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Die Frage des Musikdramas hat keinen der großen Musiker und Musiker-Dichter des 18. Jahrhunderts gleichgültig gelassen. Alle haben versucht, es zu vervollkommnen oder es auf neue Grundlagen zu stellen. Es wäre ungerecht, Gluck allein die Reform der Oper zuzuschreiben. Händel, Hasse, Vinci, Rameau, Telemann, Graun, Jomelli und viele andere haben sich mit ihr beschäftigt. Hat sich doch selbst Metastasio, den man oft als das hauptsächlichste Hindernis für die Einführung des modernen lyrischen Dramas hinstellt, weil er im Gegensatze zu Gluck stand, nicht weniger als Gluck, wenn auch in anderer Weise, bemüht, der Oper all die psychologische und dramatische Wahrheit zu geben, die sich mit der Schönheit des Ausdrucks in Einklang bringen läßt.
Es mag nicht unnötig sein, daran zu erinnern, wie sich das Talent dieses Dichters gebildet hat, der musikalischer war als irgendeiner vor oder nach ihm – »dieses Mannes«, wagte Burney sogar zu behaupten, »dessen Dichtungen wahrscheinlich der Vervollkommnung der sanghaften Melodie oder vielmehr der Musik überhaupt mehr gedient haben als die vereinten Anstrengungen aller großen Musiker Europas.«
Seit seinen Anfängen als Wunderkind hatten ihm seine musikalischen Studien den Gedanken einer poetischen Reform eingegeben, die seinen Namen berühmt machen sollte. Die Zufälle seiner Herzensgeschichte, die er planvoll meisterte, haben nicht wenig zu seiner musikalisch-poetischen Vervollkommnung beigetragen. Einer Sängerin fiel das Verdienst zu, ihn entdeckt zu haben. E. Celani hat diese Geschichte in einem Artikel »Il primo amore di P. Metastasio« erzählt Rivista musicale italiana. 1904..
Zuerst verliebte sich Metastasio in die Tochter des Komponisten Francesco Gasparini, eines Schülers Corellis und Pasquinis, jenes Mannes, der die Kenntnis des bel canto vollkommen beherrschte und die bedeutendsten Schüler ausbildete, wie die Faustina und Benedetto Marcello. Sie lernten sich in Rom 1718-19 kennen. Gasparini wollte Metastasio mit seiner Tochter Rosalia verheiraten, die Metastasio unter dem Namen Nice besang; Celani hat den Entwurf eines Ehekontrakts aus dem April 1719 wiederaufgefunden. Aber ein unerwartetes Hindernis trat ein, Metastasio reiste im Mai 1719 nach Neapel, und Rosalia heiratete einen andern.
In Neapel traf Metastasio mit der Frau zusammen, die den entscheidenden Einfluß auf seine künstlerische Laufbahn haben sollte: mit der Romanina (Marianna Benti), einer berühmten Sängerin und Gattin eines gewissen Bulgarelli. Metastasio war damals Schreiber bei einem Advokaten, der die Poesie haßte, was ihn aber nicht hinderte, Gedichte, Kantaten und Serenaden zu schreiben, die unter einem andern Namen erschienen. 1721 schrieb er zur Feier eines kaiserlichen Geburtstages eine Kantate »Gli orti Esperidi«, von Porpora in Musik gesetzt; die Romanina, vorübergehend in Neapel, sang die Rolle der Venus. Der Erfolg war groß, die Romanina wollte den jungen Dichter kennen lernen und verliebte sich in ihn. Sie zählte fünfunddreißig Jahre, er dreiundzwanzig. Sie war nicht schön Der Artikel Celanis enthält auch zwei etwas karikierte Bildnisse (S. 250 und 252)., mit groben, etwas männlichen Gesichtszügen, aber von großer Güte und starker Intelligenz. Die Elite der Künstler scharte sich in Neapel um sie: Hasse, Leo, Vinci, Palma, Scarlatti, Porpora, Pergolesi, Farinelli. In diesem Kreis vollendete Metastasio seine literarisch-musikalische Bildung, dank den Gesprächen dieser Männer, dem Unterricht, den ihm Porpora erteilte, und besonders den Ratschlägen, der tiefen Einsicht und Kunsterfahrung der Romanina. Für sie schrieb er sein erstes Melodrama, die »Didone abbandonata« (1724), denkwürdig in der Geschichte der italienischen Oper durch ihre Innigkeit und ihren Racineschen Reiz. Die Romanina glänzte in Rollen aus seinen ersten Dichtungen, darunter im »Siroe«, den fast alle großen Komponisten Europas in Musik gesetzt haben.
Nach 1727 gingen sie nach Rom und führten dort ein seltsames Familienleben zu dritt: Metastasio, die Romanina und der Gatte Bulgarelli. Die Romanina verachtete ihren Mann und liebte Metastasio mit eifersüchtiger Leidenschaft. Die alte, oft dagewesene Geschichte fand ihren unvermeidlichen Abschluß. Metastasio reiste ab. 1730 wurde er als poeta Cesareo nach Wien berufen. Er verließ Rom und gab seiner »cara Marianna« die Vollmacht, seinen Besitz und seine Renten zu verwalten, zu verkaufen und auszutauschen, ohne ihm Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Die Romanina konnte diesen Abschied nicht ertragen, und drei Monate später machte sie sich auf zur Reise nach Wien. Sie kam aber nicht weiter als bis Venedig. Ein Zeitgenosse Lessing, damals Bibliothekar in Wolfenbüttel (siehe bei Celani). erzählt, daß die »Didone abbandonata« zum größten Teile die Geschichte Metastasios und der Romanina ist. Metastasio fürchtete, daß sie ihm in Wien Unannehmlichkeiten bereiten und seinem Ruf schaden könnte. Er verschaffte sich eine Kabinettsorder, die der Romanina die Einreise in die kaiserlichen Staaten untersagte. Die Romanina war außer sich und versuchte sich in ihrer Erregung mit einem Taschenmesser zu töten, verletzte sich aber nur an der Brust. Die Wunde war nicht tödlich, aber sie starb wenige Jahre danach aus Schmerz und Verzweiflung.
Einige ihrer Briefe an den Abbé Riva, der den Vermittler spielte, zeigen die Leidenschaft der unglücklichen Frau. Hier sind einige besonders rührende Zeilen, die sie in Venedig am 21. August 1730, vermutlich nach ihrem Selbstmordversuch und als sie versprochen hatte, vernünftig zu sein, an ihn schrieb:
»Da Sie dem Freunde soviel Freundschaft bewahren, erhalten Sie ihn mir, helfen Sie ihm, machen Sie ihn so glücklich, als Sie nur können, und glauben Sie mir, daß ich keinen andern Gedanken auf der Welt habe. Wenn ich mitunter verzweifle, dann nur, weil ich seinen Wert zu sehr kenne und weil es keinen größeren Schmerz für mich gibt, als getrennt von ihm zu leben. Aber ich bin so entschlossen, seine Achtung nicht zu verlieren, daß ich geduldig die Tyrannei ertragen will, die eine solche Grausamkeit geschehen läßt: ich versichere Sie, daß ich alles tun werde, um meinem sehr geliebten Freunde angenehm zu sein und um ihn mir zu erhalten; ich werde mein möglichstes tun, um gesund zu bleiben, in dem einzigen Gedanken, ihn nicht zu betrüben ...«
Sie schleppte ihr elendes Leben noch vier Jahre hin. Metastasio antwortete mit kühler Höflichkeit auf ihre leidenschaftlichen Briefe. Die Vorwürfe der Romanina erschienen ihm »regelmäßig und unvermeidlich, wie ein Quartalsfieber«. Sie starb in Rom am 26. Februar 1734, achtundvierzig Jahre alt, und tat Metastasio die letzte edle Rache an, ihn zu ihrem Universalerben zu ernennen. »Ich tue dieses«, sagte sie, »nicht nur aus Dankbarkeit für seine Ratschläge und die Hilfe, die er mir im Unglück und in langer Krankheit erwiesen hat, sondern, damit er sich in Ruhe seinen Arbeiten hingeben möge, die ihm soviel Ruhm gebracht haben.« Metastasio, beschämt von soviel Großmut, verzichtete zugunsten Bulgarellis und empfand heftige Gewissensbisse bei dem Gedanken an die »povera e generosa Marianna« ... »Ich glaube, daß es keinen Trost für mich geben wird; der Rest meines Lebens wird saft- und freudlos sein.« (13. März 1734.)
Das ist die Liebesgeschichte, die ein Stück Musikgeschichte ist, da es dieser Frau zu danken ist, daß Metastasio zum Racine der italienischen Oper wurde. Das Echo der Stimme jener Romanina klingt noch in seinen Versen wider, die, wie Andres sagt, »so fließend und harmonisch sind, daß ich glaube, man muß zu singen anfangen, wenn man sie liest.«
Diese Sangbarkeit von Worten ohne Töne hatte den Zeitgenossen starken Eindruck gemacht. Marmontel bemerkt, daß »Metastasio die Phrasen, die Pausen, den Text und alle Teile seiner Arien so festgelegt hat, als hätte er sie selbst gesungen«.
Er sang sie auch in der Tat. Wenn er seine Dramen dichtete, saß er am Cembalo, und oft schrieb er die Musik zu seinen Dichtungen. Man denke an Lully, der am Klavier Quinaults Gedichte sang und sie für sich zurechtmachte. Hier sind die Rollen vertauscht. Der italienische Quinault komponiert seine Gedichte am Klavier und zeichnet die Linien der Musik vor, die sie schmücken soll. In einem Brief vom 15. April 1750 schreibt Metastasio der Prinzessin Belmonte, der er die Musik von Caffarello zu seinem Gedicht »Abschied von Nice« schickt: »Caffarello kannte die Schwächen meiner Musik (della mia musica)« – das heißt, daß er welche geschrieben hatte – »die Worte haben ihm leid getan, und er hat ihnen ein besseres Gewand angepaßt.« Unveröffentlichte Briefe, erschienen im 77. Bd. der »Nuova Antologia« und zitiert von Jole-Maria Baroni in der »Lirica musicale di Metastasio« (Riv. mus. it. 1905). In einem andern Briefe des gleichen Jahres (21. Februar 1750) an die gleiche sagt er:
»Eure Exzellenz wissen, daß ich nichts für den Gesang zu schreiben vermag, ohne mir – gut oder schlecht – die Musik dazu auszudenken. Das Gedicht, das ich sende, ist zur Musik geschrieben, die es begleitet. Diese Musik ist wahrlich sehr einfach; aber wenn man sie mit dem zärtlichen Ausdruck singen will, den ich voraussetze, wird man vielleicht alles darin finden, was nötig ist, um die Worte zu tragen. Man mag sie künstlicher ausführen, und das wird vielleicht den Beifall des Publikums für den Musiker erhöhen, aber liebenden Herzen weniger Freude machen.« Ebenda.
Niemals gab Metastasio seine Dichtungen einem Freunde, ohne die Musik beizulegen. So hat man nicht das Recht, seine Verse allein zu beurteilen ohne die Musik, für die er, wie Marmontel sagt, »ein Ahnungsvermögen« »Ein Talent, ohne welches es einem Dichter unmöglich ist, eine Aria gut zu schreiben, ist ein instinktives Gefühl für den Gesang, d. h. den Charakter, den die Arie haben soll. ihre Ausdehnung und das geeignete Tempo« (Marmontel.) hatte. Die Musik erschien ihm für die Poesie um so unentbehrlicher, als er in einem deutschen Lande lebte, wo seine italienische Sprache ihre volle Macht nur ausübte, wenn sie von Musik getragen in die Herzen drang. 1760 schreibt er dem Grafen Florio: »Seit den ersten Jahren meines Lebens in der Fremde habe ich mich überzeugt, daß unsere Dichtkunst hier nur Wurzel schlagen kann, wenn die Musik und die Aufführung hinzutreten.«
So war seine Dichtung ganz für Musik und Bühne berechnet. Man kann sich denken, wie verführerisch sie für die italienischen Komponisten des Jahrhunderts und ihrer Nachahmer war. Nach Marmontels Wort »haben alle Musiker sich ihm ergeben«. Francesco Piovmo, der eine Bibliographie Metastasios vorbereitet, schätzt die Kompositionen seiner Texte auf 1200 (J. M. G. 1906). Zuerst waren sie von der Harmonie seiner Verse bezwungen. Dann aber fanden sie in ihm einen sehr milden, sehr höflichen Burney hat ein reizendes Bild Metastasios gezeichnet, den er in Wien kennenlernte. Er war im Gespräch, sagt er, klar, rasch, angenehm. Er ist heiter, liebenswürdig, voll Charme, äußerst höflich. Er streitet niemals, aus Höflichkeit oder Indolenz. Nie antwortet er auf eine irrige Behauptung. Er liebte keine Diskussionen. »In der That scheint sich in seinem Leben eben die sanfte Heiterkeit zu befinden, welche durch seine Schriften herrscht, worin er, selbst wenn er Leidenschaft mahlt, mehr mit gelassner Vernunft, als mit Heftigkeit spricht.«, aber sehr energischen Mentor. Hasse ließ sich von ihm leiten. Jommelli sagt, daß er mehr von Metastasio gelernt habe als von Durante, Leo, Feo, dem Padre Martini, also von allen seinen Meistern. Nicht nur eigneten sich seine Verse, an denen er keine Veränderungen gestattete, wunderbar für die Melodie, sie inspirierten sie geradezu, riefen sie förmlich herbei: nicht selten suggerierten sie dem Musiker das Thema der Arie. Burney erzählt von einem Gespräch zwischen einem englischen Besucher und Metastasio. Der Engländer fragt, ob Metastasio nie eine seiner Opern in Musik gesetzt habe, Metastasio verneint es, sagt aber, daß er zuweilen dem Musiker die Motive dazu gegeben habe.
Jole-Maria Baroni gibt in einer Studie über die Lirica musicale di Metastasio Rivista mus. ital., 1905. eine kurze Analyse der verschiedenen poetisch-musikalischen Gattungen, die er behandelte: Kanzonette, Kantate, Arie. Ich begnüge mich, hier nur die musikalischen Reformen anzudeuten, die Metastasio zu verwirklichen berufen war.
Ihm gebührt das Verdienst, die Chöre wieder in die italienische Oper eingeführt zu haben. Darin stützte er sich auf die musikalischen Traditionen, die Wien bewahrt hatte. Während die Chöre in der italienischen Oper außer Verwendung gekommen waren, hatten sie die Meister Joh. Jos. Fux und Carlo Agostino Badia hartnäckig beibehalten. Metastasio schöpfte an dieser noch lebendigen Quelle und behandelte die Chöre mit einer bis dahin nicht gekannten Kunst. Er führte sie nur an den Stellen der Handlung ein, wo sie natürlich und notwendig waren. Man fühlt, daß er bei ihrem Entwurf sich sehr oft die feierliche Einfachheit der antiken Tragödie zum Vorbild nahm. So in der »Olimpiade«, der »Clemenza di Tito«, dem »Achille in Sciro«, also den Werken seiner Reifezeit. In dem gleichen Geist haben sie seine komponierende Freunde, die unter seinem Einfluß standen, wie Hasse, musikalisch behandelt. Wer den prachtvollen Priesterchor in Hasses »Olimpiade« (1756) studiert, wird mit Erstaunen die volle Entfaltung des neuantiken Stils in seiner schlichten Tragik und Religiosität bewundern müssen, dessen Handhabung oder Erfindung man zu sehr geneigt ist, Gluck allein zuzugestehen.
Aber die stärkste reformatorische Wirkung Metastasios und seiner Musiker ging von ihren rezitativen Szenen aus.
Die damalige italienische Oper war eine unausgeglichene Verbindung von recitativo secco und Arien. Das Secco-rezitativ war ein eintöniges und sehr rasches Psalmodieren, das wenig vom gewöhnlichen Sprechton abwich und endlos über der Soloklavier-Begleitung, von einigen Bässen unterstützt, abrollte. Der Musiker kümmerte sich wenig darum und sparte seine Kräfte für die Aria, wo seine Virtuosität und die seines Interpreten freies Spiel hatten. Im Gegensatz dazu verweilte der Dichter gern beim Rezitativ, das seine Verse zur Geltung kommen ließ. Dieses summarische Verfahren war nach niemandes Geschmack. Der Dichter und der Musiker waren abwechselnd bloße Handlanger, zu wahrhaft gemeinsamer Arbeit kam es nicht. Indessen hatte sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Oper eine Mischform eingestellt, die langsam an den wichtigen Platz vorrücken sollte, den sie nun (fast möchte ich sagen: unglücklicherweise!) im modernen Musikdrama einnimmt: es war das vom Orchester begleitete Rezitativ, das recitativo stromentale oder, rascher und landläufiger, das Accompagnato. Lully hatte es in seinen letzten Opern »Triumph der Liebe« (1680), »Perseus« (1682), »Phaeton« (1683). reizvoll anzuwenden gewußt. In der italienischen Oper aber erschien das Accompagnato regelmäßig erst seit Händel »Giulio Cesare« (1724), »Tamerlano« (1724), »Admeto« (1727). und Leonardo Vinci (1690-1732). Dieser letztere, den der Präsident de Brosses den italienischen Lully nannte, hatte schon den Einfall, das Accompagnato auf den Gipfelpunkten dramatischer Handlung einzuführen, um den höchsten Grad von Leidenschaften auszudrücken. Indessen waren das bei ihm Genieblitze; er hat sie nicht weiter verfolgt.
Das Verdienst, die Wichtigkeit dieser Erfindung erkannt und sie klug und logisch ausgenutzt zu haben, fällt ganz offenbar, unter Metastasios Einfluß, Hasse zu, wie das Hermann Abert gezeigt hat »Niccolo Jommelli als Opernkomponist«, 1908 Halle. Seit der »Cleofide« Aufgeführt in Dresden in Anwesenheit J. S. Bachs. (1731), deren zweiter Akt mit einer sehr kühnen akkompagnierten Rezitativszene schließt, gebraucht Hasse die Accompagnati für aller Aktschlüsse und Höhepunkte der Handlung, wie Visionen, Erscheinungen, Lanenti, Anrufungen, Seelenqualen. In der »Clemenza di Tito« (1738) weist Abert sechs Accompagnati nach, von denen fünf den beiden Haupthelden zufallen und ihre inneren Kämpfe darstellen; das sechste, einer Nebenperson zugeteilt, schildert den Brand des Kapitals. Zweimal folgt den großen Orchesterrezitativen keine Arie. In der »Didone abbandonata« (1743) ist der tragische Schluß bemerkenswert, der wie viele andere Beispiele Siehe den »Tamerlano« von Händel und »Piramo e Tisbe« von Hasse. die irrige Legende widerlegt, daß alle Opern vor Gluck der Mode zuliebe mit einem guten Schluß enden mußten. Das ganze Drama wird in dieser ernstbewegten und gespannten Schlußszene zusammengefaßt.
Welchen Anteil Metastasio am Aufbau dieser poetischmusikalischen Architektur hatte, die dem Orchesterrezitativ die großen Momente der Handlung vorbehält, zeigt ein denkwürdiger Brief, den er an Hasse am 20. Oktober 1790 über seinen »Attilio Regolo« schrieb; Dieser Brief aus den »Opere postume del sig. Ab. Pietro Metastasio« (1793, Wien, Bd. I) ist auch von Carl Mennicke in seinem Werk »Hasse und die Brüder Graun als Symphoniker« (1906, Leipzig) veröffentlicht worden. er ist es wert, daß man die. Aufmerksamkeit auf ihn lenkt. Nie beaufsichtigte ein Dichter strenger die Arbeit des Musikers und bestimmte mit größerer Genauigkeit die Art Musik, die jeder Szene zukam.
Nach einer langen Einleitung von ausgesuchter Höflichkeit, in der Metastasio sich entschuldigt, daß er es wagt, Hasse Ratschläge zu erteilen, fängt er an, die Charaktere seines Stückes zu erklären: Regulus, der römische Held, über den Leidenschaften stehend, erhaben in seiner Ruhe ... »Es würde mir nicht gefallen«, sagt er, »wenn sein Gesang oder die Begleitung dazu jemals hastig wären, außer an zwei oder drei Stellen des Werkes ...« Ferner der Konsul Manlius, ein großer Mann von übergroßem Ehrgeiz; Hamilkar, der als Afrikaner die römischen Maximen von Ehre und Gerechtigkeit nicht versteht, aber schließlich jene beneidet, die daran glauben; Barce, eine schöne leidenschaftliche Afrikanerin, deren liebende Natur ganz von Hamilkar erfüllt ist usf. »Dieses sind im allgemeinen die Gestalten, die ich darstellen wollte. Sie wissen, daß der Pinsel nicht immer dem Bild in der Seele des Künstlers genugzutun vermag. Es ist an Ihnen, ebenso trefflicher Künstler als vollkommener Freund, meine Gestalten so auszustatten, daß sie eine ausgesprochene Individualität verraten, wenn schon nicht durch ihre Gesichtszüge, so doch durch ihren Schmuck und ihre Kleidung.«
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Nachdem er die Wichtigkeit der »instrumentierten Rezitative«, d. h. der Accompagnati, beleuchtet hat, gibt er an, wie und wo man sie in seinem Drama verwenden solle:
»Im ersten Akt finde ich zwei Stellen, wo die Instrumente mir helfen können. Die erste ist die Ansprache Attilias an Manlius in der zweiten Szene, von dem Vers ab:
Ah, che vengo! Ah sino a quando ...
Nach den Worten Ah, che vengo sollen die Instrumente sich bemerkbar machen und bald schweigend, bald begleitend, bald rinforzando einem an sich schon leidenschaftlichen Gespräch noch mehr Wärme geben. Es wäre mir lieb, wenn sie Attilia nicht im Stich ließen vor dem Vers:
La barbara or qual è? Cartago o Roma?
Ich glaube, man muß sich hüten und nicht in den Fehler verfallen, den Sänger länger warten zu lassen, als der Baß allein es verlangt. Alle Wärme des Gesprächs würde verlorengehen, und die Instrumente, anstatt belebend zu wirken, würden das Rezitativ unruhig machen, und es wäre dann wie ein zerstückeltes, ins Dunkle verbanntes Bild; in welchem Falle es besser stünde, wenn es gar nicht da wäre.«
Es folgt die gleiche Anempfehlung für die siebente Szene des 1. Aktes: »Ich bestehe abermals darauf, daß der Darsteller nicht auf die Musik warten muß und die dramatische Wärme sich nicht abkühlt; ich möchte sie im Gegenteil von Szene zu Szene gesteigert haben.«
Ein wenig später nach Manlius' Vers:
T'accheta: si viene ...:
»Hier scheint mir eine kurze Sinfonia notwendig, damit der Konsul und die Senatoren Platz nehmen können und damit Regulus gelassen eintreten und sich in Ruhe seinen Gedanken hingeben kann. Der Charakter dieser Sinfonia soll majestätisch sein, langsam, und wenn möglich, soll sie unterbrochen werden, um den Seelenzustand des Regulus auszudrücken, der als Sklave dahin zurückkehrt, wo er früher Konsul war. Es würde mir gefallen, wenn in einer dieser Pausen im Orchester Hamilkar die beiden Verse spräche:
Regolo, a che t'arresti? è forse nuovo
Per te questo soggiorno?
und daß die Symphonie erst nach der Antwort, des Regulus endete:
Penso qual ne partii, qual vi ritorno.«
Im zweiten Akt sind zwei Instrumentalrezitative nötig; in einer dieser Szenen »muß Regulus sitzenbleiben bis zu den Worten:
Ah no. De' vili questo è il linguaggio.
Das übrige sagt er stehend ... Wenn infolge der Bühnenanlage Regulus sich nicht sofort setzen kann, so muß er langsam seinem Sitze zuschreiten, bisweilen stehenbleibend, in tiefes Nachdenken versunken; es wäre dann nötig, daß das Orchester ihm zuvorkäme und ihm folgte, bis er sich gesetzt hat. Alle seine Worte, Gedanken, Zweifel, Bedenken werden zu einigen Takten im Orchester mit unerwarteten Modulationen Gelegenheit geben. Sowie er aufsteht, muß die Musik Entschlossenheit und Energie ausdrücken. Und nur ja Längen vermeiden ...«
Für den dritten Akt »würde es mir gefallen, wenn man keine Instrumente für das Rezitativ vor der letzten Szene benutzte, obgleich sie in zwei anderen Szenen gut zu verwenden wären, aber es scheint mir, daß man mit solchen Wirkungen sparsam sein muß«.
Dieser letzten Szene geht ein stürmischer Auflauf des Volkes voran, welches ruft:
Resti, Regolo, resti ...
»Dieser Zuruf muß stürmisch sein, einmal, weil die Wahrheit es so verlangt, dann aber auch, um die Stille hervorzuheben, die das Erscheinen des Regulus hierauf bei den lärmenden Massen hervorbringt ... Die Instrumente sollen schweigen, wenn die andern Personen sprechen; dagegen sollen sie Regulus in dieser Szene immer begleiten; die Modulationen und die Bewegungen sollen wechseln, aber nicht einfach nach den Worten, wie bei den andern Musikschreibern (scrittori di musica), sondern nach den innern Regungen, wie bei den großen Musikern, solchen wie Sie. Denn Sie wissen ebenso wie ich, daß die gleichen Worte je nach den Umständen Freude oder Schmerz oder Zorn oder Mitleid ausdrücken oder verbergen können. Ich bin überzeugt, daß ein so großer Künstler wie Sie eine so große Anzahl von Instrumentalrezitativen wird behandeln können, ohne die Zuhörer zu ermüden; erstens weil Sie alle Längen sorgsam vermeiden werden, wie ich es schon dringendst empfohlen habe, und besonders, weil Sie die Kunst bis zur Vollkommenheit besitzen, piani, forti, rinforzi, staccati und legati, Verlangsamungen, Pausen, Arpeggien, tremoli abwechseln zu lassen und vor allem jene unerwarteten Modulationen zu bringen, deren geheime Quellen Ihnen allein bekannt sind.
Sie glauben, ich bin nun damit fertig, Sie zu langweilen? Noch immer nicht ... Ich wünschte, daß der Schlußchor einer von jenen wäre, die dank Ihrer Kunst in den Zuschauern den bis dahin unbekannten Wunsch hervorrufen, ihn anzuhören. Ich wünschte, daß Sie fühlen ließen, daß dieser Chor kein Anhängsel ist, sondern ein sehr wichtiger Bestandteil der Tragödie und ihrer Schlußkatastrophe ...«
Und Metastasio beschließt diese genauen Vorschriften nur, weil er müde, nicht weil er fertig ist. Kein Zweifel, daß spätere Gespräche diesen Brief erläutert und vervollständigt haben.
Fassen wir seine Ratschläge zusammen. Man bemerkt:
1. Die Vorherrschaft der Poesie über die Musik. »Die Züge des Antlitzes«, das ist die Poesie; »Schmuck und Kleidung«, das ist die Musik. Gluck wird sich nicht wesentlich anders ausdrücken.
2. Die Wichtigkeit, die dem Drama zugeschrieben wird; die Ratschläge des Fachmannes, den Vortrag des Darstellers nicht schleppen zu lassen, damit kein Loch im Dialog entstehe. Das bedeutet die Verbannung der unnützen Arie. Die Musik ist der szenischen Wirkung untergeordnet.
3. Den psychologischen Charakter, der dem Orchester zufällt. »Die Symphonie, welche das Nachdenken, die Zweifel, die Sorgen des Regulus ausdrückt.« Die guter Musik zugeschriebene Fähigkeit, nicht nur Worte auszudrücken, sondern auch das heimliche Gefühl, das sich in seinen Äußerungen so oft verleugnet – mit einem Wort: die Darstellung der inneren Tragödie.
Ich wiederhole es nochmals, dies alles entspricht auch Glucks Auffassung. Warum also wird Metastasio mit seinen Musikern immer als Gegner der Gluckschen Reform dargestellt? Dieser Brief stammt aus dem Jahre 1749, also aus einer Zeit, wo Gluck von seiner eigenen Reform noch nichts ahnte Gluck hatte 1742 debütiert, war 1746 aus England zurückgekehrt und hatte 1749 nicht allein noch nicht die Widmungsepistel zur »Alceste« geschrieben, die zwanzig Jahre später datiert (1769), sondern nicht einmal seine wirklich bedeutsamen italienischen Opern: »Ezio« stammt aus 1750 und die »Clemenza di Tito« aus 1752. Man sieht, daß alle Künstler aller Lager sich mit den gleichen Dingen beschäftigten, an dem gleichen Werke arbeiteten, wenn auch unter verschiedenen Losungen. Metastasio, der den schönen Gesang liebte und einer der letzten in Europa war, der an seiner Tradition treu festhielt Burney hörte in Wien eine ausgezeichnete Sängerin, Martinetz, die Metastasio im Gesang unterrichtet hatte. Er fügt hinzu, daß Metastasio einer der letzten war der die Tradition des schönen alten italienischen Gesanges aus der Schule von Pistocchi und Bernacchi kannte, denen wir auch Francesco Gasparini hinzufügen können., wollte ihn nicht geopfert wissen. Welcher Musiker könnte ihm einen Vorwurf daraus machen? Er wollte, daß die Stimme in der Poesie und der Musik immer im Vordergrunde des Bildes bleibe; er mißtraute der allzu starken Entwicklung des Orchesters seiner Zeit, die er für um so bedrohlicher hielt, als er ihre Kraft spürte und sie im Zaume halten wollte, um sie seinem Ideal, der harmonisch ausgeglichenen, musikalischen Tragödie, Untertan zu machen »La esatta proporzione dello stilo drammatico proprio dell' Opera in musica«, wie Arteaga sagt, der aus dieser Eigenschaft eine Charakteristik Metastasios ableitet, die ihn allen andern Künstlern überlegen macht.. Um die Dinge zu sagen, wie sie sind: Durch Gluck hat das Drama wohl gewonnen, aber nicht die Poesie. Man findet weder bei ihm noch bei Jommelli die Racinesche Deklamation, die sich im 18. Jahrhundert noch verfeinert hatte, sondern eine schwere, betonte, emphatische, schreiende Diktion: kein Wunder, da sie sich im Tumult des Orchesters durchsetzen mußte! Man vergleiche eine Szene der Gluckschen »Armida« mit der entsprechenden Szene der »Armida« von Lully Etwa die Szene, wo Armida den Haß ruft.: welche Verschiedenheit der Deklamation in diesen beiden Musikdramen! Die von Gluck ist langsam mit Wiederholungen; das Orchester grollt und rauscht; die Stimme ist die einer tragischen Maske aus dem griechischen Theater: sie brüllt. Bei Lully und mehr noch bei den musikalischen Mitarbeitern Metastasios ist die Stimme die eines großen Schauspielers jener Zeit: sie gehorchte gewissen Gesetzen des guten Geschmackes, der Mäßigung oder Natürlichkeit im Sinn der damaligen Gesellschaft: denn auch das Natürliche wechselt je nach der Zeit; jedes Zeitalter, jede Gesellschaft steckt ihm andere Grenzen. Das Mißverstehen zwischen den beiden Schulen betraf also viel weniger die Sache als die Form. Alle Welt war sich einig darüber, daß die Oper eine musikalische Tragödie sein sollte; nur über den Begriff der Tragödie konnte man sich nicht einigen. Die Racinianer standen auf der einen Seite; die Vorläufer der Romantik auf der andern.
In der Kunst sind indessen nicht die Theorien wichtig, sondern der Mensch, der sie anwendet. Gluck wollte die Reform des musikalischen Dramas, Metastasio wollte sie auch. Auch in Berlin wünschten sie Algarotti, Graun, sogar Friedrich II. in eigener Person. Aber es kommt auf die Art des Wollens und auf das Temperament an. Gluck hatte das eines klugen, kühnen, im Notfalle brutalen Revolutionärs, der sich über das Gerede der Leute lustig macht und Konventionen beiseite schiebt. Metastasio war ein Weltmann, mit Respekt vor der Tradition. Seine Opernlibretti sind voll von nüchternen Sentenzen und gesuchten Vergleichen, und das rechtfertigt er mit dem Beispiel der Griechen und Römer, die, wie er zu Calsabigi sagt, diesem Element von jeher in der geistlichen und weltlichen Kunst einen vornehmen Platz angewiesen haben. Auch die Kritik der Zeit glaubte es rechtfertigen zu können, mit dem Beispiel der Antike und der klassischen Franzosen. Sie wußten nicht, daß die Güte einer Sache nicht davon abhängt, ob sie einst gut und lebenskräftig war, sondern ob sie es heute noch ist. Hier ist die fundamentale Schwäche in der Kunst eines Metastasio. Er ist voll Intelligenz und Geschmack, von vollendetem Gleichgewicht, aber verbildet und weltlich; es fehlen ihm Mut und Ursprünglichkeit.
Was tut's! Mag er auch in Vergessenheit gesunken sein, er trug tausend Zukunftskeime in sich. Wer weiß übrigens, ob sein größtes Mißgeschick nicht der Mißerfolg Jommellis war, der von allen unter seinem Einfluß stehenden Musikern am meisten Kühnheit besaß und am weitesten auf den Wegen ging, die Metastasio erschlossen hatte. Jommelli, den man den italienischen Gluck genannt hat, repräsentiert die höchste Anstrengung Italiens, seine Vorherrschaft auf dem Gebiete der Oper zu bewahren. Er wollte die Reform der musikalischen Tragödie durchsetzen, ohne Bruch mit der italienischen Tradition, aber mit Hilfe ihrer Verjüngung durch neue Elemente und namentlich durch die dramatischen Möglichkeiten des Orchesters. Allein er fand in seinem Lande keine Unterstützung und in Deutschland war er ein Fremder wie Metastasio selbst. Beide sahen sich besiegt, und ihre Niederlage wurde zugleich die Italiens. Der italienische Gluck machte keine Schule. Der deutsche Gluck errang den Sieg, nicht nur den einer Kunstform, sondern den einer Rasse.