

Die Männer gingen in langer Wanderung den Wäldern des Tärn zu. Wahnfred sehnte sich nach dem Hause des Bart, zu seinem Weibe und zu seinem Kinde. Als er hinter dem Waldschachen den dünnen blauen Rauch des Hauses aufsteigen sah, rötheten sich seine Wangen und im Auge glühte es, wie dazumal, als er in das hinterste Thal des Trasank ging, um zu freien.

Nun stand er plötzlich still, griff mit beiden Händen an sein zerfahrenes Haar, an seinen wildwuchernden Bart und murmelte: »Gallo, da thät’ ein Scheermesser vonnöthen.«

»Du mußt Dein Weib noch wunderlich lieb haben,« entgegnete hierauf der Feuerwart, der auch auf ernsten Wegen seinen Schalk mit sich trug, »ganz verwunderlich, daß Du jetzt auf die Glattheit Deines Angesichtes so viel hältst. Aber ich denke, Du wirst ihr auch mit dem langen Bart recht sein, wenn Du Dir nur sonst keine einsiedlerischen Bräuche angewöhnt hast.«

»Feuerwart! Ich bin auf einmal wieder ganz anders, als ich da oben war. Ich möchte nimmer zurück auf die Höhe, ‘s ist mit so sonderbar warm und jung, mein Gallo, ‘s ist mir wunderlich jung! Wie der Mensch zu Zeiten nur so verfrieren kann! Und wie er so verzagt sein kann und hart gegen die Leute und undankbar gegen Gott! Diese Wässer da unten – Du wirst es inne werden, Feuerwart – sie schwemmen alles Übel hinweg von Trawies. Frühjahr wird’s, in Frieden werden wir wieder unsere Felder pflügen, unsere Wiesen mähen und unsere Herden weiden. Es wird sein, wie es sonst ist gewesen, bis wir nur wieder die helläugigen Blümlein sehen auf der Au! O komm, Gallo, komm, mir ist’s zum Jauchzen, mir ist so jung!«

In freudiger Aufregung zog er den Gallo Weißbucher mit sich fort gegen das Haus. Da sahen sie, wie ihnen ein Mann entgegeneilte, dieser winkte mit der Hand und rief in einem Tone, der zuhalb ein Schrei und zuhalb ein Flüstern war: »Stehen bleiben! Eilends zurück in den Wald!«

Er kam herbei, der Bart war’s, er drängte die Beiden waldeinwärts.

»Was hat das wieder zu bedeuten?« Fragte der Feuerwart.

»Die Schergen!« sagte der Bart fast athemlos: »Wahnfred, die Schergen suchen Dich! Du mußt verrathen worden sein. Sie haben es erfahren, daß Deine Leut’ bei mir sind und jetzt umlauern sie schon tagelang das Haus und vermeinen ganz richtig, daß Du einmal herfürgehen müßtest und die Deinen aufsuchen. Vom Fußboden bis zum Dachfirst haben sie schon Alles drunter und drüber geworfen und Einer steht fortweg an der Thür und achtet, wer aus- und eingeht.«

»Den Weg zu meinem Weib laß’ ich mir nicht vertreten!« sagte der Wahnfred, und wollte gegen das Haus.

»Wahnfred!« murmelte der Feuerwart und hielt ihn zurück, »Du hast monatelang ohne sie gelebt, Du wirst die kurze Zeit auch noch überdauern, sei kein Knabe.«

»Mein Weib will ich sehen! Mein Kind will ich haben! Sie sind in Gefahr. Bart vom Tärn, sage es, die Schergen werden sie martern, wegführen, tödten!«

»Das werden sie nicht, weil sie Dich damit ködern wollen. Aber gehe ihnen nicht in die Falle, Schreiner, bedenk’s, das wäre Dein und ihr Verderben. Gehe wieder zurück in Deine Wildniß.«

»Nimmermehr!«

»Verbirg Dich, bis die Gefahr vorbei ist und ich Dich rufe. Ich will sie zu täuschen suchen. Gestern ist drüben auf der Karebene das Gerippe eines Mannes gefunden worden; die Wölfe haben es übrig gelassen! – so will ich aussprengen, der Flüchtling wär’s gewesen. Vielleicht ziehen die Landsknechte ab.«

»Hätte ich doch geglaubt,« versetzte der Feuerwart, »sie wollten sich’s damit, daß sie uns niedergeworfen und in die Hölle verflucht haben, genug sein lassen und nicht noch mit Fleiß Menschenjagd halten in Trawies. Wir gehören dem Teufel und gehen die Herren nichts an, magst es ihnen sagen, Bart.«

»Wir hätten Recht auf den Schutz der weltlichen Obrigkeit,« sagte der Bart, »aber der Kirchenbann ist allemal auch eine halbe Acht, die ehebald zu einer ganze wird. Geradeaus gesagt, es ist nicht anders, meine lieben Leut’, wir sind vogelfrei.«

»Das ist mir nichts Neues,« antwortete der Gallo.

»Auch das Haus haben sie mir schon niederbrennen wollen,« erzählte der Bart weiter, »da hätten sie ja das Durchsuchen nicht vonnöthen gehabt. Aber des Köders wegen haben sie es noch stehen gelassen. Nur die Vorrathskammer haben sie mir geplündert. Landsknechte heißen sie und sind von unserem Stamm, aber nicht so viel Erbarmen haben sie, als was im Herzen einer Kröte Platz hat. Weil sie uns für Verdammte halten, so spielen sie die Teufel. Der Türke ist mir lieber.«

»Und das sagst wahr? Meinen zwei Leuten thun sie nichts zu Leid?« Fragte der Wahnfred.

»Denen, mein Wahnfred könntest nur Du zum größten Feind werden, wenn Du jetzt zu ihnen gingest, die Häscher thäten Dich niederstechen vor ihren Augen.«

»Und warum kommt der Knabe nicht mit Dir, Bart? Warum sagst mir nicht, daß es meinen Leuten gut geht? Verschweig’ mir nichts, Bart!«

»Kannst mir’s glauben, Schreiner, ich will Dir gut. Ich weiß, wie wir Dir zu Schuld sind. So lange ich ein Auge offen hab’ in meinem Haus, soll den Deinigen nichts Arges widerfahren, so weit’s an Menschen ist. Was Gott thut, für das kann Keiner von uns Rede stehen.«

»Wir wollen uns davonmachen,« sagte jetzt der Feuerwart, »dort unten habe ich einen Spieß funkeln sehen. In den Ritscherwald sollst mir nimmer hinauf, dort müßtest Du verkommen. Geh’ mit in den Dürrbachgraben, in meine Hütte. Ich will Dir zur Wacht sein, so gut ich kann, will Dir Nachricht bringen von Weib und Kind, bis Du sie sehen darfst. Geh’ mit mir!«

»Und kann’s denn sein, daß meine Füße nicht angewurzelt sind auf diesem Boden, daß ich wieder davon kann gehen, wie ich hergegangen bin? Ich Leute, ich kann’s nicht. Bart vom Tärn, Du gehst jetzt ins Haus und darfst sie sehen. Gieb mir Deine Kleider und lasse mich, wenn es dunkel wird, als der Bart in das Haus gehen!«

Fast jubelnd rief er den Gedanken aus, aber die Beiden warnten ihn vor einem Streich, bei welchen alles, was er habe und sei, auf dem Spiele stünde.

»So gehe Du! eilends, Bart! Gehe Du, und sage ihnen, daß – o Gott, was sollst Du ihnen sagen! Sie sollen denken an ihren Wahnfred, sollen lustig sein! Sollen schlafen – den Winter verschlafen, so wie der Wahnfred schläft. Der Winter gießt ja schon zu Thale und das erste Veigelein dieser Frühzeit, das bringe ich ihnen. Gott’s Gruß!« Er war sich schluchzend an die Brust des Bart, »Gott’s Gruß meinem Weib!«

Der wunderliche Mann! Er konnte fast ihrer vergessen und jetzt auf einmal brach es los. So treiben es Menschen seines Schlages. Mit Mühe brachte der Feuerwart den Schreiner in seine Hütte.

»Es ist ja nicht immer gut für den Mann,« sagte er unterwegs, »wenn Füße und Hände nur dem Herzen folgen. Heute geht er dort hin, wo er morgen nicht sein will, heute thut er das, was er morgen bereut, gethan zu haben.«

»Sei still, Feuerwart!« versetzte der Wahnfred, »gegen inwendig Weh hilft kein gescheit Reden.«

Endlich waren sie hinabgekommen zur Schlucht. Das Wasser, welches aus allen Furchen und Rinnsalen niedergoß, war mächtig und laut; braun wie Lehm waren die Fluthen, die in rollenden Bauchungen über die unebenen Gründe schossen, weiß wie Schnee der kochende Schaum, der an Blöcken und Erdschollen aufbrauste. Hier grub es unter gelockerter Baumwurzel ein, dort schlug es an widerstrebender Brüstung empor, da unterwühlte es eine Schneewand, bis die Massen niederbrachen, das Wasser einen Augenblick stauten und von diesem zerschellt in Stücken und Trümmern davongeschoben wurden. Baumstrünke, denen von Sturm und Wasser die Arme gebrochen waren, glitten heran, stießen brüllend ans Gestein, wurden hoch aufgeschnellt und stürzten klingend in die Fluth; Erdmassen waren lebendig und mancher Felsblock wälzte sich langsam weiter, mitten im Quirlen, Brausen und Gischten der entfesselten Kräfte. Das ist das wilde Sterben des stillen, weißen Schnees. Muß denn alles, auch das Reinste, Mildeste und Zarteste auf Erden, sich einmal auflehnen und einmal den heißen Kampf ringen? Wenn im Leben nicht, so im Sterben!

Der Feuerwart ging so rasch, als es im Gewirre des zerschlagenen Waldes möglich war. Er wußte, seine Hütte stand nicht weit vom Wasser, und er traute es den Elementen zu, daß sie dem kirchlichen Fluche Handlangerdienste leisten könnten.

Sie mußten an den Lehnen hinaufklettern, denn der gebahnte Fußsteig in der Schlucht war nicht mehr da, darüber hin schossen die Fluthen. Ihnen zu Seite rollte manche Schneelawine nieder, Erdreich, Baum und Busch mit sich fortreißend.

Mitten in solchen Wüsten, von Fluthen umbrandet, von gebrochenen Stämmen umlagert, auf einem Felsblocke stand Sela, die kleine Tochter des Feuerwart. Ihr blaues Kleidchen schimmerte durch das triefende Astwerk; der Staub der zerschellenden Wellen hüllte sie wie in einen zarten Nebel. Mit weißem Händchen hielt sie sich an einen Ast und beugte sich vor, um Wasserkresse zu pflücken, die am schneelosen Rande wuchs.

Der Feuerwart schrie ihr zu, was sie denn treibe an so gefährlicher Stelle? Sie hörte in dem Gedonner des Wildbaches das menschliche Wort nicht. Ihr Gesichtchen war so blühend, wie an jenem Morgen, da sie mit Erlefried zum Sonnenwendfeste gegangen war; ihre großen klugen Augen schauten so sanft und ruhig, als stünde sie mitten in einem Blumengarten. Die Kresse, die sie pflückte, heimste sie in das halbaufgeschürzte Röcklein. Nachdem sie das letzte Pflänzlein gesammelt hatte, blickte sie auf in die Wildniß, und ins rasende Gewässer. In unablässigen Brüllen und Krachen trieb das Getrümmer des Waldes heran, aber ihre Augen schauten ruhig.

Die beiden Männer betrachteten das Kind, dann nahm Wahnfred den Feuerwart bei der Hand und sagte: »Wir sind nicht verloren.«

Nun bemerkte das Mädchen den Vater, und flink wie ein Gemslein des Trasank hüpfte sie von Stein zu Stein, bis sie vor ihm stand. In stiller Freude schmiegte sie sich an ihn und reichte ihm hinan bis zur Brust.

»Was willst Du, Sela, mit diesem Kraut?«

»Die Mutter hat heiße Hände,« antwortete das Mägdlein, »und hat auch eine heiße Stirn. Da wird ihr das Frische gut sein.«

Bald waren sie an der Hütte. Sie war gefährdet am Fuße durch die heranschlagenden Wogen und am Dache durch den querüberhängenden Baumstamm. Das Mädchen ging zur Kranken und flüsterte ihr zu: »Jetzt ist der Vater schon da!« Dann legte es die kühle, grüne Kresse mit dem silbrigen Schimmer auf die heißen Hände und auf die heiße Stirne, und gab ihr zu trinken, und streichelte ihr die Wangen und blickte sie mit ihren milden, blauen Augen tiefsinnig an. Und an diesem Blicke, der wie Frühlingshimmel über dem abgehärmten Antlitze des Weibes ruhte, schien sich die Kranke bis ins Innerste ihres Wesens zu erquicken.

Und wenn sie dann einschlief, um in sonnigen Träumen ihres Kindes Zukunft zu schauen, oder sich ein wenig in jenem ewigen Schlummer zu üben, der nichts mehr von Vergangenheit und Zukunft weiß – dann schlich Sela auf ihren Zehenspitzen davon und war in fröhlicher Emsigkeit bestrebt, im Schrank und am Herde zu ordnen und Dinge zu bereiten, welche der Erwachenden hernach zugute kommen sollten.

Der Feuerwart sagte einmal: »So lange der letzte Engel nicht davon ist, so lange gebe ich Trawies nicht auf.«

Ja, alter Mann, wer ein liebes, aufblühendes Kind hat, der kann und darf an der Welt nicht verzweifeln.

 

 

Wahnfred blieb wochenlang in der engen Hütte des in die Bergschlucht verbannten Feuerwart. Er sah noch lange das Toben und dann das allmähliche Verlaufen der wilden Fluth. Er sah das Vergehen der letzten Schneemassen, er sah das Aufgrünen des Rasens, Er sah das stille Trauern des Feuerwart um sein hinsiechendes Weib; er sah die kleine, behendige Pflegerin, die unerschöpflich war an Trost, niemals traurig schien, mit ihren seelenvollen Augen das ganze Haus erhellte. Sie gab nicht zu erkennen, daß sie von der Gefahr wisse, in der die Mutter und in der sie Alle schwebten. Der Feuerwart meinte, es sei die Ahnungslosigkeit des Kindes; wie sehr war er daher betroffen, als Sela eines Tages vor der Hütte zu ihm sagte: »Du sollst wieder einmal lachen Vater, sonst meint die Mutter, das sie sterben muß.«

Er lachte nicht, in Weinen brach er aus, als er dieses Wort seines Kindes gehört hatte. Sela weinte mit ihm, und so heftig und bitterlich, daß ihr ganzer Leib zitterte und zuckte, daß der Strom ihrer Thränen die Brust des Vaters netzte, daß sie sich vergebens bemühte, dem Schluchzen, in welchem all ihr so lange zurückgedrängtes Weh auf einmal hervorquoll, Einhalt zu thun ....

Sie ging zum Bache, befeuchtete ihr Angesicht mit kaltem Wasser. Sie pflückte das weiße Krönchen eines Maßlieb und trug es in die Hütte und legte es der Mutter an den Busen und sagte: »Eins ist schon da!« – Und sie war wieder so fröhlich, wie sonst, und ihr Auge schaute wieder so ruhig, und der Frieden des Kindes schien wieder in ihrer Seele zu sein.

Wahnfred sah diesem Weibe und diesem Kinde zu und dachte an die Seinen. Er ahnte nicht, daß auch sein Weib so dahinsiechte und sein Kind so liebestreu die Mutter pflegte. Das Weib des Schreiners hatte sich die That, die Flucht und die Gefahr ihres Mannes so tief zu Herzen genommen, daß sie zu welken begann. Sie sagte es mit keinem Worte, wie das Gefühl der Heimatlosigkeit, die Angst um ihren in der Einöde verbannten Gatten an ihrem Leben nagte, aber sie siechte und siechte dahin.

Der Feuerwart wußte es wohl, was da oben im Hause des Bart vom Tärn vorging, aber er durfte es nicht sagen, sollte der Schreiner seinem vergehenden Weibe zueilend nicht ins Verderben rennen. Er ging beim Bart aus und ein und brachte befriedigende Nachricht heim; bat ihn ja doch auch das Weib des Schreiners, dem Gatten ihr Absterben zu verhehlen, damit er sich halten lasse und den Feinden nicht ans Messer laufe. Denn immer noch umzingelten die Schergen das Haus und wichen nun umsoweniger, da sie annahmen, die Krankheit des Weibes müsse den Mann sicher herbeiholen.

Sie, die Herzlosen, hatten doch die Schlauheit, auf menschliche Regungen bei Anderen zu rechnen. Wenn einmal ein Fremder, ein Hausirer oder Holzer oder Bettelmann ins Haus wollte, so wurde er strenge untersucht und so lange gestoßen und hin und her gezerrt, bis ihm die Lust, unter dieses Dach zu treten, ein- für allemal verging. Jeder der Schergen hatte sich eine Beschreibung eingeprägt von dem Flüchtling; Einer war da, der kannte den Mann persönlich aus jüngeren Tagen her. Auf Wahnfred’s Kopf stand die Freiheit zum Preise; wer ihn einbrachte, der war der Landsknechtschaft ledig auf der Stelle. Scharf bewaffnet war Jeder, sie wußten wohl, daß sie in Feindesland standen. Sie wußten auch, daß Kraft des Kirchenbannes diese Waldleute von allen Seiten verlassen waren.

Und so vermochte denn der heimkehrende Gallo dem Schreiner nur immer zu sagen, daß die Häscher noch beständig um das Haus wären, daß ihn das Weib grüßen lasse und ihn bitten, er solle doch ihret- und des Kindes wegen sich in keine Gefahr begeben. Trotzdem sann Wahnfred auf allerlei List, unerkannt zu den Seinigen zu kommen; ja er kam sogar auf den Gedanken, in Trawies eine Freischar zu werben und damit das Haus im Tärn zu stürmen.

»Du hast Dich bisher,« so sagte auf solchen Vorschlag der Gallo Weißbucher, »von mir abhalten lassen, nach Trawies zu gehen; Du brauchst es nicht zu bereuen. Du hörst es, welche Nachrichten zu uns in den Dürrbachgraben dringen, Du hörst es und kannst Dir doch nicht denken, wie es jetzt mit den Trawieser Leuten bestellt ist. Sie türmen die Häuser, stürmen die Weiber, aber für eine Sterbende führen sie keinen Schlag.«

»Für eine Sterbende!« sagte der Wahnfred und sprang von seinem Blocke auf, »wie verstehst Du das?«

Der Feuerwart wußte den Augenblick kein Wort zu sagen.

»Wie ist das gemeint, Gallo? Eine Sterbende?«

»Du siehst ja doch,« brummte der Feuerwart nun, »daß mein Weib im Sterben liegt und wir haben keinen Beistand.«

»Du verschweigst mir etwas, Feuerwart, auf der Stell’ will ich wissen, wie es mit meinem Weibe ist!«

»Daß sie nicht lustig sein wird, magst Du Dir denken, Wahnfred. Daß die Bedrängnis, die jetzt so schreckbar über uns gekommen ist, eine weichherzige Frau angreifen muß, das wird Dich nicht wundern.«

»Sie ist krank!« rief Wahnfred, »Du weißt mehr, als Du sagen willst. Gallo, sei mir nicht ungetreu! Zu ihr will ich jetzt, und wenn es mein Leben kostet, wissen will ich’s, auf was ich mich gefaßt zu machen hab’.«

»Der Mensch muß sich in dieser Welt auf alles gefaßt machen.«

»Sie ist mir gestorben!« schrie Wahnfred auf.

»Was sagst Du, Schreiner? Vom Gestorbensein noch gar keine Rede. Aber so ich Dir’s recht soll sagen und weil ich’s nicht verantworten möchte, Dich in der Sach zu hintergehen: Wenn Du sie noch einmal sehen willst, so wirst Du freilich nicht warten können, bis die Schergen abziehen.«

»Ich gehe heute noch hinauf,« sagte Wahnfred mit Entschlossenheit, »jetzt hält mich nichts mehr zurück. Wenn es sein muß, mit dem Messer will ich mir den Weg frei machen zu meinem kranken Weibe.«

»Wir wollen was Anderes probiren. Der Bart und ich haben es schon verabredet. Wir tragen einen Strohschaub ins Haus.«

»Warum ist das jetzt auf einmal möglich, was Ihr mir niemals habt zugeben wollen? Mich däucht, es ist hohe Zeit! Feuerwart, wenn Du mir’s zu lang verschwiegen hättest, ich wüßt’ nicht, ob ich Dir’s verzeihen könnte.«

Der Feuerwart ging mit ihm. Sie stiegen den Berg hinan, Wahnfred war dem betagten Manne lange Strecken voraus. Er hatte ihr das erste Veilchen bringen wollen, und nun vergaß er d’rauf und trat die jungen Blumen mit den Füßen. Er tödtete sie kaum, die blauen Äugelein der wieder erwachenden Erde, so flüchtig und leicht war sein Schritt; schier flog er mehr als er ging, und der Feuerwart rief ihm vergebens nach, nicht blindlings ins Verderben zu rennen. Auf der Höhe kam ihm der Bart entgegen.

»Ah, Du kommst schon, Schreiner!« rief er ihm zu.

»Bart,« sagte der Wahnfred, faßte ihn an den Händen und wollte ihn rasch mit sich weiter zerren. »Bart, Du wirst es wissen, daß nicht mehr viel Zeit ist. Du hast sie ins Haus genommen und ihretwegen die Schergen geduldet um Deinen Wohnsitz. Du bist uns Freund gewesen, so wirst mir’s jetzt auch redlich sagen, was ich finden werde.«

»Beim Leben ist sie noch,« antwortete der Bart, »und dort im Dickicht ist der Schaub in Bereitschaft.«

Es war ein Bund aus den längste Kornhalmen des vergangenen Sommers. Wahnfred that ihn auseinander und legte sich hinein, und die Männer banden den Schaub über ihn zusammen. Dann legten sie ihn auf zwei Tragstangen und trugen ihn hin gegen das Haus im Tärn.

»Es ist nur ein Glück, daß die Wichte gestern zu einem Schießen gegangen und noch nicht zurückgekehrt sind,« sagte der Bart, »bis auf Einen, der noch vor der Hausthür sitzt und zu seinem Zeitvertreib mit dem Messer allerlei Figuren in die Wand schneidet. Um ihn zu täuschen, habe ich schon heute Morgens ein Paar Schaube ins Haus tragen lassen. In den ersten hat er mit seinem Spieß gestochen und hämisch gefragt, was wir da trügen? Ich habe ihn wiederum gefragt, ob er keinen Strohschaub kenne? Wenn nicht, so möge er zum Nachbar Freiwild gehen, uns das Stroh ausdreschen, die Schaube ins Haus tragen und auf den Dachboden legen helfen. Von Arbeit will er nichts wissen, der Landrab’, hat sich auf seine Bank gedrückt, beim zweiten Schaub hat er nicht mehr gefragt.«

»Weiß sie, daß ich komme?« fragte der Wahnfred im Strohbunde.

»Sei still, Schreiner, wir kommen schon ans Haus.«

Sie trugen die Last über den Anger, sie trugen dieselbe zwischen der Baumgruppe durch, die als Schutzwart gegen Sturm und Blitz dastand, sie trugen den Schaub über den kleinen Hof, wo der Brunnen rieselte, sie trugen denselben langsam, mit fast trägem Behagen gegen die Thür.

Der Büttel kauerte auf seiner Bank; er hatte vor sich eine Schüssel mit Butter stehen, die er sich in der Vorrathskammer geholt. Er starrte mit Unwillen auf den Rest seines köstlichen Raubes, denn er wollte noch gern davon genießen und war schon satt. Als er nun die Männer mit dem Strohbunde heranschreiten sah, gedachte er seiner Pflicht, der er nach so fettem Bissen doch wieder einmal nachkommen solle, denn dieser Scherge das war ein Mensch, der sich sein Essen auch verdienen wollte.

»Ist das wieder Stroh?« fragte er brummig.

»Ja, Herr Soldat,« antwortete der Bart; »Du hast ein sauberes Amtel, hältst Schildwache vor lauter Stroh.«

»Ist das alles Stroh?« rief der Scherge und schlug mit dem Spieß auf den Schaub.

Anstatt Angst verspürte der Bart Zorn. »Wenn ich nur wüßt’, wie das Thier heißt, das dem Stroh so viel nachstellt?« versetzte er.

»Ablegen!« knurrte der Scherge.

»He, Ihr werdet doch Spaß verstehen?« Mit diesen Worten suchte der Feuerwart zu begütigen.

Aber der Büttel riß den Strohbund von der Trage, zerbrach das Band; die Männer suchten ihn zurückzudrängen, er drohte mit Waffen und grub in den Halmen, und in dem Augenblicke, als der Schaub auseinanderfiel, sprang Wahnfred aus demselben auf und erfaßte den erschreckt zurücktaumelnden Schergen an der Gurgel. »So soll ich mir die letzte Stunde meines Weibes erkämpfen!« Diese Worte stieß er hervor, würgte den Söldner und schleuderte ihn an die Wand, daß der Schädel klang.

Wahnfred stürzte in das Haus, in die Stube.

Diese war dunkel, die Fensterchen waren verhüllt mit Lappen, auf dem Tische brannte eine rothe Kerze. Das Weib des Bart hatte vergessen auf den Bannfluch, hatte das Crucifix hervorgeholt, das sie vor den Räubern der Heiligthümer gerettet.

Bei diesem alten Holzkreuze waren eine lange Reihe ihrer Voreltern gestorben, dieses Kreuz sollte nun auch der lieben Hausgenossin vor Augen sein, die schon seit vielen Stunden im Sterben lag.

»Mein barmherziger Herr Jesu Christ,« so betete das Weib des Bart vor dem Crucifix, »wir sind Dein, wir lassen Dich nimmer. Sie wollen uns reißen von Deiner Seiten; wir umfangen Dein dornengekröntes Haupt, wir fliehen zu Deinen heiligen Wunden. O löse Deinen Arm vom Kreuze und halte uns fest, uns arme Sünder, für die Du gestorben bist. Laß’ uns nicht fahren, wenn uns die harten Menschen verstoßen wollen, steh’ uns bei, wenn der böse Feind uns will verderben. Hilf uns im Leben, hilf uns im Sterben, hilf uns, mein Jesu!«

Aus dem dunklen Raum vor dem Tische ragten zwei kleine weiße Hände empor. Sie gehörten dem Erlefried, der im Schatten kniete, der erschöpft war vom Nachtwachen und Weinen, der nichts mehr für seine Mutter zu thun vermochte, als bebenden und betenden Herzens seine Hände emporzuhalten zu dem Bildnisse Gottes.

Und daneben auf niedrigem Bette lag die Kranke. Ihr Gesicht war weiß wie Wachs, das die Sonne gebleicht hat. Jenes seltsam milde Licht, das wie ein Widerschein der Jugend auf dem Antlitze Sterbender ruht, schwebte um das Haupt. Die Augen waren offen und es schien, als schauten sie gegen die Thür hin. Sie hatte ihn gebeten, daß er nicht komme, und sie hatte doch gehofft, daß er kommen werde. Seit gestern rang sie mit dem Tode. Peinvoll zuckten ihre Glieder, schwer wie unter Berglasten hob sich ihre Brust, kalte Tropfen der Angst standen ihr auf der Stirne, und der Blick, der starre, verlöschende Blick war gegen die Thür gerichtet.

Den Lärm, der sich draußen erhoben hatte, hörte sie nicht, aber als nun die Thür aufging, hub das Auge noch einmal an zu schimmern, bevor sie ihn sah. Er stand erschrocken still. Die Schauer des Todes dämpften sein aufgeregtes Gemüth. Erlefried ging auf ihn zu, zögernd, ängstlich, als erkenne er nicht recht, ob es der Vater sei oder ein Fremder. Wahnfred legte dem Knaben die Hand auf das Haupt und starrte auf sein Weib hin. Er war wie festgebannt, als ob ihn hier ein anderer Wächter zurückhielte, den er nicht beiseite zu schleudern vermöge.

Ihr Auge blickte ihn unsäglich wehmuthsvoll an, und sie wollte doch lächeln. Nun bewegten sich ihre Lippen: »Wahnfred! ... Wahnfred, vom Knaben thu’ sie weg, diese Hand. Ich bitte Dich!«

Da ging’s wie ein Stich durch des Mannes Brust, rasch zog er den Arm zurück, es war ihm, als müsse er fliehen.

Sie bewegte ein wenig ihre Rechte, als winke sie ihm zu bleiben, seine Hand in die ihrige zu legen.

»Ich habe Dich ja geweckt, mein Wahnfred, damals in der Nacht – als es Eins geschlagen. Du bist lange von mir fortgewesen.«

»Nimmer!« so entgegnete nun er, und seine Stimme erstickte im Schluchzen, »nimmer gehe ich jetzt von Dir.«

»Daß nur nicht ich so früh von Dir müßt’ scheiden!« sagte sie. »Möchte wohl gern bei Dir bleiben, weil Du so viel unglücklich geworden bist.«

Nun brach er vor ihrem Bette nieder auf die Knie und preßte sein Gesicht an ihre Hand und weinte laut. Ihr Auge ruhte enrst und liebevoll auf seinem Haupte, sie suchte die Linke zu heben, um sie auf seine verwilderten Locken zu legen; da zitterte auch unter ihren Wimpern eine Thräne.

»Daß Du nur weinen kannst, Wahnfred,« sagte sie leise, »diese Perlen nehm’ ich mit in die Ewigkeit. Sie werden mir leuchten auf dem finsteren Weg. Ich werde den lieben Gott schon finden.«

»Nimm mich mit, mein liebes Weib, nimm mich mit Dir!«

»Wahnfred! Du mußt noch auf Erden bleiben. Mußt bleiben, daß Du wieder kannst löschen, was Du hast gethan. Nur nicht verzagen darfst. Der Kirchenbann soll Dich nicht irren; nur den Fluch auf Deiner Hand mußt Du löschen. Ich weiß wohl, Du hast den Schwur gethan und hast keinen schlechten Willen gehabt. Du bist gut, mein Wahnfred, Du wirst Dich wieder erlösen. Nur mußt Du nicht vergessen, daß Du es unserm Erlefried sagst: Was böse ist, das bleibt aller Tage böse, und wenn es der Mensch auch des Guten wegen thut, es bleibt aller Tage böse.«

»Ich verspreche Dir’s, mein Weib; so vielmals als ich Haare auf dem Haupt hab’, versprech ich Dir’s, daß ich Alles büßen will mit Freuden und gutmachen will, was ich gutmachen kann. Bei diesem Ehering, Maria, verspreche ich Dir noch einmal die Treue.«

»Denk’ an’s Kind, sonst verlang’ ich für mich nichts. Das Trauern um mich laß sein. Zu mir bist Du allzeit lieb gewesen und ich hab’ den Himmel gehabt an Deiner Seiten. Wenn Du Dein Tagwerk gethan haben wirst und Dich zur Ruhe legst, dann komme ich wieder und wir gehen miteinander zu unserem Herrn. – Hörst Du den schönen Gesang?« Sie horchte; auch er wollte horchen und hörte nichts, als das Klopfen des Holzwurms in der Wand.

»Die Todtenuhr!« lispelte das Weib des Bart gegen ihren Mann hin, der an der Thür stand.

»Was sie doch wunderlich singen!« hauchte die Kranke. »Das sind die Engelschöre. – Die Fenster sind so schwarz. Wird denn gar nimmer Tag? Das liebe Licht möchte ich noch einmal sehen ...«

Sie zogen die Hüllen von den Fenstern, der helle Tag schien in die Stube und auf das weiße Angesicht der Kranken. Sie sah nur starr in dieses Licht hinaus, als sinne sie, ob es wohl das rechte wäre, das sie meinte. – endlich sanken ihr die Lider, sie schlummerte, und das Weib des Bart schlich herbei, zu horchen, ob sie Athem hole.

Wahnfred kauerte am Bette, hielt seinen Knaben an sich gedrückt und blickte unverwandt auf die Schlummernde hin.

So währte es den Tag über und so währte es am Abend.

Eine alte Magd war im Hause, die vertraute es dem Weibe des Bart, daß ihr der Schreiner bis ins Herz hinein erbarme. Da säße er die ganze Zeit am Krankenbett und er hätte heut’ sicherlich noch nichts Warmes gegessen.

Der Tag in den Fenstern war längst verblaßt, ein Öllicht flackerte, sein matter Schein zuckte unstet an den Wänden. Sonst regte sich nichts, die Kranke schlummerte und Wahnfred saß neben ihr und blickte sie an. Nach Mitternacht zuckte sie plötzlich auf. »Wecken! Wecken!« rief sie hell und deutlich, »es hat Eins geschlagen!«

»Ist Dir besser, Maria?« fragte Wahnfred leise schaudernd und beugte sich über ihr Gesicht; »Du hast gut geschlafen.«

Ihr Auge war offen, aber er wußte nicht, ob sie ihn sah. Ihr sonst kaum bemerkbarer Athem wurde lebhafter und dann langsam. Das Weib des Bart, das nicht vom Lager wich, zündete mit zitternden Händen die rothe Kerze an und begann zu beten. Wahnfred sprang auf: »Was ist das? – Erlefried! Erlefried!«

»Laß ihn schlafen,« sagte die Hausfrau. Und dann gegen das Lager: »Liebe Schwester, fahr’ mit Gott! Bitt’ für uns im Himmel! – – Es ist vorbei. – – Wahnfred, drücke ihr die Augen zu.«

Das Haus war frei. Der an die Wand geschleuderte Scherge war eine gute Weile betäubt vor derselben liegen geblieben. Der Bart vom Tärn nahm ihm die Waffen weg, den Spieß, die schwere Doppelpistole, und verbarg sie in seinem Hause. Dann betrachtete er die Bilder an der Wand, die der Söldner mit seinem Messer eingegraben hatte. Es war ein laufender Hirsch, von Hunden und Jägern verfolgt. – Noch heute steht ein altes Haus am Tärn, und noch heute ist an der braunen Holzwand desselben ein verwittertes Bild zu sehen, von dem man sagt, daß es die wachhabenden Soldknechte geschnitten hätten in jenen Tagen, da sie auf den geächteten Wahnfred gelauert.

Als der Wächter endlich wieder zum Bewußtsein kam und sich bar seiner Wehr sah, schleppte er sich seitab und davon.

So stand das Haus nun wieder frei auf hoher Au und leuchtete in der Frühlingsmorgensonne weit in die Wälder hinaus.

Auf grünendem Anger, am Rande, wo die Bäume anheben, fast an jener Stelle, wo zur Winterszeit Erlefried aus Schnee seinem Vater ein Denkmal erbaut hatte, standen der Bart und der Wahnfred und maßen ein Plätzchen aus. Auf dem Rasen funkelten Thautropfen, auf den Bäumen jubelten die Vögelchen, die einen flüsternd, zwitschernd, die anderen in hellen Stimmen wirbelnd und jauchzend. In Niederungen lösten sich eben die Morgennebel zu leichtem, lichtem Flockenhauche, an Bäumen und Bergen empor gegen Himmel steigend und in blauer Luft vergehend; hier auf der Höhe war schon klarer Sonnenschein aus reinstem Himmel. Ein kühler Hauch, leicht durchweht von Düften des neu sprossenden Waldes, der jungen Kräuter und Blümchen, zog mählich durch das sonnenbesprenkelte Gestämme und über die Au.

Der Bart vom Tärn that den ersten Spatenstich. Wahnfred legte seine Hand auf des Anderen Werkzeug und sagte: »Den Rasen wollen wir verschonen. Wir wollen ihn so abheben, daß er hernach wie eine Decke darauf gelegt werden kann. Da wächst gleich das Grüne weiter und fremde Leute sollen nicht wissen, wo sie liegt.«

»Können es wohl so machen,« antwortete der Bart, und sie stemmten das Rasenviereck aus und schnitten unterwärts hinein und hoben es wie eine Decke ab. Dann erfaßte auch Wahnfred den Spaten und begann die Erde auszuheben. Sie war dunkelbraun und noch ein wenig feucht von dem zu Grunde gesunkenen Winter.

Der Wurzelarm einer nahen Fichte zog sich quer durch das Grab.

»Den müssen wir abhacken,« meinte der Bart.

»Ich möchte lieber, daß wir ihn so lassen wie er ist und neben und unterhalb durchgraben,« sagte der Schreiner. »Der Wald soll seinen Arm über sie breiten.«

»Wenn Du willst, können wir es so machen,« antwortete der Bart.

Dann gruben sie und Keiner sagte ein Wort. Erst nach einer Weile, als sie schon bis an die Brust in der Tiefe standen und als auf der Stirne des Bart schon die Tropfen waren, hielt dieser ein wenig ein, stützte seinen Ellbogen auf den Stab des Spatens und blickte auf den grabenden Wahnfred.

»Laß Dir Zeit,« sagte er, »wir werden noch frisch genug fertig.«

»Ich gunn’ sie dieser Welt nimmer länger,« murmelte Wahnfred.

»Du mußt Dich nicht selber quälen, Schreiner! In meinem Hause ist ihr nichts zu Leide gethan worden. Ich kann sagen, ich hab’ sie so lieb gehabt, wie meine eigene Schwester. Und das will ich Dir auch noch sagen, Wahnfred: Du weißt, wo Du daheim bist, Du und Dein Erlefried. So lang’ mein Haus steht, gehörst Du zu uns. Ich denke, jetzt wirst Du sicherer sein. Es mag werden, was will zu Trawies; wir Drei, Du, der Feuerwart und ich, halten zusammen.«

Der Wahnfred grub und grub.

»Ein solches Lenzen wie heute,« fuhr der Bart vom Tärn fort, »da denkt man, es muß wieder recht werden.«

»Wird’s auch,« versetzte der Schreiner und grub.

»Ich meine, daß wir nun bald sechst Schuh haben werden,« sagte der Bart.

»So eine Ruhstatt kann niemals zu tief sein,« antwortete Wahnfred und wurde nicht müde zu graben, als sehne er sich in die tiefsten Nächte des Erdengrundes hinab. »Wer weiß, was auf der Welt noch geschieht. Es wird gut sein, wenn man die Unschuldigen mit aller Sorge verbirgt.«

Es war schon später Mittag; Wahnfred stand so tief in der Erde, daß die Sonne über den Rand des Grabes hinab kaum mehr sein Haupt beschien. Und er würde fortgewühlt haben in der Grube bis zur gänzlichen Erschöpfung, wenn ihn nicht das helle Wort »Vater« zurückgerufen hätte.

Da oben im Lichte des Tages stand Erlefried. Anfangs starrte er mit Grauen in diese finstere Tiefe hinab, dann richtete er seine Botschaft aus: Die Bartin (das Weib des Bart) lasse sagen, er solle doch auch auf sich selber denken und zum Essen kommen. »Die Anderen haben schon gegessen,« sagte der Knabe, »aber ich warte auf Dich.«

So stieg der Mann herauf, nahm den Knaben an der Hand, und sie gingen ins Haus.

Am anderen Morgen war das Begräbnis. Es war niemand geladen worden aus Trawies und auch Niemand gekommen. Nur die wenigen Leute des Hauses waren zugegen und der Feuerwart war heraufgekommen aus seiner Schlucht. Er hatte unter dem Schutze einer Laterne ein Flämmchen Ahnfeuer mitgebracht, das als Bote aus alten Zeiten die Verstorbene zu Grabe begleiten sollte.

Die Todte lag aufgebahrt in der Stube in einem langen weißen Kleide, wozu die Hausfrau ihre feinste Leinwand gegeben hatte. Die Hand hielt sie nicht gefaltet über der Brust, sondern an beiden Seiten ausgestreckt, weil sie ja nicht mehr betete, sondern weil sie ruhte.

Einen Arzt hatten sie nicht, der ihnen sagen konnte, daß sie todt wäre. Der Bart fühlte ihre kalte, erstarrte Hand an und sagte: »Wir mögen sie erheben, wach wird sie nimmer.« Einen Priester hatten sie nicht, der über der Todten seinen Segen gesprochen hätte. Der Feuerwart trat hinzu, legte einen Kranz aus Tannengrün auf ihre Stirn und sagte die Worte: »Selig die Todten, die im Herrn sterben, sie sind frei von aller Sünde. Wir werden Dir folgen, geliebte Schwester, wenn wir den Sold entrichtet haben. Wir werden eingehen in das ewige Leben.«

Dann legten sie den Leichnam in einen sechseckigen Sarg, der rauh war und ungefüg, dem man es anmerkte, daß ihn der Schreiner nicht gemacht hatte.

Der Wahnfred legte noch seine Hand auf die Rechte der Todten und sagte: »Schlaf süß! schlaf süß! Abschied nehme ich nicht.«

Sonach legte der Bart den Deckel auf den Sarg und hämmerte ihn fest. Auf das Hämmern lief Erlefried herbei; er hatte Weilchen in der Hand, die er der Mutter auf die Brust legen wollte.

»Es ist zu spät, Kind,« sagte der Bart. Und sein Weib fügte bei: »Es ist auch nichts nutz, wenn man einem Todten was mitgiebt, man muß auf solche Gebe so lang Herzweh haben, bis sie im Grab verfault ist.«

»Tragen wir sie jetzt in ihr Bett.« sagte der Feuerwart und legte die Hände an die Bahrenstangen, »wir wollen weiters keine Ceremonien mehr machen. Wir haben sie gern gehabt, Gott hat sie noch lieber gehabt, so hat er sie genommen. – heb auf, Bart!«

Dan trugen sie den Sarg aus dem Hause und über die Au hin. Das Weib des Bart trug das Licht, dessen Gluth von den längst heimgegangenen Voreltern als ein flammender Faden so fromm bewahrt und beschützt herübergekommen war, den Lebendigen zur Mahnung, dem Gedenken an die Altvorderen treu zu bleiben und die Todten zur letzten Ruhe zu begleiten. Auch der Himmel hat ein Licht bewahrt aus der Väter Zeiten. Die Sonne schien so hell auf den weißen Schrein, der den Glanz wieder zurückstrahlte auf die traurigen Gesichter, so wie der Mond die Nächte unserer Erde beleuchtet.

Als sie zum Grabe kamen, fuhren die Träger, von einem Geräusche erschrocken, zurück. Ein paar kleine aschgraue Vögel flatterten hervor aus der Grube und ins Gestämme hin; zwei junge Ammern waren es, die in der Erde nach Insekten gesucht haben mochten. Es ist kein Grab so tief, daß in ihm nicht wieder Leben wäre.

Sie senkten nun den Sarg hinab; sie machten das so rasch als möglich, sie warfen mit den Händen Erde darauf, wühlten mit den Armen Erde hinab, rührten mit der Schaufel Erde hinab, bis vom Sarge das letzte Stückchen Weiß verdeckt war. Sie füllten das Grab mit Erde und legten endlich noch die Rasendecke darüber, und fegten mit Reisig den Staub hinweg, bis alles wieder glatt und grün und kaum die Spur des neuen Grabes zu merken war.

Wahnfred wendete sich gegen die Übrigen und sagte: »jetzt sind wir fertig, jetzt seid mir bedankt. Ich danke Dir, Bart vom Tärn, für die Freundschaft, die Du meinem Weibe unter Deinem Dach und an Deinem Tisch erwiesen hast; ich danke Dir, Hausfrau, für die Liebe, mit der Du sie gepflegt und getröstet hast; ich danke Euch, Hausgenossen, daß Ihr so gut gegen sie gewesen seid und ihr Liebes gethan habt bis zu dieser Stund’! Ich danke Dir, Gallo, daß Du hinaufgestiegen bist mit dem Licht und sie mir hast helfen begraben. – Und nun,« er ergriff die Hand des Bart, »nun bitte ich Dich, behalte meinen Knaben und sei ihm ein väterlicher Freund, wenn ich nicht bei ihm bin. Ich gehe hinab nach Trawies.«

Er schüttelte Allen die Hand, er drückte den Knaben an die Brust. Er trat vom Grabe weg und stieg rasch zu Thale.

Die Leute gingen auseinander, der Feuerwart heimwärts, die Anderen ins leere Haus. Sie blickten traurig auf den Schragen hin, auf welchem die Bahre geruht hatte, auf das Bett, in welchem die Arme monatelang hingesiecht war still und ohne Klagen. Das Haus war weit und öde. Es war ein Werktag und der Acker bedurfte des Pfluges, aber der Bart hatte angeordnet, daß seine Leute an diesem Tage zum stillen Gedenken an die Heimgegangene ruhen sollten.

Auf dem Grabe war nur ein Mensch zurückgeblieben – Erlefried. Er stand allein da und hatte immer noch das Sträußchen in der Hand, das er seiner Mutter vermeint gehabt. – Warum ließen sie es nicht auf ihre Brust legen? Als ob er nicht ohnehin Herzweh haben werde, weit länger, als bis der Sarg da unten zu Moder sein wird! Und wer hat ihn gefragt, ob er eine Zeit zu erleben wünsche, in welcher er um seine verstorbene Mutter nicht mehr trauern werde!

So dachte der Knabe; er fühlte etwas wie Zorn gegen den Bart und sein Weib und er wollte nicht in das Haus zurück. Auf diesem Rasen stand er nun und sann nach, wie denn das sein könne, daß seine Muttern da unten liege, fest eingegraben in die feuchte Erden? – Wie er so dastand, wohl zart am Körperbau, aber schlank, und wie sein üppiges Gelocke das aufrechte Haupt umrankend Schatten legte über sein Gesicht, den Ernst desselben noch erhöhend, da war er kein Kind. Die leichtlebige Behendigkeit des Knaben war weg und in seiner Stirn ging’s wie ein neues Ahnen auf – weit vorauseilend den Jahren.

Dieser eine Winter hatte mehr an ihm gethan als sonst Jahre thun, die im Alltagsschritte an fröhlichen Knaben vorübergehen. Harte Erfahrungen führen den Mann rascherem Altern, und den Knaben rascherer Entwicklung zu. Der Körper bewegt sich nur so lange in jener planlosen, tollenden Ungebundenheit, die wir Kindeslust nennen, als er von dem Geiste noch nicht gebändigt wird. Ist dieser durch Zeit, Zucht oder Erfahrung kräftig genug, den Körper zu beherrschen, ist es der feste Wille, der das Wort führt, dann geht die Mannheit an. Auch bei Mädchen, deren inneres Leben noch weit empfindlicher ist, wirkt heißer Schmerz wie die Gluth der südlichen Zonen – saugt den Thau der Kindheit auf, entwickelt im Herzen frühzeitig die Ahnung der Jungfrau. Erlefried sann und brütete; nun hörte er den Gesang der Vögel.

Ihr seid lustig, so dachte er, ja, wenn ich wüßte, was ihr euch so viel zu sagen habt! Meine Mutter hat mir wohl erzählt von dem Drachen, dessen Fleisch man berühren muß, um den Gesang der Vögel zu verstehen. Aber der Drache ist ein Ungeheuer und will Jeden, der ihm in die Nähe kommt, verschlingen.

Gemach, Junge, noch ist jener Drache nicht in deiner Nähe, mit dem die germanische Mythe die sinnliche Leidenschaft gemeint hat, und die Vögelein im Gezweige sind vielleicht verwunschene Engel und erzählen sich, wie sie eben vom Himmel geflogen kämen. Dort war heute ein großes Fest. Eine Dulderin, eine liebgetreue Gattin und Mutter, noch in der Jugend Jahren, angethan mit schneeweißem Kleide, ist in den Himmel gezogen. Alle Glockenblumen haben geläutet im himmlischen Garten und der Erzengel hat die Einziehende erwartet an der goldenen Pforte und hat sie zwischen den Jungfrauen und Blutzeugen hindurch zu Maria der himmlischen Königin geführt. Diese hat sie umhalst, hat sie geküßt, hat ihr einen Kranz von Rosen auf das Haupt gelegt, hat ihr den lieblichsten Platz angewiesen zu ihren Füßen.

Wo solche Mär im kindlichen Haupt widerspielt, da singen leicht die Vögelein das nämliche Lied. – Ein Rehbock war’s , der ihn aus seinen Träumen weckte. Das Thier stand zwischen dem Gestämme und schaute auf den Knaben, der jetzt doch wieder Kind war.

»Warum läufst du nicht davon?« rief ihm Erlefried fast drohend zu. »Siehst du nicht, daß ein Mann hier steht, der dich todtschießen könnte?«

Das Thier trabte mit seinem hochgehobenen Haupte noch einige Schritte näher; wie herausfordernd winkte es mit seinem Geweih.

»Geh!« sagte der Knabe und hob die Hand, »ich thue dir ja nichts. Heute wollen wir gut sein aufeinander. Siehe, meine Mutter ist gestorben ...«

Plötzlich wendete sich der Bock und lief durch das knisternde Gestrüppe rasch davon. – Hingegen nahte ein Anderes, welches das Thier verscheucht zu haben schien.

Sela kam herangeschlichen, das kleine Mädchen, das schöne Mädchen. Sie war aber gar nicht mehr klein, sie war nur schön, und an diesem erkannte sie Erlefried wieder.

»Erlefried,« rief ihm das Kind entgegen. Er hörte es, er sah sie an, aber er wußte nichts zu antworten.

»Erlefried,« wiederholte das Mädchen und war schon ganz nahe an ihm. »Du hast einmal gesagt, wenn ich Dich wolle, so soll ich Dich rufen. Nun will ich Dich.«

»Soll ich Dich über das Wasser tragen? Nun, da bin ich,« sagte Erlefried und sah in das frische Angesicht Sela’s.

»Ich will Dich nur sehen, Erlefried, dann gehe ich wieder. Ja, ich geh’ schon wieder.«

»Magst Du Violen?« fragte er und hielt ihr den Strauß der Veilchen hin.

Sie nahm den Strauß und sah in das Angesicht Erlefried’s und überlegte bei sich, wie sie es nur angehen solle, ihn zu zerstreuen, zu erheitern, heute, da sie seine Mutter begraben hatten.

»Bist Du also nicht auf dem Hirschen geritten?« fragte sie.

»Ich auf dem Hirschen? Auf welchem?«

»Wie Du jetzt so dastehst – möchte ich es glauben. Was Du trotzig geworden bist, Erlefried! Der Hirsch ist tiefnächtig im Kraut gelegen und hat geschlafen. Du schauest ihn zuerst nur so an, gehst um ihn herum, betrachtest sein Geweih. Er legt den Kopf an seinen Leib hin. Die giebst nicht nach, streichelst ihn, setzest Dich auf das Thier. Ja, ja, Erlefried, ich habe alles ganz genau gesehen. Der Hirsch rührt sich gar nicht. Du nimmst ihn beim Geweih und schlägst mit den Fersten an seine Seiten – nachher springt er auf. Springt auf und mit Dir davon. Du lachst, ist ein lustiges Reiten, und der Hirsch hebt zu laufen an hinein in den Wald. Mir wird angst und bang; Du haltest Dich fest ans Geweih und lachst noch immer und rufst um Hilfe. Du reitest durch den ganzen Tärn, Du reitest in die Trasankfelsen hinauf. Ich seh’ alles und hör’ alles und kann mich nicht rühren, und vom Trasank springt der Hirsch über die Wildwiesen ins Trawies herab, just gegen die Wand, wo sie die heilige Dreifaltigkeit ins Wasser geworfen haben – jetzt bin ich Dir auf einmal munter geworden.«

Wie lebhaft sie das erzählt hatte!

»Geträumt hast Du von mir?«

»Ja, in der heutigen Nacht. Jetzt hab’ kein Gut thun mögen, bis ich gesehen hab’, daß Du da bist und alles nicht wahr ist. Ja die Violen nehm’ ich schon, und gieb Achtung, Erlefried und reite auf keinem Hirschen.«

»Sela!« sagte er.

»Aber eine große Stimme hast bekommen.«

»Sela,« sagte er, »ich möchte wissen, ob Dein Vater in seinem Haus so Einen brauchen kunnt’?«

»Was für Einen?«

»Ich kann schon Holz spalten, Sela!«

»Das ist wohl brav.«

»Kann große Scheiter tragen, und Reisig hacken. Die Kühe füttern, wassern und melken, das kann ich auch. Das Baumsägen ist leicht gelernt. Bretter hobeln kann ich schon lang. Ihr werdet vielleicht Kräuter sammeln und Wurzeln stechen, das kann ich gut. Dein Vater soll mich nur nehmen.«

»Mein Vater hat gesagt, daß ich beim Bart bleiben werde. Ich will nicht beim Bart bleiben, und weil meine Mutter gestorben ist, so kann ich hingehen wohin ich will!«

Das Mädchen sah, wie der Junge zornig war, und fragte, was ihm der Bart zu leide gethan habe.

»Ich bin kein Knabe!« knirschte Erlefried, und die Stimme wollte ihm versagen, »sie haben mich meine Mutter nicht das letztemal schauen lassen.«

»Sei froh, wenn Du sie nicht das letztemal gesehen hast,« versetzte das Mädchen, »mein Vater hat es uns gesagt, und daß Du deswegen so betrübt gewesen wärest. So bin ich geschwind hinaufgegangen. Aber Du bist zornig, und so gehe ich geschwind wieder hinab.«

»Sela, Du muß bei mir bleiben.«

»Und Du mußt es mir nicht für Übel halten, Erlefried, es ist aber nicht recht, was Du thun willst. Der Bart hat es viel gut mit Deiner Mutter gemeint und Du wolltest jetzt davongehen und in den wilden Wald hinein? Das wäre so, wie auf dem Hirschen.«

»Du hast leicht reden,« entgegnete nun zögernd Erlefried, »Du hast Dich selber bei Dir.«

»Du auch,« lachte das Mädchen.

»Mich freut es nicht. Jetzt weil die Mutter gestorben ist, möchte ich nur bei Dir sein.«

»Du kannst oft zu mir hinabgehen und ich werde oft zu Dir heraufgehen. Da auf der Höhe ist’s viel lustiger als unten im Graben. Mußt schön gut sein, Erlefried, und dankbar. Gelt, das wirst sein?«

»Dir zu Lieb’ blieb ich beim Bart,« sagte der Knabe, »aber Du mußt dafür alle Nacht von mir träumen.«

»Wo haben sie denn Deine Mutter hineingethan?« fragte jetzt Sela.

»Da,« sagte er leise.

»Wo?«

»Da, wo wir stehen. Hier unten liegt sie.«

Das Mädchen trat erschrocken einige Schritte zurück und legte die Hände zusammen und schaute auf den Boden hin.

Es betete. Als Erlefried das sah, faltete auch er seine Hände. Jetzt fiel ihm ein, auf Gräbern müsse man beten. – Und so standen sie eine Weile unbeweglich wie die Bäume, und ein junger Falter war da, der flog im Kreise über den beiden Menschen, die auf dem Grabe standen, auf segenloser Scholle, umlauert vom Verderben – und die jung waren und glücklich werden wollten.

 

Wahnfred war über den Bergrücken herausgegangen, den man die Höhe nennt, und von welchem man zur Linken die Aussicht ins Heidegelände und zur Rechten das Thal von Trawies und den Trasank hat. Im Hause des Freiwild wollte er zukehren, um zu sehen, ob die neuen Zustände auch hier so wenig zu verspüren wären, als im Hofe des Bart vom Tärn, wo die fleißige Arbeit und die alte Sitte noch fortging, wie sie bisher gegangen war. Aber das Haus des Freiwild war versperrt: auch in der Umgebung war kein Mensch zu bemerken. Im Stalle blökte ein Rind, die einzige Kunde, daß in diesem Hause doch noch Leute wohnten. Als Wahnfred forschend um den Hof herumging, war es, als wären da oben an der Giebelwand durch das Fensterlein ein paar menschliche Beine hereingezogen worden.

Wahnfred stand eine Weile da und horchte, aber er sah nichts mehr und hörte nichts, als das Blöken des hungrigen Rindes.

Endlich ging er von dannen. Aus einer bewaldeten Engschlucht drang ihm prickelnder Geruch entgegen, zwischen den Fichten schwebte Rauch; er stand vor der Schnapsbrennerei der alten Ursula, die eine Schwester des Freiwild war und hier eine armselige Hütte und einen armseligen Erwerb hatte.

Jetzt aber – so viel Wahnfred sah – schien der Erwerb gar nicht armselig zu sein. Fünf Kessel über rohem Ofenbau, mit Lehm dicht verschmiert, standen der Reihe nach unter den Bäumen hin, und aus jedem rieselte der helle Faden eines Brünnleins in einen Zuber. Vor einem solchen Zuber kauerte die Ursel, die in ihrem zerfaserten und verblaßten, halb weiblichen und halb männlichen Anzug selbst ganz lehmfarbig aussah, bis auf das stark geröthete Gesicht. Sie hielt jetzt den Finger unter eines der Brünnlein und führte ihn zur Zunge und prüfte die Güte des neuen Gebräues.

Wahnfred sprach sie an; sie erschrak vor ihm, dann fragte sie was er denn wolle.

»Ich will Dir nur zuschauen, Ursel.«

»Kennst mich? Du bist mir auch so – gesehen hab’ ich Dich oft, das weiß ich, nur weiß ich jetzt nicht, wo ich Dich geschwind hinthun soll.«

»Der Schreiner aus dem Gestade,« sagte er.

Sie richtete sich vor ihm auf. »Der bist!« und glotzte ihn an. »Du bist der Schreiner Wahnfred?! – Schau, das hätte ich Dir nicht angesehen.«

Er murmelte ein paar herbe Worte.

»Ja, der Schreiner,« fuhr sie fort, »der ist freilich nichts, aber daß Du so Pfarrherren niederschlagen kannst! – Ja wir wissen alles. Geh, lügst mich leicht doch an und bist ein Anderer.«

»Mich wundert, daß Deine Brennerei so groß geworden.«

»Gelt!« machte die Alte, und wie sie jetzt grinste, zeigte sie die breite, dicke Zunge zwischen den zahnlosen Kiefern. »Und wenn Du wahrhaftig der Wahnfred bist – aber mein’ Seel’, was ich mir diesen Menschen anders hab’ vorgestellt! Wenn Du es halt doch bist, so muß ich mich nur bei Dir bedanken, daß mein Geschäft so gut geht. Seit die Granitz (Grenze) gesperrt ist und sie keinen Wein ins Trawies lassen, trinken die Leut’ allerweg Schnaps. Ist auch viel gescheiter. – Du, wart’ mir doch einen kurzen Rand (kurze Zeit),« sie hastete in die nahe Hütte und kam recht bald mit einem Plutzer und einem thönernen Töpfchen zurück, welch letzteres sie aus dem ersteren füllte: »Eins mußt mir auskosten, Schreiner! ‘s ist mein schneidigster, den ich hab’. Daß aber nicht einmal eine Bank zum Niedersetzen da ist! Thät’ Dich frei bitten, Schreiner, wenn Du einmal einen Tag Zeit hättest – etliche Bänk’ und ein paar Tisch’ möcht ich haben, da auf dem Anger. ‘s kommen alleweil Leut’ und ‘s hat bisweil hell kein en Schick, daß sie so auf dem Rasen müssen herumhocken.«

»Was kommen denn für Leut’?«

»Närrisch, es kommen den Laster (die Menge)! Manns- und Weibsbilder. Sie thun im Wald umeinand’. Ich schenk’ mein Tröpfel und kümmere mich nicht weiter. Sollen lustig sein – jetzt ist’s eh schon alleseins.«

Nun fragte der Wahnfred: »Dein Bruder, der Freiwild, will denn der dies Jahr nichts anbauen?«

»Wesweg fragst?«

»Weil ich auf seinem Feld keinen Menschen gesehen hab’. Das Haus ist auch versperrt.«

»Je, das glaub’ ich. Sind ja jetzt all’ närrisch worden, die Leut’! Keiner baut was an. Thät’ eh nichts mehr wachsen auf der Trawieser Erden, sagen sie – und ‘s wird auch nicht viel ander sein. Hast Du die Winterfrucht gesehen auf der Kirchleuten? Nicht? Na, da wirst Dir genug sehen. Kein einziges Halmel geht auf. Und geht eins auf, so ist’s im zweiten Tag schon welk. Da wär’ der Mensch ein Narr, wenn er noch sein letztes Korn wollt’ in die Erden werfen!«

»Was machen denn aber die Leute?« fragte Wahnfred nicht ohne Erregung.

»Na, fürcht’ Dich nicht, daß sie sich die Zeit nicht vertreiben! Wenn mein heiß’ Tröpfel da nicht wär’, ja dann kunnst fragen. Packt’s Dich denn nicht auch immer einmal an?«

»Was denn?«

»Steigt sie Dir denn nicht auch immer einmal auf, die Grauswurzen, von wegen dem, daß wir für Zeit und Ewigkeit hin sind? Gelt schau! und wenn’s Dich anpackt – trinkst nicht?«

»Der Herrgott hüte mich!«

»Der Herrgott?« grinste die Alte, »der dreifältige Herrgott, den sie uns unten in der Trach ertränkt haben? Schau, just deswegen müssen wir unsere armen Seelen auch ertränken. Trink das, Schreiner, ich füll Dir nach.«

»Geh weg mit Deinem Gesöff!« sprach Wahnfred und warf ihr das Krüglein vor die Füße. »Weißt Du, wie die Giftmischerinnen im alten Testament bestraft worden sind?«

»Ja so,« entgegnete die Ursel bissig, »weil du kein Christ mehr sein kannst, willst leicht ein Jud’ sein!«

»Tausendmal besser, als wie ein gottloses Thier dahinleben. Der starke jüdische Gott mit der Ruthen, Freiwildin, der ist für uns gut genug!«

Jetzt schritt vom Berghang nieder die halb zerfetzte und zerfahrene Gestalt des Stromers Roderich. Er schrie mit seiner heiseren Stimme schon von weitem nach Branntwein. Als er den Wahnfred sah, schlug er die Hände zusammen, stürzte dann auf ihn zu und schrie: »Der Schreiner! Der Retter! O Du Heldenmann, komm an mein Herz!« und wollte ihn umarmen. Wahnfred schob ihn ernst zurück.

»Fang’ Du nur mit Dem was an, Roder, das ist ein Sauerampfer,« so sagte die giftige Ursel zum Stromer.

»Bei Dir, das glaub’ ich,« rief dieser, »im Trawieser Wirthshaus bei den Jüngeren macht er ein anderes Gesicht, das weiß ich gewiß. Wahnfred! Sieger! Drachentödter! Na, da stehst Du ja! So sag’ aber, in welchem hohlen Eichenbaum bist denn begraben gelegen über den Winter, daß doch so umsonst gesucht haben?«

»Wer hat mich gesucht?«

»Wir Trawieser Bürger,« sagte der Stromer und richtete sich in seinen Lumpen so hoch auf, als es sein verkümmerter Körperbau nur erlauben wollte. »Und weißt Du auch, Schreiner, der Dich bringt, ist für den Tag gastfrei, so hat’s der Rath schon zu Lichtmeß beschlossen.«

»Ich möchte wohl wissen, welcher Rath über mich was zu beschließen hat?« bemerkte Wahnfred.

»Das wirst schon sehen, Held! Komm nur erst mit. Heut’ geb’ ich Dir kein Geld, Alte. Heut’ zech’ ich anderswo! Komm Schreiner. Eh, so geh mit und wart’ nicht erst auf einen goldenen Wagen. Im Trawieser Reich ist jetzt alles gleich, und mußt nur sehen, Bruder, was seit letztvergangenem Advent bei uns lustig geworden ist. Willst noch was trinken, so trink; ansonst aber komm!«

Wahnfred war daran, die Kameradschaft entschieden abzulehnen; doch besann er sich. Sein Weg führte ja nach Trawies; wenn er nun mit dem redseligen Stromer ging, so konnte er gleich unterwegs Unterricht nehmen über die neuen Zustände seines Heimatsortes. Und so gingen die beiden Männer mitsammen. Indeß erfuhr Wahnfred auf diesem Wege nichts Anderes, als daß der Stromer heiterster Laune war.

»Jetzt mein Bruder,« rief dieser und legte seinen Arm über die Schulter des Schreiners, »jetzt ist sie einmal da, die Zeit, wo Keinem hart geschieht. Ein Winter ist schon vorbei und im Sommer wird’s noch lustiger werden. Nur Eins fürchte ich, daß die Wacht wieder aufgelassen werden kunnt an der Granitz; geschieht das, so ist auf ja und nein alles Übel wieder in Trawies. Mußt nicht glauben, Schreiner, es gehe so leicht! Es giebt viele verblendete Leut’. Die Sandhockin will Buß’ wirken, daß doch dir Kirchen wieder sollt’ aufgesperrt; die Kofelarztin will Buß’ wirken, der Schmied-Paul will Buß’ wirken, daß der Bann wieder sollt’ gelöst werden. Das sind Leut’, die das Wohlsein nicht vertragen können. Wahnfred, wir werden zu thun haben, daß wir auf unserem Fuß bleiben jetzund. Etlich’ Altbauern sind auch noch, die von der neuen Gemein’ nichts wissen wollen. Na, weil wir nur Dich haben, Bruder, jetzt werden wir schon Ordnung machen.«

Und der Stromer legte sich, als sie in Trawies einzogen, recht eng in den Arm seines Begleiters; es that ihm nur leid, daß es schon Finster wurde und die Leut’ nicht sehen sollten, was er heute für einen Genossen hatte. Sie hätten einmal nachsinnen sollen, ob nicht am Ende auch der Roderich dazumal im Advent hinter dem Spiele gewesen sein konnte, weil er mit dem Schreiner so gut Freund ist.

Wahnfred that einen kurzen Blick gegen die Kirche hin, welche durch die Dunkelheit von der Anhöhe schimmerte. Im Wirthshause, auf das die Beiden zugingen, waren alle Fenster beleuchtet. Die Stuben waren voll lärmender Zecher. Der Stromer stieß mit dem Fuß die halb angelehnte Thür auf und zerrte seinen Begleiter mitten ins Gewühle.

»Schaut’s auf, Leut’, schaut’s auf, wen ich da bring’!« so rief er.

»Wahnfred!« schrien sie dem neuen Gast jubelnd entgegen, »Du Himmel-Herrgotts-Mensch, wo streifst denn so lang um und läßt uns allein? Schreiner! Du sakrischer Trawieser Heiland, Du! Na, wie schaust denn aus!«

Von allen Seiten klatschten Willkommschläge auf seine Achseln, und Aller Hände drängten sich stoßend heran, um die seinen zu schütteln. Wahnfred konnte bei der vor Qualm verschleierten Talgkerze kaum eines der ihm zugrinsenden Gesichter erkennen. Es waren halbverkommene, bärtige Gesellen, zu sehen, als wäre Jeder eben wie er selbst aus einer Hochwildnis gekommen. Kohlenbrenner, Holzer, Bauernknechte, Wilderer, Bergknappen, Kräutersammler u. s. w. hatten ihre Arbeitsposten verlassen, hatten genommen, was sie gefunden, hatten, weil ihrer die große Mehrzahl war, sich die Herrschaft angemaßt und waren nun die Freien und die Bürger von Trawies. Alsbald war auch das Hausirervolk und alles Gesindel von der Straße mit ihnen und sie hatten sich zur steten Kräftigung der »Gemein« mit diesem Volke verbunden. Es waren aus den Hochwäldern Leute hervorgekommen, denen man auf entlegenen Pfaden niemals gern begegnet wäre; sie wurden aufgenommen in den neuen Verband, dem vor Allem daran gelegen sein mußte, aus gleichgesinnten Elementen gebildet, sobald as möglich groß und stark zu werden. Gleichgesinnte Elemente waren auch jene Gesellen, die draußen irgendwo der Kette oder dem Galgen entlaufen waren und sich nach Trawies geflüchtet hatten, so daß aus diesem Exile ein Asyl der Verbrecher werden wollte.

Der Haufe ging von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte, und wer sich nicht anschloß, der lief Gefahr, seine Habe und sein Leben zu verlieren. Im Wirthshause hielten sie Hof, im Wirthshause tagten ihre Berathungen, die nicht selten mit Streit und Gewaltthätigkeiten, öfter aber noch mit tollen Gelagen endeten. So lange Geld da war und gangbar von Hand zu Hand flog, wickelten sich die Geschäfte ziemlich regelmäßig ab, denn »das einand mit Gewalt etwelches wegnehmen ist nicht verstattet«, hieß es in einem damaligen Beschluß der »Gemein«. Als sich jedoch der Wirth und der Krämer weigerten, Geld anzunehmen, weil sie die Münzen nicht abfließen zu lassen vermochten, drohte ein Aufstand, bis man sich zur Noth darin einigte, daß die Vorräthe der Trawieser Häuser herbeigeschafft und gleichmäßig an die Leute vertheilt werden sollten. Die Ursel in der Freiwildhütte war die einzige Person, welche noch Schinderlinge nahm, denn sie hatte noch nicht in Erfahrung gebracht, daß die Münzen keinen Anwerth mehr hatten, da sie die Dinger nicht ausgab, sondern in einen alten Topf zusammenthat und in die Erde grub. Und so war es eingerichtet, daß man zu Trawies um Bargeld nur Schnaps und nichts als Schnaps bekam.

De gemäß war im Wirthshause die Stimmung, als Wahnfred eintrat. Auch Weiber waren in der Gesellschaft, je zwischen zwei Männern eines oder zweie, Alle Gluth in den Wangen, Viele auch noch Gluth in den Augen. Sie schauten gar unbefangen auf den schönen, schlanken Mann mit dem blassen Antlitze. Alles war auf. Sie hielten ihm Branntwein zu, sie tranken johlend auf den Befreier von Trawies.

»Jetzt bist unser,« riefen sie, »jetzt bleibst unser! Wir brauchen Einen, der so ist wie Du. Was bist denn so blaß, wie ein steinerner Heiliger? Wirst doch nicht glauben, wir verschergen Dich?«

»Da schau, das ist Deine Axt von der Sacristei, die wir in Ehren halten! Ist uns lieber als das Christuskreuz!«

Wahnfred schauerte zurück vor dem rostigen Werkzeuge, vor dem harten Stahl, aus welchem der Funke gesprungen war, der in seiner Seele brannte wie höllisches Feuer, der einen unheilvollen Brand entfacht hatte in den Gemüthern zu Trawies. Im Herzen des Mannes war noch die Betrübnis vom Grabe her, er konnte kaum zu Worte kommen. Am liebsten wollte er nach dem, was er heute sah und hörte, fliehen, so weit ihn die Füße trugen. Nun dachte er aber an das Gelöbnis vor dem Sterbebette und an den Entschluß, mit Trawies zu siegen oder zu fallen.

»Ich grüß’ Euch, Leute,« sagte er, »und wenn Ihr mir vertraut, so wird unser Zusammenbleiben ersprießlich sein.«

Heller Jubel brach jetzt los, sie zogen den Schreiner zum vordersten Tisch! »Trink Brennwasser, Bruder! Du stehst nicht so auf, wie Du Dich hingesetzt hast, merk’, was wir gesagt haben!«

Ein Weib, die Frau des Freiwild war’s, lief jetzt zur Thür herein und fragte nach ihrem Manne. Beim Ofentische stand derselbe auf und fragte seine Hausgenossin, ob sie wieder da sei um ein Merks, wie letzthin?

Erschrocken fuhr sie mit der Hand an die Wange. »Nein, nein,« sagte sie kleinmüthig, »kannst sitzen bleiben und trinken, so lange Du willst; will Dir nur die Post bringen, daß wir ausgeraubt sind worden heute Nachmittag. Speck und Fleisch und Leinwand ist weg, und die groß’ Truhen ist erbrochen und Deine neuen Stiefel sind hin.«

Der Freiwild sprang auf den Tisch und rief: »Ausgeraubt bin ich, Trawieser Rath, ausgeraubt bin ich worden!«

»Durch das Oberfenster muß er hineingekrochen sein, der Dieb,« fuhr das Weib fort, »man sieht an der Wand die Kratzer von den Schuhnägeln.«

»Ausgeraubt bin ich worden!« schrie der Freiwild.

»Es muß wo so ein verhöllt’ Gesindel umstreichen,« sagte jetzt der Stromer Roderich zum Wahnfred gewandt, »alle Augenblicke hört man vom Stehlen und Rauben.«

»Kunnt’s nicht sein, daß Du den Dieb heute gesehen hättest?« fragte ihn der Wahnfred.

»Wesweg? Wie meinst das?« entgegnete der Stromer lauernd.

»Weil Du voreh vom Freiwildhaus herabgekommen bist, da wir uns nachher bei der Branntweinerin getroffen haben.«

Ein Anderer stellte sich vor den Freiwild und sprach: »Hast denn Du noch Fleisch und Speck im Hause gehabt? Hast nächst’ Wochen, wie wir zu Dir gekommen sind, um Vorrath zu sammeln, nicht gesagt, in Deinem Haus wär’ alles gar geworden und Du thätest selber Hunger leiden? Hörst, Schurkel, Dich soll man peitschen, Du betrügst die Gemein’!«

»Was, die Gemein’!« zischelte der Freiwild im Lärme dem Sprecher zu, »Du hast Zorn, weil es Dir ist zu Schaden gewesen. Du lieferst nur das Magere ab an die Gemein’. Soll ich’s laut sagen, wo Du die fetten Stücke versteckst?«

»Sag’s nicht, wir theilen,« raunte Jener dem Freiwild ins Ohr; dieser aber entgegnete:

»Wir haben schon getheilt, mein Lieber. In der Roßhöhlen, wo Du Deinen Raub zusammenschleppest, habe ich Speck und Fleisch gefunden, das mir heut’ gestohlen worden ist.«

Jetzt trat ein kleines Männlein vor, der Holzer Stom aus dem Trasankthale; man sah ihn gar nicht, er schlüpfte und rieb sich zwischen den Knochen der Anderen herum, aber man hörte seine schrille, gellende Stimme.

»Will was reden!« schrie er.

»Still sein, der Stom will reden,« rief es allerwärts.

Da stand der Kleine schon auf dem Stuhl und sprach: »Leut’! Wenn es so fort geht in Trawies, so kann’s nicht halten. Alleweil stehlen und rauben thun die Löter! Uns selbst ausplündern, das ist eine Schand’. Daß sich der brauch aber bald aufhören wird, weil wir Keiner mehr was zu stehlen und zu rauben finden werden in der Gemein’, das ist noch eine größere Schand’. Arbeiten!«

»Arbeiten mögen wir nicht!« schrie Einer entgegen.

»Hilft auch nichts,« fuhr der Stom fort, »ist kein Segen dabei, der Himmel ist vernagelt. Von draußen herein kriegen wir nichts. Das Thier im Walde ist auch so gescheit und lauft uns nicht mehr über die Granitz herein. Uns selber auffressen?«

Ein Gebrumm der Mißbilligung.

»Mit Dir wär’ Einer bald fertig,« verspottete der Stromer den kleinen Redner.

»Du Schielender Umherlaufer!« schrie der Redner, »ich denk’, mit Dir hab’ ich auch nicht lang’ zu thun. Du füllst Deinen Magen und legst Dich auf die faul’ Haut und machst Deine rostigen Späß’, wenn Einer was Ernsthaftes sagt. Du bist ein nichtsnutziger Schmarotzer, wenn nicht noch was Anderes. Hinaus! hinaus gehst!«

Mehrere Arme packten den Stromer und zerrten ihn, während dieser fortwährend schrie: »Ist das der Dank! Ist das der Dank dafür, daß ich den Schreiner hab’ gebracht?« zur Thür hinaus. Vielleicht war das sein Glück; Wahnfred hatte den Roderich eben ins Verhör nehmen wollen, was er eigentlich an diesem Nachmittage beim Freiwildhause zu thun gehabt habe, und seine Schuhe untersuchen, ob sie an der Wand Kratzer hinterlassen konnten und ob sie Ähnlichkeit hätten mit jenen, die er bei seinem Vorübergehen zum Fenster hineinschlüpfen gesehen zu haben glaubte.

Der Holzer Stom fuhr aber in seiner Rede fort: »Weil das Arbeiten nichts nutzt und das Sichselberfressen nichts taugt, alsdann so sage ich: Wenn wir nicht wollen hin sein, so müssen wir uns zusammenthun, daß wir eine Schaar sind und keck hinausfahren zu den Herrenhäusern und zu den Meierhöfen und uns das Recht und die Lebensmittel nehmen, wo wir sie finden.«

»Eine Räuberbande?« versetzte Wahnfred und hielt sein Haupt hin, als glaube er, nicht recht verstanden zu haben.

»Von einer Räuberbande habe ich nichts gesagt.« fuhr der Redner fort. »Wenn die Ungarn und die Türken einfallen und Häuser und Schlösser niederbrennen, so heißt man das anders. Wenn die Schweden kommen und die Kaiserlichen selber die Höfe ausplündern, und der Salzburger Bischof Aschermittwoch hält das ganze Jahr, weil er Burgen und Dörfer zu Aschen brennt – wer wird denn da Räuberbande sagen? – Trawies ist auch eigenständig geworden jetzund. Trawies hat streitbare Männer. Und wenn uns die da draußen Krieg erklärt haben, werden wir uns feiglings verkriechen, wie der Luchs ins Loch? Giebt’s nicht Löwen in der Wildniß? Und sehen wir auf unserem alten Kirchenthor nicht den Löwenkopf eingemeißelt? Jetzt wird’s aufkommen, was der Löw’ bedeutet zu Trawies. Männer! Einen Feldzug wollen wir halten!«

»Feldzug! Landkrieg! Herrenerschlagen!« Diese Worte wurden nun wild durcheinander gerufen; Einzelne griffen schon zu den Knütteln, zu den Messern, als gelte es zur Stunde. Die Weiber sprangen auf und thaten krächzend dar, sie blieben nicht daheim, sie zögen mit Sensen und Streugabeln und Kohlenhaken aus, und gierig zuckten schon ihre scharf benagelten Finger. Der Stom blinzelte und lächelte vergnügt, als er die Wirkung seiner Rede sah.

»Das geht schon gut,« schmunzelte er, »aber vorerst muß ein Feldherr gewählt werden. Der braucht keine Riese zu sein an Leibesgestalt, aber im Kopf muß er’s haben und heiß muß er dreingehen, recht teufelmäßig scharf und nichts achten – g’rad hinfahren wie ein brüllender Löw’ – ich wollt’ ihm’s schon zeigen!«

Allsogleich schickten sie sich an zur Wahl. Und wäre es auch nicht für ein Ausbrechen aus Trawies, meinten die besonneneren, ein Oberhaupt müsse für jeden Fall sein. Ob das Oberhaupt an Leibesgestalt groß oder klein sei, an dem sei allerdings nicht viel gelegen; auch das, ob derselbe das Maul gut brauchen könne oder nicht, sei Nebensache; hausgesessen dürfe er aber nicht sein, das Los der freien, gleichen Bürger müsse das seine sein, daß er nicht etwa zurückneige zu altverrosteten Einrichtungen, die das alte Übel wieder herbeiführen könnten. Und einen festen Kopf müsse er haben und eine sichere Hand, sei es mit dem Werkzeug oder sei es mit der Waffe, und den Beweis müsse er geliefert haben, daß ihm die Gemein’ über Alles gehe, auch über sich selber. Es sei nur Einer im Haus, von dem man das sagen könne, auf den ein Vertrau wäre, und der es für Ehren- und Pflichtsache halten müsse, die Wahl anzunehmen.

Da verneigte sich der kleine Stom und er sagte, es freue ihn, er mache sich eine Ehr’ daraus und halte es für seine vorderste Pflicht, der Gemein’ zu Nutze zu sein.

Jene aber wiederholten, es gebe nur Einen im Hause, den sie zur Wahl vorschlagen könnten, und das wäre der tapfere Befreier der Gemeinde Trawies aus Knechtsbanden, es wäre der thatkräftige Mann – der Schreiner Wahnfred.

Jetzt war ein entfesseltes Geschrei:

»Wahnfred soll unser Oberhaupt sein, unser Feldherr, unser Führer und König!« Die Weiber schrien noch am heftigsten und Jede gab ihm zwei Stimmen, die eine dem Bürger, die andere dem Manne.

Mittlerweile hatte Wahnfred seine stets wieder aufsteigende Entrüstung nach Kräften niedergekämpft; Unmuth und Zorn erfüllten seine Seele. War das wirklich Trawies? Er war gekommen in der Absicht, das mit kirchlichem Fluche belegte und vom Staate verlassene Völklein zu hüten, zu beruhigen, wieder besseren Bahnen zuzuführen. Und nun sollte er dieser Bande von herabgekommenen rohen Gesellen und Dirnen Oberhaupt sein? Andererseits war es ihm klar, daß er nur auf diesem Wege, auf den sie ihn drängten, Einfluß und Macht über die gesetzlose Rotte gewinnen könne. Wo nichts zu verlieren und alles zu gewinnen ist, kommt Wahnfred leicht zum Entschlusse. Er steht auf, stemmt seine Faust auf den Tisch und mit trüber Stimme – aber sie wird allwärts vernommen – sagt er:

»Wenn ich die Wahl annehme, so fordere ich Eins!«

»Fordere, was Du willst!« riefen sie.

»Ich fordere Gehorsam.«

»Gehorsam fordert er!« schreit der Holzer Stom, »da seht: er, der den Tyrann hat erschlagen, will es nun selber sein.«

»‘s ist Einer gegen mich,« sagte der Wahnfred. Den Stom stießen sie mit Fäusten, den Schreiner beschworen sie, daß er ihr Vormann sei.

»Die Freiheit,« so redete nun Wahnfred, »kann nur sein, wo Ordnung ist und das Gesetz. Dieser mein Arm, er ist Euer, er soll Euch führen. Ihr kennt ihn. Als er sich erhob mit der Axt, es war zu Eurem Wohl und was er fürder thun wird, es soll zu Eurem Wohl sein. Trawieser Leut’! Gelobt Ihr mir Gehorsam, so bin ich Euer Mann!«

»Gehorsam, Gehorsam dem Hauptmann von Trawies!« so hallte und schallte es im Hause; die Weiber schrien wieder am lautesten. Die paar Unzufriedenen hatten sich davongemacht.

Wahnfred erfaßte mit herbem Faustgriff die schwere Axt und stemmte sie auf den Tisch, daß ihre Spitze sich tief ins Holz grub. Sein Auge blickte finster in die Runde, da lief das Geschrei in ein Gemurmel aus und dieses löste sich in Schweigen. Wonniger Schauer des Beherrschtseins durchrieselte die Knechteseelen.

Wenige Wochen, nachdem Wahnfred die Führerschaft über die Einwohner der Waldgegend übernommen hatte und es ihm mit allem Aufwande seiner Schlauheit und Kraft gelang, die Menschen insofern im Zaum zu halten, daß sie sich einstweilen nicht gegenseitig schädigten, wurden die Gemüther durch eine seltsame Erscheinung aufgeregt. Gegen Ende Mai war’s so erzählt die Schrift, in einer schwülen, fast sternlosen Nacht, als vom Sonnenaufgang her über den Waldzügen des Tärn am Himmel ein feuriges Kreuz emporstieg. Es war mit seinen beiden Armen ungeheuer groß und flammte in mattem Roth, als lodere es in einem Nebelschleier. Die Enden zuckten sachte auf und nieder, so stand es in gespenstiger Ruhe wohl gegen eine halbe Stunde, bis es allmählich erblaßte und verlosch und wieder die schwarze Himmelsnacht lag über den Wäldern.

 

Die Furchtsamen hatten sich vor Angst in finstere Winkel verkrochen und dort noch ihr Antlitz mit Tüchern verhüllt, daß dieses Schreckliche nicht mehr in ihr Auge zu dringen vermochte. Die Kühnen waren dagestanden und hatten ernsten Gesichtes auf die Erscheinung hingeschaut; erst als sie schwand, lösten sich die Zungen und Einer sagte zum Anderen: »Was ist das gewesen?«

Wahnfred selbst, der im Hause des Feuerwart wohnen mußte und aus seinem Schlummer gerufen worden war, hatte innerlich vor dem Gesichte gezittert. Nun sagte er zu den aufgeregten Leuten Folgendes: »Danket Gott dem Herrn, Ihr Leute von Trawies; daß uns der Himmel seiner Zeichen und Drohungen würdigt, beweist, daß wir noch nicht verloren sind. Harte Menschen nahmen und zertrümmerten uns das Kreuz, der Himmel zeigt es uns wieder. Auch am Tage des Gerichtes wird das Kreuz in den Lüften erscheinen. Aber heute ist die Weißsagung nicht erfüllt, die Sterne leuchten noch am Himmel; eher meine ich, der Herr zeigt uns das Kreuz, wie man es einem Sterbenden hinhält. Wir haben Grund zu beben vor den Dingen, die da kommen werden. Wir sind Gotteslästerer, Müßiggänger, Diebe, Ehebrecher. Unsere Laster haben tausend Namen. In diesem Hause lebte ein braver Mann, der alt geworden war in der Liebe und Arbeit für Trawies – Ihr habt ihn verstoßen.«

Da fiel ihm Einer in die Rede:

»Wir haben ihn nicht verstoßen, weil er alt geworden ist in der Liebe und Arbeit für Trawies, wir haben ihn fortgewiesen, weil er sich in den neuen Brauch nicht hat fügen wollen.«

»Nennt mir diesen neuen Brauch!« rief Wahnfred. »Nicht? so nenne ich ihn: Gewalt und Zügellosigkeit! Doch sage ich Euch und schwöre es bei dem flammenden Kreuze am Himmel, es muß anders werden.«

»So mach es anders, wenn Du kannst,« antwortete ein Trotziger.

»Der Gallo Weißbucher, unser Vormann, soll wieder wohnen in seinem Hause.«

»Soll’s thun, wenn er eins hat.«

»Seht Euch vor! Das brennende Kreuz kann niederfallen vom Himmel auf Trawies!«

»Soll’s! Mehr als hin sein können wir nicht.«

In Manchem schienen sie seinen Weisungen zu folgen, doch waren sie nicht zu bewegen, in diesem Frühjahr zu ackern und zu säen. Auf verdammter Erde wachse nichts, war ihr Vorwand.

»Ist dieser Boden verflucht?« rief Wahnfred und wies auf das reich emporschießende Gekräute, auf den hellen Blumenflor der Matten, auf die blühenden Wildobstbäume, auf den in neuer Schöne prangenden jugendlichen Wald.

Wer sollte aber säen? die zusammengelaufene Rotte hatte weder Acker noch Samenkorn; und die so vielfach schon geplünderten Besitzer von grund und Boden sahen leicht voraus, wer zur Zeit der Reife für sie ernten würde. Die wenigen alten Ansäßler wollten es darauf ankommen lassen; war kein Brot mehr in Trawies, so würde sich das Gesindel schon wieder verlaufen. Wahnfred besaß an der Brandstätte seines Hauses im Gestade ein Äckerlein, dieses nützte er und bebaute es mit verschiedenem Gemüse. Der kleine Baumhackel arbeitete nicht.

Einen Tag nach der Nacht, da am Himmel das Kreuz erschienen war, ließ Wahnfred dem Feuerwart Nachricht geben, daß er wieder in seinen Hof an der Trach zurückkehren möge. Der Gallo ließ ihm sagen, er habe im Dürrbachgraben neben der Hütte sein Weib zur ewigen Ruhe gelegt, er wolle bei ihr verbleiben. Während aber der Bote aus gewesen, schlich ein Wicht in das hintere Gebäude des Hofes und wollte Feuer legen. Zufällig war Wahnfred in der Nähe, verscheuchte des Missethäter, gewann jedoch von Neuem die Überzeugung, wie gefährlich der Boden war, auf dem er stand, wie niederträchtig die »Gemeinde«, die ihm zum Oberhaupte gewählt hatte. Täglich kamen zerfahrene Strolche und raublustige Gesellen zu ihm, die ihn drängten, die streitbaren Männer von Trawies zu einer Schaar zu versammeln und einen Zug in die Vorlande zu unternehmen.

Wahnfred lehnte nicht ab, er durfte seinen allerdings zweifelhaften Einfluß auf die Menge und deren freilich ebenso zweifelhaftes Vertrauen zu ihm nicht ganz verscherzen. Er vertröstete sie auf eine dem Unternehmen günstigere Zeit und wies auf die militärischen Bewegungen, die im Lande herrschten und einen Ausfall der Waldleute nicht rathsam machten. Dabei sann der Schreiner Tag und Nacht auf Mittel, Ordnung und Sitte wieder herzustellen. Mit dem vertriebenen Vormann berieth er sich; dieser war krank und gebrochen und sagte: »Ihr habt drei Mittel: Entweder Ihr kriecht zum Kreuz und fleht die Kirche um Aufhebung des Interdictes an, oder Ihr wartet auf die Soldknechte, die Euch sprengen und vernichten werden, oder – Ihr thut es selber.«

Vom Gallo Weißbucher war das eins der letzten Worte, die er für Trawies sprach. Er zog sich zurück in sein armseliges Haus und war allein mit seinem Feuer und mit seiner Sela.

»Ja,« sagte er einmal, als er sein heranblühendes Kind betrachtete. »Du bleibst noch lange in dieser Welt, wie wird es Dir ergehen? Die Menschen sind wahnsinnig geworden. Es ist doch war, daß eine Bestie in ihnen steckt. Lange halten sie den Schild Gottes hoch und schauen zu ihm empor mit glänzenden Augen und wachsen himmelwärts. Eine heiße Freude in sie über das, wie hoch sie es gebracht. Und eines Tages ist das Anbild hingeschleudert, zerschlagen, zertreten: Stück um Stück werfen sie von sich, schänden den Tempel, stürzen das Gesetz, verbrennen ihr eigenes Wohnhaus, reißen sich die Kleider vom Leibe, wühlen mit allen Vieren in der Erde, wüster als Hyänen, denn Eins ist ihnen noch vom Menschen geblieben, haben sie dem Thiere voraus – das Laster. Je höher der Stand, von dem sie in den See springen, desto tiefer sinken sie zu Grunde. Aber getrost, mein Kind, die Fluth wirft sie wieder empor, von Neuem entdecken sie das Sonnenlicht, von Neuem beginnen sie sich aufzukämpfen durch Noth und Blut, sich ein Anbild zu machen, das erst nach ungemessenen Zeiten wieder in seiner einstige Größe vollendet steht. Glückselig der, welcher mit der jubelnden Menschheit auf solchen Höhen wandeln kann, der sterbend sein Geschlecht segnen darf, anstatt, wie ich, ihm und seiner selbst zu fluchen. – Ich kann Dich nicht segnen, meine Sela, aber wie ich das Ahnfeuer bewahre, so hüte ich Dir den Segen der Vorfahren, den Segen all Derjenigen, die aus Liebe für die kommende Menschheit gelitten und gestritten haben.«

Das Mädchen blickte den alten Mann verwundert an; es war ein seltsamer Klang in seinen Worten, ein seltsames Leuchten in seinen Augen.

Dann wieder versank er in sich selbst und murmelte, daß vom hohen Birstling eine Lawine, ein Fels niederfahren und den Eingang in den Dürrbachgraben verschütten möge. Er fürchtete sich vor den Feinden, die von außen den Strick und den Flammenring gezogen hatte; aber noch mehr graute ihm vor dem Ungeheuer, das in den Bergen aufstand und das Feuer wildester Leidenschaft entfachte um die preisgegebenen Herzen. Das war ein anderes Feuer, als jenes der Penaten, der heiligen Hertha, welches er vertheidigt und gehütet hatte. Dieser von ihm gehütete Funke, welcher vor vielen hundert, vielleicht vor tausend Jahren in einem Blitzstrahle etwa jenen alten Eichbaum verzehrt haben konnte, unter welchem die Germanen ihren Göttern geopfert hatten; dieser Funke, der dann die Seele der Vorfahren weiter trug von Geschlecht zu Geschlecht, ein still glühendes Vermächtnis, die Wände des Hauses sanft erwärmend, mild erhellend, aber stets bereit zu mächtigem Auflodern, sei es um zu läutern, sei es um Übles zu zerstören; dieser Funke, an welchem die Bewohner zu Trawies seit je ihre Freudenfeuer und ihre Trauerfackeln entzündet hatten, und der nun in der Hütte des Feuerwartes weiterglimmte: er war der Verbannte. Er war ein Fremdling geworden im neuen Reiche.

Der alte Weißbucher sah an seinem Herde und blickte in die Gluth. Da beklagte er nicht mehr den Verlust seines Hofes, er war hier daheim. An dieser Herdgluth erwärmte sich sein Herz bisweilen zu einem Gefühle von Genugthuung und Glückseligkeit. Wo auf dieser Welt ist ein Schöneres, ein Geheimnisvolleres, ein Milderes, ein Gewaltigeres, als das Feuer? Das Feuer macht alles lebendig, das Feuer soll nach heiliger Offenbarung einst alles zerstören.

Sela legte Strünke und Äste gestürzter Bäume auf den Herd zur steten Nahrung für dieses lebendige Wesen, das so uralt war und sich in jedem Augenblicke neu gebar. Im Knistern der Gluth schlummerte dann der alte Mann ein, aber sein Schlaf war ein ruheloser, immer wieder schreckte er auf, aus Angst, das Feuer könnte verlöschen.

Sela versicherte ihm unzähligemale in jeder Nacht, daß sie wachen würde.

»Dein Wille ist gut,« sagte der Feuerwart, »aber dein Leib ist schwach. Du bist jung, der helle Tag gießt so viel neues Leben in Deine Sinne, Du loderst wie dieses Feuer. Und wenn die Nacht ist, sinken Deine Augen zu und Deine Glieder hin, und Du bist schier ohne Leben und weißt nicht, was zu bewachen ist. Ich kann Dir zur nächtlichen Weile nicht vertrauen, Sela, Du meine arme, geliebte Sela!«

Und wenn sie dann wirklich schlief und auch ihn die Erschöpfung zu übermannen drohte, legte er viel Holz auf das Feuer, daß es in der Hütte der Schlucht oft um Mitternacht gar unheimlich leuchtete und prasselte, während die zwei Bewohner derselben schlummerten.

Einmal, als der Feuerwart wieder plötzlich aufzuckte, brannten die Querbalken, die als Stützen und zum Aufhängen von Kleidungstücken durch das Haus gezogen waren. Lustig hüpften die Flammen weiter und strebten dem Dache zu, als wollten sie aus so langer Haft endlich entfliehen. Aber der Feuerwart brach noch zu rechter Zeit die Brücke ab; er war aufgesprungen, hatte mit der Axt die Balken rasch entzwei gehackt, daß die Brände praßelnd niederbrachen auf den Lehmboden und dort an feuchter Erde rauchend verloschen.

»Wo hast Du denn hingewollt?« fragte der alte Weißbucher das Feuer. »Ich vermeine, Du willst der Trawieser Gegend entfliehen. Auf solche Weis’, dächte ich, wir gingen mitsammen. Oder willst Du einen Kampf mit dem Flammenring anheben? Wohlan, wohlan! Flieg’ aus, erfasse die Wälder des Tärn, des Ritscher, und schleudere die Brände auf Trawies. Ergreife, schmilz die Wände des Trasank und leite die Feuerbäche durch das Thal der Trach. Verschone auch nicht mein Haus, denn wir sind Mörder. Vernichte das Nest des Lasters, erlöse und von dem Fluch, den sie auf uns geworfen haben. Und wenn das geschehen ist, dann kehre wieder ein in die friedliche Wohnung besserer Menschen und trage den Segen der Alten hinüber in die fernsten Zeiten!«

Das erwachende Mädchen erschrak, als es den Vater verstört und mit wirren Haaren in der Hütte aufrecht stehen sah, mitten in Rauch und unter glühenden Kohlen – laut Worte sprechend, die es nicht verstand.

Die Stimme des Kindes befreite den Alten aus seiner Verzückung. Er schloß Sela in seine Arme und weinte.

So ging es eine Zeit fort. Der Feuerwart wurde hinfälliger von Tag zu Tag, Er mochte auch nicht mehr im Freien sein, das Licht des Himmels that seinem Auge weh und er fürchtete auch, es könne, während er da außen der Sonne nachgehe, daheim das ihm anvertraute Feuer verlöschen. So saß er stets am Herd und wachte und sann.

Er wußte, daß er sterben würde nach kurzer Zeit. Der Sühne hatte er sich willig ergeben, so fürchtete er sich nicht, der Tod war ihm ein Bekanntes und ein Trautes, eine Gnade Gottes, die Allen gemeinsam ist.

Nach dieser Welt des Unrechtes, der unruhe und der Leiden ist der Tod eines Jeden Anrecht; ein milder Erlöser, der wieder mit dem Leben versöhnt, weil er sein Unrecht gut macht, seine Unruhe aufhebt, sein Leiden endet. Der Tod giebt das, was wir von dem Leben verlangen; er ist das letzte Band, welches uns loslösend noch einmal mit der Menschheit verbindet, er ist die Pforte, wo wir mit stillem Lächeln Allen begegnen, die für oder wider uns waren auf Erden. Nach den goldenen Tagen der Glücklichen, welch ein schöneres Ende ist denkbar als der Schlummer! Nach dem kummervollen Dasein des Armen, was soll denn kommen zum Trost und zum Entgelte, als die tiefe Rast? Soll sich das Elend in Freude und Lust verwandeln, um wieder vor neuem Jammer zu zittern? Diese Erde ist ja so reich an Sonnenlicht und Freuden, aber erst der Hinblick auf den Tod giebt Allem die Weihe. Nur der Tod macht das Leben schön und das Leben macht den Tod gerechtfertigt. Die Natur widerstrebt freilich so lange sie kann; es ist ja ihre Schuldigkeit, zu leben. Die Schuldigkeit unserer Seele aber ist, den Leib, indem sie diese schöne Welt genossen hat, dankbar und willig hinzulegen zu seiner Ruh’. Unsere Vorfahren haben uns Platz gemacht, haben das, was sie auf Erden errungen, uns zum Erbe hinterlassen. Dasselbe leisten wir den Nachkommen, welche in junger Liebe heute wohl weinen werden um uns, die sie – lebten wir auch nur um fünfzig Jahre länger – von der Erde vertilgen müßten.

Ich bin’s so zufrieden. Bereut es mein Gott nicht, mir das irdische Licht auf eine Weile geliehen zu haben: ich habe mich nicht zu beklagen. –

So sann der Feuerwart oftmals; dann fiel sein Auge und sein Herz wieder auf Sela, auf das junge Leben, das da entsprosset neben dem morschen, zur Erde sinkenden Stamm, in das Sonnenlicht empor, in die Maienzeit hinein.

Sela läßt bisweilen das Auge länger ruhen auf des alten Mannes Angesicht, als sonst. Dieses Angesicht wird so fremd. Er fühlt es wohl, wie schlaff und leer seine Haut über den Knochen liegt. Ist es doch, als ob die Zeit der Knochen beginne. Die Augen sind tief in die Höhlen gesunken und nur selten lechzt ein Blick noch hervor nach anderem irdischen Lichte als dem Feuer seines Hauses. In seinem Herzen ist es noch warm und hell. Freundlich leuchtet ihm die Gluth von ihrem Herde zu. Dieses Feuer ist nicht thatlos vorübergegangen an den Tempeln fremder Lehren, es ist nicht vorübergegangen an den Zwingburgen der Unterdrücker. Doch hat es tausend- und abertausendmal im Frieden den häuslichen Herd erwärmt.

Immer und immer ist das sein Sinnen, das vom Feuer.

Bei seinem Scheine hat der Enkel des Großvaters Sagen gelauscht von Odin. Bei seinem Scheine hat der Bräutigam der Braut den Ring vertraut; an seiner Gluth ist das Hochzeitsmahl bereitet worden. In seiner Gluth haben sie das Schwert geschmiedet gegen den Feind. In seiner Gluth ist manches Stäubchen Gold und manches Menschenherz geläutert worden. Du liebes, trautes Feuer aus alten Zeiten, du treuer Freund meines Lebens, nun heische ich bald den letzten Dienst von Dir.

»Es ist eine Weile,« so sagte der Feuerwart einst zu seinem Kinde, »da sie den Menschen mit Steinen werfen und mit Füßen treten; und es ist eine Weile, da sie vor ihm niederknien und ihre Augen senken. Das erste thun sie, wenn er wandelt und athmet; das andere thun sie, wenn er ausgestreckt liegt auf dem Laden.«

Das Mädchen verstand es nicht. Er setzte noch bei »Möchtest Du es nie verstehen lernen!«

Und eines Abends, da der volle Mond zwischen den Felsen und über den Baumwipfeln vor derselben und hielt sein Kind auf dem Schoß.

»Meine Sela,« sagte er mit leiser Stimme, »Du hast mich lieb.«

Das Kind machte ein ernstes Gesicht und neigte den Kopf.

»Und wenn ich Dir heute etwas sage, was Du thun sollst, so wirst Du es thun?«

Das Mädchen neigte sein Haupt.

»Und wirst Du es auch morgen thun?«

»Ja, Vater.«

»Und wirst Du es immer thun, auch wenn ich es Dir nicht mehr sagen und wiederholen werde?«

»Was Du willst, das werde ich immer thun.«

»Dann, mein Kind, bist Du mir heute und immer lieb; auch dann noch, wenn ich es Dir nicht mehr sagen werde, daß Du mir lieb bist. Denn siehe, meine Sela, es wird eine Zeit sein, da werde ich schlafen. Als die Mutter schlafen ging, warst Du in Deinem Bett, ich habe Dich nicht wecken wollen. Gehe morgen und in den nächsten Tagen nicht viel in die Beeren hinaus. Bleibe hübsch bei mir und flicht. Wenn ich auf der Reisigbank sitze und schlummere, so horche auf mein Athmen. Ich werde schwer Athem holen, so wie es ein Erschöpfter thut, wenn er seine Last hat abgelegt. Dann, Kind, wenn Du diese Athemzüge wahrnimmst, dann zünde am Ahnfeuer die Kerze an, die in der Lade liegt, und gieb sie mir in die Hand. Und sage nichts, sei fein still, denn Du sollst mich nicht wecken. Die schweren Züge werden bald vorüber sein, dann werde ich ganz still und ruhig schlafen. Sollte ich, mein Kind, vor diesem Schlafe vergessen haben, meine Augen zu schließen, so lege Deine Fingerspitzen auf die Lider. Und ist das alles geschehen, so nimm das Kerzenlicht aus meiner Hand, thu’ es in die Laterne, die über dem Bett an der Wand hängt, und gehe damit aus dieser Hütte fort und hin in die Trawies, wo wir gewohnt haben und wo jetzt der Wahnfred sein Haus hat. Dem Wahnfred reiche das Licht und sage: ›Der Feuerwart übergiebt das Feuer.‹«

 

Zu jener Zeit, da der Schreiner Wahnfred nach Trawies zurückgekehrt und Gallo Weißbucher sich vorbereitet hatte auf sein Ende, verliert sich plötzlich auf lange der Faden der Ereignisse. Wohl windet sich aus der langen Zeit des Bannes die dunkle Tradition von Thaten und Geschehnissen, die durch ihre gleichartige Wildheit und Grauenhaftigkeit als zusammengehörig gekennzeichnet sind. Wir vermuthen durch dieselben, daß mit dem Banne, der auf Trawies gelegt worden, auch eine völlige Acht verbunden gewesen sein muß; wie wäre sonst die Verwirrung, wie wären die Greuel und Verbrechen und die gänzliche Hilflosigkeit und Verzweiflung erklärbar, die wir da finden?

Zu Oberkloster ruht eine Urkunde, welche von einem Walde spricht, aus dem keine Rückkehr ist. Die Verdorbenen und Verstoßenen, die Freundlosen, die Heimlosen, die Gottlosen gehen hin und werden nimmer gesehen. Denn es ist ein brennender Ring gezogen worden um jenen Wald, er ist umstrickt und verflucht. Jeder mag hineingehen, Keiner kann heraus. Eine Mär geht: drinnen ist das Paradies; eine andere Mär geht: drinnen ist die Hölle.

Dieser Bericht bezieht sich wahrscheinlich auf das verbannte, umstrickte Trawies, in welches allerlei Stromervolk und herrenloses Gesindel zusammenlief, um eine kurze Zeit zügellos zu leben und dann elendiglich umzukommen. Die Behörden, wohl von kriegerischen Bewegungen im Lande in Anspruch genommen, schienen ihre Hand ganz und gar von der Gegend zurückgezogen zu haben, bewachten nur die Grenzen und kümmerten sich nicht um das, was innerhalb derselben vorging. Glaubte man, daß sich das Volk von Trawies selbst erdrücken und verzehren werde? Oder war man der Hoffnung, daß es endlich doch zum Kreuze kriechen, feierliche Sühne leisten und flehen würde um Wiederaufnahme in die katholische Kirche und in die Gemeinschaft des Reiches? Man hatte wohl Beides vergebens erwartet, man hatte nicht vermuthet, daß in den Wäldern der Trach eine Macht erstarken würde, deren unheilvolles Treiben jahrelang die umliegenden Wälder heimsuchen sollte, ohne daß man im Stande gewesen wäre, sie zu brechen. Es wird erzählt von Räuberbanden, die aus den Wäldern der Trach hervorbrachen, einzelne Gehöfte, ja ganze Ortschaften überfielen, plünderten und in Brand steckten. Straßenraub und Mord war in weiter Runde um Trawies nichts Seltenes. Bald drangen Soldaten ins Räubernest ein, aber sie wurden zurückgeworfen oder massacrirt. Am Gestade, völlig dort, wo des Schreiners Wahnfred Haus gestanden war, soll sogar eine förmliche Schlacht stattgefunden haben; die Rotten von Trawies siegten, die Krieger schwammen entseelt die Trach heraus und wurden im Haidegelände bei den fünf Kiefern an den Sand geschwemmt. Die daselbst aufragende Felswand heißt noch heute Leichstein.

Aber auch zwischen den Trawieser Leuten selbst sollen stets Kämpfe, Raubanfälle und Gewaltthaten aller Art stattgefunden haben.

In der Ortschronik zu Neubruck ist die Rede von einer argen Sach- und Weibergemeinschaft, so die »Trachen« unter sich eingeführt und welche ein ersprießliches Mittel gewesen wäre, daß sich die Verbrecher gegenseitig todtgeschlagen hätten. Doch es war Einer unter ihnen, dem es lange gelungen, eine gewisse Ordnung aufrecht zu halten; sonst wäre es nicht denkbar, daß sich diese gott- und menschenverlassene Gemeinschaft hätte behaupten können.

Andere Berichte erzählen von einer wilden Seuche, welche aus den Trawieser Wäldern hervorgekommen sei, um pestähnlich im Lande zahllose Opfer dahinzuraffen.

Im Trasankthale haben noch vor etwa siebzig Jahren die Leute einen Stein gesehen, auf dem Buchstaben eingegraben gewesen. Dieselben berichteten von einem »großen Sterben« zu Trawies und daß sich von der Dreiwand an die dreißig Personen aus Verzweiflung in die Trach gestürzt hätten.

Das genügt, um uns das Ungeheure ahnen zu lassen. Der Erzähler, der nicht allein in den verstaubten Chroniken, sondern zum Zwecke seiner Forschung auch in den ewigen Urkunden des Menschenherzens zu lesen bestrebt war, er sucht die vor ihm aufsteigenden Bilder der Schrecknisse und Greuel in den Schatten der Wälder zu verbergen, er will dieselben nur insoweit berühren, als sie mit den Schicksalen jenes Mannes verflochten sind, von dem das Unheil ausging und in dem er das heiße Bestreben fand, den verlorenen Himmel des Herzens wieder aufzurichten und die unglückliche Gemeinde der Erbarmung und Gnade zuzuführen.

Wahnfred hatte mancherlei Angelegenheiten zu schlichten, aber der Erfolg war karg.

Es sind einige Beispiele zu erzählen, wie absonderlich dieser Mann war und wirkte.

Eines Tages kam ein Mensch aus dem hinteren Trasankthale zu ihm, ein schöner, kerngesunder Gesell, der klagte sein Weib an. Das Weib habe einen Ehebruch begangen, halte es heimlich mit dem abgedankten Forstjungen vom unteren Ritscher.

»Weiß sie, daß Du’s weißt?« fragte Wahnfred.

»Jetzt noch nicht, aber ich will ihr’s heute zu wissen machen.« antwortete der Ehemann und unterstützte sein Wort mit einer nicht leicht mißzuverstehenden Handbewegung.

»Thue das nicht,« sagte Wahnfred, »sobald über derlei das erste Wort gesprochen, ist’s für alle Ewigkeit vorbei.«

»Das ist’s. Sie hat mich betrogen. Es ist ein schlechtes Weib!«

»Wenn sie Dich betrogen hat, so verdient sie auch nichts Anderes zu sein.«

»Was soll ich also machen?«

»Still sein und sie verachten.«

»Verjagen will ich sie!« rief der Ehemann.

»Dann kommt sie um und Du hast in Deinem Gewissen einen giftigen Stachel. Dulde sie um Dich, lasse sie unbeachtet, aber hasse sie nicht. Ein schlechtes Weib ist nicht werth, daß der Mann sich in solchem Haß das Leben versalze.«

»Aber wenn es mir ein Kind auf die Welt bringt?«

»So habe das Kind lieb.«

»Auch wenn es nicht mein ist?«

»Habe das Kind lieb.«

»Sie wird mich darüber höhnen.«

»Mag sein, daß sie über Deine Sanftmuth den gelben Ärger kriegt und es Dir eines Tages vorschreit, Du hättest gar kein Recht, das Kind lieb zu haben. Darauf sage, wenn Du rachsüchtig bist, Folgendes: Du hättest das größte Recht dazu. Denn Du hättest es lieb, weil es so unschuldig und so arm sei, weil es eine falsche, schlechte Mutter habe, und einen Vater, der so bübisch sei, daß man ihn gar nicht nennen könne. Einem so unglücklichen Wurm wollest Du der freiwillige, treue Vater sein.«

»Das kann ich nicht! So bin ich nicht! Das kann ich nicht!« rief der Mann aus dem Trasankthale und ging davon.

Wahnfred blickte ihm nach und sagte zu sich: »Ob wohl ich es könnte? Ich glaube ja.« –

Wahnfred übte sich im Wohlthun. Kein Hungeriger ging von seiner Thür; Wahnfred brach für ihn das letzte Stück Brot, und an diesem evangelischen Brotbrechen, diesem größten Wunder der Liebe, erkannte wohl Mancher im Schreiner vom Gestade den Heiland. –

Wahnfred bewohnte längere Zeit das Haus des verjagten Feuerwart an der Trach. Sie nannten ihn den Hauptmann, sie krochen vor ihm, sie gaben ihm Feste und allerlei Ehren, aber sie thaten, was sie wollten. Sein Plan, scheinbar in ihre Absichten einzugehen, sie zu ordnen, um sie dann halten und leiten zu können, war mißlungen. Sie hörten seinen Reden zu, sie stellten sich seinen Anordnungen zurecht, um im nächsten Augenblicke wieder auseinanderzufahren, Jeder seinen Begierden und Leidenschaften nach. Sie waren Kinder ihrer Zeit, sie gaben sich mit allerlei Hocuspocus ab, trieben sogar Hexereien, die zumeist mißlangen; übten sich selbst in Teufelsbeschwörungen und Mancher ging mit der Einbildung um, der Böse sei sein Diener. Es war auch gar kein schlechter Einfall, dem Teufel gegen die Lieferung von irdischen Schätzen die Seele zu verschreiben, die ihm ohnehin verfallen war. Nebstbei hatten sie das Bedürfniß nach einem Könige und hohen Priester. Sie schworen dem Wahnfred, jeglichen Raubausfall zu unterlassen, um dann nach kurzer Zeit mit reichen Opfern ihn zu überraschen, die sie auf ihren neuen Raubzügen erbeutet hatten.

Sie machten ihn zum unumschränkten Herrn über ihr Leben und Sterben, aber wenn er über einen das Urtheil der Züchtigung aussprach, so lachten sie ihm ins Gesicht und er hätte seinen Urtheilsspruch wohl selbst vollziehen können, wenn er stärker gewesen wäre, als die ihm plötzlich trotzig und höhnisch entgegenjohlende Rotte.

Wahnfred trug es, verwand es. Er blieb der Mittelpunkt von Trawies und hoffte auf eine Wendung, und wäre es auch die, daß eines Tages der Feind einbreche in den verbannten Kreis und die Unseligen allesammt – auch ihn, ihn vor Allem – vernichte.

Aber sie vertheidigten ihre Burg. Die große Zerfahrenheit, die auch draußen herrschte in aller Herren Länder, die Glaubenskämpfe, die Einfälle der Asiaten, die Pestgefahr nahmen alle Kräfte in Anspruch, man vertheidigte sich eben nur zur Noth gegen die Räuber aus den Trasankbergen, ließ es aber in Trawies gehen, wie es ging. Die Grenze blieb gesperrt, die Bevölkerung selbst hatte die Wache übernommen und schlug in ihrem Fanatismus gegen die Ausgestoßenen, wie bereits angedeutet, sofort Jeden todt, der sich über die mit Stricken und angekohlten Baumstämmen gezeichnete Linie hinausgewagt hatte.

Mehrmals schon hatte Wahnfred eine Bittschrift abgefaßt, einen erschütternden Schrei an die Menschen um Barmherzigkeit. Und er war die Bewohner von Trawies angegangen um ihre Unterzeichnung.

»Sind wir Kinder, daß wir um die Ruhte betteln sollen?« fuhren sie ihn an, »wir haben kein Verlangen nach Robot und Stock. Hängen thäten sie uns. Das können wir selber, wenn’s aufs Letzte geht.«

»Ihr habt wohl vergessen, daß es auf der Welt noch Männer giebt,« rief Wahnfred einmal, »wenn sie Gnade versprechen, so werden sie Gnade geben.«

»Wir brauchen keine. Uns gegen die Türken hetzen, das wäre ihre Gnade.«

Da versuchte es Wahnfred mit List. Er ging zu den Älteren, zu den Eingeborenen von Trawies, in denen er noch Gerechtigkeitsliebe vermuthete, in denen die Sehnsucht nach geregelten Zuständen, nach Gesetzbuch und Evangelium brannte – freilich, Solcher gab es nur mehr wenige – aber zu ihnen ging Wahnfred und ließ sein Bittgesuch um Aufhebung des Anathemas unterschreiben.

»Bereitet Eure Waffen,« sagte Einer, »vielleicht werdet Ihr Euren Namenszug mit der Faust schreiben müssen!«

Sie bereiteten ihre Waffen, Werkzeuge des Waldes, des Feldes, der Wiesen, die im Verrosten waren; sie verbargen dieselben in den Winkeln ihrer Häuser und Höhlen, unter ihren Lagerstätten und waren des Aufstandes gewärtig.

Wahnfred aber sammelte Unterschriften und Kreuze, und als Einer zeichnete, so that’s auch der Zweite, der Dritte; die Wenigsten konnten ihren Namen schreiben, sie machten Kreuze, und bald war der große Bogen angefüllt mit Unterzeichnungen.

Wahnfred jubelte im Herzen. Er war der Überzeugung, daß die Aufhebung des Bannes nicht versagt werden könne, wenn man sehe, die Trawieser Leute wollen sich zur Buße wenden und sich wieder der allgemeinen Ordnung fügen. Er selbst sehnte sich – nach dem Schaffot. Sein Richter hat keinen anderen Spruch, als das klingende Beil. Aber bevor Wahnfred die Stufen hinaufsteigt, wird er noch einen Fußfall thun vor dem Papste, vor dem Landesfürsten um Gnade für die durch ihn so elend gewordenen Leute von Trawies.

Wahnfred traf Anstalten, die Abgeordneten mit der Schrift, in der Trawies für alle Zeit Treue gelobte, abzusenden und ihnen über die Grenze ein gutes Geleite mitzugeben, da fragten sie ihn plötzlich, was er denn vorhabe?

Er las ihnen das Bittschreiben noch einmal vor, sie lachten auf. Er berief sich auf ihre Unterschriften.

»Wo?« fragten sie.

Er wies auf die unzähligen Kreuze.

»Das ist ja ein Friedhof!« riefen sie, »und führt d’rauf hin.«

»Uns führt kein Wisch mehr auf geweihten Anger,« sagte der Bauer Isidor, »wird sich Unsereiner auch nicht darum reißen. Thu’ weg das G’schrift, Schreiner.«

»Eure Unterschrift!«

»Das Kreuz gilt nichts mehr zu Trawies, Schreiner, das weißt.«

Sie zerrissen den Bogen in viele Stücke. –

In einer finsteren Nacht wären für den, der im Schachen hinter dem Sandhockhause gelauscht hätte, zwei flüsternde Stimmen zu hören gewesen.

Die eine sagte: »Sei ein Kamerad und thu’s.«

»Thue es selber,« versetzte die andere.

Dann waren sie still.

Und nach einer Weile wieder die erste der Stimmen: »Bin ich der Erste zu Trawies, so sollst Du nicht der Letzte sein.«

»Ich will gar nichts sein, aber gut Leben will ich haben.«

»Was Dein Herz verlangt, nur der Schreiner muß aus dem Weg.«

»So thue es selber,« antwortete die zweite Stimme wieder.

»Man soll nicht sagen, der König hätte seine Krone durch eine Gewaltthat gewonnen.«

»Und ich soll für Dich morden gehen?«

»Wer sagt was vom Morden, Kind? Aus dem Weg schaffen sollst Du ihn. Dieser Wahnfred ist das Unglück von Trawies, er soll bei uns keinen Platz haben. Ich spreche darüber ungern mit einem Anderen, Du wärst mir der Verläßlichste; ich denke, Du läßt Dir die Gelegenheit, gut Leben zu gewinnen, nicht entgehen – wie?«

»Zeit mußt Du mir lassen. Auf Gelegenheit wart’ ich. Vermag ich’s so thu ich’s.«

»Abgemacht.«

»Festgenagelt.«

Hierauf im Dickicht ein Geräusch und alles war still.

Vielleicht in derselben Nacht, da Wahnfred von seinem Hause aus einem Sterne zuschaute, der einen langen Streifen weit über den Himmel hin in die Richtung gegen das volkreiche Flachland streckte, kam ihm der Gedanke zu entfliehen. Es würde ihm gelingen, über den Ritscherwald und an den Abhängen des Trasank dem Bereiche von Trawies zu entkommen, um in fremdem Lande ersprießlicher als hier im Dienste der Menschen wirken zu können. Da fiel ihm sein Gelöbnis ein, bei den Unseligen auszuharren, mit ihnen zu siegen oder unterzugehen. –

Bisweilen ging Wahnfred hinauf zum Bart vom Tärn, um seinen heranreifenden Sohn zu sehen und ihm Lehren zu geben. Erlefried horchte nur so halb hin, wenn der Vater Worte sprach, schaute ihn dann kalt an und ging davon. Dem Bart hatten die Bürger von Trawies so ziemlich alles weggetragen, was genießbar und tragbar gewesen war. Sie hatten ihm dabei recht wohlgemuth die Hände geschüttelt, er möge sich daraus nichts machen, es wäre so der neue Brauch und er solle nur mit ihnen kommen und wacker Antheil nehmen an Allem, was sie auf ihren Wegen fänden.

Der Bart ging nicht mit ihnen, stieg gar nicht mehr hinab ins Thal, baute an entlegenen Stellen des Waldes sein Kraut und seine Rüben an, sammelte wilde Früchte und verbarg sie, so gut es ging, vor den Räubern. Die in losen Schwärmen hin und her fahrenden Gesellen und Gesellinnen verzichteten auch gern auf den alten Mann, hingegen hatten sie im Hause am Tärn einen jungen, flinken Burschen entdeckt, dem sie nachstellten und als kräftigen Streiter und hoffnungsvollen Genossen mit sich führen wollten.

Sie hatten den zu Manne heranwachsenden Erlefried gesehen. Dieser war so wenig wie sein Nährvater gewillt, mit den Rotten zu ziehen und mußte sich mehrmals vor ihren Nachstellungen flüchten. Da ging er freilich am liebsten hinab in den Dürrbachgraben, wo eine liebe Maid so einsam und geduldig ihren hinsiechenden Vater pflegte, und leistete den armen Menschen liebevollen Beistand. Dann war es wieder nöthig, daß er höher ins Gebirge, tiefer in den Ritscherwald floh, denn sein Vater hatte ihm gesagt: »Du bist schuldlos, Du magst Dich entziehen, Du mußt es thun. Gehe in die Wildniß unter die Wölfe, ehevor Du Dich zu dem Volke von Trawies gesellest!«

Da hat sich mit diesem Burschen einmal eine Geschichte zugetragen, die uns von der Schlauheit der Bewohner des Hauses am Tärn einen guten Beweis giebt, und die eine ungeahnte Ursache war, daß der Sohn des Schreiners für die Zukunft vor den verschiedenerlei Verfolgungen des Gesindels Ruhe Hatte.

Es war zur Zeit des Winters. Das Haus des Bart war von Schneewänden umgeben, die der Wind gebaut hatte. Eine einzige Lücke war ausgeschaufelt, ein enger Fußsteig offen, der hinab gegen das Thal führte.

Das Weib des Bart saß in der dunkelnden Stube und that Garn spinnen – Garn aus dem Flachs, der im vergangenen Sommer auf einem entlegenen Hange in den Birstlingblöcken gewachsen war. Sonst saß auch der Bart nicht weit von ihr an seinem Webstuhle, aber heute befand er sich vor dem Hause auf dem freien Plätzchen, das durch einen Bretterverschlag nothdürftig gegen den Schnee geschützt war. Dort schlachteten er und Erlefried ein Ferkel für die nahe Zeit der Weihnachten.

Und als diese vier Bewohner des Berghauses gerade so in bester Arbeit waren, beim Spinnen und Schlachten und das Ferkel beim Versterben – da eilte von der Stoßnickel-Hütte heran ein Knäblein, das wünschte fast athemlos einen guten Nachmittag.

»Guten Nachmittag auch,« antwortete der Erlefried und setzte heiter bei: »Geh’ her, Natz, ich schneide Dir auch die Ohren weg.« Ein Antrag, den er an dem Schweinchen eben vollführte.

Der kleine Natz war von solcher Anrede weder erschrocken noch erbaut, er trippelte ganz nahe vor die blutigen Männer hin und lispelte:

»Sie kommen!«

»Wer?«

»Die Leut’ kommen!«

»Was für Leut’?«

»Die Trawieser Leut’ kommen. Da unten habe ich sie gesehen, ein klein Eichtel Zeit und sie sind heroben.«

Erlefried schoß empor. Die Trawieser Leut’! Da galt’s zu fliehen, denn er hatte schon vernommen, daß sie ihm mit Ernst nachstellten, um ihn ihrer Streitmacht anzureihen. Das war nicht nach seinem Sinn, er mußte ihnen entkommen. Aber wohin zu solcher Zeit? Der Schnee schloß alle Wege ab – zähneknirschend preßte der Bursche die Finger um den blutigen Griff des Messers. Dem Alten hingegen war der Veitel aus der Hand gefallen, er sagte Gott und die Heiligen an.

»O guter alter Narr,« rief sein Weib aus dem Hause, »bei solcher Sach’ muß man den ledigen Teufel anrufen; nur Der richtet bei Diesen was aus. So lauf doch Erlefried, und verkriech Dich im Stroh!«

»Wäre das Dümmste, was er thun könnte,« meinte der Bart, »‘leicht wissen sie, daß er da ist, so stürzen sie das Haus über, bis sie ihn haben. Was meinst, Erlefried, Du vergrübest Dich im Schnee?«

»Wird nichts nutzen,« sagte der Bursche, »wenn ich verschurkt bin, so gehen sie ohne mich nicht fort. Dem Josa-Hannes haben sie ja das Haus angezündet, bis er vor Rauch und Hitze aus seinem Versteck hervorgesprungen ist. Die Höhe hinüberlaufen hilft mir auch nichts, man kann im Schnee nicht weiter und dann die Spur!«

»Eine Schande ist’s, Junge, wenn Du diesen Bestien nicht auskommst!« rief das Weib weinend.

»Das sage ich auch so,« versetzte Erlefried und stand rathlos da.

»Ich wüßte was, wenn Ihr gescheit genug wäret,« sagte das Weib.

Der Bart antwortete: »Ich denk’, Alte, so viel Verstand haben wir selbander noch, als wie Du allein.«

»Gut für Euch,« sagte sie und wendete sich zu dem noch immer kleinmüthig dastehenden Botenknaben. »Natz, Du bist ein ausbündiger (vernünftiger) Bub’ und zum nächsten Sonntag komm, da kriegst vom Ferkel die Lümpeln (Nieren). Jetzt gehe eilends davon, den Steig hinab. Sie begegnen Dir und werden Dich fragen, wo Du gewesen bist, oder wo Du hin willst. Gieb Antwort, es wäre heute beim Bart vom Tärn Einer erschossen worden und Du müßtest den Todtengräber suchen. D’rauf spring davon und sei gescheit.«

Der Knabe ging, der Bart aber rief seinem Weibe zu: »Du Lappin, was willst denn damit?«

Sie fuhr mit der flachen Hand über die weiße Ofenmauer, fuhr damit dem Burschen über das Gesicht – da war er blaß wie ein Todter.

»So, Kind, die Farbe hast, und jetzt lege Dich im Gottesnamen auf die Bahre.«

Nun hatten sie verstanden.

»Vielleicht haben wir Glück. Zu verlieren ist nichts.«

Rasch verabredeten sie noch Manches, thaten dem Burschen Blutstriemen in die Haare, die Kleider trugen ohnehin etwelche Spuren. Und während der Bart draußen das todte Ferkel tief in den Schnee grub, bahrte das Weib in der Stube zwischen Webstuhl und Ofen auf der Lehnbank, wo einst die Mutter Erlefried’s gelegen, den Erlefried auf. Dieser streckte seinen schönen, schlanken Leib auf dem Brette aus, legte die Arme kreuzweise über die Brust, ließ das blutige Haupt mit den geschlossenen Augen nach rückwärts hängen, daß die zerrissenen Locken über den Rand der Bank hinabschlugen. Dann steckte ihm das Weib des Bart ein geschnitztes Kreuz in die Hand, wickelte eine Betschnur darüber, that, wie es bei bäuerlichen Leichen zu jener Zeit der Brauch war, getrocknete Blätter des Marienkrautes auf seine Brust, holte dann ein großes Leintuch herbei, hüllte den Burschen damit ein und sagte: »Jetzt rühr Dich nicht mehr!«

Hierauf stellte sie noch Einiges, was zu einer Todtenbahre gehört, nebenan, auch die brennende Ampel. Als aber das alles fertig war, stand sie ein Weile vor der Bahre still und flüsterte beklommen: »Melde Dich, Erlefried!«

Der Todte that’s, da war die alte Frau beruhigt.

Jetzt eilte der Bart herein: »ist’s fertig? Sie steigen schon daher.«

Er sah den Erlefried liegen, erschrak und schmunzelte.

Vor dem Hause standen mehrere Männer, verwahrlost, verkommen aussehend und mit ihren stechenden Augen auf den blutigen Schnee starrend, auf welchem vorhin das geschlachtete Thier gelegen war. Schon wollten sie ins Haus treten, da schoß ihnen das Weib des Bart heulend entgegen: »Daß Ihr nur kommt, Leut’, daß Ihr nur kommt! Es ist kein Bleiben mehr in dieser Gegend.«

Was geschehen sei? Sagten sie.

»Räuber sind dagewesen, haben uns den Burschen erschossen. Thut das Blut weg, Jesus Maria, ich kann es nicht sehen!«

Sie spielte gut. Der Bart saß auf einem Blocke seines Webstuhles zusammengekauert.

Die Männer, die in die Stube getreten waren, blickten unsicheren Auges auf die Bahre hin, an welcher der matte Schein des Ämpleins lag. Dann setzten sie sich polternd an den Tisch und verlangten zu essen.

Das Weib brachte wässerige Milch. Sie mußte zuerst selbst daran kosten, denn die Leute trauten einander nicht mehr.

»Habt keine Angst,« sagte sie, »hätte ich Hüttenrauch (Gift) im Hais, ich wollt’ ihn nicht sparen, dasselb’ mögt Ihr trutz glauben. Auf einer solchen Welt mag ich nicht mehr leben.« Und sie weinte, daß es im Hause widergellte.

Die Rotte aß Milch und Brot und Zwei gingen auf die Suche, ob nichts Besseres im Hause wäre.

Das Weib, das sich in der Nähe der Bahre zu thun machte, nahm wahr, wie Erlefried gegen ein losbrechendes Niesen kämpfte. Eilends setzte sie sich zum Spinnrade und brachte das klappernde Ding in Bewegung. Der Bart begriff sofort. Langsam erhob er sich. »Was nutzt das Verzweifeltsein,« seufzte er, »kein Herrgott kann’s mehr ändern. Die Arbeit muß den Menschen halten!« Und er kauert sich in den Webstuhl und hub an zu webern und zu poltern, daß die Männer am Tische ihr eigenes Wort nicht verstanden, und der Bursche unter dem Bahrtuche konnte niesen und husten nach Herzenslust. Doch that er nicht mehr, als nöthig war. Die Fremden erhoben sich endlich; Einer von ihnen nahm die Alte am Arme und sagte: »Die Leich’ aufdecken!«

»Wem darnach gelustet, der soll’s nur selber thun,« versetzte das Weib. So ging er zur Bahre, zog das Tuch ein wenig vom Haupt zurück – ein blasses, entstelltes Antlitz.

»Ist schon gut,« murmelte der Mann und warf das Tuch wieder über das Haupt. »Es ist der Sohn von unserem Hauptmann.«

»Mord um Mord, das ist die Wiedervergeltung!« flüsterte ein Anderer in der Rotte.

Da verließen sie schaudernd das Haus. Als sie fort waren, trocknete sich das Weib den Angstschweiß. Der Bart sagte: »Ich habe ein heißes Gebet gemacht, daß es gut vorbeigehe. Jetzt, Erlefried, stehe auf.«

Der Bursche stand auf, reinigte sich und murmelte: »Das thue ich nimmer.«

»Wirst es auch Rath haben,« sagte das Weib; »Du bist ihnen todt und sie lassen Dich in Ruh’, Und besser werden muß es doch wieder einmal.« –

Von dieser Zeit an war keine Frage mehr nach Erlefried, dem Sohn des Schreiners. Ja, Wahnfred selbst war eine Zeitlang im Glauben, sein Kind wäre von Räubern erschossen und auf der Höhe begraben worden. Er hatte keine Klage; er hielt es für ein Gottesgericht und weinte Thränen der Dankbarkeit, daß Erlefried in seinen schuldlosen Jahren der Drangsal entrückt worden sei.

 

 

Wahnfred hatte bisweilen das Gefühl der Stumpfheit; er war muthlos. Er ergab sich und hielt sich nur mehr als das Sühneopfer von Trawies, über welches alle Qualen kommen müßten, bis die letzte, tödtende ihm Ruhe bringen konnte. – Er wußte es aber selbst nicht, daß er noch so thatenkräftig war; sein Leben, das er nach außen abschloß, kehrte sich in sein Inneres. Er suchte in den alten Offenbarungen und in den neuen Träumen eine Leuchte für die grauenvolle Nacht, die ihn und seine Mitgenossen umgab.

Aber die Bibel war ihm verhaßt geworden; sie hatte ihn verführt, sie hatte ihm sozusagen das Mordbeil in die Hand gegeben. Die zornigen Gesetze des alten Bundes, hatten sie ihn nicht geradezu aufgefordert, die That zu vollbringen? Auch in den Schriften des neuen Bundes fand er kein Heil. Aus ihnen, die das Vermächtnis der Liebe genannt werden, war ihm und der Gemeinde dieser gräßliche Fluch geschöpft worden. Das alte Testament gab der Gemeinde Trawies den entmenschten Missethäter, das neue den entmenschten Richter. In heißer Sehnsucht forschte Wahnfred nach einer neuen Offenbarung. Er kam sich vor, wie ein Moses in der Wüste, der sein verlorenes Volk einer besseren Zukunft entgegenführen sollte und nach Wegen und Satzungen sucht, an welchen das Treiben der Irrenden Halt gewinnen möchte.

In einer Nacht nach grauenvollem Tage, da er so verlassen in dem weiten Gehöfte des Feuerwart auf seinem Schaube lag, kam ihm ganz plötzlich – als hätte es eine fremde Stimme gerufen – in den Sinn, der Menschen Ringen sei allvergebens, die Welt gehöre dem Teufel. – Stand es nicht auch ähnlich in jenen »Offenbarungen eines frommen Einsiedlers«, die er in der Klause des Ritscher vorgefunden? Er hatte den Gedanken von sich gewiesen, aber nun zu Trawies so ungeheuerliche Beweise von der Richtigkeit desselben erfahren, daß er ihn neuerdings aufnahm, daß er ihm nachzuhängen begann Tag und Nacht.

Aber weiter hieß es, daß Gott sprach: Überlassen wir die Entscheidung dem Menschen selbst. Er soll wählen zwischen Erdengluth und Sonnenlicht. Entsagt er der Erde, vermag er es, sich seiner selbst zu entäußern, freiwillig zu sterben, so ist er mein.

Wahnfred beschloß, das Haus an der Trach zu verlassen, den Trawieser Leuten, die Verbrechen auf Verbrechen häuften und ihn ihren Hauptmann nannten, zu entfliehen, nicht über den Flammenring hinaus, sondern um in größerer Einsamkeit dieser Wälder der seltsamen Offenbarung nachzuhängen und vielleicht aus derselben dem verworfenen Volke zur Rettung eine neue Lehre zu entwickeln.

Fast auf der Höhe jenes Berges, der Johannesberg genannt wird, nur ein wenig gegen den Hang hin, auf dessen rotbraunen Grund die aufgehende Sonne fällt, wenn die übrigen Höhen noch im Schatten stehen, und von welchem man das waldige Trawies so hoch und weit überblickt – stand zu jener Zeit eine Menschenwohnung. Es war die aus Holz gezimmerte Hütte eines armen Weibes, welches zur Zeit des Sommers die auf dem Berge weidenden Herden der Trawieser Bauern überwacht hatte. Das war die Witwe eines Holzers gewesen und Niemand hatte sich des Weiteren um sie und ihr Kind gekümmert, so wie auch sie wenig danach fragte, was im Thale vorging. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde erst erregt, als man durch einen Zufall in Erfahrung gebracht, daß ihr Kind zu einem außerordentlich schönen Mädchen herangewachsen sei. Und eines Tages fand man die Witwe erdrosselt in ihrer Hütte, und das Mädchen war spurlos verschwunden.

Wenige Tage lang besprach man das Ereignis, welches in dem vielbewegten Trawies aber bald durch neue Seltsamkeiten verdrängt wurde. Niemand ward bewogen, der geheimnißvollen That nachzuspüren; das todte Weib wurde in die Erde gescharrt, die Hütte stand leer und der Wind schlug die Thür derselben ächzend auf und zu.

Dieses Dach fand Wahnfred auf seiner Suche nach einem einsamen Aufenthalte. Er wählte es, um unter demselben als Einsiedler den Spuren der ewigen, rettenden Wahrheit nachzustreben.

Den Trawieser Leuten hatte er gesagt, er gehe nun davon, sie möchten nicht forschen wohin. Er werde ihre Thaten sehen und zu seiner Zeit wieder unter ihnen erscheinen in der Herrlichkeit und in der Gewalt.

Er sah, wie sie da aufhorchten, er sah ihren Hang nach Geheimnisvollem, so wie er in den Verstoßenen schon längst das innere Bedürfnis nach religiösem Cultus wahrgenommen hatte. Insgeheim mochte ihnen doch etwas bange sein, gleichwohl es ein ganz Anderes war, was sie wollten, als was Wahnfred suchte. Sie wollten mit allen Sinnen genießen; Wahnfred suchte den Frieden des Herzens. Sie wollten den Himmel; Wahnfred suchte Gott.

Sie beschworen ihn, daß er fürder ihr Hauptmann bleibe – das war ja ein so bequemes Oberhaupt, eben nicht mehr als ein Zeichen, dessen sie bedurften, das Wahrzeichen des »befreiten und freien Trawies«. Was er litt, sie wußten es nicht, was er plante, sie ahnten es nicht, sie waren aus anderem Holze, als das in eines solchen Schreiners Werkstatt ist.

Und Wahnfred lebte nun in der Hütte, die auf dem Berge des Johannes stand. Er grübelte, er träumte. Jene wunderliche »Offenbarung« keimte, wob in ihm fort, gährte, läuterte sich, wurde lebendig. Schließlich war es freilich ein Anderes, was da aus der Seele des Schwärmers hervorstieg. Und da Wahnfred Monde lang verborgen war, fand sich eines Morgens am Fuße der Dreiwand, fast dort, wo man dem Volke von Trawies Kirche und Himmel ausgelöscht hatte, auf dem glatten Stein gezeichnet folgende Schrift:

»Eins: Gott schuf die Himmel, und die Engel als Einwohner der Himmel. Der Engel Leben war Hoffart gegen Gott.

Zwei: Gott verstieß die Hoffärtigen, die bösen Geister in eine Ödnis, so die Erde heißt. Da leben sie in Leibern aus Lehm und sind anheimgestellt aller Drangsal. Sie sollen sühnen die Hoffart durch Demuth, die Selbstsucht durch Selbstaufhebung, bevor ihr Leib wieder in Lehm sich löset.

Drei: Denen das gelingt, die steigen auf in die ewigen Himmel; denen es nicht gelingt, die kehren von Neuem ein in irdischen Leib. Und sie kehren so lange zurück zu Noth und Tod, bis sie klar sind.«

Durch die bethauten Bäume flossen Sonnenstrahlen nieder auf den Stein, und die Leute standen dabei und betrachteten die Schrift und wurden aufgeregt, als sie sich deren Sinn zu erklären suchten.

»Ja, ja,« sagte der Jäger vom Trasank, »mir schwant allweg, ich bin schon einmal auf der Welt gewesen, und daß ich nicht hab’ fertig werden können mit der schmutzigen Wäsch’!«

»Ich bin der Etzel gewesen,« prahlte Roderich der Stromer.

»Du bist der Etzel gewesen,« spottete der Tropperknecht und sprach das tz wie s aus.

»Ich verspür’ vom Herodes noch was in mir,« sagte der kleine Baumhackel, worauf ihm ein Anderer bemerkte: »Da schaust Du mir eher dem Judas gleich.«

»Ich komme mir mit meiner Stuben voll Kinder wie der Abraham vor,« meinte der Bauer Isidor.

»Oho!« rief ein Anderer, »der steigt nicht mehr auf der Welt herum, das ist ja ein Braver gewesen und sitzt längst in Abraham’s Schoß.«

»Wer? Er selber?« lachten sie.

»Im Ernst auch noch!«

»D’rum sagt man von einem guten Kerl, der sich erlöset hat: So Einer kommt nicht wieder!«

So faßten sie die neue Offenbarung auf, und als sie sich an derselben satt gewitzelt hatten, kehrten sie sich nicht mehr weiter d’ran und gingen ihre gewohnten Wege.

Wenn jene wunderliche Lehre meinte, die gefallenen Geister müßten sich so lange im Menschenblute waschen, bis sie rein wären, so hat sie auf die Trawieser Leute nicht gerechnet. Das Blut kochte und schäumte und sie wurden von Tag zu Tag befleckter.

Wahnfred sah es, daß die Schrift an der Dreiwand nicht das Rechte war, er ruhte aber nicht, er suchte mit dem Kopfe, er suchte mit dem Herzen nach einem Retter, nach einem Gott. Ob und wo er ihn finden und wie die Erlösung vollzogen werden sollte – ahnte er es? –

Trotz alledem ging noch ein milder Engel durch die Wälder von Trawies.

In einer Seitenschlucht des Rockenbaches stand das Haus der Zirmerleute. Es war eine arme Familie, der Zirmer hatte sich stets mit Holzschnitzen beschäftigt, und war dann ins Land hinausgegangen, um mit seinen schlichten Waaren zu hausiren und Lebensbedarf für seine zahlreiche Familie mit heim zu bringen. So war er auch zu jener Zeit, da über Trawies der Bannfluch gesprochen wurde, auf der Wanderschaft. Als er von dem Elende hörte, das über seine Heimat hereingebrochen war, wendete er sofort den Weg und ging Tag und Nacht, um zu den Seinen zu gelangen. In der letzten Nacht kehrte er noch bei einem Verwandten in Neubruck zu. Der Verwandte suchte ihn zu halten, er möge Gott danken, daß er außerhalb des Feuerringes stehe und er würde jetzt doch nicht heimkehren nach Trawies, wo alles verflucht und verdammt sei. Ihm stehe noch die Welt offen und das Himmelreich, so möge er nicht als Gottes und der Seele Feind ins Verderben rennen!

Der Zirmer hörte nicht auf solche Vorstellungen, in seinem fiebernden Haupte war nichts als Weib und Kind, in seinem Herzen war Weib und Kind. Entfliehen mußte er dem Verwandten, der den Unsinnigen mit Gewalt festzuhalten suchte. Die Wachtmänner bei den fünf Kiefern grinsten höhnisch, als er an ihnen vorbeieilte. Bei seinem Hause angelangt, fiel er vor Aufregung und Erschöpfung zur Thür herein. Seither lag er krank, siechte armselig hin. Seine erwachsenen Söhne zogen draußen mit den banden, seine unmündigen Kinder nagten an unreifen Waldfrüchten, sein Weib stand ihm bei in muthvoller Treue, aber wenn sie allein war und ihr Mann schlummerte, da verfiel sie in ein Weinen, daß die Steine sich hätten erbarmen können. – In solcher Noth, in solch grenzenloser Noth, und keinen Helfer haben auf Erden und im Himmel! Da bist Du sterben heimgekommen, Du guter Mann, und wir haben keinen Heiland für Dich. Aller Jammer dieses Lebens wäre so leicht zu ertragen! Daß die Menschen in der weiten Welt doch inne würden, wie wichtig und wie süß das Erdenleben ist, wenn man in Gottes Gnade der Ewigkeit entgegenhoffen darf. Aber in solchem Elend sein – und keinen Gott haben, verlassen und verloren sein allerwege – allerwege! ....

Der kranke Zirmer sagte nichts, als: »Laß mich ableben! Laß mich nur still ableben und komm mir ehzeit nach.«

»Wohin denn?« rief sie. »Wenn ich denke, wohin wir müssen, da schaudert mir die Haut. Wir sind gerichtet, wir sind in der Hölle bei lebendigem Leib.«

Als nun das Weib des Zirmers von der Schrift hörte, die unten an der Dreiwand gefunden worden wäre und in welcher eine Verheißung liege, that sie einen gellenden Schrei und weinte laut. Die weinte vor Freude.

»Gott Lob und Dank!« sprach sie, »wir verspüren den Herrgott wieder!«

So tief war die Sehnsucht mancher Gemüther der verstoßenen Gemeinde nach dem Troste der Religion. –

Und Wahnfred saß in seiner hochgelegenen Hütte, und sann und sann. Es war in den Maien, ihm war pfingstlich.

Nirgends auf der Welt – so dachte er einmal – kann Pfingsten lieblicher sein, als in unseren Strichen. In jenen heißen Steinbergen, wo einst die Flammen des Geistes niedergesunken sind auf die Häupter der Apostel, dort möcht’ ich nicht Pfingsten halten; und oben im Nord, wo über die traurigen Kieferwälder die Nebel der See liegen, wäre es im Monde der Maien nicht pfingstlich genug. Nur um unser harmonisches Herz windet die heilige Taube ein pfingstliches Kleid.

In solchen stunden fühle er ein glückliche sein.

Die zarten Vergißmeinnichte schauten so treuherzig zu ihm auf, als Boten aus der Erde, erstanden zur stillen Mahnung, Derer nicht zu vergessen, die liebevoll einst in seinem Lebenskreise gewaltet, nun längst zur Erde gesunken sind.

Vor Kurzem noch hat hier die Maiblume ihr goldenes Körbchen aufgehalten für die Diamanten des Thaues; heute hat sie weißes Haar und das Lüftchen entführt mählich ihr Gelocke. Hoch über dem weiten, klaren Meer der Luft, tief im Himmel drinnen brennt der Sonnenstern und sendet seine Flammen den lichtdurstigen Wesen der Erde. – Pfingsten! Phönix! Die Worte haben ja Ähnlichkeit. Das vor etlichen Monaten noch in Moder und Starrniß daliegende Jahr ist neuverjüngt auferstanden, wie der Wundervogel im Märchen.

Ist es denn wahr, daß die Menschen so sehr zum Bösen neigen? Wir stehen aufrecht, unser Fuß wandelt auf Blumen, unser Haupt ist gereift im Lichte des Himmels. Das Leid des Herzens, was ist es Anderes, als Heimweh nach dem Guten und Heiteren!

Und ist es Elend, wenn unser Haupt einmal in Wetternacht gehüllt ist? Wetter haben ihre Blitze, welche oft erleuchten wie feurige Zungen des heiligen Geistes. Gäbe es keine Nacht, wer hätte je in die Tiefen des Sternenhimmels geschaut!

Da kommen sie, die undankaren Kinder der Welt und schreien: Die Mutter ist schlecht! – und beweisen es. Ich sage trotz Allem: Sie ist gut und brauche es nicht zu beweisen. Und schauet den Lebensweg Dessen, der hier im Waldfrieden ruht. Der Zweifel hat mich an der Brust, der Kummer mich an den Haaren gepackt; der Haß hat mich durchwühlt, die Liebe mich gefoltert; Unrecht habe ich erfahren. Aber tausendmal mehr als das alles: Unrecht hab’ ich gethan! Und dennoch, ich ersehne das Schlafen nicht und bedauere des Morgens das Erwachen nicht. Vernichten kann mich nicht der Schmerz, denn er will geheilt sein, nicht die Schuld, denn sie will gesühnt sein – nur die Stumpfheit, denn sie will – nichts.

Draußen im Lande liegt mancher silbergraue See. Licht und Schatten gleiten im Wechsel darüber hin. Das ist das Kornfeld. Die jungen Ähren horchen der Lerche, hebn ihre Häupter zum Himmel und ihr Pfingstgebet geht nach Sonnenschein. Ihre Sehnsucht ist, zu reifen, aber das Reifen ist ihr Verderben; so verstehen es wir Menschen. Das Korn kommt in den Schrein, in die Erde. Und im nächsten Jahr, wenn wieder Pfingsten ist, wallt wieder im Winde der See – und kann zehnmal größer sein, als heut’. Das Leben nimmt nicht ab, es nimmt zu.

Welch selige Stimmung, du guter Wahnfred!

Dann wieder blickte er hinab. Der lichte Schleier des Sonnenäthers lag über Berg und Thal; die Wässer der Trach, der Miesling, des Rockenbaches glitzerten wie Silberketten zwischen den grünen Matten, die Mauer der seit lange verschlossenen und verfallenden Kirch schimmerte wie ein Sternchen Schnee.

Wenn ich, so dachte Wahnfred einmal, jener Gott wäre, von dem der Glaube sagt, daß er gerecht und barmherzig ist, ich würde der Noth da unten noch heute ein Ende machen. Sind nicht die Wuchten des Trasank, die Meere der Wolken, die Feuer der Himmel in meiner Hand! Übers Jahr blühten aus der Zerstörung wieder die Blumen, und es wäre gut.

Es wäre gut!

Wenn Einer aus dem Geschlechte der Menschen – irgend Einer – plötzlich Allmacht hätte, es wäre besser für uns, denn so, da ein Etwas über Allem ist, das nicht versteht und nicht verstanden wird, das mit Herzen herzlos spielt, das nicht lächelt, wenn wir kurze Lust haben, nicht weint, wenn wir untergehen. Ein Ungethüm ist’s, falsch, gefährlich, berückend, denn es nennt sich Gott.

Der gute Gott!

Der liebe himmlische Vater, der die Erde mit einem Sternenkranze, die Welt mit einem Sonnenmeere umgiebt, damit solch äußere Pracht seinem Auge zum Wohlgefallen sein. Was darinnen ist und leidet und verzweifelt, ihm gilt es gleich. Wer auch stellt ihn dafür zu Gerichte, er ist der Stärkere, und um den rohen Gebrauch seiner Kraft zu beschönigen, nennt er sich den alleinig Weisen. Nennt er sich?

Waren es nicht die menschlichen Knechteseelen, die aus dem uns unbekannten Etwas einen gütigen, allmächtigen und allweisen Gott herausgeklügelt haben? O, der Trägheit, die sich für das, was sie selbst thun und sein sollte, einen Gott beilegt, der es für sie thut und ist! Gott hat Menschengestalt angenommen, um die Welt zu erlösen. Ich habe einen Pfaffen gekannt, der so fromm war, so fest im heiligen Glauben, daß er wußte, wie Gott auch dann die Welt erlöst hätte, wenn er als Kürbis aus der Erde hervorgewachsen wäre. Und so viel Vernunft haben sich es die Leute kosten lassen, um einen Gott herzustellen, der für sonst nichts zu brauchen ist, als zum Schrecken armer Seelen. –

Das war eine der verschiedenen Stimmungen, welche den armen Mann durchzogen. Zu anderen Stunden dünkte ihm alles wieder anders.

Wenn es mir blos nach dem Himmel gelüstete, sagte er sich einmal, so erbettle ich ihn nicht von Gott, sondern von den Menschen. Vom Kind die Unschuld, vom Jüngling die Schönheit, vom Manne die Kraft, vom Greise die Güte, das zusammen gäbe den Himmel auf Erden. Der wird mir versagt. In meiner Macht liegt es, daß ich sühne, daß ich im Geiste so werde, wie ich mir gefalle. Das ist der Himmel und Gott in ihm. –

Es war im Hochsommer. Wahnfred strich durch die Wälder. Bisweilen vergaß er ans gehen und hörte dem Zirpen eines Vogels zu, der in dichtester Gruppe des Tannichts sein Heim hatte, ein Heim, an dessen Pforten die Spinne ihr Gitter geschmiedet. – Der Mensch versteht in der Regel an fremdem Sange nur das, was er selbst schon erfahren oder empfunden; im wortlosen Liede, in der Musik findet er genau so viel, als er selbst hineinzulegen hat. Und so war Wahnfred, der Gottsucher, auch geneigt, des Vogels helle Stimme für eine Offenbarung zu halten.

Er schritt über grüne Waldwiesen hin, der hohen Bäume blauer Schatten, in Sommertagen nur kurz, besäumt mit seinem Walddufte mild den Rand. Ein Meer von fliegenden Thieren erfüllt die Luft, von der kleinen Mücke bis zum langspießigen Hornuß, von der klingenden Waldbiene bis zum schillernden Schmetterling, vom hüpfenden Heupferdchen, von der zarten Halmfliege abwärts bis zu jenen ungezählten Insecten, welche die Mücke noch für einen Elephanten halten und welche des Wanderers gestalt wie winzige Stäubchen umgaukeln – sie alle zusammen geben wohl den Schleier, welcher an heißen Tagen über der Gegend liegt. Was hat da der seidenfeine Fliegenschnapper für gute Zeiten! So oft er den Schnabel aufthut, verirren sich in denselben ein paar Dingelchen, die am Vormittag geboren werden, zu Mittag Hochzeit halten und Nachmittag verunglücken. Erlebt eines davon die Stunde, da die Schatten sich dehnen über die Wiesen hin, so fröstelt es im hohen Alter und ist vergangen, ehe noch das Sonnengold von den Wipfeln der Bäume schwindet.

Von solch kleinen Feinden umsummt, lag Wahnfred oft hingestreckt im Grase, niedergedrückt von der Schwüle des Tages, von der Schwere der Empfindungen. Träumend richtete er sein Antlitz aufwärts und betrachtete die Traumbilder des Himmels. – Oder wären die Wolken, die phantastischen, ewig mannigfaltigen, die bald in zarten, lichtvollen Gestallten, bald in finsteren Zerrbildern hingegossenen, wallenden, im Werden vergehenden, im Vergehen werdenden Erscheinungen nicht die Träume des Himmels? Sie ziehen von Westen nach Osten – der Himmel träumt vom Morgenlande, von jenem Paradiese, welches er voreinst geschaut hat, liebesinnig mit seinem blauen Auge, welches er mit seinen Strahlen und mit seinem Thau geküßt hat, wie seither keine Braut mehr auf der ganzen weiten Erde.

O Jugend der Welt! Alles Gestirne geht den ewigen Lauf vom Morgen zum Abend, nur die Wolken ziehen den Weg zurück, ein sehnsuchtsvolles Erinnern nach Dir, vergangene Jugend der Welt ....

Auch Wahnfred hatte eine Seele, die lieber nach rückwärts schaute, als nach vorwärts. Häufiger als je dachte er an das am Fuße seines Berges ruhende Gestade. Dort war seine Mutter, dort war sein Weib, dort war sein Kind gewesen, dort hatte er ein Kind gehabt. Alles liebliche Glück war dort gekommen und hatte ihn besucht in seiner kleinen Werkstatt. – Alles ist vorbei, um jener heiligen Zeit willen hat er nicht das Recht, der Welt zu fluchen. Er war der redlichsten Freundin des Menschen, der Arbeit, untreu geworden, er war grob abgewichen von den Wegen der Friedfertigen – eine gute Weltordnung muß es sein, welche die böse That so strenge sühnt.

Und er hat doch wieder Freude, denn eine Offenbarung geht ihm auf, er beginnt in der Natur die Schönheit zu sehen. O Menschenauge, wie schön giebt sich dir die Erde!

Sein Blick fliegt in das Bergrund hinaus weit über den Flammenring, die Sonne leuchtet dort nicht heller als hier, der Himmel wölbt sich wie ein schirmend Zelt über alles. – Reicher Träumer du! Kennst du das Herrscherpaar über die Gegend, so weit der Blick reicht? Deine zwei Augen. Dem Gärtner gehört wohl der Apfel, aber dir der grüne, säuselnde Baum; ihm gehört vielleicht der Stamm, dir der weite, blauende Wald. Anderen gehört das Einzelne, dir das Ganze. Prangt der Garten, hast du den Genuß; geht er zugrunde, hat ein Anderer den Schaden. Jene nennt man reich, dich heißt man arm. Jenen zieht die Welt zu ihren Säckeln ein, dir zu Deinen Sinnen.

Traurig bist du? Ei Laß, so schreit der Uhu. – Hunger hast du? Geh, so singt der Rabe. – Nach Leben dürstet dich? Weißt du, was ein Bergquell ist? Wenige wissen es, Wenige sind werth, es zu wissen.

Alles was aus den Brüsten der Natur hervorgeht, ist klar und rein. Vielleicht war auch der Quell der Menschheit einst hell und frisch, und der Strom hat sich nur getrübt auf seinem weiten Laufe, da er den Staub der Welt mit sich riß, hat sich in den planlosen Weiten verloren, in steten Wellenkämpfen verbittert, so wie das Wasser des Meeres bitter geworden, welches erst wieder zu seiner Reinheit gelangt, bis es in den Wolken gegen Himmel gestiegen, zur Erde gefallen und aus derselben neuerdings hervorgegangen ist ....

Erlösung in der Auflösung und nach dem Hinfalle bessere Urständ’, dahin zielten unwillkürlich, wie der Magnet nach dem Norden, all seine Gedanken. –

Weit hinter den Bergen, im sonnigen Flachland, schimmerten gelbe Flächen. »O glückseliges Land, wo die Glocken und die Sicheln klingen!« rief Wahnfred aus. Ja dort ist Frieden, dort ziehen die Schnitter zur Ernte, und das Erdreich hat seine arme, seine Brust geöffnet, bietet all seine Früchte, sein Blut, sein Herz dar; so dankbar ist es, daß man ihm vertraut hat in den ersten Lenzen, da so Vieles noch starr war und grau, und der Landmann sein Korn in die feuchte Scholle gelegt hat. Mit Kornblumen und mit den Purpurblüthen des wilden Mohn hat sich das Feld für seinen Opfertag geschmückt, mit erdwärts geneigtem Haupte erwartet der Halm die Sichel ....

Wann wird zu Trawies wieder Ernte sein? –

Erstarrt sind nun die Traumbilder da oben, als wäre der Himmel in tiefsten Schlaf gesunken. Die wandernden Gestalten sind ohnmächtig geworden auf ihrem Wege gegen Morgen hin, noch drängen die hinteren nach und in der Stockung schiebt sich eine in die andere; eine steht der anderen vor dem Licht und sie erblassen und verdüsteren sich und liegen grau und schwer wie heißes Blei am Himmel.

Und wie alles still ist und selbst die Mücken sich unter die Schirme der Germen und Gentianen bergen, gleichwohl der Sonnenbrand auf Augenblicke sich dämpft, um dann aber noch heißer hervorzubrechen – hört man etwas, als ob in der Ferne ein Wagen über die Brücke der Trach rollte. Er ist bald darüber hinweg, dann wieder Stille, und die Bäume stehen bewegungslos, von der Hitze erschlafft, erstarrt. Über den Trasank hat sie eine mattgraue Wand aufgebaut, und so oft deren vorgeschobene Kuppen vor die Sonne wachsen, geht ein fahler Schatten über das Waldland, und wenn die Sonne wieder aus den bewegungslos scheinenden milchweiß beränderten Wolken hervortritt, ist die Nebelwand um so finsterer, als käme heute die Nacht durch leuchtende Ungeheuer einmal vom Untergang her der Sonne und ihren glorreichen Schaaren feindlich entgegengezogen.

Wahnfred schließt die Augen, er sinnt, wie es wäre, wenn die Natur einmal in Lähmung verfiele und der Erdball stünde still, und die Sonne stünde auf dem gleichen Flecke und müßte brennen, immer gleich fort brennen. – Drei Nächte nimm hinweg und es ist alles todt ....

Von Neuem rollt der Wagen, er ist näher, die Brücke ist länger.

Wahnfred schlägt die Augen auf, wie ganz anders sieht’s jetzt am Himmel aus! Zerissene, weiße und dunkle Wolkenballen, dahinter gedämpftes Grau, in welchem die Sonne bereits ertrunken ist. Über die Zinnen des Trasank wälzen sich schwer und düster ungeheure Wolkenmassen und fahren nieder an dem finster blauenden Gewände und schlagen an die Höhen des Ritscher und der Wildwiesen.

Es murren Donner, der Schall vermag die dichten, rasch ins Thal sinkenden Nebel nicht zu durchdringen und schlägt wie ein halbersticktes Röcheln ans Ohr. Die Blitze zucken nur in schwachem Schimmer durch die Nebel, aus denen hier und dort weißes Geflocke hervorspringt. Die gegenüberliegenden Berge sind nicht mehr zu sehen.

So finster ist es, daß zwischen den Zweigen der Hagebutte zwei Leuchtkäfer schimmern. Noch schreit eine Amsel, man weiß nicht zur Warnung oder zum Gebete. Ein Geier schießt ins Gewipfel nieder, der hat sich auf seinem Raubzuge in die Nebel verirrt und ist von einem Windstoß bodenwärts geschleudert. Nun fährt’s an, von oben her und den Berg heran kommt’s in finsteren Haufen, die Bäume pfeifen und rasen, das Gevögel flattert angstvoll auf. Im Heidekraut selbst saust der Sturm und schleudert Sand und Erde empor. Ein blendendes Feuerband schlägt in den Lüften ein ungeheures Trudenkreuz, und wo es schmetternd zur Erde fährt, da lodert ein Baumstamm. Ein Meer von Nebel wallt, fliegt zerzaust und zerfetzt zwischen den krachenden Bäumen. Die Wolken brechen und fallen in Fluthen nieder. Jetzt springt Staub, Moos und Reisig empört zur Höhe, jetzt ist es von wuchtigen Eiskörnern tief in den Boden geschlagen, und jetzt fährt alles, Halm und Ast, Stamm und Stein in braunen, brandenden Bächen lawinenartig der Tiefe zu. Wahnfred sieht nichts mehr als das wirbelnde Grau, von rothen Lichtern durchfahren, hört nichts mehr, als das Brausen wie auf wilder See. Das Rollen der Steine, das Stürzen der Bäume, das krachen der Blitze, es ist Eins geworden. Wie wenn der Hauch eines Gottes die Schöpfung wieder in ihr ursprüngliches Chaos zerblasen hätte, so wogen die Elemente durcheinander, als sollten sie sich eins im anderen lösen.

Wahnfred ist hingeschleudert worden in junges Dickicht, Hören und Sehen vergeht ihm, aber die Pulsschläge seines Herzens klingen in wundersamer Weise. Du armes Menschenkind! Du hast auch gehaßt; wie kindisch war Dein Neid, wie ungezogen Dein Zorn, wie kleinlich Deine Bosheit gegen diesen Zorn der ewigen Gewalt, die mit Einem Schlage alles rächt, alles erlöst. – Du hast auch geliebt! Welch wässerige Glückseligkeit, welch ängstliche Eigensüchtelei, welch schwacher Muth, welch träge Leidenschaft gegen die weltverzehrende Gluth, die alles vereint und in der Vernichtung alles gebärt. Deine Leidenschaft ist ein Sturm im Glase – und du wagst Den, der da in ewiger Größe zürnt und zerschmettert, armseliger, menschlicher Motive zu zeihen! Du wimmerst um sein Erbarmen, oder du ballst die Faust, um, bevor du untergehst, seiner Brust einen Schlag zu versetzen. O, du bist kindisch, du siehst deinen Feind im niedersausenden Eise und weißt es nicht, wie lange sich die Tropfen gesträubt haben, bis sie der Frost erstarrt, der Sturm hingeworfen hat. Du meinst, der Sturm wolle dich verderben und denkst nicht daran, wie verzweifelt die ungleichen Wärmeschichten miteinander gerungen haben, bis die wilde Jagd der Lüfte anhub. Und der Lüfte Schlachtenplan, er wird gemacht bei den Sternen. Alles und alles liebt die Ruhe wie du. Der Alleinige vernichtet und baut absichtslos, er will sich nicht nützen und dir nicht schaden – du bist ja sein, bist ein zitterndes Härchen an seinen grauen Locken. Du bist ein Blatt im Kartenspiele und wirst auf deinen Posten gestellt, jetzt gewinnst du, jetzt unterliegst du, jetzt wirst du miteingemischt und bist so viel und so wenig, wie jedes andere. Du bekämpfest scheinbar die übrigen Blätter und sie bekämpfen dich, aber ihr gehört zusammen und für das Ganze kann das Spiel nicht verloren sein. Unheilvoll ist nur jene Gefahr, die der Mensch sich selbst bereitet, denn auf solchem Wege begegnet ihm das böse Gewissen. Im Streit der Elemente mag er ruhig sein; in welche der auf- und niederspringenden Wagschalen er auch geworfen wird, er dient dem Gleichgewichte, es wird wieder das Ebenmaß herrschen und das Zünglein friedlich nach aufwärts deuten, wo des Ewigen Hand an der strahlenden Sternenkette die Wage hält .... So das Sinnen des gottsuchenden Wahnfred. »O, du Narr!« rief er einst zu sich lebst, da er fühlte, wie es in seinem Haupte wirr war.

»Narr?« fragte er sich dann. »Wer? Ist es es denn Narrheit, bei Ihm sein zu wollen? Die Mär erzählt, der Alten Gott hätte Donar geheißen. So rufen wir heute noch aus: O, Gott! oder: Donar! Und die Leute verstehen: Du Narr! Worte entarten wie Geschlechter. Donar hat Blitze geschleudert – im Feuer find’ ich ihn wieder!« –

Der Sturm ist vorüber. Die größten Bäume des Waldes sind gebrochen, tief unten über die Wiesenflächen wälzt sich noch der Schutt, brausen noch die braunen Wasser. Hänge sind blaß und kahl, das Blätterwerk ist zu Thale geschwemmt. Der Trasank steht in scharfem Bilde da, leichte Nebelflocken schweben an seinen Wänden und die Luft ist kühl wie Kellerhauch. Das Thal der Trach ist weiß; ein Stück Winter ist krachend hingeworfen worden. Die Berge jenseits stehen in voller Klarheit, keiner ist gestürzt, über den Waldungen steigt da und dort ein blaues Rauchwölklein auf. Leichte Streifen durchziehen den Himmel, die hingehende Sonne lächelt ein »Gute Nacht« zurück. Fern über das Flachland grollt die Wetternacht dahin und auf ihrem stahlgrauen Grunde, wie aus den gezähmten Flammensplittern der Blitze gebaut, steht das hohe Halbrund des Regenbogens.

Wahnfred geht seiner Hütte zu. Was ist die Luft so rein! Keine einzige Mücke, kein Schmetterling, kein Heupferdchen mehr! Wer die Millionen der kleinen Todten zählen könnte! Da ist ein Weltgericht vorbei.

Nun kommt die ruhsame Nacht. Alles im Frieden, nur aus dem Thale dringt lauter als sonst das Rauschen der Trach. Die Wildwässer haben auch jene Schrift ausgelöscht an der Dreiwand. Aber Wahnfred sitzt ruhelos in seiner Hütte und sinnt und träumt- Fast will er heute vergessen auf die Vergangenheit; er denkt daran, was werden soll. Er möchte die Bande zerreißen, die ihn an die Vorfahren und ihre Satzungen binden, durch sie geleitet, hat er der Gemeinde Trawies die Religion getödtet. Einen neuen Gott muß er ihr suchen ....

Tief war es schon in der Nacht. Die schlaflosen Augen des Mannes, der vor der Hütte saß, irrten in die Gegend hinaus. Da sah er unten am Hang zwischen den Stämmen ein Lichtlein flimmern. Es glitt langsam hin und her, es kam näher. Und als es nahe war, trat über das Flämmchen rosig beleuchtet ein überaus schönes Mädchengesicht hervor.

Sela trat vor ihn hin und sagte die Worte: »Der Feuerwart übergiebt das Feuer.« – – –

 

 

Sela war nicht zu bewegen, im Haus auf dem Johannisberge die Stunden der Nacht abzuwarten. Allein, wie sie bergwärts gestiegen war, stieg sie thalwärts. Die hohen Tannen standen so starr und hoben noch höher ihre knorrigen Kronen, seitdem sie wieder einen Strauß mit dem Sturme so glücklich ausgefochten. Zwischen ihrem finsteren Geäste glitt das weiße Mondlicht nieder, wohl eine mangelhafte Leuchte für die Wanderin, welche ihr Licht auf den Berg getragen hatte und nun in Wald und Nacht still und zitternd zurückschritt. Oft strich ein Mondenstrahl über ihre gestalt und da leuchtete es wie tropfender Thau über ihren Wangen.

Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt, nun durfte sie ihr Eigen sein, nun konnte sie ihr Elend bedauern und darüber weinen.

An diesem Tage, während die Wetter wütheten, war es mit ihrem Vater aus geworden. Vor dem Feuerschein eines Blitzes hatten die Wimpern seines Auges noch gezuckt, dann waren sie starr geblieben.

Nun ging Sela heim, um an der todten Gestalt zu wachen. Als sie an der Berghalde über einen Holzzaun stieg, sah sie die schwarze Gestalt nicht, die neben dem Zaune stand und die jetzt, da sie vorüber war, sich zu bewegen begann und ihr nachging. Sela eilte hastig und immer hastiger abwärts, als hätte sie es geahnt, daß sie verfolgt werde. Aber plötzlich stand sie vor der brausenden Trach und konnte nicht weiter. Das Wildwasser hatte den Steg fortgerissen und die Wellen schlugen zornig über das Ufer hinaus.

Gegen das hin ist das Thal offen, geht der Himmel in seiner blaßgrauen Scharte nieder zwischen den schroffen Bergen. In dieser Scharte stand der Mond.

Sela stand still und überlegte, was hier zu beginnen sei. Da nahte ihr die schwarze Gestalt vom Zaune und sagte den Namen: »Sela!«

Sie erschrak nicht, sie kannte die Stimme wohl, konnte es aber doch kaum glauben, daß er nahe sei.

»Sela,« sagte er, »fürchte Dich nicht vor mir, ich bin Erlefried.«

»Wie kann es sein, daß Du da bist?« war ihre Frage.

»Das ist kein Wunder, ich bin hierher gegangen. Nimm nur meine Hand, ich will Dir’s gleich erzählen, aber wir müssen ein wenig in den Wald zurückgehen, hier schreit das Wasser so sehr.«

Er führte sie vom Bache hintan und sagte: »Das heutige Gewitter ist so mächtig gewesen, daß mir die Angst gekommen ist, es könnte Eurer Hütte was zustoßen. So bin ich in den Dürrbachgraben herabgestiegen und da sehe ich Dich des Wegs mit einem Laternenlicht gehen. Es wird schon dunkel und ich folge Dir. Zu Trawies kann sich keine Maid auf ihren eigenen Schutzengel verlassen. Ich habe gemeint, Dein kranker Vater hätte Dich zur Kofelarztin geschickt, aber Du bist auf den Johannesberg gestiegen und da habe ich Dich erwartet.«

»Erlefried,« antwortete das Mädchen, »daß Du so zu mir bist – ich dank’ Dir’s allerwege, nur muß ich’s sagen, meine Angst ist jetzt zweifach. Du weißt doch, die Leute dürfen Dich nicht sehen.«

»Deswegen gehe ich in der Nacht,« versetzte der Jüngling, »und wer mir begegnet, dem erscheine ich als Gespenst. Es ist ja noch ein Glück, daß es Gespenster giebt. Ich wollte für heute nur, wir wären welche, daß wir über dieses Wasser fliegen könnten. Herüben können wir nicht bleiben, wenn wir nicht unten am Gestade, auf dem Steingrunde, wo mein Vaterhaus gestanden ist, übernachten wollen. Nach Trawies dürfen wir nicht hinauf, und da, wo wir stehen, können wir uns nicht zu Schlafe legen.«

Da schlug Sela vor: »Wir könnten zum Hause auf dem Johannesberg emporsteigen.«

»Ich hasse die Leute,« antwortete Erlefried.

»Da oben wohnt Dein Vater.«

»Ich weiß es. Vor meinem Vater fürchte ich mich.«

Sela schwieg. Sie dachte über das Wort nach, welches ein Sohn hier gesprochen hatte. Er fürchtet sich vor seinem Vater.

»Mich däucht immer,« sagte Erlefried beklommen und brach sein Wort ab.

»Was meinst?«

»Mich däucht, in Trawies gehen Leute um, die sich dem Teufel verschrieben haben.«

»Um Gotteswillen, Du wirst doch das von Deinem Vater nicht vermeinen!«

»Wenn ich auch just das nicht sagen will: ich kenne Andere, die für solche Sach’ nicht zu gut sind.«

»Erlefried,« entgegnete nach einer kleinen Weile das Mädchen, »daß ein Mensch sich dem bösen Feind verschreiben kunnt, ich glaub’ nicht recht d’ran.«

»Ich glaub’s wohl. Wenn Einer nur will. Aber mit Ernst wollen muß Einer.«

»Geh, wer wird denn das wollen!«

»Wer? Leute genug, die es möchten, daß ihnen alles nach Wunsch ginge. Sie selber bringen es nicht zuweg; der Herrgott, gesetzt die Trawieser hätten einen, läßt sich auch nicht allemal brauchen. Sucht halt der Mensch nachher wen Anderen. Wir thäten auch Einen brauchen, der uns über die Trach trüge.«

»Du hast ein sündhaftes Reden, Erlefried, wir können uns ja einen Steg legen.«

Das Steglegen wäre ein unbedacht Beginnen gewesen, denn die Trach war noch immer im Wachsen; jetzt kamen erst die Wasser aus den hintersten Hochschluchten des Trasank, sie wälzten Gestein und Erdreich mit sich und manches Geräthe aus Häusern und Scheunen. Aber dort, wo zwei Felsenbänke den Fluß einengen, hatte der Sturm einen alten Lärchenstamm über quer geworfen und das war ein Steg. Das dichte Geäste bildete einen förmlichen Wald auf dem Stege, durch welchen sich die beiden jungen Menschen mit Gefahr und Mühe winden mußten. Sela schmiegte sich mit dem einen Arm an den Jüngling, während dieser sich wacker von Ast zu Ast griff und die Gefährtin zu stützen suchte. Wie lange war jener liebliche Sonnenwendmorgen schon vorbei, da Erlefried sie wie heute über die Trach geführt. Was war das für eine sonnige Stunde, für eine glückliche Zeit gewesen! Aber jenem Sonnenwendtage entkeimte der Dämon, der heute herrscht zu Trawies im Vereine mit den wilden Nächten der Natur, wüst und zerstörend wie die aus dem Hochgebirge niederfahrenden Fluthen, über welche das junge Paar nun schreiten mußte.

Endlich waren sie am anderen Ufer, und als sie zur Freiwildhöhe hinanstiegen, erzählte Sela von dem Tode ihres Vaters. Erlefried wischte ihr mit seinen schlanken Fingern die Thränen aus den Wimpern. »Ich will Dir Deinen Vater bestatten helfen, so wie Du mit mir warst, da ich meine Mutter begrub. Wir legen ihn im Wald recht tief zur Erde und wälzen Steine auf sein Grab.«

Sie schwieg. Wie dieser liebe Mensch so lieblos sein kann! Begraben, begraben!

Dann gingen sie über die Höhe hin.

Der Himmel war wolkenlos geworden, der Mond schien überaus hell und mild und warf schwarze Schatten, sein Schein war fast warm. Kein Thierchen rauschte in den Zweigen, keines zirpte im Grase. Selbst die Füße der zwei Menschen traten leise auf. Erlefried und Sela gingen nahe beisammen und ihr Schatten war wie ein einziges Wesen mit zwei Häuptern. Erlefried fühlte sein junges Leben.

»Ich werde Dich nicht verlassen, Sela,« sagte er, »ich werde bei Dir sein in Deinem Hause und Dich hüten, wie Dich Dein Vater gehütet hat, und Dich liebhaben, wie Dich Erlefried bis auf diesen Tag lieb gehabt hat.«

»Du wirst bei mir sein,« hauchte das Mädchen tief beklommen.

»Ich werde heute bei Dir sein,« stieß er kurz und scharf heraus, »ich werde nimmer von Dir gehen. Ich werde in alle Ewigkeit bei Dir sein.«

»Heute nicht,« flüsterte sie.

»Heute, Sela, heute. Du zündest das Feuer an, ich verschließe das Haus, da gehören wir nicht mehr zu Trawies. Wir fliehen nicht hinaus ins fremde Land, wir fliehen in uns selbst hinein. Wir gehören unser. Sela! Sela!«

Hastig riß er sie an sich und küßte sie auf die Stirne, auf das Auge; auf den Mund wollte er sie küssen, da preßte sie ihre Hand an seine Lippen und drückte ihn zurück. Er zog sie rasch mit sich fort gegen das Häuschen im Dürrbachgraben.

Sela ließ sich ziehen. Einmal, zweimal schlug leise eine Ruthe auf ihre Achsel, Zweige der silbern schimmernden Weiden, die auf dem Moorboden standen und dem Paare nachsahen, nachwinkten.

Erlefried und Sela eilten, liefen, raseten dahin und abwärts durch den Wald, wo es naß war und kühl und wo Schutthaufen von Eiskörnern lagen, und wo in der schwarzen Nacht das Mondlicht tropfenweise hing hoch im Gezweige. Sie sagten nichts, die eilenden Füße waren der einzige Ausdruck ihres Fühlens. Sela sehnte sich nach der Leiche ihres Vaters und empfand Angst, je näher sie der Hütte kamen. Der Jüngling, urplötzlich umfangen von dem Flammenringe leidenschaftlicher Liebe, dachte nicht an den Todten. Fest schlang er den starken Arm um ihre Gestalt, er trug sie fast, ihre Füße berührten kaum die Wurzelstränge und die Steine und die Steine. So glitten sie abwärts und immer vernehmlicher wurde das Rauschen des Dürrbaches.

Nun waren sie in der Schlucht, und als sie über das Gefälle und Geschütte dahinkletterten und unsicher auf und ab gingen, schauend, forschend, suchend, blieb Sela plötzlich stehen und rief: »Die Hütte ist nicht mehr da!«

»Wo soll sie sein? Sie wird weiter unten stehen.«

»Hier, dahier, gegenüber dem großen Stein muß sie stehen. O Gott, da ist ein neuer Berg, Erlefried, Erlefried; die Hütte ist verschüttet!«

Eine Berglehne war herabgefahren mitsammt Baum und Strauch. Sela warf sich auf den Schutt und wimmernd grub sie mit den Händen die Erde auf, bis sie Erlefried zurückdrängte und die Worte sprach: »Siehe, Gott ist noch in Trawies, er hat Deinen verstorbenen Vater begraben!«

Dieses mild und sinnig gesprochene Wort des Jünglings öffnete die Schleusen ihres bedrängten Gemüthes, sie weinte heftig. »Gott hat ihn begraben!« Dieser Gedanke that ihr wohl zu solcher Zeit, wo sie davor gezittert hatte, ihren Vater ohne Glockenklang und ohne Segen in die Erde legen zu müssen; wo sie auch gebangt hatte davor, in der finsteren Hütte fortzuleben, sei es allein, sei es mit dem Freunde. Jetzt ist alles vorbei, hier wendet auch ihr Weg.

Sie haben sich hernach auf den großen Stein gesetzt, der neben dem Wasser des Dürrbaches aufragte und an dessen Flächen zartes Moos wuchs. So saßen sie die Nacht und schauten hin auf den ungeheuren Grabhügel. In Erlefried hatte sich jene Gluth, die in vorhin über Berg und Thal gejagt, aufgelöst in die Wärme der Theilnahme und der Andacht.

Er wollte zu ihr sprechen, aber sie hörte seine Worte nicht; die wilden Wasser betäubten rauschend ihre Gefühle. Der Mond sank gegen das Gewipfel der Bäume hin und da gingen zwischen demselben die Schlierstreifen des Lichtes, legten Silber auf die Steine und Funken in die Wellen und die Gesichter der beiden Menschen schienen blutlos zu sein. Ein breites Band ging durch die Wipfelscharte nieder auf den Schutthügel, aus welchem in weißen Splittern noch die Strünke frischgebrochener Stämme ragten. Ein geheimnisvolles Wehen ging und der Mondäther verdichtete sich zu blassen Gestalten, die aufwärts und niederwärts stiegen, wie die Engel auf der Jakobsleiter.

»Sela,« sagte Erlefried und legte sein Haupt an das Köpfchen der Jungfrau, so daß seine langen Locken hinabwallten über ihre Stirn, »Sela, siehst Du, wie jetzt die Altvorderen herabsteigen zu Deinem Vater, der das Ahnfeuer gewartet hat? Jetzt tragen sie ihn auf der lichten Straßen in den Himmel.«

Als über den blauen Wäldern des Tärn die Sonne emporstieg, führte Erlefried die zagende Sela in das Haus des Bart ein.

Er erzählte, was geschehen war und bat den Bart um Unterstand und Schutz für das Mädchen.

»Dein Bitten, Erlefried,« entgegnete der Bart, »ich weiß nicht, wie ich es soll deuten. Ja, ich will dem Kinde eine Hut geben, so lange ich selber eine habe. Ich nehme die Sela gern in mein Haus; nur, Erlefried, Du hast es ja erfahren, daß wir oft nicht wissen, was wir essen sollen.«

»Ich sammle meine Nahrung im Wald, wie ich es bisher gethan habe,« sagte das Mädchen.

»Und wo sie schlafen wird?« meinte der alte Mann.

»In der Scheune auf dem Heu,« schlug Erlefried vor.

Das Weib des Bart stand dabei; sie hatte schon ein Weilchen die jungen Leute betrachtet, die so warmlebig und so ahnungslos nebeneinander dastanden.

»In der Scheune mögen die Mannesleute schlafen,« sagte sie jetzt, »der Erlefried und meinetwegen auch der Bart; die Maid soll in der Stube sein, ihr Bett neben dem meinen.«

Dem Bart war’s recht.

 

 

Aus derselben Zeit berichtet die Urkunde das Sterben des Tärn.

Der Tärnwald war bis zum Ritscher hin fast eine Geviertmeile groß und lag an schönen Sommertagen wie ein stiller, tiefblauer See unter dem Himmelszelte, scheinbar ruhend und schlummernd auf weltfernem Gelände. Das unendliche Leben und Weben in seinen schattenkühlen Gründen sah man nicht. Das millionenfache Entstehen und Vergehen der Wesen, die Lebenslust und das Sterbensweh, die warmen Herzschläge und die heißen Kämpfe all um das Leben, das nimmer rastende Ineinanderzittern, Auf- und Niedergehen, wie es in dem Webstuhle des Waldes ist, ununterbrochen bei Tag und Nacht, zu allen Zeiten des Sonnenjahres, wer achtet es?

Und im Tärn, wer wagt es, verlorener Menschen Treiben zu verfolgen? Die Bäume verhüllten es lange mit ihren wuchtigen Ästen. Trawies war scheinbar der Mittelpunkt, dort wickelte sich scheinbar eine Art von Gemeindeleben an, aber tief in den Wäldern barg sich und wob ein Anderes. Mancher der Alten von Trawies staunte ja, wie sich das von aller Welt herbeiströmende verworfenste Gesindel allmählich von selbst wieder verloren hatte. Sollte es sich zu gut fühlen für Trawies oder sollte es noch Ärgeres suchen?

Der Tärn war wie ein gothischer Bau gegen den Rundbogenstil der Laubwälder draußen im Lande. Der Tärn war eine dröhnende Orgel im Gegensatze zu den säuselnden Büschen der Niederungen; der Sturm zog daran den Blasebalg. Der Tärn war die Nacht, andere Wälder waren die Dämmerung. Der Tärn bestand zumeist aus Fichten, die nicht von Menschen gepflanzt worden waren, die in wilder Zucht dem Samen ihrer Väter entsprossen auf der braunen Erde standen. Seit Menschengedenken und Sagen hatten die Hochwaldungen des Tärn gestanden; Stürme, Schneebrüche, Waldbrände und Holzfäller vermochten diesem Walde nicht viel anzuhaben; alljährlich schlüpften die rothen Kätzchen und die braunen Zäpfchen hervor aus dem Gezweige, wehte der Fruchtstaub durch das harzige Geäste, flogen die beschwingten Samen nieder in das Moos der Gabelzähne und des Widerthrons, und zwischen den Wurzeln der alten keimten junge, und die morschenden Stöche wurden Wiegen für neue Stämme; hoch oben neben den geknickten Kronen wuchsen frische Wipfelchen und aus jeder Wunde quoll urkräftig neues Leben.

Mancher vom Sturme hingeworfene Baum, dessen filzige Wurzelscheibe hoch gegen Himmel stand, grünte eine Weile noch fort auf seiner Bahre und wollte nicht eher versterben, als bis er aus seinem bemoosten Körper neue Sprößlinge in heller Jugendfrische erstehen sah. Andere freilich gingen zugrunde an der Fruchtbarkeit ihres eigenen Bodens, sie wurden harzlos, herzlos, kernfaul. Wieder andere Bäume hier waren übermüthig und standen auf Stelzen, als wollten sie hoch über die Nachbarn hinausblicken in die weite Welt. Auf alten Stöcken waren sie gewachsen, und als die Stöcke in eitel Erde zergangen waren, da fehlte ihnen der Boden unter den Füßen und sie standen wie auf gespannten Klauen, und unter dem Wurzelgeflechte durch verfolgte das Wiesel die Eidechse und der Wolf den Fuchs.

Der Schmarotzer gab es im Tärn übergenug. Der Fichtenblattsauger stach in die zarten Zweige, daß sie Auswüchse bekamen; der Kreuzschnabel biß die Blütenzäpfchen ab, das Eichhörnchen that dasselbe; der Rüsselkäfer zernagte die Rinden junger Sprößlinge, und ein Falter war, der sich in dunklen Habit hüllte, ein gleißendes Thier, die Nonne geheißen, der fraß die grünen Nadeln, daß die Bäume lungensüchtig wurden; der Kieferspinner zehrte in beispiellosem Heißhunger das Genadel der Föhren auf; der war ein gefährlicher Feind und gab, um auch die kommende Generation mit Unheil zu versorgen, gern seine unzähligen Eier in die Stämme ab. Da kam aber die Schlupfwespe und legte ihre Eier in die Raupen der Kieferspinner. Wohl gedieh die Schmetterlingsraupe trotz des nagenden Wurmes im Inneren bis zur Puppe, dann war’s ein Schmetterlingsleib mit einer Wespenseele, der Leib sank bald der Erde zu, die junge Schlupfwespe aber flog lustig empor über die Wipfel der Bäume und die Kiefer war erlöst von ihrem Feinde.

Wohl gab es Bestände, die vorzeitig von Holzern hingeworfen wurden; sagte ja einmal der Feuerwart das Wort: »Den Bäumen geht es wie den Menschen, in ihren besten Jahren müssen sie aufs Schlachtfeld.« Aber da kam der unsichtbare Säemann, tauchte seine Hand in die Samen und wehte, streute sie hin über die kahle Lände. So säet der Wind. Und der Tärn stand und wucherte in strotzender Kraft auf seinem Granitgrunde fort. Bäume waren darunter mit vielen hundert jahren an Alter, mit vielen hundert Fuß an Höhe, zwei Männer vermochten nicht, sie zu umspannen. Von jenen, die am höchsten standen, waren die verkrüppelten Wipfel und Äste gegen Morgen hin gebogen, daß es stetig zu sehen war, als fahre ein westlicher Sturm in sie. Aber gerade dieselben bogen sich im Sturme nicht, starr und trotzig standen sie aufrecht und in ihren Kronen nistete der Habicht.

Hie und da stand auch eine Weißtanne, eine freundliche Lärche; aber verwahrlost und wie in der Fremde kümmerten diese Bäume im düsteren Tärn und genossen das Gnadenbrot von den Fichten.

Es führten wenige Wege durch die Waldung, und selbst zur Zeit der Ordnung war es in derselben keinem der seltenen Wanderer heimlich gewesen. Der Boden war zumeist völlig kahl und nur mit Gefälle, grauem Moosfilz und dürrem Genadel bedeckt, selten war darauf der Ducaten eines Sonnenpunktes zu finden. Dort und da ragte ein grauer Stein, zuweilen das Gerippe eines modernden Strunkes. Fast auf der Höhung des sachten Bergrückens, fern von den pfaden der Menschen, ganz in der Ödniß des Hochwaldschattens stand ein hölzernes Kreuz. Wenige suchten es auf, um davor zu beten, und niemand wußte recht, warum es stand. Das Kreuz trug weder das Bild des Erlösers, noch ein anderes Zeichen; wie es so ragte in der Einsamkeit, wo über Allem schwere Stille lag, oder der Wind brauste oben in den Wipfeln, da war es schier grauenhaft zu schauen.

Einige meinten, hier sei die Stelle, wo vormaleinst dem heiligen Jäger Eustachius, da derselbe noch ein Heide gewesen, der Hirsch mit dem Crucifix zwischen den Geweihen erschienen sei. Andere behaupteten, das Kreuz sei von selbst aus der Wurzel eines Baumes gesprossen und an Größe und Gestalt genau jenem gleich, an welchem Christus gestorben.

Wieder andere wußten zu erzählen, diese Kreuz stamme von dem grünen Wolfgang her. Der grüne wolfgang war vor dieser Zeit der Schrecken der Förster gewesen im Tärn; er hatte stets Reiser, Blätter und Blüthen vom grünen Wald an seinen Kleidern getragen, auch sein Hut, sein Rock, seine Strümpfe waren grün, sein Haar und Bart war weiß, sein Ruf war schwarz. Was der grüne Wolfgang war und that, es sah nicht böse aus, und den Wald hegte und pflegte er, wie man ein liebes Kind pflegt. Er lebte selbst wie der Baum im Walde, gar frei und frisch in seinen alten Jahren noch. Aber trotzig war er. Selten stieg er hinab nach Trawies, ging nicht in die Kirche und nicht ins Wirtshaus. Davon kam sein schwarzer Ruf. Sein Haus stand im Walde, sein Mahl holte ihm die Kugel; tausend Ruhekissen waren ihm im Tärn gewachsen. Einst an einem hellen Sommermittage lag er unter dem Zeltdache der Fichten auf sanftem Moose. Die Vögel waren alle verstummt, die Käfer krabbelten träge unter dem Geflechte des Bodens; ein grauer Schmetterling flatterte von Ast zu Ast; der Förster schlief ein.

Eine Weile schlief er süß und Ameisen liefen fröhlich über seine Beine. Allmählich kam eine Unruhe über ihn, er seufzte und stöhnte, und als er endlich erwachen konnte, da fand er sich in der Kühle der Abenddämmerung. Der Mann erhob sich rasch, blickte beklommen ins schlanke Gestämme, blickte zu den Wipfeln auf und eilte seinem Hause zu. Und bald nach diesem Tage hat er an der Stelle, wo er geschlafen, das Kreuz setzen lassen.

Der alte Förster lebte hierauf noch eine Weile fort; endlich aber starb er, ohne daß die Leute erfahren hätten, weshalb der Ketzer in dieser Wildniß das hochragende Bild hatte errichten lassen.

Der grüne Mann war der letzte Förster gewesen im Tärn. Nach ihm wucherte der Wald wilder und unumschränkter als je. Nun hatte er keinen Meister mehr. Manch strotzender Baum blickte höhnend wieder aufs Kreuzbild: Du Ding aus dürrem Holz, was willst Du?

Man stellte wohl wieder Leute auf, um den Wald zu hüten, aber denen wollte es in der Einschicht nicht gefallen, denen war der Wirtshausschatten lieber. Männiglich weiß, im Wirthshaus giebt es alten Wein und junge Mädchen und auf dem Fensterbrettlein liegen die Spielkarten. So war’s auch zu Trawies gewesen, so lange dort überhaupt noch Wein getrunken wurde. Der Wald draußen, der wächst selber, aber den Wein müssen die Leute trinken. So hielten es die jungen Hüter das Tärn.

Von den Schneebrüchen und Stürmen, die in dieser Gegend herrschten, haben wir bereits erfahren. So auch im letztvergangenen Frühling. Abwechselndes Thau- und Frostwetter hatte den Fallenden Schnee an den Ästen und Wipfeln festgehalten und anfrieren lassen. Eisnadeln und Klumpen hatten sich daran gebildet, die zogen das Geäste nieder, bogen die jungen Stämme, brachen die Wipfel. Und später, als der Schnee zergangen war und die Veilchen wuchsen, da verwunderten sich, daß die Finken und die Ammern, daß die sonst so stolzen Stämme so tiefe Bücklinge machten, daß sie die Arme so muthlos niederhängen ließen, während es doch Zeit war zum Auskeimen und Kätzchentreiben: verwunderten sich, daß manche sauber gewachsene Jungfichte auf der faulen Haut lag im hellgrünen Sauerklee, und daß so viele der höchsten und ältesten Bäume den Kopf verloren hatten. Die Verwüstung war groß; dazu noch das verheerende Unwetter, welches wir auf dem Johannesberge miterlebt haben – und so kam die Zeit, da der Tärn zu sterben begann.

Keiner war mehr zu Trawies, der daran gedacht hätte, im Walde das Todte von dem Lebndigen zu sondern. Der Bart freilich, der schüttelte den Kopf, aber es wären vile Hunderte von Holzhauern nöthig gewesen, um das Gefälle und alles Bruchholz fortzuschaffen.

Im nächsten Frühjahr trat der »Waldhüter« einen alten Wurzelgräber an, warum derselbe mit seinem Stecheisen die Baumwurzeln versehre.

»O lieber Gott,« antwortete der Alte, »mein Eisen thut nicht viel, aber hier will ich Dir was zeigen, das mehr thut!«

Er führte den Hüter zu einem tief im Moose liegenden Baumstrunk, riß mit der Hand ein großes Stück Rinde davon ab, daß der braune Staub flog, die zwischen Borke und Splint in einer dichten Schicht angehäuft war.

»Siehst Di die Buchstaben, die da ins Holz eingegraben sind? Kannst sie lesen? Das ist der Todtenschein des Tärn!«

»Dummes Zeug!« brummte der Hüter; insgeheim erschrak er aber vor den in den Splint gegrabenen Zeichen. Es waren zahllose verschlungene Canälchen, die von einem Hauptgange auszweigten und von denen runde Löchelchen in das Innere des Stammes führten. Es waren die durch ein Insect genagten Gänge, in welchen hie und da eine graubraune schwulstige Larve lag und in welchen zuweilen so ein braunes Käferchen heranrieselte, nicht größer als ein Weizenkorn. »Schau, schau,« sagte der Hüter schließlich, »nun, das ist morsches Holz. Es liegt nichts d’ran.«

Nicht lange hernach gesellte sich der »Waldhüter« zu einem anderen Waldlungerer und sie unterhielten sich von Bubenstreichen aller Art, die in der Gegend wieder verübt worden waren.

»Ich bin dahintergekommen,« flüsterte der Eine und legte den Arm mit dem zerfetzten Ärmel um den Leib des Anderen.

»Wem bist dahintergekommen?«

»Dem Fuchs, wo er die Taube versteckt hält.«

»Meinst Du den Stromer?«

»Wen etwa denn sonst?«

»Und das Dirndel vom Johannesberg?«

»Geh’, stell Dich nicht so dumm, die meinst Du selber.«

»Wo ist sie?«

»Ja, glaubst, ich bin der Narr und steck Dir’s? Die magst Du lang suchen. Ich sage Dir nur, daß sie der schlechte Kerl noch immer bewacht, wie eine gottverbissene Äbtissin ihr jüngstes Nönnlein. Das goldfarbig Haar wachst ihr und in etlichen Wochen ist wieder Schafschur.«

»Pst!«

Eine durch das Dickicht streichende Gestalt mit beladenem Rücken unterbrach das Gespräch der Beiden. Bald war der Beladene verschwunden und es waren auch die beiden Lungerer verschwunden. –

Noch immer bereitete der Tärn über alles seine grüne Decke. Sein Bestände war scheinbar fruchtbarer als je und mancher Wipfel brach nieder von der Last der Zapfen. Sehr viele Spechte waren zu sehen, die in dem faulenden Holze emsig umherpickzem; sie fanden der Nahrung übergenug ...

Da kam die Zeit mit einer außerordentlichen Erscheinungen. Die Witterung war mild und feucht, aber viele und viele Bäume im Tärn, jung und mächtig sonst, trieben keine Keime, keine Blüthenkätzchen, und die spröden Zapfen aus dem Vorjahr blieben an den Zweigen hängen. Der Bart schüttelte wieder den Kopf. Aus dem dunklen Grün dieser Bäume war ein mattes Braun geworden und im Hochsommer rieselten die Nadeln nieder auf den Boden.

Der Bart, dessen Haus ja nicht weit vom Walde stand und der im Walde versteckt seine Äcker hatte, untersuchte manchen Stamm. In den Rinden, in den Bastschichten, im Splint und im Kernholz waren die schrecklichen Schriftzeichen, die unzähligen Canälchen des Borkenkäfers, das »mene tekel« des Tärn.

Das fließende Harz des grünen Holzes hatte die kleinen Ungeheuer nicht erstickt.

»Der Wald ist hin,« sagte der Bart zu Erlefried. »Es ist wahrhaftig, als wie wenn der Fluch nichts wollte verschonen. Mir ist angst und bang.«

Erlefried hielt seine Antwort an sich. Er war doch auch im Flammenring, wie sie das umstrickte Trawies nannten, aber er spürte nichts an sich von einem Fluche. Ihm war so frisch und freudig. Die holde Sela durfte er anschauen jeden Tag. Wohl zog’s ihn näher zu ihr, als auf dem Felde zwei Halme nebeneinanderstehen können, aber der Bart und sein Weib hüteten insgeheim die jungen Herzen.

Zu einer anderen Zeit hätte das Hinsiechen des weiten, herrlichen Waldes in Trawies eine große Aufregung verursachen müssen, aber jetzt kehrte man sich nicht viel daran und Manche hielten es für selbstverständlich, daß´Alles zugrunde gehe.

Zu Ende des Sommers stand stellenweise fast jeder dritte Baum ohne Nadeln da und reckte sein kahles, verkrüppeltes Gezweige gegen Himmel: die Rinden waren wulstig und zerrissen und hingen stellenweise in Fetzen. Ein starker Harzduft wehte und endlich schien wieder einmal die sonne auf den Erdengrund des Tärn. Die Grünspechte und Kreuzschnäbel, die Amseln, Häher und Sperlinge schossen planlos umher, die Wildhühner, Eulen und Fledermäuse flatterten heimatlos geworden im dorrenden Reisig auf und nieder.

Und als die Sonne wieder höher stieg, flog der Borkenkäfer in unendlichen Schwärmen durch das Gestämme, um sich in noch frischem Holze neue Nester für seine Brut zu bauen. Entlegene Theile der Waldung waren bisher noch verschont geblieben, sie wären vielleicht durch Gräben und Feuerdämme zu retten gewesen; nun drang die Pest auch dahin und die Bäume huben an zu vertrocknen.

Der Bart war ob solcher Verwüstung bisweilen wie wahnsinnig. Jetzt fühlte er erst, wie sehr er den Wald geliebt hatte. In seiner Wuth machte er Jagd nach einzelnen Käfern und zerstampfte sie mit den Füßen. Dann, als er sah, daß der Wald verloren war, wollte er in die dürren Bestände Feuer schleudern. So hat auch diesen sonst so besonnenen Mann, zwar nur vorübergehend, der Wahnsinnsteufel erfaßt, der eine Folge des Fluchst war, weil man an den Fluch geglaubt.

Auf dem Boden lag eine dichte Schicht von dürrem Genadel, in welcher allerlei Fußtritte zu verspüren waren, die man sonst in diesem Walde kaum vermuthet hätte.

Und endlich, wann man auf der Freiwildhöhe stand und hinblickte über den unabsehbaren Wald, da sah man ein mattgraues Meer. Das war der todte Tärn.

All die Häuser dieser Gegend waren von den urkräftigen Stämmen des Waldes gebaut worden, dieses Waldes, der jetzt in Todtenblässe dalag. An »Wurmtrockniß«, sagte man, sei er gestorben. Der Bart schlug vor, daß man in allen Mulden Kohlenstätten anlege; man lachte ihm ins Gesicht. »Was brauchen wir Kohlen, wenn wir keine Schmieden haben!« Sie hatten recht. Der Weg ins Land hinaus war gebrochen.

Nun begannen die Brunnen zu versiegen und in den Schluchten und Bachbetten grinsten die trockenen Steine.

Als so die Hülle des Waldes gefallen war, da huschte und lief und floh das schattenlos gewordene Gesindel, wie unter einem Stein, den man emporhebt, die Käferbrut.

Manche Rauchfahne war sonst emporgeweht über den Bäumen, nun war auch das Feuer bloßgelegt, und alles, was um dieses lag, kroch und lungerte zwischen den dürren Stämmen. Man sah die elenden Hütten und Höhlen, angefüllt mit Raub aller art. Man sah die hier im Überfluß schwelgenden, da in Noth, dort in Neid sich verzehrenden hohläugigen Gestalten. –

Dem Erzähler dieser Ereignisse ist von einem gütigen Geschicke der Pinsel versagt worden, um das Laster zu malen. Aber andeuten muß er, was hier aufgedeckt, nachdem die Hülle des Waldes abgefallen und alles Häßliche und Abscheuliche, so aus wilder Menschenbrust entspringen kann, in das Sonnenlicht gerückt war. Mord und Todtschlag waren nicht die äußersten Auswüchse der Zuchtlosigkeit. Der Gesetzlosigkeit entsprang rasch das Faustrecht, dem Faustrechte die Blutrache. Und immer in denselben alten Kreisen des Verbrechens drehten sich die gar bald stumpf und blöde gewordenen Gesellen. Ein Begabter hätte hier mühelos Außerordentliches vollführen können, freilich nur zum Schlechten.

Von Nachbarlichkeit, Brüderlichkeit oder gar ehelicher Gemeinschaft nach alter Art war kaum ein Rest noch in Trawies. Die Leute verbanden sich, wie es der Zufall heischte, oder wie sie sich brauchten. Die Älteren, durch Gewohnheit Gebundenen schleppten sich wohl oder weh auf langbetretenem Pfade dahin. –

In Sachen der Ehe hieß es wieder: Nimm das Weib, so wirst Du sie los. Die alten Vetteln und Hausdrachen waren hier nicht fürchterlicher als anderswo.

Selbstverständlich waren sogar in »guten Ehen« solche ehrenwerthe Ehefrauen nicht damit zufrieden, daß das Hauswesen nach ihrem Willen ging, sie wollten auch noch, daß der Mann ihnen hierin widerspräche, Nichts kann bekanntlich ein böses Weib in größere Wuth bringen, als ein sanftmüthiger Mann. Bäumt sich dieser aber einmal auf, dann bricht, wenn’s milde abgeht, das Geheul los, das Gewimmer über Tyrannei und Unrecht. Insgeheim ist der trauten Gesponsin ein solches Gebaren gar willkommen, hat sie doch nun wieder neuen Anlauf, der Hausteufel zu sein.

Der Mann weiß, daß der Ehefrieden bei Beiden steht, und daß – es mag Eins sein, wie es will – das Andere doch Anlaß finden kann, den Frieden zu brechen. Das weiß er, meidet sein Haus, wird ein Lungerer, wird ein Lump.

In Trawies waren das noch die besten Ehen; nur Wenige führten sie, darunter die beiden Alten, der Tropper und der Sandhock.

»Es ist dreidoppelt erlogen,« sagte der Tropper gern, »daß bei uns zu Trawies das Kreuz nimmer steht. In meinem Hause hab’ ich ein viel größeres, als vorweg allzeit.«

»Alter Schragen,« rief ihm einmal der Sandhock zu, »Du sagst meine Gedanken.«

Und als die Beiden hierauf einen einschichtigen Weg im dürren Tärn wandelten, sagte der Sandhock: »Ich möchte mir gern einen Spaß machen, Nachbar; aber um’s baare Geld kostet er mir zu viel. Etwand meinst auch Du so?«

»Wie so?«

»Daß wir zwei uns einen Gegendienst machen kunnten.«

»Wenn’s was Rechtes ist, wesweg nicht?«

»Rechtes ist’s schon was, aber halt eben auch was Gefährliches.«

»Schreckt mich nicht ab.«

»Wenn ich,« meinte der Sandhock, »wenn ich mein Weib selber salbe, so thut sie mir’s siebenfach zurück und ich hab’ keine ruhige Stund’ mehr. Und gesalbt muß sie werden.« Der Tropper verstand’s und entgegnete: »Jetzt sagst wieder Du meine Gedanken.«

»Ist recht, so einigen wir uns leicht. Du machst Dich über die Meine und ich thue Dir denselben Gefallen.«

»Es gilt!« rief der Tropper und brach in der ersten Begeisterung für das Unternehmen einen Haselstock.

»Geh’ weg,« sagte der Sandhock, »der ist viel zu klein. Laß Zeit, ich will Dir schon einen herrichten.«

»Was die Deine angeht, Sandhock, so schaff’ nur an; sollst mit mir zufrieden sein. Für die Meinige suche ich Dir keinen allzugroßen, hingegen zwei zähe aus der Dornhecke. Wird besser sein, Sandhock, ist besser!«

Da waren sie im Walde verschwunden.

Am darauffolgenden Abende soll man in den Häusern des Sandhock und des Tropper ein arges Geschrei gehört haben. Ins eine wie ins andere Haus war in Abwesenheit des Hausvaters ein geschwärzter Mann eingebrochen. Und als er wieder davon war und nach einiger Zeit der Gatte nach Hause kam, fand er sein liebes Weib in einem Winkel kauern, nicht keifend und scheltend, sondern herzlich weinend.

Dem Gatten war wohl ums Herz, daß er sein Weib wieder sah.

Nach diesem Bildchen aus dem ehelichen Leben zu Trawies ist noch zu erzählen, wie von nun an der Sandhock und der Tropper unfreiwillig aneinander gefesselt waren. Einer suchte den Anderen auszubeuten und wollte sich dieser Andere auflehnen, so wurde ihm sogleich mit der Anzeige gedroht. Vor dieser Anzeige bei der Ehegesponsin zitterte Jeder, aber sie einigten sich doch immer wieder im Frieden, und sinnig sagte einmal der Tropper:

»Schau, Nachbar, Jeder von uns ist ein Erzengel Michael und hält den höllischen Drachen des Anderen an der Kette. Hältst Du fest, so halte ich auch fest; last Du aus, so lasse ich auch aus.«

Beide wandelten heimlich grauend ihrer Wege. –

Manches Ehepaar hielt sich durch das Sacrament der Ehe nicht mehr für gebunden und konnte doch nicht voneinander lassen. Manche Gatten neckten sich, peinigten sich bis zum Hasse. Der Man verließ die Frau mit dem Wunsche, daß sie ohne ihn verderben solle; die Frau that ihm ein Gleiches. Und sie gingen nach kurzer Trennung doch immer wieder zusammen. Am Mießlingbach wohnte ein Mann mit einem jungen Weib und mit einem Zipperlein. Das Weib wollte fort von ihm und einem jungen Jäger zu. Der Gatte ließ sie nicht, suchte aber mit teuflischer Bosheit und Lüsternheit eine Gelegenheit herbeizuführen, um sein Weib in den Armen des Geliebten unbemerkt zu beobachten, um sie dann später zur Verantwortung zu ziehen, sich an ihrem Leugnen zu ergötzen und sie dann mit Beweisen niederzuschmettern. Ersteres gelang ihm leicht, bei Letzterem wurde er zu Schaden, denn sie leugnete nicht einen Augenblick.

»Verstoß mich jetzt!« rief sie dann.

»Jetzt gefällst mir erst!« grinste der Alte, sperrte sie in seine Hütte und hielt sie eingeschlossen, bis ihr alle Lust von den Knochen gezehrt war. –

Ein anderer Ehemann lebte im Orte Trawies. Der hatte ein Weib, das immer hinter dem Herde saß und weinte. Oft fragte er sie nach dem Grunde ihrer Thränen, sie gab ihm keine Antwort und schluchzte, wenn sie ihn ansah, noch lebhafter. Er war keiner der Harten und Rohen, und immer wieder fragte er sie mit Sanftmuth, was sie drücke. So gestand sie ihm endlich, daß sie vom Teufel besessen sein müsse, weil sie, seit sie dem jungen Hirten Robin ins brennende Auge geschaut, Tag und Nacht vom jungen Hirten Robin träume!

Der Ehemann meinte, das finde er eben nicht so schlimm, da wäre sie nur vom jungen Hirten Robin besessen. Wenn sie den Robin gern habe, so könne er, der Ehemann, dagegen nichts machen; – sie möge nur zum Hirten gehen und bei ihm sein.

Jetzt fiel das Weib über den Ehemann her: Wenn er ihr ein solches Wort sagen könne, so sehe sie, er sei ihrer überdrüssig. Sie sei die unglücklichste Person auf der Welt.

Und weinte noch heftiger.

Er wollte sich rechtfertigen. Er versicherte ihr, daß es ihm nicht um sich, sondern nur um sie zu thun wäre, und wie sie überzeugt sein müsse, daß er ihr bisher alle Wünsche zu erfüllen getrachtet habe, so wolle auch diesem nicht im Wege sein. Sie möge mit gutem Gewissen zum Hirten Robin gehen, bei ihm bleiben, so lang’s ihr Herz begehrt und dann ganz ruhig wieder in sein Haus zurückkehren.

Sie aber rief immer, ihr Mann liebe sie nicht, von einem Ehemann forderte sie die gehörige Eifersucht, und wo sie die nicht finde, da gehe sie ihres Weges.

Und ging zum jungen Hirten Robin. Sie blieb bei ihm eine Zeit, die so lange war, als es vom Vollmond auf den Neumond währt. Dann kam sie wieder zurück, war ihrem Eheherrn ergeben und weinte nicht mehr. –

Ganz abseits von Allem, in einer vielgliederigen Felsenschlucht, die kaum zugänglich war, hoch an der Wand des Torfsteins, der gegen Morgen schaut und weithin schimmert, hatte Roderich, genannt der Stromer, seine Burg aufgeschlagen.

Roderich war der Stillsten und Gierigsten Einer und hatte das Beste und Feinste, was zu Trawies noch auffindbar gewesen, um sich versammelt. An Früchten, Brot, Fett und Branntwein litt er keinen Mangel; gedunsene Ballen von Schafwolle, Garnsträhnen, Lodentuch und Leder füllten die seltsamen Räumlichkeiten seiner Wohnung.

Oft kauerte er in der Steinnische, die am Eingange seiner Höhle war, und blickte beseligt über die blauen Höhen hin, wo die Sonne aufging, faltete über das Knie seine dürren Hände und murmelte in dankbarer Rührung: »So gut, wie jetzt, ist es mir noch nie ergangen.«

Dann zog er sich zurück, kroch in finsteren Stollen an seinen Vorräthen vorbei, immer tiefer hinein, bis er zur Stelle kam, wo ihm der trübe Schein eines Talglichtes entgegenschimmerte. Die Luft war dumpfig und schwer. Endlich weitete sich der Raum ein wenig und dort war des Stromers Talismann.

Die Höhle war an den Wänden ausgeschlagen mit Moos und Häuten; auf dem Boden waren Lodenteppiche gebreitet; manches handsame Hausgeräthe fand sich aufgestellt, so auch ein niedliches Tischchen mit Heiligenbildchen und der Talgkerze. An einer Ecke war ein mit Sorgfalt aus schneeweißer Wolle bereitetes Lager, und auf demselben ruhte ein Mädchen von großer Schönheit. Sie schien erst der Kindheit entwachsen zu sein und war wohl blässer, als es das trübrothe Licht gestehen wollte. Ihre Augen waren groß und braun wie zwei reifende Kirschen. Es war ein Glanz in ihnen, der eine unheimliche Gluth verrieth. Roderich wähnte, es wäre die Gluth begehrender Liebe und er verwies das Mädchen mehrmals des Tages auf die Askese der Heiligen, deren Bildnisse er ihr in den alten Häusern von Trawies zusammengestohlen hatte.

Der über die Welt jetzt geschleuderte Fluch, sagte er dem Mädchen, sei nur durch ein enthaltsames Eremitenleben lahm zu legen, und er, der alte Roderich, wolle ihr guter, wachsamer Vater sein.

Freilich war es wohl dem alten Roderich zu danken, daß der schönen Jungfrau in dieser Höhle Askese gepredigt wurde.

Nun lag sie ganz unbeweglich da und verbarg ihr Angesicht in dem Winkel des nackten Ellbogens; hätte im weißen Arm der Puls nicht leise gezuckt, Roderich müßte sie für todt gehalten haben.

Aber er wußte gut genug, daß sie lebte. Mit großer Behutsamkeit nahte er ihr, und indem er sein Gesicht abwandte, als fürchte er einen Schlag von ihrer Hand oder ein Dreinfahren von ihren Fingern, tastete er nach ihren goldfarbigen Haaren. Dieselben waren in kurzen Strähnen und ungleich geschnitten, sie hingen wie getödtete Schlangen über den weißen Nacken herab.

»Gut,« murmelte er, »gut, Bertha, mein Herz, es giebt sich bald wieder. Morgen schneiden wir.«

Jetzt schoß das Mädchen empor und suchte den Roderich mit beiden Händen von sich zu stoßen.

Er stand und wich nicht.

»Laß mich in Frieden, Du fürchterliches Gespenst!« rief sie.

»Du bist es ja selbst, mein Engel, die den Unfrieden macht,« grinste der alte Stromer.

»Wozu brauchst Du mein Haar?«

»Was nutzt Dein Fragen, wenn Du meiner Antwort nicht glaubst. Ich vertraue Dir’s noch einmal, aus Deinem schönen Jungfrauenhaar drehe ich den Strick, den Teufel zu binden, der jetzt in den Trawies ist.«

»Du bist selber ein Teufel,« rief das Mädchen mit sprühenden Augen. »Du hast meine Mutter umgebracht!«

»Was Dir nicht wieder beikommt, kleiner Narr,« versetzte der Alte, gar gleichgiltig lächelnd, »wer hätte dem guten Weibe was zu Leide thun mögen.«

»Du hast sie mit einem rothen Tuch erwürgt; hast mir hernach das Tuch in den Mund gesteckt, hast mich fortgeschleppt in diese Hölle her, Du bist der Teufel, der Teufel, der Teufel!«

Er drückte sie mit starkem Arm auf das Lager zurück, er grinste sie an und zischelte: »Weil Du’s schon weißt, was soll ich’s leugnen. Deine Mutter hat sich erhängt von wegen dem verfluchten Trawies, Du bist vor Schrecken gestorben im verfluchten Trawies, wer soll Dich denn haben, als wie der Teufel?«

»O mein gekreuzigter Heiland,« wimmerte das Mädchen und zitterte und rang die Hände, »was habe ich denn gethan, daß Du mich so kannst verlassen!«

»Was Hoffart für eine Sünde ist, das hast Du gewußt,« versetzte tiefen Tones der Alte, »der Heiland hat die blutige Dornenkrone getragen auf seinem Haupte, Du hast mit Deinem weichen Haar viel Eitelkeit getrieben; jetzt muß es Dein Haar büßen. Morgen schneiden wir’s wieder. Leg’ Dich jetzt zur Ruh’; ich wache, daß kein ärgerer Teufel, als ich Dir bin, über Dich komme.«

Er ging hinaus, er kroch hinaus, er kletterte hinab um Wasser – und hat’s nicht gesagt, aus welchem Grunde er die Jungfrau hütete, wie der Drache den Schatz, und wozu er ihr Haargesträhne verwenden wollte.

Bertha aber, als sie sich allein wußte, sprang auf, sank hin vor das Tischchen und wollte beten. Ach, aus ihrem Beten wurde ein heftiges Schluchzen, ein gellendes Weinen, daß davon die Felswand widerhallte. Sie rief laut nach ihrer Mutter; sie rief, bis ihre Kraft erlahmt war, dann sank sie hin.

Wenn sie wieder erwachte, starrte sie auf ihre Hände, betastete ihr Gesicht.

Das Fleisch war weggefallen, was Wunder aber, daß sich keine Runzeln zeigen wollten! War sie nicht schon uralt? War sie nicht schon hundert Jahre in diesem fürchterlichen Aufenthalt?

Keine Ahnung hatte sie, daß, seit sie dem Tageslicht entrückt worden, erst einmal die Bäume grünten und noch nicht einmal die Blätter der Buchen gilbten.

Nur in den wenigen Minuten seligen Traumes sah sie die lichte Welt, um deren Verlust zu beweinen. Allmählich wurde sie stumpfer; an ihre Verdammniß konnte sie nicht glauben, aber an die Nacht des Wahnsinns glaubte sie, der sie verfallen sei, und der Gedanke war ihr tröstlich, das leben müsse doch einmal ein Ende haben. So ergab sie sich und die schwersten Stunden flüchtete sie zum Gebete. Von den ihr vorgesetzten Speisen wollte sie nicht genießen, aber immer wieder kam die Zeit, da sich ihre Hände unwillkürlich ausstreckten nach der Nahrung.

Der Alte kam oft zu ihr, war zuthunlich und wollte mit ihr sprechen, und schaffte ihr Bequemlichkeit wie er konnte. Von Zeit zu Zeit schnitt er ihr mit einem scharfen Messer das Haar vom Haupte und ging damit hinaus und kehrte dann oft in langer Weile nicht zurück.

Und eines Abends verrammelte er wie gewöhnlich mit Sorgfalt den Eingang zur Höhle, kroch dann im Gesteine besonders viel umher, schlich mit noch größerer Hast davon und durch den Wald. Sonst hatte ihn der Wald gedeckt, jetzt mußte er die Nacht wählen. Er eilte dem Hause des Bart zu. Diesen einsamen Hof hatte er noch nicht besucht und doch schwante ihm, als müsse manches Begehrenswerthe darin aufbewahrt sein. Bei sich trug der Roderich das »approbirte Mittel, daß die Leut’ nicht munter werden« – die Kerze aus Kreuzotterfett mit Docht aus Jungfrauenhaar. – Viel hat’s gekostet, bis der Roderich endlich eine verläßliche Dochtquelle gefunden. Aber seither hat ihn die Zauberkerze nicht mehr im Stiche gelassen; freilich gehört auch sonstige Sorgfalt dazu. Man geht tagsüber an den Häusern vorbei, bewundert scheinbar die Blümlein, die am Fenster stehen, den Jakobisegen, der an der Thüre hängt, die Vogelnester, die an den Wänden und unter den Dächern kleben und schaut sich insgeheim die Stellen aus, wo nächtlicherweile am besten einzubrechen ist. Dann wählt man die Stunde, wo die Leute im tiefsten Schlaf liegen, man trägt eine Fußbekleidung, die nicht Lärm macht, hat ein sachgemäßes Brechzeug und Schlüsselwerk; und noch am besten, man besucht die Häuser zur Zeit, da die Bewohner derselben selbst auf Diebsfuß aus sind. In Kästen und Truhen ist freilich nichts mehr zu finden, aber unter den Bodendielen und in Kellern muß man nachsehen, auch unter Steinhaufen und oben unter den Dachbrettern oder im dichten Baumgeäste. Ein Mann, der beim Handwerk alt geworden, kennt die Kunstgriffe, und wenn ein fester Glaube an die Zauberkerze dazukommt, dann kann’s gar nicht fehlen.

Unterwegs dachte der Strolch oft an das Mädchen, welches er gefangen hielt. Er wußte es zu schätzen. Es that ihm bisweilen leid, daß er sie so tief in den Felsen vergraben, daß er sie ängstigen, ja züchtigen mußte, doch die Kleine war auch allzu störrisch. Das aber dachte der brave Mann: wenn ich das Geschäft aufgebe, dann verheirate ich das Mädel. – Jawohl, Alter, sorgsamer hat noch keiner die Tugend bewacht, als Du an diesem Wesen; es wird schwer halten, Einen zu finden, der Jungfrauenhaar so trefflich zu nutzen weiß, wie Du!

Um Mitternacht schlich sich der Roderich vermittelst einer Strickleiter, die er durch eine Stange am Dachfenster befestigt hatte, in die Bodenkammer des Barthauses. Er machte sich in derselben bequem und zündete seine Kerze an. Sie brannte heute etwas ungleich und knisterte zuweilen. Im Hause schien wohl alles zu schlafen, und doch war eine gewisse Unruhe, als wenn Mäuse und Ratten umgingen. Dem Roderich war nicht ganz heimlich. – Er hatte ihr, als er letztlich das Haar geschnitten, ein klein wenig das Brusttuch seitab gezogen, der Locken wegen, die hinein verbunden gewesen waren – nur der Strähne wegen – sollte das von Übel gewesen sein? Nun es ist ja alles still im Hause, die alten Schränke stehen hier so einladend da; eine innere Wärme, wie Jugendgluth, durchrieselt den alten Kerl und er macht sich leuchtendes Auges an sein Geschäft. Wir wollen uns nicht zu Mitwissern der That machen und kehren in einem anderen Gelasse des Barthauses ein.

 

 

In der Scheune auf duftigem Heu liegen zwei Männer. Der Eine davon läßt das Zeichen hören, daß er schläft, da erhebt sich der Andere sachte und schleicht zum Fenster. Der Bart braucht es nicht zu wissen, um nicht noch einmal zu wiederholen, daß der Teufel süß pfeife, ehe man ihm aufsitze. – Eine Todsünde, die schöne Sela mit so Einem zu vergleichen! Aber auch der Teufel, pflegte der Bart zu sagen, sei in seiner Jugend schön gewesen. – Die gute Sela ist ja ein Engel! Denkt Erlefried. Macht nichts, sagt der Bart, wenn man dem Teufel auf sein Horn »guter Engel« schriebe, gäbe es Leute genug, die es glaubten. – Daher braucht der Alte nichts zu wissen. Wenn der, so rechnet der Jüngling, die Beiden alleweil zusammenthut, so mag’s wohl gerathen, daß sich Einer dem Teufel verschreibt ...

Erlefried schaut hinaus in die Nacht und zu den Fenstern des gegenüberstehenden Wohnhauses.

Im Walde geht die Mär, daß zwei Leute, die sich lieben, täglich einmal – und wären sie sich noch so ferne – einen Augenblick hätten, in welchem Eins das Andere sehen könnte. Dieser Augenblick, er sei bei Tag oder Nacht, währe so lange, als ein Thautropfen falle vom Wipfel eines Lärchenbaumes bis zum Erdboden nieder. Wer ihn nicht verpaßte!

Für Erlefried kam dieser Augenblick zur nächtlichen Stunde, wenn der alte Bart neben ihm eingeschlafen war. Und der schöne aufgeweckte Bursche nahm ihn wahr; er stand auf und blickte zu den Fenstern des Wohnhauses hinüber und sah im Geiste, wie sie ruhte und – seiner gedachte. Stundenlang sah er ihr süßes Bild, denn ein Thautropfen, wie lange braucht er, bis er vom hohen Wipfel des Lärchbaumes, an Zweig und Zweig sich verweilend und verdunstend, zu Erde kommt!

Und wie nun heute Erlefried zum Fensterchen der Scheune hinauslugt, sieht er im Oberboden, wo Sela ihren Kleiderschrank hat, ein Licht. – Sie wacht noch? Sie sitzt da oben und bessert vielleicht ein Gewand aus und es wird ihr dabei die Weile lang. – Das Wasser des Grundes rieselt allerwege, da ist nichts Neues zu hören; des Himmels Sterne funkeln hell, es sind immerdar die alten. Auch dem Burschen wird die Weile lang. So will er zu ihr in die Dachkammer schleichen und bei ihr sitzen und ihr das Licht hüten, daß sie arbeiten kann. Und wenn sie dann vor dem Schlafengehen die Arme nach rückwärts hebt, um die Haarflechten zu lösen – denn sie schläft gern mit losem Haar – dann wird sie sich nicht wieder mit ihrer Hand die Lippen zudecken können.

Erlefried schleicht – er sucht die Thür, er weiß, wie sie zu öffnen ist, er steigt leise die finstere Stiege hinauf, er steht an der Bodenkammer. Da klopft er anfangs und flüstert ihren Namen, daß sie nicht erschrecke.

In demselben Augenblick ist drinnen ein Gepolter, und als er eintritt, ist es in der Kammer finster und leer; das Fenster ist offen und draußen eilt eine Gestalt davon.

Der Dieb ist entwischt, aber die Schränke sind noch unversehrt und Erlefried steht da und weiß nicht recht, wie ihm ist. Diesmal hat er die Zeit des fallenden Thautropfens nicht wahrgenommen. Aber was bedeutet’s? Thau fällt ja täglich.

Lange saß der Jüngling auf ihrem Schranke, dann als es ihm zu spät wurde, legte er sich darauf hin und fing zu schlafen an.

Am anderen Tage war das Gedächtnis der Erhöhung des Kreuzes.

Wer in diesen Bergen dachte daran oder wollte daran denken? Manche waren, die hätten das Bedürfniß nach religiösen Festlichkeiten gehabt; sie hatten ja vielleicht den Glauben, aber sie hatten die Hoffnung nicht. Im Hause des Bart ging es völlig umgekehrt; da hatte man nicht den Glauben an den Fluch, und daß er auch Unschuldige treffen müsse, aber man hatte die Hoffnung auf Gott und sein Reich. Der Bart ließ die Bewohner seines Hauses alle Feste begehen, er selbst beging keines mit; er für seine Person, das wußte er, er hatte Theil an dem Fluche.

Zur Feier der Erhöhung des Kreuzes hatten die Leute des Barthauses gern eine Wallfahrt unternommen in den Tärn, zu jenem Kreuze hin, das mitten im Hochwaldschatten stand und so geheimnißvollen Ursprungs war. Dorthin waren sie betend gegangen, dort waren sie gekniet und hatten ihr Herz erhöht, und hatten der fernen Lebendigen gedacht und auch der Todten in den Gräbern, oder der im Feuer wimmernden Seelen. Hierauf hatten sie sich niedergesetzt auf das braune Moos, hatten ihr Wanderbrot verzehrt und waren dann still wieder zurückgezogen zu ihrer geborgenen Wohnung.

So sollte sie auch heute gehen. Und schon früh, da die Baumgerippe der Tärnhöhen in die Morgenröthe hineinstarrten, stieg Sela zur Bodenkammer hinauf, um sich für den weiten Weg anzukleiden. Sie that einen Schrei, als sie den Schrank öffnen wollte und auf demselben einen Menschen liegen sah. Erlefried erwachte, sprang auf und wußte wieder nicht, wie ihm geschah.

»Ich frage Dich, Erlefried,« redete ihn Sela ernsthaft an, »ich frage Dich, was Du da gemacht hast?«

»Du wirst es besser gesehen haben, als ich selbst,« war seine Antwort, »ich habe geschlafen.«

»Zum Schlafen hast Du Dein Heu.«

»Das ist mir zu hart.«

»Und auf der hölzernen Truhen, meinst, wäre es weicher?«

»Es ist Deine Truhen,« sagte er trotzig.

»Ich bedanke mich,« versetzte sie schneidig.

»Hast Dich auch zu bedanken. Mußt wissen, Sela, heutzutage soll jeder Schrank ein lebendiges Schloß haben.«

»Geh’ jetzt weg. Ich will mich ankleiden, ich gehe zum Kreuz im Wald.«

»Ich gehe mit Dir.«

»Ist mir lieber, Du bleibst daheim. Deine Frommheit auf dem Wallfahrtsweg, die kennt man.«

»Da in der Nacht nicht einmal Dein Gewandschrank sicher steht, wird’s nicht von Übel sein, wenn ich mit Dir durch den Wald gehe. Auf die Frommheit kommt’s da nicht an.«

»Narr’ Dich nicht auf, Erlefried,« sagte das Mädchen und legte die Hand auf seine Achsel und blickte ihm innig ins Auge, »Du meinst mir’s gut, ich erkenne es, und ich möchte nicht gern in den Tärn gehen ohne Dich.«

Da war’s den Beiden gut, da war’s ihnen sehr gut. Und Erlefried zog rasch sein Sonntagsgewand an und band sich das hellste und bunteste seiner Halstücher um; heute wollte er auch von außen leuchten, wie es in seiner Seele leuchtete – er ging mit dem lieben Mädchen.

Ihr Weg führte sie anfangs durch grünes, frisches Buchengehege, wo in allen Zweigen Leben war. Die übrigen paar Leute aus dem Barthause, die auch gingen, hatten sich abgesondert, sie kannten nichts Langweiligeres, als mit diesen zwei jungen Menschen zu sein; sie dachten: Vögel mit gleichen Federn fliegen gern miteinander, was geht das uns an! – sie ließen sie ziehen.

Nun sie ganz allein dahinwandelten in der herbstlichen Morgenkühle, sagte Sela: »Erlefried, ich gehe nur mit Dir, wenn Du Frieden giebst und mir unterwegs wieder Geschichten erzählst.«

»Geschichten von der schönen Welt?« fragte er.

»Es mag auch vom Himmel sein.«

»Kennst Du die von den zwei Säemännern? So los’. Im Himmel droben gehen fort und fort zwei Säemänner um, der Eine säet Segen auf die Welt herab, der Andere Fluch.«

»Mir scheint, daß der Erste nicht gar zu fleißig ist,« meinte das Mädchen.

»Ei, fleißig wäre er schon, aber der Same wird ihm fort zu wenig, weil er so viel schlechte Ernte hält, mußt Du wissen. Hingegen der Fluch, der geht allemal hundertfältig auf, so kann auch wieder reicher gesäet werden.«

»Das ist traurig,« sagte Sela.

»Man kann’s auch lustig machen,« belehrte der Bursche; »das Gute, das vom Himmel fällt, man nimmt’s auf und läßt’s wachsen. Wir zwei wollen es auch so halten, gelt, Sela!«

Dagegen könne man nichts einwenden, war ihre Antwort.

Nun schritten sie eine Weile fast still nebeneinander hin. Insgeheim lugte er oftmals auf das Mädchen, wie es doch gar zu schön geworden sein. – Auf ihrem runden Gesichtchen lag das zarte Roth, »und in diesem Rosengärtlein standen zwei Violen«. Ihr lichtes Haar ging am Nacken nieder in zwei Ketten »wie der Fischer seine Angelschnur senkt«, und daran hing untrennbar des Burschen Lieb’ und Verlangen. Beide, die da gingen im Buchenwald, waren jung erwachsen, Beide wurden unruhig, wenn sich ihre Augen begegneten!

Glücklich fügte es sich, daß der dichte Laubwald zu Ende ging und das dürre kahle Bestände des Tärn begann, da mußte Sela ihre Haarketten um das Haupt winden, daß dieselben nicht hängen blieben am starren Gezweige. Auf dem Boden knisterte bei jedem Schritte das Reisig und die Sonne stieg immer höher und der Schatten des Tärn war wie ein dünner, zerrissener Schleier. Als Erlefried auf einem Anger eine blasse Herbstzeitlose stehen sah, fragte er Sela, ob sie wisse, warum diese Pflanze giftig sei? Sie wußte es nicht. »Nun,« erklärte er, »weil sie die Zeit versäumt hat, und alte Mädchen giften sich.«

»Das mußt Du freilich wissen,« spottete sie.

Endlich kamen sie zu einer kleinen Gruppe von Weißtannen, die von der Waldpest verschont und in üppiger Grüne standen. Sie ruhten im Schatten, und Erlefried, der sinnend ins dichte Astwerk schaute, und dem doch die Gefahr seiner Gedanken auffiel, fragte Sela, ob sie wisse, warum bei den tannen jeder Zweig ein Kreuz bilde?

»Wenn Du’s weißt, so mußt Du mir’s erzählen,« bat sie.

»In alten Zeiten,« sagte er, »sind am Tannenbaum die Zweige palmartig himmelwärts gewachsen. Seit jenem Tage, da sie das Kreuz Christi aus einem Tannenbaum gezimmert haben, muß an diesem Baum alles ins Kreuz wachsen, so wie zu Trawies, wo doch kein Kreuz mehr stehen soll, alles ins Kreuz wächst.«

»Ins Kreuz und Elend,« versetzte Sela.

»ich bin auch ins Kreuz gewachsen,« sagte der schöne Bursche, da er sich hoch und stramm hinstellte und die Arme wagrecht auseinander spannte. »Willst gekreuzigt werden?«

»Mir gefällt der Lärchenbaum besser als der Tannenbaum,« bemerkte das Mädchen und schaute hin in die Lichtung, wo in heller, weicher Grüne eine solche Ceder des nordischen Waldes stand.

»Soll ich Dir auch die Geschichte vom Lärchenbaum erzählen?« fragte sie der Bursche. »Nun schau, mit den Bäumen ist es so, wie mit den Leuten. – Da sind einmal an einem Sonntage die Bäume zusammengestanden, daß sie unter sich einen König wählen. Der Fichtenbaum hat gesagt, ich bin der Schönste; der Tannenbaum hat gesagt, ich bin der Größte; der Kieferbaum hat gesagt, ich bin der Fleißigste und der Nützlichste und hat sogar vom Trasank herab die Legföhre mit sich gebracht, daß dieselbe für ihn stimmen soll. Zuletzt ist noch der Lärchbaum gekommen, der schöne, weiche, kräftige Lärchbaum, da haben die anderen Bäume gedacht: vor dem bestehen wir nicht, der ist der Fürnehmste, und haben die Königswahl auf den Winter verschoben. – Ich denke, Sela, ich verschiebe den anderen Theil von dieser Geschichte auch auf den Winter.«

»Erzähle nur, erzähle,« sagte sie, »wir wissen sonst nichts Gescheites zu reden.«

»Du hast Recht, Sela. Wenn ich bei Dir bin, fällt mir zwar allemal die gescheiteste Sach’ ein, aber ich bringe sie nicht heraus. – Nun also, wie der Winter gekommen ist und die Nadelbäume wieder zusammengekommen sind in ihrem immerwährenden Grün, da will der Lärchbaum nicht vortreten. Dreimal wird er gerufen, bis er kommt, er hat einen Schneemantel um. Die Anderen befehlen ihm, daß er die Winterpfaid sollt’ ablegen; er thut’s nicht gern, ist ja nackt und bloß, hat keine grünen Nadeln mehr an seinem Holz wie die anderen. Sie lachen ihn aus, und König ist der Fichtenbaum geworden. – Seither stellt sich der arme Lärchenbaum gern beiseite, und im Frühjahr wachsen ihm allemal wieder die grünen, weichen Federnbüschel und er vertreibt sich die Zeit besser als wie der König. Bei der Lärche trifft’s auch zu, daß Mann und Weib ein Leib ist.«

»Jetzt magst bald aufhören mit Deinen Baumgeschichten.«

»Ein Vogel ist in den Lüften, der heißt auch Lerche, der singt: didlde, didlde, und singt das Brautpaar ein.«

»ich möchte nur wissen, Erlefried, wo Du das alles her hast?« fragte das Mädchen verwirrt.

»Wer viel im Walde umgeht und Augen hat, der sieht’s,« antwortete er. »So ist’s noch gar nicht lang her, daß ich auf der Freiwildhöhe hab’ gesehen, wie der Schöne junge Fichtenbaum, unter dem das Fraunbild gestanden ist, sich was Feines gesucht hat.«

»Du mußt nicht viel an Leut’ zu denken haben, weil Du Dich mit dem Holz sogar abgiebst,« bemerkte jetzt das Mädchen.

»Ich will nicht fortweg an Leute denken, das ist nicht allemal gesund.«

»So, da höre ich was Neues.«

»Es ist doch umsonst. Mit Thieren gebe ich mich nicht ab; das dürre Holz ist mir auch verhaßt, so halte ich mich ans grüne. Ich mag mich noch so fest an die Bäume machen, allsogleich bin ich wieder bei Dir. Sie schicken mich ja zurück, zu Dir zurück.«

»Daß sie aber so fein sind!«

»Was,« sagte jetzt Erlefried, »was thut letzlich der Fichtenbaum auf der Freiwildhöhe? Fällt ihm ein, er will sich ein Weib nehmen. In der Nachbarschaft ist dort nicht viel zu holen, lauter kleine verkrüppelte Wesen. Da denkt er, ehe ich so eins meinen Kindern zu Mutter gebe, eher bleibe ich allen. Sonach gewahrt er, es gehe ihm nicht schlechter, als unserem Menschenvater Adam, er hat das Weib in den eigenen Rippen. In rothen Kätzlein haben sie sich zugelächelt; ein Körnlein aus seinem Herzen läßt er abfliegen, um zu freien; sie ist gescheit gewesen, Sela, sie hat den Freier nicht abgewiesen. Und da habe ich halt wieder an Dich denken müssen.«

Er stützte sich vor ihr aufs Knie, und zwar in einer Stellung, in der Keiner lange verharrt.

Das Mädchen drängte zum Aufbruch und machte selbst den Anfang, indem sie rasch aufsprang und weiterging. Der Jüngling folgte ihr wortlos, aber mit Hast. Eine Strecke waren sie dergestalt vorwärts gekommen, als Erlefried rief: »Bleibe stehen, Sela!«

Sie blieb stehen.

»Schau!« sagte er und wies auf einen grünen, niedergebrochenen Fichtenwipfel, der neben einem schönen schlanken Stamme übervoll von Zapfen auf der Erde lag.

Sie schaute hin, sie schaute empor zu dem hauptlosen Baume und versetzte: »Was ist denn da zu sehen?«

Erlefried gab keine Antwort. Sie gingen wieder fürbaß. Der Wipfel war unter der großen Last seiner Samenzapfen gebrochen, der Baum – von der Waldpest so gnädig verschont – zugrundegegangen an eigener Lebensfülle ...

Nach all diesem kamen die beiden Leutchen immer tiefer hinein in den todten Tärn. Bald war kein einziger grüner Baum mehr um sie. Die Sonne glühte nieder, der Sommer hatte den Regen versagt und heftige Winde hatten die letzten Nadelbüschel von den Zweigen gerissen. Die dorrenden Bestände waren heiß und über dem Boden zitterte die Luft. Zwischen den Steinen blitzte da und dort ein Eidechsen hin, sonst fand sich kaum ein Lebendiges in dieser seltsamen Wüste. Selbst die Schwärme des Borkenkäfers waren verschwunden. Schon von weitem sahen unsere Wallfahrer zwischen den fahlen Stämmen das Kreuz ragen. Niemand war dort, sie schienen heute die Einzigen zu sein, die es besuchten.

Für Erlefried, den schwärmerischen Sohn eines schwärmersichen Vaters, war das Kreuz in diesem Walde stets ein geheimnisvoller Gegenstand gewesen, von dem seine Seele gern träumte. So siegte auch jetzt in ihm das Kreuz über das Herz – wenn auch, weiß Gott, nur für kurze Zeit. – Still ging er ihm zu, zog das graue Hütlein vom Haupt und kniete nieder. Er gedachte jener Stunde, da er als Knabe ohne Gott und ohne Hoffnung heimgekehrt war zu seiner kranken Mutter. –»Er ist. Du weißt es, Du liebst ihn. Himmel und Erde ist sein Leib!« So hatte sie, die am Thore der Ewigkeit stand, zu ihm gesprochen.

Auch Sela, die Tochter des Feuerwart, hatte Stunden, in welchen das ganze, das furchtbare Elend von Trawies an ihr Herz schlug. Da konnte sie nicht lächeln, nicht hoffen, nicht beten, da wußte sie sich nicht anders zu helfen, als daß sie das Auge ihrer Seele zuthat und alles andere aus dem Sinne schlug.

Auch heute war sie zum Kreuze gekommen, ohne recht zu wissen warum. Der verdorrte Wald war nicht darnach angethan, ihr Gemüth aufzuschließen. Nun sie aber den geliebten Jüngling so still vor dem Kreuze knien, so andächtig beten sah, kam es auch über sie. Wie kühlender Thau kam es über sie, dann kniete sie hin und konnte beten – beten, wie schon lange nicht mehr. Dabei wurde ihr so weich, so leicht, vor Freude darüber hub sie zu schluchzen an.

Die Herren draußen in der Welt, die den Feuerbrand geschleudert hatten in dieses stille Thal, wenn sie das Paar hier knien gesehen hätten im schattenlosen Hochwald vor dem verlorenen Kreuze, jetzt noch schuldlos, aber von den höllischen Gewalten eines Flammenringes enger und immer enger umlodert!

Keiner hat sie gesehen, auch nicht in Gedanken gesehen. Zu Trawies ist die Empörung, ist das Laster, ist die Hölle, sonst dachten sie nichts. Und Sela und Erlefried, die Kinder der Empörer, sie waren verlassen.

Erlefried stand endlich vom Gebete auf, setzte sich in den Schatten einiger dicken Stämme, that seinen Mundvorrath heraus und bereitete für Sela den Tisch. Sie sind nebeneinander gesessen, haben still das Brot verzehrt, und der Sonnenstern wendete sich abendwärts. Sie ruhten und Erlefried richtete sein Angesicht dem blauen Himmel zu, aber das dürre Gezweige flocht sich wie ein ungeheures Spinnengewebe zwischen den beiden Menschen und dem Himmelszelt. Und als Erlefried so dalag, sagte er plötzlich das Wort: »Sela, ich habe Dich immer noch mehr lieb!«

»Wie werden wir heute heimkommen!« sagte das Mädchen.

»Es wird ein schöner Weg sein,« versetzte der Jüngling, »die Sonne wird nicht mehr brennen und die Luft wird kühl sein.«

»Ich fürchte, wir verirren uns!« Sela sagte es nicht, aber sie dachte es. Ihr war bange, sie wußte nicht, warum. Wieso, daß heute außer ihnen kein Mensch zu diesem Kreuze kommt? Hätte sie das geahnt, sie wäre nicht mit Erlefried gegangen, sie hätte auch ihn nicht gehen lassen. Am liebsten möchte sie jetzt auf dem abendlichen Heimweg anfangen und ihn mit Gespenster- und Räubergeschichten ängstigen, aber dann wird ihr selbst das Grauen kommen, und er wird darüber lachen.

Sie versucht es wirklich, spricht zagend von Strolchen, die den Tärn durchziehen.

»Ja,« sagte Erlefried, »darum meine ich, daß wir den Weg meiden und im dichtesten Bestände dahinschleichen sollen, daß wir nicht bemerkt werden können.«

»Der bösen Traut und dem Anweil kann man nicht entgehen.«

»Gegen solche Gespenster ist das beste Mittel, wenn wir uns nahe zusammenhalten.«

Er faßte sie mit einem Arm frisch um den Leib: »Ich bin stark, Sela, mir magst Du vertrauen.«

Sie blickte ihn an. Das war ein tiefer, schwerer, ein seltsamer Blick – bittend, vorwurfsvoll, hoffend, bangend, das alles zugleich. Vor dem Kreuze warf sie sich noch einmal nieder: »Schütze uns! Schütze uns heute!«

Hierauf eilten sie davon, durch den Tärn jenen abendlichen Höhen zu, hinter denen wie ein blaues fernes Dreieck der Kegel des Johannesberges ragte. Dichter Höhenrauch lag über der Gegend und die Luft war schwül. Am Himmel hatten sich Wolken gebildet, die bald in zahllose Stückchen zerfielen, als hätte sie eine unsichtbare Hand mit dem Hammer zertrümmert. An anderer Stelle zogen sich zarte Streifen hin, von einem lebhaften Winde zeugend in der Höhe, während über dem Walde tiefe Stille lastete.

Als unsere Wanderer zu einem grünen Anger kamen, der in versteckter Thalschlucht lag, um welchen gewaltige Stämme des Urwaldes nackt und knorrig standen und wo es so lautlos war, als wäre selbst die alte Fädenspinnerin Einsamkeit einschlummert, da schlug Erlefried ein Rasten vor. Sela sah ihn noch einmal an, trat ein wenig beiseite und war verschwunden.

Der Bursche ging hin und her, von Stamm zu Stein, von Strupp zu Strauch und suchte. Suchte so lange, bis ihn plötzlich ein heiseres Lachen erschreckte. Was da lachte, es lag ganz in seiner Nähe zwischen zwei Steinen. Eine magere Hand in Fetzen langte hervor, dann das struppige, grinsende Haupt des Stromers Roderich.

»Junger Mann,« schnüffelte er jetzt, als Erlefried stehen blieb und finster auf ihn hinschaute, »Dir ist zur unrechten Zeit Dein Schatz davon.«

»Geht’s Dich was an, alter Tagedieb?« sagte Erlefried trotzig.

»Ein so kerngesunder Bursch’ und ein solches Unglück! Es ist unglaublich,« versetzte der Stromer. Dan richtete er sich halb auf, daß es aussah, als wollte hier ein Lazarus dem Grabe entsteigen, und fuhr fort: »Mache Dir aber nichts d’raus, schöner Knab’, ich will Dir was sagen. Ich habe Dir schon eine Weil’ zugeschaut und mir gedacht: Wie der’s angeht, da kommt er nicht vorwärts. Lugst hin und schaust her und frägst an und duckst ab und hast nichts. Willst was haben, so mach’s wie Andere, verschreib’ Dich dem Teufel.«

»Ist mir schon Ein Ding, ich verschreib’ mich dem Teufel!« knirschte der vor Aufregung bebende Bursche. Begierde und Zorn verwirrten seine Gedanken und auch er war ein Kind seiner Zeit.

»Willst Du mit mir kommen, so wirst Du noch an diesem Abend Freude haben,« sagte der Alte lauernd, »aber Du mußt mich stützen, ich habe heute bösen Tag gehabt. Ich ward von Räuberb angefallen, sie haben mir den Fuß zerschlagen; ich liege hier schon den halben Tag und kann nicht weiter. Führst Du mich in die Schlucht hinaus bis gegen die Felswand dort, so mache ich Dir eine gute Nacht.«

Der Stromer sagte selbstverständlich nicht die Wahrheit. Der böse Fuß war da, das Unvermögen, ohne Stütze weiter zu gehen, war auch da; aber nicht die Räuber hatten ihn angefallen, sondern er selbst war auf seinem Raubzuge verunglückt, hatte sich im Hause des Bart bei dem Sprunge aus dem Fenster den Fuß beschädigt. Bis hierher hatte er sich mühsam geschleppt, weiter konnte er nicht mehr, so suchte er den Burschen an sich zu locken. Erlefried ahnte nicht, daß der Dieb vor ihm kauerte, den er in der vorigen Nacht von dem Kleiderschranke der Sela verscheucht hatte. Ihm war nur klar, daß hier ein samaritisches Werk gethan werden mußte. Und er that’s. Er schleppte den alten Gauch die Schlucht entlang und spähte stets nach links und rechts, ob Sela sich nicht doch irgendwo zeigte.

»Du schaust umsonst,« sagte ihm Roderich, und stützte sich recht tapfer auf den kräftigen Burschen. »Wie ich diese Gattung von Weibsleuten kenne, lassen sie sich im Walde nicht erwischen, laufen der Kirchen zu und auf den Altarstufen erwarten sie den Liebsten. Geheiratet wollen sie sein, nachher geben sie sich zufrieden. Maßen wir jetzund aber keine Kirchen haben, so mußt Dir Dir schon anderswo was bereiten. Hat der Herr Vater den Pfarrer erschlagen, so wird’s der Sohn auch leicht ohne den Pfarrer richten. Glaubsr, Junge, ich kenne Dich nicht? Schau mich nicht so schwarz an, Du Sohn des großen Wahnfred, der das Leutumbringen in Schwung gebracht hat und das Stehlen abbringen will, ich verrathe Dich nimmer, Du versteckst Dich im Tärn, wie ich, willst nicht mithalten draußen beim Rauben und Plündern, wie ich. Recht hast, wer für sich ist, dem geht’s besser. Nur schade, daß es auch Andere wissen werden, der todte Erlefried ist wieder lebendig geworden. Wie Du jetzt d’ran bist – solltest unsichtbar sein: Erwischest Die, welche Du haben willst, kommst Denen aus, die Dich haben wollen. Dich treibt die Noth dazu, Junge, Du mußt Dich dem Teufel verschreiben.«

»Gleich soll er mich holen, wenn ich’s nicht thu’!« rief Erlefried leidenschaftlich erregt, auch darüber, daß ihn der alte Stromer erkannt hatte.

»Du gefällst mir,« murmelte Roderich und hinkte an der Seite des Burschen mühsam weiter. Das, was er in Bosheit dachte und plante, schien ihm die Schmerzen seines Beines fast vergessen zu lassen. »Allemal ist es besser, er holt Dich morgen, als heut – wenn’s auch schon finster wird. Geh’ mit!«

»Ich rufe ihn auf der Stelle!« sagte Erlefried und blieb stehen. An ihm war’s wahr: Feuer im herzen giebt Rauch im Kopf.

»Rufe ihn, wenn Du allein bist,« entgegnete der Alte, der keine Lust haben mochte, heute mit dem leibhaftigen Teufel zusammenzutreffen. »Achte auf meinen Rath. Den Teufelsstein kennst Du, er liegt auf der Höhe, wo man zu Ulrich, des Köhlers Hütte, hinüberkommt, nicht eine Stunde von da. Wirst viele Namen darauf finden, auch bekannte. Jeder ist ein Narr heutzutage, der nicht mit dem höllischen Herrn Bruderschaft macht. Kommst Du hin zum Stein, so ritze an Deiner linken Hand die Herzader auf, tauche einen Halm, der schon verblüht hat, ins Blut und schreibe Deinen Namen auf den Stein. In dem Augenblick wir er vor Dir stehen, wirst Dich gar nicht erschrecken, er schaut nicht so schreckbar aus, als die Leute meinen, die ihn noch niemals gesehen haben. Etwan tritt er Dir als schöner Knab’ entgegen, oder als eine junge Maid, oder als ein frisches Reh, oder auch als grüner Baum. Der schwarze Herr hat allerlei Gewand. Gleich trittst ihn an sagst keck, was Du willst. Daß Du nur nicht auf das Wichtigste vergißt. Die Zeit wann er Dich nimmt, bestimmst Du selber; nicht daß Du etwa der Narr bist, und bedingst Dir achtzig Jahre, oder hundert. Das ist zu wenig. Merk’ auf, mein schöner Jüngling. Als die Zeit, wo er Dich holen darf, bestimmst Du das Gottesleichnamsfest in Trawies, welches auf einen Neumond fällt!«

»Ich verstehe es nicht.«

»Du weißt es ja, An diesem Tage mag uns allsammt der Teufel holen.«

»Ist mir zu früh, kann in wenigen Jahren schon sein,« bemerkte Erlefried.

»Junge,« sagte der Stromer und klammerte sich wie eine Schlange an Erlefried, »wer sich dem Teufel verschreibt, der schaut nicht in den Kalender. Neumond und Gottsleichnam trifft alle hundert Jahr kaum einmal zusammen, und wenn auch: Trawies liegt im Kirchenbann, das weißt Du, so wirst auch wissen, daß zu Trawies kein Gottsleichnamsfest sein kann. Und ist keins, so kann es ewig nicht auf Neumond fallen. Mach’s wie Du willst und sei bedankt, daß Du mich geführt hast.«

Sie waren zur Stelle angelangt, wo sich die graue Felswand erhob, in welcher der Stromer sein Nest hatte. Der Alte hatte es verstanden, den Burschen durch das Gespräch mit sich zu locken, so lange er dessen bedurfte. Hier mußte er ihn verabschieden und versuchen, allein zu seiner Höhle emporzuklettern, wollte er dieselbe nicht verrathen.

Erlefried ging in der Dunkelheit verwirrt davon und suchte Sela und trachtete dem Teufelssteine zu.

Schwül war ihm, die Phantasie hatte ihn übermannt ganz und gar, eng und enger zog sich der Leidenschaft Feuerring um sein zitterndes Herz. Rasch ging er hin und that, was ihm der Stromer gerathen hatte. –

Als er den Arm entblößte, um ihn zu ritzen, sah er an demselben die Narben jenes Schusses, der ihn einst als Knaben auf der Wildwiesen gestreift hatte. Dort stach er hinein ...

Noch zitterte am Halme das Tröpflein Blut, noch hatte er auf den Lippen den letzten Hauch seines Schwures, als er vom nahen Torfstein her einen Ruf vernahm. Wie eine weibliche Stimme war’s. Sollte der neue Genosse schon seines Dienstes walten? Und sollte es Sela sein? – Im Augenblicke, als sein Blut floß, durchrieselte ihn kalter Schauer. Und nun? Es war plötzlich nicht mehr so sehr das Weib, es war die liebe, schützende Freundin, nach der er sich sehnte. Der Ruf am Felsen wiederholte sich. Erlefired stieg hinan. –

 

 

Der Stromer saß auf Schutt und Sand und sammelte Kräfte zum Klettern. Gingen zwei mit Knitteln bewaffnete Männer die Schlucht entlang. Der Eine schlug Feier, da sahen sie ihn, bevor er sich noch hinter dürrem Gestrüppe verbergen konnte.

»Ha, da hockt der Fuchs!« Sie setzten sich zu ihm hin, Einer rechts, der Andere links, und sagten: »Es ist uns recht, daß wir Dich finden, Wir haben Dir eine höfliche Frage.«

»Wird mich gefreuen,« antwortete er und sein Lächeln war ein Grinsen. Dann folgendes Gespräch:

»Roderich, wo hast Du die schöne Maid versteckt?«

»Welche schöne Maid?«

»Die Du auf dem Johannesberg gefunden hast.«

»Sie ist meine Tochter.«

»Das geht uns nichts an, wir wollen nur wissen, wo Du sie versteckt hältst.«

»Das sage ich nicht. Laßt mich ungeschoren.«

»Laß Du die Maid ungeschoren, Schelm! Heute hilft Dir nichts, Du sagst, wo sie ist, oder wir schlagen Dich todt.«

»Daß ich sie umsonst verrathen soll, werdet Ihr als billige Männer nicht verlangen,« entgegnete kleinlaut der Stromer.

»Gut wir geben Dir zwölf Schinderlinge, wenn Du ehrlich nist.«

»Ehrlich bin ich, aber die zwölf Schinderlinge stehen zu Trawies nicht in Werth. Baargeld – Schlechtgeld jetzund, Ihr wißt es.«

»Aber unsere Schinderlinge, lieber Spitzbub!, die heißen Baargeld – Gutgeld!«

Sie hielten ihm, beim Scheine des Zunders, in hohler Hand schwere Goldmünzen vor. Er blinzelte darauf hin, seine Finger geriethen in ein absonderliches Zucken.

»Gebt her!« zischelte der Stromer.

»Sobald wir wissen, wo Du Dein Schurschäflein birgst.«

»Was soll ich’s nicht sagen? Am Trasank, in der Rabenkirche wohnt sie seit etlichen Tagen. Gebt her!«

»Ja glaubst Du, wir trauen Dir? Ha, ha, so kindisch sollt’ der Stromer Roderich nicht sein. Du gehst mit uns, und wenn wir sie haben, kriegst Du Dein Geld.«

»Wenn Ihr mich tragen wollt? Ich habe mir den Fuß gebrochen und kann nicht weiter.«

Er zeigte ihnen das stark geschwollene Bein, dabei gelang es ihm, die Goldmünzen zu erhaschen. Den stundenlangen Weg bis zur Rabenkirche ihn zu tragen, hatten sie keine Lust; das Geld schloß der Alte in der Faust, so sagte Einer: »Das Nest wissen wir, das Geld wollen wir. Ein krüppelhafter Schragen ist er. Schlagen wir ihn todt.«

»Ist das Vernünftigste,« versetzte der Andere und warf den Zunder weg.

Da war ein verzweifeltes Aufbäumen und ein Gebrüll, daß es hoch im Felsen widerhallte.

Das Reisig leuchtete und zur selben Stunde flog die Flamme in den dürren Tärn ...

 

 

Wahnfred saß auf einem Steine des Johannesberges und blickte in die rauchdurchzogenen Thäler und Schluchten von Trawies. Da unten qualmte es träge herum und bisweilen wehte der bläuliche Hauch den Hang heran zwischen den Bäumen und brachte prickelnden Brandgeruch. Dort, jenseits der Trach, unter dem Ritscher hin bis zu den Grenzen des Sehkreises, lag der feurige See. Zur Tageszeit waren die Flammenwälder theils verdeckt von den schmutzigen Rauchwirbeln und Dunstschichten, des Nachts aber leuchtete der Tärn wie ein Höllenpfuhl. Zu Zeiten, wenn die Ostluft zog, war auf dem Johannisberge das Knistern krachender Äste, das Dröhnen stürzender Stämme vernehmbar. Manches fliehende Gethier kam geflattert und suchte neues Heim in den grünen Wäldern diesseits der Trach. Es war schon spät in den Septembertagen, aber das strich warm bei Tag und Nacht, und zu Trawies fiel kein Thau mehr. Luftzüge, die über den brennenden Tärn geweht kamen, waren heiß, und hoch am Trasank, wo sie mit kalten Schichten zusammentrafen, bildeten sich Wolken, aus denen nicht selten Blitzscheine zuckten.

Wahnfred saß auf dem Stein und blickte hinab. Was die Leute unten trieben, das konnte er freilich nicht sehen, aber er vermuthete, daß sie thätig sein würden gegen das Feuer und daß die Arbeit und Kämpfe läuternd auf sie wirken müßten. Als in einer Nacht sich ein heftiger Wind erhob und die Gluthfelder des Tärn neuerdings wild aufloderten und das Feuer auseinanderstob, da meinte der Einsiedler auf dem Berge, es würde auch den Ritscher erfassen und die Wälder im Dürrbachgraben, an der Miesling und an der Trach, und so das herz von Trawies verbrennen. Dann wollte er hinabsteigen und den Hingeworfenen im Scheine solcher Herrlichkeit sein Evangelium verkünden. Er hatte gemeint, daß die verhärteten Herzen der Leute von Trawies wie Eisen sind, die erst im Feuer der Noth und Jammers geglüht werden müssen, bevor sie bildsam werden.

Nun begann es wohl zu brennen an einem Hange des Birstling und hoch oben im Ritscherwalde, aber es verkohlte und es verlosch im Busche, die Flammen gingen über die Grenzen des dürren Tärn nicht hinaus. Und Wahnfred blieb auf dem Berge.

Der Wald aber, welcher an jenem Abende, da die beiden Männer den Stromer Roderich erschlugen, durch ein Ungefähr in Brand gesteckt worden war, loderte und glühte viele Tage lang fort. Keiner hatte auch nur versucht, dem Feuer zu wehren und die Flammen flogen in hellem Hohne das Gestämme an, wie es früherhin die Schwärme des Borkenkäfers angeflogen hatten. Und es war, als ob das Feuer nicht von außen käme, vom Innern der Bäume schlug es plötzlich hervor und durch Risse und Runsen, aus den Höhlungen trockener Rinden, aus den Löchern, die der Wurm gebohrt, der Specht gehackt hatte. Dann tänzelten die Flammen um den Stamm, züngelten gegen den Wipfel auf, hüpften hinaus in das knorpelige, harzige, braunreisige Astwerk und wirbelten hin, rasch wie die Fluth. Dünn war der aus solch heftigem Feuer aufgejagte Rauch, nur wenn die Stämme und die Strünke brachen, niederstürzten ins Moos, da erhoben sich die finsteren Wolken und fuhren, noch lange von der Gluth beleuchtet, von Funken durchsprüht, über die Wipfel hinweg.

Seltsam war der Zug des fliehenden Gesindels, welches im Walde immer noch seine Nester und Höhlen gehabt hatte. Das war ein Johlen und Höhnen! Mancher rief dem brennenden Walde die tollsten Späße zu, und das wäre gar trefflich, daß die Hölle nach Trawies gekommen sein, so brauchten die Trawieser nicht mehr in die Hölle zu fahren. Einmal aber verging ihnen das lose Maul. Zur nächtlichen Stunde hatte sich von den breiten Höhen des Ritscher ein Wirbelwind herangewunden. Schon lange war dort das Tosen der Bäume und das Auftanzen des Waldstaubes hoch in die Luft, bevor in den Niederungen sich noch ein Blättchen regte. Dann kam es. Wie ein unsichtbarer Besen, so fuhr es anfangs drein, daß die Flammen sich wimmernd hinlegten auf den Boden. Plötzlich wurde ein großer Theil der Fläche emporgerissen in einer brausenden, pfeifenden Feuerhose, ein ungeheurer Springbrunnen, daß aller Schatten verzuckten und die tiefsten Schluchten des Gebirges beleuchtet waren.

Und hoch am Himmel war ein tanz, wie die Berge an der Trach wohl seit Urzeiten keinen ähnlichen gesehen haben. Reisigmassen von Flammenflügeln getragen, flogen im Kreise und sprühten, fuhren in Rauch hinein, sprangen wieder hervor, wurden wie Raketen aufwärts geschleudert, schossen hin und her und zitterten, lahm geworden, eine Stunde weit im Umkreise als Flammenregen nieder.

Bei diesem Schauspiele waren Manchem die Augen übergegangen und Etlichen brannte solcher Regen die Kleider und die Seele vom Leibe. In weitem Umkreise umschwärmten die Leute den brennenden Tärn, um sich dann allmählich gegen die Trach und ihre Hütten zurückzuziehen. Da gab es manchen Strauß; die Fremden drangen in die Häuser und plünderten und warfen die Bewohner vor die Thür und richteten sich selber ein. Und mancher solchermaßen dachlos Gewordene warf Feuer in sein eigenes Haus; lieber die Brandstätte wollte er sehen, als die Strolche wohnen in seinem Nest.

Der Erdboden von Trawies hatte seine Treue länger bewahrt, als die Leute die ihre. Den wenigen fleißigen Händen, die in ihren entlegenen Winkeln den Acker und die Wiese bearbeiteten, gab der Boden reichlich und oft fast mit Üppigkeit, als habe er, wie die Urkunde sagt, Erbarmniß gehabt mit den Zähren, die ihn düngten. Und auch dort, wo nichts gearbeitet wurde, wuchsen und reiften die wilden Früchte, welche zu sammeln auch den Arbeitsscheuen die Noth gebot. Die Heerden der Rinder, Ziegen und Schafe strichen halbwild auf den Matten und in den Wäldern umher; mancher Kampf entbrannte um sie zwischen dem Eigenthümer und dem Räuber, aber ganz ausgerottet konnten die Hausthiere nicht werden und sie waren immerhin noch eine Quelle der Nahrung. Auch die Hasen und die Rehe und die Hirsche wollten kein Ende nehmen, trotz der wahnsinnigen Vertilgungsjagden, die nach ihnen gehalten wurden. Die Gemsen des Trasank, die Raubthiere ds Ritscher, die Fische der Trach schienen immer von neuem nachzuwachsen und aus fremden von solchen Thieren übervölkerten Wildnissen und Wassern herbeizukommen. Die geregelte Nahrung und Kleidung war schon lange abgekommen, aber die halbwild gewordenen Trawieser Leute begnügten sich mit rauhen Hüllen und mit halbwilder Kost, die ihnen theils, sozusagen, in den Mund wuchs. Dazu kam die Beute, die sie von ihren Raubausfällen und Streifzügen aus der weiteren Umgebung heimbrachten. Und so lebten sie.

Es war aber für jeden Einzelnen ein Leben unter Feinden.

Mit schweren Hakenbüchsen bewaffnet strichen die Männer umher; die Weiber, welche gezwungen waren, das Haus zu verlassen, gingen mit Sicheln aus, und es war doch keine Schnittzeit gewesen; oder sie hatten andere Messer bei sich, und nicht selten geschah es, daß diese Waffen in Gebrauch kamen, und zumeist wieder gegen Weiber. Denn das war die Zeit, da man die Eifersuchtshändel nicht mehr mit Keifen und Kratzen, sondern mit dem scharfen Eisen ausmachen konnte, und da blieb dem Manne von Zweien freilich seltener die Schönste, denn die Stärkste übrig.

Menschenleben waren wohlfeil wie Hasenbälge und manches wurde abgethan eines kaum nennenswerten Gewinnes wegen. Eine der wenigen Ausnahmen machte der Tropper.

In der Zeit des Waldbrandes war es, daß der Tropper einen fremden Mann aufnahm, weil derselbe die Krautgrube, die hinter dem Hofe zwischen zwei Bäumen schachtartig in die Erde gegraben war, um den Kohl aufzubewahren, ausbessern sollte. Der Mann stieg in den finsteren Schacht hinab und kam lange nicht zurück. Der Tropper rief in die Tiefe, der Arbeiter gab keine Antwort, aber Bauer hörte ihn kichern. Nun rief er seinen Knecht, daß auch der hinabsteige. Und auch der kam nicht zurück, sondern half in der Grube kichern. Erst als es finster wurde, stiegen Beide herauf und eilten in den Wald.

Das war dem Tropper verdächtig; er ließ sich selbst in den Schacht hinab und fand unten in Nischen Vorräthe von Fleisch, Speck, zweifach gebackenem Brot, Branntwein und sonst mancherlei Lebensmitteln. Jetzt freilich konnte er die stille Heiterkeit der beiden Gesellen begreifen und ihm schwante auch, daß sie in der Nacht mit Genossen zurückkehren würden, um die Grube auszuleeren.

Der Tropper konnte sich zwar nicht vorstellen, wer hier so nahe an seinem Hause Lebensmittel versteckt haben mochte, doch waren sie ihm sehr willkommen. Allsogleich begann er mit Hilfe seines Weibes die Dinge aus dem Schacht empor und in sein Haus zu schaffen, wo er zwei Kammern mit den theilweise freilich schon verschimmelten Schätzen füllte.

Als sie damit fertig waren, wurde jedoch der Tropper nachdenklich und meinte: »Was wird’s nutzen? Bald wird der Rudel da sein, wird mich angehen, wo ich das Zeug hingethan hätte? Wer soll sich erwehren, wenn ihrer ein Haufen sind?«

Das Weib sagte nichts darauf, ging in die Küche und begann in den Kesseln Wasser zu sieden.

Er ging ihr nach und fragte, was sie triebe?

»Wir müssen ja doch die Krautköpfe einweichen,« gab sie ihm zur Antwort. »Lehne nur die Leiter wieder in die Grube.«

Gegen Mitternacht kamen richtig etliche Strolche, darunter auch der Knecht des Bauers, und sie stiegen die Leiter in den Schacht hinab. Nur Einer blieb heroben am Rande stehen, bereit, die heraufgereichten Gegenstände in Empfang zu nehmen.

Jetzt sagte das Weib des Tropper zu ihrem Manne: »Schleiche den Spitzbuben dort an und wirf ihn in den Schacht!«

»Du bist nicht gescheit; sie kommen doch herauf und herren uns.«

»Wirf ihn hinab,« befahl sie, »das Wasser ist heiß!«

Jetzt erst wußte er, was sie wollte.

Aber er stellte sich vor sein Weib und sagte: »So weit nit, Alte, so weit nit. Lebendig kochen wollen wir Keinen. Ehevor theile ich mit ihnen die Vorräthe und den Knecht verjage ich.«

So geschah es, und das Weib des Tropper kochte in dem für ganz Anderes bestimmten Siedewasser das aufgefundene Fleisch zu einem gemeinsamen Mahle. –

Der alte Bart hatte, während die Strolche aus dem brennenden Tärn flohen, auch zu thun, sich seiner und der Seinen Haut zu erwehren. Vor Allem sorgte und bangte er für Sela – das war der größte Schatz im Hause, vielleicht in ganz Trawies. Der Heuboden, wo sonst er mit Erlefried geschlafen hatte, war für ihr Versteck nicht mehr sicher genug; auf diesem Heu nahm das herumstreichende Gesindel Nachtlager, nachdem es das Haus und dessen Vorrathskammer untersucht hatte. Aber unterhalb des Heubodens war zwischen zwei dicken Wänden ein enger dunkler Raum, der einst in guten Zeiten als Haferkammer für die Pferde gedient hatte. Seit Jahren hingen nur mehr die grauen Fetzen der Spinngewebe nieder, in welchem sich nichts mehr verfing, als der Staub und dürrer Samen, der zwischen die Fugen rieselte. In dieser Kammer hielt der Bart die Tochter des Feuerwart oft tagelang verwahrt, versorgte sie durch eine kleine Öffnung mit Speise und hatte sein eigenes Lager im angrenzenden Schafstall – der war ihm ja vollständig geleert worden –, um sie bewachen zu können. Neben seinem Bette an der Wand lehnte stets eine scharfe Axt, bereit für Jeden, der in die Haferkammer zu dringen hätte versuchen wollen. Seine alte kränkliche Gattin fühlte sich in der Stube vollkommen sicher; sie bedurfte keiner Axt, es war der Mühe werth kaum mehr etwas im Hause.

Sela litt in ihrem Gewahrsam unbeschreibliche Qualen. Nicht die dunkle Kammer war’s, wo ihr nur Mücken und Spinnen Gesellschaft leisteten; nicht die Furcht war’s vor Entdeckung, was ihr das Herz wollte brechen, sondern der Schmerz über den unendlichen Verlust.

Seit jenem Abende, da sie mitten im Tärn ihren Gespielen und Freund verlassen hatte, war er nicht mehr vor ihre erschienen. Sie kam damals nach manchem Irrlaufe glücklich nach Hause, er folgte ihr nicht, er kehrte nicht zurück und Niemand hatte ihn seither gesehen. – Sie war von ihm gegangen und hatte ihn den Gefahren jener Einöden preisgegeben. Und warum? Weil er sie lieb hatte, weil er sie auf den Mund küssen, an sein Herz drücken wollte.

Sela vermochte nicht daran zu denken, ohne sich der Gefahr auszusetzen, plötzlich wahnsinnig zu werden. Aber endlich konnte sie doch auch wieder an nichts Anderes denken, als an ihn, und da verging ihr Hören und Sehen.

»Warum ist es in mir,« so fragte sie sich selbst, »daß ich den Mann, den ich so sehr lieb habe, nicht mit meinen Armen umfangen darf? Küssen wollt’ ich ihn, bis die Lippen bluten, und sein Blut aufsaugen und sein Herz an dem meinen erdrücken! Wer im Himmel und auf Erden hat mir gesagt, daß ich ihn mit meiner Faust von mir stoßen soll, wenn er mich anschaut mit seinem lieben Auge, wenn er mir den Hauch seines Mundes, nach dem ich mich sehne wie der Fisch nach dem Wasser, nicht versagen will? Wer hat mir’s geboten? Meine Mutter? Sie hat jenes Lied gesungen vom falschen Jüngling im grünen Wald. So treu wie Erlefried kann keiner sein. Ein Anderes ist in mir, das die Faust gegen ihn geschleudert hat. Ich kann’s nicht ergründen.«

Und sie weinte, und sie träumte und sie fuhr fort:

»Vielleicht war’s das Sonnenlicht, das noch in den Wolken gebrannt hat. Vielleicht waren es die alten Bäume, die mich umstanden haben. Vielleicht war es der böse Feind, während ich den Schutzengel angerufen habe. – Jetzt ist er hin, und der er sich in Liebe hat vertraut, die hat ihn verlassen. Das thut so weh, wie ein Sterben.«

Der alte Bart war ausgegangen, um Erlefried zu suchen; aber es brannten die Stämme des Tärn. Das Feuer hatte sich zu jener Zeit und unweit dort erhoben, wo nach Aussage des Mädchens sie ihm davongelaufen war. –

»Und warum bist ihm davongelaufen, Du unbesinnte Dirn?« So hatte sie der Bart gefragt.

»Warum?« So gab sie zur Antwort, »weil ich mich vor ihm gefürchtet habe, mich hat eine Natter gestochen, ich habe eine Giftbeere gegessen, ich weiß es nicht, aber ich bin irre gewesen und habe ihn nicht erkannt.«

Der Bart fragte nicht weiter. Er ging in Rauch und zwischen den kohlenden Stämmen herum und suchte Erlefried, als wäre es sein eigenes Kind. Endlich jedoch blieb darüber kein Zweifel mehr, Erlefried mußte verunglückt sein. Der Bart glaubte seinem eigenen Worte nicht, wenn er sagte: »Der Knab’ ist schlau, der hat sich noch bei Zeiten in den hohen Trasank hinaufgeflüchtet.«

Was ginge den der Trasank an, dachte Sela, der will bei Leuten sein.

Ihr einziger Wunsch war, daß er lebe, und ihr Gebet war, daß er gestorben sein möge. Das ahnte sie, wenn er noch lebte, so stände es nicht gut um ihn.

»Vater Bart,« fragte sie einmal, »wann gehen die neunzig Jahre aus?«

»Welche neunzig Jahre?«

»Daß in der Rabenkirche die Raben wieder zusammenkommen und es laut erzählen, wen sie die Zeit her ermordet gefunden haben und wer der Mörder ist? In einer Christnacht soll es sein. Ich will hin und horchen.«

»Laß den Aberglauben sein, mein Kind,« antwortete der Bart. »Wir stehen in der Hand Gottes. Vergiß es nicht.«

»Wir in der Hand Gottes?« fragte Sela.

»Laß Dich nicht anfechten, wenn sie sagen, sie hätten Dir den Herrgott weggenommen. So mächtig ist Keiner, daß er das kann, so mächtig bist nur Du selber. Der ewige Herr läßt sich nicht geben und nicht nehmen. Wer ihn haben will, der hat ihn.«

Das war keine rechte Antwort auf ihre Frage, aber sie beruhigte sich.

Gedankenvoll blickte sie oft in die Schleier der Spinnen ihrer Kammer, die zur nächtlichen weile durch den Schein vom Tärn her beleuchtet wurden. –

Und einmal, als sie einem Thierchen zuschaute, das von der Decke nieder senkrecht seinen Faden spann, dachte sie: Wenn sie bis zur Erde spinnt, so sehe ich ihn wieder. Das will ich heilig glauben und das wird so sein.

Die Spinne hockte lange auf einem Punkt, dann spann sie bis zur Erde.

Nachdem der Tärn neun Tage und Nächte lang gebrannt hatte, war er verzehrt. Aus der weißen, schwarz gesprenkelten Aschenschichte stand hie und da ein verkohlter Strunk empor. Viele kleine Felswände waren kahl geworden, da und dort gähnte der finstere Eingang zu einer Höhle. Auf dem Höhenzug stand aber noch das Kreuz, jetzt weithin sichtbar. Der Borkenkäfer hatte es verschont, weil es dürr war, die nach Reisig lechzenden Flammen waren hoch darüber hingeflogen, und so war es der einzige übrig gebliebene Baum auf den Gründen des Tärn.


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