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Der Erzähler, dem Ihr Euch anvertraut, um an seiner Hand eine wilde, schattenschwere und unseren Tagen fremde Welt zu durchwandern, führt zum Anfange auf den Berg des Johannes. Dieser Berg erhebt sich in Form eines Kegels mitten aus der Wildniß. Die Wildniß kriecht an seinen Hängen hinan; zwischen zerklüfteten Felsenblöcken wuchern der Sauerdorn und die schwarze Erle, und der Schierling, und der rothe Holunder, und die Einbeere. In den Klüften nistet der Falke, im Grunde ringelt sich die Natter. Der Berg ist nicht so hoch, wie mancher von solchen, die in weiter Runde stehen, aber auf seinem Scheitel weist er eine Stätte mit grauer Erde, auf welcher keine Pflanze wächst. Wenn einst – so kündet es die Sage – nach tausend Frühlingen aus diesem Grund eine Blume erblühen wird, dann ist allerwärts das Reich Gottes erstanden.
Auf dem sandigen Boden wuchert heute der grünliche Schimmel der Algen, und inmitten liegt ein großer Stein, von dem man nicht weiß, wächst er in die Erde hinein oder aus derselben heraus; auf der oberen Fläche dieses Steines will manches Auge einen blutrothen Fleck sehen, »den kein Regen löscht und kein Eis tilgt«.
Rings um den Berg des Johannes, so weit das Auge fliegt, ist ein Reich von Wäldern, gegen Ausgang der Ritscher, der Birstling, der Tärn. Diese Wälder – es giebt keinen Baum und keinen Strauch und keinen Halm im nördlichen Halbrund, der nicht darinnen stünde – legen sich wie ein Meer über alle Höhen der Berge, über alle Niederungen, über alle Thäler und über alle Schluchten. Das geht so weit, bis im fernsten Kreise die Glocke des Himmels mit ihrem unergründlichen Blau oder mit ihren gletscherweißen Wolkenzinnen niedersinkt. Nur nach jener Seite hin, die man Mitternacht nennt, baut sich hinter einem weiten, dämmernden Waldkessel, die Trawies genannt, ein Wall von Felsbergen auf, die grau und scharf in den Himmel hinein gezackt sind, und die in ihren Schründen schneeweiße Adern haben. Dort hebt ein Gebirge an, dessen Bereich uns fern und fremd ist, so wie es den Menschen nicht bekannt war, die hier voreinst unter dämonischen Schicksalen gestritten haben und vergangen sind. Das Gebirge heißt Trasank. Zwischen seinen Wänden bricht ein mächtiger Fluß hervor, der in seiner reißenden Wildheit donnernd von den majestätischen Schrecken des Gebirges zu erzählen weiß. Die Trach – das ist der Name des Wassers – gräbt sich nun in den Engthälern und schattenfinsternen Schluchten durch die Wälder hin, nimmt zahllose Bäche und Bächlein und Quellen in sich auf, bis sie nach Stunden in jenes felsige Haideland kommt, das die Gegenden der Trawies weit und breit von aller Welt abschließt.
Ein großer Theil dieser Striche ist Urwald, den sein Eigenthümer – ein reicher Edelmann, der weit unten in einer Stadt am Meere wohnt und die Felsen des Trasank niemals gesehen hat – so in sich zusammenfallen läßt, wie er aus sich herausgewachsen ist. Nur in jenen Niederungen des Trawieskessels ist der Wald in seinen schönsten Mannesjahren; wo er heute steht, dort ist vor nicht allzulanger Zeit eine Gemeinde von Menschen gestanden. Als zur Zeit der Völkerwanderung auch das Volk der Germanen, in seinem Grunde aufgewühlt, hin und wieder wogte zwischen den Alpen und zwischen der Ostsee, da hat sich ein Häuflein von Menschen in diese Wildniß hierher verschlagen, hat sich angesiedelt an den Gestaden der Trach, hat gerodet und gebaut, hat allmählich Fühlung gefaßt mit seinem sich wieder ruhiger entwickelnden Stamme, hat sich den Satzungen der Allgemeinheit gefügt und hat die Segnungen der Allgemeinheit empfangen. Trawies war eine Berggemeinde, wie so viele andere Berggemeinden es waren. Auf einer felsigen, der Sonne zugänglichen Anhöhe im Thale der Trach, von dichten Büschen überwuchert, ragt heute noch die Ruine des Gotteshauses, in welchem die Menschen von Trawies bis auf ihre frühen Vorfahren zurück so oft um des Herrn Gnade gefleht haben mögen, und aus welchem ihnen das gräßliche Verhängnis emporgestiegen ist.
Männiglich meidet die zerfallenen Mauern bis auf den heutigen Tag. Wandern doch die Leute, etwa die verwegenen Jäger ausgenommen, samt und sonders ungern durch die Wälder von Trawies! Und wer es muß, der thut’s mit Hast, denn in jedem Schatten sieht er ein Gespenst, in jedem Schimmer, der durch das Gestämme leuchtet, wittert er das Lagerfeuer einer Räuberbande. Und selbst die Ortschaften draußen fürchten sich vor den Nebeln, die über Trawies aufsteigen, und bekreuzen sich vor den Wettern, die vom Trasank heranziehen. Oft sind auch schon die Gewässer losgebrochen aus jenen berüchtigten Waldstrichen und haben das Land verheert, als wäre doch der Fluch noch nicht gelöst, der vormaleinst in glühendem Zorn geschleudert worden war in das Engthal von Trawies, und der in überreizter Leidenschaft entfacht worden zu dämonischem Brande der Herzen bis an jenem Tage, da er auf dem Berge des Johannes in reiner Flamme hoch zum Himmel emporgelodert und dann verloschen war ....
Seit alten Zeiten haben die Leute von Trawies jährlich zur sommerlichen Sonnenwende ein eigenthümliches Fest gefeiert.
Ein Erstes war, daß an diesem Tage keine Kirchenglocke gehört werden durfte. Schon am Vorabende wurden die Stricke emporgezogen und siebenmal um die Glockenschwengel geschlungen, als wolle man solche siebenmal fesseln. Selbst der Gottesdienst am Altare unterblieb an diesem Tage, denn der Pfarrherr that auch mit, das Fest der Vorfahren zu begehen.
Zu jener Stunde der Nacht, die wie ein Zugbrücklein von Gestern auf das Heute führt, schritten drei Männer durch das thauschimmernde Thal der Trach und riefen folgenden Sang aus:
»Licht Sonnenwenden ist da!
Der heilige Tag!
Der goldene Tag!
Wacht auf
Zum ersten Stundenschlag!
Herab von den Himmeln,
Herauf von der Erden
Die lieben Gäste erscheinen werden.
Erwachet, erwachet,
Und freut Euch der Sonnen,
Ihr Brüder und trinkt
Vom lebendigen Bronnen.
Feuer und Licht hat Gott gemacht.
Erwacht! Erwacht!«
Und siehe, in den zerstreuten Häusern von Trawies wurde es lebendig, die Menschen traten hervor und versammelten sich auf dem grünen, eichenumstandenen Anger, unter dessen Rasen sie ihre Todten zur Ruhe gelegt hatten und Jeder suchte die Schlafstätte seiner Angehörigen und sagte das Wort: »Mein Vater, ich wecke Dich!« Oder: »Mein Bruder, ich wecke Dich, die heilige Sonnenwend’ist da!« Und all’ darüber standen die Sterne des Himmels, und mancher Träumer von Trawies blickte empor, daß er den Arm dessen sehe, der heute die Sonne heben wird bis zu seiner ewigen Stirn, um sie dann zurückzuschleudern in den Abgrund.
Und von der Stätte der Begrabenen stiegen sie hinan zu den Matten, welche die Sonnenwendmatten genannt waren, und Jeder fühlte an seiner Seite den geliebten Todten, den er geweckt hatte und geladen, daß er das fröhliche Fest mit ihm und allen Lebendigen begehe. Auf den Sonnenwendmatten zündeten sie ein großes Feuer an, dessen Gluth aus den Sonnenwendfeuern ältester Tage stammte. Es war nämlich seit jeher Brauch gewesen, daß vor Erlöschen des Festfeuers Einer oder der Andere aus den Ältesten von Trawies einen Funken des »Ahnfeuers« mit sich nehmen und in seinem Hause hüten mußte, um bei der nächsten Sonnenwende damit neuen Brand zu entzünden. Dieser Feuerwart war im Laufe des Jahres frei von Steuern und Zehnten, und zur Zeit der Seuchen kamen die Leute zu seinem Herde, auf dem die Gluth nicht auslosch, und holten Feuer zum Ausräuchern ihrer Häuser. Zur Zeit dieser Geschichte verwaltete das Feuerwartamt ein Mann, der an der Trach sein Haus hatte, und der auch nie anders als der Feuerwart geheißen wurde. Das war ein Mann, der mit eherner Kraft an der Vorzeit hing, der in diesem Ideale sein Herz geläutert und seinen Willen gestählt hatte. Er war der Mächtigsten einer in Trawies und hieß mit Namen Gallo Weißbucher. Und im Frühlinge, wenn im Thale der Trach die Saat aus der braunen Erde sproßte, kamen sie zu ihm und holten Ahnfeuer, und zündeten an den Grenzen ihrer Felder Reisig an, daß der Rauch über den keimenden Acker hinwalle und den Unsegen vertreibe.
Aus solch heiliger Gluth war das Feuer, das auf der Matte loderte, an welchem nun die Leute Gesänge murmelten, die anfangs düster waren, allmählich aber in Lebhaftigkeit und Fröhlichkeit übergingen, weiterhin in Übermuth ausarteten und schließlich, wenn längst die Sonne ihren glorreichen Himmelsbogen vollendet hatte, in wilder Ausgelassenheit vergellten. Denn Meth war da, so zum gebratenen Wildpret getrunken wurde, und Cider aus Wildäpfeln floß und entfesselte rasch jene heißen Ströme, die in den Adern junger Menschen rollen. Bald suchten sich Männer und Weiber, Jünglinge und Mädchen und verflochten sich zusammen in Reigen, und weit in der Runde widerhallten die Wälder von Trawies von dem Jauchzen, Singen und Rufen der Versammlung auf der Sonnenwendmatte. Die geladenen Todten schienen bei solchem Treiben sehr wenig Anrecht zu haben, und zum Schlusse des Festtages, wenn man nach alter Sitte die Seligen wieder auf ihren stillen Ruheanger begleiten sollte, vergaß manches Pärchen seinen Vater oder seinem Oheim zurückzuführen, und da sagte man, daß solche Seelen friedlos ein ganzes Jahr die Leichtsinnigen umschweben müßten.
Das war seit alten Tagen das Fest der Sonnenwende zu Trawies. Verbunden damit war auch eine Rede des jeweiligen Feuerwartes, welche im hohen Mittage unter den Eichen gehalten werden mußte. Diese Rede hatte vor Allem darzutun, daß das Feuer im Jahre hindurch mit allem Fleiße bewacht worden war und daß es »Funke aus jenem Funken ist, den der Urahn einst im germanischen Walde von der weißen Frau überkommen hat«. Ferner hielt der Redner eine Rückschau auf das letztvergangene Jahr, zählte die Verstorbenen, zählte die Geborenen, zählte die in Zucht und Liebe Verbundenen; zählte auch die hervorragenden Thaten der Bewohner von Trawies, es mochten dieselben zum Guten oder zum Bösen sein. So war dieser Tag Manchem zur Erhöhung, Manchem zum Gerichte. Schließlich wurde stets auch der Bande gedacht, durch welche die Gemeinde mit dem Fürsten des Landes verbunden war, und es wies sich, daß trotz aller Abgeschiedenheit die Anhänglichkeit an das Ganze eine treue war, und die Ausübung der allgemeinen Gesetze eine musterhafte, so lange solche Gesetze mit den althergebrachten Sitten dieses Volkes im Walde im Einklang standen.
Nun aber war ein neuer Herr nach Trawies gekommen, Pater Franciscus geheißen. Er bewohnte, wie sein Vorgänger, das stattliche Haus aus Stein gebaut, welches auf der Felsenhöhe neben der Kirche stand. Er soll klein und gedrungen von Gestalt gewesen sein, aber einen Blick gehabt haben, der den Bewohnern von Trawies schon von Anhang nicht gefiel. Er soll gern in weltlicher Kleidung gewandelt sein und in den Häusern nachgesehen haben, wie es mit der Habe stehe, und soll nach solchem Augenmaße die Abgaben der Leute erhöht haben. Auch habe er sich die Gebete um Segen für die lebendigen und um Trost für die Verstorbenen klingend wiegen lassen, sei aber zu den Stunden des geistlichen Opfers häufig an der Trach gestanden und habe die Angelschnur in das Wasser gehalten, oder sei mit Jagdgenossen in den Wäldern herumgegangen, und habe auch verordnet, daß die Leute in den Revieren nicht mehr Holz schlagen oder die Ziegen weiden dürften. Sonst hatten sie ihre Festbraten häufig selbst im Walde geholt, oder hatten aus dem Wildprete einige Schinderlinge gelöst. Aber das hatte nun der neue Herr verpönt, und schärfer verpönt als alle übrigen Todsünden zusammen. Die Leute von Trawies hatten es durch die langen glücklichen Zeiten her völlig vergessen, daß sie an Leib und Seele Hörige waren dem geistlichen und weltlichen Herrn, welcher das Einkommen von der Gemeinde theils zur eigenen Nutznießung verwenden durfte, theils an ein weit unten in den hügeligen Landen liegendes Kloster abgeben mußte. Mit der neuen Herrschaft war ihnen das aber gar deutlich ins Gedächtnis gerufen worden. Sie ächzten unter der Last und fluchten. Das Fluchen war ihnen nicht ausdrücklich verboten, denn der Seelenkenner wußte recht gut, daß Fluchen dem Sklaven das Gemüth erleichtert, den Herrn jedoch nicht verbindet. Aber Waldleute sind von jeher bewährte Lastthiere gewesen, und die Leute von Trawies hätten es ertragen. Da hatte der neue Herr eine Verordnung erlassen: Das heidnische Treiben und Gelage am Sonnenwendtage sei aufgehoben für ewige Zeiten.
Das traf die Menschen des Waldes ans Herz. Aber der Feuerwart rief: »So lange als ein Funke des Lebens in mir ist, so lange lasse ich den Funken des Ahnfeuers nicht ausgehen. Man soll einstmals nicht auf meinen Rasen treten und sagen können: Bei dem da unten, bei dem ist das alte ehrwürdige Feuer ausgeloschen! Es ist mir nicht der Zehnten und Abgaben wegen, diese will ich steuern nach meinen Kräften; jedoch aber, aus dem Ahnfeuer, das in meiner Hut ist, sollen sie zur Stunde, wenn ich in die Ewigkeit muß, meine Sterbekerze anzünden!«
»Traun, das ist treu gesprochen!« antworteten die Männer. Als sie jedoch zur nächsten Sonnenwende den Tag damit begannen, daß sie auf dem Kirchhofe die Todten weckten, stand plötzlich der Herr unter ihnen; nicht mit dem Kreuze, wie einst Bonifacius unter den Heiden gestanden, sondern mit dem Schußgewehr, den Finger an den Hahn gelegt. Nicht vor dem Feuerrohr zitterten die Männer, aber dem Gebote des Herrn, das sie stets gewohnt waren zu befolgen, wagten sie sich nicht weiter zu widersetzen. Sie gingen auseinander und der Feuerwart nahm die heilige Gluth mit sich.
»Halt! was trägst Du dort in jenem Hafen?« rief ihm der Herr nach. »Auf der Stelle wirf mir die Kohlen ins Wasser.«
Der Feuerwart fing an zu laufen, der Herr verfolgte ihn mit gespanntem Gewehr. Der Feuerwart war ein betagter Mann und sah, er könne dem Verfolger nicht entkommen.
»Du kannst mich niederbrennen mit deinem höllischen Feuer,« schnaufte er, »aber diese Gluth wirst Du nicht vertilgen!« Sein Haus war in der Nähe, dem floh er zu.
»Um so besser,« lachte der Verfolger, »Feuer läßt sich nicht verstecken.«
Das wollte Jener auch nicht; als er sah, er wisse das ihm anvertraute Heiligthum nicht mehr anders zu retten, sprang er in die Scheune und schleuderte die Gluth ins Stroh. Als der Pfarrherr nachgeklettert kam, war der Mann verschwunden, vor ihm schlug lichterloh die Flamme auf und er hatte hohe Zeit zu sehen, daß ihn das Feuer, welches er mit der Schußwaffe verfolgt hatte, nicht verzehre.
Das Haus brannte nieder. Der Feuerwart sah sein Eigenthum vergehen in den Gluthen des Ahnfeuers.
Vom Trasank hernieder zog ein wirbelnder Wind, der fachte die Flammen des brennenden Hauses hoch empor und trug sie hin in das Gestämme des nahen Waldes. Da brüllte und prasselte es auf, und als an diesem Tag die Morgensonne sich erhob, leuchtete sie roth und trüb durch das Gewölk des Rauches, welches über den brennenden Wald aufwirbelte. Eulen und Habichte flatternden kreischend in der Luft. Ganz Trawies war auf und jubelte, arbeitete aber mit Hacken und Spaten, um das Feuer zu bekämpfen.
Und als es Abend war und die letzten Bäume des glücklich abgegrenzten Waldes sprühend wie in Schwärmen von Johanniswürmchen in sich zusammenbrachen, hatte Jeder einen glühenden Brand mit in sein Haus getragen, denselben auf seinen Herd gelegt, und war solcherweise ein hundertfaches Ahnfeuer im Vorrath für die Sonnenwende des nächsten Jahres.
Und im nächsten Jahre, wenige Tage vor dem Feste, versammelten sich einige Männer im Hause des Waldhüters Baumhackel, das über eine Stunde von der Kirche entfernt weit oben in einem kleinen Hochthale stand. Das Hochthal, die Wildwiesen geheißen, ist noch heute an einem Wasserfalle zu erkennen, welcher zwischen ungeheuren Fichtenbäumen von einer Felsenterrasse niederstürzt und zu seinem Fuße einen großen kesselförmigen Tümpel bildet. An diesem Tümpel hin zog sich damals ein freier Platz bis zu dem kleinen Hause des großen Baumhackel, in welchem die Männer zusammenkamen, um über das Fest der Sonnenwende Rath zu halten.
Einer der Alten nahm das Wort und sprach: »Was wir da bereden werden, Ihr Männer von Trawies, bedenkt es wohl; in den Wolken, die über unser Haupt gehen, ruht der Donnerer und hört uns zu. Mit seiner eisernen Hand erhebt er den Blitz und begehrt das Sonnenwendfest, auf daß er nicht in unsre Häuser schlage, nicht unsere Wälder vernichte! Der große Forderer auf dem Donnerwagen, so bespannt mit zwei schwarzen Böcken, und das Wahlheer der Todgeweihten, das auf Ebern und feuerschnaubenden Rossen naht, verlangt den Freudentag der Sonnenwende!«
Des uralten Glaubens geheimnisvolle Kunde zündete und Alle riefen: »Ein Sonnenwendfest!«
Nachdem beschlossen worden war, diesmal das Fest auf der Wildwiesen abzuhalten, nahm Einer das Wort und stellte den Antrag, den Pfarrherrn von Feste fernzuhalten.
»Durch Gewalt?«
»Durch List.«
»Ei zum Donar, Isidor, das hört sich von Dir seltsam.«
»Wie sich’s hört, das kommt auf Eure Ohren an; ich aber sage, den Herrn brauchen wir nicht dabei!«
»Das sage ich auch!«
»Und ich auch!«
»Und ich ebenso!«
»Gut, so sagen wir’s Alle. Was nacht das aus?«
»Wenn die Männer von Trawies was wollen und zusammenstehen, soll das nichts sein?«
»Du hast recht, Isidor, ich wollte es ihm nicht rathen, daß er uns den Weg verlegt. Es kocht was in Trawies für unseren Herrn!«
»Bei meinem Eid, Männer, nur keine Gewalt! Ein Handschlag und unser Unglück ist zeitig. Ich sag Euch’s!« So der Isidor.
Ein Mann, den sie Wahnfred hießen, neigte sehr bestimmend sein Haupt.
»Ja Wahnfred, dasmal mußt du d’ran. Du hast dein Haus unten am Gestade, zwei oder drei Stunden von der Kirche, in der entgegengesetzten Richtung von der Wildwiesen. Am Sonnenwendtag wird in deinem Hause Einer auf der Sterb’ liegen. Da wird früh morgens nach dem Priester geschickt, der muß eilends hinaus. Verstehst mich!«
Auf diese Rede schmunzelten die Männer, der Wahnfred aber dehnte seine breite Brust heraus und sagte: »Wenn Gott uns bewahrt in seinen Gnaden, so geschieht das nicht. In meinem Hause soll kein’ Untreu’ sein.«
Das Haupt, welches so sprach, hatte sich fast trotzig über den breiten Schultern aufgerichtet. Das Gesicht war blasser, zarter, als die Farbe der Anderen; das war Keiner, der sein Antlitz viel gegen die Sonne hob. Hingegen trug er die Gluth in seinen großen Augen. Die Backen bedeckte ein leichter, gekräuselter Bart, die Lippen waren roth und kräftig und redeten, auch wenn sie schwiegen. Die Stirn war schmal und hoch, glatt und weiß; rückwärts am Scheitel hing das rotbraune Haar in Mähnen nieder. Der Mann war ganz merkwürdig. Das Eine deutete auf hünenhafte Kraft, das Andere auf kindliche Zartheit; das Eine deutete auf eine Denkerseele, das Andere auf ein überquellendes Gefühlsleben, aber auch ein Wütherich konnte es sein, ein Löwe, ein Tiger. Es giebt Menschen, deren Charakter allfort wie ein Orakel spricht und nimmer verstanden wird. Selbst in Bezug auf das Alter konnte man sich an ihm um viele Jahre täuschen: jetzt schien es, er habe mehr Winter erlebt als Sommer, im nächsten Augenblicke wieder konnte Einem einfallen, er habe gar keinen Winter und gar keinen Herbst erfahren, sondern lauter Frühlinge, aber deren eine hohe Zahl. = Ähnlich lautet eine Beschreibung, die uns von diesem Manne erhalten worden ist. Sein Kleid war, wie das der Anderen: ein grobes Hemd aus Leinwand, das am Halse mit einer schwarzen Binde zusammengebunden war, eine Kniehose aus Fellen von Hirschen oder Rehen, enge Strümpfe aus weißem Garn, ein langer Mantel aus brauner Wolle. Seit unlang trugen die Männer zu Trawies auch Beschuhung aus Leder, während die Weiber in ihrem blauen Leinwandkleide auf ihren glatteren häuslichen Wegen barfuß gingen. Filzhüte mit kleinem, kesselförmigem Boden und sehr breiten Krempen trugen sie auf dem Häuptern; und die Krempen waren zu beiden Seiten mit einer weißen Schnur nach aufwärts gehangen. Auch hatten sie auf ihren Waldgängen gern ein schweres Messerbesteck an der linken Lende, und lange, eisenbeschlagene Stöcke bei sich, denn der reißenden Thiere gab es manche in der Gegend, und auch manche der Abgründe und Wildwasser, die zu überspringen waren.
So sahen sie aus, die Männer zu Trawies, und so war auch er gekleidet, den sie Wahnfred hießen und der sein Haus unten am Gestade hatte, nahe wo die Trach den Wald verläßt und in das öde steinige Heideland hinausrinnt.
»In meinem Hause soll kein’ Untreu’ sein.« hatte er mit gemessener Stimme geantwortet. So sprach hierauf der Baumhackel: »Der Wahnfred ist nicht der Einzige im Gestade. Mein Bruder, der kleine Baumhackel, hat dort unten ebenfalls seine Hütten; in derselben wird auch kein’ Untreu’ sein, aber sie wird sich doch hergeben für eine Sache, die uns und der frommen alten Weise unserer Voreltern zugute kommt. Ich nehme es gern über mich, daß mein Bruder, der kleine Baumhackel, am Sonnenwendtage auf den Tod krank liegt.«
»Ist freundschaftlich von Dir,« sagte Isidor, »und so wird’s mit der Allmacht Gottes auch in diesem Jahre ein Sonnwenden geben.«
Nun waren nächtlicherweile auf allen Steigen, die zur Wildwiesen hinanführten, Männer und Weiber mit schweren Körben und Rücktragen gegangen und der große Baumhackel war vollauf beschäftigt mit Vorbereitungen, denn er hatte im Sinne, daß dieses Fest oben in der Verborgenheit der Wildniß, eben weil es verboten war und heimlich geschehen mußte, großartiger und lustiger ausfallen sollte als alle, so bisher stattgefunden hatten.
Am Sonntage zuvor hatte jedoch der Pfarrherr Franciscus vom Predigtstuhle aus Folgendes gesagt: »Am Erchtage begeht unsere Kirche und mit ihr der aufrichtige Christ das Fest des heiligen Märtyrers Johannes, der unseren Herrn und Seligmacher Jesus Christus am Flusse Jordan getauft hat. So wird an diesem Tage in unserer Kirche ein feierliches Meßopfer darbegracht und haben die Kinder der Pfarre in möglichster Anzahl dabei zu erscheinen. Während des hohen Amtes wird ein Opfergang um den Altar stattfinden. Ich hoffe, daß Jeder sich dem Herrn bekennen wird. Der heilige Täufer Johannes hat das Himmelreich mit seinem Blut erkauft; ich bin als gewissenhafter Seelenhirt entschlossen, die störrischen Schafe, und sei es selbst mit Gewalt, in meines lieben Gottes Schafstall einzuführen.«
Und sei es selbst mit Gewalt! Wie wunderlich dieses Wort in den Kirchenwänden widerhallte! Die Leute erschraken und wußten nicht warum. Ob der Drohung erschraken sie nicht.
Als sie aus der Kirche gingen, sagte ahnungsvoll ein altes Mütterlein: »Grad’ einen Stich hat’s mir ins Herz gegeben, wie ich das hab’ gehört!«
Und am Tage des Täufers, als das Morgenrot aufging, war der Herr Franciscus wach in seinem Pfühl und freute sich, daß er wach war, um die Behaglichkeit des warmen, wohl geborgenen Bettes recht empfinden zu können. Es war nicht immer so gewesen. Sein Vater, ein barscher Burgvogt allzu frommen Sinnes, hatte ihn von derblustiger Knappenwirthschaft hinweg ins Kloster gegeben. Da gab’s schmalen Tisch, breite Betstühle und anstatt der Vogelschlingen Peitschen für den menschlichen Rücken. Spaß gab’s wenig, Bußungen viele, denn die Regeln waren strenge und der Guardian noch strenger. Jammerschade um die schönen Jahre! Endlich ließen sie ihn frei und stellten ihn in die entlegene Waldgemeinde Trawies. Das war ihm recht; jetzt konnte er das Versäumte einbringen. Hier war er Herr und sollte es sein, und wunderte sich, daß die Waldbauern ihre eigenen Herren sein wollten. Er hatte in seinem Leben von freien Menschen nicht viel gehört; er hatte sich gedacht, mit den Hörigen und Knechten auf gutem Fuße zu leben, aber die Leute wollten es auch auf guter Hand, und als sie sahen, daß er mehr nahm, als seine Vorfahren genommen hatten, murrten sie und wurden trotzig. Und dieser Trotz weckte den seinen; nun wollte er mit Strenge und Gewalt die Einigkeit und den Frieden zwischen sich und seinen Pfarrkindern herstellen. Denn er sehnte sich nach dem Frieden und nach einem fröhlichen Leben in Gemeinsamkeit mit den Leuten, aber in seiner Klosterzelle hatte er nicht Menschenkenntniß genug gelernt, um so ans Ziel zu kommen. Die Spannung war in der Gemeinde so groß geworden, daß er außerordentliche Mittel ergriff. Trotzdem streckte er sich nun behaglich unter seiner Decke und dachte an Wohlleben, das auch andere Herren führten draußen im Lande. Er konnte recht gesellig sein mit Leuten, die zu ihm standen in Spiel und Waidmannslust; die priesterlichen Handlungen gingen so nebenher. Ob er sie zu Recht erfüllte! Er fragte nicht danach, hatte man ihn doch ohne seinen Willen in die Kutte gesteckt! Die Rechenschaft, welche er von seiner Gemeinde hohenorts abzulegen hatte, dachte er sich nicht strenge, maßen er die Steuern und Abgaben mit genauerer Gewissenhaftigkeit dahin ablieferte, als es seine Vorfahren je zu thun vermochten. So rechnete er auf ein langes, kurzweiliges Leben im Thale der Trach.
Derlei mochte der Herr Franciscus an diesem Morgen gedacht haben, da pochte unten an der Thüre des Pfarrhofes plötzlich der Hammer. Der Herr blieb liegen, wie er lag, aber die klangvolle Stimme einer Frau fragte zum Fenster hinab, was es gebe? Es würde doch nicht schon wieder das heidnische Wesen angehen!
»Das nicht,« rief Einer von unten hinauf, »aber der kleine Baumhackel will versterben, und der Herr möge um des großen Gottes Willen alsogleich mitkommen.«
Bald darauf stand der Herr selbst am Fenster und that die Frage, was nur dem jungen Mann zugestoßen sei?
»Vermeinen, das Schlagl wird ihn troffen haben, er liegt ganz dahin; es reckt ihn schon der Tod, würdiger Herr.«
»So kann ich auch nichts machen. Ich will den Versterbenden ins Meßopfer schließen. Geh’ nur wieder heim.«
»Wollt’ aber doch die Barmherzigkeit haben. Wir wissen es all’, ‘s ist ihm so viel um einen Geistlichen, und keine Ordnung ist, kein Testament, um und um nichts. Wissen uns gar nicht zu helfen, und wenn uns der gute Herr auch will verlassen ...«
Da hat sich der Herr sauren Gesichts wegfertig gemacht, und das Glöcklein, welches den Allewigen in Brotgestalt begleitet, hat mählich dahingeklungen am Ufer der rauschenden Trach. Es war nicht zu verwundern, daß an den Häusern, an welchen der Priester vorüberkam, so wenig Leute knieten, denn es war noch früh am Morgen; und es war auch kein Wunder, daß im Innern der Häuser schon alle Betten leer standen, denn es war schon lange nach Mitternacht.
»Licht Sonnenwenden ist da!
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Feuer und Licht hat Gott gemacht.
Erwacht! Erwacht!«
Der Ruf war längst verklungen und die Leute waren davon und hinangestiegen gegen die Wildwiesen. Allerlei Volk. Da ein vierschrötiger Bursche, der wich dem Kirchhof aus, denn seine alte Base, die wollte er nicht wecken, sie mag sich ausruhen, und der Pathe auch selbander; hingegen was Lebendiges will der Nantel mitnehmen. Und an einen Hause, an welchem er vorüber kam, klopfte er am Fenster der seitwärtigen Wand: »Sonnwenden ist da! Licht ist die Sonnen. Geh’, trink vom lebendigen Bronnen!« So viel von dem alten Spruche war in seinem Kopf verblieben.
Wer drinnen war, der ließ sich nicht so lange bitten, als der Herr im Pfarrhofe. Er kam bald heraus, und es war eine Maid, die ganz kecklich den Arm des Burschen erfaßte und mit ihm hinanstieg.
»Hast wohl Feuer bei Dir?« fragte er.
»Verspar’ Dein Spotten sauber auf ein andermal und gieb Achtung, daß ich Dir nicht zu heiß komm’!«
»Mußt erst sehen, welches von uns heißer brennt. Nun sag’ ich Dir eins, wenn ich nicht zwei sag’: Haben wir Beid’ das Feuer selber bei uns, was sollen wir uns denn plagen und hinaufsteigen auf die Wildwiesen! Setzen wir uns wo hin und halten Sonnwenden im Kraut!«
»Du, Nantel,« antwortete sie, »mit so heiligen Sachen treibst kein Gespött mehr! Mußt wissen, ich bin nicht allein.«
Er starrte sie an und über seine Wangen ging eine blasse Farbe.
»Nicht – nicht allein wärst. Josa?«
»Schon gestern spät Abends Stund bin ich auf dem Friedhof gewesen und habe meine Mutter geweckt.«
»Deine Mutter,« atmete der Nantel auf, »so, so, Deine Mutter selig. Ist schon recht, Josa, weil nur das! Ist schon recht.«
Sie kamen glücklich hinauf. –
Einen anderen Fußsteig schritten zwei Gäuche hinan.
»Jetzt probir’ ich’s aber doch,« flüsterte der Eine, »und probiren thu’ ich’s.«
»Wird nichts nutzen,« meinte der Andere.
»Mir hat’s der klein’ Baumhackel für gewiß gesagt, ganz für gewiß. Und ich glaub’s auch.«
»Gieb her, Lass’ lesen noch einmal.«
Sie hielten ein arg zerfahrenes Blatt Papier in den Händen und lasen: »Approbirtes Mittel, daß die Leut nicht munter werden. Nimm Jungfernhaar als zum Tocht und Fetten von einer Kreuzotter als zum Auswendigen; dieselbe Kerzen alsdann am besten mit Sonnwendfeuer anzünden, wird der brennenden Kerzen wegen in einem Haus, so Du das thust, weder Mann noch Weiblein aufwachen.«
»Möglich kann’s sein,« sagte nun auch Jener, der anfangs gezweifelt hatte.
»Der Baumhackel soll’s wundershalber an seinen Hausleuten probirt haben.«
»Was Du sagst!«
»Wisse, Roderich, Baumhackel’s Leut’ fressen so viel gern, und hat sich der Baumhackel vornächst schon um den Pfingstsonntag kümmert, wo sie wieder allerhand gut’ Sach’ haben wollen und mit nichts zufrieden sind.«
»Wenn sie mit nichts zufrieden sind, so sind das ja recht bescheidene Leut’!«
»Du verstehst mich nicht, Roderich, sie sind nämlich mit nichts nicht zufrieden, heißt das, mit Etwas nicht zufrieden, wie man sagt, halt: mit nichts etwas zufrieden.«
»Strapazier’ Dich nicht, Uli, Du meinst, es gäbe nichts, womit sie zufrieden wären.«
»Oder vielmehr, es gibt alles, womit sie nicht zufrieden sind. Wenn man Dir einmal nicht mehr recht reden kann, so geh’ Deiner Weg allein.«
»Also weiter, sie waren nicht zufrieden.«
»Und sind es nicht, und der Baumhackel hat’s gewußt, sie werden es auch am Pfingstsonntag nicht sein. Was thut er?«
»Den Stecken nimmt er und verjagt sie.«
»Laff! Wozu hätt’ er denn hernach die Kerzen mit dem Kreuzotterschmalz und dem Jungfernhaar? In der Pfingstnacht, wie er vermeint, daß Alle schlafen, zündet er sie an und läßt sie brennen über den ganzen Tag und bis in die nächste Nacht hinein. Kein Ratz ist Dir munter worden und das ganze Essen ist verspart geblieben.«
»Das ist viel!«
»Das ist nichts. Wie die Knechte sind munter worden, haben sie Kisten und Kästen ausgeleert, alles aufgefressen.«
»Dem wäre ja abzuhelfen, Uli; man braucht nur, dieweilen die Leut’ einen so gesunden Schlaf haben, die Kisten und Kästen selber auszuleeren, so werden sie sich nachher nicht krank essen.«
»Das meine ich ja eben. Ruck’ an, Bruder, daß wir ein Brandel Sonnenwendfeuer erhaschen.«
Und sie kamen glücklich hinauf. –
Wieder einen anderen Weg hinan ging eine größere Gruppe von Männern. Darunter war – er ragte über die Genossen hervor – der Wahnfred aus dem Gestade. Er stieß seinen Stock derb in die Erde hinein und nahm nicht Theil an dem Gespräche, welches die Übrigen in Erregung führten. Einer war unter ihnen, der trug ein frischrasirtes Gesicht und einen neuen Hut. Er führte das Gespräch und wußte die Worte wohl zu setzen. Er war etwas, was in damaliger Zeit eine Seltenheit gewesen und was sich nur die Leute von Trawies beigelegt hatten, wenn sie einmal einen Ableger aus dem Kloster erhaschen konnten. Er war der Schullehrer von Trawies und erzeugte die großen Filzhüte, wie sie hier verlangt wurden, also ein Mann für den Kopf.
»Männer,« sagte er, mußte aber stehen bleiben, so oft er sprach, weil sein Wort die ganze Lunge zur rechten und linken Seite in Anspruch nahm; »Männer von Trawies! Ich, der alte Lehrer, der zum Theile Euren Kindern und zum Theile Euch selbst freundschaftlich beigebracht hat, was in seinem Können und in seiner Erfahrung gelegen ist – ich wollt’ Euch nicht gerathen haben, daß Ihr unsern Herrn reizet! Er ist unser Schirmherr und unser geistlicher Führer, und er ist vom Obersten uns gestellt –«
»Schulmeister, diesmal weiß Unsereiner es besser,« unterbrach ihn der Gallo Weißbucher, das war der Feuerwart, der ein Jahr früher sein Haus angezündet hatte, um das Ahnfeuer zu retten, »einmal ist es nicht redlich gesagt, daß wir den Herrn reizen. Wir thun, was die Trawieser seit hundert Jahren und länger her gethan haben. Es ist kein Übel für die Menschen, wenn sie das Andenken an ihre Voreltern hoch halten, wenn sie die Lebensweise und die Sitten, in denen die Vorfahren stark und ehrenreich geworden sind, wie ein Erbgut bewahren. Das sind die Ketten, die uns verbinden mit den Ahnen, so für uns gesäet haben und für uns gelitten. Am Leibe liegt es nicht, den wir von ihnen überkommen, an der Seele liegt es, die sich aus ihren jahrtausend langen Schicksalen herausgewachsen hat. Diese Seele lassen wir uns nicht wenden und färben, wie Ihr Eure Hüte wendet und färbt, die heute der Herr trägt und morgen der Knecht. Der Baum wird sich schon selber auswachsen, wie er muß, und will man uns jetzt auf einmal mit Gewalt ändern, so ist das just so viel, als man will den Baum von seinen Wurzeln trennen und als Strunk neuerdings in die Erde setzen. Wir sind dem Herrn alles zu Willen, was er zu Recht und oft gleichwohl auch zu Unrecht verlangt, jedoch aber –!«
»Es handelt sich auch gar nicht mehr um das vermaledeite Sonnwendfeuer.«
»Schilt, Schulmeister, schilt! und Du bist schon recht, wenn Du sagen willst, es wendet sich schier bald einem Anderen zu. Nur das will ich jetzt noch richtig machen: Unser Schirmherr ist er nicht, das ist der Kaiser. Unser geistlicher Führer ist er auch nicht, dazu gehabt er sich viel zu weltlich. Geld! Geld! läuten bei Dem die Glocken auf dem Thurm. Und wenn Ihr zum Schluß sagt: Vom Obersten wäre er uns gestellt, so sagt Ihr zum Schluß eine Dummheit, mit Verstattung. Unser Oberster ist nicht das Kloster und nicht sein Patriarch. Sie sollen ihn zurücknehmen, beizeiten zurücknehmen, das rathen wir Alle zum Guten!«
»Gallo Weißbucher,« sagte jetzt der Schullehrer, »Ihr seid ein alter Mann und brauset so ketzerlich auf. Habt Ihr denn nicht christliche Sanftmuth gelernt?«
»Von unserem Pfarrherrn nicht.«
»Wollt Ihr denn einen Krieg anheben mit den Gewalthabern des Reiches? Dem Bischof sind die Herren Männer von Trawies schon lange nicht mehr nach Sinn und er weiß, warum er einen solch gestrengen Herrn in die Gemeinde gesetzt hat. Ich alter Mann bin ja doch keiner von Jenen, ich bin ein Trawieser Kind und halte zu Euch meiner Tage lang. Und eben darum rathe ich treu: Wir sind die Schwachen, fügen uns christlich – dann wird wieder der liebe Frieden sein in unseren grünen Wäldern.«
»So möchte ich nur wissen, warum Ihr mit Euren alten Füßen selber hinaufsteigt zur Wildwiesen.«
»Weil es mir erst heute zu Ohren gekommen ist, was die Leute da oben vorhaben, und weil ich sie warnen will – warnen und bitten – daß sie beizeiten still wieder auseinander gehen. Ich sag’ Euch, verfeindet Euch nicht! Wenn ein Pfaff beißt, der wird nimmer gesund! Auch darf man den Priestersegen nicht verscherzen.«
»Geh mir! Pfaffen segnen sich selbst zuerst.«
»O, mein lieber Gott,« seufzte der Schulmeister.
»Was meint Ihr?«
»Ich weiß nichts, aber es liegt mir in der Luft wie ein großes Unglück!«
Sie redeten noch ein Weile durcheinander. Nur der Wahnfred schwieg und wandelte finster einher und stieß seinen Stock derb in den Boden.
Sie kamen glücklich hinauf. –
Es war zu Stunde der Morgenröthe, daß an den Ufern der Trach ein Knabe daherkam. Aber das war ein schöner Knabe. »Die Sonnen hatte noch nicht zwölf Jahre lang herabgeschaut, und sein Haar, sein weißes zartes Kräuselhaar war doch golden geworden; der blaue Himmel und der Morgenstern sind gar lieblich zu sehen, aber ich versenke meine Blicke in das Auge dieses Knaben hinein, darin es noch unbeschreiblich schöner ist. Der weißen Wölklein weißestes ist nicht so schön, als wie seine Stirn und sein Nacken; die Morgenröthe, so ich preise all Morgenstund’, leuchtet nicht lieblicher, denn die Wangen dieses Knaben brennen, wenn er in kindlicher Lust ist.«
So heißt es von dem Knaben in jener Schrift, die dem Erzähler dieser Begebenheiten in vieler Hinsicht eine Quelle ist.
Er war vielleicht so früh Morgens schon zur Schule gekommen, oder wollte auf dem Kirchhofe dabei sein, da sie den Groß- und den Urgroßvater weckten, mit denen er sich gern einmal besprechen mochte, wie es früher in Trawies mit den Adlern gewesen, die jetzo nimmer zu sehen sind. Nun war das Schulhaus verschlossen und der Kirchhof leer, und ein alter Mann, der so früh schon unter der Eiche saß, sagte: »Sie sind schon hinauf, Alle hinauf!«
So ging der Knabe wieder den Bache entlang, aus dem ihm die kühle feuchte Luft entgegenthaute. Er spähte nach Forellen, nach Krebsen, er scheuchte die Bachstelzen von einem Weidenbusch zum anderen. Sein herrliches Auge glühte den Thieren nach. Und mitten in solcher Jagdlust hörte er ein klägliches Wimmern. Er schaute nach allen Seiten und das Rauschen des Wassers wollte die Stimme ersticken. Da sah er einen schmalen Steg, der über die Trach führte, und mitten auf diesem Steg lag auf dem Angesichte ein Kind und umklammerte den Baumstamm und wimmerte.
Alsogleich sprang der Knabe auf den Steg und hörte, wie das Wesen – es war ein Mädchen von acht oder neun Jahren – immerfort schrie: »Ich fall’, ich fall’!«
»Wirst nicht fallen,« sprach der Knabe, »steh’ auf und halte Dich fest an mich!«
»Ich fall’, ich fall’!« rief das Kind und klammerte sich noch fester an den querüberliegenden Baum, unter welchem die Trach brausend über Felsblöcke wallte und gischte. Dem Knaben selbst hub es vor den Augen an zu kreisen und er haschte, die aber nicht da war. Er wendete die Augen vom rollenden Wasser ab, erfaßte das Kind mit beiden Armen, riß es mit Kraft vom Stegbaum los und sprang mit solcher Beute ans andere Ufer hinüber.
»Was hast denn auf dem Steg gemacht – so früh?« fragte jetzt der Knabe.
»Vor dem Hinabfallen hab ich mich gefürchtet,« antwortete die Kleine.
»Weshalb bist Du hinaufgestiegen?«
»Weil ich meinem Vater nachlaufen will.«
»Wo bist denn daheim?«
»Dort, wo das Weiße ist.« Und sie streckte den Arm aus und zeigte mit dem Fingerchen nach einem neuerbauten Hause, das jenseits des Flusses an der Berglehne zwischen braungesengten Bäumen hervorschimmerte. Es war der Hof des Feuerwarts Gallo Weißbucher, dem sie das Haus wieder auferbaut hatten.
»Wo ist dein Vater?« fragte der Knabe weiter und sein Blick ruhte besorglich und treuherzig auf dem zarten Wesen, das vor ihm kauerte und recht offen zu ihm aufsah.
»Mein Vater, der ist hinaufgegangen.«
»Wo denn hinauf?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was macht er oben?«
»Das Feuer anzünden.«
»So weiß ich es schon. Willst Du hinaufgehen, so gehe ich mit Dir.«
»Kommen wir zu einem Steg?«
»Nein, es geht jetzt alleweil zu Berg. Warum hast Du Dich auf dem Steg niedergelegt?«
»Weil es um und um gang ist. Und nachher ist der ganze Steg mit mir geflogen.«
»Jetzt – kommt sie! Schau, jetzt kommt sie!« flüsterte der Knabe erregt und wendete sein Angesicht den fernen Höhen zu, über denen die Scheibe der Sonne aufstieg. Auf das Tal war plötzlich ein warmes Roth gegossen und die Stämme und Gruppen der Bäume legten scharfe Schatten auf den goldenen Grund.
Das Mädchen blickte nicht die Sonne an, die war zu licht; das Mädchen blickte in das Angesicht des Knaben, das that ihrem Auge wohl. Und als sich nun auch er gegen sie wendete, um zu sehen, wie ihr die Sonne gefalle, blieb sein Blick an ihrem Antlitze ruhen und er sagte ganz leise: »Die Sonnenwendsonne ist wohl schön!«
Ja, sie war wohl schön! Das zarteste, das schönste Roth der Rosen legte sie auf das runde Gesichtlein des Mädchens. »Und in diesem Rosengärtlein standen zwei Violen« – lesen wir; wie nur kann man ein schönes Menschenauge mit Blumen vergleichen! Dieses Wunder der Wunder ist unvergleichlich. Möge der Leser an die schönsten Kindesaugen denken, die er in seinem Leben gesehen hat, vielleicht kommen sie den hellen Sternlein nahe, die »wie Violen in diesem Rosengärtlein« leuchteten. Da waren in den Augen zwei gluthrothe Fünklein, der sich spiegelnde Sonnenball, und daneben das winzige Lockenhaupt des Knaben, welches nun im runden Spieglein drinnen anwuchs und die Sonne verdeckte, weil der Knabe sein Haupt so nahe zum Antlitz des Kindes neigte.
Da es jetzt aber war, als klänge etwas durch die Luft, so sagte der Knabe: »Das ist die Musik oben auf der Wildwiesen. Frisch auf!«
Und sie stiegen an. Nach einer Weile blieb der Knabe stehen und sagte: »Weißt Du, wie das ist?«
»Was?« fragte das Mädchen.
»Daß die Sonnen so auf und nieder fliegt. Höre einmal zu. Der gute Gott und der böse Feind, die thun miteinander Ball werfen. Und das ist der Sonnenball. Einmal fliegt er dem guten Gott in die Hände, da ist es Tag; nachher fliegt er wieder dem bösen Feind in die Hände, da ist es Nacht. Und da hat mein Vater gesagt, zu Sonnenwenden thät’ der Teufel den Ball am höchsten werfen. Und wenn Gott den Ball einmal nicht mehr auffängt, so fällt er hin und nachher wird es nimmer Tag.«
Das Mädchen entgegnete nichts, aber es fürchtete sich und schmiegte sich an den Knaben. Sie gingen Hand in Hand und Jedes achtete auf seine Füßchen, und Eines schanzte dem Anderen den besseren Theil des schmalen, holperigen Weges zu. Endlich hörte der Weg auf und sie kamen ins hohe Heidekraut; vom Mädchen ragte nicht viel mehr als das kleine Haupt daraus hervor. Der Knabe schritt voraus und trat das Gekräute nieder, so gut es ging, und wo ein reifes Beerchen blaute, pflückte er es ab und steckte es dem Mädchen in den Mund. Da kam es schlimmer. Sie vergingen sich in ein Dickicht von Wacholdersträuchern; mit Noth wanden sie sich durch und wurden viel gestochen, aber Keines sagte ein Wort. Der Knabe wußte nun wohl, daß er den Weg verfehlt hatte, aber sie wollten ja nicht den Weg, sie wollten die Wildwiesen, und daß sie dieser immer näher kamen, bewies das deutlichere Klingen der Musik. Als er jedoch merkte, daß das Mädchen im wilden stechenden Strauchwerke verzagt werden wollte, wendete er sich um und sagte: »Du, das ist der Weg zum Himmel!«
»Zum Himmel?« Fragte das Kind und blieb vor Verwunderung stehen.
»Ja, weil er so dornig ist.«
»Warum ist der Weg zum Himmel denn so dornig?«
»Der ist so dornig, weil – ja, das weiß ich selber nicht. Ich werde meinen Vater fragen. Und weißt Du, daß in den Wacholderstrauch der Blitz nicht einschlägt? Wie unsere liebe Frau mit dem Kinde ins Ägypten gegangen ist, da ist so ein schreckhaftes Donnerwetter gewesen, und da ist die liebe Frau unter einem Wacholderstrauch gestanden, und er hat ihr ein Dach gegeben, und seither schlägt kein Blitz mehr in den Strauch.«
»Ja,« sagte das Mädchen, »wenn wir nur schon beim Vater wären.«
Endlich waren sie in die Nähe der Wildwiesen gekommen; sie hörten das Schreien und Singen der Leute und sie hörten den Wasserfall. Sie standen da und horchten. Sie standen ganz nahe beisammen und der Knabe sagte: »Wenn Du Deinen Vater siehst, so wirst Du von mir gehen und ich werde allein sein.«
»Dann sollst Du mich rufen, und ich komme wieder zu Dir,« versetzte das Kind.
»Ich kann Dich nicht rufen, ich weiß Deinen Namen nicht.«
»Mein Name ist Sela.«
»Und wenn Du mich rufen willst, mein Name ist Erlefried.«
Die Kinder gingen auseinander und jedes suchte seinen Vater.
Die beiden Väter standen unter einer Eiche und kanzelten den kleinen Baumhackel herunter.
Der kleine Baumhackel, der draußen im Gestade todtkrank im Bette liegen sollte, der den Pfarrherrn rufen ließ, daß er ihn mit den Mitteln zu einem leichten, irdischen Tod und mit den Mitteln zu einem schönen ewigen Leben versehe, der kleine Baumhackel, dem die Hölle heiß zu machen sich der Pfarrherr schon gefreut haben mochte, weil dieser kleine Baumhackel immer ein Ausbund von Verschlagenheit und Bosheit gewesen war, der stand jetzt da mit seinen breiten Achseln, seinen großmächtigen Kinnbacken und seinem kegelspitzen Haupte, auf dem eine zerschlissene Wollhaube saß, und fletschte.
»O Du Wicht!« rief ihm der Feuerwart zu, »Du hast den Herrn zu Dir kommen heißen, warum liegst nicht daheim?«
»Weil mir beim Liegen die Zeit ist lang worden.«
»Sieht er, daß er der Genarrte ist, so wird er Dein Haus in den Boden verfluchen und gewiß spornstreichs der Wildwiesen zulaufen. Hernach haben wir den Teufel im Nest. Wer ist die Ursache als Deine verdammte Dummheit?«
»Thut’s nicht greinen, Feuerwartvater,« sagte nun der kleine Baumhackel. »Der alte Pfründner-Lull liegt in meinem Bette, ist so gut und stirbt für mich. Der braucht sich dazu gar keine Gewalt anzuthun; aufrichtig wahr, der Lull liegt schon seit gestern in den Zügen.«
»Seid’s still! seid’s still!« winkte jetzt der Waldhüter von seinen Hause herüber. Man merkte bald, weshalb er winkte. Der Pfarrherr war da. Plötzlich war er unter den Leuten, hielt sich aber ruhig und fragte nach dem »Feuerwart«.
Sich würdevoll auf den Stock stützend, mit schwerem Ernste nahte er dem Weißbucher. Dieser ging ihm noch einen Schritt entgegen und zog grüßend dem Hut vom Haupte.
»Ah, laß das,« sagte der Herr, »weshalb wollet Ihr den Hut abthun vor einem katholischen Priester? Ihr seid ja doch Heiden. Recht sauber habt Ihr Euch da zusammengethan zu einem Veitstanz, zu einem Hexensabbath. Tanz und Gelag’ ist des Teufels Feiertag. Hei, dort geht’s schön zu!«
Er wies mit dem Stocke auf das Gelage der Zecher, auf dem wilden Reigen der Tänzer und Tänzerinnen, die bei dem Gedudel einiger Pfeifen mit fliegenden Haaren und Röcken auf dem Moosboden Sprangen. Sie schrien und lärmten, aber bei dem betäubenden Gebrause des nahen Wasserfalles war kein Wort zu verstehen.
»Ja, ja, Ihr züchtigen Jungfräulein, springt nur zu!« Rief der Herr.
»Es wird nichts Unrechtes sein, Herr.«
»Wenn die Keuschheit tanz, so tanzt sie auf gläsernen Schuhen. Also auf der Wildwiesen werden Eure Sünden und Laster ausgekocht!« so der Pfarrherr mit verhaltenem Grimm.
»Herr!« antwortete der Feuerwart, »schon seit lange ist es Euch bekannt, daß die Trawieser Leute von ihrer alten Weise nicht abgehen und daß sie, je mehr Gewalt dagegen gebraucht wird, desto fester daran halten.«
»Gut, gut. Es wird sich bald weisen, meine lieben Trawieser, wer von uns der Stärkere ist. Ihr seid schlau, ich bin es auch. Noch zu guter Stunde ist es mir auf dem Wege ins Gestade zu Sinne gekommen: da oben dürftest Du anheute nöthiger sein, als da unten – und bin umgekehrt. Ich setze mich d’dran, Euch zu biegen oder zu brechen. Ich bin Euch der Herr!«
»Tröste Gott den Herrn, den der Knecht soll lehren!« sagte der Weißbucher zornig.
»Ihr Verblendeten!« rief der Pfarrherr. »Danket dem Himmel, daß ich jetzt meiner priesterlichen Pflicht gedenke!« Er hatte den Arm gehoben und wieder sinken lassen.
Der kleine Baumhackel war schon früher zur Seite getreten; nun stand der große, der Waldhüter da und war so frech zu sagen: »Eure priesterliche Pflicht? Herr, das Wort verstehen wir an Euch nicht. Wer ist denn heute zu einem Sterbenden gerufen worden hinaus ins Gestade?«
»Dem Sterbenden ist wohl. Mich ruft’s dorthin, wo die Lebendigen in die Hölle fahren.«
Nach diesen Worten des Herrn Franciscus trat der Wahnfred vor und sprach: »Man hat Euch gesagt, daß im Gestade ein Mensch in Todesnoth liege und Euer begehre?«
»Wer des Priesters im Leben nicht achtet, der wird desselben auch im Sterben entrathen können.«
»Ja, Pfarrherr, habt Ihr denn noch nicht gehört von Jesum Christum, der dem Reuigen verzeiht und den Sünder aufnimmt! Wißt Ihr denn nichts von der Gnade und von der Barmherzigkeit?«
Jetzt bemerkte der Pfarrherr den kleinen Baumhackel, der hinter der Esche allerlei Gesten machte. »Ei, ei,« rief er. »Da hinten hockt er ja, mein armer Sterbender und treibt Possen! Seht Ihr, Gesindel!«
Der Wahnfred ließ sich nicht irren. »Hast Du das gewußt, als Du auf dem Wege umgekehrt bist?« fragte er. »Nein, geweihter Mann, das hast Du nicht gewußt und Du ließest Einen wahrhaftig versterben ohne Sacrament! Nun sehen wir, was Dein Sinn ist. Wir ehren den Seelenhirten, weil wir in der Noth seinen Trost brauchen, und im Streit seine Mittlerschaft, und in der Sterbstund’ seinen Beistand. Die Sterbstund’ ist kein Spaß. Dieselbige macht gar oft auch in gesunden Tagen bang’; sie bringt dem Altare manchen Opferpfennig ein. Und Du bist im Stande, in der Sterbstund’ uns zu verlassen, und treibst dort herum, wo Du Unfried’ säen kannst. Unser Seelenhirt bist Du nicht!«
»Davonjagen!« riefen jetzt mehrere Stimmen. Da that der Pfarrherr einen lauten Pfiff. Eine Rotte von Knechten stürzte aus dem Dickicht.
»Räuber!« erscholl es wild durch die Menge hin. Da stoben die Zecher und Tänzer auseinander und haschten nach Steinen, Ästen, Knitteln; und der Feuerwart nahm sein Kind. Als jedoch Schüsse blitzten und Einer unter den Wehrhaften mit gellem Schrei zu Boden stürzte, da nahm die Festmenge Reißaus und verlor sich im Walde. Einer aber, der blasse Wahnfred war’s, stand noch am Wasserfalle, er hatte den blutenden Knaben Erlefried am Arm. Den anderen Arm erhob er mit der Faust gegen den Pfarrherrn, der von seinen Schergen umgeben war, und schrie mit heiserer Stimme: »Pfarrherr, Du hast mein Kind getroffen. Das bleibt Dir blutig aufgeschrieben!«
Nun war in Trawies eine seltsame Zeit. Es war nicht laut und es war nicht still; es war kein Werktag und es war kein Feiertag. Die Männer arbeiteten nicht, sondern schlichen herum von einem Hause zum anderen, oder standen in Gruppen beisammen und redeten in gedämpfter Sprache. Die Kirche war an den Sonntagen fast leer, und die wenigen Andächtigen, die drinnen saßen, mußten es hart entgelten. Die Predigten waren wuchtig, jedes Wort ein Felsblock, das der Prediger auf die Zuhörer niederstürzte. Griff aber nicht an und der Bauer Isidor sagte, es wäre nicht alles Wort Gottes, was gepredigt würde; Mancher brächte dabei auch seine eigene Waare zu Markt, und: Dann lange Predigten wären ihm lange Bratwürste lieber.
Herr Franciscus ahnte es nicht, was während seines Meßopfers ihr Gebet war. Sie flehten zu Gott, daß er diesen Tyrann von ihnen nehme, daß er wieder einen Echten setze nach Trawies, wie sie ihn einst gehabt hatten und wie ihn andere Gemeinden hatten. War ihnen doch zu Muthe, als wäre das unblutige Opfer am Altare ein blutiges geworden, als wäre dieser Pfarrherr der Pharisäer und der Peiniger und der linke Schächer zugleich! Da war ihr lieber Christus in Brotgestalt wohl nicht in guten Händen.
Ein Flüstern und Fragen ging von Mund zu Mund, ob denn der Bescheid noch nicht eingelangt sei? Sie hatten Bittschriften verfaßt und abgesandt an die geistlichen und weltlichen Behörden, man möchte doch diesen Pfarrherrn hinwegnehmen; er fülle andere Stellen besser aus, als die zu Trawies. Er sei nicht gut gesinnt gegen die armen Leute der Waldgegend, er sei ein harter Herr. Und gesetzt auch, daß er sich ändere, er habe es schon zu arg getrieben, als daß die Leute zu ihm je einmal Liebe und Vertrauen fassen könnten. Er sei mit Gewalt auf sie losgegangen. Die Trawieser hätten auch ein Rechtsgefühl und hätten auch eine Faust, und um Gotteswillen, man möge in Gnaden den Pfarrherrn hinwegthun, sonst wolle man für nichts gutstehen.
Diese Schrift, von den meisten Bewohnern der Waldgegend mit Kreuzen unterzeichnet, mit stillem Gebet begleitet, blieb wochenlang dahin. Man erging sich in allerlei Vermuthungen über den zu erwartenden Bescheid, man sah voraus, daß derselbe rauh und herrisch sein, hoffte aber, daß er im Trawieser Pfarramte eine wohlthätige Änderung herbeiführen würde. Einstweilen ließ man die Härten und Rücksichtslosigkeiten des Pfarrherrn mit Geduld gefallen, und der Mann wurde dadurch nur noch starrer und herber, wie es ja Naturen gibt, die nichts so sehr erbittert, als Nachgiebigkeit und Sanftmuth Derer, die sie quälen wollen. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst ließ er anderen entgelten, er zerrüttete dort eine Häuslichkeit, zermalmte hier ein gläubiges Herz, verletzte immer wieder neu die Gemüther durch das rohe Niedertreten der angestammten Sitten.
Endlich im Spätsommer, am Tage des Märtyrers Bartholomäus, wurde durch den Schullehrer bekanntgegeben, die Gemeinde hätte sich am nächsten Tage zu versammeln in der Kirche, wo ein Bevollmächtigter der Behörden Willen und Gebot verkünden werde.
Seit Jahren war das Gotteshaus zu Trawies nicht mehr so überfüllt gewesen, als zu dieser bestimmten Stunde. Der Pfarrherr war nirgends zu sehen. Der Altar ragte finster in der Nische auf, kein Kerzenstrahl erhellte seine Bildsäulen.
»Sogar das ewige Licht hat er erlöschen lassen in der Ampel,« murmelte der Feuerwart. »Das hat schlimmes Bedeuten.«
Der blasse Wahnfred, banger Ahnung voll, that einen tiefen Athemzug.
Nun hörte man in der Sacristei die Thür gehen, welche zur Kanzel führte. Von der Kanzel wird es der Bevollmächtigte verlesen; vielleicht ist es schon der Neue! Aller Augen waren dahin gerichtet, wo einst so trostvoll das Wort Gottes gesprochen worden, wo seither so trotzige Anwürfe, so zornige Flüche ausgestoßen wurden. Nun wird es bald ein Anderes sein.
Und auf dieser Kanzel erschien der Verhaßte.
Eine dumpfe Unruhe dröhnte durch die Kirche. Der Pfarrherr, heute nicht im Chorhemde, sondern in dunklem Kleide, stand er unbeweglich still und starrte minutenlang nieder auf die Versammlung, harten Blickes, als wollte sein Auge Schlangen bändigen.
Dann las er mit einer weichen Stimme, die zu dieser Sache wunderlich stand, Folgendes: »Im Namen der von Gott eingesetzten hohen Obrigkeit! im Namen Seiner Eminenz des Erzbischofs! im Namen des hochwürdigen Consistoriums! im Namen der kaiserlichen Majestät hochlöblichen Guberniums! sei Euch kund und zu wissen gethan: die Beschwerden, die Ihr gegen Euren Pfarrherrn führt, sind nicht begründet. Ihr seid es selbst, die durch Unsinniges Zurückgreifen zu einer heidnischen Lebensweise, durch Auflehnung in Sachen der Zehnte, in Außerachtlassung der schuldigen Ehrerbietigkeit den Unwillen Eures Herrn erregt habt. Euch in diesen Angelegenheiten Recht geben, hieße Euch bestärken in dem, was wir vermeiden und strafen müssen. Die Einheit hat sich der Allgemeinheit, die Gemeinde sich dem Staate zu fügen. Wer sich auflehnt, ist verloren. Wir befehlen Euch unbeschränkten und unverbrüchlichen Gehorsam gegen Euer Oberhaupt. Wir bedrohen Euch bei neuerlicher Außerachtlassung Eurer Unterthanenpflicht mit schwerer Strafe.«
Dann die Namensunterschriften mit den obrigkeitlichen Siegeln, und die Angabe der Residenz und des Datums.
In der Kirche war Aufregung. Unter Murren und Grollen drängten sich die Leute zu den Thüren hinaus. Der Pfarrherr blieb noch stehen, stemmte seine Fäuste auf das Kanzelbrett, und seine Augen rollten den Davoneilenden unheimlich nach. Sein Gesicht hatte eine gelbliche Farbe angenommen, seine Lippen waren zusammengekniffen. Erst als der Letzte von der Gemeinde draußen war, wendete er sich und verließ die Kanzel.
Als er dann über den Anger dem Pfarrhofe zuschritt, wichen die Leute nach allen Seiten vor ihm zurück. Die Greise selbst und die Kinder grüßten ihn unsicher, die Männer versagten ihm jeden Blick und jeden Gruß.
»Wir machen Platz,« sagte Einer aus dem Trasankthale. »Heut’ noch zünde ich meine Hütte an und wandere aus.«
»Meine Ahnen haben dieses Tal urbar gemacht,« sagte der Feuerwart, »meine Ahnen haben Trawies gegründet. Von meiner Heimat laß ich nicht. Wollen sehen, wer festere Wurzeln hat in Trawies, der Angesessene oder der Fremde!«
Das Volk wollte den Kirchplatz nicht verlassen; es wurde immer lauter, es nahte sich immer mehr dem Pfarrhofe. Einer warf einen Stein nach dem Fenster, zertrümmerte es und rief: ob er gutmüthig gehen wolle!
Knechte und Schergen mußten die Leute zerstreuen. Sie streuten sich hier, um sich anderswo wieder zu versammeln. –
Weit hinten im Thale, wo der Mieslingbach in die Trach stürzt, ist in der Felswand eine Höhle, die Rabenkirche genannt. Es geht die Sage, daß an dieser Höhle alle neunzig Jahre einmal in der Christnacht aus der weiten Waldgegend die Raben zusammenkämen, um sich zu erzählen von den todten Menschen, die sie seit der letztvergangenen Zusammenkunft in den Wäldern gefunden hätten. Die Thiere sollen in menschlicher Sprache reden, und ein menschliches Ohr, das sich vor den Schrecknissen, die zu solcher Zeit in der Höhle herrschten, nicht verscheuchen lasse, könne mancherlei erfahren, was sonst für alle Zeit der Welt verborgen bleibe. Mancher wird im Laufe der Zeiten todt auf dem Waldmoose, oder im Gefelse gefunden, ohne daß es offenbar ist, woran er zugrunde gegangen. Die Raben erzählen es laut, und mancher Mord könnte ans Tageslicht kommen, wenn die Leute das neunzigste Jahr und die Stunde nicht übersähen, oder wenn sie den Muth hätten, der Rabenversammlung in der Höhle beizuwohnen. Haben die schwarzen Vögel ihre Berichte abgelegt, dann halten sie Gottesdienst für jene Todten, die von den Mitmenschen ohne Gebet und Gedenken geblieben sind.
Die Männer von Trawies dachten nun wohl nicht an diese wunderliche Sage, aber sie dachten an die Rabenkirche. Und eines Sonntagmorgens war’s, zur Zeit, da die Buchen und Lärchen schon zu gilben begannen und die Vögel nimmer ihre Lieder jauchzten im Walde, als allerlei Leute herangeschritten kamen zur Höhle in der Mieslingschlucht. Sie kamen von Trawies, und sie kamen vom Gestade, und die kamen vom Johannesberg und sie kamen vom Tärn, und sie kamen vom hinteren Trasankthale.
Wer sollte meinen, daß es so viele Männer gebe in diesem Walde!
Als die vom Gestade und vom Tärn und vom Johannesberge an der Kirche vorbeikamen, riefen die Glocken. Sie riefen wie warnend, bittend und flehend! Sie riefen, wie die Henne ruft, wenn sich die Küchlein, unkundig der Gefahr, von ihr wollen wenden.
Aber die Männer schritten finster vorüber. Die Kirche war ihnen fremd geworden; doch die Kirche mußte wieder gerettet werden. Sie hofften, daß jene Tage bald kommen würden, da sie wieder mit Freuden der Glocke Stimme folgen könnten.
Unter den Männern war der Feuerwart und der Jäger vom Trasank, und der Wahnfred und der Waldhüter, und Uli der Köhler, und Roderich der Stromer. Jeder hatte in der Hand einen gewichtigen Stock. denn so wie sie dazumal auf der Wildwiesen getroffen wurden, unvorbereitet, wollten sie sich nicht mehr finden lassen. Dem Roderich voran war der kleine Baumhackel des Weges getrottet. Der hatte die Zwilchjacke auf der rechten Schulter schlenkern und der war der Einzige, welcher keinen Stock trug. Ohne Waffe ist es weit weniger gefährlich. Wird geschossen, so schießt man zuerst auf den Gerüsteten. Klug war’s vom kleinen Baumhackel.
Als der Bursche so dahinschlenderte, halb in der Faulheit und halb in der Sorglosigkeit, fiel aus seiner Jacke ein Papierbüschel zur Erde.
Roderich der Stromer sah es, hob es auf und verhielt sich still. Es ist so etwas, wie ein papierenes Geld im Lande; der Baumhackel war gestern mit einem Lärchenkäufer beisammen gewesen. Wer weiß! Er untersuchte die Papiere und stieß lachend einen Fluch aus. »Der heilige Erasmus! Und überall der heilige Erasmus! Ja freilich,« fuhr der Stromer in seinem Selbstgespräch fort, »dem haben sie die Gedärme aus dem Leibe gewunden, ein Blutzeuge! und itzo brauchen ihn die Trawieser Leut’ als Beichtzeugen. Hätt’s nicht lieber Geld sein können?«
Es war freilich ein Fund zum Ärgern.
In der Pfarre Trawies war es Sitte, daß Jeder, der zur Osterbeichte ging, nach der Absolution vom Beichtvater einen Zettel erhielt, den er später als Beweis, daß er der kirchlichen Satzung gerecht geworden, im Pfarrhofe abzugeben hatte. Auf diesem Zettel war das Bild des Trawieser Pfarrpatrons mit der Unterschrift »Heiliger Bischof Erasmus, bitt’ für uns bei Gott, behüte uns im Leben, steh’ uns bei im Tod!« Darunter: »Osterbeichte des Pfarrkindes« – dann ein leerer Raum, auf welchem der Priester nach der Lossprechung jedesmal den Namen des Beichtkindes schrieb und die Jahreszahl. Kam hernach die Zeit, da Jeder seinen Namenszettel wieder ablieferte so hatte der Seelsorger genaue Übersicht, ob wohl Alle seines Sprengels die österliche Beichte abgelegt hatten.
Wie kam nun der kleine Baumhackel zu den gesammten Beichtzetteln eines ganzen Jahres?
»He Lümpel (kleiner Lump), halt still!« rief Roderich dem Baumhackel nach. Dieser wendete sich um.
»Hast was verloren, kleiner Baumhackel!«
Alsogleich begann der Kleine seine Säcke zu durchsuchen.
»Fehlt Dir nichts?«
»Wüßt’ nichts, wenn Du nicht etwa meine verlorene Seel’ meinst?«
»Das da! gehört’s mir?«
»Wird nicht viel dahinter sein an dem Fund, weil Du ihn aufzeigst,« sagte der Baumhackel. Da sah er schon die Beichtzettel.
»Soll ich die Sach’ richtig noch allweil im Sack gehabt haben?« fragte er sich selber.
»Bürschel,« sagte der Stromer und legte seinen Arm um die Schulter des Baumhackel, »wie kommst denn Du zu so heiligen Sachen?«
»Gestohlen hab ich sie,« war die Antwort.
»Gestohlen! Wenn Du in dem Pfarrhofe einbrichst und nichts Besseres findest als wie Heiligenbilder, dann bist Du ein Tropf.«
»Ei ei, mein lieber Roderich, für gewöhnlich verlege ich mich nicht aufs Stehlen. Wenn ich’s doch einmal probier’, so hat’s seine eigene Ursach’. Wenn du stiehlst, so gehst beichten, das gehört sich. Wenn Du einmal nicht beichten gehst, so mußt stehlen.«
»Willst Du etwan stänkern?« begehrte der Roderich auf, »an mir thätest Dich grob irren!«
Fast erschrocken über den plötzlichen Zorn des Stromers stotterte der kleine Baumhackel: »Ich will Dich ja nicht kränken. Weil Du mich gefragt hast, wie ich zu den heiligen Sachen komme, so habe ich es Dir nur sagen wollen, warum ich sie gestohlen hab’. Ich bin zu den vorigen Ostern nicht bei der Beicht gewesen.«
»Du Unchrist!«
»Weil ich was weiß, was der Pfarrherr nicht wissen darf, und was ich ihm hätt’ sagen müssen, wollt’ ich mir bei der Speisung nicht das Gericht hineingegessen haben. Gelt, daß ich doch wieder ein Christ bin! Wie aber die österliche Zeit vorüber ist, da komme ich ins Simulieren, was mir geschehen wird, wenn’s aufkommt, daß ich schwarz durchgerutscht bin. Und aufkommen muß es, mein Beichtzettel wird fehlen. Da ist mir fürchtig worden, und an dem Tag, wie die Leut’ mit ihren Zetteln in den Pfarrhof kommen sind, schleich’ ich mich zur Abenddämmer ins Haus. Mit der Stubendirn bin ich zusammengespielt, ihretwegen geht eben die Heimlichkeit her; sie ertappt den ganzen Buschen der Beichtzettel und steckt ihn mir zu. Jetzt soll er’s nur beweisen, daß mein Zettel fehlt, jetzt fehlen ihm alle. Wenn Du Eins brauchst, Stromer, ich verkauf’ auch davon.«
»Ich richt’ mir’s schon selber ein,« antwortete Roderich, »ein Jahr, wo ich nicht gar zu arg aufgeladen habe, beicht ich zweimal und verspar’ mir das zweit’ Zettel auf ein ander Jahr, wo man nicht gern schwazt. Die Zahl laßt sich verkratzen.«
»Ist auch nicht schlecht.« –
Da sie sich an der Mießling allmählich versammelt hatten, machte das jüngere Volk viel Lärm. Es ist ja überall ein Volksfest, wo die übermüthigen Burschen zusammenkommen; sind schon die Mädchen nicht da zum Schäkern und Tanzen, so giebt’s deswegen noch keine Langweil. Klettern, Ringeln, Fingerziehen und allerlei lustiges Gespiel wird getrieben, und es mag die Zeit noch so ernsthaft sein. Die Ältesten von Trawies, und auch andere der Selbstständigen und Wortgewichtigen sonderten sich allmählich von der lustigen Gesellschaft und zogen sich in die Höhle zurück. Während draußen da Volk in fröhlichem Jagen Holz zusammentrug und Feuer machte, daß der blaue Rauch frisch ins Getanne aufwirbelte, während sie Forellen fingen aus der Miesling und aus der Trach und dieselben ausweideten und brieten, während sie jodelten und sangen und sich ergötzten an tollen Possen in kindlicher Lust, legten drinnen in der düsteren Felsenkluft die betagten Männer bedachtsam den verhängnisvollen Samen in die Erde für eine schreckensreiche Zukunft.
Gallo Weißbucher, der Feuerwart, hatte das Wort ergriffen und so gesprochen:
»Männer von Trawies! Ihr wißt, weshalb wir uns hier versammelt haben.«
»Wir wissen es,« murmelten die Männer.
»Auch wir haben sonst mit eingestimmt in das lustige Treiben der Jugend; denn in Trawies hat Jeder lang gelebt und Keiner ist alt geworden. Das hat umgeschlagen. Seit vielen Tagen sehe ich auf Euren Gesichtern keine Freude und keine Heiterkeit mehr. Auch mir ist das Lachen vergangen. Trawies war frei und jetzt ist es geknechtet. Und das nicht etwa durch geänderte Gesetze. Unsere geistliche und weltliche Regierung ist dieselbe geblieben – die war immer starr und hat sich nie gekümmert um unser Leben im Walde. Wir haben ihr unsere Pflicht erwiesen und sind des Weiteren unsere Herren gewesen. Und wie steht es jetzt? Unser Verderben ist ein einziger Mann, ich nenne ihn nicht, Ihr kennt ihn Alle! Möchte er uns so kennen, wie wir ihn! Er kam, ein Fremder, und wir haben seither keinen Kaiser mehr. Er ist Fürst, aber nicht fürstlich, er zehrt von unserem Mark. Drum sei’s! Von unserem Mark hat noch Jeder gezehrt. Aber dieser greift uns mit roher Faust ans Herz. Unser angestammtes Recht will er zertreten. Und ist’s nicht wahr, daß er unsere Häuser plündert?«
»Es ist wohl wahr!«
»Ist es nicht wahr, daß er uns von der Sache unserer Vorfahren trennen will, so wie man einen Stamm von seiner Wurzel reißt, um ihn hinzuschleudern, daß er vermodere? Habt Ihr die Büttel nicht gesehen, die er hält, Fanghunde, die uns zerfleischen sollen? Habt ihr das Pulver nicht gehört knallen oben auf den Wildwiesen?«
»Wir haben es gehört!«
»Das Blei ist in unser Fleisch gefahren. Ein schuldloses Kind ist getroffen worden, Jedem von uns wird heute und immerdar diese Kugel im Herzen stecken.«
Der blasse Wahnfred knirschte die Zähne zusammen, er dachte an das frische Blut, das von den Gliedern seines Söhnchens niedergerieselt war; er dachte an die Schmerzensnächte, die er mit Erlefried durchwacht hatte, bis die Gefahr endlich beseitigt und der Arm heil geworden.
»Ist das ein guter Hirt, der die Wölfe auf seine Herde hetzt?« fuhr der Feuerwart fort.
»Verflucht! Verflucht!« erscholl es in der Höhle.
»Bekämpft den Zorn, Ihr Männer von Trawies! Mit Vernunft und Überlegung müssen wir heute berathen, was zu thun sei, um uns zu schützen gegen den Feind. Will einer Wort haben?«
Es schwieg ein Jeder.
»Unsere Bitten an die Behörden sind, wie Ihr wißt, fruchtlos geblieben. Noch zu Trotz und Schmach hat man den Bescheid durch ihn uns zugeschleudert! Nun ist er frecher als je, und wir sind hilflos, wenn wir uns nicht selber helfen. Was ist Eure Meinung?«
»Er muß fort!« riefen mehrere Stimmen.
»Dann bin ich mit Euch einig, Männer. Über alles zwar hasse ich die Gewalt. Aber die eben ist es, die uns empört hat, die wir vertreiben müssen. Die hohen Herren haben uns sagen lassen, die Einheit soll sich der Allgemeinheit fügen. Wir wissen das lange und fügen uns dem Reich. Ich füge mich der Gemeinde, und wenn ich es nicht thue, so sollt Ihr mich zertreten. Es ist ewiges Gesetz, daß ein Einzelnes ausgeschieden wird, wenn es nicht zum Gedeihen des Ganzen ist.«
»So muß er fort!«
»Er wird wiederkommen und eine verstärkte Rotte gegen uns mit sich führen,« sagten Andere.
»Kommt er wieder, so soll er eine Brandstatt finden, dort wo der Pfarrhof gestanden ist.«
»Ihr werdet den Pfarrhof im Frohndienst wieder aufbauen. Ein Feind geht fort, mit Hunderten kommt er zurück.«
»Was also, was?«
»Macht ihn todt!«
Eine schwere Stille. Wer hatte das Wort ausgesprochen? Aus dem finsteren Hintergrunde war es plötzlich wie eine Eule aufgeflattert, dieses Wort. Nun war es still. Selbst draußen hatte sich das Lärmen verzogen. Über den Wipfeln wehte ein Lüftchen und welke Blätter der Buchen flogen vorüber an dem Eingang der Höhle.
Der Feuerwart fragte nun in einem Tone, der umflort war: »Hat Einer Wort dagegen?«
Keiner.
Die Männer rückten näher zusammen und noch tiefer dem Hintergrunde zu. Einige flüsterten hastig; man sah nicht, wie tief ihre Wangen glühten. Andere schwiegen und preßten die Lippen zusammen; man sah nicht, wie blaß sie waren. Allmählich wurden die Worte der Sprechenden lauter und leidenschaftlicher – die Meinungen entzweiten sich. Dem Feuerwart gelang es wieder zu schlichten, und die Berathung nahm ihren Lauf. Es soll von draußen Keiner in die Höhle! Es soll von innen Keiner hinaus. Die Glieder des Rathes hoben ihre Arme empor, schwer wollte es gelingen, aus der trotzigen Faust drei Finger loszulösen, sie auszustrecken zum Schwure. Wen es trifft, der muß es thun, ohne Einwand und Zögern. So wahr es des großen Gottes freigeborenes Kind ist!
»Trifft es mich, ich thue es ohne Einwand und ohne Zögern, so wahr ich des großen Gottes freigeborenes Kind bin!«
So schwur ein Jeder. –
Nun trat ein schlanker, hagerer Mann, der Bart vom Tärn genannt, aus der Höhle und richtete seine Augen auf den Boden, als ob er etwas suche. Manches Steinchen hob er auf und warf es wieder weg; manches Blatt pflückte er am Hage, und ließ es fallen; manches Zeiglein faßte er an, und schnellte es wieder aus der Hand, daß es eine Weile wiegte und schwankte an seinem Ast.
»Was willst Du?« fragte Roderich der Stromer, der abseits von der fröhlichen Gesellschaft stand und das Herumspähen des Bart bemerkte,
»Ich brauche so Sachen da,« sagte der Bart, ohne den Stromer anzusehen, »Steinlein oder Blätter, an die vierzig Stücke, Aber gleich sollen sie sein an Größe und Form.«
»So!« antwortete der Stromer, »schau, vielleicht kannst Du das brauchen.« Er hielt ihm das Päckchen der Beichtzettel vor, welches er früher hinter dem Rücken des kleinen Baumhackel aufgelesen hatte.
Der Bart sah die Zettel an, er fragte nicht erst, wie kommst Du dazu? Er sagte nur: »Das thut’s!«
»Wozu brauchst sie?« fragte der Stromer.
»Zum Feuermachen,« versetzte der Bart, »bleib’ Du heraußen.« Und ging in die Höhle hinein.
Dort wurden die Zettelchen gemustert. Vierzig Männer waren anwesend, vierzig Männer hatten geschworen; vierzig Stücke von den Beichtzetteln der Pfarrkinder wurden ausgewählt, und zwar jene mit den Namen der vierzig Männer.
»Das ist Schickung!« sagte einer der Ältesten und wies auf das Bild, »Sanct Erasmus, unser himmlischer Schutzherr, ist mit uns!«
»Amen!« murmelte der Feuerwart und streute die Blättchen in eine Felsenspalte hinab. Dann nahm er den Stock und rührte sie da unten durcheinander. Hierauf wendete er sich zu den Übrigen und sagte: »In dieser Felsenurne ruht nun das Geschick von Trawies und unsere Zukunft. Bald wird der Bote emporsteigen und Einen von uns auffordern zu seiner That. Unser Aller ist das Werk, aber sein ist das Vollbringen. Alle werden mit ihm sein und hilfreich zur That. Und ist sie vollbracht, so werden Alle für ihn stehen und ihn schützen und ehren als den Befreier. Nun streiche ich etwas Harz an meines Stockes Ende. Das Blatt, welches d’ran kleben wird, sei Gottes Stimme. Sollten es mehrere Blätter sein, so hatten zwischen denselben neuerdings das Los zu entscheiden. Hier ist der Stock. Wer will ihn nehmen und in die Urne senken?«
Sie weichen zurück. Sie ahnen, daß jeder Handgriff hier, so lange der ungebundene Wille noch gilt, das Verbrechen ist.
Der Bart vom Tärn nahm endlich den Stab zur Hand und senkte ihn in die Spalte des Felsens.
Die Augen aller Anderen waren starr geheftet auf die Umrisse der schlanken Gestalt, die in der tiefen Dämmerung stand. Nun hob sie den Arm, am Stocke klebte das weiße Blättchen. Er hält es lange unbeweglich, Keiner will es anfassen, da löst es sich los und flattert wieder in die Tiefe. Hoch in der Höhle Wölbung war ein Geräusch, als wäre eine Eule oder ein Rabe geflogen. Mancher dachte bei sich: Vielleicht war dieser Zettel der meine gewesen, und mein guter Engel hat ihn mit einem Flügelschlag zurück in den Abgrund geweht. Manchem kam das grauen und er wollte die Höhle verlassen. Der Feuerwart vertrat den Ausgang und erinnerte ernst an den Eid.
Noch einmal tauchte der Bart den Stab in den Felsenspalt, hob mit ihm ein Blatt.
Auf dem Sande lag das Papier; der Heilige war leicht zu sehen. Der Jäger vom Trasank bückte sich und las: »Heiliger Bischof Erasmus, bitt’ für uns bei Gott, behüte uns im Leben, steh’ uns bei im Tod! Osterbeichte des Pfarrkindes: –« Aber der geschriebene Name war in der Dunkelheit schwer zu lesen. Uli der Köhler schlug Feuer und bei solcher Gluth lasen sie die vom Pfarrherrn eigenhändig geschriebenen Worte: »Wahnfred im Gestade.«
Wahnfred stand dort an der feuchten Wand und regte sich nicht. Er war noch blasser als sonst. Seinen Namen hatte er gehört. Die Schleier seiner Träume, in die sich der stille Schwärmer so gern gehüllt hatte, waren gesunken; er sah vor sich einen blutigen Lebensweg.
Am Gestade, wo das Tal der Trach sich weitet und von einem sanfter aufsteigenden Berggrund umschlossen eine Au bildet, auf welcher Wiesen und kleine Äcker liegen, auf welcher zwischen uralten, reisiglosen Tannen und jungen Buchen und Erlen graue Sandheiden sind, und durch welche dir Trach in breitem bette still dahinrieselt – auf einer freien Anhöhe, an den Berg gelehnt, steht das Haus genannt »An Gestade«. Es ist das malerischte in der ganzen Gegend, es ist aus Holz gebaut und blickt mit seinen großen, hellen Fenstern offen in das Tal hinaus, während die anderen Menschenwohnungen hier mißtrauisch ihre Luglöcher verwahren und verschließen und halb versteckt hingekauert liegen im Gebüsche.
Das Haus am Gestade steht frei und hat einen hohen Dachgiebel, und hat auf diesem Giebel sogar noch ein Thürmchen. Trawies ist zu weit hinten im Thale, man hört daraus keine Glocke klingen. »Darum ist hier aufgestellt ein metallener Mund, der da tönet zum Preise des Herrn, als wie Harfenspiel in Zion.« Im Vorgemach des Hauses war zur Zeit eine Zimmer- und Schreinerwerkstatt eingerichtet, deren Fußboden nicht immer mit Hobelspänen bedeckt gewesen.
Der Fremde, welcher in das Innere des Hauses trat, sah sich wohl zweimal um, bis er dann fragte, ob er wirklich beim Schreiner Wahnfred sei. Da d’rin sah es aus, wie in der Wohnung eines Landpfarrers. Alles blank und rein gescheuert und schneeweiße Vorhänge an den hellen Fensterscheiben. An den Wänden Heiligenbilder, auf den leisten Bücher mit allerlei geschriebenen und gedruckten Inlagen. Am Thürpfosten war ein Becken aus Thon mit klarem Wasser gefüllt, und darüber an der Holzwand stand geschrieben: »Ich bin das Alpha und Omega. Wen dürstet, dem will ich von dem Quell des Lebenswassers zu trinken geben.«
Wenn der Herr des Hauses hinausging in den Wald oder zu fremden Menschen, so tauchte er stets den Finger in das Becken und besprengte mit Wasser seine Stirne und besprengte das Haus. Als ihn einst ein Fremdling fragte, ob das Wasser denn wohl die Kraft habe, ihn und das Haus zu segnen, antwortete Wahnfred: »Das Wasser thut es nicht, aber die gute Meinung thut es. Unser Denken und unser Wollen ist die Kraft, womit Gott Sabaoth die Welt regiert; weil das Denken und das Wollen im Anfange keine gestalt hat, so müssen wir ihm eine Gestalt geben, die vor uns steht, denn das Auge muß es sehen und das Ohr muß es hören, was das Herz glauben soll.«
Ist das ein Handwerker? Muß der Mann nicht in einer Klosterschule oder von einem Denker in der Zelle erzogen worden sein? – Wahnfred ist in diesem Hause geboren worden und noch nie weiter über das Heideland hinausgekommen, als bishin, wo die fünf Kiefern stehen. Er hatte in der kleinen Schule von Trawies das lesen und das Schreiben gelernt; der alte Priester mit dem weißen Haar auf dem vorgeneigten Haupte und dem elfenbeinernen Kreuze auf der Brust, der dazumal Herr zu Trawies gewesen, hatte ihm Unterricht gegeben in manchen Dingen der Welt, besonders aber in den heiligen Schriften und den göttlichen Offenbarungen. Wie der Greis lehrend zur Erde schaute, so blickte der Knabe vernehmend und verlangend zur Höhe auf. Und wo die Wolken auseinandergingen und andere Augen nur das Blaue sahen, erblickte er die Himmel, und die Ewigen der Himmel, und all jene Zauber und Entzücken der Himmel, welche ein schwärmerisches Menschengemüth mit einem Glücke erfüllen, desgleichen die Erde nimmer geben kann.
Der alte Priester wollte den Knaben in eine geistliche Lehranstalt bringen; da starb er, und das war der Wegzeiger in Wahnfred’s Leben. Seiner Anlage nach wäre er ein Gottesgelehrter, vielleicht ein Kirchenfürst und jedenfalls so viele Jahre nach seinem Tode heilig gesprochen worden. Aber wie anders der Weg und wie ganz anders das Ziel! – – Wahnfred blieb im Hause seiner Väter und lernte das Handwerk seiner Väter.
Alltäglich aber, wenn die Weiden das Baches und die Wolken der Höhen in der Abendsonne schimmerten, ließ der junge Schreiner Axt und Hobel ruhen und atzte sich an den heiligen Schriften. Hierauf kam eine Zeit, da er die Verse der Bibel nicht mehr so auslegte, wie sie der priesterliche Greis ausgelegt hatte, sondern anders. Heiß wurde ihm bei den Worten der Apokalypse: »Da sah ich ein Weib auf einem scharlachrothen Thiere sitzen. Sie hielt in ihrer Hand einen scharlachrothen Becher. Auf ihrer Stirn stand geschrieben der Name: Geheimniß. Und ich sah das Weib trunken vom Blute der Heiligen. Und vom Lustwein haben alle Völker getrunken.« – Dann las er, wie Laban um Rachel freite. Und eines Tages, da sah er Eine im hintersten Thale des Trasank, die schöner war, als er sich die Rachel hätte denken können. Zur selben Zeit saß er in den Sommernächten vor der Thüre seines Hauses und blickte hinab auf die Buchen und Weiden im stillen Mondenglanze und hörte das Rauschen der Trach. Er dachte nicht an den Wald und an das Rauschen der Trach. Die Bäume zogen an ihm vorüber mit ihren hohen Häuptern, die Steine stießen an seinen Fuß. Berge bauten sich auf vor seiner Brust, und steglose Wasser ergossen sich auf seinen Pfaden. Und da er sich endlich wieder fand, da saß er nicht mehr vor der Thüre seines Hauses am Gestade, da kniete er im hintersten Thale des Trasank vor dem Fenster einer Hütte und horchte den weichen Athemzügen einer Schlummernden. Er horchte so lange, bis der Morgenstern emporstieg über den weiten Wäldern des Ritscher, dann erhob er sich von seinen Knien und ging heim zum Gestade und frisch aus seinem Hobel flogen die Späne. – Und einst, am Tage der Sonnenwende war es, als das Mädchen früh Morgens auf dem Gottesacker stand und über die Gräber rief:
»Meine Mutter, ich wecke Dich! Mein Vater, ich wecke Dich! Mein Bruder und Schwester, ich wecke Dich! Die heilige Sonnenwend’ ist da!« hörte es Wahnfred und sagte zum Mädchen: »Deine lieben Leut’, hast sie schon Alle da unten?«
Sie neigte das Haupt.
»Bist ganz allein auf Erden?«
Sie neigte das Haupt.
Er floh von ihr.
Und in einer der nächsten Nächte kniete er wieder an ihrem Fenster und horchte der weichen Athemzüge drinnen. Schwer und schwül war die Luft. Über dem Trasank war zur selben Stunde ein Gewitter aufgestiegen, ein Blitz leuchtete hin und Wahnfred sah bei diesem Scheine das Weib in seiner unbegrenzten Schönheit.
In jenem Augenblicke waren seine Himmel zusammengestürzt. Er floh durch Sturm und Wetter seinem Hause zu, und die Donner schienen zu grollen über den Blick seines Auges in das Allerheiligste des irdischen Glückes, dem ja doch die Wolken selbst ihr Licht geliehen hatten.
Für alle Zeiten hatte der Blitz die Lichtgestalt fixiert auf dem dämmernden Grunde seines Herzens. Am Morgen des Gottesleichnamsfestes, da die Jungfrau ihre weißen Arme hinter das Haupt hob, um für die Kirche den grünen Zweig zu flechten in ihr Haar, das da schimmerte wie das Kornfeld, wenn es reif ist – stürzte Wahnfred lodernden Auges in ihre Kammer und rief: »Küsse mich mit den Küssen Deines Mundes, denn köstlicher ist Deine Labe als Wein!«
»Was willst Du, Wahnfred?« lispelte sie und war gar sehr erschrocken über den blassen Jüngling, aus dessen nächtigen Zügen Blitze zuckten.
»Wenn Du es nicht weißt, o Du schönstes der Mädchen!« rief er, sein Knie sank auf den Boden hin und seine Hände streckten sich aus, sie zu umarmen. »Wie schön, o Holde, bist Du! Ein Myrtenstrauß mir, der an meinem Busen ruhet!«
Das war seine Werbung gewesen. An seinem Arm hatte er sie heimgeführt ins Haus am Gestade. Sie war seine Hausfrau, die sorgende und liebende. Sie hörte gern zu, wenn er ihr vorlas aus dem Schwanengesange des weisen Königs, aber sie erwiderte seine Worte nicht. Sie war ein stiller See, der immer klar ist; sie war ein häusliches Weib, das dem Schwärmer praktischen Sinnes die Wirthschaft aufrecht hielt, sonst wußte die Nachbarschaft nichts von ihr. Im ersten Jahre erstickte sie der Mann fast mit seiner Liebesglut. Sie trug ihr Glück still mit friedensvollen Herzen. Im zweiten Jahre hing sein Auge oft fragend an ihrem Lippen. Sie sah ihn mit mildem Lächeln an und hatte kein Geheimniß. Im dritten Jahre wendete er sich wieder den heiligen Schriften zu und suchte die Pforten des Himmels noch einmal zu öffnen, aus denen voreinst entzückende Seelenlust auf ihn niedergeflossen war. Sein Weib schwieg und trug still an ihrem Schmerze, sie arbeitete und sie diente ihrem Gatten, und sie starrte zuweilen gar betrübt in die Flammen des Herdes hinein, die von den Hobelspänen genährt waren.
Endlich im vierten Jahr, am Vorabende der Pfingsten, da sie ruhend saßen am Wasser unter dem Frieden der Erlen, sagte das Weib zum Manne: »Wenn Gott es waltet, mein lieber Mann, so werden wir, bis der heilige Christ kommt, ein Kind haben.«
Gott hat es gewaltet. Die Freuden desselben Sommers, die Reize desselben Herbstes waren für Wahnfred nicht da. So heftig wie niemals nach dem Frühling, sehnte er sich dem Winter entgegen. Als die Schneeflocken niedertanzten, schauerte er vor innerer Lust; als die Kruste des Eises sich zog über die Trach, da sagte er zum Weibe: »Die Wasser rinnen stille. Er ist nah’!«
Und drei Tage vor dem heiligen Christ war Erlefried erschienen.
Wir sind dem Knaben schon begegnet. Er führte das Mädchen des Feuerwart hinauf zu den Wildwiesen. Oben traf ihn der Schuß eines Schergen.
Wahnfred hatte damals den blutenden Knaben nach Hause gebracht, unterwegs hatte er alle Flüche des alten Testaments, heißgekocht in seinem Herzblute, ausgestoßen. Das Weib hatte nächtelang kein Auge geschlossen, aber dieses Auge hatte nicht geweint, es hatte nur gesorgt, gewacht über dem kranken Kinde. Ihr Mund hatte keinen Fluch der Vergangenheit zurückgeworfen, er hatte nur Gebet für die Zukunft, für die Genesung des Kindes.
Und es genas. Die jungen Wangen wurden wieder roth, der helle Geist in ihm wieder lebhaft. Aber nie hatte er vom Schusse auf der Wildwiesen mehr gesprochen. Und Wahnfred auch nicht, dem jedoch war es zum Trost, daß die Wunde am Arme eine Narbe zurückgelassen hatte – diese Narbe ist der unauslöschliche Schuldbrief, mit welchem Erlefried einst, wenn er Mann geworden, einfordern wird.
Da war jener Tag gekommen, an welchem Wahnfred, der Schreiner vom Gestade, mit Schaudern erfahren mußte, daß die Sühne nicht warten wollte auf die Thatkraft des Sohnes, daß sie noch vom Vater geübt werden sollte. Dieser Mann, der den Fluch gethan, soll den Fluch nun selbst erfüllen. –
So saß er an einem Spätherbstmorgen vor der Thür seines Hauses und brütete.
Im Thale lag der Reif, und die Ahorne und die Buchen regen ihre blattlosen Äste und Zweige in die kalte Luft hinein. Durch den blauenden Nebel schimmerte in der aufgehenden Sonne die Trach wie eine ungeheure Silbernatter. Das war ein anderes Herbsten, als jenes, da das Kind erwartet wurde zum heiligen Christ.
Wahnfred starrte ins Weite, Kalte, Leblose, als wollte er lesen in der ersterbenden Natur, wie man Sterbenmachen lerne. »Wer Blut vergießt, dessen Blut soll auch vergossen werden!« so stand es in der Schrift. Wohl, so ist das Gesetz und so heißen wir es gut. Aber wehe dem, der aufgerufen wird zu richten! Nöthig ist der Freimann, aber ehrlos ist er doch! – Der Mann, der seiner Tage lang nichts Hartes geplant, der in den Worten der heiligen Väter – die ihm wie Musik und Zionsglockenklingen waren – den Ewigen suchte: ihn hat der Zorn des Himmels zum Richtschwert erwählt.
Wohlan, wohlan! So dachte Wahnfred: Heilig ist der Cherub, der mit der Flamme des blinkenden Schwertes den Missethäter austrieb und an der Pforte steht, zu hüten den Baum des Lebens. Auch Trawies, die stille, die liebe Heimat im Schatten des Waldes, ist ein Eden, das gehütet werden muß vor dem Verderber. Auch die Sitten der Väter sind ein Baum des Lebens, an dessen Zweigen gute Thaten reifen, unter dessen Schatten ein freies zufriedenes Geschlecht reigt.
Jener, der gestellt war, um den Baum zu schützen, hat seinen Arm freventlich ausgestreckt nach seiner Krone. Er muß dahin. Am Tage, da das Fest der Seelen begangen wird, das Gedächtnißfest für Diejenigen, die vor uns waren – soll der Zwingherr uns nimmer bedrohen. Auch an seinem Grabe wird ja eine Lampe brennen. Böse Menschen segnet man, wenn sie nicht mehr sind.
So war sein Sinnen. Die Sonne schien noch trüb durch den frostigen Morgennebel; sein Auge war nun an sie gebannt, als sauge er an ihrer rothen Gluth Rath und Kraft für sein Beginnen.
»Du sollst nicht tödten!« Erklang jetzt im Hause eine Stimme. Wahnfred fuhr empor; da kam der kleine Erlefried zur Thür heraus, blickte den Vater bittend an und sagte wieder: »Hilf mir! Du sollst nicht tödten!«
»Tödten? Wer kann das sagen?« sprach Wahnfred barsch. »Was geht’s Dich an? Willst Du mich meineidig machen?«
Der Knabe blickte befremdet in seines Vaters Gesicht. Dann schmiegte er sich an seine Knie und fragte leise: »Bist Du böse? So will ich’s wohl allein lernen,«
»Kind!« Er legte seine Hand auf des Knaben Lockenhaupt. »Sage mir, was willst Du allein lernen?«
»Der Pfarrherr hat uns in der Schule das fünfte Gebot aufgetragen, und wer es morgen nicht sagen kann, der muß aufs Scheit.«
»Dich, Dich schon will das fünfte Gebot aufs Scheit bringen? Alberner Junge. Gieb her das Buch, ich will Dir helfen.«
Und er las: »Durch das fünfte Gebot wird verboten, sich selbst oder einen Anderen zu tödten. Denn so spricht der Herr: Das Blut Eurer Seelen will ich von der Hand des Menschen fordern. Von der Hand des Mannes und seines Bruders will ich die Menschenseele fordern. Ich sage Euch, wer seinem Bruder zürnt, der sei des Gerichtes schuldig!«
Erlefried sagte dem Vater die Worte nach und meißelte mit einem Taschenmesser an einem Holzstäbchen. Er schien an die Worte, die er nachsagte, kaum zu denken, ihn beschäftigte das Stäbchen.
»Du bist zerstreut, Kind,« verwies Wahnfred, »was machst Du da?«
»Ein Schwert,« war die Antwort des Knaben ...
Wahnfred hatte laut, aber bitter aufgelacht, als er in seinem Kinde sah, wie man im Schmieden des Schwertes das Gebot sich einprägt: Du sollst nicht tödten! Das ist die Menschheit, so hat sie es immer getrieben, so wird sie es immer treiben. Die Hand frevelt und der Mund richtet. Oder ist es umgekehrt? Frevelt der Mund? Richtet die Hand? – Das scheint besser zu stimmen.
Vom Pfarrherrn kam eine Aufforderung, daß die Leute den Herbstzehent an Korn, Schmalz, Fleisch, Wolle und Flachs in den Pfarrhof bringen sollten. Der Wahnfred hatte ein Schwein geschlachtet und sendete dem Herrn ein schönes Stück des geräucherten Fleisches. Das wäre ein Weg, ihm den Tod ins Haus zu schicken – so war es durch sein Gehirn gefahren wie ein Blitz; – aber nicht wie jener entzückende Strahl, der ihm einst das Leben gezeigt hatte. Wahnfred schleuderte den wilden Gedanken rasch von sich.
Zur selben Zeit war in den Wäldern des Tärn eine Hirschjagd. Die Bauern von Trawies waren als »Treiber« aufgeboten. Etliche von ihnen erhielten Schießgewehre in die Hand; wo ein Wolf oder gar ein Bär sich zeigte, da durfte er von einem Treiber niedergeschossen werden. Auch Wahnfred vom Gestade wurde mitgerufen und erhielt ein Feuerschloß. Etliche Herren aus Oberkloster waren da, denen zur Seite stets der Herr Franciscus ging. Die Leute waren höchst verwundert, als sie sahen, wie freundlich und artig ihr Pfarrherr sein konnte – wie eine Taube, so geschmeidig. »Wenn er seinen Pfarrkindern daheim nur halb so gütig wäre, wir wollten ihn anbeten,« sagte einer der Treiber.
»Der ist ja viel zu demüthig, als daß er sich anbeten ließe,« spottete ein Anderer. »Der will nichts von seinen lieben Pfarrkindern, als einmal tüchtig Prügel.«
Der so sprach, er wußte nichts von der Verschwörung in der Rabenkirche.
Um so lebhafter dachte Wahnfred daran, als er im Dickicht lauerte und durch das Gezweige sah, wie dort am Lärchenbaum kaum zwanzig Schritte von ihm der Pfarrherr stand. Er war jetzt allein und wartete mit gespanntem Hahn auf den Rudel von Hirschen, der jenseits des Grabens aufgestöbert worden war. Der Lärm der Treiber und der Hunde hallte halb verloren durch den Wald. Wahnfred sah, wie Herr Franciscus vor Begier bebte, und im Auge des Jägers war wieder dasselbe Feuer, wie dazumal auf der Wildwiesen, als er in das Sonnenwendfest hatte hineinschießen lassen.
Auch dem Wahnfred – er hatte in seinem Leben schon manchen guten Schuß gethan – zuckten die Finger am Feuerschloß. Wenn jetzt die Hirschen kommen, dachte er, so darf ich nicht losbrennen. Auf Edelwild nicht – nur auf Raubthiere. Auf Raubthiere doch? Das hat er selbst erlaubt. Ei, was dort für ein schöner großer Wolf steht? Er ist aber auch ein Fuchs und hat sich in Schafspelz gehüllt und ist ein Schafhirt geworden. Und führt die Schäflein in den Wald und will sie zerreißen. Wart’, Unthier, ich schieß dich nieder. Herr Franciscus ... Dabei fuhr Wahnfred mit dem Schafte seines Gewehres schon an die Wange – was hast uns so oft, wenn der Zehent nicht reichlich hat wollen einlaufen, so tapfer gepredigt vom jüngsten Gericht! In einem Vaterunserlang stehst selber davor. Es wäre mir nicht unlieb, wenn Du das Vaterunser wolltest beten; ich habs wohl übernommen, daß ich Dich aus der Welt schicke, aber in die unterste Höllen hinab – und du fährst schnurgerade in die unterste – das ist mir schier zu scharf. Die Ewigkeit nachher, die dauert höllisch lang. Als wie ich das Blut von meinem Knaben hab’ gesehen, da hätte ich leicht alle neunundneunzigtausend Teufel auf Dich losgelassen, da wär’s mir schon eine helle Freud’ gewesen, wenn sie Dich vor meiner in Fetzen zerzaust hätten. Aber in alle Ewigkeit brennen und braten – das ... Kerl, Du erbarmst mir doch. Ich will Dich schon einmal erwischen, wenn es Deiner Seelen gelegensamer ist ...
Es knallte der Schuß – des Pfarrherrn. Ein Sechzehnender stürzte nieder – zuerst mit den Vorderfüßen auf die Knie, dann mit dem ganzen Körper auf die Erde, daß der Boden dröhnte.
Wahnfred’s Gewehr blieb unentladen. Auf dem Rückzuge, da die Bauern auf Reisigtragen die reiche Beute schleppten, als das Waldhorn erscholl und der Jäger fröhlich Lachen, that der Bart vom Tärn, der neben dem Schreiner schritt, in des Letzteren Angesicht einen fragenden Blick.
Der Wahnfred antwortete mit einem Nicken: »Laß Zeit!« –
An einem der nächsten Tage brachte Erlefried von der Schule die Nachricht nach Hause, der Herr habe über das fünfte Gebot noch nicht ausfragen können, er liege krank im Bette. Er habe es von einem Kranken mit heimgebracht; im Trasankthale herrsche das Nervenfieber.
Das machte den Wahnfred nachdenklich. Wenn der harte Herr als Opfer seines Berufes fällt, dann bin ich ja frei, und wir sind es Alle. Aber, ist unser Haß gerecht gegen einen Mann, der in der Erfüllung seiner Pflicht zugrunde geht? Nimmermehr, Wahnfred!
Über kurz ging die Kunde – die Leute erzählten es sich mit freudigem Schauer – im Pfarrhofe wäre die Seuche ausgebrochen. Die Magd sei schon gestorben, die Haushälterin sei geflohen – der Herr liege schwer darnieder.
Die Hand des rächenden Gottes. Mein ist die Rache! spricht der ewige Herr. Doch – so dachte Wahnfred – wenn die Magd gestorben ist und die Haushälterin geflohen, wer wird in der letzten Stunde bei ihm sein. Er ist doch ein armer Mensch, Sterben ist kein Kinderspiel. Wer wird ihm die Augen zudrücken?
Da ging er des Weges gegen Trawies. Als er an dem Hause des Baumhackel vorbeiging, schrie ihm der Baumhackel zu: »Gehst ins Wirtshaus, Wahnfred?«
Er gab keine Antwort.
»Der geht zur Kofelarztin,« sagte die alte Base des Baumhackel. »Er schaut aus so blaß, wie ein Herrgott aus Lehm. Der Wahnfred steckt in keiner guten Haut.«
Sie wußten nichts von dem Amte, das er in der Rabenkirche überkommen hatte.
Auf der Brücke, wo der Johannesbach in die Trach fließt, begegnete dem Schreiner vom Gestade der Firnerhans. Das war Einer von den Ältesten.
»Wohin so eilig?« fragte er.
Der Wahnfred schritt nahe zu ihm und murmelte: »In den Pfarrhof. Dem Herrn die Augen zudrücken.«
Sie schüttelten sich die Hand und Jeder ging seines Weges.
»Der ist gescheit!« sagte der Firnerhans zu sich, »der nimmt seinen Vortheil wahr. Der Tod ist im Pfarrhofe schon eingekehrt. Jetzt geht der Wahnfred hin und sperrt ihn ein, bis da drin der letzte Knochen abgenagt ist.«
Um die Kirche von Trawies, wo sich sonst immer Leute herumgetrieben hatten, war heute kein Mensch zu sehen. Der Küster war nicht daheim. Nur ein Halbcretin aus dem Hause des Firnerhans stand da und seine langen Arme in die Hosentaschen gesteckt, glotzte er stier die Kirche an und den Mann, der daherging. Er schnaufte und pfauchte, denn er hatte zwei große Halsauswüchse, weshalb er von den Leuten auch der dreiköpfige Osel genannt wurde. Er lächelte nun dem Wahnfred recht freundlich zu, dann deutete er gegen die Fenster des Pfarrhofes, legte seine Wange an die Hand, machte die Miene des Schlafens, und schnitt hernach ein gar weinerliches Gesicht. Das war der einzige Hüter des kranken Herrn. Und selbst der schien nicht zu ihm zu können: der Pfarrhof war verschlossen. Wahnfred pochte lange und heftig, aber Niemand kam, um das Thor zu öffnen. Von innen vernahm er nichts als das Ticken einer Wanduhr und – wie es ihm scheinen wollte – einmal – zweimal ein angstvolles Aufstöhnen.
»Wenn es so steht, ist der Wahnfred nicht mehr vonnöthen!« murmelte dieser, »Man hat den menschlichen Verstand von ihm abgesperrt.«
Der Mann wurde noch blasser. Sind das Menschen in Trawies? Dort an der Kirchhofsmauer ragt das Kreuz. Versammeln sie sich nicht zu den Füssen dessen, der gesagt hat: Thuet Gutes Denen, die Euch hassen! – Es war ein harter Mann, fürwahr. Aber kann denn ein Feind so groß sein auf dieser Erden – wo wir Alle sündigen – kann er so groß sein, daß man im Stande ist, ihm in seiner Todesnoth den letzten Schluck Wasser zu verweigern? Hat ein Bruder wider dich gesündigt, so gehe hin und verweise es ihm zwischen dir und ihm allein. Ja, ich will es ihm noch sagen, wie schwer er geirrt, daß er als Priester des gütigen Gottes in unserem Sprengel die Liebe zerstört und den Haß erweckt hat. Und will ihm dann verzeihen.
Seit jener Stunde, da Wahnfred im Dickichte nach dem Herrn gezielt hatte und die Barmherzigkeit in ihn gekommen war, fühlte er nicht mehr jenen finsternen Haß gegen den Mann, als früher. Die Tage, die Herr Franciscus nun noch leben sollte, waren ein Geschenk vom Wahnfred; so stand dieser wie eine Art von Schutzgeist zu ihm, und aus diesem Verhältnisse entsproß die Theilnahme für den Verhaßten.
Da das Thor nicht zu öffnen war, so ging er nun um das Haus herum und spähte, wie er in das Innere dringen könne. An der rückwärtigen Seite, wo sich die Stallungen anschlossen, in denen die pflegelos gewordenen Hausthiere röhrten, kletterte er die Wand empor gegen ein offenes Fenster. Er kletterte hastig wie eine wilde, mordlustige Katze. Als er sich über die Fensterbrüstung hineinschwingen wollte, schauerte er zurück. Der Tod bewachte das Haus. drinnen im Gange, gerade unter dem Fenster, lag auf langem Brette hingestreckt die verstorbene Magd. Das Antlitz trug Spuren der Seuche, die zu jener Zeit so zahllose Menschenleben hingewürgt hat.
Der Schreiner vom Gestade glaubte in diesem Augenblicke die milde Stimme seines Weibes zu hören: »Wahnfred, kehre um!« und den Schrei seines Knaben: »Vater, vergiß nicht deinen Erlefried!« Aber gleichzeitig war ihm, als höre er aus einem nahen Zimmer wieder das klägliche Stöhnen wie vorhin. Mit einem flinken Satze sprang er über die Leiche hinein auf den Boden und ging in die Zimmer.
Zwei derselben waren leer und in zerfahrenem Zustande. Gauspostillen, Spielkartenblätter und Hundspeitschen, Crucifixe und Jagdgewehre, an der Wand Heiligenbilder und Hirschgeweihe. Geistliches und Weltliches, alles durcheinander. Die zahlreichen Schränke scheinen die Habe nicht fassen zu können, denn auf dem Tische lagen Ballen von Schafwolle und Leinwand. Auf dem Betpulte standen zwei Weingläser und lag in einer Schüssel Honigfladen und Weißbrot dabei, als hätte das Gespenst der Seuche die Bewohnerschaft des Hauses gerade beim heiteren Vesperbrot überrascht.
Im dritten Gemache endlich fand Wahnfred den Kranken. Kaum erkannte er in diesem den Pfarrherrn. In eine Ecke gesunken lag aufgedunsen und fieberroth das Haupt. Der Athem war kurz: der Kranke stöhnte zuweilen. Jetzt that er die Augen auf – sie lagen schreckhaft tief, aber es waren die strengen, gefürchteten Augen – nur unsteter, nur noch glühender.
»Wer – denn da?« fragte er mit heiserem Tone. »Ist ja alles davon. Habe ich denn – die Pest, das alles davon ist?«
»Der Wahnfred vom Gestade kommt zu Euch.«
»Leg’ ab – leg’ ab! – Du bringst doch was?«
»Ich sehe, daß Euch die Heilmittel fehlen.«
»Heilmittel? Die Zehnten sollst Du mir bringen, Lastthier!«
Gar mühevoll und verwirrt stieß er die Worte heraus.
»Ich verstehe nicht.« sagte Wahnfred, der sich heute das erstemal dem Herrn überlegen fühlte, »ich verstehe nicht, wie Ihr in Eurem Zustande noch an irdische Dinge denken könnt.«
Der Kranke wendete sein Gesicht gegen den Besucher, versuchte zu lächeln und sagte: »Sterben meint Ihr? Nein, Trawiser Leut’, den Gefallen thue ich Euch nicht. Muß Euch früher zähmen.«
»Mein lieber Pfarrherr,« entgegnete Wahnfred, »darüber wollen wir nicht streiten. Des Menschen Leben steht in Gotteshand, und Ihr wisset es so gut als ich, was in der Ewigkeit auf uns wartet. Die Gemeinde Trawies ist christlich, sie wird Euch verzeihen.«
Der Kranke wollte sich jetzt aufrichten. »Verzeihen!« röchelte er, »wer hat zu verzeihen? Auf den Beichtvater willst Du Dich hinausspielen? Des priesterlichen Amtes spotten? – Heide! Heide!« Er sank zurück. Sein Athem ging noch wilder, sein Auge rollte; bald darauf fiel er in einen Schlummer.
Wahnfred stand da und wußte nicht, was zu beginnen war. Er fühlte Mitleid. Nur den Ausbruch des Fieberkranken hatte er vernommen, nicht aber den Sinn der Worte. Er wußte und er dachte nichts zu dieser Stunde, als daß ein hilfloser Mensch vor ihm liege. Des Kranken Nacken war eingeknickt, so bettete Wahnfred das Kopfkissen flach, daß der Schlummernde freier athmen konnte. Dann legte er ein Decke, die aus dem Bette gefallen war, über ihn; hierauf öffnete er die Fenster, daß frische Luft hereinströmte, und schließlich legte er Holz in den großen Ofen und zündete es an, um die Luft zu reinigen und zu erwärmen.
Als das Feuer fröhlich knisterte und Wahnfred am Bette saß und an seinen Großvater dachte, den in einer stillen Sommernacht der schwarze Tod dahingerafft hatte, und an die schrecklichen Zeiten, da die »große Sterb« das halbe Land entvölkert hatte, faltete er die Hände und murmelte: »Mein Gott, wenn man’s betrachtet, diese Welt ist des Unheils voll! Es verlohnt sich nicht der Mühe, daß man die kleinen Ungerechtigkeiten, die Einem von Mitmenschen zugefügt werden, so ernsthaft nimmt. Was bedeutet eine Wunde am Arm, wenn das Schicksal in Massen schlachtet! Wer das Weltunrecht einst richten wird! O, hüte mich, mein Gott, vor bösem Denken, und gieb nur Eine Gnade! Nur Eine gieb uns: daß wir, die gemeinsam leiden, uns gegenseitig beisteh’n!«
»Wasser!« ächzte der Kranke, ohne die Augen zu öffnen, »einen Schluck Wasser!«
Wahnfred erschrak. Er der in diesem Augenblicke der Herzensregung im Stande gewesen wäre, die Leiden der Menschheit mit seinem Blute zu löschen, wenn es gefordert worden wäre, er konnte dem Verschmachtenden nicht einmal einen Trunk frischen Wassers reichen. Er sollte auf dem Weg über die Todte und durchs Fenster zum Brunnen hinabsteigen. Er durchstöberte das Haus, er fand Wein, er fand Milch, er fand den Most, den man aus den Wildäpfeln gepreßt hatte, aber Wasser fand er erst, als er mit Gewalt die Thür aufgebrochen hatte, draußen im Hofe.
Der Kranke trank mit Gier.
»Das – das war gut,« stöhnte er dann zurücksinkend, »ich danke Dir, Kunigunde. Und jetzt – thue mir noch den Gefallen und jage den Schreiner fort. Dieser Mensch will mir nichts Gutes.«
Ihr, die mit ihm gewesen war in seinen Tagen der Herrlichkeit und der Freude, und die ihn dann, als ihn die Seuche faßte, verlassen hatte, ihr dankte er und den Schreiner wollte er verjagen! So spielt auch in den Fieberträumen der Wahn des Gesunden behendig fort.
Mit offenen Augen, die aber nicht zu sehen schienen, war sein Gesicht, auf welchem Flammenröthe und Todesblässe spielten, dem Schreiner zugewendet.
»Nicht wahr,« sprach er nun, »Du bringst mir das Papier, das dort im Schranke liegt – im Schranke, ja in der zweiten Lade. Sie werden kommen und plündern. Diese Schrift dürfen sie nicht finden. – So, gieb sie her!«
Die letzten Worte waren im Zorn herausgestoßen. Wahnfred öffnete die bezeichnete Lade, dort fand er auf Büchern liegend ein zusammengefaltetes Blatt, das überreichte er dem Kranken.
»Mir?« fragte dieser befremdet, »ich brauche es nicht. Dem Gubernium mußt Du es schicken, aber schnell, schnell!«
»Ich werde es thun,« antwortete Wahnfred.
Der Pfarrherr versank wieder in einen bewußtlosen Zustand. Wahnfred sann nach, wie hier am vernünftigsten Beistand geschafft werden könnte. Rasch stieg er die Treppe hinab und verließ das Haus. In einem Winkel der nahen Kirchenwand standen mehrere Männer, diese huschten, als sie den Schreiner aus dem Pfarrhofe treten sahen, auf ihn zu und flüsterten: »Ist er hin?«
»Eine Wärterin müssen wir auftreiben,« sagte Wahnfred, »er braucht Hilfe. Ich steige zu der Kofelarztin hinauf, daß sie Arznei schicke.«
Die Männer stutzten. Uli der Köhler war unter ihnen, der trat vor und murmelte dem Schreiner ins Ohr: »Weißt Du nicht, was wir in der Rabenkirche ausgemacht haben?«
»Daran habe ich jetzt nicht gedacht,« antwortete Wahnfred. »Der Herr hat die Krankheit von einem Versehgange mit heimgeholt. Man darf ihm nicht bei, jetzt nicht. Leute, das wäre schlecht! Und er geht ohnehin.« –
Es war im Allerheiligen-Monat, als Wahnfred Tag für Tag in seiner Werkstatt hobelte und nagelte. Er zimmerte Särge.
Die Seuche hatte sich ausgebreitet und fast jeden Tag legten sie einen Todten ins Grab. Das mußte ohne priesterliche Handlung geschehen; es geschah, und die Leute sagten: »Schau, es thut sich auch so.«
Wahnfred hatte schöne weiße Bretter von Eschenholz in Vorrath; diese bewahrte er für den Pfarrherrn auf. Er hat seine großen Fehler gehabt, aber der Pfarrherr ist er doch gewesen. Auch die heiligen Weihen muß man ehren.
Vom Pfarrhofe kam aber keine Bestellung.
Da wurde jäh das Wohlwollen des Schreiners arg gedämpft. Wahnfred hatte in seinem Sacke die Schrift gefunden, die er damals am Krankenbette auf den Willen des Fiebernden zu sich stecken mußte. Diese Schrift war an die hohen Behörden adressiert und war mit aller bösen List abgefaßt, die Leute von Trawies als eine verwilderte, aufrührerische und heidnische Bande zu verklagen und die Vollführung von exemplarischen Strafen zu beantragen. Der Verfasser verlangte eine Anzahl Soldaten, die für beständig in den Häusern von Trawies eingelagert würden; er verlangte die Erlaubnis zur Vorenthaltung des kirchlichen Segens bei Todesfällen, so lange die Gemeinde nicht ganz und gar zu Kreuze kriechen würde; er begehrte schließlich, daß die geheimen Rädelsführer, die er entdeckt zu haben glaube, den Anderen zur Warnung verjagt und ihre Häuser dem Boden gleichgemacht werden sollten. Unter den Rädelsführern nannte er den Gallo Weißbucher, vulgo Feuerwart, den Bart vom Tärn und den Wahnfred vom Gestade.
Wahnfred ballte das Papier in die Faust und schleuderte es ins Feuer seines Herdes. Unwillkürlich hob er seine Hand nach dem Hobel, um die weißen Eschenbretter zu falzen. – Verjagt! Die Häuser dem Boden gleichgemacht! ...
An demselben Tage ließ der Küster in der Gemeinde eine Ansage ergehen.
Als Wahnfred den bekannten Boten zu seinem Hause heransteigen sah, lachte ihm das Herz und er blinzelte auf die weißen Eschenbretter hin.
»Gelobt sei unser Herr Jesu Christ!« grüßte der eintretende Bote mit ernster Miene.
»In Zeit und Ewigkeit, Amen!« war die Antwort.
»Man hat wohl recht weit da her zu Eurem Hause.«
»Hingegen werdet Ihr auch was Gutes bringen und so lade ich Euch gern zu einer kleinen Labniß ein.« Wahnfred that ihm Schwarzbrot vor und Most aus den wilden Äpfeln.
»Deß dank ich Euch, Schreiner Wahnfred,« versetzte der Bote, und langte nach dem Imbiss. »Ich denke auch, daß es Euch wohl gefreuen wird, was ich Euch zu sagen habe. Morgen um die achte Stunde haben sich die Trawieser Leut’ in der Pfarrkirche zu versammeln, zum heiligen Gebete des Pfarrherrn wegen.«
»Ist der doch – dahin?« fragte der Schreiner, beklommen vor Erwartung.
»Daß es Gott verhüte!« rief der Bote, »außer Gefahr ist er, und für seine Genesung ist ein Dankgebet angeordnet.«
»Lügenmaul!« fuhr Wahnfred auf, »Du bist den Bissen Brot nicht werth, den man Dir vorlegt!«
»Da hast ihn wieder zurück!« sagte der Bote kleinlaut und legte den Schnitten, den er eben hatte zu Mund führen wollen, auf den Laib, »so was ist mir auch noch nicht passiert, ‘leicht wurmt’s Dich, Schreiner, daß Du Dich beim Todtentruhengeschäft verrechnet hast.«
»Nimm und iß was, Bot’! Was kannst Du dafür!« murmelte nun Wahnfred, da sein jäher Zornesausbruch gedämpft war. »Wärest Du an meiner Stell’, Dir thät’ kein Schnitten Brot schmecken –«
Die Labniß und die Pflege, die der Schreiner dem verlassenen Kranken vermittelt hatte, war des Pfarrherrn Rettung gewesen. Der Eine wußte das nicht und konnte es nicht segnen; der Andere wußte es und verfluchte es. Wahnfred! Das Samaritanspielen ist Dein Verderben geworden.
Aber der Herr soll es erfahren, wie der Schreiner vom Gestade Böses mit Gutem vergilt. – Herr Franciscus saß seit seiner Genesung oft stundenlang brütend in seinem Lehnstuhl. Es war ihm nicht wohl. Eine noch größere Bitterkeit fühlte er gegen die Bewohner von Trawies und gegen sich selbst. Wie hatte die Feindseligkeit, welcher er in seiner Seele einmal Raum gegeben, ihn verwandelt! Er, dem die kirchlichen Dinge so gleichgiltig waren, konnte in denselben so fanatisch sein! Er, der Behaglichkeit und fröhlichen Umgang gesucht, konnte so starr und tyrannisch sein! Der Widerspruchsgeist, der Trotz war’s; wer in sich diesen Dämon einmal aufweckt, der bringt ihn nimmer zur Ruhe. Herr Franciscus kannte sich selbst nicht mehr. Oft hatte er sich vorgenommen, es mit Güte zu versuchen, aber sobald er wieder einen der herben Waldgesellen sah, bäumte sich sein Groll auf; er konnte nicht freundlich sein zu diesen Leuten, von denen er glaubte, daß sie ihm übel wollten. und der Starrsinn wuchs so groß, daß er selbst in dem Wohlwollen, welches ihm Mancher doch entgegenbrachte, eine Beleidigung fühlte.
In solcher Stimmung war es ihm eine Lust, wie wenn er nach dem Thiere des Waldes zielte, Jemanden zu verletzen. Dann wieder war’s, als müsse er sich rächen dafür, daß man ihn zum Priester gemacht hatte.
Es wurde ihm hinterbracht, wer während seiner Krankheit in sein Haus gedrungen war, das von böswilliger Seite verschlossen gewesen, wer ihm das Kissen weich gebettet unter dem fiebernden Haupte, wer ihm den Schluck Wasser zum Munde geführt, wer ihm eine sorgsame Pflegerin und Arznei herbeigeschafft hatte.
»So?« sagte der Herr Franciscus, »der Schreiner ist in meinem Haus gewesen? Ja, ja, mir schwant so etwas. Dann allerdings, dann kann ich mir mancherlei erklären.«
Sonst sagte er nichts, ließ aber den Wahnfred zu sich in den Pfarrhof rufen. Dieser kam, sein Gemüth war schon wieder versöhnlich und weich gestimmt. Er hoffte, daß die schwere Krankheit und was dabei vorgegangen eine Wandlung herbeigeführt haben würde, daß der starre Mann endlich zur Überzeugung kommen müsse, hier sei er sich und der Gemeinde zum Verderben.
Im Pfarrhofe warteten der Küster und der Schulmeister, und der Dank, den Wahnfred erfuhr, sah wunderlich aus.
Wahnfred trat höflich ein, blieb aber an der Thür stehen und wartete, bis der Herr an ihn herankommen würde. Dieser stand in seinem langen Talare am Fenster und hielt sich mit einer Hand an die Lehne des Stuhles. Sein Gesicht war hager geworden und noch blaß. Mit scharfem Auge blickte er eine Weile auf den Eingetretenen hin. »Na komm!« winkte er endlich, als wolle er mit seinem Finger dem Vorgerufenen den Weg über die Zimmerdielen beschreiben, »komm näher! Wirst mit meiner Stube doch wohl noch bekannt sein, bist ja vor Kurzem erst durchs Fenster hereingestiegen.«
»Die Thür war verschlossen und der Herr war todtkrank.«
»Und das war die beste Gelegenheit, mir die Laden auszuplündern, nicht wahr?«
»Jesus Maria!« Stieß Wahnfred heraus und sprang einen Schritt nach vorwärts.
»Hübsch gemach, Schreiner,« besänftigte der Herr, »wir wollen das ganz in Ruhe –«
»Ich habe die Lade geöffnet, weil Ihr darum ersucht habt, und habe Euch die Schrift geholt, weil Ihr es verlangt habt.«
»Ich hätte es verlangt? Das ist eine Unwahrheit. Ich habe nichts von Dir verlangt.«
»Ich glaube es, daß Ihr euch d’ran nicht erinnern könnt,« sagte Wahnfred, mit Mühe sich beherrschend, »Ihr lagt im Fieber und ich wußte es wohl, daß Ihr in der Irre waret.«
»Und hast es doch gethan?«
»Ich wollte Euch beruhigen.«
»Wo ist die Schrift?« fragte Herr Franciscus mit grimmigen Blicke.
»Ihr befahlt, daß ich sie zu mir nähm’ und den Behörden schicke.«
»Und hast Du das gethan?«
»Ich nahm die Schrift zu mir, Pfarrherr.«
»Und hast sie abgesandt?«
Wahnfred antwortete: »Was ich über diese Schrift weiter zu sagen habe, das werde ich ein andermal sagen. Dazu laden wir die Männer von Trawies ein.«
Der Herr Franciscus bäumte sich langsam auf und legte seine Arme über die Brust.
»Leute, ich warne Euch!« sagte er mit sehr weicher, aber nachdrucksvoller Stimme.
Wahnfred stand vor ihm still und stumm wie ein Baum. Sein Auge richtete er trotzig in die zuckenden Züge des Herrn.
»Ich weiß es,« fuhr dieser fort. »ich weiß es. Was Trawies will; wir stehen uns zu einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber. Schreiner, Du hast schon lange den Sarg für mich fertig! – Ich fürcht’ mich nicht, ich walte meines Amtes und gehe ohne Wanken den geraden Weg meines Rechtes. Wer sich mir auf diesem Wege entgegenstellt, der wird zertreten! Euch warne ich noch einmal. Beugt Ihr Euch nicht vor den Gesetzen, denen die Welt mit ihren Fürsten und Herren unterthan ist, dann seid Ihr vernichtet.«
Wahnfred stand vor ihm still und stumm wie ein Baum.
»Und Du, mein lieber Schreiner, gehst heute nicht heim. Ich will Dir in Erfahrung bringen, was bei uns zu Lande mit den Dieben und Einbrechern geschieht. – Führt ihn ab.«
Sofort waren die bestellten Knechte zur Hand. Jetzt war Wahnfred erwacht, dem Einen versetzte er einen Faustschlag ins Gesicht, daß er rücklings taumelte, den Anderen schleuderte er gegen die Thür hin, den Herrn Franciscus stieß er mit gellendem Fluche vom Fenster zurück und die Scheiben mit einem Schlage zerschmetternd, das lockere Gitter losreißend, sprang er hinaus in den Schnee.
Er bekämpfte sich.
Gelassen, als ob nichts geschehen wäre, schritt Wahnfred durch das Dörfchen hinab. Man merkte es nicht, daß hier ein Mann ging, dem einige Minuten früher ein Giftpfahl mitten durchs Herz gestoßen worden war. –»Dieb und Einbrecher!« murmelte er, »beim allerheiligen Gott! ich habe den Schuß nach meinem Kinde ertragen, aber das ertrage ich nicht –«
In den Scheunen pochten die Dreschflegel, aber sie pochten träge und mit Unlust, denn das erste Körnlein, das aus jeder Ähre springt, springt in des Pfarrherrn Sack. Vielleicht übertrieb er ein wenig, der alte Sandhock, wenn er sagte: »Was beklagen wir uns denn! der Herr kriegt ja den Zehent nicht, den dürfen wir behalten. Er nimmt das Übrige.« Daß der Sack des Herrn Franciscus nicht allzu klein war, erhellt.
Da demnach das Arbeiten grämlich war, so ließen die Leute Dreschflegel und Windmühle am liebsten liegen und stehen und gingen ins Wirtshaus. Nur war auch dort keine Lust, wie sonst; die Männer saßen und lehnten und murrten mit verglasten Augen herum und die Wirthin war unwirsch, so oft sie eine Stumpe Schnaps zu bringen hatte. »Geht’s heim arbeiten, ist gescheiter.«
»Recht hast.« antwortete ihr der Sandhock, »aber ich mag nicht gescheiter sein.«
»Und Du, Baumhackel, Du kriegst gar keinen mehr, Du zahlst nicht!«
»Daß ich nicht zahl’,« entgegnete dieser, »das missest mir so übel auf, aber daß ich kein Geld hab’, das bedenkst gar nicht. Geh’, Frau Wirthin, so blümelsauber und so ungerecht!«
Im Ofenwinkel saß Roderich der Stromer. Er schwamm in Bitterkeit irdischer Drangsal. Schnaps sehen und keinen kriegen! Ins Gesicht lachte ihm die Wirthin, wenn er um einen bat, denn er mußte eben darum bitten. Er konnte noch froh sein, beim Ofen sitzen zu dürfen. Er brütete wohl über seiner Idee von Kerzen und Jungfernhaar und Kreuzotternfett. – Kreuzotternfett wäre schon zu kriegen, aber das Andere!? Der Firnerhans hätt’ Eine – kann nicht hoch über die siebzehn sein – eine laubfrische Dirn, und so viel still und frömmlich. Auf dem Johannesberg wachst sich auch eine aus. Sie ist allein bei ihrer Alten. Wenn ich die kunnt drankriegen! – Der Wirthin ihre da draußen in der Küche, der Teufel soll sie holen! Noch ein hundsjung Gansel; da meint man, sie thät’ mit dem vierten Gebot noch nicht fertig sein und dieweil ist sie schon lang beim sechsten. Von Der einen Haarfetzen hab’ ich leicht derwischt; aber wie einer da aufsitzen kunnt! Im Jägerhaus oben – ehevor das Rabenvieh noch ordentlich brennend ist, sind die Leut’ schon munter worden. Zu hart Kräften, daß ich auskommen bin. Na na, vor so Einer sollt’ mich Gott bewahren. Aber die Firner-Dirn schon, die Firner-Dirn und die Andere auch, die Andere. – Draußen in der Küche am Herde, wo die Weibsleute geschäftig Wildpret kochten und schmorten, hockte im Winkel Einer, der wisperte: »Pack’ ich Eine her und reibe ihr den Schnauzbart in die Wange, so wird das ein ketzerhaftes Gelärm und Geschrei sein.«
»Ich mag’s,« meinte ein Anderer daneben, »wenn man die Weibsleute mit so einem Bartwisch abscheuert, so poltern sie wie Katzentritt und schreien mit Fischstimme!«
An der Thür stand ein wildfremder Mensch. Der machte plötzlich einen langen Hals gegen die Wirthin und sagte: »Wie kommt es, daß Du so viel Fleisch hast und ich so viel Hunger?« Er sagte es mit stierem Auge.
»So werdet Ihr wohl den Geldbeutel bei Euch haben,« gab die Wirthin zurück, die, aus Erfahrung klug geworden, vorher das Geld suchte, und dann erst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit.
»Den Beutel?« versetzte der Fremde. »Auch Ihr, Trawieser Leut’, fragt nach solchen Dingen? Hab ich doch gehört, daß die Trawieser – sobald ihnen nur der gestrenge Pfarrherr nicht mehr im Wege stünde – es eintheilen wollten auf: Dein Gut, mein Gut!«
»Das Zeug versteh’ ich nicht, macht, daß Ihr mir aus dem Weg kommt!« rief die Wirthin und hegte das Feuer und förderte den Braten.
»Ihr werdet es schon verstehen,« sagte der Fremde mit einer Miene, die viel bedeuten sollte, »heute stoßt Ihr den Armen noch aus diesem Haus, morgen treibt Euch er hinaus!« Und er entfernte sich.
Die Männer und Burschen in der Wirthsstube waren mittlerweile laut geworden. Es war ein Streit entbrannt, der gar keine andere Ursache hatte als die, daß sie streiten wollten.
Sie schleuderten sich gegenseitig Spottnamen zu, in der Weise, wie boshafte Buben Ballen spielen, zuerst von Hand zu Hand, dann von Nase zu Nase.
»O Du schlechter Lotter Du!« sagte der Eine und lachte.
»Behalt Du den schlechten Lotter für Dich selber – ist gescheiter, sonst heißest Du ohnehin nichts.«
»Oh, Du brauchst mir schon lang keinen Namen zu schenken, Du Schelm, schau, daß Deiner besser wird!«
»Wer sagt mir was Schlechtes nach?! Himmel-Herrgotts-Sackerment, wer kann mir was beweisen?«
»Alle sieben Hauptsünden beweise ich Dir, Du Lump! Mit welcher soll ich anfangen?!«
»Deine Goschen halt’, schlechter Wicht! Du hast die Hauptsünden Dein Lebtag nicht aus dem Katechismus gelernt – bist zu dumm dazu.«
»Für einen Spitzbuben just ein bissel zu dumm, da hast Recht.«
Jetzt fuhr der Andere mit seinen Fäusten los. Ein Dritter wollte Frieden stiften – der erhielt die Prügel.
»Wir brauchen keinen Richter!« riefen sie.
»Laßt Zeit, wenn nur erst der Richter von Trawies kommt.«
»Wir kennen keinen Richter von Trawies! Und wir brauchen keinen.« Ja, dess’ waren sie bald Alle einig, sie brauchen keinen Richter.
»Unser Herr ist Gott im Himmel, und sonst Keiner!«
Sie wußten es recht gut, daß Gott im Himmel nicht niedersteigt und den Schelm beim Schopf faßt.
»Kann sein,« sagte einer der wenigen Sanftmüthigen, die noch im Ort waren, »er wartet, bis der Schelm zu ihm kommt. Denn einmal schleicht der Schelm an und winselt: Lieber Gott, ich bin auch dein Kind, ich hab’ sie auch mitgemacht, die harte Welt, jetzt mach’, daß ich im Himmel meinen Winkel krieg’. Da wird Gott der Herr seine Arme in die Seiten stemmen und wird sagen: So! – Und der Schelm wird weiter winseln: Schauderlich schlecht ist es mir ergangen auf Erd’. Sündhaft war ich freilich auch, aber ich bereue es und mach’ meinen ernstlichen Vorsatz, denn weißt, ich möcht’s nun besser haben. – So! wird der Herr wieder sagen, wie schlau Du bist! Ich aber sage Dir: Früher hast Du mich nicht gesehen, jetzt sehe ich Dich nicht. Geh’ weg, wir Zwei sind fertig!«
»Und wir Zwei sind’s auch!« rief ein stämmiger Bursche und schob den Prediger zur Thür hinaus. –
Zur selben Zeit ging vom Pfarrhofe der Wahnfred am Hause vorbei und über den Steg gegen den Hof des Feuerwart. In der Wirthsstube erhoben sich einige der älteren Männer und schritten ihm nach.
Der Feuerwart stand vor dem Brunnen seines Hauses und hatte eine Axt in seiner Hand.
»Was willst Du mit dem Beil?« fragte Wahnfred.
»Hast es Du vonnöthen?« war das Gegenwort, »sonst mache ich damit den Brunnen frei, er ist vereist.«
»Ich bin da, Gallo, daß ich Dich frage, ob denn kein Richter mehr ist in Trawies? Mir ist Unrecht geschehen. Du weißt, wie ich dem Herrn in seiner Krankheit bin beigestanden. Dafür heißt er mich jetzt Dieb und Einbrecher.«
»Da ist Dir Recht geschehen!« lachte der Feuerwart.
»Wie so?«
»Schau her da. Wenn ich meinen Brunnen vom Eis ersticken lasse und ich verdursten muß, so geschieht mir auch Recht, warum bin ich so saumselig gewesen! So Eins gehört!« Er hob die Axt und mit einem wuchtigen Schlage zertrümmerte er die Säule von Eis, daß die Stücke klingend weithin flogen und der Brunnen frei und frisch in den Trog plätscherte.
»Verstehen kann ich Dich wohl,« sagte Wahnfred, nahte dann dem alten Manne, die Hände auf der Brust: »Bei der himmlischen Seligkeit, ich kann es Dir nicht sagen, mein Gallo, Du glaubst es nicht, wie schwer das ist, einen Menschen umzubringen!«
Jetzt nahten die Männer, die dem Schreiner vom Wirthshause her gefolgt waren.
»Fleißiger, fleißiger, Wahnfred, Du stehst im hellen Werktag da und richtest nichts aus!«
Dann stellten sie sich um ihn in einen Kreis und huben an.
»Weißt Du es noch, Schreiner, wie lange es schon her ist, daß wir in der Rabenkirche zusammen gewesen?«
»Glaubst Du, daß ihn bei lebendigem Leib der Teufel holt?«
»Warum?«
»Weil Du ihn nicht angreifst!«
»Läßt sich denken, daß es dir sauer fällt, aber der Herrgott hat Dir’s ja gut meinen wollen, hättest Du seine Hand nicht zurückgezogen, wie er sie ausgestreckt hat nach seinem Hals.«
»Hat das Los gewiesen, daß Du bei ihm die Krankenwärterin sollst sein?«
»Sollen wir Dir die Feindseligkeiten vorzählen, die er seit seiner Krankheit wieder auf uns geworfen hat? Beim Dankgebet für seine Genesung ist die Kirche nicht voll geworden, das magst Dir Denken. Solches hat ihn gar zornig gemacht. Der Freiwildin ihrer Tochter hat er das Kind nicht taufen wollen; die junge Mutter soll am Frauentag mit dem Strohkranz in die Kirchen gehen; wie sich das arme Dirndl abhärmt! Den Gemeindearmen wird für diesen Winter das Brennholz geschmälert, das sie vom Pfarrwald kriegen sollten. Oh, gebt Acht, dieser Herr Franciscus ist aus demselben Holz, aus dem man die Hexenverbrenner, die Folterknechte und Kreuziger schnitzt.«
»Ich weiß es ja,« unterbrach Wahnfred, »ich weiß mehr, als Ihr selber.« Er dachte an die Schrift, die in seine Hand gelangt war und die er in das Feuer geworfen hatte.
»Nun gut, so wirst Du dem Elend ein Ende machen.«
»Glaubt Ihr, das Elend wird ein Ende haben, wenn er dahin ist? Ich glaube es nicht.«
»Schlechter kann’s nimmer werden. Die hohen Herren müssen sehen, daß die Leute von Trawies stark sind, wie ihre hundertjährigen Bäume. Es wird ein Sturm sein, aber dem Wald wird er nichts anhaben; nur der baum, der einzeln steht, kann brechen. Wir halten zusammen und wehren uns um unsere alten Rechte.«
»Und Du, Wahnfred, übe Deine Schuldigkeit!«
»Denk’ auf den Schwur! Willst Du dieses Tyrannen wegen Gott untreu werden? Hat Dir Deine Mutter niemals die Geschichte erzählt von jenem Mann, der gezwungen worden ist, vom Haupt seines Knaben einen Apfel herunter zu schießen?«
»Und weißt Du, wohin er geschossen hat? Auf den Tyrannen!«
»Männer von Trawies! Nur Eins möchte ich Euch fragen,« sagte Wahnfred.
»Was hast Du noch viel zu fragen?«
»Geschehen wird’s – ohne Frage.«
»Wann, wann, Schreiner?«
»Hat’s bis Ostern Zeit?«
»Nimmermehr. Bishin wären wir längst verrathen und verloren.«
»Es ist gut,« sagte Wahnfred. »Geht heim, Leute, geht heim und laßt mich allein. In acht Tagen von heut’ ist der Frauentag.«
»Ist richtig.«
»Aber wir gehen in keine Kirchen mehr, sollt ihr wissen, am Frauentag wird in der Kirchen zu Trawies kein Gottesdienst mehr sein.«
»Das ist Manneswort, Wahnfred, das ist Manneswort!«
Wahnfred hob die rechte Hand und rief laut: »Sein Blut komme über Euch und Eure Kinder!«
Dann stürzte er davon.
Als er in den Schlittenfurchen des Weges so dahinschritt und in die rothe Sonne blickte, die über dem schwarzen Waldrücken des Johannesberges niedersank, da hörte er hinter sich ein Trappeln.
Das Töchterchen des Feuerwart – Sela war sein Name – lief hinter ihm drein. Er beachtete es nicht und meinte, die Kleine würde ins Dorf gehen, um dort irgend etwas zu holen; als der Dorfweg rechts über die Brücke abbog, Wahnfred’s Steig gegen das Gestade links dem Wasser entlang zog, trappelte das Kind immer noch hinter ihm her. Es war nicht eben winterlich angezogen, das Näschen war roth angelaufen – die schönen feuchten Äuglein drohten einzufrieren auf diesem Gange im kalten Winterabend.
Wahnfred wendete sich nun um und fragte barsch: »wo gehst hin? Was willst?«
Da streckte die Kleine ihre Arme aus nach seinem Haupte, als ob sie dieses zu sich niederziehen, als ob sie ihm etwas Heimliches anvertrauen wollte.
So blieb der Mann stehen und neigte sich gegen das Kind. Und jetzt schlang das Mädchen die kleinen Arme um seinen Hals, rasch und keck drückte es einen Kuß auf seine Wange – und lief davon.
Es lief den Weg zurück, den es gekommen war, und Wahnfred blickte ihm nach, so lange er es sehen konnte, und er wußte gar nicht wie ihm war. – So warm ins Herz war ihm dieser Kuß gegangen und seine Seele nahm ihn auf wie eine Offenbarung. – Wen die Kinder küssen, kann der Mörder sein?
Oder sollte es eine Mahnung, eine Warnung ...? Die Unschuld hatte ihn noch einmal um den Hals genommen und hatte gefleht: »Ach bleib’! Denke an Deiner Kindheit selige Freuden! Denke an das stille Glück Deiner Jugend. Die göttliche Gabe der Unschuld – bis heute hast Du sie in Deiner Brust getragen. Du kennst das Leiden wohl, aber Du kennst das Unglück nicht. Lasse Dich nicht irren, was sie Mannesthaten nennen, das sind zumeist Lieblosigkeiten, Rücksichtslosigkeiten, Verbrechen gegen die Mitmenschen. Bleibe Kind. In der Gefahr, und wenn die Leidenschaften drohen, ist das Kind stärker als der Mann. Durch die heißen, durch die wilden Wüsten dieser Welt führt zwischen Lilien, Rosen und Myrten, unter Palmenschatten ein stiller Weg – es ist der Weg des Herrn. Den wandle Du, er führt weit ab vom Elende der Schuld, dem lieben Herzen Gottes zu.«
O, wie diese Gedanken schmeicheln! Hier wäre es freilich leicht, Euch zu folgen. Die Tyrannen gewähren lassen? Und meineidig sein, wortbrüchig vor Gott und den Mitmenschen, wäre das gut? – Ich habe meine That nicht erwählt, sie ist mir zugefallen. Mich hat Gott gerufen. – Ich komme.
Unter solchem Streite seiner Seele schritt Wahnfred an der Trach dahin, in den Abend hinein. Das Wasser murmelte kaum hörbar unter der Eisdecke, die hin und hin über den Fluß gewachsen war. Eine scharfe Kälte lag in der engen Schlucht und schnitt dem wandernden ins Gesicht. Er hüllte sich enger in seinen Mantel, er drückte den Hut tiefer in seine Stirn. Der Weg war holperig in seinem gefrorenen Schnee, öde und verlassen. Hoch im Gewipfel krächzte bisweilen ein Rabe; er flog mehrmals über dem Haupte des Wandernden hin – er schien ihn gar zu begleiten. War das einer von der Rabenkirche? Hatte er den Schwur gehört? Mahnt er an die Erfüllung? ...
Wahnfred trat auf die Eisdecke des Flusses hinaus. sie war weiß überzogen mit jenem moosartigen Reife, der sich in den vorhergehenden frostigen Nebeltagen gebildet hatte und welcher zart unter seinem Fuße knisterte. Dieser glatte, ebene Weg, aus welchem nur dort und da ein bereifter Stein hervorragte, führte ja auch ins Gestade hinaus. –»Ist das Verbrechen schwer, so wird ja das Eis brechen unter meinem Fuß – und es hat ein Ende.«
Zwischen den hohen Bergen, deren steile, finstere Lehnen mit ihrem Gezacke der Waldwipfel an beiden Seiten steil emporstrebten, leuchtete der Mond nieder. Er war im halben Lichte, auch die dunkle Hälfte war zu erkennen. So weiß und so hell sah er nieder aus der tiefen Klarheit des nächtlichen Himmels. Uns hinter dem Wanderer auf der Scholle wankte schwarz und ungestaltig der Schatten.
»Bis Ostern hat es nicht mehr Zeit,« sagte Wahnfred, »ich hätte es gern gesehen, daß du früher deine österliche Beicht abgelegt hättest. Sie wollen dich weg haben, jetzt auf einmal; wie es mit Deiner Seele steht, darnach fragt Keiner. O Gott, wie oft wird es geschehen, daß sie an einem Menschen nur den Leib zu tödten glauben, während sie gleichzeitig auch die Seelen, wenn sie nicht im Zustande der Gnade ist, in den ewigen Tod stürzen. Ich bin Christ und will christlich handeln. – Der, welcher mir anheimgefallen ist, soll seine Sünden mit dem Blute seines Leibes löschen und danach eingehen zum ewigen Leben. – O Mondenlicht, du steigst zum Himmel auf, sage es unserem Schöpfer, daß mein Herz rein ist von bösem Willen. In jenen längstvergangenen Zeiten, da hast du niedergeleuchtet auf einen Hain von Myrrhen und von Palmen. Es war so still und milde, es war eine Sommernacht und auf den Bäumen waren die Blätter des ersten Frühlings noch nicht gewelkt. Zwei Männer nahen und baden sich in der balsamischen Luft. Der Eine trägt die Lenden verhüllt mit dem Felle der Gazelle, der Andere mit der Haut des Bären, denn die Schönheit des Menschen ist heilig. Sie verletzen den Frieden des schlummernden Gartens nicht; sie kommen vom Altare. Sie hatten geopfert. Der eine das Fleisch der Gazelle, deren Fell er am Leibe trägt, und die Früchte der Büsche, deren Blüthen er um die Stirn geschlungen hat. Er that’s in Liebe und in Demuth, und der Herr hat das Opfer in seine Hände genommen und hat gelächelt. Der Andere opferte das Fleisch des Bären, dessen Haut er am Leibe trägt, und er opferte das vom Bären zerrissene Lamm, und er hieb den Busch von der Wurzel ab und opferte ihn mitsammt den Blüthen und mitsammt den Früchten und sagte in seinen Gedanken: Herr, siehe, ich gebe Dir mehr, als Der zu meiner Seite steht. Der Herr aber stieß das Opfer von sich und war zornig. – So schreiten sie durch den Hain und können die Ruhe nicht finden. Der Eine ist ruhelos vor Glück, der Andere ist ruhelos vor Neid. – So gingen sie hin und verletzten den Frieden des schlummernden Gartens nicht. Da kamen sie an einen Cedernbaum, und der Mann mit der Mähne kletterte den Stamm hinan und brach einen kräftigen Ast. – Warum, mein Freund, so fragte der Andere, warum verwundest Du diesen schönen Baum? O, Du frommes Kind, sprach der Mann mit der Mähne, daß Du Mitleid hegst mit dem Holze! Weißt Du es denn nicht, daß ich aus den Blättern und Zweigen, die an diesem Aste hängen, einen Kranz flechten will für deinen schönen Nacken und für deine reine Brust? Du Liebling des Herrn! – Und er flocht den Kranz und legte ihn dem sich Sträubenden auf den schönen Nacken und auf die reine Brust und sagte: Weigere dich nicht, denn was ich Dir thue, das geschieht zum Lobe Dessen, der Dich so sehr lieb hat. Und als Jener bekränzt war und in Demuth sein junges Auge aufschlug zum funkelnden Sternenreiche, erfaßte der Mann mit der Mähne den entzweigten Ast und schlug ihn mit glühender Kraft über das Haupt des Bekränzten. Still wie die Nacht rings umher, so still sank der Erschlagene auf das thauende Gras. Der Andere aber breitete mit geschlossenen Fäusten die Arme aus und schrie mit gellender Stimme: Ist Dir dieses Opfer auch nicht gut genug? ...«
»Nein, mein Ewiger!« fuhr Wahnfred aus seinen Träumen auf, »so opfere ich nicht. Von diesem Mörder, der den Schlag gegen die Liebe geführt hat, die Du Jenen geschenkt, konntest Du den Bruder zurückfordern in Deinem Zorne. Ich bin ohne Haß und Neid, ich sende den, der hier auf Erd’ nicht zu deiner Ehre wirken kann, ins Heimatland, wo Du ihn aufnehmen wirst in Deiner Erbarmung.«
So schritt er hin, und die Eiskörnchen knisterten unter seinen Tritten, die Eisdecke aber blieb fest und wankte nicht. Bei einer Wendung des Flusses hatte sich der Mond hinter den Waldrand verborgen; in der Schlucht war es sehr düster und nur auf den Lehnen lag der blasse Schleier des Lichtes.
Wahnfred betete:
»Selig der Mann, der nicht wandelt nach dem Rathe des Bösen, sondern seine Lust hat an den Gesetzen Jehova’s!
Merke auf die Stimme meiner That, o mein König und mein Gott, denn Du bist kein Gott, der Freude hat an der Bosheit.
Die Frevler bestehen nicht vor Deinen Augen; O leite mich in Deiner Gerechtigkeit, um meiner Feinde willen, ebne mir den Weg!
Denn nichts Wahres ist in ihrem Munde; laß ihre Schuld sie tragen, o Gott; wegen der Menge ihrer Verbrechen stürze sie.
Denn es rühmt sich der Böse der Gelüste seiner Seele, und der Habsüchtige lästert Jehova!
Er spricht in seinem Herzen: Ich wanke nicht, denn ich werde nie im Unglück sein!
Des Fluches voll ist sein Mund, und des Truges und der Bedrückung.
Auf, Jehova! Gott! Erhebe deine Hand, vergiß nicht der Leidenden!«
»So betete ja auch er,« fuhr Wahnfred fort, »der Harfenspieler und der Sänger. Er saß zu den Füßen des kranken Königs Saul und erheiterte ihn mit Hirtenliedern aus seinen fröhlichen Auen. Da nahten die Feinde und ein Riese war unter ihnen, der forderte Einen zum Zweikampf. Sie standen zurück, die waffengeschmückten. Da stand der kleine Hirt und Sänger auf und sprach: Wenn sonst Keiner ist, den Frechen zu züchtigen, so will ich es sein! – Sie spotteten seiner und Andere sagten: Laßt ihn ziehen, es ist ja nur ein Hirtenjunge, und kein Verlust, wenn er fällt, und keine Schmach für uns, wenn er unterliegt. – Der Hirtenknabe ging hin und tödtete den Riesen. – Wie hat Gott die That belohnt? David wurde König – heute sitzt er in Zion unter den Heiligsten der Heiligen. Und doch hat er nicht gesorgt für das Seelenheil seines Feindes. – Ich will christlicher sein.«
Da Wahnfred in solchem Sinnen über die berückenden Schriften der alten Dichter an zwei Stunden gegangen war, weitete sich das Thal; er sprang ans Ufer und war im Gestade.
Von seinem Hause grüßte ihn aus dem Fenster der rothe Schein des Herdes entgegen. Der Mond hatte einen blassen, milchigen Kreis um sich: von den Bäumen fielen knisternd die zähnigen Eisrindchen und auf der Trach sprangen in derselben Nacht krachend die Schollen.
Am anderen Morgen war es schon licht – und wie spät lichtet sich’s im December! – als Wahnfred noch im Bette lag. Der Kienspan, den das Weib des Schreiners in den Leuchthaken der Werkstatt gesteckt hatte, weil der Meister zu solcher Jahreszeit auch vor Tags zu arbeiten pflegte – war heute unangezündet geblieben.
Das Weib schlich schon eine Weile besorglich ums Lager herum, und als sie ihren Eheherrn nun erwacht sah, fragte sie ihn, ob er krank sei. Er habe in der Nacht unruhig geschlafen, er habe laut im Traume gesprochen.
»Im Traum? Was habe ich gesprochen?« fragte Wahnfred.
»Das Eis bricht ein! Hast Du ein paarmal aufgeschrien. Es ist ja keine Möglichkeit, daß Du es von Thale herauf solltest gehört haben. Es hätte recht gekracht, erzählt die Magd, das Wetter hat umgeschlagen und das Eis bricht auf der ganzen Trach.«
»Bricht’s?« fragte Wahnfred und erhob sich aus dem Kissen. »So schwach war die Scholle! Weib, den ganzen Weg von Trawies von Trawies her bin ich auf der Trach gegangen.«
»Jesus Maria!« rief die Hauswirtin, »jetzt weiß ich’s, wesweg mir gestern auf die Nacht so angst und bang gewesen.«
»Du, Weib,« sagte nun Wahnfred und streckte die Hand aus, »auf der Wandstelle dort liegt der Kalender, lange mir ihn herab.«
Sie that’s und als sie das Büchlein aufschlug, um ihm den Monat December bereit zu blättern, war sie verwundert und sagte: »Mann, das ist richtig wahr, Du wirst allweil leichtsinniger in christlichen Sachen. Jetzt hast Du nicht einmal Deinen Osterbeichtzettel im Pfarrhof abgegeben. Schau, da liegt er.«
»Ja, ja, ich seh’ ihn wohl. Abgegeben hab ich ihn. Was kann ich denn dafür, wenn der Herr nicht schaut auf die Sachen, die man ihm in die Hand giebt. Mein Zettel ist mir närrisch wieder zugekommen.«
»Wo man hinschaut,« sagte sie, »es ist überall ganz anders, als wie sonst.«
»Ja, die neuen Zeiten! Wirst Dich noch verwundern, Weib. – Jetzt kannst schon wieder gehen.«
Sie verließ zögernd und kopfschüttelnd sein Bett. Wahnfred sah in den Kalender und murmelte bei sich: »Heute ist der erste Adventtag und das Fest des heiligen Bischofs Eligius; der war anfangs Goldschmied, nachher ist er Büßer geworden, hat ein härenes Gewand angezogen und gegen die Ketzer gestritten. Der taugt nicht. Morgen, als am zweiten Tage, begehen wir das Gedächtnis der heiligen Jungfrau Firmina. Sie war eine Römerin von großer Leibesschönheit, und als sie der Landpfleger hat umarmen wollen, sind ihm durch Gottes Allmacht beide Arme lahm geworden. Hierauf hat sie der Kaiser Diocletian der Kleider entblößen und mit brennenden Fackeln sengen lassen, bis sie den Geist aufgegeben. Mag wohl sein, daß sie eine große Beisteherin ist in der Noth, bei meiner Sach’ hat sie nichts zu thun. – Als am dritten Tage begeht die Kirche das Fest des heiligen Franciscus Xaverius. Der hat die Wilden zum Christenthume bekehrt, ist ein sehr heiliger Mann gewesen und hat sich selbst gegeißelt bis aufs Blut. Das ist sein Namenspatron, der möchte sich wohl seiner zu früh annehmen. – Als am vierten Tage ist das Gedächtnis der heiligen Jungfrau Barbara. Sie ist von den Heiden gemartert und enthauptet worden; sie gehört zu den vierzehn Nothhelfern und ist die Schutzpatronin für Sterbende. – Das ist die Rechte. Sie wird ihm beistehen und seine Seele nehmen.«
Die Hand mit dem Kalender ließ er sinken, am Kissen lehnte sein Haupt mit geschlossenen Augen – es schien, als schlummere er wieder ...
Plötzlich erhob er sich und sprach: »Gut, gut, jetzt bin ich fest. Also am vierten Tage im Advent. –«
An demselben Tage, da dieses morgens war, sprach der Schreiner den Boten an, der von Neubruck bisweilen in die Gegend kam, ob er nach Trawies hineingehe?
»Wohl, wohl, habe ja beim Kirchenamt zu thun.«
»Wollte der Bot’ so gut sein und für den Herrn was mitnehmen?«
»Wenn’s nicht schwer ist; Ihr seht, ich gehe nicht mehr auf meinen ersten Füßen.«
»Es ist Geldsach’.«
»Nachher kann’s nicht schwer sein.«
»Da, im Papier wär’s – fünfzig Schinderlinge sind’s – daß am Barbaratag eine Rorate gelesen werden sollt’.«
»Eine Rorate,« meinte der Bote, »kann nicht herausgeben.«
»Krieg’ nichts heraus.«
»Kostet ja nur zweiunddreißig.«
»Unserer liest sie nicht unter funfzig.«
»Ist recht, will’s schon ausrichten und von wem denn?«
»Kennst mich nicht? Na, so brauchst es auch nicht zu sagen, wer das Geld schickt. Sag’ nur frei: Jemand läßt am Barbaratag eine Rorate lesen für eine gewisse Person, auf die Meinung um eine glückliche Sterbstund’.«
»Will’s schon ausrichten.« Der Bote ging seines Weges.
Wahnfred blieb stehen und sah ihm nach und dachte bei sich: Mehr kann ich nicht mehr thun. –
Wenn er am Altare steht und die Messe liest und das Opfer der Versöhnung begeht mit seinem Gott, und wenn er das Brot bricht zum Gedächtnisse und aus dem Kelche trinkt und auf die Brust schlägt in Reue und Leid; und wenn er der Todten gedenkt und der Sterbestunde der gewissen Person, derentwegen das Meßopfer verrichtet wird, und wenn er sich noch einmal mit ausgebreiteten Armen zum Volke wendet: Der Herr sei mit Euch: so wird das wohl der beste Augenblick sein, in dem ihn Gott abruft ...
Am zweiten Tage im Advent arbeitete Wahnfred in seiner Werkstatt, wie er es gewohnt war. Daß er so blaß war und bei Tische nicht essen wollte und nicht sprechen, das bekümmerte sein Weib. Sie wollte zu der Kofelarztin schicken.
»Kofelarztin!« lachte Wahnfred auf. – Dann sprach er unwirsch: »Wer kann mich zum Essen zwingen und zum Schwätzen?« und ging davon.
Am dritten Tage im Advent rief er den Erlefried. »Ich brauche Dich, Knabe.«
Sie gingen zum Schleifstein.»Fass’ den Hebel, Erlefried, Du mußt mir treiben.«
Der Knabe trieb den radförmigen Stein, der auf seinem Schragen in einer Mulde voll Wasser lief. Wahnfred hielt die Schneide eines breiten Beiles an den Stein.
»Gehst Du Bäume fällen, Vater?« fragte der Knabe.
Wahnfred sagte. »Schwatz’ nicht und treib’!« Er preßte die schwere Axt so fest auf den Stein, daß die schwachen Ärmchen des Knaben kaum im Stande waren, ihn zu drehen.
Endlich war die Schneide des Werkzeugs scharf, daß sie wie ein Silber blinkte. Die Axt, welche nach vorne und nach rückwärts sich weitaus in zwei scharfe Spitzen schweifte, hatte einen kurzen Stiel aus Ahornholz, und der Hals, womit sie am diesem Stiele saß, war aus dickem, schwerem Eisen, welches etwas weiter gegen die Breite hin ein durchbrochenes Kreuz hatte. Durch dieses Kreuz hing sie nun Wahnfred hoch an einen Nagel der Wand.
Gegen Abend fettete das Weib ihre Schuhe ein.
»Willst Du ausgehen?« fragte Wahnfred im Vorüberschreiten, »und wohin denn, jetzt mitten in der Wochen?«
»Ich sehe wohl, Mann, daß Du an gar nichts mehr denkst,« antwortete sie mit leichtem Vorwurfe, »der Christenmensch sollte doch auf den heiligen Barbaratag nicht vergessen.«
»Der ist morgen, ich weiß es.«
»So wird wohl Eins müssen in die Kirchen gehen.«
»Meine gute Eh’wirthin,« sagte er, »bleib’ Du morgen daheim. Du siehst, es schneit, und über die Nacht kann’s den Weg verwehen.«
»Der Weg zum Himmel ist niemalen der schönste, muß man sich denken.«
»Kirchengehen macht nicht selig.«
»Aber Kirchenmeiden macht verdammt.«
»Ist wohl richtig. Nur auf das Haushüten muß man nicht vergessen.«
»Wenn Du daheim bist, mag Eins wohl ohne Sorg’ sein.«
»Ich bin morgen nicht daheim,« sagte er, »ich muß früh fort. Und weil ich nach Trawies hinein muß, so kann’s wohl sein, daß ich selber in die Mess’ gehe. – Ich denke, Weib, wenn ich in der Kirchen bin, so wird es genug sein.«
»So ist es mir auch recht.«
»Ich stelle die Uhr sicher. Wenn Du wach bist in der Nacht und Du Eins schlagen hörst, so wecke mich.«
»Wahnfred, was willst Du um Mitternacht?«
»Wenn es Eins schlägt, so wecke mich!«
Auf dem Rockenberge, gegenüber den wilden Wänden des Trasank, stand das Haus des Rocken-Paul. Vom Rocken-Paul weiß diese Geschichte zu erzählen, daß er einen bildschönen leblustigen Knecht hatte.
Schöne Leute verläßt Gott nicht! Das ist heute richtig und war damals richtig, und von Simon ist zu sagen, daß ihm seine Schönheit und Leblustigkeit – freilich nur einstweilen – den Hals gerettet hat.
Zur Winterszeit, wenn die Tage kurz und die Nächte lang sind, werden auf dem Rockenberge und auf allen anderen Bergen junge Männer übermüthig. Das Winterholz für den Herd ist in Scheitern aufgespeichert um das Haus herum, das wenige Korn ist aus den Ähren geschlagen, und so wird der Christmonat beschaulich und thut den Leuten nicht weh. Der Haushahn kräht wie sonst des Morgens zum dreschen wach; aber der Simon sagt zu sich selber: »Heute dresche ich das Stroh mit Menschenfleisch!« und strampelt auf dem Schaubbette lustig seine Beine aus.
Der Hahn schweigt. Da kräht endlich der Hunger. Wenn das ist, so wird der Simon im Gottesnamen aufstehen. Und husch läuft er in seiner Leinwandhose schon über den Hof und in die Küche, wo die Weibsleute – wie es vor Feiertagen der Brauch – mit Waschen und Scheuern und Greinen alle Hände und Mäuler voll zu thun haben.
Ja, da kommt er ihnen just recht, der Simon, daß er ihnen im Weg aufsteht! Fürs erste sieht er: das Frühstück ist noch nicht fertig; im Advent ist dreimal die Woche Fasttag. Hingegen wenn Weihnachten kommt, da ist Faßtag.
Er setzt sich auf den Herd, hält Schweinefett über das Feuer und fettet damit seine Stiefel ein.
»Schaden thät’s Dir nicht, Simon,« bemerkte von den Weibsleuten eine, »wenn Du Deine auswendigen Hosen einmal wolltest anziehen.«
»Zwischen dem Herdfeuer und den Weibsleuten ist’s ohnehin schön warm,« antwortete der Schalk.
»Soll etwan gar ein Bissel dämpfen? wart’!« ruft Eine und spritzt ihren Waschfetzen gegen ihn aus.
»Du, das wird Dir heimgezahlt!« lacht der Simon und flüchtet sich, aber nicht weiter, als bis in den Ofenwinkel.
Morgen ist der Barbaratag, da geht man in die Kirche. Nicht uneben, daß es ihm einfällt, weil Zeit dazu ist, so könnte er sich den Bart rasiren. Das nöthige Zeug dazu hat er bald zusammen. Nun bläst er die eingeseiften Backen auf und, um die Haut in ihre nöthige Spannung zu bringen, zerrt er den Mund bis ans Ohr hinüber; ein Auge drückt er zu, mit dem anderen lugt er zu den Weibsleuten hinüber und denkt: Laßt nur Zeit, Eine krieg’ ich! Den Schnurrbart läßt er stehen, denn wenn er zum Lisele kommt, das nagt bisweilen gern ein wenig daran. Die beiden Schöpfe unter den Ohren verbleiben auch, die geben ein rechtes Ansehen, sowohl nach der linken, als auch nach der rechten Seite hin. Nun frägt sich’s noch um das Schöpfchen am der Unterlippe. Manche haben es gern, Andere haben den Aberglauben, Männer mit solch einem Zwickelbart hätten keine »Schneid’«. In dem Falle! Er spannt die Unterlippe über die Zähne hinein und – schnucks! ist das Schöpflein weg.
»Bring mir Eine kaltes Wasser!« befiehlt nun der Simon. Und bald steht vor ihm ein Zuber voll frischen Brunnenwassers, in welchem noch die Eisstückchen schwimmen.
Er entkleidet sich den Oberkörper und windet das Hemd strickartig um die Hüfte, daß er anzusehen ist wie der »heilige Sanct Veit«, der solchergestalt n der Trawieser Kirche in einem Kessel sitzt.
»Was der Bursche für einen prächtige Brustkorb hat« – Ja ihr Weibsleute, solche Körbe flicht Gott der Herr!
Nun beugt sich der Simon und fährt mit dem Kopf mitten ins Wasser hinein. Jetzt hört und sieht er nichts, und wenn er sich wieder aufrichtet und das Wasser von seinen Lockenschlangen niederrieselt, wollen wir es nicht verrathen, was die Weibsleute mittlerweile gedacht haben, denn die Weibsleut’ auf dem Nockenberge und auf allen anderen Bergen denken bisweilen laut. Der Bursche packt sich hierauf an Nacken und Brust und wäscht und reibt mit aller Kraft, daß man bis zu den Scheuerinnen hin seine Athemstöße hört.
Ist das gethan, so schafft eine der Mägde das Wasser wieder davon, kann’s aber nicht lassen, mit dem Finger ein wenig hineinzustupfen.
Schier warm ist es jetzt. Was er für eine Hitze haben muß!
Der Simon fühlt sich neugeboren, wie Adam vor Zeiten, da er den Lehmstaub von sich abgeschüttelt hatte. Und wie er an die bewußte Rippe denkt, fällt ihm der Spaß des Trawieser Schulmeisters ein. Wenn, sagt der Schulmeister, Gott aus einer Rippe ein Weib machen kann, so ist jeder Mann für zwölf Weiber zur rechten Hand und für zwölf Weiber zur linken Hand geschaffen, denn er hat an jeder Seite so viel.
Das sagt der Trawieser Schulmeister, welcher schon der Einen, die er hat, ausweicht.
Und was sagt der Simon dazu? Na, der will einstweilen etwas essen.
Weil draußen unwirthlich Wetter ist und im Kachelofen die Scheiter so prächtig knistern, so setzen sich nach dem Essen der Rocken-Paul und der Knecht zum Kartenspiel. Für Jeden ist es leicht zu spielen und schwer zu gewinnen, den Jeder kennt die Karten von vorne und von hinten.
Es wäre ja doch eine Schande, wenn Einer seine besten Bekannten auf der Welt nicht auch von rückwärts erkennen sollte!
Sie spielen um Haselnüsse, welche sie dann am Abende gemeinsam mit den Weibsleuten aufknacken.
Das Weib des Rocken-Paul hat heute auch noch etwas Anderes zu thun. Es ist der Barbara-Abend. Da bricht man draußen am Wildkirschbaum ein Zweiglein und frischt es in der Stube ein. In der Christnacht werden an diesem Zweige schneeweiße Blüthen prangen. Was diese Blüthen bedeuten? Das Weib des Rocken-Paul weiß es wohl ...
»Wenn morgen die heilige Barbara ist,« meinte an diesem Tage nun der Rocken-Paul, »so muß wer in die Kirche gehen.«
»Es ist gar keine Freude, jetzt in die Kirchen zu gehen,« sagte die Hausfrau, »wenn ein solcher Mensch beim Altar steht.«
»Ich höre, es ist eine Rorate gezahlt für eine selige Sterbstund’.«
»Gehen will ich schon,« sagte der Simon, »aber anders, als wie in einer Hand den Rosenkranz und in der anderen den Schlagring, geh’ ich da zu Trawies nicht in die Kirchen.«
»Närrisch, wirst doch nicht raufen wollen!«
»Kommt er mir nur einmal unter die Hand! Der schreit mir nimmer!«
Sie wußten, wen er meinte und schwiegen still. Wen von ihm die Rede war, da konnte selbst der lustige Simon wild werden.
»Mir ist nicht zu trauen!« murmelte er und stand vom Tische auf, »in Glaubenssachen versteh’ ich keinen Spaß. Jetzt geh’ ich am vorigen Sonntag zu der Adventbeicht und bin nu’ schon das drittemal nicht losgesprochen. Kann er’s nicht, so soll er sich nicht hineinhocken. Da verstehe ich keinen Spaß. Mir ist nicht zu trauen!«
Am nächsten Morgen pochte der Paul mit der Weckstange an die Kammerthür des Knechtes. Es war noch früh vor Tags und der Simon hatte gerade einen unterhaltsamen Traum angefangen. Fast reute es ihn, daß er den Kirchgang zugesagt hatte, aber, dachte er, eine selige sterbstunde ist auch nicht zu verschmähen und drunten beim Schummel-Zenz-Häusel trink’ ich einen Schnaps. So sprang er aus dem Bette und zog sich flink an. Noch verzehrte er das warme Hafermus, welches für ihn bereitet worden war, und machte sich auf den Weg.
Schneegestöber flog ihm an die Wange, als er vor die Thüre trat, und der Weg war verschneit und verweht. Mit Mühe arbeitete er sich hinab zum Rockenbach; dem Wasser entlang unter den dichtästigen Bäumen ging es besser. Nach einer Weile roch er den prickelnden Rauch eines Kohlenmeilers. Es war der Meiler, welcher für die Zeugschmiede in Trawies die Kohlen lieferte. An der Kohlstatt stand das kleine Haus des Schummel-Zenz, der mit seiner Tochter die Köhlerei besorgte. Aus dem Fenster schimmerte Licht. »So ist der Zenz schon wach und ich trinke meinen Schnaps.«
Er trat in die Vorlauben und machte die Thüre auf. Weiche Wärme wehte ihm entgegen, im Stübchen brannte auch eine Ampel.
»Grüß’ Dich, Zenz!«
Aber der Zenz ist gar nicht da. Hingegen seine Tochter, die rothlockige Han, steht vor einem blanken Scheibchen und flicht einen Haarzopf. Ihr Nacken ist bloß, das weiße Hemd legt sich zart über die Achseln und über den jungen Busen.
Der Simon steht da und taucht sachte die Thür hinter sich zu. Sie wendet sich nicht nach ihm um, sie sieht’s im Scheibchen, wer hinter ihr steht. – Wenn sie nicht just vorhin an ihn gedacht hätte?
»Han!« sagte er, »so früh schon auf der Höh’?«
»Das ist gewiß. Früh aufstehen und früh freien thut Niemand reuen.«
»Das sag’ ich auch.«
»Was willst denn?« fragte sie, hatte aber noch immer keinen Blick für ihn.
»Dein Vater, wenn er da wäre. Einen Schluck Branntwein möcht ich haben.«
»Mein Vater ist schon fort in die Kirchen.«
»So thust Du allein haushüten, Han?«
»Freilich. Und der Simon will gewiß auch in die Kirchen gehen; da hat der Simon die höchste Zeit. Es hat der Hahn schon einmal gekräht.«
»Wenn das ist, bleibt’s noch drei Stunden finster. Und wie es jetzt unsicher ist in der Nacht. Han, ich lasse Dich nicht allein.«
»Bedank’ mich,« war die Antwort, »so ein Wächter möchte nicht viel anders sein, als wie wenn man den Fuchs an die Hühnersteigen wollte stellen.«
»Aha! wie Du’s gleich merkst! Um so besser, ist das lange Herumreden nicht vonnöthen. Heute bleibe ich da bei Dir, und was mir schon lange anliegt, das sage ich Dir. Früh freien thut nit reuen. Hast es selber gesagt.«
»Ist nur so ein Sprichwort.«
»Ist das meinige, Dirndl, Du mußt meine Liebste sein!« Er nahm ihr Köpfchen zwischen seine Hände.
»Du herziger Schatz, so schau’ mich an!« Sie schaute ihn an, den schönen, kecken, leblustigen Burschen.
»Schlenkere doch Deinen schneeigen Janker erst aus, Du ungeschickter Bub’, Du machst Eins ja über und über naß!«
»Hast Recht, den Janker brauche ich nicht am Leib.«
Er warf das Kleid von sich, daß im Sack die Haselnüsse knackten, die von gestern noch darin waren.
»Hast Nüssen bei Dir?« frägt sie.
»Kann wohl sein, Dirndl. Magst ihrer?«
»Bin ihnen gerade nicht feind.«
»Ist mir lieb.«
Er macht sich bequem, als wenn er daheim wäre.
»Ein Feiner thät’ erst fragen,« meint sie.
»Fragen?« sagt er.
»Ob er dableiben darf.«
»Auf die Feinen habt Ihr Weisleute kein Geschatz. Ich bin so: um das, was mein gehört, bitte ich nicht lange.«
»Ja, glaubst Du, daß dieses Stübel Dein gehört? Ha, da müßte ich lachen! Daß ich Dir’s recht sag’, Simon, wenn ich einen Burschen haben wollte, so wärest Du nicht der letzte – aber ich brauche keinen.«
»Dirndl, verred’s nicht! Verredetes (verschmähtes) Brot wird viel gegessen.«
»O, Närrlein! wenn ich Alle essen müßte, die ich mir schon verredet hab’! Da möchte mir wohl grausen.«
»Mehr als Einen möchte ich freilich nicht rathen. Aber Einer taugt. – Gelt, ich darf anzünden?«
Er brannte am Ofenfeuer seine Pfeife an und murmelte ins Rohr hinein: »Los spricht er mich so wie so nicht, geht’s nachher auf Eins.«
Der Hahn krähte das zweitemal.
»Wenn Du schon nicht fortgehen willst,« sagte die schöne Köhlerin, »so mußt mir, dieweilen in der Kirche Rorate ist, die Litanei beten helfen.«
»Ei, freilich, versteht sich. Beten, das gehört sich. Na versteht sich.«
»Bist gleichwohl durch und durch ein liederlicher Bursch’, so ist doch wenigstens Eins an Dir: daß Du ein guter Christ bist.«
»Schon gewiß auch noch! Nur möchte ich Dich fragen, Schatz, thun wir uns vor der Litanei gern haben oder nachher?«
Jetzt wendete sich die Han zu ihm und während sie noch die Arme hinter das Haupt erhob, um das Haar – das schwere, weiche, rothschimmernde Haar – zu binden, so daß die junge geschmeidige Gestalt in ganzer Schönheit vor ihm stand, sagte sie folgende Worte: »Mein lieber Simon! Dich hat heute kein guter Geist in das Stüberl geführt. Wenn Du jetzt gehst, so ist es noch früh genug. Jetzt bist dazu noch stark genug und jetzt wissen wir es nach alle zwei – daß es nicht sein darf. Schau, die Anderen sind in der Kirche und beten, und uns kunnt die Gnad’ Gottes verlassen. Jetzt, Simon, spielst noch mit Dir selber! Steht nicht lange an, so bist nimmer Herr über Dich. Und ist’s vorbei, nachher magst nit mehr in der Schummel-Zenz-Hütten zusprechen; wirst vom Rockenberg bis zur Kirchen hinaus allemal den Umweg über die Wildwiesen machen, weil Du ihr nimmer begegnen magst, Derselbigen, die Dich heut’ nit hätt’ fortgewiesen. Schon morgen, schon heut’ wenn die lichte Sonne scheint, thäte es Dich gereuen, Simon! Nach mir frage ich nicht und mir wird’s zum verderben sein, daß ich Dich allzu gern habe. Nur Deinetwegen ist’s, daß ich Dich jetzt recht schön bitte: Geh’ ib die Kirchen!«
O, Du unerfahrenes Herz! Öl ins Feuer waren Deine Worte – für ihn – für Dich. Er hört nur ihrer Stimme Klang. Der Reiz ihrer Gestalt entfacht von Augenblick zu Augenblick lebhafter das Feuer seines Auges – zuckend ausstrecken sich die Muskeln seiner Arme und plötzlich reißt er sie an seine Brust. Wie Wachs fließt sie hin vor der Gluth seiner Küsse.
Noch einen Moment zuvor, als das Auge ihr vergeht, sieht sie draußen einen Schein ans Fenster schlagen. »Der Meiler brennt!« sie kann es nicht mehr stammeln ....
Und im Meiler, der gebaut worden war aus kernigem und harzigem Gestämme des Waldes, ist das Feuer losgebrochen. Züngelnd, matt zuerst, blau wie ein Irrlicht, dann heller und lebendiger schlägt die Flamme aus der schwarzen Decke, immer weiter im Kreise rieselt die Hülle ein, immer weiter und tiefer wird der glühende Pfuhl und brüllend lodern die Flammen empor. Die umstehenden Stämme des Waldes sind roth, die Schneeflocken zittern wie Rosenblätter nieder und rasch aufwirbelt blauer Rauch mit den springenden Funken.
Das drittemal kräht der Hahn.
»Feuer!«
Der schöne Knecht des Rocken-Paul stürzt hinaus. Da sind schon zwei Männer aus dem Blockhause der Holzer vorhanden, den brennenden Meiler zu dämpfen, mit Schnee und Kohlenschutt das Feuer wieder in sein Innerstes zu verschließen.
»Eu Du! wer ist denn da aus der Hütten gesprungen?« schreit einer der Holzer.
»Saureiter will ich heißen, wenn das nicht Einer vom Rockenberg ist gewesen. Ist sicherlich der Alte nicht daheim und heut’ Nacht der Schelm da drinnen warm gesessen.«
»Nachher ist’s kein Wunder, daß der Meiler losbrennt.«
»Fangen wir ihn!«
»Es gilt!«
Sie liefen durch Dunkelheit, Wald und Schnee dem Fliehenden nach. Der Simon weiß es wohl, er ist keine Verantwortung schuldig, wenn er da drinnen bei der Köhlerin ein Weilchen rastet, aber wenn es nicht laut wird, um so besser. Jetzt – wie sehr zu seinem Glücke! stolperte er über einen niedergebrochenen Baumast, stürzte und die beiden Holzer erhaschen ihn. Mit brennendem Schwamm leuchten sie ihm ins Gesicht.
»Der Rocken-Paul-Knecht!« lachten sie, »hast Recht. Auf unser Stillsein kannst Dich verlassen.«
Sie ließen ihn stehen. Er schüttelt den Schnee aus seinen Falten, gewahrt dabei in der Tasche den Rosenkranz und sagt zu sich selber: »Na, den hast heute auch vonnöthen gehabt.«
Er ging dem Rockenberge zu; durch das Schneegestöber graute der Morgen. –
Wie ganz anders als am Rockenbache hat sich die Barbara-Rorate an der Trach vollzogen.
Aus den Thälern und von den Bergen sind zur nächtlichen Stunde die Kirchengeher herangekommen – die meisten sich den stundenlangen Pfad mühsam bahnend, der einige Minuten nach ihnen wieder verweht war. Um die alten, sausenden, krachenden Bäume tanzten die Wirbel des Schneestaubes, und auf freier Heide mußten die Leute sich mit Gewalt anstemmen gegen den Sturm und ihre Mäntel über das Gesicht werfen, um athmen zu können.
Mancher verlor in dem wirbelnden Grau die Richtung und irrte fluchend oder betend im Schnee umher und Viele haben am Morgen dieses Barbaratages gemeint, es wäre »ihr letztes Ende.«
Nun standen oder trippelten sie um die Kirche herum oder kauerten sich an die Mauer, und um die Ecken pfiff der Wind und von den Dächern flog der Schneestaub nieder und aus allen Winkeln tanzte er hervor.
Die Leute sahen aus wie wandelnde Schneemänner und auf den schneelosen Stellen des Erdbodens klangen ihre gefrorenen Stiefel.
Jeder, der huschend des Weges kam, hastete der Kirchenthüre zu und Jeder drückte vergeblich an der Klinke – sie gab nicht nach, die Kirche war verschlossen. Aus den schmalen hohen Fenstern schimmerte flackernd der rothe Schein des »ewigen Lichtes«.
Durch die Thurmfenster sauste der Sturm, so daß hörbar die Glocken schrillten.
Die Stunde der Rorate war schon da, die Leute wurden ungeduldig und schlugen dem Küster das Fenster ein, daß er aufwache.
»Verdammtes Volk da draußen!« rief dieser, »als ob ich nicht seit erstem Hahnenschrei schon wach wäre! Kann ich was dafür, daß der Herr die Kirchenschlüssel hat?«
»So hole sie Du alter Großnarr. Sind wir deswegen zur Barbara-Mess’, in Wind und Wetter dahergestiegen, daß wir hier vor der Kirchen sollten starr werden? Schau das Weibel da! ‘s ist schon gar nicht mehr bei sich selber, über und über erfroren; wir rennen Dir die Thür ein, Küster, wenn Du nicht aufmachst!«
Der Küster lief in den Pfarrhof.
»Was ist denn heute los und ledig?« Rief der Herr Franciscus in seinem Zimmer.
»Die Leute wollen in die Kirchen.«
»Was haben die Leut’ zur Nachtzeit in der Kirchen zu suchen?«
»Herr, es ist schon sechs.«
»Laßt mich in Ruh’ bei solchem Höllenwetter. Die Leute sollen heimgehen; es ist schon gut.«
»Möchte es ihnen wohl sagen, Herr, aber die Rorate ist bezahlt.«
»Gieb ihnen den Bettelpfennig zurück. Ich will mir nicht meine erst erlangte Gesundheit wieder untergraben.«
»Hört doch, sie schreien schon. Um Gotteswillen, Pfarrherr,« bat der Küster, »sie sind so weit hergekommen, sie halten was auf den Barbaratag, der Sterbestund wegen. Jesus Maria, da ist jetzt ein Stein vorbeigeflogen! Ich bitt’ Euch, Pfarrherr, steht auf, sonst kann’s was abgeben.«
So ist denn Herr Franciscus aufgestanden, und des Unwetters ungewohnt, fröstelnd hinabgegangen, die Rorate zu lesen.
Tief in den Mantel gehüllt, schritt er quer über den Kirchplatz gegen die an die Kirche gebaute Sacristei. Die Leute grüßten ihn kaum, sie murmelten nur, und Einer – im Finstern nicht erkannt, wer es war – sagte halblaut: »Die Trawieser Leut müssen wohl einen festen Glauben an die Priesterweihe haben, daß sie des Gottesdienstes wegen, den so einer hält, den weiten Weg machen.«
Endlich ging die Kirchenthüre knarrend auf und die Leute drängten hinein. Von den Sanköfen herüber waren sogar einige Bergknappen da. Das sind Leute, die im Jahr über nicht viel auf Kirchwegen gesehen werden; wenn sie einmal aus der Erde Nacht hervorkriechen, so wandeln sie lieber im freien Himmelslichte, wo das warme Leben lacht und winkt, als daß sie wieder zwischen düstere Mauern gingen. Nur die heilige Barbara ist ihnen hoch. Sie hält den Kelch in der Hand, den sich wohl Jedermann für seine letzte Stunde von ihr erbitten soll. Die Bergknappen unter dräuenden Massen und Wassern, unter schlagenden Wettern müssen nur zu oft fort aus dieser Welt, ohne des Kelches Wegzehrung zu erlangen. Daher ruft sie das Fest der heiligen Barbara aus ihren Werktagsgrüften und versammelt sie zum Gebete.
Der Küster zündete aus der glimmenden Ampel die Kerzen des Altars. Das vergoldete Crucifix vor dem Tabernakel schimmerte; des Weiteren vermochten die wenigen Lichter das Düstere des nächtlichen Gotteshauses nicht zu zerstreuen. Die Leute hatten in ihren Bänken Platz genommen und gar Mancher hatte zu thun, die vor Frost ersteiften Finger gelenkig zu machen, bis ihre Thätigkeit mit der Betschnur beginnen konnte.
Endlich schlug das Glöcklein an und aus der Sacristei trat ein Knabe im rothen Mäntlein und der Priester im Ornate. Die Sänger auf dem Chore stimmten den Lobgesang an, Dem, von dessen Herrlichkeit Erd und Himmel erfüllt ist. Der Priester stieg die Stufen des Altars hinan.
Noch war es vor Tags, wie es nach christlicher Sitte sein muß für die Rorate. Dieser Gottesdienst soll die lange Nacht versinnlichen, in welcher sich einst das Volk Jehova’s nach der Ankunft des Messias gesehnt hat.
Die Sänger begannen des Sang des Adventes: »Thauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab! – Menschen betet an im Staube, weh’ der Höll und ihrem Raube, weil der Heiland kommen soll. – Welterlöser, ach erfülle, was Dein Bot’ verkündet hat. Komm und bringe uns den Frieden!«
Der Priester trat an die linke Seite des Altars und verkündete das Evangelium: »Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste. Bereitet den Weg des Herrn. Schon stehet Der in Eurer Mitte, den Ihr nicht kennt. Dieser ist es, der nach mir kommen wird, der vor mir gewesen ist und dessen Fußriemen zu lösen ich nicht würdig bin. Wer wird bestehen, wenn er erscheint! Machet eben die Wege, denn nahe ist sein Reich.«
Die Gläubigen standen in Andacht da; doch Einer war unter ihnen, der dachte: »Unseliger Mann, das ist Deine eigene Grabrede gewesen.«
Die Handlung nahm ihren feierlichen Verlauf und die Sänger sprachen des Propheten Gesang: »Aus Isai’s Stamme wird ein Reis entsprossen, aufblühen aus dem Zweig einer Rose. Und Du, Bethlehem Ephrata! Zwar klein bist Du unter den Geschlechtern von Juda, aber aus Dir wird hervorgehen der Herrscher, der aus der Vorzeit, aus den Tagen der Ewigkeit kommt. Nach Gerechtigkeit wird er richten, entscheiden über die Unterdrückten des Landes. Den Frevler wird er tödten mit dem Hauch seiner Lippen und frohlocken werden die Bewohner von Zion.«
Die Sänger schwiegen, es nahte der heilige Augenblick. Der Priester kniete auf der Stufe und faltete die Hände und neigte das Haupt. Aller Stolz, aller Hohn und alle Härte schienen von ihm genommen zu sein, alles Irdische von ihm gewichen zu dieser Stunde, da er in Gebet und Demuth lag vor Dem, dessen welterlösendes Kreuzesopfer er nun begehen soll. Langsam erhob er sich und stieg im Geiste die Felsen des Berges Kalvari empor. Dort in der Dämmerung der Sonnenfinsternis ragt das Kreuz. Die Hammerschläge klingen. Der Priester beugt sein Knie und mit zitternden Händen hebt er die Hostie.
Die Versammlung liegt im Gebete. In diesem stillen Augenblicke denkt Jeder des Liebsten auf Erd’ – mag es das Gespons, mag es das Kind, mag er es selbst sein. – Draußen pfeift und winselt der Sturm und die Fenster klirren.
Der Priester hebt den Kelch; die Nerven der Hände eines wahren Priesters fühlen es, wie aus der heiligen Wunde Quell der warme Brunnen in das Gefäß rieselt. Er sieht des Gekreuzigten blasses Antlitz gen Himmel sich richten: Nun ist es vollbracht. Vater, nimm meine Seele!
Die Sänger fuhren fort: »Vom Himmel erschallt die Stimme wie das Rauschen vieler Wasser, wie das Rollen des Donners. Und es erschallt ein Getön wie Harfenklingen – sie singen ein neues Lied, das keines Menschen Ohr versteht. O, Du Lamm Gottes, das Du wegnimmst die Sünden!«
Der Priester schlug dreimal an seine Brust, brach dann das heilige Brot mitten entzwei und legte es auf seine Zunge. Hernach machte er über den Kelch das Zeichen des Kreuzes und trank daraus. Als das geschehen war und unter Gebet der Kelch gereinigt war, deckte er diesen zu in der Form einer Todtenbahre. Und die Sänger riefen im Chore:
»Selig sind die Todten, die im Herrn sterben. Ruhen sollen sie von ihrem Leide und ihre Thaten werden mit ihnen eingehen in die ewigen Ewigkeiten!«
Das Opfer war vollbracht. Der Priester wandte sich ans Volk, breitete die Hände aus und sprach: »Der Herr sei mit Euch!« Dann segnete er die Gemeinde, nahm in seine Hut das heilige Geräthe und verlies den Altar. Die Gemeinde stimmte noch den Gesang an: »O, sei gegrüßt, Maria, Du lichter Morgenstern!« – Da gellte am Thor der Sacristei ein gräßlicher Schrei, zurücktaumelt der Priester, und hinstürzt er krachend auf die Stufen des Altars.
Alles springt auf; schrill abgerissen ist der Gesang. Mehrere huschen lautlos dem Ausgange zu. Andere eilen gegen den Altar und erheben ein Jammergeschrei, daß die Wände hallen. Sie drängen sich hin mit Schieben und Stoßen. Eines zwischen das Andere – und prallen zurück – mit verhaltenem Antlitze stöhnend zurück.
»Was um Jesu Willen, ist da geschehen?«
»Erschlagen!«
»Erschlagen! Erschlagen!«
»Das Blut rinnt zu unseren Füßen! Heiliger Gott!«
Hingestreckt vor dem Altar, an welchem noch die Opferkerzen brennen, liegt er. An den untersten Quadern zerschmettert das Haupt, das gespaltene, über die Stufen hingestreckt die Hand, welche krampfig den Kelch noch umklammert. Abgeworfen an der Pforte der Sacristei liegen Baret und Stola und aus dem engen Thore starrt Finsterniß.
»Wer!« riefen grelle Stimmen aus angstbeklommenen Gurgeln.
»Wer birgt sich drinnen da?« Sie drangen in die Sacristei.
Und stetig entrieselte das Blut der gräßlichen Wunde, die Niemand konnte sehen, ohne aufzuschreien vor Entsetzen.
Keiner wagte den Todten zu berühren, das Schreien erstarb, Viele stumm vor Schreck, bewußtlos fast taumelten sie aus der Kirche. Auf dem Thurme gellten die Glocken – sie läuteten Sturm; um die Wände und Bäume brausten die Winde – sie bliesen Sturm.
So ging in Trawies dieser Morgen an.
Auf allem Wegen liefen Leute um. Rasch, als ob es der Wintersturm hinausgeschleudert hätte in die Gegend, wurde es in allen Häusern laut: Der Pfarrherr ist erschlagen! –
Der Feuerwart saß in seiner Kammer allein, sein Angesicht war fahl wie die Wand des Ofens, sein Haupt war weit vorgebeugt – gedankenschwer.
Da ging die Thür auf und mit ernsten Mienen traten herein der Bart vom Tärn, Uli der Köhler, der Firner-Hans, der Waldhüter und Andere.
»Feuerwart,« sagte der Bart vom Tärn, »Du wirst wissen, warum wir da sind. Wir haben zu berathen, was jetzund weiter zu thun ist.«
Der Feuerwart nickte schwer mit dem Haupte und murmelte: »Es ist zu plötzlich gekommen.«
»Weiß man, wer?« fragte der Waldhüter.
»Das weiß man.«
»Wo weilt er?«
»Er ist in Sicherheit,« sagte der Feuerwart, »aber nur für heute. Für morgen nicht mehr.«
»Männer,« sagte der Bart vom Tärn und sah sie an nach der Reihe, »den heutigen Tag haben wir gemacht, wir Alle. Wir stehen für ihn ein!«
»Wir stehen für ihn ein.«
»Heute sind wir die Freien von Trawies. Nun heißt es mit Kopf und Faust auf der Wacht sein, daß uns die Schläge nicht treffen.«
»Kommt,« sagte der Feuerwart und wies sie mit der Hand von sich, »kommt am Nachmittage wieder, Ihr Männer von Trawies; jetzt geht, mir zittert das Mark in den Knochen, ‘s ist allzu plötzlich geschehen.«-
Das Wirthshaus konnte heute die Gäste nicht fassen. Alles was wissend war, kam, um zu erzählen und Alles, was nicht wissend war, kam, um zu hören und zu schaudern.
Mit einer Holzaxt den Kopf gespalten! Sie beklagten den »guten, braven Herrn«, und jene, die sonst am lautesten über ihn geflucht hatten, klagten am lautesten. Wer es gethan hat? Die Kirche und die Sacristei ist durchsucht und Niemand gefunden worden. Er ist entwischt. Ein Raubmörder? Nein. Ein Heimischer muß es sein, der Herr hat Feinde gehabt. Vielleicht sitzt der Mörder hier im Wirthshaus mitten unter uns und trinkt, und läßt sich erzählen, wie es gewesen ist.
»Man müßte ihn hängen!« riefen Mehrere.
»Köpfen, rädern, steinigen!« schrien Andere.
»Man müßte ihn auf den hintersten Trasank hinaufjagen, daß ihn die Häscher nicht finden,« meinte ein Einzelner. Da stutzten die Anderen. Männer waren darunter, die saßen schweigend da und Mancher seufzte in sich hinein: »Wenn diese Tage erst vorbei wären!« Was dann wird?! –
Mittlerweile waren an den Stufen des Altars die Kerzen niedergebrannt und verloschen.
Der Schulmeister lag vor Schreck fast ohnmächtig in seiner Stube. Das Fenster, welches gegen die Kirche ging, hatte er sich mit Leinwand zweifach verhüllen lassen. Der Küster war in allen Weiten und erzählte die Schreckensthat in den Häusern, und war ganz außer sich, und ging trotz des tiefen Schnees wie auf Flügeln, und klagte allerwärts: »Er war so gut!« und tröstete sich und Andere: »Aber vielleicht kriegen wir jetzund einen noch Besseren.«
Um die Mittagszeit kamen die Knechte des Feuerwart und trugen den Todten in den Pfarrhof, um ihn dort aufzubahren. Sie kamen ins Wirthshaus und gestanden, daß alle Beine gebrochen werden müßten, wenn man ihn so aufbahren wolle, wie andere Leute. Er sei ganz erstarrt. Ob man glaube, daß sie »brechen« dürften.
Da gab Einer den Bescheid: »Wollt’ Euch’s nicht rathen! Beinbrechen ist criminalistisch!«
»Heißt das, wenn man verklagt wird,« warf ein Anderer ein, »aber der Herr Franciscus, und das ist das Beste an ihm, verklagt Keinen mehr.«
Keinen mehr!
Endlich am Nachmittage, da es schon zu dunkeln anhub und sich die Leute in ihre Häuser zurückzogen, um in denselben einer Gespensternacht entgegen zu bangen, versammelten sich die Ältesten von Trawies in der Oberstube des Feuerwart um einen Eichentisch, auf dem zwei Kerzen brannten.
»Das Allererste ist,« hub Gallo Weißbucher, der Feuerwart an, »daß wir seinen Leib in die Erde schaffen. Ich habe ihn zur Bahre legen lassen und meine Knechte sind jetzt auf dem Gottesacker und bereiten das Grab. es wird wohl Jeder mit mir einverstanden sein, wenn ich sage, der Herr muß in christlichen Ehren bestattet werden.«
»So sage ich auch,« versetzte der Bart vom Tärn, »je eher, desto besser, bevor sich das Gerede noch über die Haide hinauszieht; kommen die Fremden, dann sind wir nicht mehr Herr im Haus. Warten, ob er etwan wieder munter wird, das ist bei dem nicht vonnöthen, so ist meine Antwort, daß wir ihn morgen früh in die Erde thun.«
»Daß die Eile nur nicht auffallend ist!« meinte der Firner-Hans.
»Sollten wir darüber einmal wortangelassen werden, so sagen wir, was wahr ist: Die Leute wären in einen Aufruhr gerathen, Jeder hätte die schreckliche Wunde sehen wollen und sie haben vor Erregtheit nicht gewußt, was sie thun, und ist das Trawieser Dörfel nicht mehr sicher gewesen. Wem liegt es an, als uns, daß wir Ordnung halten!« so sprach Uli der Köhler.
»Es ist ganz schreckbar,« seufzte der Feuerwart, »solcher Gestalt! am Altar, vor aller Leut’ Augen. Ungeschickter hätte er es nimmer machen können. Wir werden arg zu thun haben, meine lieben Männer, daß wir uns aus der Patsche schleifen!«
Ob mehrere Trawieser Leute eine Ahnung hätten, was dahintersteckt? wurde gefragt.
»Auf unserem Johannesberg droben,« berichtete der Firner-Hans, »heißt’s allerwege, ein Raubmörder aus dem Ritscherwald herüber habe es gethan. Dem sei um das Silbergeräthe zu thun gewesen und er habe während der Rorate in der finsteren Sacristei die Laden durchsucht, sei dann nach der Messe vom Pfarrherrn überrascht worden. Er hätte dem Herrn noch den vergoldeten Kelch wollen aus der Hand reißen; der Herr Franciscus wollt’s aufnehmen mit dem Wicht, sollen miteinander noch Eins gerungen haben, und da habe ihm dieser mit einem Hieb den Kopf auseinandergehauen. Der Mörder habe hierauf eilends fliehen und seinen Raub zurücklassen müssen. Am Vormittage darauf soll er noch im hinteren Trasankthale gesehen worden sein, mit der blutigen Axt.«
So berichtete der Firner-Hans und setzte noch bei: »Ich habe allen Leuten, mit denen heute davon die Rede war – und es spricht kein Mensch was Anderes, als vom Morde – gesagt, es könne wohl nicht anders sein, aber des Verbrechers dürfte bei so unsicheren Zeiten schwer habhaft zu werden sein.«
»Daß es so steht,« versetzte der Feuerwart, »das ist mir recht lieb.«
»Und,« meinte der Waldhüter, »der Mensch kann um Mitternacht in die Sacristei gestiegen sein – die Sturmnacht ist ihm gut zustatten gekommen – und – was ich übernehme – ein ausgehobenes Fenstergitter mag sich morgen, wenn man die Sache erst untersuchen wird, leicht finden lassen. – Wir sind hernach ledig.«
Jetzt fuhr sich der Bauer vom Tropperhof mit seiner rauhrindigen Hand über das Gesicht und that, als ob er reden wollte.
»Weißt Du auch was, Tropper?« fragte der Feuerwart.
»Was ich gehört habe,« sagte nun der Aufgeforderte, »und was mein Knecht, der Nantel, heimgesagt hat, thäten die Leute doch so ihre Köpfe zusammenstecken; man wisse nicht, den guten Herrn Franciscus könne auch ein braver Mann aus der Trawieser Pfarr’ in den Himmel geschickt haben.«
»Auf der Wildwiesen ist dasselbe Gerede.«
»Bei der Kofelarztin, wo ich heute wegen eine kranken Kuh war,« berichtete ein Anderer, »und wo allerhand Leute zusammenkommen, habe ich auch so etwas gehört.«
»Das ist schlimm,« murmelten sie, »das ist schlimm!«
»Mich nimmt das nicht Wunder,« sprach der Bart vom Tärn.
»Es wird doch Keiner unter uns ein Spitzbub’ sein gewesen!«
»Davon keine Rede,« sagte der Feuerwart, »was das Mundhalten anbelangt, da getraue ich mir meine Seele für Jeden einzusetzen.«
»Aber,« setzte der Bart vom Tärn bei, »was uns eingefallen ist, kann auch Anderen eingefallen sein, zu Trawies ist ein solcher Gedanke, bei meiner Treu, doch nichts Unmögliches. So gut als wir Bauern, könnten sich die Holzer am Rockenbach verschworen haben, oder die Leute im Tärn, oder auch die Knappen aus den Sanköfen. Denken mögen sich’s Viele, das glaube ich, aber Name darf keiner genannt werden, sonst sind wir verloren. Zum Glücke, daß der große Schnee die Löcher in die Trawies vermauert hat, sonst hätten wir die Herren von Neubruck und Oberkloster und weiß Gott von wo her schon morgen am Halse.«
»Dem sei Gott vor. Erst muß der Todte unter die Decke, muß den Leuten das Maul gestopft sein, müssen wir die weitere Verwaltung von Trawies geordnet und unseren Stand gegen die Herren beschlossen, müssen den Schreiner in Sicherheit gebracht haben. Dann mögen sie kommen, wir wollen uns vor ihnen nicht fürchten.«
»Die Verwaltung von Trawies?«
»Aus Einheimischen und Hausgesessenen wird der Rath gewählt, wie es vor Zeiten war,« sagte der Feuerwart und legte seine Hand auf ein graues Blatt von Pergament. »Dieser Rath ist der Herr und das Gericht im Hause und im Walde, in der Kirche und in der Schule und in allen Gemeindesachen. An Steuern und Gaben den zehnten Theil führen wir, wie es Gottes Willen ist, ehrlich an die hohe Obrigkeit ab. Und von den streitbaren Männern jeder Siebente, den das Los trifft, wird willig dem Land zu Schutz und Wehr sich stellen, oder allzeit zu finden sein. Von den Weltpriestern des Bisthums, den Caplänen wählen wir nach altem Recht zwölf; aus diesen zwölfen Einen wird der Erzbischof uns zum Seelsorger bestimmen. So ist das alte Trawieser Gesetz gewesen und so wollen wir es wieder aufrichten.«
Sie sprachen noch, als die Stiege herauf ein Gepolter vernehmbar wurde. Fast gleichzeitig ging die Thüre auf. Der Gerichtsbote und zwei Mann der Landwache traten ein. Einige der Männer richteten sich mit Befremdung auf, die anderen blieben scheinbar gelassen sitzen, und blickten ernst den Eintretenden entgegen.
»Wir bitten um Verzeihung,« sagte der Gerichtsbote und wendete sich gegen den Feuerwart. »Ihr seid, besinne ich mich gut, der Gallo Weißbucher? Wir kommen eilig aus Neubruck.«
»Habt Ihr etwas auszurichten?« fragte der Feuerwart.
Der Bote blickte ihn erstaunt an.
»Des Mordes wegen!« sagte er.
»Ah, des Raubmordes wegen,« fiel der Bart vom Tärn ein, »ja gut, daß Ihr da seid. Ganz Trawies ist aus Rand und Band. Wir sind, wie Ihr seht, eben beisammen, um zu berathen, was vor Allem zu geschehen hat. Schier haben wir selbst den Kopf verloren. Ein solches Unheil, Herr Gerichtsbot’!«
»Zuvörderst hat gar nichts zu geschehen, als das Protokoll aufzunehmen,« sagte der Bote im gemessenen Amtstone, sich in seiner wichtigen Mission weidlich streckend, »im Namen des Gerichtes seid Ihr aufgefordert, hierin nach heiligem Wissen und Gewissen unseres Dienstes zu sein. Wir verfügen uns sofort an den Ort der That.«
Die Männer standen auf. Der Feuerwart blies die eine Kerze aus, mit der anderen leuchtete er die Treppe hinab. Seine Züge waren fast entstellt. Mehrere stahlen sich davon. Von diesen bemerkte einer: »Hockt uns richtig schon im Nest!«
»Wer?«
»Der Teufel.«
»Du meinst des Gerichtsboten wegen. Der schreckt mich aber gar nicht. Wenn es die Herren zu Neubruck nicht einmal der Mühe werth halten, daß von ihnen Einer selbst kommt, sondern sie nur den Boten schicken, das Protokoll aufzunehmen, nachher denke Dir’s, wie groß ihnen die Sache stehen mag.«
»Du trau’ nicht! Bedenk’ den wilden Schneehaufen jetzt. Wenn Du der Landvogt bist draußen zu Neubruck und es heißt: den Trawieser Pfarrherrn hätten sie heut’ erschlagen, ich stell’ mich auf die Wag’, daß Du Dir denkst: Bei so einem Höllengestöber jagt man keinen Hund nach Trawies. Ich werde nachschauen, bis der Weg fahrbar ist. Einstweilen schicke ich den Boten voraus. Verlaß Dich d’rauf, er kommt noch selber.«
»Nachher geht’s uns nicht gut.«
Der Bart vom Tärn, der Firner-Hans und der Feuerwart gingen mit den Gerichtspersonen gegen das Dörfchen hinab und zur Kirche hinan.
Der Gerichtsbote blickte suchend um sich und fragte endlich:
»Wo ist er denn, der Todte?«
»Den haben wir ja in den Pfarrhof getragen, daß er zu einer würdigen Aufbahrung gekommen ist.«
»Wer hat Euch gesagt, daß Ihr den Todten solltet von der Stelle tragen?« fuhr der Bote scharf drein.
»Gesagt?« entgegnete der Feuerwart, »so viel wird Einer doch selber verstehn, daß er da nicht liegen bleiben kann.«
»Schon so alt, Weißbucher, und immer noch nicht wissen, daß man an einem Thatort nicht ein Tüpfel ändern darf, bevor die gerichtliche Untersuchung stattgefunden hat!«
»Das mag wohl ein Gerichtsbot’ wissen,« redete der Firner-Hans drein, »Einer der gleich überall dabei sein muß, wie der Rab’ beim Aas. Wir Waldleute können es nicht so genau wissen, was der Brauch ist, wenn Einer abgeschlachtet wird –«
»Das verbiet’ ich mir, Du Malefiz-Mensch! Wo ich jetzt steh, da stehe ich im Namen des hohen Gerichtes!«
»Nein, thut Euch nicht erhitzen, Männer,« beschwichtigte der Bart vom Tärn. »Ihr habt manches Schöppel getrunken zu Trawies, das Euch nicht in den Beutel gezwickt hat. Bot’, so werdet es uns auch nicht so streng aufmessen, wenn wir in unserer Unwissenheit as Unrechtes gethan haben. Ihr hättet es sehen sollen, wie schreckbar er dagelegen ist, Herr Jesus, den Graus vergeß ich meiner Tage nicht! Die Leute, die ihn gesehen haben, sind schier wahnsinnig worden und haben geschrien nach einer christlichen Bahre.«
»Die Kirche hätte in den ersten Stunden geschlossen werden sollen,« belehrte der Gerichtsbote, da sie das Gotteshaus verließen, »mit dem Beten ist’s in diesen Mauern nun wohl doch für alle Zeit vorbei, – Was machen denn die Leute dort am Rain?«
»Das Grab machen sie,« antwortete der Feuerwart.
»Für wen?«
»Nu eben für –« er wies mit dem Daumen gegen den Pfarrhof.
Der Bote blieb stehen und sagte: »Liebe Leute, wenn Ihr in Allem so eigenmächtig handelt, dann haben die Klagen Eures Pfarrherrn einen guten Grund gehabt. Nicht ein todtgeborenes Kind dürfet Ihr selbstmächtig begraben. Und erst ein solcher Fall! Ich hafte dafür und Ihr haftet dafür, daß von diesem Augenblicke an dem Todten nicht ein Haarfaden angerührt werden! Voreh muß Vieles geschehen, ich sage Euch: Der kommt vor Wochen und Tagen nicht in die Erden!«
Schweigend schritten sie die finstere Treppe hinan zur Wohnung des Pfarrherrn. Aus der offenen Thür leuchtete der Schein vieler Kerzen. Dieselben umstanden ein Gerüste, auf welchem ein Körper lag, der mit einem grauen Tuche ganz bedeckt war. Nur zu Füßen ragten die Stiefelspitzen hervor; zu Häupten stand, fast bis an die Decke der Stube ragend, ein großes Kreuzbild.
Betschemel waren vorgerückt, aber kein Beter war da, das ganze Haus war leer und kalt. Keiner der Männer von Trawies schritt vor, um den Todten zu enthüllen. Der Gerichtsbote selbst mußte es thun, schrak aber mit dem Rufe: »Jesus Maria!« heftig zurück. Selbst die beiden Landwächter waren blaß geworden.
»Für uns ist da jetzund nicht zu thun,« sagte nach einer Pause der Gerichtsbote, »löscht die Lichter aus, verschließt das Zimmer und das Haus.«
Das Gestöber hatte sich erschöpft, ein kalter Sternenhimmel mit dem aufsteigenden Monde stand über der weißen Berglandschaft. Der Gerichtsbote in Begleitung der Wachen schritt an der Trach dahin. Es begann die Fahnde nach dem Verbrecher.
Ein heiterer Wintermorgen voll Blinken und voll Glitzern. In der Farbe der freudenreichen Unschuld liegt des Winters lilienreiner Mantel über den Bergen, die in das Blau der Himmelsglocke ragen. Die Mauern von Trawies, die sonst hell im Grünen schimmerten, stehen jetzt wie graue Würfel im lichten Schnee. Aber das Auge des Erzählers kann sich nicht freuen an diesem Glanze, es ist verschleiert von dem Schatten der unseligen Nacht; im Geiste sieht es das Verhängniß, welches mit geschäftigen Fingern aus dieser Nacht zarte, dunkle Fäden spinnt. Durch das Meer des Lichtes ziehen diese Fäden von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte, ja von Baum zu Baum und von Stein zu Stein, und verschlingen und verweben sich zu immer dichteren Schleiern, bis sie die Sonne verdecken und die Zukunft, welcher auch zu Trawies jedes junge Herz entgegenlachen will, mit schwarzem Flor verhüllen.
Nur wenige dieser Fäden spannen sich gleich anfangs so stramm, daß sie reißen und ein geangeltes Menschenkind wieder frei wird. – Doch an solchem Tage der Unruhe und des inneren Aufruhrs ist keine Zeit für Betrachtungen. Seht die Rotte, die dort aus dem Wirthshause strömt! Der kleine Baumhackel ist in der Klemme, der kleine Baumhackel mit seinen großen Kinnbacken und seinem kegelspitzen Haupte, der kleine Ausbund von Verschlagenheit und Bosheit, der Faun von Trawies mit den kurzen Beinen und den langen Fingern, der behende Zwerg mit den Schafsaugen, mit den Hasenfüßen und mit dem Fuchsschweif, dem so viele Sünden auf der gelben Stirne geschrieben stehen, als Platz haben, und dem nirgends beizukommen gewesen – dieser kleine Baumhackel war jetzt in der Klemme.
Gestern, bis spät in die Nachtstunde hinein, war er im Wirthshause gesessen und hatte mit den Anderen spintisirt über den Mord in der Kirche.
Die Nacht hatte er in der Wirthsstube unter der Ofenbank verschlafen, weil auf derselben ein Anderer lag, den auch das Heimgehen verdrossen hatte. Heute Früh, da sich die Stube wieder füllte, begann das Spintisiren neuerdings. Der kleine Baumhackel war der Lauteste dabei. – Den – den Mörder nämlich – wenn er, der kleine Baumhackel – erwischen thät’! »Aufhängen! Bei den Füßen auf den Kirchthurm hängen! Aus der Haut Riemen schneiden, für den neuen Pfarrherrn Schuhriemen! – Gehört ihm nichts Anderes! Geht her und haut Einem den Kopf auseinander! So ein Pölli! Möcht’ wissen, wie ihm so was selber thät’ taugen! Und noch dazu an dem heiligen Ort, daß uns die ganz’ Kirchen verschandirt ist jetzunter! Erzschurk’, vermaledeiter!«
Auf solche Entrüstung hinkte der Stoß-Nickel zu Baumhackel’s Tisch herbei. Der Stoß-Nickel, Holzriesner aus dem Tärn, war schon seit lange nicht der beste Freund des Baumhackel, sie hatten kein »gerades Zusammensehen«; nicht just, weil der Eine so lächerlich klein war, und der Andere so heidenmäßig lang, als vielmehr, weil sich der kleine Baumhackel einmal um die Holzriesenarbeit im Tärn beworben hatte. Er hat die Arbeit nicht bekommen, aber hätte er sie bekommen, so wäre der Stoß-Nickel mit seinen Weibern brotlos geworden.
Dieser heidenmäßig lange Holzriesner – ein rollender Baumstamm hatte ihm den Fuß abgeschlagen – hinkte nun zum kleinen Baumhackel, stützte den Ellbogen auf die Tischecke und sagte so leise, daß es wie eine gütige Anrede aussah, und so laut, daß es alle Umsitzenden hören konnten: »Thu’ mir’s sagen, Baumhackel, wo bist Du denn gestern früh Morgens gewesen?«
»Ich? Gestern früh Morgens?« entgegnete der Kleine und machte ein krummes Auge, »kümmert’s Dich was? Ein ordentlicher Mensch wird wohl in der Kirchen gewesen sein.«
»Hast schon Recht,« hierauf der Lange, »wenn’s nur im Evangeli stünde, daß Du ein ordentlicher Mensch bist!«
Darauf lachten die Leute. Der kleine Baumhackel jedoch blieb ernsthaft, machte einen langen Hals gegen den Langen und sagte: »Wie weißt denn Du das, Stoß-Nickel, daß es nicht im Evangelibuch steht? Du hast Dein Lebtag nicht hineingeschaut.«
»Da braucht man auch nur Dich anzuschaun, und das habe ich gestern ums Sonnenaufgehen, wie wir uns draußen bei der Trachbrucken begegnet sind. Und da muß ich wohl sagen: Wenn Du so andächtig den Rosenkranz gerieben hast, daß dabei Deine Finger sind blutig worden, so mußt Du schon ein höllisch frommer Christ sein.«
Wie die Umsitzenden und Umstehenden bisher über den Wortwechsel gelacht haben, so wurden sie plötzlich still.
Dem Baumhackel quollen die Augen hervor; er machte eine Geste, daß man seine beiden Hände sehen konnte und versetzte dem Stoß-Nickel: »Brauchtest über das Rosenkranzbeten just nicht so zu spötteln.«
»Ja, heute hast sie freilich gewaschen, Deine Klauen,« sagte der Nickel, »aber die Hirschlederne hast heute nicht an, und ich will nicht selig werden, wenn auf der nicht heute noch die rothen Flecken sind, die ich gestern ums Sonnenaufgehen so schön gesehen habe.«
Das war genug, die Leute drängten sich lauernd um den kleinen Baumhackel; dieser wurde todtenblaß bis über die Lippen – und das war mehr als genug.
In den nächsten Minuten schon war es ausgeschrien im Dörfchen: »Der kleine Baumhackel hat ihn umgebracht!«
Es war unglaublich, und die besonneneren Männer, der Feuerwart darunter, beruhigten die Leute und suchten sie zu überzeugen, daß dem kleinen Flänk so was nie und nimmer zuzutrauen sei. Aber die alten Weiber: »Geht’s weg! Dem schaut so was gerade gleich! Dem habe ich schon lange nicht ‘traut, das ist ein Schlechtling, das! Wie man nur nicht gleich auf den gekommen ist! Gar keine Frag’, kein Anderer hat’s gethan, wie der! Und schilt voreh selber noch über den Mörder wie ein gerupfter Spatz, dieweilen der Lump in seiner eigenen Haut steckt. Du elendlicher Spitzbub’, Du!«
Als nun der Faun von Trawies inne wurde, hier drehe sich etwas Unbehagliches um seinen bluteigenen Hals, da goß er rasch den Rest von seinem Kruge durch diesen Hals, stieß den Krug auf den Tisch, daß es schrillte, sprang hart vor die Nase des Stoß-Nickel und schrie:
»Verdächtigen willst mich, Du Wicht, Du Nichtsnutziger! Wo hast an mir Blut gesehen? leicht ist Dir die Prügelsuppen von Deinen hungrigen Weibern noch im Aug’ gewesen. Weil Du Deine Erste zu früh todtgeprügelt hast, so reitet Dir der Teufel jetzt zwei auf einmal zu. Dein Heidenleben ist es gewesen, Du Wildbock, das den Pfarrherrn so gegen die Trawieser Leut’ aufgebracht hat, und Deine Red’ ist es gewesen! weißt Du, am Sonnwendtag da beim Bach unten – Deine Red’, wie Du gesagt hast: Den da oben – gegen das gemauerte Haus ist Dein Deuten gewesen, man hat sich leicht mögen denken, wen Du gemeint hast – Den da oben sollt’ Einer in der Still’ wegputzen, hätt’ die Narrheit ein End’. – Hast es nicht gesagt, Stoß-Nickel? Leugne es, wenn Du kannst! – Und einen Andern willst einreiten! ‘leicht hast es Du gethan! – Na, spring her, spring her! Will Dir’s nur weisen, daß ich es so gut von Dir kunnt ausschreien, als wie Du von mir. Thu’s aber nicht, weil ich gleich wohl weiß, daß Du mir ums Sonnaufgehen, wie ich von der Kirche heimgeh’, weit draußen bei der Trachbrucken begegnet bist. Bedenk’s Dir, Nickel, ich bin dein einziger Zeuge, daß Du selb’ Stund’ vom Tärnwald bist hergegangen! Bedenk’s Holzriesner, und sei still!«
Dem kleinen Baumhackel, der sich das Gesicht krebsroth und die Kehle heiser geschrien hatte, wurde bedeutet, still zu sein. Daneben standen die Landwächter, fingen jetzt seine Arme und legten ihm ein Eisenschloß an die Hände.
So bewegte sich der Auftritt ins Freie und der kleine Baumhackel schrie und beschwor Himmel und Hölle, daß sie ihm zu Hilfe kämen und seine Unschuld bezeugten. Aber es war, als ob die Häscher gar keine Ohren hätten, hingegen um so stärkere Arme und Ellbogen. Endlich wurde der kleine in einem Kellergewölbe des Pfarrhofs aufbewahrt, bis am Nachmittage vom Baumhackel-Häuschen am Gestade die Untersuchungsmänner zurückkamen und die Bestätigung brachten: an der Hirschhauthose des Baumhackel seien wirkliche Blutspuren zu sehen. »Jetzt hilft Dir nichts mehr.« blinzelte der Sandhock dem Kleinen zu, als dieser zum weiteren Verhöre ins Wirtshaus gezerrt wurde, welches heute so voll war, daß die Leute auf Bänken und Tischen stehen mußten.
»Man möchte dem kleinen Kerl so was gar nicht zutrauen!«
»Der Große ist gut weg.«
»Und der Kleine wird auch gut weg sein. Ist kein Schade.«
So flüsterten die Leute.
Etliche waren zugegen, die hätten reden können, aber denen war der Mund versiegelt. Der Waldhüter empfand dieses Siegel am peinlichsten. Jetzt schwieg er noch, aber, dess’ war er entschlossen, ehevor er den eigenen Bruder hängen läßt ...
Mittlerweile war aus Neubruck auch ein Gerichtsbeamter angekommen, der redete dem nun allverzagten Baumhackel ganz gütig zu, er möge auf die Fragen kurz und wahr antworten und alles offen gestehen, das sei der beste und kürzeste Weg –
»Zum Galgen!« rief Einer am Ofentische.
Nicht an sein irdisches Los möge der Angeklagte jetzt denken; jedes Menschen Leben stehe in Gottes Hand; aber jener Welt möge er sich erinnern, wo nur der wahrhaft reumüthige Bekenner Erbarmen und Gnade hoffen könne.
Der kleine Baumhackel barg sein Gesicht in den Winkel seines Ellbogens und weinte.
Fürs Erste möge er sagen, wo er das Werkzeug habe. Mit einer Hacke sei es geschehen.
Hacke hätte er gar keine gehabt, schluchzte der Kleine, nur ein Messer.
Wo das Messer wäre?
Das wäre noch oben in Freiwild’s Sommerstadl. Aber an dem Pfarrermord sei er unschuldig, so wahr die heilige Dreifaltigkeit im Himmel säße. Wenn er schon sagen müsse, woher das Blut rühre: dem Freiwild auf der Höhe habe er in der Sturmnacht einen feisten Schöps aus dem Stalle geführt und im Sommerstadl geschlachtet.
»Was redet er von mir?« stand fragend am Nebentisch ein rothbärtiger Mann auf. Der Freiwild war’s, der Bauer auf der Höhe.
»Er sagt aus, daß das Blut von einem Schöps herrühre, den er dem Freiwild aus dem Stalle geführt habe. Ist das wahr?«
»Aus meinem Stall – einen Schöpsen?« rief der Rothbärtige, »so schaut’s aus! – – meine lieben Herren, da kann ich heute gar nichts sagen, mir ist kein Schöps aus dem Stalle gekommen.«
»Lügenmaul, Du!« fuhr der kleine Baumhackel auf, »oder bist Du so reich, daß Du es nicht merkst, wenn Dir Schafe gestohlen werden? Ist gut für Dich und für mich.«
»Da müßt’ ich erst nachschauen,« versetzte der Freiwild mit aller Ruhe, »heute kann ich gar nichts sagen.«
Das Verhör mußte geschlossen werden. Der Baumhackel wurde in sein Gewölbe zurückgeführt, das für einen einfachen Schafdieb schier etwas zu finster und zu frostig war. Der Freiwild auf der Höhe, der so wohlhabend war, daß er nicht einmal seine Schafherde zählte, gewann bei Vielen außerordentlich an Respect. Andere jedoch meinten, der ganze Schafdiebstahl sei nichts als eine windige Ausflucht vom Baumhackel, der lieber sitzt als hängt.
Als der Freiwild seines Weges ging, eilte ihm der Sandhock nach und sagte: »Schau, Freiwild, dem armen Teufel könntest Du jetzt aus der Klemme helfen. Man mag’s , wie der Will’, und Du denkst Dir’s selber: ein gutes Werk ist doch geschehen gestern Früh in der Kirche. – Hilf ihm aus. Laß’ Dir den Schöps gestohlen sein.«
»Lauter Lumpen!« brummte der Freiwild und hastete davon.
Zur Dämmerung, als es gar öde und einsam war um dir Kirche und den Pfarrhof, weil sich Niemand in die Nähe getraute, selbst der Schulmeister und der Küster waren fort und das Läuten blieb aus und die hölzerne Uhr stand still auf dem Thurme – kauerte der rothbärtige Freiwild am vergitterten Fensterlein und flüsterte in den Keller hinab: »Junger Herr Baumhackel! Bist noch wach? Wohnst woltern vornehm, jetzund. Das g’freut mich. Aber vermeint hätt’ ich’s nicht, daß mir mein lieber Nachbar alljährlich die feisten Schafe stiehlt.«
»O, Freiwild!« seufzte der Kleine im Keller.
»Aber als braver Nachbar will ich Deine Ehre retten.«
»Thue es doch gleich – heut’ noch, daß ich aus diesem Kotter komme.«
»Ein Schafdieb ist etwas ganz Niederträchtiges, wirst es einsehen, Baumhackel. Es hat mich vor etlich’ Wochen, als ich mir auf der Höhe einen Lärchenstamm nahm, Dein Herr Bruder, der Waldhüter, schon einen dreidoppelten Spitzbuben geheißen. Und Dein Vater selig, wie der noch ist Waldhüter gewesen, der hat mich etlicher Armvoll Reisigstreu wegen auf die Bank binden lassen. Schon das hat dem Ehrenmann, als der ich Gott sei Dank immer gewesen bin, nicht wohl bekommen. Jetzt denke Dir erst: ein Schafdieb! Möchtest ja wieder frei werden, aber schwarz bliebest und ein Schurkel bliebest in aller Leut’ Augen. Nein, Nachbar, das kunnt ich nicht mit ansehen. Schau, da ist Dir ein kecker, blutiger Mörder doch ganz was Anderes! Und gar so Einer, wie der gestrige! Der wird respectirt! Sein Ruf geht in alle Welt und nach hundert Jahren noch zeigt der Vater seinem Sohn den Ahornbaum: auf dem ist er gehangen – Nein, nein, Baumhackel, Schafdieb bist keiner. Mir fehlt kein feister Schöps.«
»Um der heiligen Maria-Linden Willen, Freiwild, thu’ mich nicht martern!« flehte der im Keller.
»Es müßte denn sein,« sagte der Rothbärtige, »daß Du Dich gescheiterweis’ einmal zu was brauchen lassen wolltest.«
»Was Du willst, Nachbar, nur des Schöpses wegen sage die Wahrheit. Im Sommerstadl unter dem Schnee ist ja das Eingeweide und das Messer zu finden.«
»Das ist das Wenigste, mein lieber Baumhackel, das kann ich heute noch aus dem Wege räumen.«
»Wirst doch kein Teufel sein, Freiwild?«
»Wie ich sage, wenn Du Dich einmal zu etwas brauchen läßt. Aber voreh müßt’ ich Deinen Eidschwur haben. Ich und ein Zweiter, wir haben was vor, und da brauchen wir auch einen Dritten dazu. Ist auf Dich zu rechnen?«
Der Kleine schwur einen gewaltigen, siebenfachen Eid.
»So!« Sagte der Freiwild, »so wären wir auf Eins. Gute Nacht, Schafdieb!«
Am anderen Tage gab der Freiwild auf der Höhe an, wie es sich herausgestellt habe, daß ihm in der Sturmnacht richtig der feiste Schöps aus dem Stalle geführt, und daß etliche Büchsenschuß von seinem Hause, im Sommerstadl, das Eingeweide gefunden worden sei.
»Aber,« setzte er bei, »ich verzeihe es dem armen kleinen Kerl, und ich schenke ihm’s. Er soll meinetwegen nichts zu büßen haben. Ein andermal, wenn er wieder Hunger hat, soll er offen zu mir kommen.«
Wie nun die Leute staunten! Der Freiwild war nicht allein reich, er war auch großmüthig.
Der wird noch Richter von Trawies!
Das Verhör mit dem Baumhackel wickelte sich nun rasch ab; der kleine Faun war wieder frei. –
Beim Rocken-Paul saßen sie vergnüglich beisammen um den Tisch, knackten Haselnüsse auf und besprachen die Neuigkeiten aus dem Dorf.
»Der Pfarrherr liegt noch immer im Pfarrhof und hat kein Licht und kein Gebet. Alle Tage kommen Herren aus Neubruck und Oberkloster und schauen den Todten an und begucken das Blut am Altar, und treiben allerhand wunderliche Sachen, und sperren hernach Pfarrhof und Kirche immer wieder fest zu, daß kein anderer Mensch hinein kann. Dies Jahr haben wir Trawieser keine Christmette.«
»In allen Gräben und auf allen Bergen steigen die Landwächter herum – aber aufgekommen ist noch gar nichts.«
»Der kleine Baumhackel soll schon wieder daheim sein. Vor dem muß man sich jetzt in Acht nehmen.«
»Ist’s wohl wahr, daß sie gestern den Feuerwart haben forttreiben wollen?«
»Ja, den, als Vormann der Gemeinde, wollen sie verantwortlich machen für das Unglück. Was kann denn der dafür?«
»Jetzt ist der Brauch abgekommen. Sonst ist es allzeit Brauch gewesen zu Trawies, daß die Leute ihrem verstorbenen Pfarrherrn einen Ehrenmantel haben geflochten.«
»Einen Ehrenmantel! Wovon denn? Vielleicht einen aus dem Barte der alten Weiber?«
So redeten sie und auf einmal: »Uh, Dunar, wer ist denn heute draußen?«
Man hörte das Abklopfen des Schnees von Schuhen und Kleidern; dann schritten sie auch schon in die Stube. Der Gerichtsbote und ein Landwächter. Zwei übrige Wächter blieben draußen vor der Schwelle stehen. Der Rocken-Paul sah etwas befremdet drein. Seit sein Haus stand, waren noch keine solchen Leute zur Thür hereingegangen.
»Hier ist das Rocken-Paul-Haus?« fragte der Gerichtsbote.
»Ja!?« antwortete der Bauer, und das Wörtchen endete in einen fragenden Ton.
»Wir suchen einen Simon Hanefer.«
Da stand der Knecht von seinem Platze auf und sagte: »Der Simon Hanefer bin ich. Was wollen die Männer von mir?«
»Im Namen des Gerichtes: Du mußt mit uns gehen.«
»Wer, ich?« lachte der Simon auf, »möchte doch wissen, wozu ich Euch gut wäre.«
»Das wird sich weisen. Mache Dich fertig!«
Der Knecht richtete sich höher auf – das war ein Mensch, prächtig und stark wie ein junger Tannenbaum – und sagte: »Ich lasse mich nicht forttreiben, wie ein Kalb von der Kuh. Ich will wissen warum, dann werde ich freiwillig gehen.«
»Nu, nu,« versetzte der Bote, »ich hätte gemeint, Du würdest es noch früh genug erfahren, und dürfte Dir – wenn Du’s einmal weißt – die Zeit gar lang, vielleicht auch zu kurz werden. Ich habe nicht Befehl zu reden, sintemal Du es selber leicht viel besser weißt, als wir allmiteinander.«
Der Rocken-Paul trat vor den Boten und bedeutete, daß er glaube, er habe hier auch ein Recht, er sei Herr im Hause und für seine Leute verantwortlich und er frage ernstlich, weshalb man ihm den Knecht fortführen wolle.
»Wenn Einer von uns Beiden zu fragen hat, so werde ich es sein,« versetzte der Gerichtsbote, »und so wird mir der Bauer Wort geben, wo sein Knecht Simon Hanefer am Vierten in diesem Monate von sechs bis sieben Uhr Morgen gewesen ist.«
»Ach je, das ist wieder die Mordgeschichte. Wenn Ihr Alle fassen wollt, die bei der Rorate gewesen sind, werdet Ihr lang zu thun haben und hat der Schelm Zeit genug, daß er holl geht. – Mein Simon ist am Barbaratag wohl freilich auch beim Gottesdienst gewesen.«
»So wisset Ihr aber auch, Bauer, daß er in der Kirche nicht gesehen worden ist? daß der Rocken-Paul-Stuhl leer gewesen ist? Und hat Euer Knecht nicht das Wort fallen lassen, in der einen Hand den Rosenkranz, in der anderen den Schlagring, anders ginge er zu Trawies nicht in die Kirchen?«
Der Bauer blickte auf seinen Knecht; der war etwas gar roth geworden im Gesicht, und diese Röthe wollte dem Paul nicht gefallen. »Sollt’ mich wundern Simon, wenn Du damals unredlich gewesen und nach dem Hafermus wieder ins Bett gekrochen wärest? Es ist mir nachher wohl aufgefallen, daß Du nichts von den Geschehnissen erzählt hast; hast nur verlautet, Du wärest ein wenig vor dem Auswerden fortgegangen, weil Du so zeitlich heimgekommen bist.«
»Ist verdächtig,« meinte der Bote.
»Narrheit!« rief der Bauer, »in seinem Nest wird er gehockt haben.«
»Wie Du mir geheißen hast, Bauer,« sagte der Knecht, »so bin ich von Haus aus meines Weg’s gegangen.«
»So wirst in der Kirchen gewesen sein.«
Der Simon suchte sein rothes Sacktuch hervor, trocknete sich damit die heißgewordene Stirne und antwortete dann: »In der Kirchen – wirst mir nicht übel sein, Bauer, aber das Schneewetter – ich bin gar nicht nach Trawies gekommen.«
»Geht mir weg!« rief der Bote ungeduldig, »das sind Ausflüchte. Das Gericht fragt nach Zeugenschaft! – Soldaten, legt ihm das Handeisen an!«
Der Rocken-Paul, sein Weib, seine Mägde, die schrien jetzt zu gleicher Zeit auf.
»Ihr werdet doch nicht kindisch sein und glauben!« beruhigte sie der Simon. »Ich gehe mit. Zeugenschaft zu stellen, das wäre mir ein Leichtes; muß sich aber erst weisen, ob ich sie stellen will. – Weg da! binden laß ich mich nicht!«
Sie banden ihn nicht, aber sie führten ihn mit sich. Die Leute des Hauses jammerten ihm nach.
Der Simon schlug seinen Hut tief in die Stirne und ging rascher, als es seinen vier Begleitern lieb war. Seine Gedanken waren rasch und entschieden, wie seine Schritte.
- Es ist wahr: Wo der Mensch einen Schritt auf die Seiten thut, gleich hat ihn der Teufel im Spiel. Jetzt wäre es angestellt, daß ich alles verrathen sollt’ und ausschreien, und noch aufschreiben und siegeln lassen: Da auf diesem Fleck, in dieser Hütten bin ich gewesen zu derselben Stund’. – Und ihre Ehr’ ist weg, ihr guter Ruf ist hin – findet ihn nimmer, ihr Lebtag lang nimmer. Das Freien ist einem armen Knecht versagt. Die Leute zeigen mit Fingern nach ihr, wo sie mag gehen und stehen: Das ist Dieselbige, die – die dem Rocken-Paul-Knecht so gutes Zeugnis hat ablegen können! Ihr Vater selber, der vielgestrenge Kohlenbrenner, ist im Stande und jagt sie davon. Und jetzt sollte ich die – just die nämliche, so mir die Liebste ist worden auf der Welt, ins Unglück stürzen? Nein, das thue ich nicht!
Das Letzte, fast rief er es laut in den Wald hin. Er war entschlossen, die Han nicht zu verrathen, und sollten sie ihm noch so heiß machen. Seine Unschuld an der blutigen That müsse sich auch anderswie weisen. Jeder Ast am Baume, jeder Zaunstock am Wege mußte zeugen gegen den falschen Schein und die Wahrheit zu Tage bringen. – So meinte der Bursche, verlangte aber von den Bäumen und von den Zaunstöcken, daß sie die eine Wahrheit laut verkünden und die andere still verschweigen sollten.
- Und wenn sie mich wochenlang in den Pfarrhofskeller sperren, und wenn sie mir Daumenschrauben anlegen, die Han verrathe ich nicht.
Das war der Schlußpunkt seiner Gedanken.
Der Gerichtsbote forderte ihn auf, langsamer zu gehen. Der Simon gab ihm zur Antwort, das sei sein gewohnter Schritt, und wer ihm nicht folgen könne, der möge zurückbleiben. Sie folgten ihm doch, nur daß Einer in seinem Ärger murmelte: »Spring, spring, daß Dir der Galgen nicht davonläuft!«
Als sie am Rockenbache dahin gingen und an der Kohlstatt vorbeikamen, schielte der Simon wohl ein wenig unter der Hutkrämpe hervor und gegen die Hütte hin. Die Meiler rauchten still; die Fensterchen blickten ihn licht an, sonst sah er nichts. Kaum sie aber einige Schritte am Häuschen vorüber waren, hörte er hinter such den Ruf: »Simon!«
Die Männer wandten sich um, da stand das Mädchen, die schöne Han. Sie war nicht erregt, sondern ganz ruhig in ihren Mienen und in ihren Worten. Sie bat den Gerichtsboten, daß sie einige Worte mit dem Rocken-Paul-Knecht reden dürfte. Der Bote gestattete das um so lieber, als er selbst ein ziemlich lebhaftes Verlangen trug, zu hören was eine so anmuthsreiche Maid einem so frischkecken Burschen zu sagen haben werde.
Die Han wendete sich denn zum Knecht und sagte: »Ich werde mich nicht weit irren, Simon, wenn es mir vorkommt, daß Du wieder einmal eine große Dummheit begehen willst. Ich weiß die ganze Geschichte, brauchst mir kein Wörtel zu sagen; reden ja die Leute seit gestern nichts mehr Anderes, als daß Du den Herrn hättest erschlagen. Ich bin still gewesen und habs’s anstehen lassen, bis Du zu mir kommst. Jetzt wärst aber vorbeigegangen, hättest gemeint, Du dürftest von mir nichts desgleichen thun und hättest Dich in Deiner Leichtsinnigkeit zugrunde richten können. Denn Einer muß es entgelten zu Trawies, das ist so sicher, als wie dort unter dem schwarzen Meiler das glühheiß’ Feuer brennt – ob’s der Schuldige oder der Unschuldige ist, nach dem wird zuletzt nimmer gefragt. Du bist der Unschuldige und ich laß Dich nicht hinaus. Es ist nicht Zeit, daß ich Dich lobe deswegen, daß Du eine arme Dirn’ nicht willst in Unehren bringen; so sage ich es vor Gott und den Menschen, daß Du am Barbaramorgen vom ersten Hahnenschrei bis zum letzten bei mir in der Hütten bist gewesen.«
»Schau, schau,« blinzelte der Gerichtsbote, »was man da im grünen Wald für Neuigkeiten kann hören. Es ist nur rechtschaffen schade, daß ein solcher Zeuge nicht gelten kann. Die Weiber wären im Stande und schwätzten dem Teufel alle Männer aus der Hölle, und wenn eine Frag’ wäre der Sünden wegen, so thäten sich für allesamt die Weiber bekennen, auf daß sie nur wieder ihre Mannsleute hätten. Ei, das kennen wir!«
Der Simon hatte die Han an beiden Händen gefaßt und rief jetzt: »Ja, Du Dirn, Du mein herziger Schatz! Wenn Du um so viel besser bist, als ich von Dir habe gedacht, und daß Dir an mir liederlichem Burschen mehr gelegen ist, als an Dir selber, so weiß ich, was ich zu thun habe. Zeugst Du schon selber für mich und mit dem Besten, was Du hast auf der Welt – was dem hochweisen Herrn und Gerichtsläufer hier zwar noch zu wenig ist – so werde ich mit Gottes Hilfe auch noch ein paar andere Zeugen finden, die für mich reden. – Ich gehe jetzt ganz lustig nach Trawies, und wenn Du mir einen Gefallen willst erweisen, meine liebste Dirn, so schicke hinauf zum Blockhaus, ich lasse die Holzer Jok und Sepp bitten, daß sie nur gleich sollten kommen nach Trawies; nachher gehen wir miteinander heim und ich melde mich bei Deiner Hütten an.«
»Das wird mich gefreuen,« antwortete die Han, »mußt aber deswegen nicht glauben, Du wärest mir was schuldig.« Sie ging zurück.
Er blickte ihr nach und jauchzte auf. In diesem Jubelschrei lag die Hymne, die er seinem herrlichen Mädchen sang; in diesem Juchschrei klang das Glück auf, das sein Herz auf so ungeahnte Weise erfüllt hatte. Dann ging er mit den Häschern und pfiff zum Schritt ein fröhlich Wanderlied.
Als er im Pfarrhofe zum Verhöre kam, waren auch schon die beiden Holzer aus dem Blockhause da, und sie erzählten und beschworen es, daß der Rocken-Paul-Knecht Simon Hanefer am Barbaramorgen zur Stunde des Tages bei dem Schummel-Zenz-Häuslein gesehen worden sei.
Das Schummel-Zenz-Häuslein stand eine Stunde weit entfernt von der Kirche zu Trawies. Der Simon konnte nach Hause gehen. –
Trotzdem die als des Mordes verdächtig eingezogenen Personen immer wieder freigegeben werden mußten – nicht etwa aus Mangel an Beweisen, sondern auf Grund schlagender Gegenbeweise –, so nahm das Gerücht, der Schuldige sei unter den Einheimischen zu suchen, doch stets bestimmtere Gestalt an. Ja endlich munkelte man von einer durch die Gemeinde selbst angestifteten Verschwörung. Die paar Stuben im Wirthshause zu Trawies waren von Gerichtspersonen besetzt; die Zimmer im Pfarrhause waren für Verhöre, ja selbst für peinliche Fragen eingerichtet worden, und auf allen Wegen und Stegen dieser entlegenen Waldgegend gingen schwerbewaffnete Landwächter.
Der Leib des Erschlagenen lag immer noch auf seinem Gerüste und der Gestrenge von Neubruck hatte geschworen, ihn nicht früher ins Grab legen zu lassen, als bis der Verbrecher verscharrt sei.
Nach den vielen erfolglosen Untersuchungen war nun die Vermuthung auf eine neue Persönlichkeit gelenkt, gegen welche zwar kein anderer Verdachtsgrund vorlag, als der religiöser Schwärmerei. Der Mann war stets verschlossener Natur, und trotzdem seine Verhältnisse recht gut bekannt und bisher weder in seinem Leben noch in seinem Hauses etwas Auffälliges bemerkbar gewesen, lag doch über seinem Wesen etwas Dunkles, Geheimnisvolles, etwas Finsteres und Schwermüthiges. Er konnte jetzt Funken sprühen wie ein Kieselstein, und jetzt weinen wie ein Kind. Oft verschloß er sich bei Tage in seine Werkstatt und ging bei Nacht wie ein Mondsüchtiger durch die Wälder. An den amtlichen Verordnungen, welche an das Kirchenthor geschlagen waren, ging er vorüber, aber die heiligen Schriften und Satzungen der Alten waren ihm bekannt, und diese verflocht er in sein Denken und Träumen. Keiner war zu Trawies, der diesem Manne einmal auf dem Grund seiner Seele geblickt hätte; aber Alle wußten von ihm zu sagen, und die Richter lauerten.
Zu solcher Zeit war es, daß der Bart vom Tärn aus dem Hause des Feuerwart ging und rasch der Trach entlang gegen das Gestade hinaus.
Im Hause des Schreiners Wahnfred war Aufregung und Angst. Seit der Nacht vor dem Barbarafeste war der Wahnfred verschwunden. Am ersten Tage fiel seine Abwesenheit nicht auf, denn er war zur Kirche gegangen. Als man von dem schrecklichen Geschehnisse hörte, war sein Ausbleiben um so leichter erklärlich, da ja alles in Trawies blieb oder nach Trawies eilte, und im Wirthshause Wort und Rath halten wollte. Als Wahnfred aber auch am zweiten Tage nicht erschien, wollte sein Weib nachfragen und suchen lassen; wie konnte ihm bei dem Unwetter auf unwirthlichen Wegen leicht was zugestoßen sein! – Da kam an diesem Tage eine Botschaft vom Feuerwart: Die Wahnfredin möge nicht nachfragen und nicht suchen lassen, sie möge still sein, ihr Mann sei wohlbehalten und in Hut. Er grüße sein Weib und sein Kind, und sie sollten tapfer sein, Gott wolle, daß er sich ihnen auf kurze Zeit entziehe, aber nach den bösen Tagen würden sie sich glücklich wiedersehen. Nur auf Gott vertrauen und schweigen!
Da stieg in dem Weibe die Ahnung auf, die gräßliche Ahnung, die ihr nimmer Ruhe ließ. Sie sann bei Tag und betete bei Nacht. Und wenn sie an den entheiligten Altar ihrer Pfarrkirche dachte, da wurde ihre betende Seele lahm.
Nun war auch ein Todter im Hause. Wahnfred hatte seinem Söhnchen einen kleinen Handschlitten gezimmert, auf welchem Erlefried gern über die Schneebahn der Berglehne in das Thal hinabfuhr. So auch am Abende des Barbaratages, als es am Himmel klar geworden war, als hinter dem Johannesberge der kalte Tag verblaßte, und über den Wäldern des Tärn der rothe Mond aufging. Und als der Knabe auf seiner fröhlichen, vom Sturme glattgefegten Bahn zum Wege herabgefahren kam, der arg verschneit sich neben dem Flusse hinzog, sah er aus dem Schnee einen dunklen und von scharfem Winde halbverwehten Gegenstand ragen. Es war ein alter, in sich zusammengeschauerter und zusammengekauerter Mann. Es war der Pfründner Lull, der, von Haus zu Haus wankend, seinen Unterhalt suchen mußte. Es war – wir wissen es – derselbe Greis, der an jenem Sonnenwendtage im Hause des kleinen Baumhackel darniederlag und vergebens auf die letzte Wegzehrung wartete. Da der Priester aber anstatt zu seinem Krankenbette zur Wildwiesen hinaufgestiegen war, so sagte der alte Lull: ohne geistlich’ Hilf’ wolle er nicht sterben, und wurde wieder gesund. Nun schien er aber doch nicht mehr länger warten zu können. Man weiß nicht, wann zu Trawies wieder ein Priester sein wird. Auch hat man in allen Häusern auf den Lull vergessen, er ist alt gegen die neunzig Jahre, und der Wind bläst rauh.
»Lull!« Rief der Knabe. »Lull!« Schrie er dem Alten ins Ohr, »was machst Du denn da?«
Der Pfründner fröstelte, blickte starr vor sich hin und murmelte: »Sterben.«
Da lief der Kleine, was er konnte zum Hause hinan und verkündete entsetzt: »Da unten stirbt der Lull! Da unten stirbt der Lull!«
Sie eilten hinab, sie trugen ihn ins Haus und betteten ihn weich, und das Weib flößte ihm warme Brühe ein, und der Knabe stand daneben und blickte mit seinen großen, hellen Augen dem Greise in das fahle Antlitz.
Dieser murmelte müden Mundes und stieren Auges: »Jetzt, Trawieser Leut’, jetzt kommt das jüngste Gericht mit Noth und Schrecken.« Dann tastete er mit seinen mageren Händen gegen das Lockenhaupt des Knaben: »Dich, Du liebes, schönes Kind, hulde der himmlische Herr!«
Das Weib wollte die Nacht bei ihm wachen, aber er bat, daß sie sich schlafen lege. – Am anderen Morgen wurde er todt gefunden.
Die Frau des Wahnfred wollte nun Anstalt treffen, den alten Lull zu bestatten, da erfuhr sie, daß jetzt zu Trawies Keiner begraben werden könne. Es fehle der Priester, es fehle die Weihe der Kirche und des Friedhofes. Es sei kein gesegnetes Grab mehr zu Trawies.
Wie lange denn sollte der kalte Gast im Hause liegen? War das ein Ersatz für Wahnfred? .... Grauenhafte Gedanken durchzogen das Haupt des armen Weibes.
In einer dieser Nächte hub der kleine Erlefried im Schlafe zu schluchzen und zu weinen an. Das hatte er sonst niemals gethan. Die Mutter wollte ihn wecken und fragen, was ihn denn so sehr schmerze; aber er blieb im Schlummer befangen und weinte – weinte.
Da kam der Bart vom Tärn. Sein Gesicht war so ernst, daß es, als er in der Vorkammer die Leiche sah, nicht mehr ernster werden konnte. Das bedrängte Weib bat ihn händeringend um Rath, was zu thun sei, daß der Todte davon und der Lebendige ins Haus käme? Es sei ihr so unsagbar bange ums Herz, sie wisse sich all das, was jetzt vorgehen, nicht zu deuten. Man möge ihr doch sagen, was wäre!
»Meine liebe Wahnfredin,« entgegnete der Bart vom Tärn, »Du willst, daß ich Dir sage, was Du schon weißt. Dein Mann ist angeschuldigt, den Mord begangen zu haben.«
Sie hörte es und schwieg. Sie stützte sich mit der Hand an die Tischecke, sie sah dem Mann ins Auge und sagte gelassen und leise: »Aber wahr ist es nicht.« Er merkte es kaum, daß die so ruhig scheinende Antwort eine von Angst und Pein durchzitterte Frage war.
Der Bart versetze: »Heute kann noch nichts gesagt werden. Noch ist der Wahnfred in Sicherheit, aber man weiß nicht, wie lange.«
»Nur wo er ist, will ich wissen!« Rief sie und hob die gefalteten Hände.
»Er ist in guter Hand, in Freundesschutz, das magst glauben. Mehr kann ich nicht sagen. Sie verfolgen ihn. Schon in der nächsten Stunde können sie an Deine Hausthür schlagen. Wahnfredin, Du und Dein Knabe, Ihr müsset eilends fort, sonst schleppen sie Euch ins Elend. Das Gericht ist nicht mehr das Gericht, es ist wahnsinnig vor Wuth, es will Trawies zugrunde richten. Euch würden sie als Geißeln peinigen, bis er, den sie suchen, selbst hervorspringt. Wahnfredin, Ihr müßt mit mir hinein zu den Tärnwäldern. In meinem Hause will ich Euch verbergen.«
»Dort ist auch Er?« Fragte sie mit heißer Hast, »nicht wahr, lieber Bart, dort ist auch Er?«
»Macht Euch nur rasch bereit. Wenn sie uns treffen, so sind wir Alle verloren.«
»O mein Gott, dieses Haus, dieses liebe Haus jetzt auf einmal verlassen! Sie werden es zerstören, sie werden es niederbrennen!«
»Niederbrennen!« Versetzte der Bart vom Tärn, und seine Stimme hatte plötzlich einen fremden Klang, »niederbrennen! – Wahnfredin, thue das selbst. Das Haus, das die Voreltern Deines Mannes gebaut haben, das Haus, in welchem Ihr Euer Glück habt gelebt – lasse es nicht von rasenden Feinden zertreten, opfere es selbst, opfere es den Flammen!«
»Wie könnte ich das thun, Ihr Heiligen Gottes!« Rief sie.
»Ja, noch was Anderes!« Fuhr der Bart leiser, aber nicht weniger erregt fort. »Wenn das Haus niederbrennt: – natürlich geschah es zufällig, ein Unglück, die Leute entkamen bis auf ihn – den Wahnfred – verstehst Du?« Der Mann deutete auf die Leiche, »dieser wird verkohlt gefunden im Schutte und morgen geht es um in Trawies und in Neubruck und in Oberkloster: Der Schreiner Wahnfred ist verbrannt! Vielleicht hat er sich’s selbst gethan. Sie stellen das Suchen ein und Dein Mann ist gerettet.«
»Es mag ja sein, es mag gut sein, aber weiß Gott: ich thu’s nicht, ich kann’s nicht thun!«
»Stelle es Dem anheim,« sagte der Bart und deutete, man mußte nicht, nach dem Himmel oder nach seiner Stirne.
Nach einer Stunde hatte er es so weit gebracht, daß die Wahnfredin und der Knabe Erlefried in ihren Winterkleidern vermummt an der Hausthüre standen. Während er noch auf den Dachboden stieg – vielleicht um von dem Fenster des Thürmchens aus zu sehen, ob nicht schon Verfolger nahten, vielleicht aus anderem Grunde – brach das Weib vor Schmerz an der Schwelle zusammen.
»Wer hätte es vermeint,« rief sie aus in Klagen, »daß es so sollte kommen! Und jäh, wie der Blitz vom Himmel! Jetzt, im kalten Winter, fort in den Wald! Und wenn er kommt, verfolgt, gehetzt, um sich zu bergen, findet er sein Kind, sein Weib, vielleicht sein Haus nicht mehr. Nein, ich kann dich nicht verlassen, du liebes Dach, das Er mir hat gegeben. Gottes Segen ist gewesen an dieser Thür, an diesem Tische. Hier habe ich ihm das Kind geboren; an diesem Herde, um das Feuer herum sind wir oft gesessen in stillen Freuden und haben nicht gewußt, wie glücklich wir waren. Wie ist’s mein Traum gewesen, dereinst in alten Tagen der Ruhe zu pflegen in diesem Hause, neben mir den lieben Mann in weißem Haar, zufrieden und heiter und fromm, und um uns die Kinder unseres Kindes. Dann gehen wir schlafen, und sie leben fort unter ihrer Eltern Dach, von Großeltern, Eltern, Kindern und Enkeln ein einziges langes Leben ... Und jetzt ein Schlag, daß alles, alles hin ist, auf einmal! – O du mein getreues, mein süßes Haus, an jedem Stein deiner Festen, an jedem Nagel deiner Wand hängt dein Leben. Muß ich fort von dir, du mein getreues, mein liebes Haus!«
»Wahnfredin, gib Dich d’rein,« sagte der Bart und stand bereit zu gehen.
Sie fuhr fort: »Die Todten, wenn sie Aschen werden, sie stehen wieder auf. Das Haus, wenn es Aschen wird, sehe ich nimmermehr.«
»Gieb Dich d’drein, Wahnfredin. Es dunkelt schon der Tag und sie kommen noch heute. Denk’ an Deinen Mann; das kleinste Zögern noch, und es ist sein Verderben. Nicht nach dem Hause wird er fragen, das ist wieder zu gewinnen, nur nach Euch, nach Weib und Kind, und diese will ich retten!«
Er suchte sie mit fortzudrängen. Das Weib tauchte noch ihren Finger in das Wassergefäß, welches am Thürpfosten hing, und sprengte einige Tropfen in die Stube, und sprengte einige Tropfen auf die Leiche des alten Lull und rief: »Du alter, armer glückseliger Mann, Du bist der Letzte d’rin, Gott walt’s! Gott walt’s«
Sie sprang aus dem Hause. Der kleine Erlefried torkelte ihr nach, er war halb betäubt von dem Jammer der Mutter, so hatte er sie, die stille, die milde Frau, noch niemals gesehen. Sie hatte nie geweint, und jetzt rieselten die Thränen heiß und unablässig nieder von ihren langen Wimpern. Der Bart ließ sie still gewähren, er wußte, dieser klagende Schmerz war milder, als der stumme ...
Rasch schritten die Drei gegen den Fluß hinab, um die Brücke zu erreichen. Unter ihren Füßen knisterte der Schnee, es brach die kalte Nacht an. Als sie über die Brücke gingen, hielt sich der kleine Erlefried an das Kleid des Bart, deutete in die Trach und flüsterte: »In diesem Wasser da unten rinnt Blut!«
Es war der Spiegel des Abendrothes. Das Weib des Wahnfred hielt ihr Kind am Arm und hastete fort und war stumm, und blickte nicht mehr zurück.
Jenseits des Flusses wendeten sie sich einer Bergschlucht zu, durch welche ein armseliger Steig hinanführte gegen die Wälder des Tärn.
Der Bart blickte mit erwartungsvollem Auge zurück auf das Haus am Gestade. Noch war der Frieden des Todes im schattigen Bau, da erhellte sich plötzlich eines der Dachfenster mit rothem Scheine. Bald erglühte auch das zweite, und jetzt brach der flammende Qualm hervor. In lichten Zungen rieselte es hin über das Dach und lohten die Feuerfahnen auf in den abendlichen Himmel. Roth erglühten die Schneefelder rings um, und die schneeigen Bäume. Und immer voller wurde die Flammengarbe, bis das Haus des Schreiners Wahnfred in einer feurigen Fluth stand.
Im Thale war Pferdegewieher und Waffengeklirre. Der Trach entlang von Neubruck her gegen Trawies sprengte ein Trupp von Reitern.
Um Mitternacht ging der Mond auf und der Kirchthurm zu Trawies mit seiner lichten Mauer und dem glänzenden Schindeldache ragte in diesem Scheine wie eine stille Gluthsäule empor über den Schlafenden Häusern.
In solchen Stunden sind nur die Wässer laut, und wachsam ist das Ohr in stiller Nacht, da es in die Rechte des Auges tritt.
Außer dem Rieslen der halb eingeeisten Track knisterten im Thale vier wandernde Füße. Sie treten leise auf dem Schnee, denn sie fürchten das wachsame Ohr. Zwei Männer, mit Bündeln bepackt, mit Stöcken, Einer auch noch mit einem Schußgewehre bewaffnet, sind aus dem Gehöft des Gallo Weißbucher geschlichen und eilen nun thaleinwärts gegen den Trasank. Erst als die rothe Nadel des Kirchthurmes hinter einer Berglehne verschwunden ist und die letzten Hütten zurückgeblieben sind, bleiben sie ein wenig stehen, stützen die Stöcke unter ihre Rückenbündel. Der Eine machte tiefe Athemzüge und sagte: »Mein Gallo, was doch die freie Luft Gottes wohlthut!«
»Das glaube ich,« versetzte der Andere, »und die freie Luft Gottes, die wirst nun genugsam trinken können.«
»Weiß es wohl,« sagte der Eine, »daß ich nun in den Ritscherwald hinauf muß, aber einmal hättet Ihr mir mein Gestadehaus noch vergönnen mögen. Ihr wißt so wenig als ich, ob ich es in späterer Zeit noch einmal sehen werde.«
»Dein Gestadehaus,« entgegnete der Hallo, »das wirst Du – doch mein Rath ist, wir gehen weiter. Aber bei der Rabenkirche drinnen mögen wir rasten, und dort will ich Dir auch erzählen, was sich die letzten Tage her d’raußen im Gestade zugetragen hat. Es ist hart für mich, daß ich es Dir sagen muß. Härter freilich noch für Dich, daß Du es ertragen mußt. Aber das Härteste ist das nicht. Gehen wir.«
Und sie gingen. Der Schlittpfad wurde immer schlechter und hörte endlich ganz auf. Nur die einzigen Fußspuren irgend eines Holzfällers zogen sich noch eine Strecke hin, dann bogen auch diese seitab, und da blieb der Feuerwart stehen und murmelte: »Das ist mir unlieb, hier dürfen wir nicht weiter. Jetzt bleibt uns nichts Anderes übrig, wir müssen auf dem Wasser gehen, daß keine Spur bleibt.«
Uns sie schritten auf der hier gänzlich eislosen Trach von Stein zu Stein, wie solche aus dem gischtenden Wasser hervorstanden. Oft mußten sie sich mit den Stöcken von Klotz zu Klotz schwingen, oft glitten sie in der Dunkelheit auch zur Tiefe. Das Rauschen des Bergflusses war so gewaltig, daß sie ihre eigenen Tritte nicht vernahmen.
Endlich war die arge Strecke zurückgelegt und sie standen in der finsteren Felsenhöhle, die Rabenkirche genannt. Hier zündeten sie Reisig an, und während die Flammen aufloderten an dem rauhen, klüftigen Gewände, an welchem einst der Eid der Verschwörung widerhallt hatte, blickte der Schreiner vom Gestade mit seinem schreckbar blassen Gesichte fragend auf den Feuerwart.
Und dieser sagte: »Mein lieber Wahnfred! Dahier an dieser Felsenkluft ist Dein Name hervorgehoben worden, und in diese Felsengruft mußt Du Deinen Namen jetzt begraben. Da unser Weg an dieser Höhle vorüberführt, so vernimm es hier. Dein Opfer für Trawies ist schwer, aber es wird Dir erstattet werden. Gestern Abends ist draußen am Gestade das Haus des Schreiner Wahnfred niedergebrannt.«
»Was sagst Du?« rief der Andere dumpf, »mein Haus?«
»Ist Asche. Man baut es wieder.«
»Und die Meinen? Feuerwart, die Meinen?«
»Sind glücklich entkommen bis auf ihn – den Wahnfred. Der ist mit verbrannt.«
»Was sind das für Worte, Gallo?«
»Du verstehst sie bald. Während Du in meinem Keller verborgen warst, ist der Satan nicht müßig geblieben; er hat allen Verdacht auf Dich und Dein Haus zusammengetragen. Wir hätten Dich und Dein Weib und Kind nicht anders zu retten vermocht, als daß wir Dein Haus niedergebrannt haben und die Knochen des Pfründners Lull, die im Schutt gefunden werden, für die Deinen ausgeben.«
»Die Knochen des Pfründners? Wer hat ihn umgebracht?«
»Geh, Freund, das Morden wird doch weiter nicht eingeführt in Trawies. Der Lull ist von selber gestorben. Dein Weib und Kind hat der Bart mit in die Tärnwälder geführt. Zur Sommerzeit kannst sie sehen, aber jetzt nicht. Jetzt mußt Du in die Wildniß kriechen, so tief Du kriechen kannst, daß keine Spur von Dir ist, bis die Späher wieder Alle davon sind. Deinem Weibe werde ich Nachricht von Dir bringen; sei unbesorgt. Ich muß Dich hier verlassen, daß ich noch in der Nacht heimkomme. Du bleibe hier bis zum nächsten Abend und verbirg Dich. Und wenn es morgen Abends dämmert, so mach’ Dich auf, Du brauchst eine lange Nacht, bis Du zu Deinem neuen Hause kommst, das hinter dem Rücken des Ritscherwaldes steht. Du kennst die Klause am Donnerstein, wo vor Zeiten Einsiedler haben gelebt. Du bist ja mit uns gewesen, da wir vor etlich’ Jahren den Letzten herabgetragen haben auf den Kirchhof. An seiner Statt zieh’ Du in die Klause; Dir ist das Einsiedeln nöthiger, wie alle Mönchen auf der Welt. Was Du von diesen Lebensmitteln tragen kannst, das trage mit Dir, das Andere verwahre in diesen Klüften und hole es nach Bedarf! Ich will Dir Mancherlei noch hierherschaffen, was Du nicht entbehren kannst. Aber richte es so ein, daß Du zwei Nächte hast, eine zum Hergang und eine zum Rückgang. Daß Dich Niemand sieht, bis Deine Haare lang sind und Die Mantel und Deine gestalt verändert ist! Und wenn es Zeit ist und Du zurückkehren darfst, so wirst Du in dieser Felsenspalte Nachricht finden.«
»Wo aber, mein lieber Gallo, wo soll ich die Nachricht finden, wenn bis dahin die Felsen verwittert sein werden?« So fragte Wahnfred.
»So hart mußt Du Dir’s nicht legen,« antwortete der Feuerwart, »bis die Wiesen grün werden, verhoffe ich, Dich hier unten wieder zu sehen.«
»Mann! Hier hast Du ein Wort gesagt, das Du selber nicht glaubst. Nimm es zurück. Du weißt es, Ihr Alle wißt es, was mit mir ist. Die Wiesen werden siebenmal grünen und siebenmal welken, und die Nachricht wird sich in dieser Spalte nicht finde. – Der Wahnfred ist todt und er wird nimmer lebendig. Ihr habt ihn umgebracht.«
»Ich kann mir’s wohl denken, wie Dir jetzt sein muß und verzeihe Dir das Wort. Nur das sollst Du nicht vergessen: was Dich getroffen hat, das hätte jeden Anderen von uns treffen können. Wohl, ich bin der Zuversicht, daß – wäre auf mich das Los gefallen – auch Du mich verborgen und gehütet hättest in Deinem Hause, daß Du mich begleitet hättest zur nächtlichen Weil’, und mir Lebensbedarf getragen. – Du könntest nicht anders hier stehen, und nicht anders reden, als wie ich.«
»Klage ich denn?! Gleichwohl Ihr sagt, so oft ich es nur hören mag: Was ich gethan, das läge auf Eurem Gewissen – mag sein, aber leiden muß ich es. Mein Gewissen wird nicht geringer, und wenn Ihr zehnmal mitgemordet habt. Ich weiß es, mit mir und meinem Gott habe ich allein fertig zu werden; und ich werde es, ohne daß ich Einen von Euch noch einmal brauche.«
»Wahnfred, so bitter gehst Du von mir?«
»Zum Henker hat mich das Los gemacht; aber zum Knecht und Wicht habt Ihr mich gemacht.«
»Ich möchte Wissen, wie Du das meinst.«
»Habe ich Euch gebeten, daß Ich mich im Rübenkeller gefangen halten solltet? Habe ich euch gebeten, daß Ihr mich in die Wildniß stoßen möchtet? Aber weil Ihr gefürchtet habt, ich könnte selbst zum Gericht gehen wollen und mich anzeigen und Euch verrathen, so habt Ihr mich eingesperrt wie einen Roßdieb und schafft mich jetzt bei Nachtzeit über die Grenze, als wie wenn ich in Trawies mein Lebtag nicht daheim gewesen wäre. Wißt Ihr’s denn so sicher, Ihr weisen Männer zu Trawies, daß mir mein elendes Leben da oben in den Einöden lieber ist, als der Büßertod? Dann wißt Ihr mehr von mir, als ich selber; ich weiß es nicht, ob ich dem Hochgerichte lange ausweichen werde.«
»Und uns Alle zugrunde richten!« Rief der alte Mann in großer Erregung.
»Ha, wie Ihr zittert um Eure Haut!« lachte der Wahnfred – wie hohl sein Lachen klang! »Was hilft es aber, wenn ich Euch mit mir reiße? Dann fallen leicht an die vierzig Köpfe in Trawies, und ich glaube, der Eine ist mit Einem vollauf bezahlt?«
»O Gott, Wahnfred, bedenke, sie werden sich nicht begnügen, Dich mit einem Streiche zu tödten, sie werden Dich zu Tode foltern, bis sie Deinen letzten Tropfen Blut und Dein Sterbenswort haben!«
»So komme, Feuerwort,« sagte der Schreiner, und suchte den Mann gegen den Ausgang zu zerren, »komme, und stürze mich in die Trach hinab. Dann bist aller Sorgen ledig.«
»Du bist von Sinnen! Wahnfred! Im Namen Deines Weibes, im Namen Deines Knaben beschwöre ich Dich, fliehe und erhalte Dich!«
»Mein Weib! Mein Kind!« So schrie der Schreiner auf, schlug die beiden Hände an seine Stirne und stöhnte laut, bis ihm die Thränen über die Wangen rannen.
Das Feuer war in sich zusammengebrochen. Die Kohlen knisterten noch und wandten sich wie glühende Schlänglein. Der Gallo Weißbucher stand da und rang nach Worten, daß er den Unglücklichen tröste und versöhne. Zutiefst fühlte er es, wie er, wie Trawies diesem Manne in Schulden war. Zwei Verbrechen sammeln sich wucht- und wehevoll auf der Gemeinde Haupt – der Todte dort, der Untergehende hier ...
Nach einer Weile war Wahnfred ruhig und gefaßt. »Gut, gut, ich will leben.« sagte er, »so schwere Schuld sühnt nicht der Tod, nur das Leben ... Geh’ heim Feuerwart, und Eines: vergessen laß mich sein. Sage es den Anderen: Ich verschreib’ Euch keine Schuld, aber vergessen laßt mich sein! – Weg von mir, Du fremder Mann, hinweg!«
Mit den Händen abwehrend, sprang er aus der Höhle – und der Feuerwart hat ihn nicht mehr gesehen.
Suchend ging der Gallo hin und her. Nichts vernahm er, als das brausen der Trach, und über der Waldschlucht her schimmerten im Mondlichte die Felsen des Trasank.
Eine Bangnis auf der Seele, die er bisher nicht gekannt hatte, wanderte der betagte Mann die unwirthlichen Wege seinem Hause zu. Müde und gebrochen kam er heim sich sehnend nach dem Ruhebette. Das jedoch sollte ihm heute nicht gegönnt sein. Schon in der Ferne vernahm er von seinem Hofe her Lärm und Lichter in den Fenstern. Auch draußen im Dörfchen waren die Leute auf und es war eine ganz seltsame Unruhe im Thal. Pferdegewieher und Waffengeklirre erscholl, wie sonst noch nie zwischen diesen Wäldern. An der Wegen flimmerten Laternen hin und her.
Das Haus des Feuerwart war besetzt von Landsknechten. Andere durchsuchten die Wohnung und das Gehöfte und verlangten von der Hausfrau und von dem Gesinde den Gallo Weißbucher. – Er ist nirgends zu finden, er ist geflohen, er ist mitschuldig.
Zum Glücke kam er und fragte strenge, was man von ihm begehre?
Die Gegenfrage war, wo er sich in der Nacht herumzutreiben hätte?
Er antwortete, darüber sei er keine Rechenschaft schuldig, und wenn es aus sei, um als Vormann der Gemeinde in den Häusern von Trawies nach dem Mörder zu fahnden, so sollten sie ihm wohl eher dankbar sein, als auf so grobe Art zu begegnen. Die Waldgemeinde Trawies sein noch ein Ort, wo ergraute Männer respectirt zu werden pflegten.
Darüber zu verhandeln sei jetzt keine Zeit. Der Gallo Weißbucher müsse mit nach dem Gestade. Dort habe sich der muthmaßliche Verbrecher mitsammt seinem eigenen Hause verbrannt.
Ja, so hieß es allerseits, der Schreiner Wahnfred sei verkohlt bis auf die Knochen aus dem Schutte gezogen worden.
Aber es waren so viele Herren aus Neubruck und Oberkloster und selbst von weiteren Orten und Städten da. Die Untersuchung ergab, daß die kleinen vertrockneten Knochen mit den zahnlosen Kiefern nicht die des großen, jugendlichen Mannes sein konnten.
»Dieses Opfer umsonst!« Flüsterte der Bart vom Tärn dem Feuerwart zu.
Nun wurde nach dem Schreiner begehrt und seiner Familie.
»Wo sollen wir die Leute finden?« Sagte der Firnerhans. »Wenn mir die Hütte niederbrennt, ich besinne mich nicht lange heutzutag’, was in Trawies zu machen ist: ich schneide mir einen Hagebuchenen und wandere aus. Viel anders wird’s auch der Schreiner nicht gemacht haben. Suchet draußen auf der Landstraßen unter dem Bettelvolk, auf gut Glück vielleicht in einer Zimmer- oder Schreinerwerkstatt zu Neubruck – was weiß ich!«
Da saß auf schwarzem Hengste ein finsterer, bärtiger Reitersmann. Der griff mit der linken Hand ans Schwert, die rechte ballte er zur Faust und knirschte gegen die Männer von Trawies: »Bei den Himmlischen und bei den Höllischen! Daß binnen vierundzwanzig Stunden der Mörder mein ist, das bürgen mir Eure Köpfe!«
»Seit Menschengedenken hat es im Thale der Trach noch nicht so viele Raben gegeben, als in diesem Winter.«
»Wie kann es anders sein, seit man zu Trawies die Todten nicht begräbt!«
»Was wird das für ein Christfest werden? Trawies ist belagert wie ein Räubernest, das sich nicht überliefern will. Heute steht unter jedem Baum ein Scherge.«
»Und morgen hängt auf jedem Baum ein Bauer!«
So sprachen die Leute, die des Weges kamen. Darunter einige der ältesten Männer, die vorgerufen waren, »bei Vermeidung der Einbuße von Hab und Gut im Pfarrhofe zu erscheinen«.
»Wenn ich vom Pfarrhof höre, steigt mir schon allemal der Graus auf,« brummte Uli der Köhler.
»Das hätten wir ganz anders machen sollen,« meinte der Firnerhans, »aber sein Lebtag: die gescheiten Gedanken und die krummen Ross’ hinken hinten drein. Wir hätten es mit dem Pfarrhof machen sollen, wie draußen mit dem Schreinerhaus. Der Herr wäre dabei ums Leben gekommen. Ein Unglück. Wer kann dafür!«
Ein paar Landsknechte mit ausgestreckten Messern traten dazwischen und bedeuteten den Männer, daß sie sich zu zerstreuen hätten.
»Und ich weiß es,« sagte der Köhler, »daß wir in den Pfarrhof berufen sind zur Versammlung.«
»Auf der Straße ist das Zusammenrotten nicht gestattet! Auseinander!«
Der Firnerhans erhielt einen Stoß mit dem Gewehrkolben, da sprang er mit einem wilden Fluche auf die Häscher los; es entspann sich ein Gebalge zwischen den Bauern und den Soldaten und als sie auseinandergestoben, lag der Hans hingestreckt auf dem blutigen Schnee; er raffte sich erst allmählich wieder auf und schleppte sich in das Wirthshaus und befeuerte die Leute zum Kampfe gegen die Tyrannen. Die Übrigen wurden in den Pfarrhof getrieben, in die große Stube gethan und vielfach bewacht, bis die Herren erschienen.
Die Herren des Gerichtes mit schwarzen Mänteln über der Amtsuniform und den Waffen. Auch Priester waren darunter, und diese schienen den Vorsitz zu führen. Die meißten waren blaß und sahen finster drein, und ihre langen Bärte zuckten bei jeder Bewegung ihres Mundes. Einer war so feist und die Miene seines Angesichtes derart verfettet, daß nicht zu unterscheiden war, ob dieselbe strenge sein oder lächeln wollte. Indeß schien die Gluth seiner breiten Wangen und seiner mit schwarzem Käppchen bedeckten Stirne nicht Zornesröthe zu sein, sondern eher dankbar von dem Genusse der flüssigen Gabe Gottes herzurühren. Wie bei den Frommen nichts ohne Zweck ist, selbst das Schmerbäuchlein nicht, so diente dieses hier als Kissen für ein goldenes Kreuz, das an einer goldenen Kette von den Schultern niederhing. Denn der wohlbeleibte Herr war der Prälat von Oberkloster. Er saß hinter dem grünen Tisch auf massivem Lehnsessel. Ihm zur Seite stand ein schlanker jugendlicher Priester ohne Bart und mit kurzgeschnittenem Haar. Seine tiefliegenden Augen waren grau wie ein Nebeltag, in welchem man nicht sehen kann, ob die Sonne im Auf- oder Untergehen ist. Um die Winkel seines Mundes spielten sich die Ringe, die wie ein erzwungenes Lächeln ließen. Diesem Herrn nannten sie den Pater Dominicus. Er saß nicht auf seinem Stuhle, in seinen Bewegungen zuckte die Ungeduld.
Auf dem Tische stand ein Christuskreuz und lagen Papiere. Als nun die Männer versammelt und die Thüren besetzt waren, murmelte der Pater Dominicus die Worte: »Im Namen des dreieinigen Gottes!«
Hierauf nahm eine der Gerichtspersonen die Protokolle und begann zu lesen. Sie las eine Stunde und länger, und die Männern von Trawies zuckten dabei häufig die Augenbrauen und die Fäuste.
Als die Schrift zu Ende war und der Vorleser noch einen eiskalten Blick auf die Bauern geworfen hatte, nahm der weißbärtige Oberrichter von Neubruck das Wort und sagte: »Ihr habt es gehört!«
Alles lautlos.
»Ihr habt es gehört, Männer zu Trawies, daß Ihr schuldig seid an dem Tode Eures Seelenhirten. Gottes Stimme hat gesprochen. Das Volk von Trawies ist verhört, jede Aussage streng geprüft worden und es hat sich das erwiesen, was Herr Franciscus, der gottlos Erschlagene, uns so wiederholt mitgetheilt hat und dem wir leider nicht vollsten Glauben schenken wollten, weil wir an den Gehorsam unserer Bauern seit jeher gewöhnt sind. Nun ist es sonnenklar, Ihr seid Rebellen. Ihr habt die Verordnungen Eures Herrn mißachtet, ihm den Gehorsam verweigert in geistlichen und weltlichen Dingen. Ihr habt vielerlei Anstalten getroffen, Euren von hoher Obrigkeit Euch zunächst bestimmten Vorgesetzten zu entfernen und, da dieses nicht gelingen wollte, auf Mittel gesonnen, ihn auf andere Weise aus dem Wege zu schaffen. Heute kann es keiner mehr leugnen, daß der Mörder unter Euch ist, daß Ihr ihm Vorschub geleistet habt bei seiner That, daß Ihr ihn verborgen haltet. Da die Hausuntersuchungen fruchtlos waren, so ist anzunehmen, daß der Mann frei unter Euch steht.« Nun erhob der Oberrichter seine Stimme: »Ihr Ältesten der Gemeinde, Keiner von Euch kehrt in sein Haus zurück ebvor Ihr den Mörder genannt und ausgeliefert habt!«
»Verrath!« Schrie eine Stimme aus den Angeklagten, »vom Gerichte selbst verrathen! Abgefangen wie herrenlose Hunde!«
Die blinkenden Spieße der Landsknechte standen zur Thür herein.
Der Richter stand bewegungslos. Als die Ruhe wieder hergestellt war, rief er: »Im der Gerechtigkeit des Himmles und der Erden! Ihr Männer, deren Haare grau geworden sind im Dienste Eurer Gemeinde, beschworen seid Ihr, Eure Heimat nicht selbst treulos zugrunde zu richten. Das Gericht hebt sein Schwert über ganz Trawies. Schützt Euch und Eure Mitgenossen – liefert den Mörder aus!«
Nun drängte sich aus dem Knäuel der Männer der Älteste hervor, Gallo Weißbucher, genannt der Vormann und der Feuerwart. Auf seinen Stock gestützt – denn es bebten ihm die Knie – trat er hin vor die Herren und sprach:
»Was bei uns geschehen ist, das – hohes Gericht – bist Du selber Schuld. Wir haben Dich gebeten, den Mann, der nicht für uns war, von uns zu nehmen. Du hast uns zu Hohn den Bescheid durch ihn selbst ertheilt. Wir zu Trawies sind freie Bauern gewesen seit altersher, und lieber, denn wir der Willkür Knechte sind, gehen wir zugrunde. Er hat uns getreten und verschmäht, er hat uns die alten Rechte an Wald und Weide verweigert, er hat unsere Ernten nicht geschont, er hat unsere altehrwürdigen Sitten verletzt. War’s aus Trotz aus Bequemlichkeit, aus Feindseligkeit: Manchem hat er das Sacrament vorenthalten und die Wegzehrung auf dem Todtenbette. Macht auf die Augen! An diesen Wänden steht seine Lebensgeschichte geschrieben: Hirschgeweihe, Hundspeitschen und Eberszähne, Schlagringe und beim Donner! Noch vollgespickte Weidtaschen. Wo sonst das Ciborium hing, baumelt jetzt der Hirschfänger. Wo sonst das Evangelium lag, findet Ihr die Spielkarten. Und Der war uns zum Vorbild gestellt! Mit diesem Menschen hätten wir leben und sterben sollen!! Gebt uns einen gerechten Herrn, gebt uns einen Priester, wir sind redliche Unterthanen und gute Christen. Laßt uns frei sein, und wir werden treu sein – aber das, was geschehen ist, bereuen wir nicht!«
»Das Geständnis läge vor,« flüsterte der Pater Dominicus dem Schriftwart zu.
Der Oberrichter sagte: »Ich fordere Euch zum letztenmale auf, liefert den Mörder aus!«
Der Feuerwart stürzte zum Tisch, erfaßte das Crucifix und rief: »So wahr sie unseren Heiland, einen Unschuldigen, ans Kreuz geschlagen haben: wir liefern ihn nicht!«
»Gib weg das Kreuz,« sprach der blasse Pater, sprang einen Schritt vor und wand dem Manne das Crucifix aus der Hand. »Bei diesem heiligen Bilde haben wir geschworen, den Tod unseres Mitbruders an Euch schwer zu büßen. Der Pöbel will übermüthig werden, da ist es hoch an der Zeit, ein Exempel aufzustellen, wie Empörung endet.«
»Der Pfaff nimmt uns das Kreuz weg!« schrie ein knorriger Waldmensch. »Niederschlagen! Niederschlagen!«
Einige stürzten trotz der Abwehr des Feuerwartes hin auf das Richtercollegium, warfen den Pater zu Boden und brachen in seiner Hand das Crucifix entzwei, ehe noch die Landsknechte zur Stelle waren.
»Aus und vorbei ist’s!« Rief der Feuerwart händeringend, während die Kolben krachten, die Spieße schrillten und ein Schuß aufblitzte über den Köpfen der schreiend und polternd hin und her wogenden Menge.
»Nieder, nieder mit Allem, was Bauer und Hund ist!« Rief es im bedrängten Richtercollegium. Und nun hob ein grausames Gemenge und Gemetzel an. Zu groß war das Gedränge, als daß die Söldner ihre Waffen frei gebrauchen konnten; die Bauern arbeiteten mit Fäusten und kurzen Schlagern erfolgreicher. Mancher Wehrmann röchelte durch seinen mit knochigen Fingern zugeklemmten Hals, mancher der Häscher stöhnte auf dem Fußboden unter dem Knie eines wüthenden Trawiesers. Als die Bauern inne geworden, daß für sie nichts mehr zu verlieren war, ließen sie ihrer Wuth freien Lauf und drängten immer stürmischer gegen die Richter ein, die nur mit Noth von den Söldnern beschützt werden konnten.
In denselben Augenblicken brach auch draußen ein wildes Lärmen los, und zu den Fenstern flogen Steine herein.
»Schließt die Thore ab!« Hörte man den Oberrichter noch schreien, während das sich draußen versammelnde Volk laut und lauter nach Einlaß verlangte. Der Feuerwart beschwor seine Mitgenossen im Zimmer, beschwor durch das Fenster die aufgeregten Rotten vor dem Hause um Mäßigung. Schier umsonst. Auf den Fußdielen floß das Blut, der grüne Tisch war umgestürzt, die Schriften wurden von krampfhaften Händen zerfetzt, die Stücke flatterten in der Luft. Pater Dominicus, der anfangs zumeist Bedrohte, hatte sich mit Hilfe zweier Söldner wieder freizumachen gewußt; nun war er auf einen Wandkasten geklettert, wo er den Erzengel Michael anrief gegen diese höllische Meute. Selbst der Prälat war behender geworden, als man hätte vermuthen können, er verschanzte sich in einer dunklen Ecke hinter einem Betpult und sein Angesicht war in Schreck und Angst gar ausdrucksvoll geworden. Der weißbärtige Oberrichter von Neubruck blieb unter Allen der Ruhigste. Da er sah, daß die Bauern endlich unterlegen waren, so warnte er die Soldaten, ohne besondere Noth von ihren Waffen Gebrauch zu machen. »Diese da!« Rief er, »dürfen mir nicht gemordet, sie müssen gerichtet werden!«
»Morgen, Ihr Waldhunde, liegt Ihr ausgestreckt auf den Folterbänken; da werden wir noch gütig miteinander reden.«
So der vom Schreck sich wieder erholende Schriftwart.
Da erscholl der Ruf: »Feuer!«
»Der Pfarrhof brennt! In die Holzkammer haben sie Feuer geworfen!«
Als die Thüre aufflog, drang schon der Rauch herein und an das Ohr schlug das Geprassel der brennenden Sparren.
»Keiner hinaus, bevor die Rebellen gefesselt sind!« befahl der Richter.
Da begann das Ringen von neuem, und zwischen Rauch und Flammen haben die Ältesten von Trawies ihren Rest von Freiheit verloren. Die Arme an den Rücken gebunden, so wurden sie dir brennende Treppe herabgezerrt und ihnen folgte, als der Letzte aus diesem Hause – auf der Bahre von Söldnern getragen – der Leichnam des Erschlagenen.
Rings um das brennende Haus johlte die Menge, Männer, Burschen und Jungen der Umgebung, auch zeternde Weiber darunter, auch Gesindel, das überlaut von Befreiung schrie und insgeheim nach Beute spähte. Plötzlich knallten Schüsse. Eine Dirne stürzte zu Boden mitten in der Rotte, und als die Anderen sahen, daß vom Gebäude her, und dort vom Thale herauf, und dort vom Walde herüber Häscher mit gezückten Waffen gesprungen kamen, da wollten sie sich davon machen. Aber sie waren umrungen, bereits eingeschlossen, der niederwirbelnde Rauch raubte den Blick nach etwaigen Auswegen, da war ein Geschrei und ein Gewinsel, und alles floh der Kirche zu, um sich in ihren Mauern zu verbergen.
»Wohlan,« sagte der Oberrichter, »diese Mauern sind fest. Führt mir auch die Gefesselten hinein und verschließt das Thor.«
So geschah es. Und als der Abend dämmerte, war ein wunderlich Volk versammelt im Gotteshause zu Trawies. Es schrie, es fluchte, es drohte. Es rief die Bilder der Heiligen an gegen die auf sie hereinbrechende Gewalt. Einer erfaßte den Strick und läutete Sturm. Ein Anderer sprang auf den Blasebalg, sprang auf die Orgel, daß sie in schrillem Tone aufschrie. und zu den Fenstern leuchtete der Brand des Pfarrhofes herein.
Der Feuerwart stand am Tische der Communion und starrte auf den großen dunklen Flecken des Steinpflasters. Solche Frucht trägt diese Saat. Er ahnte nicht, daß all das erst der Anfang war, der Anfang von Geschehnissen, an denen Trawies sterben und verderben sollte ....
Die verhängnisvolle Nacht brach an.
Unter der Linde, die am Friedhof stand, beriethen die Herren aus Neubruck und Oberkloster und von weiter her, was nun zu thun sei. Der Vorschlag, den hohlen Todtenschädel des Erschlagenen von der Gemeinde dreimal mit Gold füllen zu lassen, wurde nicht angenommen. Mit Geld sich in den Frieden einkaufen, das kann den Leuten zu Trawies nicht gewährt werden. Einer war dabei, der stand auf eines Menschen Grab und hatte eines Teufels Traum. Der sann nach, wie es wäre, wenn jetzt vom brennenden Hause ein Funken hinüberflöge auf die Schindeln des Kirchendaches. Die Anderen waren darüber Eins, daß die Kirche und das weltliche Gericht über diese Frevler, Empörer und Hochverräther die strengsten Strafen verhängen müsse. Hierauf bestimmten sie den Plan; er wurde nicht hier neu erfunden, er wurde nach dem, was anderwärtig geschehen war, wo Frevel und Verbrechen von Einzelnen oder von Verbindungen begangen worden, aufgestellt. Zu jener Zeit hatte die Obrigkeit ihre Vollmacht nicht von Menschen – so war sie oft auch nicht menschlich; in jenen Tagen behaupteten die Herrscher, ihre Vollmacht von Gott übernommen zu haben, und übten sie demnach mit einer Herzlosigkeit, die eines puren Geistes würdig gewesen.
Als die Nacht hereingebrochen war, drangen Söldner in die Kirche, befreiten die Gefesselten von ihren Banden, nahmen Jedem die Waffe ab, die er etwa mit sich führen mochte, und stellten sich dann an beiden Seiten das Altars auf, als gelte es ein Meßopfer in Parade, das zu später Stunde noch gehalten werden sollte. Zwei Lichter wurden angezündet am Altar. Dann ging die Thüre der Sacristei auf und hereinschwankte, von vier Männern getragen, der Leichnam des Priesters. Auf den Stufen, dort, wo er vor Tagen vom Beile getroffen zu Boden gestürzt war, wurde er niedergelassen. Hierauf kam in seinem langen, schwarzen Kleide der Pater Dominicus und brachte einen Kelch, den er zu Haupten des Todten stellte. Und endlich kamen die übrigen Richter und Herren und stellten sich an dem Altare auf.
Die zusammengezwungene Menge war, als sie diese Anstalten gesehen, gar still geworden.
»Was wird da werden?« So flüsterte Mancher der Gefangenen dem Nachbar zu.
»Das ist das Gottesgericht!« Sagte Einer zum Anderen.
»Das Gottesgericht. Sie suchen den Mörder. Jeder von uns wird hintreten müssen und den Todten berühren. Wenn der Mörder ihn anrührt, dann wird die Wunde bluten.«
»Ein unterhaltsames Schauspiel. Und wenn der Mörder nicht da ist?«
»So wird sie nicht bluten.«
»Und wenn sie nicht blutet?«
»So ist der Mörder nicht da. Das heißt man Gottesgericht.«
»Wird uns nicht gefährlich.«
Das Murmeln unterdrückte sich, denn der Oberrichter ergriff das Wort und sprach:
»Ich bin ein alter Mann und – selbst ein sündiger Mensch – grau geworden im Richten, aber niemals ist mir ein Urtheil so hart angekommen, als heute. Ich verschließe mein Ohr vor meiner Zunge, denn diese spreche im Namen der Gerechtigkeit. – Nach dem, wie die Dinge sind, ist es dem Gerichte nicht darum zu thun, das Werkzeug des Verbrechens zu bestrafen – dieses würde die Tortur uns leicht vermitteln –, sondern den Verbrecher. Der Verbrecher aber ist hier das Volk von Trawies. Noch strenger aber müßte der Richterspruch lauten, hätten ihn nicht Menschen gemildert. – Männer von Trawies! Ihr werdet heute in langer Reihe das letztemal einen Umgang machen um den Altar Eurer alten Pfarrkirche. Und Jeder, sobald er an diesem Todten vorüberkommt, wird aus dem Kelche, der an seinem Haupte steht, ein mit Papier umhülltes Körnlein ziehen. Die Körner sind weiß und auf Gottes Felde gewachsen; aber zwölf liegen darunter, die sind schwarz. Wer eines von diesen Zwölfen hebt, der wird von heute in drei Tagen durch das Schwert zu seinem ewigen Richter gehen.«
Jetzt schrillte ein Schrei aus der Menge auf und die Leute fuhren durcheinander, »als wie die Schafe im Stall, da der Dieb nach seinem Opfer hascht«, besagt die Handschrift, »sie sind aufgefahren und haben den himmlischen Herrn gerufen, gerüttelt haben sie an der Pforten, als wann die Festen sollten wanken, sie sind an die Wand gestoßen und haben ihre Köpfe vergraben in das Gemäuer und haben so grausamblich den höllischen Erbfeind angerufen, daß selbsten die Priesterschaft davor erbebet.«
Nachdem das Toben soweit abgenommen, daß der Oberrichter mit Mühe wieder zu Worte kommen konnte, fuhr er fort: »Daß Ihr sehet, wie das Gericht der Barmherzigkeit Gottes eine lange Hand gelassen, so wisset, daß weit mehr Körner im Becher liegen, als Eurer Köpfe sind, und es – so Ihr trotz Allem der Schuld frei wäret – wohl möglich kann sein, daß sich Keiner die Verderbnis hebt.«
Trat jetzt der Feuerwart vor. Seine gestalt war hoch aufgerichtet, die grauen Haare sträubten sich auf seinem Haupte, seine Hände waren ausgestreckt gegen die Herren.
»Haltet ein!« Rief er und seine Stimme klang hohl vor Grauen, »haltet ein, Ihr Männer der Gerechtigkeit, mit solchem Spiel an diesem heiligen Orte! Das ist der Kelch für unseres Heilands rosenfarben Blut. Schüttet die Lose weg! Die Lose weg!«
Er wollte zum Kelch springen, ein Landsknecht stieß ihn zurück.
»Und wollt Ihr,« so fuhr er fort, »tödten hier, weil getödtet ist worden: Da, da, faßt den alten Mann, der Gemeinde Vordersten, und löscht mit seinem Blut, was zu löschen ist.« Mit gerungenen Händen stürzte er vor die Richter hin: »Ich bitt’ Euch im den Tod, aber das Volk laßt frei!«
»Steht auf,« versetzte der Oberrichter kalt, »und mischt Euch nicht ins Gottesgericht, alter Mann. Ihr seid des Griffes in den Kelch enthoben. – Wohlan, der Gang beginne. Mit dem die Gnade ist, der mag frei durch das Thor der Sacristei nach Hause gehen.«
Ein Wink gegen die Söldner, und das Treiben begann.
Der Erzähler hätte vergebens nach Farben gesucht, um die Verzweiflung zu malen, von der er die Männer bei diesem Rundgange befallen zu sein wähnte, aber die Urkunde belehrt kurz und trocken: »Alsdann sie gesehen, es kunnt nit anders seyn, sind sie gegangen und hat Männiglich erwogen: Trifft es mich, so rait ich es für das Sterben ab.«
Schwer und finster wie Einherier schritten sie um den Altar, nahten sich dem Todten und zogen ihre Lose. Mancher sprühte dabei wilde Augengluth auf den Erschlagenen; Mancher auch wendete sich schaudernd ab und fast graute ihm mehr vor dem todten Priester, als vor seinem todtbringenden Kelche; Mancher langte mit zitternder Hand in den Becher, Mancher mit keckem Griff, trotzig knirschend, als gelte es, das Geschick am Kragen zu packen. Dann wurde jeder vor die Richter geleitet, seine kleine Beute ihm aus der Hand genommen und enthüllt. War das Körnchen weiß, so schienen die Richter selbst aufzuathmen und der Glückliche wurde durch das Pförtchen ins Freie gelassen. In der stillen, weiten Sternennacht, wie jauchzte er auf, wie sprang er hin in jugendlicher Leichtfüßigkeit – und war es gleich ein altersgebeugter Mann – wie schwur er, von nun an die Kirche von Trawies auf Stundenweite zu meiden und im grünen Walde unter dem lichten Himmel Gottes seine Andacht zu verrichten!
Die wenigen Weiber, die mitgefangen waren, entschlüpften ungefährdet; doch schlugen sie die Hände zusammen über diesen seltsamen Gottesdienst und über den in Asche glühenden Pfarrhof und liefen Gebete murmelnd, davon.
Der Wegmann von der unteren Trach war der Erste, der in des Richters Hand ein schwarzes Korn legte. Als er es sah, prallte er zurück, als hätte ihm Einer einen Schlag auf die Stirne versetzt. Dann aber stand er fest, blaß und regungslos wie ein aufrechtragender Leichnam. Nach ihm kam eine Reihe von Kindern des Lichtes, die, vor Freuden ächzend, hinaustraten in die Sternennacht. Einer war wohl dabei, der schritt so ernst und finster der Freiheit zu, als ginge er in den Tod.
Warum er nicht Gott Lob sage? Wurde er draußen vom Nachbar gefragt.
»Wofür?« Murmelte er. »O Freund, wie es jetzt sein wird, der Tod wäre uns besser, als wie das Leben!«
Der zweite Todgeweihte war ein Holzer aus dem Tärn. Er stieß ein gellendes Lachen aus.
Nach ihm kam rasch der Dritte, ein alter Knecht aus dem Sandhockhause, ein leidenschaftlicher Kugelschieber und Kartenspieler.
»Das habe ich gewußt,« rief er ärgerlich aus, »wenn’s was gilt, verspiel’ ich allemal.«
Die Nächsten waren zwei Bauern vom Johannesberge. Sie verzogen zum bösen Spiele keine Miene. Nach einer weiteren Reihe von »Weißen« kam mit einem schwarzen Korn der blutbefleckte Firnerhans.
»Mir scheint, vom Johannesberg gehen sie Alle!« bemerkte einer der Rückwärtigen aus dem Trasankthale. Gleich darauf zog er selbst das Schwarze, so daß ihm der Firnerhans zurief:
»Mir scheint, es gegen auch die Trasankthaler.«
Nun kam der Rockenpaul-Knecht, der schon einmal wunderbar gerettete Simon, welcher sich heute auch unseligerweise in die Nähe der Kirche gewagt hatte. Er zögerte lange in den Kelch zu greifen; endlich that er’s und langte tief bis auf den Grund. Ohne vor die Richter zu treten, enthüllte er rasch, als wenn er von einer Nuß die Schale lösete, sein Korn und hob es empor. Es war schwarz.
»Ja, meine liebe Han!« Seufzte er auf und stellte sich in die Nische zu den von Schergen umringten Toderkorenen.
Nach ihm wieder ein langer Zug in die Nacht hinaus, in den freien Wald. Wie blickte ihm der Simon so betrübt nach!
»Ihr geht hin, und Ihr schießet die Rehlein im Wald und habt Eure Freuden. Kunnt ich mit Euch gehen, jetzt wüßte ich aufs neu’ was das Leben schön ist!«
Noch kamen zu den Todten Leute von der hinteren Trach und darauf ein Hausirer, ein Schwefelmann, der nur nach Trawies gekommen war, um den Leuten Feuerzeug, Rattengift und dergleichen zu vermitteln, Katzen zu erwürgen und deren Bälge mit sich zu nehmen. Wie warf er sich hin vor die Richter und jammerte und erinnerte, daß er unschuldig sei und nicht zu den gottlosen Trawiesern gehöre, daß er täglich seinen Psalter bete, oft wochenlang faste, weil er sich der freiwilligen Armuth begeben habe, daß er den frommen Herren zu Oberkloster das Zündzeug liefere für ihr geweihtes Feuer in Kirche und Küche, daß er ihnen stets das Harz zugetragen habe zum Bepichen der Fässer ihrer Keller, und daß er demnächst selbst in den Orden zu treten gedenke. Es nutzte nichts. Die Herren beriefen sich kalt auf das Gottesgericht, und der Ewige würde wissen, warum er ihn hinwegnehme. Das Männlein wälzte sich auf dem Boden und wand sich im Krampfe, bis es ohnmächtig im Winkel liegen blieb.
Nach diesem kam Einer, bei dem Manche sich eines Auflachens kaum enthalten konnten. Andere sagten: »O mein! Auch der!«
Es war der Halbcretin aus dem Hause des Firnerhans, der »dreiköpfig’ Osel«. Er starrte zuerst eine Weile auf den Todten, hockte sich dann hin vor den Kelch und begann mit den Körnern zu spielen. Endlich hob er ein Stückchen, betrachtete es und hielt es den Richtern hin. Das Korn war schwarz, der Osel lächelte, begehrte es als sein Eigenthum zurück, steckte es in die Tasche und stellte sich mit sichtlichem Selbstgefallen zu den Todtgeweihten.
Die Richter blickten sich fragend an. – Sind nicht selig die Armen im Geiste? Ist ein solches Wesen der Sünde fähig? Mit nichten. Als die Letzten der Freien durch das Pförtchen huschten, verlangte es auch den dreiköpfigen Osel hinaus. Und man wehrte es ihm nicht.
Es war die Kirche nun leer geworden. Im Kelche lagen nur noch wenige der Körner, kein Schwarzes mehr darunter.
Dir Richter traten ab. Die elf Männer, die sich den Tod gezogen hatten, wurden in das Häuschen des Küsters gebracht und dies mit Wachen besetzt.
Aus den Trümmern des Pfarrhofes stieg trüb und träge der Rauch auf und verschleierte die Sterne des Himmels. –
So lagen sie nun auf dem Stroh, der Eine tief vergraben unter dem Schaube, der Andere zusammengekauert im Winkel, der Dritte ausgestreckt auf dem Bauche, der Nächste auf dem Rücken, die Arme als Kissen unter dem Haupte, die Beine weit hingeworfen. Mancher that, als gebe es keine Sorge auf der Welt. So lagen sie seit vielen Stunden. Wie sie die Nacht über in ihrem neuen Quartier geschlafen haben, sind sie nicht befragt worden. Sie lagen in den Tag hinein »wie die Grafen und Freiherren«.
»Auf was wir nur warten?« Fragte Einer.
»Aufs Köpfen,« antwortete sein Nachbar.
An Thüren und Fenstern standen die Landsknechte, und ihre Spieße funkelten in der Morgensonne herein durch die Scheiben.
Etliche waren freilich unter den Gefangenen, welche die ganze Nacht gejammert hatten und jetzt erschöpft und im Halbschlummer dalagen. Die Anderen waren leidlich bei Humor.
»Alleweil,« so bemerkte jetzt der Holzer aus dem Tärn, derselbe, der bei der Losung das gellende Lachen ausgestoßen hatte, »alleweil hat mein Vater gesagt, das Tabakrauchen thäte nicht gesund sein. ‘s ist richtig, mich hat das Teufelskraut umgebracht.«
»Lebst ja noch, Pistel.«
»Lieg so gut in den letzten Zügen als wie Du. Das ganze Jahr komme ich nicht in die Trawieser Kirchen, seit im Tärn das Wirthshaus ist. Wie es aber nun den närrischen Schnee macht, daß die alten Weiber nicht in die Mess’ mögen, geht mir der Tabak aus, und so ist’s, daß ich mich selber auf den Weg mach’ ins Trawies. Kleber daß ich den Tabaksbeutel voll und den Geldbeutel leer hab’, geht vor dem Pfarrhof das Spectakel an. Kehr’ die Hand um, hat mich der Teufel schon dabei, und ich bin hin. Desweg sag ich: Nur das Rauchen nicht angewöhnen!«
»Wenn ich nur so gescheit wär gewesen,« meinte er alte Knecht des Sandhock, »daß ich gleich ein paar Bohnen hätt herausgenommen, wär’ doch sicher eine Weiße dabeigewest – und die schwarze geschwind weggeworfen. Wenn ich nur so gescheit wär’ gewest!«
»Eh’ wahr. Allgenug hast falsch gekartelt Dein Lebtag lang, und beim letzten, wo es Deinen Kopf gilt, hast eine Ehrlichkeit, daß es eine Schand’ ist.«
»Ei, ei,ei!« seufzte der Knecht.
»Mir schwant,« sagte der Wegmann von der unteren Trach, »es ist ihnen nicht Ernst.«
»Gelt ja!« fuhr ein Anderer vom Stroh empor, »sie wollen uns nur ein Stückel Angst einjagen, nachher lassen sie uns wieder aus.«
»Kunnt’s ja nimmer glauben, daß uns das Gericht wie eine Mörderbande wollt’ umbringen, wo von uns ein Jeder wegen des Pfarrherrn so unschuldig ist, als wie das Lamm Gottes im Himmel.«
»Freund,« sagte der Firnerhans, »bilde Dir nichts ein. Mußt es ja noch wissen, wie vor etlich Jahren der Postbote von Siebenbaum auf der Straßen ermordet und beraubt ist gefunden worden. Alle Wandersleute sind eingefangen worden auf der selbigen Straßen, und weil den Mord Keiner hat eingestehen wollen, so sind von ihnen drei Köpf’ herausgelost und abgehackt worden.«
»Wisset Ihr auch von dieser Geschichte?« Fragte jetzt in wimmernden Tone der Schwefelmann.
»Man muß nur die Satzungen kenne,« fuhr der Firnerhans fort. »Das beste ist, daß zu einer Zeit, welche die Vehm- und Gottesgerichte nicht vergessen hat – die noch dann und wann gern ein Hexlein verbrennt, wie wir das dürre Unkraut auf unserem Rübenfeld – daß wir zu solch erfreulicher Zeit nicht die einzigen Unschuldigen sind, die fort müssen. Wir haben nicht eingesehen, wie gut es zu leben war zwischen dem Tärn und dem Trasank; jetzt ist die Welt mit ihren Herrlichkeiten zu uns hereingekommen. Leute, die wir da zusammengesperrt sind wie die feisten Hammel vor dem Schlachten: Das Plärren und Grunzen hilf gar nichts. Das Beste, wir treten ab als wie Männer, und spucken voreh der Welt noch Eins ins Gesicht!«
Die Meisten schwiegen, Einige grollten.
»Nicht daß es mir um meinen Kopf leid thäte,« simulirte des Rocken-Paul’s Knecht, der Simon, »aber um meine Han thut’s mir leid.« – Ein armseliges Schreibzeug verschaffte er sich im Küsterhause und schrieb folgenden Brief:
»Herzallerliebste Han
Es ist gar zum Lachen, gelt, wie sie mich doch noch d’rankriegt haben! Der Kuh wegen geht’s her, die ich bei der Wirthin im Stall hab’ stehen. Sie schickt mir Post, das Kalb wär’ da und ich sollt’s anschauen gehen. Die Arbeit ist nicht g’nöthig, izt im Advent, so bin ich her. ‘s ist ein ganz proper Stierlein und semmelfarb, eigen zum Spennen. Brennt Dir auf einmal der Pfarrhof und ich lauf’ löschen. Dieweilen jagen sie uns schon in die Kirchen und suchen sich unser Zwölf aus zum Köpfen. Heut’ steht er mir noch fest auf den Achseln, und daß ich Dir schreib’, herzliebste Dirn, Du bist mein letzter Gedanken. Die Kuh mit dem Kalb ist Dein. Röhren kannst um mich, wie Du willst, aber es hilft nichts. Daß ich unschuldig bin, weiß Kein’s besser, als wie Du, aber was kannst machen, wenn Einen die Herren einmal im Kotter haben. Wenn im Himmel die Geköpften wieder einen aufkriegen, so kommen wir leicht zusammen und heiraten.
Dein liebender
Simon Hanefer.
Wann es losgeht, weiß ich itz nit zu sagen, bleib daheim und scher’ Dich nit d’rum. Die neumelke Kuh will die Wirthin noch bis Petri Stuhlfeier haben. Laß ihr’s.«
Der Erzähler weiß es: Das heutige Geschlecht will es nicht glauben, daß damals ein junger kerngesunder Bauernbursche so munter aus dem Leben sprang. Das heutige Geschlecht verlästert die Welt mit jedem Athemzuge und klammert sich mit allen Fasern angstvoll an dieselbe oder stürzt sich in Verzweiflung unter ihre rollenden Räder. Dem Simon fällt das Eine nicht und das Andere nicht ein. Kann es sein: lustig leben, und muß es sein: lustig sterben! Das ist seine Art. Viel zu philosophiren hat er nicht gelernt.
Der Simon war mit seinem brieflein kaum fertig, als, von Soldaten begleitet, ein Priester zur Thür hereintrat. Er hatte die letzte Wegzehrung bei sich, und als sie den Kelch sahen, rief ihm der Firnerhans entgegen: »Geh’, Pfaff, geh’! Deinen Kelch kennen wir!«
Der Priester sprach in milden, gütigen Worten, sprach von der Freude, die im Himmel über einen reumüthigen Sünder sei,
»Wenn ich Eins bereue, so ist es, daß ich Dir nicht schon gestern die Gurgel verklemmt hab’!« schrie Einer und wollte, auf den Geistlichen zustürzend, heute sein Vorhaben ausführen. Die Söldner schleuderten ihn zurück, daß er ächzend an die Wand fiel.
Die zwei Bauern vom Johannesberge knieten nieder, sagten, daß obgleich ihr Gott ihnen untreu geworden wäre, sie ihm treu bleiben wollten, und baten um die Absolution.
Dann kroch der Schwefelmann hin gegen den Priester und bat diesen, bei den Herren vom Gericht etwas ausrichten.
»Ich laß fragen, das Gottesgericht wäre nichts nutz und würde heut’ gerade so die Unschuldigen hinrichten, wie dazumal des Postboten von Siebenbrunn wegen. Unter den Enthaupteten sind allerlei Leute gewesen, aber der Mörder nicht. Wenn das hohe Gericht wissen will, wer den Postboten umgebracht hat, so soll es mich fragen.«
»Das wird’s bleiben lassen,« lachte der Firnerhans.
»Ihr seid erbarmungswürdige Menschen,« sprach nun der Priester, »Ihr frevelt gegen die Gnade des Himmels, die Euch auserwählt hat, genug zu thun. Wenn der eingeborene Sohn Gottes es nicht verschmäht, unschuldig für die Welt zu sterben, wie sollt Ihr Sünder dagegen murren?«
»Du heiliger Mann,« sagte der Firnerhans, »Du bist ja der Stellvertreter des Sohnes Gottes, komm und tausch’ mit mir; wenn der Pfaff’ stirbt, thut er mehr für die Welt, als der Bauer, wenn er stirbt.«
Jetzt nahm der Holzer vom Tärn das Wort: »Das ist ein närrisches Streiten. Jeder stirbt für sich selber und nachher soll er’s Maul halten.«
Auf dem Kirchthurm klangen die Glocken.
»Hört Ihr,« sagte der Geistliche, »laßt fahren Euren Groll, sinkt auf die Knie und betet. Die Glocken gehen Euch an.«
Mancher erblaßte.
»Euch Blutzeugen begleiten sie noch mit christlichem Klange aus dieser Welt. Dann werden sie nicht mehr klingen zu Trawies. Wisset, die heilige Kirche hat über diese Gemeinde das Inderdict gelegt und von der Stunde Eures letzten Athemzuges an ist Trawies geächtet und verbannt.«
Es kann wohl nicht versucht werden, den Schreck zu beschreiben, der durch die Wälder zitterte. Das Gehaben der Todtgeweihten Männer war zu betrachten; aber vor der wilden Verzweiflung der Weiber, Schwestern, Brüder und Kinder könnte die Feder nicht Stand halten. Man hörte das Jammergeschrei von Haus zu Haus. Plötzlich verstummte es, wie in unheilschwangerer Luft die Wettergüsse oft plötzlich versiegen. Sie fragten sich immer und immer wieder, ob es denn auch wahr sei, wahr sein könne. Und als es immer und immer wieder bestätigt wurde, hub das Klagegeschrei von neuem an.
Hineilten sie zu den Mauern von Trawies mit Bitten und Beten; nur einmal noch sehen wollten sie die Verurtheilten; sie wurden zurückgestoßen. Mit scharfem Hausgeräth bewaffnet stürzten sie herbei, die Männer zu befreien, da knallten die Gewehre. Die Unglücklichen, die nicht wußten, was Landsknechtmacht bedeutet! Niedergeworfen wurden sie, bis sie in Ohnmacht an die ganze wilde Gewalt glaubten, die unerbittlich auf Trawies wuchtete. Und als die Hände lahm waren vor Bitten und Selbstwehr, und die Kehlen heiser, und die Augen versiegt, da versanken sie betäubt in stilles Brüten und regten sich nicht mehr.
Gar besonders zu Muthe war es dem Bart vom Tärn. Er war nicht dabeigewesen, als sie unten gefangen und ausgelost wurden. Er hatte aber dabei sein wollen. Er sagte es am selben Tag zu seinem Weibe, das bei der Frau des Wahnfred im Stübchen saß und mit ihr plauderte, um sie, die Haus und Gatten verloren hatte, zu zerstreuen. –»Du,« sagte er, »ich gehe ins Trawies hinab.«
»Schon wieder,« versetzte sein Wein, »‘s ist ja heller Werktag heut’!«
»Sie kommen zusammen zum Rath, ‘s ist viel zu schaffen jetzt, in der Gemein’.«
Er setzte seinen breiten Hut aufs Haupt, er nahm seinen hagebuchenen Stock zur Hand und sagte: »Thut’s fleißig das Haus zusperren, ‘s ist unsicher jetzt.« Dann ging er.
Hinter dem Hause auf der Schafweide, auf einem Baumstock, der aus dem Schnee hervorging, saß der kleine Erlefried, Wahnfred’s Sohn. Er ließ die Füßchen baumeln über den Stock hinab, hielt die Händchen übereinandergeschlagen auf der Brust und blickte wie träumend über den Schnee hin. Der Kleine war nicht mehr fröhlich, wie er das sonst gewesen. Er hatte keine Beschäftigung und oft fragte er, weshalb er denn nicht mehr in die Schule gehen solle? Die Leute des Hofes hatten ihre Arbeit und verstanden nicht mit Kindern umzugehen. Seine Mutter saß in ihrem Stübchen und strickte und weinte still. So trieb er sich allein herum und dachte an den Vater. Daß etwas besonderes mit ihm geschehen sein mußte, das ging in ihm vor, aber wenn er fragen wollte nach ihm, mit dem er so oft fröhlich beschäftigt gewesen in der Werkstatt, der mit ihm gespielt hatte, der mit ihm allerlei Gespräche geführt hatte, der mit ihm so liebevoll gewesen war – wenn er nach ihm fragen wollte, da war sein Mund verschlossen. Er war plötzlich kein Kind mehr; es war, als bange ihm vor der Antwort.
So saß er nun auf dem Baumstocke; und der Bart vom Tärn, als er den Knaben so sitzen sah, allein und betrübt, mitten im trüben Winter, da erwachte in ihm ein tiefes Mitleid mit dem Kinde. –»Sie haben Dir den Vater genommen und lassen Dich allein. Du schauest mit Deinem guten Auge so still und sinnend hin über die Berge und über die Wälder von Trawies, Du ahnst es nicht, was Du, schuldloses Kind, Deiner Heimat für ein Opfer hast bringen müssen.«
Der Bart trat hin zum Knaben und rief: »Kleiner Spatz, was lugst denn?«
Erlefried sprang vom Baumstock berab und eilte auf seinen neuen Brotvater zu.
»Schau, Knäbel, auf diesen Stock wollen wir doch einmal einen anderen Heiligen stellen. Was ist’s kannst Du Schneemänner machen?«
Der Kleine nickte bejahend, er könne wohl, aber es freue ihn nicht.
»Ei geh!« rief der Bart in der Absicht, den Knaben aufzuheitern, »so ein Bursch’ da, und nicht freuen! Das wollt’ Eins sehen! Guck, wie sich der Schnee heute kneten läßt! Möcht’ ich doch wissen, ob ich’s selber kann. Bin ja auch einmal so Einer gewest, als wie Du, nur noch um viel herlebiger. Gerauft hab’ ich Dir mit den Buben, daß nur die Fetzen sind geflogen. Und sind keine so Buben zu Weg gewest, so hab ich mir selber etlich’ gemacht, aus Schnee Riesenkerle her, und Roß und Reiter, als wie die Türken. Und wie die ganz’ Reih’ ist fertig gewest über den Anger her, so bin ich wie der bös’ Feind über sie hingefahren und habe ihnen die Köpf abgehauten. – So, da steht gleich Einer.«
Unter solchem Geplauder hatte der Bart einen ansehlichen Schneemann auf dem Baumstock postiert. Das regte den Erlefried an und gleich daneben baute er ebenfalls einen auf. Dann machten sie ein Pferd und den Reiter drauf, und andere Figuren, eine größer als die andere, vornehm zu schauen. Besonderes Gewicht legte der Bart auf lange Nasen, aber dieses Effectmittel blieb bei dem Knaben ziemlich wirkungslos; Erlefried richtete sein Augenmerk auf breite Brust der Männer und hochgetragene Köpfe der Pferde, und besonders auf große Anzahl der gestalten. Er griff flink zu, eiferte sich immer mehr in die Arbeit hinein, und seine Wangen rötheten sich und seine Augen leuchteten.
Dem Bart erging es nicht anders. Anfangs nur aus Gutmüthigkeit in den kalten Schnee langen, hatte ihn nun die Knabenlust gepackt. Im Schimmer der weißen Gestalten versank ihm alles ernste und düstere Gebilde seines Lebens, die Kinderzeit war da, die lichte, die heitere; des Ritters Schneeschwert wie des Bischofs possirliche Spitzhaube erweckte in ihm etwas wie Jubelstimmung, der Schnee war nicht mehr kalt und des sonst so ernsthaften Bart Wangen rötheten sich, und seine Augen leuchteten.
Da rief plötzlich sein Weib vom Hofe her, ob das die Rathssitzung wäre zu Trawies?
Wahrhaftig – die Rathssitzung! Auf die hatte der Bart ganz närrischerweise vergessen. Nun ist es zu spät. Entweder die Leute sind zusammengekommen, dann kommt er just zum Auseinander gehen, oder sie sind nicht zusammengekommen, dann wird auch er sie heute nicht mehr zusammenbringen. Daher ist das Vernünftigste, er bleibt daheim, um mit dem Erlefried die Schneemänner zu köpfen.
Der Knabe arbeitete an einer neuen Gestalt. Abseits von dem Trosse der übrigen Figuren, fast am Randes des Waldes, stellte er sie auf. Er legte sie breiter an, als die übrigen, er preßte den Schnee so fest, als es ihm nur möglich war, zusammen, er baute sie so hoch, als er mit seinen Händen langen konnte. Er war ganz still dabei, aber emsig, und als der Bart in lustigem Spiele Miene machte, die Figuren über den Haufen zu werfen, stellte sich der Knabe schützend vor sein neues Werk und sagte in bittendem Tone: »Den nicht!«
Das Gesichtchen war so ernsthaft und die Bitte so innig, daß der Bart fragte: »Warum just Den nicht?«
Antwortete der Knabe: »Das ist mein Vater.«
So spielt das Geschick, das geheimnisvolle, als hätte es bisweilen launige Anwandlungen, sich dem Menschen freundlich, prophetisch zu nahen, während es ihn an einem anderen Ort oder zu einer anderen Stunde unerbittlich, planlos, seelenlos zermalmt.
Wir wissen, was an jenem Tage, da der Bart vom Tärn und der Knabe Erlefried – Wahnfred’s Sohn – auf freier Wintershöhe Schneemänner formten und zerstörten, zu Trawies geschehen ist. –
Wohl ganz anders ging’s auf dem Johannesberge, im Hause des Firnerhans zu.
Das Weib des Firnerhans, als es die Kunde von der unerhörten Gefangennehmung in der Kirche vernommen hatte, brach zuerst in Zornesausdrücke gegen ihren Mann aus. Warum lasse er Haus und Wirthschaft im Stich, warum mische er sich in Sachen, die ihn weiters nichts angingen! Ihr Erster – sie hatte das zweitemal gefreit – habe sich keinen Deut um auswärtige Händel gekümmert, sei hübsch daheimgeblieben beim Weib und ein wohlhabender Mann geworden. Was aber der Erste zusammengebracht, das hätte der Zweite wieder verthan. Freilich, den Ersten hätten die Leut’ nirgends gern dabei gehabt, den Zweiten hingegen hätten sie überall voranschieben mögen, wo Kästen (Kastanien) aus dem Feuer zu holen gewesen wären. Der Dritte werde ihm’s sicherlich nicht nachthun an der Gutheit – es sei ein Jammer! Und dann hub sie so bitterlich zu weinen an, als ob ein Erster niemals dagewesen, ein Dritter nimmer zu erwarten wäre.
Um Mitternacht kam der Osel heim. Er hatte sich unterwegs vielfach verweilt und Jedem, auf den er stieß, seinen schwarzen Kern gezeigt. Viele wußten es noch gar nicht, was das für ein verhängnisvolles Ding war, und schrieben die Freude, die der Osel daran bezeigte, dem Halbnarren zu.
Als er aber auch Roderich dem Stromer begegnete, der von Allem schon wußte, zog dieser sein heute gar seltsam spöttisches Gesicht zu einem ernsten und sagte: »Ja mein lieber Osel, das ist nicht so, daß Du mit diesem Küglein jetzt gleich heimgehen kannst. Bist bei den Zwölfen Du, und wirst geköpft.«
Der Osel nickte fröhlich mit seinen drei Köpfen.
»Bei Dir ist’s leicht,« fuhr der Roderich recht vernehmlich fort – denn der Bursche war schwerhörig –»Du hast ein paar übrig – nur weiß man nicht, welcher der dümmste ist.«
Der Osel bedeutete, das wisse er selber nicht. Hierauf fragte er gröhlend, wann geköpft würde?
»Morgen. Mußt aber früh auf sein, sonst kommst zu spat. Warten werden sie nicht auf Dich.«
Deß zeigte sich der Osel etwas nachdenklich und er ging seiner Wege. Um Mitternacht erst kam er zu Bette, ließ aber die Thür der Kammer offen, damit ihn früh der erste Lärm des Hauses wecke. Dann schlief er einen Schlaf, wir ihn noch selten ein Verurtheilter geschlafen hat.
Am Morgen war er mit dem Hahnenschrei wach. Eilig stand er auf und die Leute wunderten sich baß, daß der Osel schon so früh am Brunnentrog stehe und sich mit so großer Emsigkeit wasche.
»Der will in die Kirche gehen und für den Bauer beten, es ist doch ein guter Lapp.« So meinten sie.
Der Osel war ein Bursche von zwanzig Jahren, er sah aber jünger aus, und heute erstrahlte sein Gesicht, als wenn er zu einer Hochzeit ginge. Er zog sein Feiertagsgewand an mit dem kirschrothen Leibel und mit dem flammengelben Halstuch, das sich lässig um die Kröpfe wulstete. Sein falbes Haar, das sonst wie vertrocknetes Riedgras spröde in die Weiten zu stehen pflegte, war heute hübsch glatt über die Stirne herab gekraut bis zu den gelblichen Brauen und Wimpern, unter denen die Äuglein jetzt mit besonderem Glanze lugten. Aus dem Winterhausgärtlein, das zwischen den Fenstern war, pflückte er einen dorrenden Nelkenstamm, den steckte er auf seinen Hut, wie das sonst am Gottsleichnamstage in Gebrauch war. Dann ging er in die Stube und verzehrte seine Morgensuppe. Als er damit fertig war, stand er eine Weile an der Thür, als sinne er. Es schien ihm nicht recht einzuleuchten, wie es mit dem Abschiede zu halten sei, wenn man geköpft werde. Da er mit sich nicht ins Reine kam, so schlich er still davon.
Er ging den Berg herab gegen den Johannesbach. Über den Kofelwaldrücken flimmerte ihm die Spitze des Kirchthurms zu. Noch ehe er zur Trach hinauskam, sah er im Geäste der Tannen ein Eichhörnchen hüpfen. Da blieb er stehen und sperrte Mund und Augen auf und abseits vom Wege ging er im Schnee dann dem flüchtigen Thierchen nach und verlor sich in dem Wald. –
Im Thale hatte des Morgens mancher Schuß gehallt; gegen Mittag war es still geworden. Die Sonne hat sich allmählich verzogen und ein mattes Grau verhüllte den Himmel. Am Nachmittage verdichtete sich das Grau und die tiefen Schatten der Waldberge hoben sich scharf ab, bis langsam und mählich einzelne Flocken niedergetänzelt kamen.
Seit früh Morgens waren bewaffnete Landsknechte von Haus zu Haus gegangen, hatten die Truhen durchsucht nach gesponnenem Garn, hatten die Spulen genommen von den Spinnrädern und die Rocken von den Stäben. Dann hatten sie kund gemacht, daß sich die Leute am Nachmittage zu Trawies an der Dreiwand zu versammeln hätten. Die Dreiwand strebt etwa büchsenschußweit unterhalb der Kirche, wo der Rockenbach in die Trach sich ergießt, senkrecht aus dem Wasser auf. Der Fluß bildet dort einen tiefen, grünlich finsteren Tümpel und ist ganz still. Seithalb wuchert dichtes Getann und der Wald erfüllt zu aller Tageszeit die Schlucht mit Dämmerung. Nur in den Monaten der Sommersonnenwende ergießt sich zu Mittag ein paar Stunden der helle Sonnenschein in die Schlucht und verschleiert sie sanft mit blauem Äther.
Unterhalb der Dreiwand, welche an ihrer hohen Brüstung drei balconartige Abstufungen hat, führt über eine Brücke der Weg, der vom Trasankthale und vom Rockenberge kommt, und schlägt dann zur schmalen Straße, die diesseits des Wassers, der Felswand gegenüber von den Vorgegenden herein nach Trawies führt. So steht es heute noch, und so war es an jenem Tage, da an dieser Stelle das Schicksal von Trawies erfüllt worden ist.
Bald nach der Mittagsstunde begannen die Leute sich hier zu versammeln und am Wege und am hange, gegenüber der Wand aufzustellen. Da waren etliche Neugierige, die sich trotz aller Warnung und Gefahr nicht zurückhalten ließen, sondern wissen wollten, was die Dinge für einen Ausgang nehmen würden. Andere waren gekommen in der Absicht, die Gemüther aufzuregen, und wieder Andere in der Absicht, die Gemüther zu besänftigen. Vielleicht gab es noch etwas zu retten, vielleicht handelte es sich um einen Vergleich, vielleicht auch galt es, anderswie einen weiteren Schlag von der Gemeinde abzulenken. Landsknechte bewachten die Bewegungen der Versammelten.
Diese getrauten sich denn auch kein lautes Wort zu reden, flüsterten sich aber insgeheim umsomehr ordnungswidrige Dinge zu.
Die am Bergabhange standen, sahen die Kirche und die Brandstätte des Pfarrhofes.
Von dieser Brandstätte her bewegte sich jetzt unter dem unendlich traurig klingenden Geläute der Glocken ein Zug schwarzer Gestalten, von drei Fackeln begleitet. Dieser Zug umging von rückwärts den Felsen und erschien an der ersten Abstufung hoch über dem Wasser. Es waren die Priester und Richter. Die Fackeln, welche von drei Greisen getragen wurden, legten einen trübrothen Schein in die Schlucht – und die Schneeflocken zitterten nieder von der Düsternis des Himmels.
»Ich weiß nicht,« flüsterte Einer in der Versammlung, »daß es so grauenvoll ist!«
»Zum Herzabdrücken,« meinte ein Anderer, »nur die Schneeflocken thun mir wohl – ich weiß nicht warum.«
Schwere Stille herrschte in der Schlucht. Da trat aus den Männern auf der Felswand der Pater Dominicus vor; er hatte in der Hand einen langen, schwarzen Stab, der ein Kreuz trug. Er wendete sich gegen das Volk und sprach mit lauter Stimme:
»Höret, der Herr spricht durch seinen Propheten. Ich habe Euch groß gezogen. Ihr habet gefrevelt wider meinen heiligen Namen. Ihr seid verstockt und ohne Reue. Ihr seid der Baum, der stirbt, das Fleisch, das vermodert. Euer Same sei verflucht. Veröden wird Euer Land, das Feuer wird Eure Häuser verzehren. Auf dem Felde, das ihr begießet mit Schweiß, wird Unkraut wachsen und Gift, Pest und Feinde werden Euch bedrängen. Ihr werdet beten zu mir. Der Bruder wird den Bruder zerfleischen, der Wahnsinn wird brennen in Eurem Haupte, Ihr werdet beten zu mir. Aber hinwegstoßen will ich Euch vor dem Schemel meiner Füße, denn Ihr habet den Namen des Herrn verachtet und getödtet seinen Diener.«
»O je, nur eine Predigt!« zischelte Einer unter den Zuhörern.
Der Priester nahm nun eine Rolle zur Hand und sagte: »Im Namen des dreieinigen Gottes!« Dann begann er aus der Rolle zu lesen in lateinischer Sprache und ging über in folgende Worte, die er mit lauter, feierlicher Stimme sprach:
»Gemeinde von Trawies! Von dieser Stunde an bist Du verstoßen aus dem Frieden! Du bist treulos gewesen den Gesetzen der Kirche und des Kaisers. Du bist verstockt und ohne Reue. Du hast Deinen Priester gemordet. So sollst Du priesterlos sein. Den Altar Deines Gottes hast Du entweiht, so soll das Unkraut wachsen auf demselben und die Raben sollen krächzen in Deinem Tempel, und den Glocken auf dem Thurm sollen die Zungen ausgerissen sein. Magst Du die Kinder begießen mit dem Nasse des Regens, aber verwehrt sei dem Brautpaare der Segen der Ehe, dem Sterbenden die Gnade des Abendmahles, dem Todten die geweihte Erde. Wie Michael der Erzengel die hoffärtigen Geister hat vertrieben aus den Himmeln, so bist Du ausgestoßen, Gemeinde zu Trawies, vom heiligen Frieden des Reiches Gottes. Ehrlos bist Du und aller christlichen Gemeinschaft bar. Frei wolltest Du sein, frei bist Du, wie der Vogel in der Luft, wie der Wolf im Walde. Wer eines Deiner Mitglieder aufnimmt in sein Haus, der wird selber der Rechte verlustig; wer eines Deiner Mitglieder tödtet, der ist des Gerichtes frei. Umstrickt werden Deine Grenzen und von einem Flammenring umzogen sein. Anheimgegeben bist Du dem Fürsten der Finsternis, so lange Du in der Unbußfertigkeit verharrest.«
Er schwieg. Auch das Klingen der Glocken war verstummt. Die Zuhörer, anfangs spottlustig noch, waren während des Anathemas blaß geworden, Einer nach dem Anderen. Wohl Mancher aber war darunter, der knirschte mit den Zähnen und ballte die Faust im Sacke. Wie ein Standbild ragte dort auf dem Felsen die dunkle Gestalt des Priesters, von den drei Fackeln beschienen, die weit über die Wand hin seinen Schatten warfen.
Nun hob der Priester den schwarzen Stab mit dem Kreuze.
»Zunichte sei Dir das Anrecht an das Kreuz unseres Erlösers!« Er rief es, zerbrach den Stab und schleuderte die Stücke hinab in das Wasser. Dann faßte er mit kräftigem Griff eine der Fackeln: »Zunichte sei Dir der Schutz Gottes des Vaters!« – und schleuderte die qualmende Leuchte in das zischende Wasser. Hierauf erfaßte er die zweite: »Zunichte sei Dir die Liebe Gottes des Sohnes!« – und schleuderte sie hinab. Endlich nahm er die dritte der Fackeln, rief: »Zunichte sei Dir die Gnade Gottes, des heiligen Geistes!« – und warf sie in den Abgrund, wo alle drei zischend verloschen.
Jetzt bemächtigte sich eine wilde Aufregung der Versammelten und manches Weib war sich auf den Boden und klagte und schrie: »jetzt ist’s aus, der Himmel ist hin! Ich sehe meine verstorbenen Leut’ nimmer. Der Himmel ist hin! Wir sind verdammt in die unterste Höllen! Ewig aus ist’s!«
Ein erbärmlich Weinen und Klagen ward, so in dieser Schluchten niemalen gehört worden. Eltern verfluchten ihre Kinder und Kinder ihre Eltern, anzusehen und zu hören, so als nach der Weissagung Wort beim jüngsten Gerichte die Verdammten rasen werden.
Diese Schilderung in der Urkunde erstreckte sich nicht auf Alle. Es waren Böcke darunter. Denn ein anderes Blatt erzählt aus derselben Stunde, daß eine Frau geschrien habe: »Ich sehe sie, sie kommen schon, die schwarzen Teufel!« worauf ein Nebenstehender gefragt habe, ob sie wohl wisse, wovon die Teufel ihre schwarze Farbe hätten? Und da sie nicht antwortete, den Bescheid gab, die hätten sie von den Pfaffen.
Als nun in der Abenddämmerung das Volk der Geächteten wirr an der Trach auf und ab eilte, Manche mit dem Gefühle, als hätte man ihnen die arme Seele aus dem Leib gerissen, Manche dem Wahnsinne nahe, und Andere wieder voll Lustigkeit und Spottsucht – bewegte sich von der Kirche her ein zweiter Zug. In feierlicher Procession unter Laternen und Windlichtern trugen Priester die Monstranz mit dem Heiligsten davon. Tief bogen sich an beiden Seiten des Weges die Äste und die Wipfel der Bäume unter dem Schnee; Ammern und Häher flatterten über den Köpfen des Zuges, als wollten sie dem Heiland das Geleite geben hinaus ins Land.
»Jetzt geht mein Jesus fort!« rief ein Weib in der Menge und sprang hin und stürzte vor dem Zuge mitten auf dem Wege zu Boden, »Du darfst nicht fortgehen! Mein Kind ist krank, mein Mann liegt daheim auf der Todtenbahr’!«
Still und ernst gingen sie an dem wimmernden Weibe vorüber. Das starrte, plötzlich stumm geworden, dem Zuge nach und in ihrem stieren Auge glühte der Schein der hinschwankenden Lichter.
Unten an der Brücke, hinter einem dichtästigen Baum, stand ein großer, wildbärtiger Mann, der hatte Gluth in den Augen auch ohne Fackelschein, der hielt sich still und ließ den Zug mit der Monstranz vorüberschwanken und blickte ihm mit Hohn nach, und knurrte es halb verbissen heraus: »Ist mir lieb, daß Du fortgehst. Dich hab’ ich lange gefürchtet!«
Unweit dort, wo der Johannesbach in den Fluß rauscht, begegnete der Zug Uli dem Köhler und Roderich dem Stromer. Sie hatten vorhin weiter draußen den Fackelstab eines Windlichtes in der Trach schwimmen gesehen, ohne zu wissen, was das zu bedeuten. Nun sie den Aufzug sahen, fragten sie sich gegenseitig:
»Was kommen denn da für Lichter daher?«
»Den todten Pfarrherrn werden sie nach Oberkloster tragen,« meinte der Stromer, »und haben ganz Recht, auf unserem Kirchhof gäb er doch keine Ruh’.«
»Er wird noch lange als Gespenst umgehen zu Trawies. Ich sag’s«
»Da, lug’ einmal, das ist ja eine ganze Gottesleichnams-Procession. Sie haben das Goldene bei sich.«
»Sollt’s doch wahr sein, was ich heute gehört hab’?«
»Was willst denn gehört haben?«
»Das Sacrament thäten sie uns davontragen.«
»Ist mir gleichviel.«
»Und die Kirchen schließen!«
»Ist mir gleichviel. Wann ich nur von der Thür an der auswendigen Seiten bin.«
»Und uns in Acht und Bann thun, alle miteinander!«
»Ist mir gleichviel,« sagte Roderich der Stromer immer wieder. »Weißt, Uli, Du hast was, hast ein Häusel und Weib und Kinder drei, und eine Gais, Dir muß so was nicht lustig sein. Aber wir, was wir freie Leut’ sind und so fest bestellt, daß uns kein Mensch was wegnehmen kann, weil wir nichts haben, wir lachen jetzund.«
»Bedenke, mein lieber Roderich, daß wir jetzt dem Teufel gehören.«
»Nachher!« zischte der Stromer dem Köhler in die Ohren, »nachher giebt’s Geld ab. Der Teufel – muß ich Dir sagen – verlangt nichts umsonst. Bruder, jetzt gefreut mich wieder das Leben.«
Mittlerweile war der Zug vorübergewallt. In feierlicher Würde bewegte er sich hin an dem Ufer der rauschenden Trach, die lange dunkle Schlucht hinaus gegen das Gestade und weiter.
Der kleine Baumhackel bestieg eben die Brandstätte des Schreinerhauses und fuchtelte mit einem glimmenden Feuerschwamm auf der Asche umher, nach Eisennägeln oder etwaigen anderen Dingelchen suchend, die das Feuer übrig gelassen. Er hatte schon einen Sack davon dort an der Herdmauer stehen.
Die neuesten Ereignisse hatten ihn gelehrt, daß es viel weniger verdächtig und gefährlich ist, auf heimlichen Raub auszugehen, als sich in der Kirche zu zeigen. Als nun unten am Wege die seltsame Procession vorbeizog, duckte er sich ein wenig und sagte bei sich: »Schau die Gerichtsherren unterhalten sich auch. Weil jetzt das Wasser so klein ist, machen sie einen Fischzug. Werden schon was stechen. Ei schau, Baumhackel, da bist Du schon wieder einmal zu langsam gewesen.«
Da die fremden Männer und Herren von Trawies her drei Stunden und länger mit dem Sacrament gewandert waren, zogen sie nun durch die letzte Schlucht, wo die Trach tief unten in einer finsteren Klamm braust und der Weg am Gewände mühsam emporstieg gegen die Höhe, wo damals die fünf Kiefern ragten und wo die weite Hochfläche des Heidelandes beginnt. Und als sie unter diesen Kiefern standen und ihr hohes Gut zur Rast auf einen schneelosen Stein niederließen, sanken sie davor auf die Knie und beteten es an.
Hinterher aber kam ein Trupp von Landsknechten gezogen und dort, wo der schmale Weg die Wand heranlief und an der unwirthlichsten Stelle kühn über ein Brücklein setzte, zerstörten sie das Brücklein und sprengten das Gestein, daß die Trümmer krachend in den Abgrund stürzten. Und als so das letzte Band abgebrochen war mit Trawies, trugen sie auf der Grenzhöhe der fünf Kiefern Reisig zusammen und zündeten es an. Wanden dann von riesigen Spulen einen Faden ab und zogen ihn hin an der Grenze von Stein zu Stein, von Baum zu Baum. Und da war es, als ob manche junge Fichte ächzte, als man den Strick um sie schlang – den Strick, dessen Hanf im Thale der Trach gewachsen, der am Rocken in den Häusern von Trawies gesponnen worden war.
Und die Verwirrung im Dörfchen währte fort. Unangefochten aber von aller Bedrängnis stand das Wirthshaus. In der Küche schluchzten zwar die Frauen, aber in der Stube tranken die Männer. Und vor dem Hause stand der »dreiköpfig’ Osel« umher, hatte die langen Arme in den Hosentaschen und glotzte das Haus an, und glotzte rathlos zur Kirche hinauf und in die nächtige Gegend hinaus. Wo den geköpft wird? Da ist er schon den halben Tag bereit und nirgends eine Anstalt, als ob was geschehen sollt’. Manchem hielt der arme Junge das schwarze Korn vor, gleichsam auf sein Anrecht weisend. Aber jeder ließ ihn stehen, wo er stand, kein Mensch wollte sich um ihn kümmern.
Aus den Kirchenfenstern schimmerte ein Schein, der fast zu hell war, als daß er vom ewigen Lichte herrühren konnte. Auf dem Kirchhofe war ein frisches Grab gegraben und ein Leib mit gespaltenem Haupte hineingelegt worden. Das Christusbild, welches mitten auf dem Anger der Todten hoch aufgeragt hatte, lag zusammengebrochen in Trümmern auf dem Schnee. Und über alles lag eine tiefe Ruh’.
Der Küster kam nun heran. Er hatte sich an jenem Abende, da der Tumult war, und er sah, daß der Pfarrhof zu brennen begann, weit gegen den Trasank hineingeflüchtet. Er hatte sich halb verloren und verirrt herumgetrieben und kam nun, da er glaubte, daß wieder Ruhe sein werde, über pfadlose Gründe von der Wildwiesen niedergestiegen. Das Erste, was einem braven Küster geziemt, er geht der Kirche zu. Nach dem Scheine aus den Fenstern schließt er, daß Gottesdienst drinnen sei. Das Thor öffnend, bemerkt er, daß die Bänke leer sind. Es ist so grauenhaft still und am Altare brennen die Lichter. Er tritt ein. Aber nicht lange, und er stürzt wieder heraus, die Arme ausgebreitet, todtenblaß wie ein Gespenst, mit gräßlich verdrehten Augen und Lippen, die wie im Fieber beben und nicht reden können – so eilt er zu den Häusern hinab, stürzt in die Stube des Withshauses und ächzt und stöhnt und deutet gegen die Kirche hin und schlägt die Hände zusammen.
Sie treten zu ihm hin.
»Der nimmt’s jetzt erst wahr, daß unser Altar geplündert ist,« so sagt Einer.
Aber der Küster streckt beide Arme mit gespreiteten Fingern jetzt nach dem Fußboden aus, und stammelt unverständliche Worte und starrt mit rollenden Augen hin, so daß Alle ihr Gesicht nach den Dielen wenden, zu sehen, was denn da Schreckliches sei. Wieder nach der Kirche deutet der Küster und stößt einen Schrei aus und schlägt sich die Hände in das Angesicht.
Da erheben sich denn die Leute und verlassen das Haus und steigen den Berg hinan zur Kirche. Am Altar um den leergähnenden Tabernakel brennen die Lichter und an den blutigen Stufen hingeworfen liegen die Körper der Enthaupteten.
Zur selben Stunde schimmerten von den Grenzhöhen am Heideland, über den Waldzügen des Firner, des Tärn und des Ritscher, von den Warten des Trasank und in der ganzen weiten Runde zahlreiche Gluthsterne herein auf Trawies. Es waren Markfeuer, einschließend und zeichnend die niedergeworfene verstoßene Waldgemeinde, ein glühender Grenzwall, der sie Abschied von Gott und Menschen, ein Glied aus der feurigen Kette, »die den Drachen fesselt«.
Somit waren die Symbole der Verbannung vollzogen.