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Dritter Akt

Nacht, Vollmondlicht. Im Hof von Deboras Haus, in der Mitte eine Zisterne, hohe Eukalyptus bilden Vorhänge im Hintergrund längs der hohen Mauern. Rechts eine große Haustüre. Offiziere gehen jeden Augenblick aus und ein. Links das Haus, man steigt einige Stufen zur Veranda empor, wo Lord Clifford an einem kleinen Tisch steht, der von einer Laterne beleuchtet und voll Papier, Karten, Gläser und Likörflaschen ist. Lawrence und Clodds, auf dem Klappstuhl sitzend, schreiben. Am Hofe unter der Veranda ein anderer kleiner Tisch und Gartensessel. Soldaten und Posten beim Türeingang. Einige junge Adjutanten sprechen im Hofe bei der Stiege zusammen, der Befehle des Marschalls gewärtig.

Die jungen Offiziere: Diesmal haben wir sie ... sie haben den Köder geschluckt ... Sie stecken im Sack ... Graham hält einen Ausgang, wir den andern. Simpson und die Artillerie besetzen die Höhen ... Wir brauchen nur das Netz zusammen zu ziehen und wir haben sie. (Auf Clifford zeigend.) Worauf wartet er noch ... Ich weiß nicht. Aber wir können beruhigt sein. Er packt im rechten Augenblick zu. (Ein Offizier steigt die Treppe herab und übergibt einem jungen Adjutanten, der sich sofort auf den Weg macht, eine Order.) Ist es jetzt endlich der Befehl?

Clifford steigt in den Hof hinab. Zwei oder drei Offiziere umringen ihn und beglückwünschen ihn laut. Er hat einen harten und verschlossenen Gesichtsausdruck, aber seine Bewegungen sind abgerissen und leidenschaftlich, bald lacht er laut, bald unterbricht er das Gespräch mit trocken gegebenen Befehlen – bald ist er freundlich, bald schneidend scharf.

Die Offiziere (untereinander): Das war ein Meisterstück. Eine würdige Krönung einer großen Karriere.

Clifford: Graben Sie mich nicht so schnell ein. Das war noch nicht mein letztes Wort.

Der Offizier (der eben sprach): Oh, gewiß nicht. Aber das letzte dieser Bande. Der Krieg ist aus.

Clifford: »Und der Kampf, er endet, da die Kämpfer fehlen ...« Nur keine Sorge. Der Krieg ist nie zu Ende. Hört der eine auf, so fängt ein anderer an. Man feiert nicht in unserem Beruf. (Er tritt zum Tisch unter der Veranda, läßt, ohne sich zu setzen, Likör bringen, bietet den Andern an und trinkt selbst ein Glas.) Ein Geschäft, das auf den Haß, die Bestialität, auf alle schlechten Instinkte spekuliert, wird gewiß so lange im Schwung bleiben wie die Menschheit. (Die Offiziere, die zuerst gelacht haben und dann künstlich sich an den Worten erheitern, schweigen peinlich berührt.)

Ein Offizier: Und wann machen wir Schluß mit ihnen?

Clifford: Geduld!

Ein Anderer: Ist alles bereit?

Clifford: Alles.

Ein Anderer: Wie lange warten wir dann noch?

Clifford: Bis es mir paßt.

Der Offizier: Das Merkwürdigste ist, daß der Feind auch weiß, daß er gefangen ist und wartet. Könnte man gut hören, man hörte die Herzen der beiden Armeen schlagen.

Clifford (lacht – dann trocken): An die Posten, meine Herren!

Die Offiziere (unter sich): Er spielt wie eine Katze mit der Maus. – Wie still es ist. Würde man glauben, daß nebenan eine Schlacht ist? (Sie gehen ab.)

Clifford (zu sich selbst): Schweigen! Schöne Nacht, der Regen verrauscht, Vögel in den Bäumen ... und in einigen Minuten brüllt der Krieg.

Ein Offizier (hereinkommend): Marschall, der Füsilier Owen verweigert den Gehorsam. Er hält Reden gegen den Krieg. Man hat ihn festgenommen.

Clifford (zornig auf den Tisch schlagend): Dieser Kerl! – Als ob man nicht daran schon genug hätte, gegen diese Tollhäusler zu kämpfen. Jetzt soll man noch die eigenen Soldaten erschießen. – Er erlaubt sich zu diskutieren. Schon genug, daß es die Führer tun. Aber erst die Soldaten. Führen Sie ihn vor.

Der Offizier geht ab. Clifford trinkt. Man hört die Soldaten hinter der Mauer marschieren. Der Doktor kommt.

Clifford (ein wenig erregt): Ah, da sind Sie, Doktor! Sie warten auf Ihre Stunde, um mit der Arbeit zu beginnen, wenn unsere fertig ist.

Miles: Wann beginnen Sie?

Clifford: Ihr habt es alle eilig!

Miles: Man möchte meinen, es machte Ihnen Vergnügen, die Spannung zu verlängern.

Clifford: Ich gebe zu, es ist ein Genuß darin, zu fühlen, wie die Vernichtung unsichtbar in den Lüften schwebt und daß ein Zeichen genügt, um sie zu entfesseln.

Miles: Der alte Mensch in Ihnen wacht auf.

Clifford: Das ist der schönste Augenblick der Schlacht, wenn man sie gewonnen weiß, noch ehe sie begonnen hat.

Miles: Also diesmal sind sie drin?

Clifford: Ich habe sie in der Hand. Ich brauche nur zu wollen. (Er lacht.) Ist es nicht seltsam, Miles, daß ich jetzt nicht wollen könnte ... Trinken Sie doch. (Er gießt ihm und sich ein.)

Miles (sacht ihm die Hand auf den Arm legend): Nein, mein Freund, genug. Lassen Sie das. Sie sind ohnedies schon nervöser als es Not tut.

Clifford (läßt sein Glas und fährt in den Gedanken fort): Ich könnte ... Nein, ich kann nichts. Sie sind gefangen. Und ich auch ... Ich bin nicht mehr frei.

Miles: Um so besser! Es ist ein großes Glück, nicht allzu frei zu sein!

Ein Adjutant bringt eine Botschaft. Clifford liest sie. Miles will sich entfernen.

Clifford: Warten Sie, Miles, ich wollte Ihnen sagen ... (Er liest zu Ende, schreibt einige Worte auf die Rückseite und gibt es dem Adjutanten, der forteilt.) Hören Sie, Miles, Sie sind mein Freund, mein alter treuer Freund. Sie haben mich heute daran erinnert, daß wir gemeinsam durch schwere Stunden gegangen sind. Erinnern Sie sich? Im Kampf gegen die Afghanen, als wir um jeden Preis durch mußten, waren wir genötigt, die Verwundeten zurückzulassen und wir wußten, welche Martern sie erwarteten. Damals hatten wir einander versprochen, daß wenn einer von uns niederbräche, der andere ihm den Gnadenschuß geben würde. Erinnern Sie sich?

Miles: Und bei Gott, ich hätte es getan.

Clifford: Ich zweifle nicht daran. Ich gleichfalls. Wir hatten es einander versprochen. – Nun, Miles, heute ist es dieselbe Sache. Das heißt, es ist nicht der Feind, den ich fürchte, es ist ärger – nun – mit einem Worte – da – nehmen Sie. (Er reicht ihm den Revolver.)

Miles: Wie? Was ...

Clifford: Sie halten doch auf meine Ehre?

Miles: Wie auf die meine.

Clifford: Nun, wenn es nötig wäre, sie zu schützen ... nehmen Sie das da und treffen Sie gut!

Miles: Aber mein armer Freund ... ist es denn so weit ...

Clifford (in einem Zustand von Überreizung, die sich, je mehr er spricht, bald zu leidenschaftlichen Ausbrüchen oder Niederbrüchen steigert): Fürchten Sie nichts. Ich tue meine Pflicht, meine Soldatenpflicht. Aber es ist eine klägliche, eine schmachvolle Sache, Miles. Sie wissen es ja. Wir wagen nur nie, es zu sagen. Nur Sie fragen mich, weshalb ich es doch tue. Und das ist das Entsetzliche. Neben meinem Gewissen höre ich noch eine andere Stimme, die mir sagt: »Vorwärts, gleichgültig, was du auch darüber denkst.« Ich bin selbst ein Schlachtfeld zweier Willen. Wäre ich ganz gesund, ich hätte gewählt und meine Wahl durchgeführt, wie immer sie auch ausgefallen wäre, ohne mir Zweifel zu erlauben. Aber ich bin in lächerlicher Weise geschwächt: Sie haben Unrecht gehabt, Miles, mich von meiner Demission zurückzuhalten. Jetzt ist es zu spät. Jetzt zurückweichen oder nur stehen zu bleiben, hieße nicht nur das Land, sondern die Ehre, die Größe des Reiches verderben. – Soll ich meinem Gewissen gehorchen? Ich kann es nicht, ohne Verräter zu werden. – Soll ich meinem Lande gehorchen? Ich muß wohl. Aber alles in mir lehnt sich dagegen auf. – Ich werde tun, was ich gesagt habe, ich gehe bis ans Ende. Tu ich Recht oder Unrecht damit? Ich will nicht daran denken. Und ich denke doch daran und habe einen so verwirrten Kopf davon, daß ich nie weiß, was in der nächsten Stunde mit mir geschieht. Sehn Sie, Miles, das ist es, worum ich Sie bitte, versprechen Sie mir's, mich zu überwachen. Und wenn mein Wille nur eine Minute lang nachgibt, erweisen Sie mir den Dienst und schießen Sie mich nieder. Haben Sie mich verstanden, Miles, ja?

Miles: Ja.

Clifford: Sie versprechen es?

Miles (nach einem kurzen Schweigen): Ich verspreche es. (Sie schütteln sch die Hände.) Aber es wird dazu nicht kommen.

Clifford: Ich hoffe es selbst. Aber ich will dieser Erbärmlichkeit von Gedanken doch zeigen, daß sie nicht Herr sind über mich. Ah, das ist eine eigene Sache mit der Vernunft ... Man muß sie im Zaum halten ... Ach, ich fühle mich so müde, Miles! Sie ahnen nicht meine Müdigkeit. Ich schlafe nicht. Ich denke ... Sie wissen ja ... an mein Kind. Diese Nacht habe ich geträumt, daß es mir Vorwürfe machte, weil ich es noch einmal sterben ließ.

Miles: Sprechen wir nicht davon.

Clifford: Doch! Was für ein lächerliches Geschöpf ich doch bin. Hören Sie, Miles, ich hoffe, Ihnen die Mühe zu ersparen. Aber für den Fall, als diese Dummheit doch nötig wäre, geb ich Ihnen ein Papier, daß Sie auf meinen Wunsch so gehandelt haben.

Miles: Ja, das wäre korrekter.

Clifford: Danke, Kamerad! (Er schüttelt ihm die Hand.) Ich fühle mich schon ruhiger.

Miles: Sie werden es ganz sein, sobald die Schlacht begonnen hat und ein Zurück nicht mehr möglich ist.

Clifford: Ja, das ist gut, wenn es nicht mehr an uns ist, zu wollen, sondern schon an den Dingen. Ich beneide alle, die nicht nachdenken, wie die Canaille da. (Er zeigt auf die Soldaten, die am Eingang Posten stehen. – Zwei Soldaten führen Owen herein. Miles entfernt sich. Clifford gießt sich mechanisch zu trinken ein.) Da bist du, Trottel! Was hat dich gepackt, daß du widersetzlich bist? Glaubst du, daß ich Zeit habe, mich mit dir zu befassen? Bist du besoffen, verrückt, krank oder was? (Er trinkt.)

Owen: Nein, nein, Marschall, ich bitte um Vergebung. Ich bin ganz bei Sinnen und will nicht mehr kämpfen.

Clifford: Du willst nicht? Hast du Angst?

Owen: Hätte ich Angst, wagte ich weniger, dabei zu bleiben, als das zu tun, was ich tue.

Clifford: Also was denn?

Owen: Man leidet zu viel. Man verursacht zu viel Leiden. Ich tue es nicht mehr.

Clifford: Also was willst du? Töten oder getötet werden?

Owen: Lieber getötet werden. Bin ich tot, so leide ich nicht mehr. Töte ich, so schaffe ich Leiden und leide mit.

Clifford: Wo zum Teufel hast du das aufgefischt? Drei Monate kämpfst du, ohne zu protestieren. Hast du eine göttliche Eingebung gekriegt?

Owen: Man braucht nur nachzudenken. Um das zu verstehen, was man jetzt tut, brauchte ich einen andern Kopf als ich habe. Meiner reicht nicht dazu.

Clifford: Du brauchst nichts zu verstehen. Gehorche! Für dich denken deine Vorgesetzten.

Owen: Ich weiß, daß Sie viel klarer denken als ich. Aber Sie sagen nicht, was Sie denken.

Clifford: Weißt du, Kerl, was ich denke? ... Ich will dich retten und du wirst frech.

Owen: Nein, das wollte ich nicht sagen ... aber ich sah oft, daß Sie auch sehr unglücklich sind ... Verzeihung.

Clifford (plötzlich besänftigt): Was willst du, mein armer Junge? Das Leben ist eben nicht lustig. Hat aber keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen. Nicht wir haben die Welt gemacht. Sie taugt nicht viel.

Owen: Sie sind gut, meine Kameraden sind gute Kerle, ich selbst bin nicht schlecht. Und doch tun wir so viel Böses.

Clifford: Wenn die Besten Reißaus nehmen wollten, gehörte die Welt ganz den Schlechten.

Owen: Aber, wenn die Guten das Böse tun, sind sie schlechter als die Schlechten, denn sie wissen, was sie tun.

Clifford: Willst du noch lange klug schwätzen. Ich diskutiere nicht mit dir. Du verweigerst den Gehorsam: darauf steht Tod. – Aber ich hoffe, du tust es nicht. Du bist aus meiner Gegend, aus meinem Haus, wir gehören zusammen. Du wirst mir keine Schande antun. Man würde sagen, du seist ein Feigling gewesen.

Owen: Sie werden es nicht sagen, Marschall.

Clifford: Ja, bei Gott!

Owen: Nein!

Clifford: Ich sage, daß ich dich für einen Niederträchtigen halte, wenn du ...

Owen: Aber Sie glauben es nicht.

Clifford: Du Starrkopf! Owen, du wirst mich doch nicht zwingen wollen, dich zu erschießen, dich, meinen Schützling?

Owen: Zürnen Sie mir nicht, Mylord. Ich kann nicht anders.

Clifford stampft mit dem Fuß auf, wendet den Rücken, zögert. Das Gewehrfeuer bricht draußen los.

Ein Offizier (hereinstürzend): Marschall ... sie haben sich endlich entschlossen ... sie greifen an, sie wollen durchbrechen ...

Clifford (steigt zu Pferd, zu Owen): Du wirst erschossen.

Er reitet im Galopp mit den Offizieren fort. Owen bleibt mit den beiden Soldaten zurück, die ihn bewachen sollen.

Einer der Soldaten (nachdem sie leise miteinander gesprochen, nähert sich Owen und flüstert ihm zu): Owen ... man paßt jetzt nicht auf ... schau, daß du weiter kommst!

Owen (erschüttert): Du glaubst, ich könnte ...

Der Soldat (ohne ihn anzusehen, und scheinbar nicht zu ihm sprechend): Man schließt die Augen. Eil dich!

Owen macht eine Bewegung zur Gartentür hin. Dann kehrt er um.

Owen: Nein. Es ist besser, ich bleibe.

Soldat: Aber du Unglücksmensch, du ziehst dich nie aus der Sache.

Owen: Ich weiß. Aber wenn ich flüchtete, würden sie sagen, ich hätte es aus Feigheit getan. Der Marschall hat es auch gesagt.

Der Soldat: Was geht dich das an. Du hältst doch auf dein Leben.

Owen: Ja und jetzt ganz besonders.

Soldat: Was wäre schon gewesen, hättest du einen Schuß oder zwei auf die Banditen gepulvert? Tu's noch jetzt!

Der andere Soldat: Man braucht ja nicht zu zielen. Man schießt in die Luft.

Owen schüttelt den Kopf.

Der erste Soldat: Verfluchter Kerl, man wird dich füsilieren müssen. Schämst du dich nicht?

Der Lärm der Schlacht wird lauter.

Der andere Soldat: Hörst du?

Der erste Soldat: Und wir müssen gerade hier angenagelt sein, während der Tanz losgeht!

Der andere Soldat: Jetzt haben wir sie. Sie werden bis zum letzten draufgehen. Das ist wieder mein Pech. Bei allen Malheuren dabei gewesen zu sein und gerade heut nicht, wo's lustig hergeht!

Der Erste: Ich bleib nicht hier. Mich zieht's hin.

Owen: William, was willst du tun? Willst du auch töten?

Der Erste: Warum gerade ich nicht. Die einzige Gelegenheit im Leben wird das, wo es für unsereinen einen Spaß gibt und dazu ist es noch ehrenvoll – (Er springt weg.)

Owen (zum andern Soldaten): Jannie, du bist Familienvater, nicht wahr, du bleibst?

Der andere Soldat: Ich gehe nur zuschauen. (Er läuft dem andern nach.)

Owen (allein): Der Geruch des Blutes macht sie trunken. Und sind doch beide gute Kerle. Aber nicht zu halten, wie läufige Hunde.

Er setzt sich auf eine Stufe der Stiege, in einen dunklen Winkel. Die Fenster des Hauses öffnen sich beim steigenden Kampflärm, blasse Frauengesichter erscheinen. Debora, Noëmi, das Kind, drängen sich ängstlich auf der Veranda, steigen die Stiegen herab in den Hof, horchen erregt. Mrs. Simpson ist auch herausgekommen, sie bleibt auf der Veranda, während die andern Frauen im Hofgarten sind.

Die Frauen: Es ist ganz nah! ... Sie kämpfen um das Tor von Uetrecht.

Eine von ihnen (hat sich im Niedersteigen an Owen gestoßen, sieht ihn an). Wer ist das?

Eine andere: Ein Feigling, der nicht kämpfen will.

Mrs. Simpson (mit einem Offizier sprechend): Ah, wie ergreifend, diese Schreie, dieses Mondlicht, wie poetisch!

Debora: Jeder Schuß tötet einen der unsern. Gott, was hast du sie von den Feinden einschließen lassen!

Noëmi: Verzage nicht. Der Herr weiß, was er will. Beten wir, daß er uns errette. Sobald du zweifelst, ist alles verloren. Man muß den Willen haben.

Debora (und ihre Frauen): Ja, ja, ich will, ich will! Ich will, daß du uns Sieg gibst, daß du diese Räuber zerschmetterst.

Mrs. Simpson (von der Veranda herab sich gereizt zu Debora und Noëmi wendend): Wollen Sie, bitte, schweigen, Madame. Quälen Sie nicht Gott mit ihren frevlerischen Gebeten. Er hat Euch geschlagen, so lernt Euch demütigen und werdet würdig der Prüfung.

Debora: Das ist nicht Gott, sondern der Teufel, der mit dir ist.

Mrs. Simpson (außer sich): Wie wagt Ihr so zu reden, Ihr erbärmlichen Sünderinnen: Ihr lügt. Es steht geschrieben, erinnert Euch: »Warum saget ihr, wir sind weise und die Hüter von Gottes Gesetz? Die Feder der Rechtslehrer ist eine Feder des Irrtums und was sie schreibt, ist Lüge.«

Noëmi: Du lügst, Hündin! Sprich nicht von Gott, du hast kein Recht!

Mrs. Simpson: Gott ist mit der Kraft und der Tugend.

Debora: Gott ist mit jenen, die für die Gerechtigkeit leiden.

Mrs. Simpson: Gott ist mit uns.

Noëmi: Er ist bei uns.

Mrs. Simpson: Mein Gott, mir gehört er, mir!

Debora und die Frauen: Mir, mir, uns, unser Gott, mein Gott!

Mrs. Simpson: Zerbrich ihren Stolz!

Debora: Räche uns! Verbrenne sie in deinen ewigen Flammen!

Noëmi (ekstatisch): »Und seien sie auch stark und zahlreich wie sie wollen, sie werden fallen, wie die Haare unter den Schermessern. Schon höre ich die Geißel von fern und das Rollen der Wagen und das Stampfen der Rosse ... das Schwert wird Euch fällen, das Feuer Euch verbrennen wie einen Heuschreckenschwarm.«

Mrs. Simpson (gleichfalls außer sich): Gott hat gesagt: »Auf, zieh' gen Amalek, zerstöre alles, was dort ist und vergib ihnen nicht. Rotte aus Mann und Frau, Kinder und Säugling, Ochsen und Lämmer, Kamele und Esel.«

Debora: Das Wunder tu!

Mrs. Simpson: Das Wunder!

Debora: Alles vermagst du. Das Weltall kannst du wenden, so du willst, zum Triumph deiner Auserwählten!

Die Frauen und Mrs. Simpson (die Hände zum Himmel reckend): Zu uns! Hilf uns! Zu uns!

Lawrence (kommt stürmisch herein, von allen Offizieren umringt): Sie sind gefangen! Der Präsident ist gefangen! Alle Führer! Wir haben sie alle!

Die Frauen stürzen mit Schreckensschreien hin und recken die Hände zum Himmel, Mrs. Simpson stimmt ein Tedeum an.

Die Offiziere (in frohem Durcheinander): Sie wollten durchbrechen. Das Pferd des Präsidenten stürzte. Der Alte ist in den Kot gerollt, man hob ihn ganz verstört auf mit einer verrenkten Schulter. Die Seinen wollten ihn befreien, man schlug sich um ihn, wie zu Homers Tagen. Schließlich haben wir ihnen den Happen entrissen. Wir haben ihn und ein paar von der Bande ... Und die Andern? Die verteidigen sich noch. Aber die Maschinengewehre räumen auf ... Sie fallen wie die Fliegen ... Wo ist der Marschall ... Ah, da führt man welche herein.

Man stößt blutüberströmt und kotbespritzt, in zerrissenen Gewändern die Gefangenen herein, den Präsidenten, einen bärtigen Greis mit viereckigem Gesicht. Er ist in Überrock und barhaupt, auch die anderen Gefangenen zwischen sechzehn und sechzig Jahren tragen Überröcke, schlecht geknöpfte Westen, manche sind hemdärmelig, manche barhaupt, andere tragen weiche Hüte oder eingetriebene runde steife Hüte. Die Offiziere brechen in ein Gelächter aus.

Die Offiziere: Mein Gott ... seht mal her ... Ja, wie sie aussehen ... das ist eine Toilette ... Und die haben sich gegen uns gewehrt ... Ist das nicht eine Erniedrigung für Gentlemen, sich mit einem solchen Pack zu schlagen? ... Wie dreckig sie sind ... Und der Alte! Wie ein Affe sieht er aus! Du alter Narr wolltest England widerstehen ... Man sollte ihn in einen Käfig setzen!

Die Frauen (haben sich von ihrer Bestürzung erhoben und begrüßen mit Verzweiflungsschreien die Gefangenen. Sie halten ihnen die Arme entgegen): Mein Vater, Vater ... mein Mann ... mein Kind ...! (Die englischen Soldaten stoßen sie zurück. Die Gefangenen, sehr zurückhaltend, schweigen und regen sich nicht.)

Mrs. Simpson (strahlend die Gefangenen den Frauen zeigend): Da ist das Wunder. Seid Ihr zufrieden?

Noëmi (den Kopf gegen die Erde schlagend): »Ich sah die Erde und fand nur das Nichts, ich schaute die Himmel und sie waren ohne Licht.«

Debora (aufstehend, die Fäuste gegen den Himmel geballt): Das ist zu viel! Genug! Zu viel! Bist du taub? Du verrätst uns! Oh, du bist nichts! Du tust nichts! Du kannst nichts! Trottel! Schurke! Und zu dir haben wir Blöde gebetet! Nur wir sind da, nur wir können uns helfen! Von uns nur kann das Wunder kommen! David, David, wann wirst du auferstehen? Wann wirst du Goliath schlagen.

Der kleine David, aufrecht neben seiner Mutter, zittert und sieht mit düsterm und beharrlichem Blick um sich.

Inmitten des Gelächters der englischen Offiziere, die über die Gefangenen spotten, erscheint der Marschall. Sofort großes Schweigen. Der Marschall nimmt die Mütze ab, geht auf den Präsidenten zu, bietet ihm die Hand.

Clifford: Mein Herr, Ihr Heldentum hat, so lange es nur denkbar war, ein Resultat verzögert, das in Anbetracht der Verschiedenheit der Kräfte unvermeidlich war. Ich begrüße Sie und freue mich, einen so vornehmen Gegner zu empfangen.

Der Präsident sieht mit seinen großen kalten Augen auf den Marschall und die dargereichte Hand. Dann steckt er seine Hände in die Tasche und dreht ihm den Rücken.

Clifford (verletzt, zieht die Augenbrauen zusammen, dann, nach einem Augenblick, wendet er sich mit hochmütiger und ein wenig verbitterter Geste an Clodds): Clodds, bitte, fragen Sie ihn, ob er für den Augenblick seinem Haß Waffenstillstand gebieten möchte, um sich mit mir zu besprechen.

Clodds nähert sich dem Präsidenten, der ihm noch immer den Rücken wendet.

Der Präsident (zwischen den Zähnen, als spräche er mit jemandem andern): Ich kenne ihn nicht.

Clifford: Ich bin Lord Lindsley, Baron Clifford, Generalissimus der königlich britischen Armee.

Der Präsident (noch immer bei Seite sprechend, fast ohne den Kopf zu wenden): Was wollen Sie hier? Gehen Sie fort von hier!

Clifford: Mein Herr, es nützt nichts, die Tatsachen abzuerkennen. Sie sind unsere Gefangenen. Ihre Sache ist verloren. Ihre Niederlage war eine ehrenhafte, aber es wäre nutzlos, sie zu leugnen. Ich habe nur einen Wunsch, die Traurigkeit dieser Tatsache für Sie möglichst zu vermindern. Es erbittert mich, einen Kampf fortgeführt zu sehen, der nur das Grab Ihres Volkes verbreitert. Machen Sie diesem ungleichen Ringen ein Ende! Befehlen Sie ihnen, sich zu ergeben. Ich bin bereit, Ihnen eine so ehrenvolle Kapitulation zu bewilligen, als es die Instruktionen meiner Regierung erlauben.

Der Präsident: Wer glauben Sie denn, daß ich bin? Ich meinen Jungens Befehle erteilen? Glauben Sie denn, sie schlagen sich für mich, wie eure Sklaventruppen in Europa? Sie kämpfen für ihr Gewissen und werden so lange kämpfen, als es ihnen und Gott gefällt, bis sie sterben oder bis sie Sie besiegt haben.

Clifford: So lassen Sie sie hinschlachten!

Der Präsident: Ich habe an den Vorgängen nicht tätigen Anteil mehr, ich warte.

Clifford: Worauf?

Der Präsident: Auf Gottes Sieg!

Clifford: Sie haben nur noch zweitausend Männer.

Der Präsident: Der Herr sprach zu Gideon: »Dies Volk ist noch zu zahlreich. Durch die dreihundert Männer, die das Wasser tranken, ohne daß ihre Knie die Erde rührten, werde ich euch befreien.«

Clifford (achselzuckend): Die Generale sind gefangen. Ihr Volk hat keine Führer mehr.

Der Präsident: Der Führer kann nicht gefangen werden. Gott ist der Führer.

Clifford: Gott hat gesprochen.

Der Präsident: »Sechsmal hat uns das Übel berührt, es wird uns beim siebenten Mal nicht mehr treffen.«

Clifford: Beim siebenten Mal wird Ihr Volk nicht mehr sein.

Der Präsident: Man kann ein Volk nicht töten, das nicht sterben will.

Clifford: Sie wissen, daß England nie nachgibt.

Der Präsident: Nichts werden Sie vermögen.

Clifford: Sie wollen mich bis zum Äußersten treiben?

Der Präsident: Nichts vermögen Sie. Wenn es Gott gefällt, werden Sie uns töten. Wenn es ihm nicht gefällt, müht Ihr Euch vergeblich. Wir sind in seiner Hand. Vielleicht hat er schon über Sie verfügt. Ich warte zu.

Clifford (außer sich zu den Offizieren): Machen wir Schluß! Genug mit der Geduld. Blast zum Angriff! Schlagt die Narren zusammen. Ihr Blut komme über sie. Ich bin der Sieger. Ich bin ... (Ein Schuß, Clifford, überrascht, fährt mit der Hand an seine Brust.) Ich bin zu Ende ... ich sterbe ... (Er fällt.)

Während des Gespräches des Marschalls mit dem Präsidenten hat sich der kleine David, unbemerkt von allen, dem Tisch genähert, wo der Doktor Cliffords Revolver liegen ließ. Er nimmt ihn heimlich, spielt damit, wie ohne Ziel, dann plötzlich schießt er auf den Marschall. Sobald es geschehen ist, läßt er die Waffe fallen und bleibt selbst ganz fassungslos und verständnislos für das, was er getan. – Allgemeines Entsetzen, dann wirre Erregung, alle blicken auf den Marschall. Nur Debora, starr vor Entsetzen, blickt auf ihr Kind, ohne sprechen oder sich rühren zu können.

Offiziere und Soldaten: Man hat geschossen! Der Marschall ist verwundet.

Der Präsident (schreiend): Das Schwert des Herrn, Gideons Schwert!

Die Gefangenen (die Hüte abnehmend und wiederholend): Das Schwert des Herrn!

Die Offiziere: Verdammt ... wer hat geschossen? Der Kleine da ... diese Viper. (Die Offiziere wenden sich schreiend gegen das Kind, einer von ihnen mit gezogenem Säbel, ein Kamerad fällt ihm in den Arm): Nein, Dick, das nicht ... Laß mich, daß ich ihm den Schädel einschlage ... ich habe es immer gesagt, man muß das Geschmeiß mit dem Absatz zertreten ...

Debora (sich vor das Kind werfend, das wie versteint dasteht): Rührt es nicht an!

Die Offiziere: Das ist die Mörderin! Sie hat ihn aufgehetzt. Laß mich. Jetzt gibt es nicht Frauen und Kinder, man muß das Tier mit ihrem Jungen umbringen.

Clifford (sich mit Anstrengung erhebend): Ich verbiete ... (Alle halten inne, mit schwächerer Stimme): Ich verbiete, daß man diese Frau und dieses Kind berühre.

Die Offiziere treten wutzitternd zurück. Der Lärm legt sich zu einem wilden Gemurmel. – Debora, die wie ein Tier, das sein Junges verteidigt, hochaufgerichtet und zorngeballt vor dem Kinde stand, bricht zusammen und sieht es voll Entsetzen an.

Debora: Was hast du getan?

David (entsetzt seine Hände ansehend): Ich weiß nicht.

Mrs. Simpson: Oh, Sie Niederträchtige, Sie haben mit Ihren Provokationen dieses unschuldige Kind zum Mörder gemacht.

Debora: Ein Mörder, ein Mörder! Oh, mein kleiner David! (Sie umarmt ihn weinend.)

Der Präsident: Der Mord ist verächtlich, wenn er vom Menschen kommt. Dieser kam von Gott. Dies unbewußte Wesen war sein Werkzeug.

Der Arzt, Mrs. Simpson und andere bemühen sich um Clifford.

Debora: Ich habe getötet, mein Kind hat getötet! Durch mich ging das Verbrechen ein in das Herz des Kindes.

Die Offiziere: Wie durfte sie heran ... Der Marschall hat Order gegeben, sie jederzeit vorzulassen!

Debora steht plötzlich auf und will sich Clifford nähern.

Mrs. Simpson (sie zurückstoßend): Fort, welche Schamlosigkeit!

Debora (die Hände hebend): Oh, ich bitte, ich wollte ... ich wollte ihn verbinden ...

Miles: Es wäre höchste Zeit.

Clifford: Laßt es!

Miles: Leinwand!

Debora: Ich hole schon. (Sie läuft in das Haus.)

Clifford: Bringt mir das Kind her.

Man bringt den kleinen David, der Angst hat, weint und sich wehrt.

Clifford: Weine nicht! Es war nicht deine Schuld! Doktor, haben Sie Acht auf ihn. Ich vertraue ihn Ihnen an. Ich will, Sie verstehen ... Mein kleiner Junge ... Sieh mich an. Du hast dich gerächt. Ich habe dich getötet. Du armes Opfer unseres Ehrgeizes und unseres Hasses, du hast hier leiden und sterben müssen ...

Die Offiziere (untereinander): Er deliriert.

Clifford: Ich ließ dich leiden in allen kleinen Kindern dieses Volkes, das ich verfolgt habe. Ich wollte es hindern, aber ich hatte nicht die Kraft. Verzeihung, ihr unschuldigen Opfer! Wir sind alle Opfer. Man müßte größer sein, um widerstehen zu können. Ich war kein Held. (Debora ist zurückgekommen und verbindet Cliffords Wunde.) Dank! Sie hassen mich also nicht mehr! Die das Böse tun, sind schon unglücklich genug.

Debora: Was bliebe uns denn, hätten wir nicht mehr die Kraft, unsere Unterdrücker zu hassen!

Miles (zu Debora): Sie Unkluge! Ihren Beschützer haben Sie ermordet!

Clifford: Sie hat Recht getan! Der Schuldigste von allen ist, der das Böse aus Schwäche tut, es weiß und bedauert und doch tut!

Owen hat sich vor Clifford hingekniet und küßt ihm die Hand. Clifford gibt ihm einen leichten freundschaftlichen Schlag auf den Kopf.

Ein Offizier (hereinstürmend): Sie ergeben sich! Wir sind Sieger.

Clifford: Es gibt keinen Sieger, es gibt nur Besiegte.

Er stirbt. Alles bemüht sich um ihn. Plötzlich erhebt sich Debora, sieht um sich mit einem Ausdruck verzweifelten Wahnsinns, läuft zur Zisterne und stößt alle aus dem Weg.

Die Offiziere: Was hat sie?

Debora (verzweifelt): Ich kann nicht mehr ... ich kann nicht mehr hassen!

Sie stürzt sich in die Zisterne.

Der Präsident und die Gefangenen (unbeweglich im Tumult der Andern): »Heulet und schreiet ihr Schiffe des Meeres ... Denn sie wird gebrochen, Tyr, die Königin der Städte, deren Krämer Fürsten waren, und deren Makler die Herren der Erde ... Heulet und schreiet, ihr Schiffe des Meeres, denn zerstört wird eure Macht.«

Graham (kommt mit einer Gruppe Offiziere. Sie sind blut- und staubbedeckt. Er geht auf Cliffords Leiche zu, entblößt das Haupt, blickt ihn einen kurzen Augenblick an, dann geht er auf die andern Offiziere zu und zeigt auf die Gefangenen. »In Reih und Glied.« Man stellt sie auf, mit Ausnahme des Präsidenten. Graham zählt sie ab, bezeichnet immer einen auf fünf. Zu den Offizieren): Füsilieren!

Einer der Gefangenen (sich zur Erde niederwerfend und sie küssend): Meine Erde, nichts kann mich von dir trennen.

Graham: Die Frauen und Kinder festnehmen! Alle sind mitschuldig. Verbrennt die Gehöfte! Das Gesindel marschiert morgen unter Eskorte an die Küste. Dies Volk will ausgerottet sein. Das kann ihm werden.

Der Präsident (ruhig): Es wird alles schon recht enden.

Graham (Owen betrachtend): Und der? Was ist mit dem?

Clodds: Er hat sich geweigert zu kämpfen.

Graham (auf die Gruppe der Verurteilten hindeutend): Mit den Andern!

Er steigt, gefolgt von den Offizieren, die Treppe ins Haus hinauf. Man trägt Cliffords Leiche fort. Die Gefangenen entfernen sich, Hymnen singend. Owen, von zwei Soldaten vorwärtsgestoßen, folgt ihnen. Er ist ruhig und heiter.

Owen: »Die Zeit wird kommen, da alle Menschen um die Wahrheit wissen werden, da sie Pflugscharen schmieden werden aus den Schwertern, und Sicheln aus den Lanzen und der Löwe weiden wird neben dem Lamme. Die Zeit wird kommen.«

Ende.

 


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