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»Als bei der schönen Säkularfeier der Universität Heidelberg 1886, wobei ich mit Versen und Prosa für die Festzeitung reichlich beigesteuert hatte, ich mir die Karten löste für die verschiedenen Abteilungen des Festes, wußten die Studenten, welche die Karten ausstellten, meinen Namen, den sie nie gehört zu haben schienen, nicht zu schreiben, und ich mußte ihnen denselben, Buchstaben für Buchstaben in die Feder diktieren. Das Fest brachte mir ein frohes Wiedersehen alter Kameraden aus der Studienzeit, die denn freilich meinen Namen kannten, aber doch eingestanden, daß sie, außer dem alten Rheingedicht (Waldmeisters Brautfahrt 1851), in der Zeit von fast vierzig Jahren nichts von meinen sonstigen Dichtungen gelesen hatten. Ich faßte das nicht mehr als besondere Enttäuschungen, denn ich war an viel gewöhnt, auch in meinen nächsten Umgebungen. Ich spreche es aber aus, um zu zeigen, daß ein sogenannter ›öffentlicher Name‹ gar nicht auf der allgemeinen Kenntnis dessen beruht, was den Namen zu einem öffentlichen gemacht hat.«
So berichtet Otto Roquette in dem schlichten, ehrlichen und liebenswürdigen Buche »Siebzig Jahre«, welches die Geschichte seines Lebens ausführlich und doch anspruchslos erzählt.
Ich bezweifle, ob es der überwiegenden Mehrzahl deutscher Bücherleser noch heute mit Roquette wesentlich besser geht als ihm selbst damals in Heidelberg. Er ist der liebenswürdige Sänger von Waldmeisters Brautfahrt, etwas anderes zu sein hat ihn das deutsche Publikum nicht gestatten wollen. »Spätere Werke, auf die ich selbst etwas gab, weil sie aus meinem innersten Wesen geflossen, wurden entweder übersehen oder kühl beiseite geschoben,« sagt er selbst. »Weil ich einmal in meiner Jugend in der Stimmung war, heiter zu singen, und man sich davon angesprochen fühlte, sollte ich nur dies Eine können, wollte man nichts anderes hören, behauptete man, daß ich nichts anderes können könne, stellte man fest, daß ich nichts anderes können dürfe. Glücklicherweise kümmerte ich mich niemals um das Publikum und trieb, was mir inneres Bedürfnis war, das Werk mochte gut oder schlecht ausfallen. In letzterem Falle war ich der erste, es zu verurteilen. Sehr viel habe ich, wenn es fertig war, in den Ofen gesteckt und verbrannt, bei sehr viel anderem ist mir freilich die Unzulänglichkeit erst klar geworden, als es gedruckt vorlag, und durch ein Brandopfer nichts mehr zu bessern war.«
Ich habe diese Geständnisse und Betrachtungen Roquettes hierher gesetzt, weil sie am besten sein eigenartiges Geschick in unserer Literaturgeschichte und zugleich seine Persönlichkeit beleuchten. Er hat sich tapfer durch ununterbrochenes Weiterschaffen gewehrt gegen unfreiwillige Festlegung auf den Typus des Maibowlendichters, er hat auch durch das Abgleiten seiner späteren Werke an der Gleichgültigkeit des Publikums sich nicht entmutigen oder verbittern lassen, er hat nach dem Lorbeer des dramatischen Dichters mit einer gewissen leidenschaftlichen Energie gerungen und als Erzähler in Vers und mehr noch in Prosa sich schließlich doch ein gewisses Stammpublikum erobert, von dessen weiter Verbreitung er vielleicht doch nicht in vollem Umfang Kunde hatte: die besseren seiner immerhin ungleich geratenen Novellen- und Romanbände in den Leihbibliotheken zeichnen sich durch eine für den Verfasser erfreuliche Zerlesenheit aus. Und darum gehört er mit dieser Seite seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch in die »Volksbücherei«.
Die Literaturgeschichten stellen ihn in die Nähe der Münchener Dichter, auch reihen sie ihn etwa an Putlitz, Redwitz, von dem ihn übrigens jeder Mangel an Pose vorteilhaft unterscheidet, so nah die ziemlich gleichzeitige Wirkung von Amaranth und Waldmeisters Brautfahrt die beiden eine Zeitlang zusammenrückte, und etwa an Wolfgang Müller von Königswinter: Talente, denen der Formtrieb eine wesentliche Schaffensbedingung bedeutete, für die literarische Einflüsse zuweilen wohl größere Wichtigkeit erlangten als innerpoetische, stillere Naturen mit einer Neigung zu idyllischer Lebensauffassung, von denen Roquette sich jedoch durch das Streben auszeichnet, die ganze Weite des Lebens und manche Tiefe desselben in seine Darstellung hineinzuziehen, wenn ihm auch ein versöhnender Zug als grundbestimmend zu eigen blieb. Seine Silhouette als Dichter ist nicht gerade scharf oder frappierend, aber wer sie genau betrachtet, dem wird sie zum Charakterbild. –
Roquettes Familie stammt aus dem südlichen Frankreich und wanderte, durch das Edikt von Nantes vertrieben, in Deutschland ein, und zwar der Ahn des Dichters, Jacques Roquette 1698 in Strasburg i. U. Der Großvater war Pfarrer der reformierten Gemeinde in Frankfurt a. O., der Vater Jurist, dessen Gattin aus einer der Berliner französischen Kolonie angehörenden Familie stammte. So fließt von Vater und Mutter her französisches Blut in den Adern Roquettes; und wenn auch die Familien völlig eingedeutscht waren, so möchte man doch die leichte Anmut der Sprachbehandlung und die Fabulierlust des Dichters auf Rechnung des Blutes setzen. Beide Eltern waren poetisch begabt und tätig, die Mutter als geistvolle schnellfertige Gelegenheitsdichterin bei allerlei Familienfesten, der Vater als Verfasser eines, freilich im Pult gehüteten Romans in der Manier seines angebeteten Vorbildes Jean Paul.
Am 19. April 1824 wurde Otto Roquette zu Krotoschin (Prov. Posen) geboren. Die Nachtigallen schlugen in der Nacht besonders laut, des Neugeborenen erste Nahrung, weil er die herkömmliche einstweilen verschmähte, war ein Tropfen Rheinwein: so hielt der künftige Dichter von Waldmeisters Brautfahrt stilgemäß seinen Einzug in diese nüchterne Welt. Der Vater wurde bald als Justizkommissarius (heute sagen wir »Rechtsanwalt«) nach Gnesen versetzt und von da nach Bromberg, wo er durch glänzende Praxis bald in die Lage versetzt wurde, ein großes Haus zu machen und eine ausgedehnte Geselligkeit zu pflegen. Die Nachwirkungen derartiger Jugendeindrücke sind überall in Roquettes späteren Werken zu spüren, in seinen Erzählungen kehrt die Schilderung eines so erweiterten Familienlebens mit Musik und Theater, Tanz und Poesie, Ausflügen und geistiger wie künstlerischer Anregung häufig wieder. Ein lokales Heimatgefühl wurde weniger entwickelt, wohl aber ein starkes Familiengefühl, insofern die Refugiés, mochten sie nun in Berlin oder Frankfurt oder Bromberg sitzen, sich als eine Familie betrachteten. Auch die Bevormundung durch solche Familienrücksichten oder -vorurteile – poetische Betätigung als Lebensberuf war verpönt – gehört zu den Jugenderfahrungen des Dichters, und auch sie kehrt in seinen späteren Erzählungen vielfach als Motiv wieder.
So konnte eine besondere landschaftliche Eigenart, auf die wir heute soviel Gewicht legen, in Roquette nicht entwickelt werden; seine innerpoetische Heimat sind seine literarischen Jugendeindrücke, und die weisen neben den Klassikern, vor allem Schiller, auf die Romantik und ihre Ausläufer: auf Fouqué, Oehlenschläger, Houwald, E. T. A. Hoffmann, auch auf Körner, Hauff, Scott, Jean Paul.
Eine Schulkatastrophe, in den gänzlich verrotteten Verhältnissen des Bromberger Gymnasiums begründet, nötigte den Vater, seinen Sohn in die Obhut des Großvaters nach Frankfurt a. O. aufs Gymnasium zu geben, wo er einen tüchtigen Grund im Schulwissen legen konnte. Hier in Frankfurt schrieb er bereits ein Märchen nieder, das die Grundlage für sein späteres Rheingedicht werden sollte. Dem Familienbeschluß entgegen wandte er sich nicht dem Studium der Theologie zu, sondern ließ sich in Berlin bei der juristischen Fakultät einschreiben, die er bald, mit Zustimmung seines Vaters, mit der philosophischen vertauschte, d. h. er studierte Sprachen, Geschichte und Literatur.
Schon den Studenten beschäftigten dramatische Pläne, der Stoff seiner reifsten Dichtung »Gevatter Tod« trat ihm damals schon nahe. In Heidelberg ging ihm dann die ganze Herrlichkeit des Studentenlebens auf, »hier erst erwachte eigentlich seine Jünglingszeit«, wie er selbst sagt; das unbekümmerte frohe Genießen von Natur und Freundschaft, die Freude an Wandern, Wein und Lied schafft ihm die Stimmungsgrundlage für seine bekannte Jugendschöpfung.
Die Pariser Februarrevolution vertrieb ihn wieder nach Berlin, wo er den tollen Sommer von 1848 als Mitglied der Studentenwehr durchmachen mußte. Hier gewann er die Freundschaft Paul Heyses. Robert Prutz zog ihn nach Halle. Unter ihm promovierte er auch. Das Verhältnis zu dem vorwiegend politisch interessierten, in journalistische Kämpfe verwickelten Gelehrten und Schriftsteller konnte natürlich für einen instinktiv auf die Münchener Richtung lossteuernden Dichter wenig Förderung bringen. Von Halle aus sandte er sein Rheingedicht an Cotta, es wurde angenommen (1851), und der eben promovierte Doktor war mit einem Schlage ein berühmter Dichter. Er hatte einen Ton angeschlagen, der sofort Widerhall fand. Die unverwüstliche, unverfälschte Jugendstimmung entwaffnete die Kritik, die reine Lebensfreude und der Appell an alle die Grundgefühle, die dem deutschen Herzen immer als echt poetisch gegolten hatten, vorab der Jugend, verfehlte seine Wirkung nicht in einer Zeit, der eine Ablenkung von allen politischen Sorgen und Verbitterungen willkommen sein mußte.
Von der nun folgenden Epoche hatte Roquette selbst in der Erinnerung den Eindruck, darin nicht recht vorwärts gekommen zu sein: die verschiedenen Ansätze zur Gewinnung einer sicheren äußeren Lebensstellung bedingten mehrfachen Ortswechsel und erzeugten einander durchkreuzende Interessen. Von Berlin, wo er zum »Tunnel über der Spree« in vorübergehende Beziehung trat, die ihn nicht befriedigte, ging er nach Dresden als Lehrer an das Blochmannsche Gymnasium. Hier kam er mit Berthold Auerbach in nähere Berührung. Durch den Tod des Vaters erhielten die anregenden Dresdener Jahre ein Ende. Er ging wieder nach Berlin, arbeitete an seiner Geschichte der deutschen Literatur, die neben dem Rheingedicht das bekannteste seiner Werke wurde und ihm schließlich auch seine äußere Existenz abschließend gründete: nachdem er in Berlin an der Kriegsakademie, später an der Gewerbeakademie als Dozent gewirkt, wurde er 1869 als ordentlicher Professor der Geschichte, Literatur und deutschen Sprache an das Polytechnikum in Darmstadt berufen. In dieser Stellung ist er, 1893 zum Geh. Hofrat ernannt, bis an seinen im Jahre 1896 erfolgten Tod tätig gewesen. Er selbst hat diese Zeit als die ertragreichste seines Lebens angesehen, er hat das schöne Geständnis von ihr ausgesprochen: er habe für sich im Alter Tage zu verzeichnen, bedeutender als sie das gepriesene Glück der Jugend zu geben vermochte, und die Enttäuschungen werfe er hinter sich als die Schlacken des Daseins.
Roquette hat sich in allen Dichtungsgattungen versucht. Der künstlerische Formtrieb in ihm war vielleicht stärker entwickelt als der, sich schaffend mit der Welt auseinanderzusetzen, wenngleich Erlebnisse und Erfahrungen reichlichen Niederschlag in seinen Werken, auch nach seinem eigenen Geständnis gefunden haben. Aber, bei aller herzlichsten Anteilnahme des Dichters an seinen eigenen Gestalten, bei der persönlichen Note, die aus seinen Werken, namentlich den erzählenden, in denen er sich breiter entfaltet, herausklingt: man behält doch bei den meisten den Eindruck, als gebe das Erlebnis für ihn doch vorwiegend nur Veranlassung zu der Frage: was läßt sich künstlerisch daraus gestalten? Und darum hat man ein Recht, ihn als Dichter der Münchener Gruppe beizugesellen, zumal seine Abhängigkeit von der literarischen Überlieferung seinem Schaffen von selbst gewisse Grenzen steckt. Er selbst ist sich darüber klar gewesen. »Ohne mich verbergen zu wollen,« sagt er in der Geschichte seines Lebens, »wußte ich mit den Gaben, welche die Natur mir verliehen hatte, in meiner Weise zu schalten, und ein glücklicher Instinkt hielt mich ab, nach Lebenszielen, die außerhalb meiner Befähigung lagen, oder gar nach einer Weltrolle zu ringen. Wenn aber selbst der mit aufrichtigem und ernstem Wollen Strebende auch wohl in Bahnen gerät, auf welchen er viel für sich erwartet hatte, um sich plötzlich auf einem Irrwege zu erkennen, so sind solche Erfahrungen auch mir nicht erspart geblieben. Ich habe dergleichen hart büßen müssen und mir nachher das Gebiet, für das ich geschaffen war, enger und enger abgesteckt. Nicht nach Ruhm und großem Namen habe ich gestrebt, sondern nach dem inneren Genügen, etwas Künstlerisches zu gestalten, meine Kunst mit meinen Mitteln zu entwickeln. Ich weiß, daß das meiste von dem, was ich geschaffen, weit hinter den Zielen, die ich mir ausersehen, geblieben ist, aber ich beklage nicht, mich an immer neuen Aufgaben versucht zu haben.«
Als lyrischer Dichter zeigt Roquette vor allem Temperament, Frische, Unmittelbarkeit und feinstes rhythmisches Gefühl. Seine Lieder kommen der Komposition gleichsam entgegen: nicht auffallend bei der entschieden musikalischen Veranlagung des Dichters, dem in der Jugend vielfach Lied und Weise zugleich entstanden. Mit den Liedern: »Weißt du noch« und »Noch ist die blühende goldene Zeit« wird er unter seinem Volke lebendig bleiben.
Sein Bemühen um das Drama hat er selbst höher veranschlagt, als wir geneigt sein werden im Vergleich zu seinem übrigen Schaffen zuzugeben. Liebenswürdigkeit und schalkhafter Humor ist seinen Lustspielen nicht abzusprechen, künstlerischer Ernst, Geschick im Aufbau, Herausarbeitung wirkungsvoller, echt dramatischer Szenen nicht seinen Dramen, auch ihre Bühnenfähigkeit ist in manchen Aufführungen erprobt worden: aber mich dünkt, ihnen fehle die innere Notwendigkeit und zugleich eine gewisse resolute Herzhaftigkeit, ohne die der Dramatiker nicht überzeugt. Sie sind mehr angewärmt als warm.
Dramatische Form hat er auch demjenigen Werke gegeben, in dem er die Schranken seiner Begabung zu durchbrechen und sich in das hohe Reich symbolischer Poesie hinaufzuschwingen suchte: es ist die schöne Dichtung »Gevatter Tod« (1873), einer seiner frühesten Entwürfe, von ihm selbst als ernstes Gegenstück zu Waldmeisters Brautfahrt betrachtet. »Das Leben und die Liebe überwindet die Schauer, der Tod selbst wirbt um Liebe, er will nicht der Allgehaßte sein, und er selbst erkennt alle Rechte des Lebens an.« »Es reift im Dasein dem allein Ein Leben, der im Herzen rein Glück, Liebe, Tod vermag zu tragen«, damit bezeichnet Roquette selbst die Grunderfahrung, welche die Dichtung in Bildern auseinanderfaltet, in die von dem Wesen des Dichters wohl am meisten hinübergeflossen ist. Leider behält Adolf Stern mit seinem Bedenken und Bedauern recht, daß es Roquette nicht gelungen ist, bei diesem persönlichsten Werke an dem Vorbilde von Goethes Faust vorbeizukommen.
Am selbständigsten erscheint Roquette als Epiker. Sein erzählendes Gedicht »Hans Haidekuckuck« 1855 (vierte Auflage 1894), in der Grundstimmung der romantischen Vagantenpoesie angehörend, zeigt echte Laune, realistisches Detail, nicht allgemein poetische Schablone, farbensatte Bilder aus der Reformationszeit, dem behäbigen Nürnberg und dem Leben »auf der Walze« von damals. In dem Buche steckt viel Gemüt, es streift auch die Tiefen des Lebens, ohne sie freilich um ihrer selbst willen zu enthüllen. Der Humor leuchtet erquicklich durch das ganze Gedicht, und die Gestalt Hans Sachsens ist so ganz Leben und so wenig verkörperte Literaturgeschichte, daß man an ihr Roquettes Dichterberuf schon allein erweisen könnte.
Unter den Romanen ist das »Buchstabierbuch der Leidenschaft« obenan zu stellen. Ich stehe nicht an, das Buch, trotz mancher konventionellen Züge für eine Perle unserer älteren Erzählungsliteratur zu erklären. Wie fein sind die Charaktere gegeneinander abgestuft, wie warm die Schilderung des Lebenskreises, in dem die wenigen Hauptpersonen des Romanes an ihrer Leidenschaft buchstabieren, wie köstlich der Humor in dem gegenseitigen Versteckspiel, in den eingefügten »Schwammbelustigungen« des alten Lehrers, wie treffend und konsequent auch die Schilderung der Selbstzerstörung durch die Leidenschaft in der immer noch sympathisch bleibenden Gestalt der Klotilde. – »Die Prophetenschule« ist ein tüchtiger historischer Roman aus der Biedermeierzeit, die dichterisch gar nicht so leicht zu treffen ist, »Im Hause der Väter« gibt ein ernstes Bild von Elternschuld und Sühne durch die Mächte des Lebens.
Die Novellen, über vierzig, sind verschieden geraten. In den ausgeführteren wie »Euphrosyne« und »Inga Svendson« begegnen prächtig gelungene Frauencharaktere, die Eigenleben zeigen, liebevolle Milieuschilderung und eine gewisse Ausschöpfung des Zuständlichen. Die kleineren streben nach Darstellung »eigentümlicher und in ihrer Art einziger Lebensvorgänge« (Ad. Stern), ohne nach Sensationen zu haschen; eine außerordentliche Fülle verschieden gearteter Menschen zieht an uns vorüber, der Dichter geht so wenig an der Romantik manches Lebens vorüber, wie er auch die Abgründe des Gemüts enthüllt, in beidem freilich auf eine gewisse mittlere Linie sich bescheidend und vielfach nach der Schablone arbeitend. Selbst Harmlosigkeiten werden anmutig dargeboten, auch sie haben, wie Roquette ausdrücklich betont, ihr ästhetisches Recht, zumal wenn sie so durch das Licht des Humors vergoldet werden wie etwa in der Geschichte »Das Paradies«. Die beiden Erzählungen des nachfolgenden Bandes »Das Eulenzeichen« und »Die Tage des Waldlebens« sind dem »Neuen Novellenbuch« von 1884 entnommen.
Roquette ist die nähere Bekanntschaft wert. In flauer Zeit hielt er sich als Mensch und als Schaffender tapfer; literarisch von der Überlieferung abhängig wird er doch in seinen besten Sachen so bald nicht veralten, weil hinter allem, was er schrieb, ein feiner Künstler steht und ein liebenswürdiger Mensch.