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Dritter Abschnitt.


Meine Mutter war nicht über fünfzig Jahre alt, als sie mir so grausam entrissen wurde. Ein Geschwür im Kopfe, das sich gebildet hatte, ohne daß man wußte wie, und das erst bei ihrem Tode durch die aus Nase und Ohren fliessende Materie erkannt wurde, erklärte die sonderbare Verstopfung, an welcher sie so lange gelitten; ohne diesen Zusatz, wäre der zweite Anfall von Schlag wahrscheinlich nicht tödlich gewesen. Ihr heitres und frisches Gesicht hatte ihren vorzeitigen Tod nicht angekündigt; ihre Unbäßlichkeiten schienen die eines Alters, welches die Weiber selten ohne einigen Anstoß überstehen. Die Schwermuth, die Niedergeschlagenheit selbst, die ich seit einiger Zeit an ihr bemerkte, erklärte ich mir aus moralischen Ursachen, die mir nur zu gut einleuchteten.

Unsre lezten Spaziergänge auf dem Land hatten sie wieder zu beleben geschienen. An dem nämlichen Tage, da ich sie verlor, hatte ich sie um drei Uhr Nachmittags vollkommen wohl verlassen; um halb sechs Uhr kam ich wieder, der Schlag hatte sie gerührt – um Mitternacht hatte ich sie nicht mehr. Wie spielt das unbarmherzige Schicksal mit unsrer Schwäche! Warum sind so tiefe Gefühle, so grosse Entwürfe einem so gebrechlichen Daseyn zugesellt? Dies war das End eines der besten und liebenswürdigsten Weiber, die jemals gelebt haben. Nichts glänzendes zeichnete sie aus, aber alles machte sie theuer und unvergeßlich, wenn man sie gekannt hatte. Wesentlich gut und vernünftig, schien die Tugend ihr nichts zu kosten; sie wußte sie leicht zu machen, und sanft wie sie selbst war. Weise und ruhig, zärtlich ohne Leidenschaft, athmete ihre reine, friedliche Seele, wie ein Fluß mild dahin fließt, und mit gleicher Liebe den Felsen der ihn einzwängt, und das Thal, das er verschönert, bewässert. Durch ihren plötzlichen Tod habe ich die heftigsten Ausbrüche des zerreissendsten Schmerzens kennen gelernt. »Es ist schön, Seele zu haben; es ist unglücklich, so viel Seele zu haben!« sagte, traurig an meiner Seite sitzend, der Abbe Legrand, der mich bei meinen Großeltern besuchte. So bald ich auf der Besserung war, beeiferte man sich, verschiedne meiner Bekannten herbei zu rufen, oder ihren Besuch anzunehmen, um mich nach und nach an äussere Gegenstände zu gewöhnen. Ich schien für die Welt, die mich umgab, gar nicht zu existiren; in meinem Schmerz versunken, bemerkte ich nicht, was um mich her vorgieng, ich sprach nicht, oder da ich meine eignen Gedanken beantwortete, anstatt fremde aufzufassen, schien ich meinen Verstand völlig verloren zu haben. Zuweilen erneuerte das ewig gegenwärtige, theure Bild, das entsetzliche Gefühl meines Verlustes mit doppelter Heftigkeit, ein lauter Schrei brach aus meinem Munde, meine Arme wurden steif, und die Sinne vergiengen mir. Jeder Beschäftigung unfähig, hatte ich dennoch gute Zwischenzeiten, wo ich die Traurigkeit meiner Verwandten, ihre Güte, die zärtliche Sorgfalt meiner Cousine empfand, und ihre Aengstlichkeit zu beruhigen suchte. Der Abbe Legrand hatte den vernünftigen Gedanken, daß es nothwendig wäre, mit mir von meiner Mutter zu sprechen, wenn ich wieder fähig werden sollte, mich mit andern Dingen zu beschäftigen. Er unterhielt mich von ihr, und führte mich unvermerkt auf Betrachtungen, auf Ideen, die ohne diesem Gegenstand ganz fremd zu seyn, mich von der beständigen Gewohnheit, an ihren Verlust zu denken, nach und nach abbrachten. So bald er mich im Stand glaubte, etwas zu lesen, gab er mir Rousseaus neue Heloise, und dieses Buch gewährte mir würklich die erste Zerstreuung. Ich war ein und zwanzig Jahr alt, ich hatte viel gelesen, ich kannte eine ansehnliche Menge historischer, litterarischer und philosophischer Schriftsteller; allein Rousseau würkte damals eben so auf mich, wie Plutarch in meinem achten Jahr gewinkt hatte; er schien, meine eigentliche Nahrung zu seyn, der Dollmetscher von Gefühlen, die ich wohl vor ihm gehabt hatte, die er aber allein mir auszulegen im Stande war. Plutarch hatte mich zur Republikanerin vorbereitet, und die Kraft, der Stolz, der dem republikanischen Karakter eigenthümlich ist, in mir erweckt, er hatte mir den wahren Enthusiasmus für öffentliche Tugenden und Freiheit eingeflößt; Rousseau zeigte mir das Bild des häuslichen Glückes, worauf ich Ansprüche machen konnte. Das Bild unaussprechlicher Seeligkeit, die auch ich zu geniessen fähig war. Ach wenn er mich gegen das, was man Schwachheiten nennt, vollends sicherte, konnte er mich auch gegen Leidenschaft schützen? In dem verderbten Zeitalter, worinn mich das Schicksal zu leben bestimmte, in einer Revolution, die ich so wenig voraus sah, war ich von lange her mit allen den Eigenschaften ausgerüstet, die mich fähig machten grosse Opfer zu bringen, und mich schwerem Ungemach aussetzen mußten. Der Tod kann für mich nur beyden ein Ziel setzen, ich erwarte ihn, und wäre nicht darauf verfallen, den kleinen Raum, der mich von ihm scheidet, mit Erzählung meiner eignen Geschichte auszufüllen, wenn mich nicht die Verläumdung, um ihren Angriff auf Menschen, deren Verderben sie geschworen hatte, zu verstärken, öffentlich zur Schau gestellt hätte. Ich mache mit Vergnügen Wahrheiten bekannt, die mich nicht allein betreffen, und werde keine verschweigen, damit ihre Verkettung ihren Beweis vollende.

Bei meiner Rückkehr zu meinem Vater empfand ich alles, was man an einem Orte leidet, den man mit einem geliebten, nun auf immer verlohrnen Gegenstand bewohnte; man hatte die sehr ungeschickte Vorsicht gebraucht, das Gemälde meiner Mutter aus dem Weg zu schaffen, gleich als wenn mich dieser leere Raum nicht noch weit schmerzlicher, wie ihr Bild an ihren Verlust erinnern müßte; ich forderte es sogleich, und man gab es mir zurück. Ich beschäftigte mich mit der Hauswirthschaft, die mir nun allein oblag; aber bey einer Familie von drey Personen brauchte dieß Geschäft wenig Zeit. Und überhaupt habe ich nie begriffen, wie der Haushalt, er mag noch so groß seyn, eine Frau, die Ordnung und Thätigkeit besizt, ganz hinnehmen kann; denn je grösser er ist, desto mehr Leute sind auch damit beschäftigt, und es kömmt nur auf eine weise Eintheilung, und ein Bischen Wachsamkeit an. Ich habe mich in dieser Rücksicht in verschiednen Lagen befunden, es geschah nichts ohne meine Anordnung, und in der Zeit, wo ich mit diesen Angelegenheiten am meisten zu thun hatte, nahmen sie mir nie mehr wie zwey Stunden des Tags weg. Wenn man sich zu beschäftigen weiß, behält man immer Musse übrig, und nur Leuten die nichts thun, fehlt es zu allen Dingen an Zeit. Uebrigens wunderte es mich nicht, wenn Weiber, die beständig unnütze Besuche geben oder annehmen, und sich nicht geputzt glauben, wenn sie nicht eine ansehnliche Weile vor dem Spiegel sitzen, den Tag aus Ueberdruß zu lang, und für ihre Pflichten zu kurz finden; aber ich habe sogenannte gute Hausfrauen gesehen, die in der Gesellschaft, und selbst ihren Männern unerträglich wurden, weil ihre kleinen Angelegenheiten ihnen auf die ermüdendste Weise den Kopf einnahmen. Ich kenne nichts so eckelhaftes, nichts was einen Mann mit jedem andern Weibe zufriedner als mit seiner eignen Frau machen muß, wie diese Albernheit. So eine Frau muß ihm zur Haushälterinn sehr geschickt scheinen, aber den Wunsch anderweitig Zeitvertreib zu suchen, kann sie ihm unmöglich nehmen. Ich verlange von einer Frau, daß sie Wäsche und Kleidung in gutem Stand halte, oder halten lasse, ihre Kinder selbst stille, und ihre Küche anordne, oder selbst besorge, aber das alles, ohne ein Wort davon zu sagen, und das mit so freyem Geiste, mit so einer klugen Zeiteintheilung, daß sie noch dabey von andern Dingen zu schwatzen, und kurz und gut durch ihre gute Laune, wie durch die Grazie ihres Geschlechts zu gefallen wisse.An einzelnen Belegen für alle diese Behauptungen fehlt es allerdings nicht; wenn aber Madame Roland ihren Satz so allgemein aufstellt, sollte sie da nicht ein wenig mit jener Prinzessin zu vergleichen seyn, der man während einer großen Theurung erzählte, daß die Armen kein Brod hätten, und die mit gutmüthiger Verwunderung ausrief: aber mein Gott, warum essen die guten Leute keine Biscuits?       H. Ich habe zu der Bemerkung Gelegenheit gefunden, daß es mit dem Haushalt wie mit Staatsgeschäften geht: eine berühmte Haushälterin, die immer über Arbeit schreit, manches dabei vernachläßigt, oder einem jeden verleidet, und ein Staatsmann, der immer schwazt, immer geschäftig thut, beyde rühmen sich ihrer Beschwerlichkeiten nur, weil sie zu ungeschickt sind, um sie aus dem Wege zu räumen, oder zu unwissend, um zu regieren. Meine wissenschaftlichen Beschäftigungen wurden mir theurer als jemals, sie waren mein Trost; mir selbst überlassen, und oft sehr schwermüthig gestimmt, fühlte ich ein Bedürfniß zu schreiben. Ich mochte mir gern von meinen Ideen Rechenschaft geben, und die Feder half sie mir aufklären; wenn ich sie nicht zur Hand nahm, träumte ich noch mehr, wie ich nachdachte, mit ihr hielt ich meine Einbildungskraft im Zaume, und verfolgte den Gang meiner Vernunft. Einige Hefte waren schon angefangen, jezt vermehrte ich sie unter dem Titel: Werke der Musse und vermischte Betrachtungen. Ich hatte keine andre Absicht dabei, als meine eignen Meinungen niederzulegen, und Zeugen meiner Empfindungen zu haben, die ich eines Tags gegen einander vergleichen könnte, dergestalt, daß ihre Abstufungen und Veränderungen mir zum Unterricht und zur Darstellung dienten. Ich habe in irgend einem staubigen Winkel meiner Bibliothek, oder auf irgend einem Speicher einen ziemlichen Stoß solcher Werke meiner Mädchenjahre. Niemahls fühlte ich auch nur den mindesten Autorsberuf; ich sah sehr früh ein, daß ein Weib, welches auf diesen Titel Anspruch macht, mehr damit einbüßt, als er ihr einbringt. Die Männer lieben sie nicht, ihr Geschlecht tadelt sie; sind ihre Schriften schlecht, so verspottet man sie, und thut wohl daran; sind sie gut, so streitet man sie ihr ab. Sieht man sich gezwungen, ihr den größten Theil davon zuzuerkennen, so mustert man ihren Karakter, ihre Sitten, ihr Betragen, ihre Talente so streng, daß man den Ruf ihres Geistes durch das helle Licht, in welches man ihre Fehler stellt, hinlänglich aufwiegt.

Meine große Angelegenheit war übrigens mein eignes Glück, und nie habe ich gesehen, daß sich das Publikum bei irgend jemanden in diese Angelegenheit gemischt hätte, ohne sie zu verderben. Ich finde nichts süsseres, als von den Menschen, mit denen ich lebe, nach meinem Werthe geschäzt zu werden, und nichts leereres wie die Bewunderung einiger Menschengesichter, denen man gar nicht in den Weg kommen sollte.

Guter Gott, wenn die Leute, die es sich einfallen liessen, den Schleier, in welchen ich mich so freywillig verhüllte, zu heben, doch nur wüßten, welch einen schlechten Dienst sie mir geleistet haben! Zwölf Jahre lang habe ich mit meinem Manne gearbeitet, gerade wie ich mit ihm speiste, weil mir das eine so natürlich wie das andre war. Wenn von einer seiner Schriften die Rede war, woran man die Zierlichkeit des Styls besonders lobte, wenn man irgend eine akademische Kleinigkeit, wie er sie den gelehrten Gesellschaften, deren Mitglied er war, zu widmen liebte, mit vorzüglichem Beifall aufnahm, genoß ich seine Zufriedenheit, ohne genau zu bemerken, ob es gerade etwas war, woran ich geholfen hatte, und oft überredete er sich endlich selbst, eine glückliche Stunde gehabt zu haben, in welcher er diese oder jene Stelle geschrieben hätte, die aus meiner Feder geflossen war. Wenn es während des Ministeriums darauf ankam, starke, große Wahrheiten auszudrücken, legte ich meine ganze Seele hinein; es war sehr natürlich, daß ihr Ausdruck besser taugte, wie die Anstrengung alles Witzes eines Sekretairs. Ich liebte mein Vaterland, ich war enthusiastisch für die Freyheit, ich kannte keinen Vortheil, keine Leidenschaft, die sie aufwiegen konnte: meine Sprache mußte rein und pathetisch seyn, es war die des Herzens und der Wahrheit. Ich war von der Wichtigkeit des Gegenstandes so durchdrungen, daß mir mein eignes Selbst dabey aus den Augen kam; nur einmal belustigte mich die Sonderbarkeit der zusammentreffenden Umstände. Es war bey Gelegenheit des Briefes an den Pabst, um die in Rom verhafteten französischen Künstler zu reklamiren. Ein Brief an den Pabst, im Namen des vollziehenden Rathes von Frankreich, heimlich von der Hand eines Weibes, in dem strengen Arbeitszimmer verfaßt, das Marat für gut fand, ein Boudoir zu nennen: dieses alles schien mir so lustig, daß ich, nachdem der Brief geschrieben war, herzlich darüber lachte. Die Freude an diesen Kontrasten lag im Geheimnisse selbst; nothwendigerweise also mußte sie in einer Lage die nicht mehr die Lage eines Privatmannes war, und wo das Auge eines Commis die Hände die er abschreibt, unterscheidet, viel von ihrer Reinheit verlieren. Und doch ist nichts ausserordentliches dabey, wie die Seltenheit; warum soll eine Frau ihrem Manne nicht als Sekretair dienen, ohne daß er deßwegen weniger Verdienst hat? Es ist hinlänglich bekannt, daß ein Minister nicht alles selbst machen kann, und wären die Ministerweiber der alten Verfassung, und der neuen obendrein, im Stande gewesen, Briefe, Cirkulare, und Anschlagzettel zu entwerfen, so hätten sie ihre Zeit auf diese Weise besser angewandt, als indem sie rechts und links kabalierten und sollicitirten; das eine schließt das andre durch die Natur der Sache selbst aus; hätten die, welche mich erriethen, die Dinge nach ihrer wahren Beschaffenheit beurtheilt, so hätten sie mir eine Art von Ruf erspart, dem ich nie nachstrebte; und, anstatt mich diesen Augenblick damit abzugeben, Lügen zu widerlegen, läse ich ein Kapitel im Montagne, zeichnete eine Blume, oder spielte ein Liedchen, und versüßte mein einsames Gefängniß, ohne mich auf meine Geständnisse zu besinnen. Aber ich greife einer Zeit vor, von welcher ich noch entfernt war; ich bemerke es eben so zwanglos, als ich es vorwurfsfrey that; da es darauf ankömmt, mich zu mahlen, so muß man mich mit allen meinen Unregelmäßigkeiten sehen. Ich gebiete meiner Feder nicht, sie reißt mich mit sich fort, wohin es ihr gefällt; und ich lasse sie gehen.Abgerechnet, was von allem diesem auf die brutalen und schändlichen Verfolgungen der Schreier vom Berg gemünzt ist, läßt sich über den hier berührten Punkt aus allem was Madame Roland selbst sagt, vorzüglich ein Resultat mit ziemlicher Gewißheit ziehen: Sie hatte die Eigenschaft, die man in weiblichen Herzensangelegenheiten Prüderie nennt, auch in Angelegenheiten des Verstandes und des Ehrgeizes; sie wollte sich von jenen Weibern, die es kein Hehl haben, daß sie männliche Ansprüche machen, unterscheiden, wie Prüden sich von Koketten unterscheiden wollen; sie wollte die Rose pflücken, ohne sich an den Dornen zu stechen. Freilich ist das einer von den karakteristischen Zügen, die man in Geständnissen wie die gegenwärtigen sind, zwar ausdrückt, weil man zu aufrichtig gestimmt ist, um sich anders zu zeigen als man ist, aber nicht bekennt, weil man nicht mehr von sich sagen kann, als man sich selbst bewußt ist, als man sich selbst eingesteht. Für die Menschenkenntniß ist es wichtig, diese Art von Kritik bei Autobiographien zu üben, und sicherlich nimmt sie der Bürgerin Roland das ehrenvolle Schild nicht, das ihr Andenken vor allen aristokratischen und jakobinischen Verunglimpfungen schüzt.       H.

In der ersten Zeit seiner Wittwerschaft suchte mein Vater aufrichtig, mehr zu Hause zu bleiben, aber die Zeit wurde ihm dort lang, und sobald die Liebe für seine Kunst dieser Krankheit nicht zuvorkam, waren meine Bemühungen, sie zu heilen, vergeblich. Ich wollte mit ihm schwatzen; wir hatten wenig Uebereinstimmung in unsern Ideen, und wahrscheinlich ergab er sich damals einer Art, in welcher er mich eben nicht bewandert zu sehen wünschte. Ich spielte oft Piket mit ihm; mit seiner Tochter zu spielen machte ihm keinen großen Spaß; übrigens war es ihm nicht unbekannt, daß ich die Karten verabscheute, und so gern ich ihn auch überredet hätte, daß ich Freude daran fände, so sorgsam ich auch war, mir aus seinem Zeitvertreib würklich eine Freude zu machen, zweifelte er doch nicht, daß es von meiner Seite bloße Gefälligkeit wäre.

Ich hatte ihm sein Haus angenehm zu machen gewünscht; dazu fehlten mir aber die Mittel; ausser mit meinen Großeltern, zu denen man gieng, da sie ihre Wohnung nicht verließen, hatte ich keine Verbindung. Er hätte sich selbst eine Gesellschaft in seinem Hause bilden müssen, aber er hatte diese anderweitig, und eine solche, die er, wie er wohl fühlte, mir schicklicher Weise nicht zuführen konnte. Sollte meine Mutter würklich Unrecht gehabt haben, so eingezogen zu leben, und ihr Haus nicht lebendig genug zu machen, um ihren Mann zu fesseln? Der Vorwurf wäre zu leichtsinnig, und von der andern Seite wäre es auch ungerecht, meinen Vater wegen einiger Irrthümer, deren Opfer er ward, sehr tadelhaft zu finden.

Es giebt Verkettungen von Uebeln, die so nothwendig aus einer ersten Ursache entspringen, daß man, um alles zu erklären, jederzeit bis zu dieser zurück gehen muß.Man wird bemerken, daß Madame Rolland in dieser Verkettung des Schicksals ihres Vaters etwas vergißt, das zwar nicht für erste Ursache, aber doch gewiß für ein sehr wichtiges Glied gelten kann: das ist ihr eignes Benehmen in der oben beschriebenen Freierzeit.       H.

Die Gesetzgeber unsers Jahrhunderts suchen allgemeines Wohl zu begründen, um daraus das Glück jedes Einzelnen hervorgehen zu lassen; ich fürchte sehr, daß sie die Ochsen hinter den Pflug spannen. Es wäre der Natur und vielleicht der Vernunft gewisser, die Bestandtheile des häuslichen Glückes zu studiren, und es einem jeden dergestalt zuzusichern, daß sich das allgemeine Wohl aus dem Glücke jedes Einzelnen zusammensetzte, und der Vortheil aller an die Erhaltung einer Ordnung geknüpft wäre, der sie dieses Glück zu verdanken hätten. Die geschriebnen Grundsätze einer Konstitution mögen noch so schön seyn: sehe ich einen Theil derer, die sie annahmen, in Schmerz und Thränen, so werde ich sie immer nur für ein politisches Ungeheuer halten; und freuen sich die, welche nicht weinen, über die Leiden der andern, so nenne ich die Konstitution abscheulich, und halte ihre Urheber für Dummköpfe oder Bösewichter.

In einer Ehe, wo beide Theile sich nicht recht zu einander schicken, kann die Tugend des Einen Ordnung und Frieden erhalten; aber früh oder spät spürt man den Mangel an Glück, und dieser zieht bald mehr, bald weniger Uebel nach sich. Das Gerüst dieser Ehen gleicht den Systemen unsrer Staatsmänner, die Grundlage fehlt; es muß trotz der Kunst, die an dessen Erbauung gewandt wurde, früh oder spät einstürzen.

Meine Mutter konnte keine andre Gesellschaft um sich versammeln, als Menschen, die ihr glichen, und mit diesen hätte sich mein Vater nicht messen dürfen; die er hingegen zu seinem täglichen Umgange gewählt hätte, wären meiner Mutter zur Last, und mit der Erziehung, die sie mir zugedacht hatte, unvereinbar gewesen. Sie mußte sich also auf die Familie, und auf oberflächliche Verbindungen, die zwar Bekanntschaften, aber keinen Umgang stiften, einschränken. So lange mein Vater, in einer angenehmen Bestimmung, mit einer jungen Frau in seinem Hause, Arbeit und Genuß nach seinem Bedürfnisse fand, so lange gieng alles gut; aber er war ein Jahr jünger wie seine Frau, sie ward früh kränklich, durch die Umstände erkaltete sein Arbeitseifer, Durst nach Reichthum verleitete ihn zu einigen gewagten Unternehmungen; und nun war alles verloren. Arbeitsliebe ist die Tugend des Menschen im gesellschaftlichen Verhältniß, sie ist es besonders für den Menschen, dessen Geist unangebaut blieb; so bald sich dieser Trieb schwächt, beginnt die Gefahr: erstirbt er gar, so überläßt man sich allen Verirrungen der unseligsten Leidenschaften, die der Mangel an Bildung um so verderblicher macht, weil man sie weniger zu bezähmen weiß. Mein armer Vater, welcher gerade in dem Augenblick Wittwer wurde, wo die Bande, die ihn an seine Familie fesselten, vielmehr hätten erneuert und befestigt werden sollen, nahm eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben; er spielte, um seinen abgehenden Verdienst, oder seinen Aufwand zu decken, und ohne deßwegen weniger rechtschaffen zu seyn, bey dem entschiedensten Widerwillen irgend jemand Unrecht zu thun, richtete er sich in aller Stille zu Grunde. Meine guten ehrlichen Verwandten, denen es gänzlich an Einsicht in Geschäften fehlte, und die sich ausser dem auf meines Vaters Liebe zu mir verliessen, hatten ihm nach meiner Mutter Tod kein Inventarium abgefordert; mein Beßtes schien ihnen in seinen Händen so sicher niedergelegt, daß sie ihm damit einen Schimpf anzuthun geglaubt hätten. Ich konnte wohl ahnden, daß es sich anders verhielt; ich hielt aber jede dahin zielende Aeusserung für unanständig, ich schwieg und ließ mir alles gefallen. Nun war ich also allein zu Haus, theilte meine Zeit zwischen kleinen Handarbeiten und den Wissenschaften, und mußte beydes zuweilen liegen lassen, um den Leuten zu antworten, die sich entrüsteten, meinen Vater so selten zu Hause zu finden. Zwey Schüler reichten jezt zu seiner ganzen Arbeit hin, ein einziger speiste an seinem Tisch. Meine Aufwärterin war ein kleines Weib von fünf und fünfzig Jahren, mager und flink, lebhaft, lustig, die mich, weil ich ihr gute Tage machte, recht herzlich lieb hatte. So oft ich ohne meinen Vater ausgieng, kam sie mir nicht von der Seite, und meine Gänge waren ganz allein zu meinen Großeltern und in die Kirche. Ich war nicht wieder fromm geworden; was ich aber nicht mehr zu der Beruhigung meiner Mutter that, war ich der gesellschaftlichen Ordnung und der Erbauung meines Nächsten schuldig; empfand ich auch nach diesem Grundsatze in der Kirche nicht mehr meine ehemalige innige Andacht, so nahm ich doch eben so viel Anstand und Aufmerksamkeit mit dahin, die gewöhnlichen Meßgebete las ich nicht mehr nach, aber ich beschäftigte mich doch während des Gottesdienstes mit irgend einem christlichen Buche; der heilige Augustin war mir noch immer sehr lieb, und er gehört auch gewiß unter die Kirchenväter, und andre geistlichen Schriftsteller, die man wieder lesen kann, ohne fromm zu seyn; man findet bey ihm Nahrung für Herz und Geist. Ich nahm mir vor die lebenden und todten Kanzelredner durchzugehen, denn die Kanzelberedsamkeit bot sicherlich dem Talent einen glänzenden Spielraum dar. Bossuet und Flechine hatte ich schon gelesen; ich freute mich, sie nun mit geübterem Blick wieder vorzunehmen, und ich machte Bekanntschaft mit Bourdaloue und Maßillon; es war nichts lustiger, als sie auf meinem kleinen Bücherbret neben Paw, Raynal, und dem System der Natur stehen zu sehen; aber noch lustiger war es, daß mir über alles Predigtlesen endlich die Lust ankam, selbst eine Predigt zu schreiben. Es verdroß mich, daß die Prediger immer wider auf das Mystische der Religion zurückkamen; meines Bedünkens hätten sie über moralische Gegenstände sprechen sollen, bey denen der Teufel und die Menschwerdung völlig aus dem Spiel blieben; ich machte mich also aus Neugier, wie es mir gelingen möchte, an die Arbeit, und schrieb eine Predigt über die Nächstenliebe. Ich machte dem kleinen Onkel viel Freude damit; er war indessen Domherr von Vincennes geworden, und bedauerte, daß mir das nicht eingefallen wäre, ehe er noch von der Kanzel Abschied genommen hätte, sonst würde er meine Predigten gehalten haben. Bourdaloues Dialektik war mir so sehr gerühmt worden, ich konnte seinen Bewundrern nicht in allen Stücken beystimmen, und machte eine Kritik über eine seiner geschätztesten Predigten; zeigte sie aber keinem Menschen; denn ich mochte mir von meiner eignen Meinung gern Rechenschaft ablegen, aber gar nicht bey andern die Ueberkluge spielen. Maßillon, der weniger stolz, und sehr viel rührender ist, erhielt meine Huldigung. Die protestantischen Prediger, unter denen besonders Blair mit so viel Einfachheit und Zierlichkeit in eben der Gattung geschrieben hat, die ich ahndete und bearbeitet wünschte, kannte ich damals noch nicht.

Unter den damals lebenden Predigern hatte ich den Abbe L'Enfant in seinen letzten schönen Tagen gehört; Feinheit und Vernunft schienen mir besonders an ihm zu glänzen. Der Pater Elizen, war trotz seiner vortreflichen Logik und reinen Diktion, schon aus der Mode; um den grossen Haufen lange zu fesseln, hatte er zu viel methaphysischen Geist, einen zu einfachen Vortrag. Paris war damals ein sonderbares Ding; der Sammelplatz alles Auswurfs vom ganzen Königreich, und zugleich der Mittelpunkt der Kenntnisse und des Geschmacks. Prediger oder Komödiant, Professor oder Charlatan: wer Talent hatte, fand seinen Anhang; aber auf die Länge hätte auch das erste Talent der Welt die Aufmerksamkeit des Publikums nicht festhalten können, sie bedurfte immer etwas neues, und Lärm und Verdienst hatten für sie gleiche Reitze. Gewissen in dem berühmten Jesuiterorden gebildeten Leuten, die nachher Mißionarien geworden waren, und ihren Weg bey Hofe machen wollten, gelang es durch dieses Mittel, viel Aufsehen zu erregen. Ich hörte auch den Abbe Beauregard, es war ein kleiner Mann mit einer mächtigen Stimme, der mit einer seltnen Unverschämtheit und unerhörten Heftigkeit deklamirte. Er brachte das gemeinste Zeug mit dem Ton eines Inspirirten vor, und begleitete es mit Bewegungen, die so fürchterlich waren, daß viele Leute sich überreden liessen, sie wären schön. Ich wußte damals noch nicht so gut, was ich seitdem erfahren habe, daß in zahlreichen Menschenhaufen weit öfter grosse Ohren angetroffen werden als grosser Verstand; setzt man sie in Erstaunen, so reißt man sie auch hin, und wer sich das Ansehen giebt, ihnen zu befehlen, bringt sie auch zum Gehorsam; ich konnte mich über den Ruhm dieses Menschen nicht satt wundern: er war ein grosser Schwärmer, oder ein gewaltiger Schurke, vielleicht auch beides. Ich hatte die Erzählung der Umstände, welche bey den öffentlichen Reden in den alten Republicken vorfielen, nicht zergliedert; sonst hätte ich die Mittel, auf das Volk zu würken, besser beurtheilt. Aber in meinem Leben vergesse ich einen Menschen nicht, den ich einmal gerade vor der Kanzel, wo sich der Abbe Beauregard umhertrieb, aufgepflanzt stehen sah; die Augen starr auf den Redner gerichtet, mit offnem Maule, ganz das Bild dummer Bewunderung, brach er unwillkürlich in die Worte aus: was der Mann schwitzt! – Das ist also das Mittel Dummköpfe zu gewinnen! Phocion hatte wohl Recht, in einer Volksversammlung, wo man ihm Beifall zugeklatscht hatte, seine Freunde zu fragen, ob er etwa eine Albernheit gesagt hätte?

Dieser Herr Beauregard wäre ein tüchtiger Klubbist gewesen! Manche Brüder in den Volksgesellschaften haben mich durch ihren Enthusiasmus über schamlose Schwätzer, an meines ehrlichen Handwerkers, (oder was er seyn mochte): was der Mann schwitzt! erinnert.

Die Gefahr, in der ich während meiner Krankheit gewesen war, hatte ein gewisses Aufsehen gemacht, wahrscheinlich fand man es selten oder schön, daß ein junges Mädchen aus Schmerz über den Tod ihrer Mutter an den Rand des Grabes gerieth. Man bezeugte mir eine schmeichelhafte Theilnahme; Herr von Boismorel war einer der ersten, der es that; seit seinen Besuchen bey meiner Großmutter hatte ich ihn nicht wieder gesehen. Die Veränderung, die seit er mich zuletzt gesehen hatte, in meiner Gestalt vorgegangen war, machte einen Eindruck auf ihn, der mir nicht unbemerkt blieb. Er kam wieder, wie ich nicht zu Haus war, und sprach lange mit meinem Vater, der ihm wahrscheinlich von meinen Neigungen erzählte, und den kleinen Winkel vorzeigte, wo ich meine Tage hinbrachte. Man warf die Augen auf meine Bücher, meine Werke lagen auf dem Tisch, sie erregten die Neugierde des Herrn von Boismorel: mein Vater setzte ihn in Stand, sie zu befriedigen, und gab meine Hefte her.

Grosser Verdruß, schwere Klagen von meiner Seite, als ich bei meiner Zurückkunft wahrnahm, daß mein Asyl verletzt worden war. Mein Vater versicherte, so etwas zu thun, wäre ihm bei keinem andern, weniger rechtlichen, weniger achtungswerthen Menschen eingefallen. Der Grund versöhnte mich eben nicht mit einem Betragen, das meine Freiheit, mein Eigenthum gefährdete, das ohne mein Gutheissen mit etwas schaltete, wovon mein Vertrauen allein die Mittheilung zu bestimmen hatte: was war aber zu thun? Die Sache war geschehen. Gleich am andern Tag erhielt ich einen schönen Brief vom Herrn von Boismorel. Der Brief war denn freilich zu zierlich abgefaßt, als daß er ihm nicht meine Verzeihung zuwege gebracht hätte, für die Sünde die er begangen hatte, sich meines Vaters Indiskretion zu Nutze zu machen; und daß er mir alles was seine Bibliothek enthielt, zum Gebrauch anbot, war für mich ein reiner und sehr erheblicher Gewinst bei dem ganzen Handel. Von dem Augenblick kamen wir in Korrespondenz; ich genoß zum erstenmal, und genoß es mit Ueberlegung, das für Gefühl und Eitelkeit gleich süsse Vergnügen, von einer Person geschätzt zu werden, auf deren Urtheil ich Werth legte.

Herr von Boismorel wohnte nicht mehr im Bezirk von Paris; sein Geschmack für das Landleben, und die Aufmerksamkeit, seine Mutter nicht zu weit vom Aufenthalt in der Hauptstadt zu entfernen, hatten ihn bestimmt, das kleine Bercy, unterhalb Charenton, zu kaufen: ein schönes Haus, dessen Garten sich bis an das Ufer der Seine erstreckte. Er lud uns dringend ein, auf unsern Spaziergängen dahin zu kommen, und bezeugte die eifrigste Begierde, uns da zu empfangen. Ich hatte aber die ehemalige Aufnahme seiner Mutter nicht vergessen, und war gar nicht versucht, mich derselben wieder auszusetzen. Ich widerstand lange, mein Vater drang in mich; und da ich doch nicht gern irgend eine von den Lustpartien, die es ihm einfiel mit mir zu machen, vereiteln wollte, so giengen wir einmal zusammen nach Bercy. Die Damen von Boismorel waren beide im Sommersaal; die Gegenwart der Schwiegertochter, deren Liebenswürdigkeit ich rühmen gehört hatte, flößte mir sogleich die Art von Behaglichkeit ein, deren ich bedurfte, um mich in meiner eignen Artigkeit nicht irre machen zu lassen. Die Mutter, deren Ton ich schon beschrieben habe, die durch die Jahre nicht demüthiger geworden war, schien indessen weit höflicher mit einer jungen Person, der man ansah, daß sie sich fühlte, als sie es mit einem kleinen Mädchen gewesen war, das sie nicht für voll genommen hatte. – Ei Herr Phlipon, was Ihre liebe Tochter hübsch ist! Wissen Sie wohl, daß mein Sohn von ihr entzückt ist? Sagen Sie doch, Mamsell, möchten Sie sich nicht verheirathen? – Andre haben schon für mich daran gedacht, gnädige Frau; aber ich habe noch keine Gründe gefunden, mich zu entschliessen. – Ihnen wäre mit dem ersten besten nicht gedient, ich glaube es wohl. Hätten Sie keinen Widerwillen gegen einen Mann von gewissen Jahren? – Blos nach meiner näheren Kenntniß einer Person könnte sich Neigung, Widerwillen, oder Ausnahme bestimmen. – Ehen dieser Art haben mehr Bestand: oft entwischt ein junger Mann, gerade wenn man ihn an sich gefesselt zu haben denkt. – Herr von Boismorel war unterdessen hereingetreten: aber liebe Mutter, sagte er, warum sollte sich Mademoiselle nicht zutrauen, auch einen solchen ganz zu fesseln? – Sie ist geschmackvoll angezogen, sagte Frau von Boismorel zu ihrer Schwiegertochter. Ah vortreflich, und mit einer Züchtigkeit! setzte die junge Frau hinzu, und hatte den innigsüssen Ton dabei, der frommen Personen ausschließlich eigen ist. Zu diesen gehörte sie auch, und ihre kleinen Papillons auf ihrem angenehmen Gesicht von vier und dreißig Jahren waren das Aushängezeichen davon. – Welcher Abstand, fuhr sie fort, gegen das Gewirr von Federn auf allen den windigen Köpfen! Sie lieben die Federn nicht, Mademoiselle? – Ich trage nie welche, gnädige Frau; als Künstlerstochter, als Fußgängerin, würde ich glauben, einen Stand und ein Vermögen damit anzuzeigen, die ich nicht habe. – In einer andern Lage aber, würden Sie da Federn tragen? Ich weiß es nicht, ich lege wenig Werth auf diese Umstände, ich messe sie in Rücksicht auf mich blos noch den Konvenienzen ab, und ich hüte mich sehr, irgend jemanden nach der ersten Aussicht seiner Toilette zu beurtheilen.

Der Hieb war stark, aber mein Ton war so sanft, daß er abgleiten mußte. – Philosophin! sagte die junge Frau, mit einem Seufzer, als ob sie erkannt hätte, daß wir nicht unter Eine Fahne gehörten.

Meine Person wurde noch ein Weilchen auf das genaueste gemustert, und es fielen dabei noch mehrere schöne Dinge von der nämlichen Art, wie die eben angeführten, vor; endlich setzte Herr von Boismorel der Musterung ein Ziel, indem er uns vorschlug, seinen Garten und seine Bibliothek zu besehen. Ich bewunderte an jenem die Lage, und Herr von Boismorel machte mich auf eine prächtige Ceder vom Libanon aufmerksam. Die Bibliothek durchstöberte ich eifrig, und bezeichnete die Werke, ja sogar ganze Sammlungen, die ich von ihm geborgt zu bekommen wünschte, zum Beispiel Bayle, und die Memoiren der Akademien. Die Damen luden uns auf einen bestimmten Tag zum Mittagessen ein. Wir giengen hin; unsre Mitgäste waren zwei oder drei Geschäftsverweser, oder dergleichen, denen ich wohl ansah, daß die Damen bei dieser Auswahl blos meinen Vater bedacht hatten, ohne mich mitzuzählen.

Herr von Boismorel nahm aber so wie das vorige mal seine Zuflucht zu der Bibliothek, und zum Garten, wo wir sehr angenehm zusammen schwatzten; er hatte seinen Sohn mitgebracht, einen siebzehnjährigen Jüngling, der ziemlich häßlich und mehr sonderbar wie liebenswürdig war. Die grosse Gesellschaft, die sich Abends einfand, und die ich sehr beobachtete, kam mir ohngeachtet ihrer Titel nicht sehr anmuthig vor. Die Töchter eines Marquis, junge Räthe, ein Prior und etliche alte Baronninnen, schwatzten eben so platt, obschon weit wichtiger thuend, wie Betschwestern, Küster und Bürgersleute. Diese flüchtigen Blicke, die ich auf die grosse Welt warf, machten sie mir zuwider, und gaben meiner Lebensart desto mehr Werth in meinen Augen. Herr von Boismorel ließ diese Gelegenheit, eine Bekanntschaft zu unterhalten, auf die er vielleicht irgend eine Absicht gründete, nicht aus der Acht; er wußte es so zu veranstalten, daß wir vier, mein Vater und er, sein Sohn und ich, öfters zusammen kamen. So führte er mich in die öffentliche Sitzung der französischen Akademie am nächstfolgenden Ludwigsfeste. Diese Sitzungen waren damals der Sammelplatz der feinen Gesellschaft, und dort traf man alle Kontraste an, die unsre Sitten und Thorheiten nothwendig hervorbringen mußten. Am Morgen des Ludwigstages feyerte man in der Kapelle der Akademie eine Messe, wo die Operisten sangen; nachher sprach ein Redner von der schönen Welt eine Lobrede auf den heiligen König. Dieses mal verrichtete der Abbe Besplas dieses Amt; so abgedroschen der Gegenstand war, hörte ich ihn doch mit Vergnügen; in seiner Rede waren kühne philosophische Züge eingestreut, und indirekte Ausfälle auf die Regierung, die er ausmerzen mußte, als er seine Predigt dem Druck übergab.

Herr von Boismorel, der mit ihm in Verbindungen stand, hofte umsonst, eine getreue Abschrift seiner Rede zu erhalten, die er mir mitgetheilt haben würde; der Abbe Besplas, der als Almosenpfleger von Monsieur zum Hof gehörte, mußte sich glücklich schätzen, durch die unbedingte Aufopferung aller Züge, die ihm seine Kühnheit eingegeben hatte, Verzeihung dafür zu erkaufen. Des Abends öffnete die Sitzung der Akademie eine Laufbahn für alle schöne Geister des ersten Ranges im ganzen Königreich, für alle Grosse die ihre Namen gern auf der nämlichen Liste sahen, und sich selbst dem Publikum gern im akademischen Lehnsessel zeigten, für alle Liebhaber endlich, welche die ersten zu hören, die andern zu sehen, und sich allen zu zeigen herbeykamen, und für die hübschen Weiber, die sicher waren, von allen bemerkt zu werden.

Ich gab auf d'Alembert Achtung; sein Name, seine vermischten Schriften, und seine encyklopädischen Reden hatten meine Neugierde erregt; seine kleine Gestalt, und sein klares Stimmchen überzeugten mich, daß die Schriften eines Philosophen leicht angenehmer zu kennen sind, als seine Fratze; der Abbe de Lille bestätigte diese Bemerkung in Absicht der Litteratoren, er las die niedlichsten Verse mit einer abgeschmackten Stimme. Die Lobrede auf Catinat von La Harpe erhielt den Preis, und verdiente ihn in jedem Betracht.

Eben so einfach in der Akademie wie in der Kirche, und wie ich es nachmals im Schauspiel war, mengte ich mich nicht in den lärmenden Beyfall, den man allem Schönen mit Entzücken, und bey Dingen, die ein jeder das Verdienst haben will, zuerst zu bemerken, oft nicht ohne Eitelkeit zuklatschte. Ich war sehr aufmerksam, und hörte zu, ohne mich um die Zuschauer zu bekümmern; und rührte mich etwas, so weinte ich, ohne zu ahnden, ob das irgend jemanden befremden könnte. Wie es sich zeigte, war das etwas neues; denn als ich von Herrn von Boismorel geführt, die Sitzung verließ, sah ich einige Männer mit einem Lächeln auf mich zeigen, das ich nicht eitel genug war, für Bewunderung auszulegen, das mir aber doch auch eben nicht unverbindlich vorkam, und zugleich hörte ich von der Weichheit meines Gefühls sprechen. Ich empfand ein sonderbares Gemisch von Erstaunen, und süsser Verwirrung, und war froh, der Menge und ihrer Aufmerksamkeit endlich zu entkommen.

Die Lobrede auf Catinat gab Herrn von Boismorel den Gedanken zu einer angenehmen Wallfahrt; er schlug mir vor, St. Gratien zu besuchen, wo dieser große Mann, fern von dem Hof und dessen Eitelkeiten, sein Leben in der Stille beschlossen hat; dieß war eine philosophische Promenade, die meinem Geschmack vollkommen entsprach. Herr von Boismorel und sein Sohn kamen an einem Michaelistage, mich und meinen Vater abzuholen; wir begaben uns in das Thal von Montmorency, an die Ufer des Teiches, der es verschönert; von da erreichten wir St. Gratien, und ruhten im Schatten der Bäume, welche Catinat mit eigner Hand gepflegt hat; nach einem einfachen Mittagsmal brachten wir den Tag in dem reitzenden Park von Montmorency zu; wir besahen das kleine Haus, das Jean Jacques bewohnt hatte, und genossen alle Annehmlichkeiten, die eine schöne Gegend einer gleichgestimmten Gesellschaft darbieten kann.

In einem von den ruhigen Augenblicken, wo man in der Stille die majestätische Natur bewundert, zog Herr von Boismorel ein Manuscript von seiner Hand aus der Tasche, und las uns die Anekdote von Montesquieu vor, wie ein junger Mensch, dessen Vater er befreyt hatte, ihn in Marseille antraf, und wie er sich den Danksagungen derer entzog, die ihm so viel schuldig waren. Herr von Boismorel hatte diesen Zug, der damals noch wenig bekannt war, aufgezeichnet.

Von Montesquieus Großmuth durchdrungen, konnte ich sein hartnäckiges Läugnen, daß er der geliebte Befreyer dieser entzückten Familie gewesen wäre, nicht ausschliessend bewundern. Die Großmuth strebt nie nach Dankbarkeit, wenn es aber schön ist, sich ihren Zeugnissen zu entziehen, so ist es auch groß, ihre Aeusserungen nicht von sich zu weisen; ich glaube sogar, daß sehr gefühlvollen Seelen ein neuer Dienst damit geleistet wird. Denn es ist für sie eine Art von Abzahlung darinn.

Man muß indessen nicht glauben, daß mir bey der Verbindung meines Vaters mit Herrn von Boismorel ganz leicht zu Muthe war; es fand keine persönliche Uebereinstimmung zwischen ihnen statt, und das machte mich leiden; sein Sohn sah mich viel an, und gefiel mir nicht, er schien mir mehr Neugier, wie Theilnahme auszudrücken, und überdem brachten drey bis vier Jahre, die ich vor ihm voraus hatte, sehr viel fremdes in unsern Umgang. Sein Vater nahm das wohl wahr, und wie ich erfahren habe, sagte er einmal zu dem meinigen, indem er ihm die Hand drückte: ach wenn mein Kind des Ihrigen werth seyn könnte: man dürfte mich für sonderbar halten, aber ich würde mich sehr glücklich schätzen! – Dieser Gedanke fiel mir gar nicht ein, ich berechnete nicht einmal den Unterschied, ich fühlte ihn, und das verhinderte mich, das mindeste zu muthmaaßen. Ich fand in Herrn von Boismorel das Betragen eines vernünftigen, gefühlvollen Mannes, der mein Geschlecht ehrte, mich selbst hochschäzte, und gleichsam ein Beschützer meines Geschmacks war. Sein Briefwechsel war, wie er selbst, ein sanfter Ernst bezeichnete was er mir schrieb; alles trug den Stempel eines über die Vorurtheile erhabnen Geistes, und einer ehrerbietigen Freundschaft. Er machte mich regelmäßig mit allem bekannt, was man in der gelehrten und litterarischen Welt Neuigkeiten nennt; ich sah ihn selten, aber er schrieb mir alle Wochen, und um die öftern Botschaften der Bedienten an mich, so wie den weiten Weg, den ich meinerseits nach Bercy hätte schicken müssen, zu vermeiden, sandte er die mir bestimmten Bücher an den Thürsteher seiner Schwester, Frau von Favieres, wo ich sie abholen ließ. Herr von Boismorel, der die Wissenschaften liebte, hatte sich aus einem günstigen Vorurtheil für mich, in den Kopf gesezt, daß ich mich damit abgeben sollte; und vielleicht auch nur, um mich auf die Probe zu stellen, forderte er mich auf, mir irgend ein Feld zur Bearbeitung zu wählen; anfangs hielt ich es für ein bloßes Kompliment; wie er aber seine Vorstellungen wiederholte, gab er mir Gelegenheit, ihm meine Grundsätze über diesen Gegenstand, meine wohlüberlegte Abneigung, je auf welche Art es seyn möchte öffentlich aufzutreten, meine sehr uneigennützige Liebe für die Wissenschaften, die ich mit Ausschliessung jeder Art von Ruhmsucht, als welche mir nur meinem Endzweck zu widersprechen schien, blos zu meinem Glücke benutzen wollte, weitläufig auseinander zu setzen. Nachdem ich ihm meine Denkungsart ernsthaft erklärt hatte, vermischte ich mein Raisonnement mit kleinen Versen, wie sie mir eben aus der Feder flossen, an denen der Sinn besser wie der Ausdruck war; ich erinnre mich, daß ich bey Gelegenheit der Götter und ihrer Vertheilung des Glückes und der Pflichten, sagte:

Aux hommes ouvrant la carriere
Des grands & nobles talens,
Ils n'ont mis aucune barriere,
    leurs plus sublimes élans.
De mon sexe foible & sensible,
Ils ne veulent que des vertus;
Nous pouvons imiter Titus,
Mais dans un sentier moins pénible;
Jouissez du bien d'être admis
A toutes les fortes de gloire:
Pour nous le temple de mémoire
Est dans le cœur de nos amis.

Herr von Boismorel antwortete mir zuweilen in eben der Sprache, seine Verse waren nicht besser wie die meinigen, dafür bildete sich aber keiner mehr wie der andre darauf ein. Eines Tages vertraute er mir an, er wünschte ein Mittel anzuwenden, um seinen Sohn zu ermuntern, dessen Eifer im Lernen zu erkalten anfienge.

Dieser junge Mann lebte ganz natürlich auf einem besonders freundschaftlichen Fuß mit seinem Zeitgenossen und Vaterbruderskind Herrn von Favieres, welcher schon im ein und zwanzigsten Jahre Parlamentsrath war, allen Leichtsinn seines Alters hatte, nebst allem Selbstvertrauen eines Rathsherrn, der sich nach seiner Kleidung schäzt, ohne seine Obliegenheiten zu kennen und der Freiheit, vielleicht gar den eingehenden Verkehrtheiten eines reichen und einzigen Erben.

Die Italiänische Komödie und die Oper beschäftigten die beiden Cousins weit mehr, wie Cujacius und Bartolus den einen, und die von ihm angefangne Mathematik den andern. – Sie sollten, sagte Herr von Boismorel zu mir, meinem Sohn eine weise, eindringende Ermahnung schreiben, wie Ihre Seele sie Ihnen eingeben kann, die seine Eigenliebe aufriefe, und edle Entschlüsse in ihm erweckte. – Ich! mein Herr? ich? (ich konnte meinen Ohren nicht trauen), und mit welcher Miene sollte ich wohl Ihrem Herrn Sohne vorpredigen? – Machen Sie es, auf welche Weise Sie wollen; Sie können verborgen bleiben, wir wollen ihm die Ermahnung als einen Brief von einer Person zukommen lassen, die ihn in der Nähe sieht, seine Ausschweifungen kennt, Theilnahme für ihn hat, und ihn vor der Gefahr warnt. Ich werde Mittel finden, ihm den Brief in einem Augenblick, wo er besonders würken kann, in die Hände zu spielen; er muß mich nur nicht darinn erkennen; wenn es Zeit seyn wird, will ich ihm schon sagen, welchem Arzt er seine Heilung zu verdanken hat. – Nein, ich muß nie genannt werden! Sie haben aber Freunde, die das besser wie ich könnten. – Ich glaube das Gegentheil, und bitte Sie ernstlich, mir zu willfahren. – Wohlan, ich entsage Ihnen zu Gefallen der Eigenliebe, ich will einen Entwurf machen, den Sie beurtheilen und verbessern sollen.

Ich setzte noch denselben Abend den verlangten Brief auf, er war kräftig, ein wenig ironisch, so wie ich glaubte, daß er seyn müßte, um bey einem jungen Menschen, den man von seinem Glück unterhalten muß, um ihm Geschmack an ernsten Sitten beyzubringen, die Eigenliebe zu küzeln und die Vernunft anzuspannen. Herr von Boismorel war entzückt, er bat mich, ihn ohne alle Veränderung abzusenden. Ich schickte ihn Sophien, die ihn in Amiens auf die Post geben sollte, und erwartete die Würkung meiner Predigt mit ziemlicher Neugierde.

Herr von Boismorel schrieb mir bald einen Bericht darüber, der mich sehr intereßirte; er hatte eine Menge Umstände vereinigt, um die Sache eindringender zu machen. Der junge Mensch ward gerührt, er hielt den berühmten Düclos für den Verfasser der Ermahnung, und suchte ihn auf, um ihm zu danken; wie er den Ungrund seiner Vermuthung entdeckt hatte, wandte er sich, eben so vergeblich, an einen andern Freund seines Vaters; indessen gieng es mit dem Studiren wieder etwas besser von statten.

Kurz nach diesem Vorfall gieng Herr von Boismorel an einem heissen Tage mit seinem Sohn von Bercy nach Vincennes, wo ich, wie er wußte, bey meinem Onkel war, und brachte mir des Abbe de Lille Uebersetzung der Georgica. Er bekam unterwegs den Sonnenstich, behandelte die Sache nachläßig; das Kopfweh stellte sich ein, das Fieber schlug dazu, dann die Schlafsucht, und er starb in der Kraft seines Alters nach einer Krankheit von wenigen Tagen. Wir waren kaum seit achtzehn Monaten im Briefwechsel; ich habe ihn, glaube ich, schmerzlicher beweint, als selbst sein Sohn, und ich denke noch jetzt nie anders an ihn, als mit der tiefen Trauer, und dem ehrerbietigen zärtlichen Gefühle, welche das Andenken eines redlichen Mannes begleiten.

Wie mein Schmerz ein wenig besänftigt war, feyerte ich ihn in einer Romanze, die niemanden je zu Gesicht gekommen ist; ich sang sie zu meiner Zither, und habe sie seitdem vergessen und verloren. Von seiner Familie habe ich nichts weiter gehört, einmal ausgenommen, da mein Vater den hergebrachten Besuch bey dem jungen Boismorel ablegte, den man Roberge nannte; dieser sagte ihm auf eine sehr leicht hingeworfene Art, daß er meine Briefe an seinen Vater gefunden, und in irgend einen Winkel gesteckt hätte, um sie ihm zuzustellen, wenn er sie wieder haben wollte; das Original einer Epistel die ihm ehemals zugekommen sey, befinde sich darunter. Mein Vater, dem der Vorgang sehr wohl bekannt war, antwortete eben nicht viel, und fand, daß der junge Mensch empfindlich schien; ich folgerte daraus, daß er ein Pinsel wäre; ich weiß nicht, ob ich richtig errathen habe.

Einige Zeit darauf kam Frau von Boismorel zu meinem Vater, um ihm wegen Juwelen, oder sonst etwas, das in seine Kunst einschlug, einen Auftrag zu geben; ich war in meiner kleinen Zelle, und hörte sie im anstossenden Zimmer reden. – Sie haben eine allerliebste Tochter, Herr Phlipon, mein Bruder hat mir gesagt, er kenne wenig Weiber von Verstand, die es mit ihr aufnehmen könnten; hüten sie sich nur ja, daß sie sich nicht mit Schöngeisterey abgiebt, das wäre gar schlimm! Hat sie nicht schon einen kleinen Anstrich von Pedanterie? Mir ists, als hätte ich so etwas gehört. Sie ist hübsch, sticht in die Augen – Das ist, dachte ich in meinem Winkel, eine impertinente Madame, die ihrer Mutter sehr gleicht; Gott bewahre mich, ihr Gesicht zu sehen, und ihr meines zu zeigen!

Mein Vater, der sehr wohl wußte, daß ich sie hören konnte, wollte mich, da ich nicht zum Vorschein kam, auch nicht rufen; und ich habe die Stimme der Frau von Favières nach diesem Tage nie wieder gehört.

Ich habe von meiner herrlichen Cousine Trüde nur erst ein Wort gesagt. Sie war eine von den Seelen, die der Himmel in seiner Huld zur Ehre der Menschheit, und zum Trost der Unglücklichen schaft. Edel aus Instinkt, liebenswürdig ohne Ausbildung, habe ich keinen andern Fehler an ihr gekannt, als ein Uebermaß von feinem Gefühl, und die Selbstliebe der Tugend.

Sie hätte sich an ihren Pflichten zu versündigen geglaubt, wenn sie so gehandelt hätte, daß irgend jemand an dem was sie that, etwas auszusetzen hätte finden können. Auf diese Weise machte sie sich unbedingt zum Opfer ihres Mannes, eines durchaus verkehrten Menschen. Trüde war ein Erzgrobian, ungereimt in seinen Begriffen, von äusserst heftigem Karakter, und dem ungeschliffensten Betragen; er hatte einen Spiegelhandel, der seit einigen Menschenaltern in der Trüdeschen Familie von Vater auf Sohn geerbt hatte, und er war es, den ich die Ehre hatte zum Vetter mütterlicherseits zu haben. Thätig aus Temperament und stoßweise auch arbeitsam, halfen ihm die Bemühungen, und die Einsicht einer sanften verständigen Frau dergestalt fort, daß sein Haus ziemlich gut stand, und den Verdiensten seiner Frau verdankte er es auch, daß er in seiner eignen Familie, die ihn allein ausgeschlossen hätte, wohl aufgenommen wurde.

Meine Mutter hatte eine besondere Zärtlichkeit für diese kleine Cousine, welche wiederum die größte Ehrfurcht für sie hatte und eine lebhafte Anhänglichkeit für mich bekam. Wie man gesehen hat, bewies sie diese bey meiner Mutter Tod. Da sie den Tag über mit ihrem Hauswesen, und ihrem Manne beschäftigt war, wollte sie des Nachts meine Wärterin seyn; sie machte einen weiten Weg, um diese Stelle bey mir zu vertreten, die sie sich so lange ich in Gefahr war, keine Nacht nehmen ließ. Dieser Umstand mußte uns einander näher bringen, und wir sahen uns oft. Ihrem Manne fiel es bey, noch öfter, und das ohne seine Frau, zu kommen; anfangs duldete ich ihn, so langweilig er war, ihr zu liebe; aber er wurde mir unerträglich, und ich gab ihm mit aller Schonung, die bey einem so tollen Kopfe nöthig war, zu verstehen, daß seine Eigenschaft als mein Verwandter, und als der Mann meiner guten Freundinn nicht hinreichte, um seine häufigen Besuche zu rechtfertigen, zu denen der Zustand von Leiden und Krankheit, welchen mein Kummer anfangs nach sich gezogen hatte, keinen Grund mehr hergäbe.

Mein theurer Cousin kam etwas seltner, aber wenn er kam, pflanzte er sich auch zu drey oder vier Stunden hin, ich mochte treiben was ich wollte, selbst wenn ich unter dem Vorwand eilig zu seyn, mich hinsezte und schrieb; wie ich ihn endlich rund heraus bat, seiner Wege zu gehen, wozu ich mich doch endlich gezwungen sah, war er zu Hause so böser Laune, und machte seiner Frau den Kopf so warm, daß sie mich bat, um ihres Friedens willen, Geduld mit ihm zu haben. Dieser Frohndienst lag mir besonders an Sonn und Festtagen ob; war es schön Wetter, so entwischte ich, und bestellte seine Frau zu meinen Großeltern; denn wenn ich sie auf kurze Zeit mit ihrem Mann bey mir hatte, genoß ich sie gar nicht, sondern mußte nur den Verdruß, den ihr Tölpel von Manne ihr zu machen nie ermangelte, mitansehen. Im Winter nahm ich meine Zuflucht zu einem andern Mittel: gleich nach dem Mittagsessen ließ ich meine Aufwärterinn hingehen, wo es ihr beliebte; sie verwahrte mich dann hinter Schloß und Riegel, und ich blieb bis acht Uhr Abends ganz allein. Trüde kam, kein Mensch im Hause gab ihm Antwort,er gieng, kam wieder, und wandelte zuweilen, einerley ob im Regen oder Schnee, ein paar Stunden um das Haus herum, um den Augenblick abzupassen, der ihm den Eingang eröffnen würde.

Mich zu verläugnen, wenn würklich ausser mir jemand da war, gieng fast gar nicht an; ihm die Thüre ein für allemal zu weisen, indem man alle Verbindung mit ihm abgebrochen hätte, wäre auch schwer gewesen; mein Vater hätte sich nicht leicht dazu entschlossen, denn weil Trüde keine Kinder hatte, wollte er ihn gern schonen, und ausserdem war es dieser Bruch, den seine Frau fürchtete; er hätte unsre Freundschaft getrennt, und sie neuen Verdrüßlichkeiten ausgesezt.

Ich kenne nichts unangenehmeres, als mit Narren zu thun zu haben, man muß sie geradezu binden, sonst schlägt nichts an! dieser alberne Vetter war mir eine wahre Geissel, und es braucht wohl keinen andern Beweis von dem Werth seiner Frau, als daß ich ihn nicht zum Fenster hinaus warf; doch auch dann wäre er ja wohl zum Speicher wieder herein spazirt! Indessen Wahrheit über alles: es fehlte Trüde nicht an einer gewissen Rechtlichkeit, er war mehr toll wie dumm, und schien recht gut zu wissen, wie weit er seine Narrheit ungestraft treiben durfte; sein plumpes Geschwätz ward nie unanständig, und wenn er auch ohne Aufhören gegen Höflichkeit und Vernunft anstieß, so verletzte er doch nie die Sitten und die Ehrbarkeit. Wenn ich mit seiner Frau spaziren gieng, bewachte er uns, und wenn uns irgend ein Mann grüßte oder ansprach, ward er unruhig und wüthend, bis er heraus brachte, wer es seyn könnte. Vielleicht glaubt man, er sey eifersüchtig auf seine Frau gewesen; bis auf einen gewissen Punkt mochte dem auch so seyn, aber noch weit mehr war er es auf mich. So wunderlich auch die Lage meiner Cousine war, so verband sie doch viel Lustigkeit mit ihrer Sanftmuth; den einen Tag weinte sie, den andern lud sie Gesellschaft ein, von Zeit zu Zeit gab sie zu essen, und ein oder zweymal im Winter wurden diese Familien Mahlzeiten mit Bällen beschlossen. Ihre Cousine war immer die Königin dieser Feste, und sie machten ihren Mann auf einige Tage immer etwas artiger. Ich lernte bey ihm zwey Menschen kennen, die ich nicht ungenennt lassen will: der eine war der Abbe Bexon, ein kleiner, bucklicher, sehr geistreicher Mensch, und ein genauer Freund von Francois de Neufchateau, und Masson de Mervilliers: er hatte eine Geschichte von Lothringen geschrieben, die eben nicht viel Glück gemacht hatte; Büffon bediente sich seiner Feder, wie er mit einigen andern Gelehrten that, um Materialien und Entwürfe zuzubereiten, denen er hernach seine Manier und sein Kolorit gab. Bexon unterstüzt von seinem Gönner Büffon, und von einigen vornehmen Weibern, deren Verwandtinnen er in Remiremont gekannt hatte, wo er geboren war, und wo es ein adeliches Damenstift gab, ward Vorsänger der heiligen Kapelle in Paris. Er nahm seine Mutter und Schwester zu sich, die mir Stoff zu einer Episode gäben, wenn ich Lust hätte, von etwas anderm zu sprechen, als was streng zur Sache gehört.

Der arme Schelm starb leider zu früh, bevor er für seine große schwarzäugige Schwester hatte sorgen können, welche mit ihren schönen Schultern, die sie gern zur Schau trug, auf die Anbeter ausgieng. Er besuchte mich zweymal bey meinem Vater, und war so ausser sich, den Xenophon in Folio auf meinem Tische zu finden, daß er mich in seiner himmlischen Entzückung umarmen wollte. Da es sich würklich der Mühe gar nicht lohnte, besänftigte ich ihn durch meine Kälte so weit, daß er sich begnügte, ohne Extase blos Witz zu machen, und ich sah ihn seitdem nur bey meiner Cousine wieder. Der andre, dessen Bekanntschaft ich damals machte, war der ehrliche Gibert; ernst in seinen Sitten, äusserst mild in seinem Betragen, und in früher Jugend an eine Frau verheyrathet, die mehr Schönheit wie Sanftmuth besaß, hatte er einen einzigen Sohn, dessen Erziehung ihm eine theure Angelegenheit war. Er war bey dem Postwesen angestellt, und beschäftigte sich in freien Stunden mit Musik und Malerey.

Gibert hatte alle Karakterzüge eines braven Mannes, und nie hat er sie verläugnet; alles sein Unrecht war Mangel an Urtheilskraft. Die Freundschaft steigt bey ihm bis zu einer Art Fanatismus, und man kömmt in Versuchung seine Irrthümer zu ehren, indem man sie beklagt. Gibert war seit seinen Kinderjahren mit einem Menschen in Verbindung, für den er so viel Verehrung wie Anhänglichkeit bezeugte; er rühmte bey jeder Gelegenheit seine Verdienste, und war auf seine Freundschaft stolz. Gibert hatte meine Bekanntschaft zu machen gewünscht, und war mit seiner Frau zu meinem Vater gekommen; ich erwiederte ihren Besuch; da sie wenig zusammen ausgiengen, kam er von Zeit zu Zeit allein zu mir. Ich empfieng ihn immer mit Vergnügen und Achtung, und wir stifteten mit der Zeit eine würkliche Freundschaft. Er unterhielt mich bald von seinem Phönix; sein Glück schien davon abzuhängen, daß ich und sein Freund uns gegenseitig bewunderten, und er brachte uns endlich bey einem Mittagsessen in seinem Hause zusammen. Ich fand einen Menschen, dessen übertriebene Einfachheit bis zur Nachläßigkeit gieng; er sprach wenig, sah viel; er gab einen einträglichen Dienst ab, und verließ selbst Frankreich, um sich in der Schweitz niederzulassen, wohin ihn sein Geschmack für das Landleben, wohin ihn die Freiheit rief. Mag er ziehen, er wird nur zu früh zurückkehren! So lernte ich Pache kennen, denn ich muß ihn doch endlich nennen; er ists, von welchem ich jezt sprach. Man wird in der Folge sehen, wie ihn Gibert mehr wie zehn Jahre später meinem Manne bekannt machte, der ihn für einen ungewöhnlich rechtschaffnen Menschen hielt, ihn in einem Augenblick, wo sein Beyfall den Ruf eines Menschen entscheiden konnte, als einen solchen ankündigte, und so seinen Eintritt in das Ministerium veranlaßte, wo er nichts als Albernheiten machte, die ihm zur Mairie verhalfen, wo er nichts als Greuel durch sein Ansehen unterstüzt hat.

Madame Trüde wünschte sehnlich zu einer Verwandtinn, die sie sehr liebte, eine Reise zu machen; die Abwesenheit sollte vierzehn Tage bis drey Wochen dauern. Ihrem Mann war es ungelegen, daß so lange niemand im Comptoir seyn sollte, der die Leute empfienge; die Sache schien ihm aber doch thunlich, wenn ich mich dazu verstehen wollte, zuweilen in der Mitte des Tags dieses Amt zu übernehmen. Meine Cousine wünschte diese Gefälligkeit von niemanden ins Gesicht, und wer nicht vorher von ihm gehört hatte, würde schwerlich nach einer einzigen Zusammenkunft von ihm haben urtheilen können; ich gestehe, daß mir ungeachtet meines ganz besondern Geschmacks für die Bescheidenheit der Ton dieses Menschen so demüthig vorkam, daß ich seiner scheinbaren geringen Meinung von sich selbst fast beygetreten wäre; da es ihm aber weder an Verstand, noch an einigen Kenntnissen fehlte, wußte man es ihm um so mehr Dank, wenn er etwas davon blicken ließ, und man machte es endlich wie Gibert, und hielt ihn für weit mehr, als er wörtlich war. Seine Frau, die ziemlich unbedeutend, aber voll Gefühl war, erinnerte, wenn sie den Reden ihres Mannes zusah, immer an Virgils intentique ora tenebant. Ein Mensch indessen, welcher selbst Leute, die ihn öfter sehen, über das Maaß seines würklichen Verdienstes also täuschen kann, muß doch kein ganz gemeines Wesen seyn, er muß in irgend etwas groß seyn, wenigstens in der Verstellung, und wenn ihn die Umstände antreiben, diese in wichtigen Angelegenheiten so weit als möglich zu treiben, so kann er aus einem Scheinweisen, der unverdiente Achtung genoß, auf Kosten seiner Zeitgenossen, zu einem Bösewicht werden. Die Geschichte wird mit der Zeit darüber Aufschluß geben. Ich sah Giberts Freund nicht mehr ; ihre bloße Aeusserung eines Wunsches machte mir's unmöglich, ihn nicht zu erfüllen; ich nahm also sieben oder acht mal von Mittags bis sechs Uhr, den Platz der Madame Trüde im Comptoir ein; ihr Mann war froh und stolz, führte sich sehr gut auf, gieng auswärts seinen Geschäften nach, und es schien, als wüßte er das ganze Verdienst meines Betragens zu schätzen. Es stand also in den Sternen geschrieben, daß ich Trotz meines Abscheus vor dem Handel, doch einmal in meinem Leben Brillen und Uhrgläser verkaufen sollte. Anmuthig war es übrigens nicht: Trüde wohnte auf der Strasse Montmartre, neben der Strasse Tiquetonne, wo auch sein Nachfolger noch zu finden seyn muß; ich kann mir nichts höllischeres denken, als das ewige Wagengerolle, das man in diesem Quartier, in einem ganz offnen Laden hört; ich wäre dort eben so taub geworden, wie es jezt meine gute Cousine ist. Wir wollen uns aber mit ihrem traurigen Haushalt, dessen Schicksal wir später erfahren werden, jezt nicht weiter abgeben, und uns nach einer andern Verwandtin, Mademoiselle Desportes umsehen.

Ich besuchte sie ein oder zweymal die Woche, an dem Tag, wo sie immer Gesellschaft bey sich sah; wäre es der Mühe werth, so könnte ich manchen Gast aus ihrem Zirkel mahlen; aber Zeit und Farbe wären verloren, wenn ich einen Conseiller au Châtelet, wie den kleinen Mopinot darstellte, der seinen Verstand durch Epigramme zeigen wollte, oder den frommen la Presle, eine gute Seele, an der man nichts aussetzen konnte, als daß er gallsüchtig und ein Jansenist war; oder eine Wittwe wie die Frau von Blancfüne, die ihren lüsternen Sinn unter einer gutherzigen Frömmigkeit verbarg; oder einen alten reichen Junggesellen, der zu eckelhaft ist, um ihn nur zu nennen; oder einen braven Menschen, wie den Finanzbeamten Baudin, der so abgemessen vernünftig war, und alles nach der Uhr that, und noch eine Menge anderer Menschen von verschiedener Art und gleich geringem Gehalt. Den Pater Rabbe mochte ich doch gern dort antreffen, er war ein Oratorianer, ein sehr feiner Kopf, ehrwürdig durch sein hohes Alter, und liebenswürdig durch seine Höflichkeit und seinen Verstand; auch der Doktor Coste war nicht uneben, ein Arzt aus der Provence, der sich einen Spaß daraus machte, ohne gerade ein Louvre zu errichten, Perrault nachzuahmen, und auf die Ehe schmähte, wie sich der Teufel vor einem Weihkessel sträubt.

Mademoiselle Desportes hatte von ihrer Mutter feines Gefühl und Stolz geerbt, und dabey die Kunst, ihr kleines Vermögen, ohne daß sie sich damit abzugeben schien, im Handel geltend zu machen, und sich mit reichen oder vornehmen Leuten, die sich in Geschäften an sie wandten, auf einen Fuß zu setzen, der eine Art Vertrauen und Gleichheit voraussezte. Da aber dieser Ton sich mit dem Handel, der durchaus eine thätige Habsucht erfordert, ein für allemal nicht verträgt, so sah sie ihre Erbschaft noch abnehmen, und gab endlich den Handel ganz auf, indem sie zugleich ihren Aufwand sehr einschränkte.

Ihr Karakter, ihre Sitten, der Ton ihres Hauses, ihre Zuneigung zu mir, hatten meine Mutter bewogen, mich zum fleißigen Umgang mit ihr zu ermuntern, sie schickte mich oft zu ihr. Eine Parthie Picket war die Grundlage der gesellschaftlichen Unterhaltung; wer nicht spielte, schwazte und arbeitete. Mademoiselle Desportes sezte mich, ich glaube um meine Gefälligkeit zu üben, ziemlich oft an den Spieltisch, wo ich nicht gern war, aber der Beystand eines Partners, und die Erlaubniß über meine Zerstreuung zu lachen, machten diese Prüfung weniger mühsam.

Ich muß an dieser Stelle doch auch einen Greis aufführen, der aus Pondichery kam, und den ich gegen ein Jahr lang öfters und mit Theilnahme sah. Mein Vater hatte, ich weiß nicht wie, wahrscheinlich in Geschäften, mit einem zum Commis ohne Bestellung gewordenen, abgedankten Offizier, der Demontchery hieß, Bekanntschaft gemacht, und ihn nachher als Freund in seinem Hause gesehen; es war ein Mann von sechs und dreißig Jahren, hatte höfische Manieren, etwas herzliches in seinem Ton, jene Grazie, die man durch den Umgang mit der Welt bekömmt, und vielleicht einen leichten Duft von Galanterie. Demontchery kam oft zu meinem Vater, ließ sich aber selten bey meiner Mutter blicken, die keine zu große Beflissenheit liebte. Er bekannte sich, daß er für mich Achtung, Werthschätzung u. s. w. empfände, und nach meiner Hand streben würde, wenn das Schicksal aufhörte, ihm abhold zu seyn. Das Schicksal verschlug ihn grades Wegs nach Ostindien, er ließ von sich hören und hatte kein Hehl, daß er seinen Weg zu machen wünschte, um unter günstigen Umständen zurückzukommen. Aber als bloßer Kapitain von Sepoys, und zu redlich, um sich auf den Erwerb zu verstehen, mochte er noch nicht viel vor sich gebracht haben, als er nach einer Abwesenheit von sieben Jahren zurückkam, zu meinem Vater eilte, und mich seit vierzehn Tagen verheyrathet fand; ich weiß weder was aus ihm geworden ist, noch was ich für ihn gefühlt hätte, wenn ich ihm bestimmt gewesen wäre. Während seines Aufenthalts in Pondichery machte er die Bekanntschaft eines Herrn von Saint-Lette, der Mitglied vom Rath war, und gab ihm Briefe an meinen Vater mit, als der Rath diesen Sainte-Lette, Anno 1776, in einem wichtigen Geschäft nach Paris schickte.

Saint-Lette war über sechszig Jahr alt; ein lebhafter Geist und ungestüme Leidenschaften hatten ihn in seiner Jugend zu Thorheiten verleitet, und er hatte in Paris sein Vermögen verthan. Er war darauf nach Amerika gegangen, und war dreyzehn Jahre in Louisiana Direktor des Handels mit den Wilden gewesen; von da gerieth er nach Asien, und ward in der Administration von Pondichery angestellt, wo er Mittel zusammensuchte, um einst in Frankreich mit seinem Jugendfreund, Herrn von Sevelinges, von dem ich noch reden werde, zu leben oder zu sterben. Gleich bey den ersten Worten, die wir wechselten, machte mich Sainte-Lette durch eine ernste, feierliche Stimme aufmerksam, die den Ton der Erfahrung und des Unglücks hatte, und durch die Leichtigkeit des Ausdrucks, welche mit einem gewissen Grad von Bildung des Geistes verbunden ist, gehoben wurde. Demontchery hatte ihn von mir unterhalten, und das mochte ihm wohl den Wunsch eingeben, meine Bekanntschaft zu machen: er wurde von meinem Vater sehr gut, und von mir mit zuvorkommendem Eifer empfangen, weil er mich bald intereßirte; ich liebte seine Gesellschaft, er suchte die meinige, und so lange sein Aufenthalt währte, ließ er nicht vier oder fünf Tage verstreichen, ohne mich zu besuchen. Wer viel gesehen hat, den hört man immer gern reden, und wer lebhaft empfindet, sieht immer mehr wie ein anderer, und braucht dazu nicht einmal so viel gereist zu seyn, wie Saint-Lette. Er hatte die Art Kenntnisse, die man weit mehr durch Erfahrung wie durch Lesen erwirbt; mehr Philosoph wie Gelehrter, war das menschliche Herz der Stoff, an welchem sich seine Vernunft übte, und dabey hatte er von seinen Jugendjahren den Geschmack an leichter Dichtkunst, die er ehemals nicht ohne Glück getrieben hatte, noch beybehalten. Er gab mir verschiedne seiner Gedichte, wogegen ich ihm meine Träumereyen mittheilte, und er sagte oft im prophetischen Ton, das heißt mit dem Ton der Ueberzeugung zu mir: Mademoiselle, Sie mögen sagen was Sie wollen; Sie werden endlich doch dahin kommen, ein Buch zu schreiben! Das würde dann doch wohl nur in eines andern Namen geschehen, sagte ich, denn ehe ich als Amor erscheine, bisse ich mir lieber die Finger ab.

Sainte-Lette traf bey meinem Vater mit einem Manne zusammen, dessen Bekanntschaft ich seit einigen Wochen gemacht hatte, und der, so wenig ich es damals ahndete, einen wichtigen Einfluss auf mein Schicksal haben sollte. Ich habe schon gesagt, daß Sophie ein weit zerstreuteres Leben führte als ich, wobey sie aber ganz und gar nicht ihre Rechnung fand; ihre Briefe sprachen oft von einem verdienstvollen Manne, der von Amtswegen in Amiens wohnhaft wäre, und so oft er sich zu Hause aufhielte, ihre Mutter besuchte, was aber nicht sehr oft der Fall war, denn er kam alle Winter nach Paris, und machte im Sommer noch weitere Reisen. Sie hatte ihn oft erwähnt, weil sie unter dem unbedeutenden Haufen, von welchem sie umgeben war, gern einen Mann auszeichnete, dessen belehrende Unterhaltung ihr immer neu schien, dessen strenges aber einfaches Betragen Zutrauen einflößte, und der, ohne allgemein geliebt zu seyn, denn seine oft beissende Strenge mißfiel manchem, doch von jedermann geschäzt wurde. Sophie hatte ihn auch von ihrer Freundinn unterhalten, und ohnehin war in der Familie gar viel Rühmens von der Innigkeit, der Beständigkeit einer Klosterfreundschaft, die mit den Jahren etwas ehrwürdiges gewann; er hatte endlich auch mein Portrait gesehen, das Madame Cannet zu Hause aufgestellt hatte – Warum, sagte er oft, lassen Sie mich nicht die Bekanntschaft dieser Freundinn machen? ich gehe alle Jahre nach Paris; wollen Sie mir keinen Brief an sie mitgeben? – Im December 1775 erhielt er endlich diesen gewünschten Auftrag. Ich trug noch die Trauer für meine Mutter, und war in der sanftschwermüthigen Stimmung, die auf großen Kummer zu folgen pflegt. Wer mir von Sophien zugeschickt wurde, konnte mir nicht anders als willkommen seyn. – Dieser Brief, schrieb meine gute Sophie, wird dir von dem Philosophen, dessen ich mehrmals gegen dich erwähnte, Herrn Roland de la Platiere überbracht; es ist ein aufgeklärter Mann von reinenSitten, dem man nichts vorwerfen kann als die Alten auf Unkosten der Neuern, die er verachtet, zu sehr zu bewundern, und die Schwäche, zu viel von sich zu sprechen. Dieses Portrait ist kaum eine Skitze, aber die Züge waren richtig und wohl aufgefaßt. Ich erblickte einen langen Mann, von einigen vierzig Jahren, mit einer nachläßigen Haltung, und der Art Steifigkeit, die man im gelehrten Leben wohl annimmt; allein sein Betragen war einfach und gefällig, und ohne das Geschmücke des Welttons zu haben, verband es die Höflichkeit des wohlerzognen Mannes, und den Ernst des Philosophen. Er war mager, zuweilen gelb, eine schon ziemlich von Haaren entblößte hohe Stirn entstellte seine übrigen regelmäßigen Züge nicht, machte sie aber mehr ehrwürdig wie anziehend. Ein sehr feines Lächeln und ein lebhafter Ausdruck entwickelten übrigens seine Physionomie, so daß sie eine ganz neue Gestalt gewann, wenn er im Erzählen, oder durch den Gedanken an etwas Angenehmes belebt wurde. Seine Stimme war männlich, er sprach abgebrochen, wie ein Mensch, der kurzathmig wäre, seine reichhaltige Unterhaltung, die aus der Fülle seiner Ideen entsprang, beschäftigte den Kopf mehr, wie sie das Ohr ergözte. Seine Sprache war zuweilen pikant, aber holperig und ohne Wohllaut. Eine angenehme Stimme scheint mir eine seltne, und auf die Sinne sehr mächtig würkende Annehmlichkeit, sie hängt nicht nur vom Ton ab, es kömmt auch auf die Zartheit des Gefühls dabey an, die den Ausdruck vervielfältigt, und den Ton auf mancherley Weise wechselt.

(Man unterbricht mich, um mir zu sagen, daß ich mit einer Menge andrer Deputirten, die man neuerdings verhaftet hat, in die Anklagsakte gegen Brissot mit einbegriffen bin. Die Tirannen sind in den lezten Zügen, sie glauben den Abgrund auszufüllen, der sich vor ihnen öffnet, indem sie alle redlichen Menschen hinabstürzen; aber auch sie werden folgen. In so guter Gesellschaft fürchte ich mich nicht, das Blutgerüst zu besteigen, es ist schimpflich unter Bösewichtern zu leben.

Ich will dieses Heft abfertigen; läßt man mir die Möglichkeit, so fange ich ein neues an.

Freytag den vierten Oktober, am Geburtstage meiner Tochter, die heute zwölf Jahre alt wird.)

Diese von der Stärke sehr verschiedne Schönheit des Stimmorgans, ist bey den Rednern, die sich auf dessen Uebung legen, eben so selten wie bey dem großen Haufen. Ich habe es in unsern drey Nationalversammlungen gesucht, und bey niemanden ganz vollkommen gefunden. Mirabeau selbst hatte bey dem gebietenden Zauber einer edlen Deklamation weder einen schmeichelnden Ton, noch die angenehmste Aussprache. Die Clermonts kamen jener Vollkommenheit schon näher. – Man wird mich fragen, wo ich denn aber mein Ideal geschöpft habe? Ich werde wie jener Mahler antworten, den man fragte, woher er den reitzenden Ausdruck der Köpfe nähme, die sein Pinsel schuf? Hier, sagte er, und legte seinen Finger an die Stirne; ich würde den meinen an mein Ohr legen. Ich habe das Schauspiel wenig besucht, dieses Verdienst hat mir aber dort eben so selten geschienen. Selbst Larive, der einzige, den ich vielleicht anführen könnte, ließ noch etwas zu wünschen übrig. Wie ich beym Eintritt in meine Jugend die Art von Unruhe fühlte, die das Verlangen zu gefallen in jungen Mädchen erregt, rührte mich der Ton meiner eignen Stimme; ich hatte den Trieb, Abwechselungen damit vorzunehmen, um mit mir selbst zufrieden zu seyn. Ich begreife, warum das besonders empfängliche Gefühl der Griechen, sie auf alle Theile der Redekunst einen so großen Werth legen ließ; ich begreife auch, daß uns der Sanscülottismus diese Grazie vernachläßigen läßt, und uns zu einer Plumpheit führt, die eben so weit von der kurzen sinnevollen Sprache der Spartaner, als von der liebenswürdigen Beredsamkeit der Athenienser entfernt ist.

Aber wir haben vor Zeiten den Herrn la Blancherie in Orleans oder sonst irgendwo gelassen; wir müssen ihn doch abfertigen, daß er uns nicht wieder in den Wurf kömmt.

Wie er kurz nach meiner Mutter Tod zurückkehrte, erfuhr er diesen Vorfall, indem er sie besuchen wollte; er zeigte ein Erstaunen, einen Schmerz, der mich rührte und mir gefiel. Er kam mehrmals wieder, ich sah ihn mit Theilnahme. Mein Vater, der sich in dieser ersten Zeit das Gesetz aufgelegt hatte gegenwärtig zu bleiben, wenn ich Besuch erhielt, fand das Amt einer Duegna nicht sehr kurzweilig, und hielt es für bequemer, einem jeden, dessen solides Alter ihm nicht zu erlauben schien, sich zu entfernen, und mich seiner Aufwärterinn und mir selbst zu überlassen, den Zutritt ganz zu versagen. Er kündigte mir an, daß er la Blancherie bitten würde nicht wieder zu kommen, es that mir zwar ein wenig leid, aber ich sagte kein Wort dagegen; indessen dachte ich an den Kummer dessen, den das Verbot treffen sollte, und ich entschloß mich, ihm denselben zu versüssen, indem ich die Ankündung selbst übernähme; denn ich fürchtete sonst, daß sie durch meines Vaters Art und Weise etwas unverbindlich ausfallen möchte. Ich muß die Wahrheit sagen: la Blancherie intereßirte mich, es war mir sogar, als könnte ich ihn wohl lieben; ich glaube, der Kopf allein war dabey thätig, aber er war auf gutem Wege. Ich schrieb also einen schönen Brief, der la Blancherie seinen Abschied gab, ihm alle Hoffnung mir zu antworten benahm, die Hoffnung aber, gefallen zu haben, im Fall er sich damit geschmeichelt hatte, nicht eben zerstören sollte.

Dieser Schritt rief schwermüthig sanfte Gedanken in mir hervor, die mein Glück nicht weiter störten. Sophie kam nach Paris, wo sie sich einige Zeit mit ihrer Schwester Henriette aufhielt. Die Jahre die wir beide, Henriette und ich, nun erworben hatten, und die Ruhe zu welcher sie gelangt war, hatten den Abstand zwischen uns ausgefüllt; wir wurden nun auch Freundinnen. Die Reihe ihrer lebhaften Einbildungskraft sprühten von allen Seiten Funken, und belebten die Verbindungen, an denen sie Theil hatte.

Ich gieng mit den Freundinnen und Fräulein von Hangard oft im Luxemburg spatzieren, la Blancherie begegnete mir dort, er grüßte mich ehrerbietig; ich war etwas bewegt, als ich den Gruß erwiederte. Kennst du den Herrn? fragte mich einmal Fräulein Hangard, die anfangs geglaubt hatte, er meinte sie mit seinen Grüssen. – Ja, und du? – Ja wohl, aber ich habe ihn nie gesprochen. Ich gehe mit den Demoiselles Bordenave umIhr Vater war ein sehr bekannter Chirurgus, und Mitglied der Akademie der Wissenschaften., er hat um die Jüngste von ihnen angehalten. – Ist das lange her? fragte ich. Ein Jahr, sechs Monate, anderthalb Jahr vielleicht; er hatte Mittel gefunden, Zutritt in dem Hause zu erhalten, kam von Zeit zu Zeit hin, und rückte endlich mit seiner Erklärung heraus; die Mädchen sind reich, die jüngste ist hübsch; er hat keinen Pfennig im Vermögen, und sucht eine reiche Erbin; denn wie sie gehört haben, hat er sein Heil schon bey einem andern Frauenzimmer von ihrer Bekanntschaft versucht; man hat ihm einen Korb gegeben. Wir nennen ihn nur den Liebhaber der eilftausend Jungfrauen. Woher kennst du ihn? – Ich habe ihn oft bey Madame l'Epine im Konzert gesehen. – Und ich biß mir die Lippen, und behielt das übrige für mich; es verdroß mich gewaltig, daß ich an die Liebe eines Menschen geglaubt hatte, der mich ohne Zweifel nur in meiner Eigenschaft als einzige Tochter hatte heyrathen wollen, und noch mehr wurmte es mich, ihm einen schönen Brief geschrieben zu haben, den er so wenig verdiente. Ich konnte daraus lernen, ein andermal vorsichtiger zu seyn.

Nach einigen Monaten kömmt ein kleiner Savoyarde zu meiner Aufwärterinn, und sagt ihr, daß sie jemand, ich weiß nicht wo, zu sprechen wünscht; sie geht, kömmt zurück, und bringt mir Nachricht, daß la Blancherie ihr aufgetragen hat, mich dringend um eine Unterredung zu bitten. Es war ein Sonntag, ich erwartete meine Verwandten; ja, sagte ich, er mag kommen, aber sogleich; weil er in der Nähe vom Haus auf dich wartet, so hole ihn, und führe ihn herein. – La Blancherie kam, ich saß bey meinem Kamin. – Ich habe es nicht wagen dürfen Mademoiselle, mich nach dem Verbot, das sie mir auflegten, bey Ihnen zu zeigen; ich wünschte sehr, sie zu unterhalten, und kann Ihnen nicht beschreiben, was ich bey Ihrem theuren grausamen Brief empfand. Meine Lage hat sich seitdem geändert, ich habe jetzt Plane, zu denen sie vielleicht die Hand bieten könnten – und nun legte er mir den Entwurf einer moralischen und kritischen Schrift in Briefen, im Geschmack des Zuschauers, auseinander, und lud mich ein, irgend einen Gegenstand auf diese Weise zu behandeln. Ich ließ ihn ohne Unterbrechung fort reden; wie er eine kleine Pause machte, wartete ich sogar einen Augenblick, um ihm seinen Rosenkranz vollends abbeten zu lassen. Als er ganz fertig war, hob ich meinerseits an, und erklärte ihm ruhig und höflich, wie ich es selbst übernommen hätte, ihn zu bitten, daß er seine Besuche einstellen möchte, weil ich von seiner Meinung in Betreff meiner, die er meinem Vater offenbart hätte, unterrichtet, geglaubt hätte, er wünschte sie fortzusetzen, und ihm meinen Dank für diese Aufmerksamkeit hätte bezeugen wollen; daß sich in meinem Alter die Lebhaftigkeit der Einbildungskraft fast in alles mischte, und oft die Gestalt der Dinge veränderte, daß aber Irrthum kein Verbrechen sey, und ich von dem meinen zu gutwillig zurück gekommen wäre, als daß er sich länger dabey aufhalten sollte; daß ich seine litterarischen Plane bewunderte, ohne an denselben, so wenig wie auf denen irgend eines andern Menschen, Theil nehmen zu wollen; daß ich mich begnügte, ihm und allen Schriftstellern der Welt in jedem Fache Heil und Segen zu wünschen; um ihm dieses zu sagen, hätte ich seinen Besuch angenommen, damit er sich in Zukunft jeden ähnlichen Versuch ersparen möchte, und hiemit wollte ich ihn gebeten haben, diese Unterredung zu beendigen. – Erstaunen, Schmerz, Heftigkeit, alles was in so einem Fall Sitte ist, sollte nun an die Reihe kommen; ich that ihm aber schnell Einhalt, indem ich sagte, ich wüßte nicht, ob die Demoiselles Bordenare und andre, denen er ungefähr um dieselbe Zeit aufgewartet, sich eben so offenherzig gegen ihn ausgedrückt hätten, meine Freymüthigkeit aber wäre ganz unbeschränkt, und über den Entschluß den sie ihm angekündigt hätte, fände also gar keine Erklärung statt. – Zugleich stand ich auf, verneigte mich, und machte mit der Hand die Bewegung, die auf die Thüre deutet, wenn man jemanden fortschicken will. In diesem Augenblick kam der Cousin Trüde; sein plumpes Gesicht war mir nie willkommner gewesen, la Blancherie zog ohne Sang und Klang ab, und ich sah ihn nie wieder, aber wer hörte nicht seitdem von dem allgemeinen Agenten der Korrespondenz über Wissenschaften, und Künste?Ohne Herrn La Blancherie in Schutz zu nehmen, möchte es wohl erlaubt seyn, das Betragen der Demoiselle Phlipon in dieser ganzen Sache etwas geziert und gemein zugleich zu finden.       H.

Nun wir den über Bord geschaft haben, wollen wir uns wieder nach Sainte Lette und Roland umsehen. Wir waren am Ende des Sommers 1775; ich hatte seit acht oder neun Monaten Herrn Roland mehrmals gesehen, seine Besuche waren nicht häufig, aber er blieb lange, wie einer, der nicht wohin kömmt um sich blos zu zeigen, sondern dem es da gefällt, und der sich so lange aufhält, als er nur kann. Seine unterrichtende, freymüthige Unterredung machte mir nie Langeweile, er mochte gern, daß man ihm mit Theilnahme zuhörte; und gerade darauf verstehe ich mich sehr gut, selbst bey weniger gescheuten Leuten wie er, und habe mir damit vielleicht mehr Freunde erworben, wie mit dem Talent, mich selbst nicht übel auszudrücken. Ich hatte seine Bekanntschaft bey seiner Rückkehr aus Deutschland gemacht, jetzt war er im Begriff nach Italien abzureisen, und bey den Anordnungen, die vernünftige Menschen immer machen, wenn ihnen eine lange Abwesenheit von ihrer Heimath bevorsteht, hatte er mich ersehen, um mir seine Manuscripte anzuvertrauen, die, im Fall ihm ein Unglück zustiesse, in meinem Besitz bleiben sollten. Ich war von diesem Beweis seiner Achtung aufrichtig gerührt, und empfieng denselben mit Dank. Den Tag seiner Abreise speiste er mit Sainte Lette bey meinem Vater; beym Fortgehen bat er mich um Erlaubniß mich zu umarmen; ich weiß nicht, wie es kömmt, aber ein junges Mädchen gestattet diese Erlaubniß nie ohne roth zu werden, wenn gleich ihre Einbildungskraft ganz ruhig dabey bleibt – Sie sind glücklich abzureisen, sagte Sainte Lette mit seiner feyerlichen ernsten Stimme; eilen sie aber zurückzukehren, um wieder so zu bitten!

Während sich Sainte Lette in Frankreich aufhielt, ward sein Freund Sevelinge Wittwer. Er besuchte ihn, um seinen Schmerz zu theilen in Soissons wo er wohnte, und brachte ihn mit nach Paris zurück, um ihn zu zerstreuen. Sie kamen zusammen zu mir. Sevelinge war ein Mann von zwey und funfzig Jahren, von Adel und arm, er bekleidete in der Provinz einen Finanzposten, und beschäftigte sich mit den Wissenschaften wie ein Philosoph, der ihren Werth kennt. So machte ich seine Bekanntschaft, und blieb in einigem Verkehr mit ihm, weil Sainte Lette bey seiner Abreise sagte, es machte ihm Freude, bey seinem Abschied von Frankreich zu denken, daß sein Freund mir nicht ganz fremd dadurch würde; er bat mich sogar um die Erlaubniß, ihm einige Manuscripte, die ich ihm, wie ich schon erwähnt, mitgetheilt hatte, eh sie in meine Hände zurückkehrten, zukommen zu lassen. Dieser interessante alte Mann schifte sich zum fünften oder sechsten male in seinem Leben ein; ein Geschwür am Kopf, das er schon gespürt hatte, öffnete sich auf der See, er langte krank in Pondichery an, und starb sechs Wochen nach seiner Ankunft, Demontchery brachte uns die Nachricht seines Todes. Sevelinge beweinte ihn herzlich, er schrieb mir zuweilen, und seine Briefe, die für die Hand wie für den Styl gleich gut geschrieben waren, machten mir viel Vergnügen, sie hatten einen Ausdruck von sanfter Philosophie und schwermüthiger Empfindung, für welche ich immer eine besondere Vorliebe gehabt habe. Ich habe über diesen Punkt Gelegenheit gehabt, die Richtigkeit von Diderots Bemerkung zu erkennen, daß ein vorzüglicher Geschmack viel Vernunft, zarte Organe, und ein etwas melancholisches Temperament voraus setze.

Mein Vater, dessen glückliches Naturell sich allmählig veränderte, fand, daß es der Mühe nicht werth wäre, Geistesübungen zu treiben, die nur Postgeld kosteten; ich klagte meinem Onkel mein Leidwesen, und er erlaubte mir, die Briefe von Sevelinge, den er bey meinem Vater gesehen hatte, an sich adreßiren zu lassen. Ich erhielt meine Manuscripte zurück, und zwar von einigen kritischen Anmerkungen begleitet, die mich sehr stolz machten, denn ich hatte mir nicht eingebildet, daß meine Werke des Untersuchens werth wären; in meinen Augen waren es ziemlich vernünftige, aber gemeine Träumereyen, über Dinge, die meines Erachtens ein jeder wissen mußte; ich maß ihnen kein anderes Verdienst bey, als etwa die Eigenthümlichkeit, von einem jungen Mädchen verfaßt zu seyn. Ich bin lange in Absicht auf mich höchst treuherzig gewesen; es bedurfte der ganzen Revolution, der Geschäftsthätigkeit, der mannichfaltigen Lagen, in denen ich mich befand, der sich oft aufdringenden Vergleichungen unter einem zahlreichen Haufen, unter Leuten von anerkanntem Verdienst, um mich endlich wahrnehmen zu lassen, daß ich auf der Stufe, worauf ich stand, kein gar grosses Gedränge neben mir hätte; übrigens, und ich eile es anzumerken, bewies mir das weit mehr, wie elend es in einem Lande mit den Menschen bestellt war, als daß es mir einen hohen Begriff von mir selbst eingeflößt hätte. Witz ist es nicht, was da fehlt, man trift ihn an allen Ekken an, aber gesunde Vernunft, und Karakterstärke sind karg zugemessen. Und ohne diese beiden Eigenschaften kann ich doch niemanden für das erkennen, was man einen Mann nennt. Diogenes hatte wohl recht, eine Laterne zu nehmen; eine Revolution leistet eben die Dienste, ich kenne keinen genauern Maasstab, keinen besseren Probirstein.

Die Akademie von Besancon hatte die Preisfrage aufgegeben, in wie fern die Erziehung der Weiber beytragen könnte, die Männer zu bessern? Meine Einbildungskraft sezte sich in Bewegung, ich ergriff die Feder, schrieb eine Abhandlung, schickte sie inkognito ein, und wie man sich leicht denken kann, ward sie des Preises nicht würdig gehalten. Man sprach keinem diese Ehre zu, der Gegenstand wurde zum zweytenmale aufgegeben, und ich weiß nicht, was das folgende Jahr daraus geworden ist. Indem ich aber diese Materie behandeln wollte, erinnre ich mich, daß ich fühlte, wie abgeschmackt es sey, einen Erziehungsplan zu bestimmen, der nicht mit den allgemeinen Sitten in Verbindung stünde; diese hängen denn von der Regierung ab, und man muß nicht ein Geschlecht durch das andre zu verbessern verlangen, sondern die ganze Gattung durch gute Gesetze bessern. Ich sagte daher wohl, wie ich meinte, daß die Weiber seyn müßten, aber ich fügte hinzu, daß man sie nur bey einer ganz andern Ordnung der Dinge dazu bilden könnte. Diese Idee, die gewiß richtig, und philosophisch war, diente nicht zum Zweck der Akademie, ich raisonnirte über das Problem, anstatt es aufzulösen.

Ich schickte diese Abhandlung an Herrn von Sevelinges, aber erst nachdem sie schon nach Besancon abgegangen war. Sevelinges machte nur über den Styl einige Anmerkungen; mein Kopf hatte sich aber indessen abgekühlt, ich fand die Arbeit äusserst fehlerhaft in den Grundbegriffen, und belustigte mich, eine Kritik über die Abhandlung zu machen, als wäre sie von einem Dritten gewesen, den ich recht hätte verspotten wollen. Dieß hieß nun gewiß sich kützeln, um zu lachen, oder sich Ohrfeigen geben, um heisse Backen zu bekommen; aber sicherlich kann man nicht mehr aus Herzensgrund und unschuldiger lachen, wenn man allein lacht, als auf diese Weise. Dagegen theilte mir Sevelinges eine akademische Abhandlung von seiner Mache, über die Gabe zu reden mit, die er der französischen Akademie zugeschickt, und worüber ihm d'Alembert einen schönen Brief geschrieben hatte. Es war, wo mir recht ist, viel Metaphysik in dieser Schrift, und ein wenig Ziererey. Sechs Monate, ein Jahr und noch etwas darüber verflossen in diesem Geistesverkehr, durch welchen sich doch würklich verschiedne Ideen einstellten. Sevelinges schien über meine Lage besorgt, und seiner Vereinzelung überdrüßig; er machte über die Reitze einer gedankenreichen Gesellschaft öfters Betrachtungen, die ich vortreflich fand; wir raisonnirten viel über den Gegenstand, ich weiß nicht recht, was daraus in seinem Kopfe erfolgte, aber er machte eine Reise nach Paris, und kam inkognito zu meinem Vater unter dem Vorwand von Geschäften. Das Lustigste war, daß ich ihn nicht erkannte, ob ich es schon war, die ihn empfieng. Sein ausserordentlich niedergeschlagnes Wesen beym Weggehen erinnerte mich aber wieder an seine Züge; ich fand, wie er fort war, daß ihm dieser Unbekannte ausserordentlich ähnlich wäre, und seine Briefe überzeugten mich bald, daß er es würklich selbst gewesen war. Diese Sonderbarkeit machte einen unangenehmen Eindruck auf mich, den ich nicht recht erklären kann; unser Briefwechsel ward seltner, und hörte, wie man sehen wird, in der Folge ganz auf.

Ich gieng zuweilen nach Vincennes. Die geistliche Retraite meines Onkels war sehr niedlich, die Spatziergänge waren reitzend, die Gesellschaft angenehm; wenn sich aber Fräulein von Hannache das Verdienst um ihn erwarb, sein Hauswesen in der schönsten Ordnung zu halten, so mußte er es auch mit allen Plackereyen bezahlen, die man durch die Dummheit und Laune einer eingebildeten alten Jungfer nur immer leiden kann . Im Schloße von Vincennes lebten eine Menge Menschen, denen der Hof dort freye Wohnung gab; hier wohnte ein alter königlicher Censor, ein gewisser Moreau de la Garve, dort ein schöner Geist, und zwar die mehrbelobte Frau von Puisieux, etwas weiter eine Gräfinn von Laurencier, mehr unten eine Officierswittwe, und so durch das ganze Schloß; und da ist nicht einmal Rougemont mitgezählt, der Lieutenant du roi, den Mirabeau bekannt gemacht hatBesonders in seinem Buch des lettres de cachet & des prisons d'état. Mirabeau hatte als Gefangner im Vincenner Schloß unter der Zucht dieses Menschen gestanden.       H., dessen finniges Gesicht, und freche Dummheit das eckelhafteste Gemisch gaben, das man sich denken kann. Eine Compagnie Invaliden, deren Offiziere mit ihren Weibern auch mit zu der Gesellschaft gehörten, das ganze Kapitel (die Gefangnen des Thurms nicht einmal mitgerechnet), machten in dem einzigen Bezirk des Schlosses sechshundert Einwohner aus. Mein Onkel war überall aufgenommen, gieng oft nirgendshin, und sah nur wenig Menschen in seinem Hause. Wenn man aber vom Spatzierengehen zurückkam, hielt man sich gewöhnlich im Pavillon der Brücke zum Park auf, wo sich die Frauenzimmer versammelten. Hätte ich Zeit zum Malen, so fänden sich hier Gegenstände genug, aber die Stunden drängen mich, ich habe noch einen langen Weg zu durchlaufen, und da muß ich über manches mit gleichen Füssen fortspringen. Es liesse sich doch manches Hübsche erzählen, von den Bällen in der Räuberallee zum Beyspiel; von d'Artois Wettrennen; von den Thorheiten Sequins, welcher Caßirer des Herzogs von Orleans war, dessen Namenstag man (Sequins nämlich) durch eine Illumination feyerte, und der bald nachher bankerott wurde; von den angenehmen Waldpromenaden, von der schönen Aussicht auf die Marne im obern Park, der zu gefallen wir über eine eingefallene Mauer sprangen; von den Einsiedlern im Walde, die so malerisch wohnten, deren Kirche ein Gemälde enthielt, das für die Kunst, und durch den Gegenstand sehenswerth war, und viele tausend Teufel vorstellte, welche die Verdammten, jeder nach seiner Weise, quälten; und dann meine Lektüren mit meinem Onkel, besonders Voltaire's Trauerspiele, von denen wir eines Tags einer um den andern einige Rollen deklamirten, als mitten im höchsten Pathos Fräulein Hanache, die bisdahin ruhig beym Spinnrade gesessen hatte, mit ihrer klaren Stimme die Hüner zusammen rief, und wir große Lust hatten, sie mit diesen davon zu jagen; und dann die lahmen Konzerte nach dem Abendessen, wo auf dem abgeräumten Eßtisch Futterale von Muffen dem guten Domherrn Bareux zu Pulten dienten, während er die Brille auf der Nase seinen Baß knarren ließ, und ich auf einer Geige krazte, und mein Onkel seine Flöte anstimmte. Ach wenn man mich leben läßt, so werde ich noch einmal zurückkehren zu diesen lieben Auftritten; jezt muß ich wieder nach Haus zurück, aber vorher muß ich doch erst eines gewissen Windbeutels erwähnen, der einiges Aufsehen gemacht hat. –


Uebersicht dessen, was mir noch als lezter Beytrag zu meinen Memoiren nachzuholen übrig blieb.In meinem lezten Heft blieb ich in Vincennes stehen; ich wollte eben von Caraccioli sprechen, den ich dort bey dem Domherrn sah, und dessen Briefe, die er unter dem Namen des Pabstes Ganganelli herausgegeben hat, ziemliches Glück gemacht haben, wiewohl er sich darinn selbst aus seinen zahlreichen kleinen Schriften fleißig abschreibt. Aber um den Dingen so Schritt für Schritt zu folgen, hätte ich viel zu thun, dazu werde ich nicht mehr lange genug leben, und ich beschränke mich also auf eine bloße Uebersicht.

Ich lernte Herrn Roland aus den Manuscripten, die er mir anvertraut hatte, während der achtzehn Monate, die er in Italien zubrachte, besser kennen, als ich es aus häufigen Besuchen gekonnt hätte. Es waren Reisen, Betrachtungen, Skizzen zu Arbeiten, Anekdoten, die ihn selbst betrafen, und alles zeugte deutlich von einer starken Seele, von unbiegsamer Rechtschaffenheit, strengen Grundsätzen, Kenntnissen und Geschmack.

Er war im Wohlstand gebohren, aus einer alten Familie, die sich in Civilämtern durch ihre Redlichkeit ausgezeichnet hatte; aber schon in frühen Jahren hatte er das Vermögen, einerseits durch Mangel an Ordnung, und durch übertriebnen Aufwand anderseits, zusammen schmelzen sehen. Als jüngster von fünf Brüdern wollte man ihn der Kirche widmen; um aber die geistlichen Fesseln zu vermeiden, und da er dem Handel nicht weniger abgeneigt war, verließ er im neunzehnten Jahre allein, und ohne alle Unterstützung, das väterliche Haus. Er gieng gerades Wegs nach Nantes, wo er sich bey seinem Schiffsherrn aufhielt, bey welchem er in der Absicht, sich nach Indien einzuschiffen, verschiedne Dinge lernen wollte. Er hatte alle Anstalten getroffen, als ihn ein Blutspeyen befiel, und man ihm die Seefahrt untersagte, wenn er nicht auf derselben umkommen wollte; er gieng darauf nach Rouen, wo ihm Herr Godinot, sein Verwandter, welcher dort Inspektor der Manufakturen war, den Vorschlag that, eine Stelle bey dieser Verwaltung zu nehmen; er entschloß sich dazu, zeichnete sich bald durch seine Thätigkeit, seinen Fleiß aus, und fand sich endlich in einem nützlichen Posten. Reisen und die Beschäftigung mit den Wissenschaften, füllten seine Zeit. Ehe er nach Italien gieng, führte er den liebsten unter seinen Brüdern zu meinem Vater, er war Benediktiner, und damals Prior im Kollegium von Clügny zu Paris, ein Mann von Verstand, sanften Sitten und liebenswürdigem Karakter. Er besuchte mich zuweilen, und theilte mir die schriftlichen Bemerkungen seines Bruders mit, denn dieser brachte seine Beobachtungen auf der Reise regelmäßig zu Papier, und eben diese Bemerkungen sind es, welche er nach seiner Rückkehr in Briefe abtheilte, und einigen Freunden in Dieppe zum Druck übergab; einer von ihnen, der in die Italiänische Sprache thörig verliebt war, übertrieb es mit den Stellen in dieser Sprache, indem er ihrer zuviel einmischte; indeß brauchte dieses sehr reichhaltige Buch nur einer bessern Eintheilung, um den ersten Rang unter den Beschreibungen von Italien einzunehmen. Seit wir miteinander lebten, war es einer unsrer Plane, dieses Werk umzuschmelzen, ich wollte aber selbst Italien auch bereisen; Zeit und Umstände haben uns einen andern Weg geführt.

Wie Herr Roland zurückkam, fand ich einen Freund an ihm; sein Ernst, seine Sitten, seine Lebensweise, die gänzlich der Arbeit gewidmet war, liessen mich ihn gleichsam als zu keinem Geschlecht gehörig betrachten; er schien mir ein Philosoph, der nur in der Vernunft lebt. Es entstand eine Art Zutrauen zwischen uns, und weil es ihm Vergnügen machte, bey mir zu seyn, ward es ihm täglich mehr zum Bedürfniß, zu mir zu kommen. Es waren beynahe fünf Jahre verflossen, seit ich seine Bekanntschaft gemacht hatte, als er zärtliche Gesinnungen gegen mich äusserte; ich war nicht unempfindlich dagegen, denn ich schäzte ihn mehr, wie ich bisher einen Mann geschäzt hatte; allein ich hatte bemerkt, daß er, entweder für sich selbst, oder für seine Familie, nicht ganz ohne Rücksicht auf äussere Umstände war. Ich antwortete ihm offenherzig, daß seine Bewerbung mich ehrte, daß ich sie mit Vergnügen annehmen würde, daß ich aber keine gute Parthie für ihn zu seyn glaubte; ich sezte ihm alsdann ohne Rückhalt die Lage des Hauses auseinander; es war zu Grund gerichtet. Ich hatte endlich das Herz gefaßt, meinem Vater, auf die Gefahr, ihn gegen mich aufzubringen, Rechnung abzufordern, und so ein Einkommen von fünfhundert Livers Renten, und meine Garderobe, alles was mir von dem anscheinenden Wohlstand, in welchem ich auferzogen war, übrig blieb, aus dem Schiffbruch gerettet.

Mein Vater war jung, seine Verirrungen konnten ihn zu Schulden verleiten, die bey der Unmöglichkeit zu bezahlen, in welcher er sich befand, entehrend gewesen wären; er konnte eine schlechte Heyrath eingehen, und zu allen andern Uebeln wären noch Kinder hinzugekommen, die meinen Namen im Elende geführt hätten. Ich war zu stolz, um mich dem Unwillen einer Familie auszusetzen, die sich eine Verbindung mit mir nicht zur Ehre angerechnet hätte, oder mich der Großmuth eines Gemahls zu überlassen, der nur Verdruß davon haben würde, mich geheyrathet zu haben; ich rieth Herrn Roland, wie ein dritter Unbefangener hätte thun können, um ihn von mir abzubringen. Er bestand auf seinem Sinne; er rührte mich, und ich erlaubte ihm, die nöthigen Schritte bey meinem Vater zu thun; da er sich aber lieber schriftlich ausdrückte, beschlossen wir, daß er ihm nach seiner Rückkehr in seine Heimath schreiben sollte; und so lange er noch in Paris blieb, sah ich ihn täglich; ich betrachtete ihn als den Mann, mit dem ich mein Schicksal verbände, und er gewann meine Zuneigung. So bald er nach Amiens zurückgekommen war, schrieb er meinem Vater, um ihm seine Wünsche und Absichten zu verkündigen; dieser fand den Brief trocken, er liebte Herrn Rolands Steifigkeit nicht, und fragte sehr wenig darnach, einen so unbiegsamen Mann zum Schwiegersohn zu haben, dessen Blicke ihm wie die eines Censors vorkamen; er antwortete hart, unhöflich, und zeigte mir sein Konzept erst, nachdem der Brief abgeschickt war. Ich nahm sogleich meinen Entschluß; ich schrieb Herrn Roland, daß der Erfolg meine Furcht in Absicht auf meinen Vater nur zu gut gerechtfertigt hätte, daß er sich keine weitere Verdrießlichkeit zuziehen, sondern seinen Plan aufgeben sollte. Meinem Vater erklärte ich, wozu mich seine Aufführung genöthigt hatte, und setzte hinzu, daß er sich nicht wundern möchte, wenn ich eine andre Lage wählte, und mich in ein Kloster begäbe. Da ich aber wußte, daß er einige dringende Schulden hatte, ließ ich ihm zu deren Tilgung den mir zugefallnen Antheil an dem Silberzeug, und miethete eine kleine Wohnung in der Congregation, fest entschlossen, meine Bedürfnisse nach meinem Einkommen abzumessen. Ich hielt mir Wort. Ich könnte von dieser Lage, in welcher ich anfieng die Kräfte einer starken Seele zu benutzen, sehr intereßante Umstände erzählen. Meine Ausgabe war streng berechnet, und das Geld bey Seite gelegt, das ich zu Geschenken für die Leute im Hause bestimmte. Meine Nahrung wechselte zwischen Kartoffeln, Reis, Bohnen ab, die ich mit Salz und ein Bischen Butter abkochte, und meine Mahlzeiten, nahmen mir, die Zubereitung mit eingerechnet, wenig Zeit. Zweymal die Woche gieng ich aus, einmal zu meinen Großeltern, das andre mal zu meinem Vater, wo ich seine Wäsche durchsah, und das beschädigte zum ausbessern mit nach Hause nahm. Die übrige Zeit saß ich unter meinem Schneedache, wie ich es nannte, denn ich wohnte nahe am Himmel, und es war Winter; da beschäftigte ich mich, ohne mit den Frauenzimmern, die in demselben Hause in Kost waren, einen täglichen Umgang stiften zu wollen, mit den Wissenschaften; ich waffnete mich gegen das Ungemach, ich rächte mich an dem Schicksal, indem ich das Glück, das es mir versagte, zu verdienen wußte. Alle Abende besuchte mich meine theilnehmende Agathe auf eine halbe Stunde; sanfte Thränen der Freundschaft begleiteten die Ergiessungen ihres Herzens. Meine einsame Promenade bestand aus einem Gang durch den Garten, zu den Stunden, wo alle anderen ihn verlassen hatten. Die Ergebung eines vernünftigen Geistes, der Frieden des guten Gewissens, der Schwung einer Seele, die dem Ungemach trotzt, die angewohnte Arbeitsliebe, die uns die Stunden so schnell verfliessen macht, der zarte Geschmack einer gesunden Seele, die in dem Gefühl ihres eignen Daseyns und ihres Muthes Entschädigungen findet, von denen der gemeine Haufen nichts weiß: das waren meine Reichthümer. Ich war wohl zuweilen von einer gewissen Schwermuth heimgesucht, aber sie hatte ihre Reitze, und war ich auch nicht glücklich, so besaß ich doch alles in mir selbst, was glücklich machen kann, und konnte stolz darauf seyn, daß ich zu entbehren wußte, was mir ausser dem noch mangelte.

Erstaunt, und betrübt, fuhr Herr Roland noch fort mir zu schreiben, er hatte nicht aufgehört mich zu lieben, aber das Betragen meines Vaters hatte ihn beleidigt; nach fünf oder sechs Monaten kam er nach Paris; und mein Anblick am Sprachgitter, wo meinem jugendlichen Gesicht freilich das Fasten eben noch nicht anzusehen war, entflammte ihn. Er wollte mich aus dieser Klausur befreyen, trug mir von neuem seine Hand an, und ließ durch seinen Bruder, den Benediktiner, in mich dringen, sie anzunehmen. Ich dachte reiflich über meine Lage nach; das konnte ich mir nicht verhehlen, daß ein Mann unter fünf und vierzig Jahren nicht Monate lang gewartet hätte, um mich von meinem Entschluß abzubringen, und ich gestehe wohl, daß dieser Umstand meine Gefühle hinlänglich herabgestimmt hatte, um aller Täuschung zu wehren; dafür sah ich aber auch ein, daß mich diese sehr überlegte Beharrlichkeit überzeugen müßte, mein Werth würde nicht verkannt, und sobald Herr Roland seine Empfindlichkeit über die äussern Unannehmlichkeiten, die von einer Verbindung mit mir unzertrennlich waren, einmal überwunden hatte, mußte ich seiner Achtung, die ich auf jeden Fall zu rechtfertigen mir getraute, desto gewisser seyn. War endlich die Ehe, so wie ich sie mir vorstellte, eine ernsthafte Verbindung, in welcher gewöhnlich die Frau das Glück beyder Theile über sich nimmt, so war es ja besser, meine Kräfte, meinen Muth an dieser ehrenvollen Bestimmung zu üben, als sie in meiner gegenwärtigen Vereinzelung aufzuwenden. Ich könnte hier die Betrachtungen entwickeln, die mich bestimmten, und wie mich dünkte, sehr vernünftig waren, und doch hatte ich nicht alles erwogen, was die Umstände mir an die Hand geben konnten, was uns aber die Erfahrung allein erkennen lehrt. Ich ward die Gattinn eines wahrhaft wackern Mannes, der mich täglich mehr liebte, je mehr er mit mir bekannt wurde. Mit allem Ernste der Vernunft verheyrathet, konnte mich nichts aus demselben herausbringen; ich weihte mich mit einer Hingebung, die mehr schwärmerisch wie berechnet war. Ich bekümmerte mich so ausschließlich um das Glück meines Gefährten, daß ich endlich wohl gewahr wurde, es gienge dem meinigen etwas ab. Ich habe keinen Augenblick aufgehört, in meinem Gemahl einen der hochachtungswürdigsten Männer auf Erden zu erkennen, dem anzugehören ich mir zur Ehre schäzte; aber oft fühlte ich, daß es zwischen uns an Gleichheit fehlte, daß bey dem doppelten Uebergewicht, welches ein herrischer Karakter, und zwanzig Jahre, die er vor mir voraus hatte, ihm gaben, es am einen oder am andern zu viel war. Waren wir einsam für uns, so hatte ich manchmal schwere Stunden; giengen wir in Gesellschaft, so ward ich von Menschen geliebt, von denen ich wohl wahrnahm, daß der eine oder der andre zu viel Eindruck auf mich machen könnte; ich vergrub mich mit meinem Manne in Geschäfte, eine Uebertreibung, die ich auch nachtheilig fand; ich gewöhnte ihn, mich bey nichts in der Welt, und keinen Augenblick seines Lebens entbehren zu können.

Ich brachte das ganze erste Jahr meiner Ehe in Paris zu, wohin Roland von den Handelsintendenten berufen war, welche neue Reglemens für die Manufakturen machen wollten; diese Reglemens bekämpfte aber Roland aus allen Kräften durch die Freyheitsgrundsätze, die er überall anbrachte. Er besorgte den Druck von der Beschreibung einiger Künste, die er für die Akademie aufgesezt hatte, und brachte sein Manuscript über Italien ins Reine; ich ward sein Abschreiber und sein Korrektor, und verrichtete dieses Geschäft mit einer Demuth, bey deren Erinnerung ich noch lachen muß, und die mit einem so geübten Geist, wie der meinige, fast unverträglich schien, aber sie floß aus dem Herzen; ich ehrte meinen Mann so aufrichtig, daß ich mir leicht vorstellte, er sähe besser wie ich, und ich fürchtete mich so sehr eine Wolke auf seinem Gesicht zu erblicken, er bestand so fest auf seiner Meynung, daß ich erst sehr spät das Herz faßte ihm zu widersprechen. Naturgeschichte und Botanik, die ich damals trieb, gewährten mir die einzige, und doch auch arbeitsame Erholung von meinen Haushalts- und Schreibersgeschäften; wir wohnten, weil unsre eigentliche Heimath gar nicht in Paris war, in einem Miethhaus, und da ich wahrgenommen hatte, daß sich meines Mannes empfindliche Gesundheit nicht mit jeder Art von Kost vertrüge, hatte ich es selbst übernommen, die Schüsseln, die sich für ihn schickten, zuzubereiten. Nachher lebten wir vier Jahre in Amiens; dort ward ich Mutter und Amme, ohne darum die Arbeiten meines Mannes, der einen großen Theil der neuen Encyklopedie übernommen hatte, weniger zu theilen; wir verliessen das Studierzimmer nur, um ausser der Stadt spatzieren zu gehen; ich sammelte ein Herbarium der Picardie, das Studium der Wasserpflanzen gab den Anlaß zu der Kunst des Torfgrabens. Oeftere Krankheiten beunruhigten mich für Rolands Leben, meine Pflege war ihm nützlich, und das entspann ein neues Band zwischen uns; er hielt mich werth für meine Ergebenheit, mir wurde er theuer, weil ich ihm wohl that.

Er war in Italien mit einem Menschen umgegangen, dessen sanfte redliche Seele er sehr schäzte, und war mit ihm nach Frankreich zurückgekommen, wo er sich auf die Arzneykunde legte, und unser genauer Freund ward, dieses ist Lanthenas, den ich mehr geachtet hätte, wenn die Revolution, dieser Probierstein der Menschen, indem sie ihn in die Geschäfte verwickelte, nicht die Schwäche seines Karakters, und seine Mittelmäßigkeit an den Tag gelegt hätte. Er hat häusliche Tugenden aber ohne äussere Annehmlichkeit; er stand meinem Mann sehr an, und ward uns beiden sehr zugethan; ich liebte ihn, ich behandelte ihn wie einen Bruder, und gab ihm diesen Namen. Ich hätte von ihm und von verschiednen andern interessanten Bekanntschaften, die ich in der damaligen Epoche machte, und seitdem beibehielt, manches zu sagen gehabt.

Sophie heirathete während meines Aufenthalt in Amiens den Chevalier von Gomicourt, der sechs Lieues von da auf seinen Gütern ein Pachtersleben führte, Henriette, welche Herrn Roland, dem ihre Familie sie auch gern zur Frau gegeben hätte, gut gewesen war, gab dem Vorzug, den er mir ertheilte, mit der rührenden Freymüthigkeit, die ihren Karakter auszeichnet, und mit dem Edelmuth, der sie so liebenswürdig macht, ihren lauten Beyfall. Sie heirathete den alten Vouglans, der Wittwer geworden war, und von Beichtvater und Arzt den Rath erhielt, trotz seiner fünf und siebenzig Jahre eine zweite Frau zu nehmen. Beide sind jetzt Wittwen, Sophie ist wieder fromm geworden; ihre angegriffene Brust macht sie sehr kränklich, und läßt für ihr Leben fürchten, das ihren zwey artigen Kindern, doch von grossem Nutzen wäre. Unsre Verschiedenheiten des Karakters und der Meinungen, die Entfernung und die Geschäfte, haben das Band unsrer Freundschaft lockrer gemacht, ohne es zu zerreissen, Henriette die sich durch nichts fesseln läßt, die immer noch lebhaft und innig ist, hat mich in meinem Gefängniß besucht, und hätte gern meine Stelle da eingenommen, um meine Rettung zu erkaufen.

Im Anfang unsrer Ehe hatte Roland gewünscht, ich möchte meine Freundinnen wenig sehen. Ich gab seinen Wünschen nach, und fieng nicht eher wieder an, fleißiger mit ihnen umzugehen, als bis die Zeit meinem Mann alle Besorgnisse, Nebenbuhler in meiner Zuneigung zu haben, benommen hatte. Er that übrigens Unrecht. Die Ehe ist eine ernste und strenge Sache; wenn Ihr einer gefühlvollen Frau die Annehmlichkeiten der freundschaftlichen Verbindungen mit Personen ihres Geschlechts nehmet, so beraubet Ihr sie einer sehr nothwendigen Nahrung, und bringt sie in Gefahr. Wie vieles liesse sich nicht zur Entwicklung dieser Wahrheit anführen!

Wir waren im Jahre 1784 in die Generalität von Lyon gekommen, und wir liessen uns zu Villefranche in dem väterlichen Hause des Herrn Roland nieder, das noch von seiner Mutter, einer Frau die so alt war wie das Jahrhundert, und seinem Bruder bewohnt wurde; dieser letzte war Domherr und Rath. Ich könnte von den Sitten einer kleinen Stadt, und dem Einfluß derselben manches Gemählde aufstellen, wie auch von dem mannigfaltigen häuslichen Verdruß eines Lebens, wo sich die Verhältnisse bald mit einer Frau, welche durch ihr Alter ehrwürdig, aber von einem fürchterlichen Humor war, bald zwischen zwey Brüdern kreuzten, deren Jüngster, die Unabhängigkeit leidenschaftlich liebte, indeß der Aelteste die Gewohnheit und die Vorurtheile der Herrschsucht hatte.

Im Winter brachten wir zwei Monate in Lyon zu; ich lernte diese Stadt recht gut kennen, und wüßte manches von ihr zu sagen; Lyon ist durch seine Lage und seine Bauart eine prächtige Stadt, blühend durch Handel und Manufakturen, wichtig durch ihre Alterthümer und Sammlungen, glänzend durch ihren Reichthum, der den Neid des Kaiser Josephs erregte; Ihr Anblick war der einer prächtigen Hauptstadt; jetzt ist sie nichts mehr wie ein weites Grab, worinn die Opfer einer Regierung umher schleichen, die tausendmal unmenschlicher ist, als der Despotismus, auf deren Trümmern sie sich erhob. Im Herbst begaben wir uns auf das Land, und nach dem Tode der Madame de la Platiere, meiner Schwiegermutter, brachten wir da meist das ganze Jahr zu. Der Kirchsprengel Thezee, zwei Stunden von Villefranche, wo das Clos de la Platiere liegt, hat einen dürren Boden, ist aber reich durch Weinbau und Waldung; es ist das letzte Weinland vor dem hohen Gebürge des Beaujolois. Dort übte sich mein einfacher Geschmack in aller Thätigkeit des ländlichen belebenden Hauswesens; dort benutzte ich meine wenigen Kenntnisse zur Erleichterung meiner Nachbarn; ich ward der Arzt vom Dorfe, und man liebte ihn um so zärtlicher, weil er Unterstützung gab, statt Zahlung zu fordern, und seine Bemühungen durch das Vergnügen zu helfen noch freundlicher wurden. Wie leicht schenkt der Landmann sein Zutrauen, wenn er fühlt, daß man ihm wohlthut? Man giebt ihm Undankbarkeit schuld: wahr ist es, daß ich keinen Dank forderte, aber man liebte mich, und war ich eine Zeitlang abwesend, so weinte man um mich. Manchmal gab es auch lustige Auftritte; ehrliche Bauerweiber kamen zuweilen drei bis vier Stunden weit mit einem Pferde her, um mich zu Kranken zu holen, die der Arzt schon aufgegeben hatte. Im Jahre 1789 rettete ich meinem Manne das Leben; er war fürchterlich krank, und ohne meine Wachsamkeit hätten ihn die Vorschriften des Arztes nicht dem Tode entrissen. Zwölf Tage brachte ich ohne zu schlafen, ohne mich auszukleiden zu, und sechs Monate in der Unruhe und der Angst über eine gefährliche Convalescenz, ohne nur unbaß zu werden, so viel Kräfte giebt das Herz, so verdoppelt es die Thätigkeit. Die Revolution begann, und entflammte uns; wir liebten die Menschheit, wir beteten die Freiheit an, und glaubten, sie würde nun die Gattung umschaffen, und das zerstörende Elend der unglücklichen Menschenklasse, über die wir uns so oft betrübt hatten, tilgen. Wir nahmen sie mit Entzücken auf. Unsre Meinungen brachten in Lyon viele Leute gegen uns auf, der Handel hatte sie so an das Rechnen gewöhnt, daß sie nicht begriffen, wie man aus Philosophie Neuerungen herbeirufen und begünstigen könnte, die nur andern Vortheil brächten; das war genug, um sie zu Rolands Feinden zu machen, andere schäzten ihn dagegen um so mehr. Er ward zum Mitglied der ersten Municipalität gewählt, seine unerbittliche Redlichkeit zeichnete ihn aus; man fürchtete ihn, und die Verläumdung fieng ihr Spiel an, indessen von der andern Seite Zuneigung oder Unpartheilichkeit seine Vertheidigung übernahmen. Die Stadt schickte ihn als ihren Deputirten an die konstituirende Versammlung nach Paris; wir blieben fast ein Jahr dort; ich habe an einem andern Ort gesagt, wie wir verschiedne Mitglieder der Versammlung kennen lernten, und natürlicher Weise mit denen vertraut wurden, die wie wir die Freiheit nicht aus Eigennutz, sondern um ihrer selbst willen liebten, und die nun mit uns das Schicksal theilen, das allen ihren Stiftern, allen wahren Freunden der Menschheit beschieden ist, das ehmals Dion, Phocion, und Sokrates, und in den neuern Zeiten Barnevelt und Sidnei betroffen hat.

Mein Mann war im Jahr 1784 mit mir nach England gereist, 1787 führte er mich in die Schweitz. In beiden Ländern sah ich viel interessante Menschen, und blieb mit einigen in Verbindung; es ist noch kein Jahr, daß ich Nachricht von Lavater erhielt, diesem berühmten Züricher Geistlichen, der durch seine Schriften, seine glänzende Einbildungskraft, seine Herzlichkeit und reinen Sitten hinlänglich bekannt ist. Der redliche, gelehrte Gosse aus Genf, trauert gewiß über die Verfolgung, deren Opfer wir sind: ich weiß nicht, was aus dem geschickten Dezach, einem ehemaligen Wiener Professor geworden ist, der vor kurzem Deutschland bereiste; ich sah ihn oft in London, wo sich Roland bey Banks mit ihm herumstritt, bey dem Präsidenten der Londner Societät, in dessen Haus sich alle englische und fremde Gelehrten, die nach London kamen versammelten. Ich hatte bey meinen Reisen allen Nutzen und alles Vergnügen, was die Gesellschaft eines Mannes gewährt, der die Orte schon kennt, und genau gesehen hat; ich beobachtete, und was mir am meisten auffiel, schrieb ich immer auf. Auch durch einige Theile von Frankreich bin ich gereist, die Revolution verhinderte uns, die mittäglichen Gegenden zu besuchen, so wie sie auch unsre Reise nach Italien vereitelte, die ich doch so sehr hofte und wünschte. Unsre Liebe für die öffentliche Sache hat sich aller unserer Ideen bemächtigt, alle unsere Plane verschlungen, und wir haben uns ihrem Dienst mit Leidenschaft ergeben. Man hat in dem Theil meiner Memoiren, welcher erstes Ministerium überschrieben ist, gesehen, wie Roland fast ohne sein Wissen in der Regierung angestellt wurde, und sein Betragen muß der unpartheyischen Nachwelt seine Uneigennützigkeit, seine Kenntnisse und seine Tugenden beweisen.

Mein Vater, mit dem wir eben nicht grosse Ursache hatten zufrieden zu seyn, gieng indessen keine andere Heirath ein, noch war er etwa sonst in besonders nachtheilige Händel gerathen. Wir bezahlten einige Schulden, die er gemacht hatte, und bewogen ihn, mit Hülfe einer Pension, die wir ihm zusicherten, sich ganz aus den Geschäften, bey denen er nur zu kurz kommen konnte, zurückzuziehen. So viel Schaden er auch durch seine Verirrungen litt, welche die kleine Erbschaft meiner Großmutter noch aufgezehrt hatten, und so zufrieden er mit unserm Betragen gegen ihn seyn mußte, so war er doch zu hochmüthig, um sichs nicht sehr zu Herzen zu nehmen, daß er uns Verbindlichkeiten haben mußte. Dieser immer gereitzte Zustand seiner Eigenliebe verhinderte ihn zuweilen, selbst gegen die gerecht zu seyn, die es sich zur Pflicht machten ihn zufrieden zu stellen, er starb im harten Winter von 1787 bis 88, über sechzig Jahre alt, an einem Katharr, der ihn lange geplagt hatte. Im Jahre 1789 starb mein guter Onkel in Vincennes, kurz nachher der Lieblingsbruder meines Mannes; er hatte uns auf unserer Schweitzerreise begleitet, war Pfarrer in Longpont geworden, und wurde zum Wahlmanne seines Kantons ernannt, wo er die Freiheit predigte, und alle Tugenden des Evangeliums ausübte; er war der Schiedsrichter und Arzt seiner Gemeine, aber zu vernünftig für einen Mönch: deswegen verfolgten ihn auch die Ehrgeitzigen seines Ordens, und erregten ihm so viel Verdruß, daß sein Ende dadurch befördert wurde. Also immer und zu allen Zeiten haben die Guten unterlegen; es ist also eine andere Welt, wo ihr Leben von neuem beginnt, oder es lohnt nicht der Mühe in dieser gebohren zu seyn!

Blinde Verläumder! Spüret nur Roland nach, sichtet sein Leben, untersucht das meine, befragt die Menschen, mit denen wir lebten, die Städte wo wir lebten, fragt auf dem Lande nach, wo man sich nicht verstellt; untersucht – – – – je genauer Ihr zusehet, je mehr müßt Ihr euch ärgern, und eben deswegen wollt Ihr uns vernichten.

Man hat Roland vorgeworfen, er habe um ein Adelsdiplom angehalten; die Sache verhielt sich folgender massen. Seit mehreren Jahrhunderten genoß seine Familie durch Aemter gewisse Vorrechte, die aber nicht forterbten, und der Reichthum erhielt ihr alle äusseren Zeichen davon, wie Wappen, eine Kapelle, Liverey, Lehen, u. s. w. Der Reichthum verschwand, und Roland hatte die Aussicht, seine Tage auf einem Gute zu beendigen, dem einzigen das der Familie übrig blieb, und welches noch im Besitz seines ältern Bruders ist; er hielt sich durch seinen Fleiß berechtigt, seinen Nachkommen einen Vortheil zuzusichern, dessen seine Vorfahren genossen hatten, und den er zu kaufen sich geschämt hätte; dem zufolge reichte er seine Ansprüche ein, um die Anerkennung seines Adels, oder die Erhebung in den Adelstand zu erhalten. Dieses geschah im Jahre 84: ich möchte wissen, welcher Mensch in seiner Lage es damals für unweise gehalten hätte, ein gleiches zu thun? Ich kam nach Paris, und ward bald gewahr, daß die neuen Handelsintendanten, neidisch über seine Anciennetät in einem Fache der Administration, von dem er mehr wie sie verstand, und verschiedner Meinung mit ihm in Betreff der Handelsfreiheit, die er kräftig vertheidigte, ihm zwar die Zeugnisse seiner geleisteten wichtigen Dienste nicht versagen konnten, aber den Ausdruck, der geltend machen kann, keineswegs hineinlegten. Ich sah, daß man die Sache dabey bewenden lassen müßte, und machte keinen weiteren Versuch. Damals geschah es, daß ich die Veränderungen erfuhr, von denen ich bey dem sonderbaren Artikel über Lazowsky gesprochen habe; ich verlangte und erhielt, daß Roland nach Lyon versetzt würde, wo er seinem Geburtsort und seiner Familie, bey welcher er, wie ich wußte, in der Folge leben wollte, näher wär. Ihr Patrioten des Tages, die Ihr der Revolution bedurftet, um irgend etwas zu werden, weiset eure Werke auf, und wagt die Vergleichung?

Dreizehn Jahre die ich an verschiednen Orten, unter beständiger Arbeit, bei sehr mannigfaltigen Bekanntschaften zugebracht habe, und die gegen die letzte Zeit mit der jetzigen Geschichte so nahe in Verbindung stehen, würden den letzten und bey weitem interessantesten Theil meiner Memoiren ausmachen. Die einzelnen Abschnitte, die man unter meinen Portraits und Anekdoten finden wird, mögen ihn ersetzen; von den Abscheulichkeiten umgeben, die mein Vaterland zerreissen, kann ich die Feder nicht länger führen; ich kann auf diesen Trümmern nicht leben, lieber mögen sie über mich einstürzen! O Natur öffne mir deinen Schoos!

Im neun und dreisigsten Jahre.

Abgerißne Anmerkungen.

Wäre mir ein längeres Leben beschieden gewesen, ich hätte, glaube ich, nur eine Versuchung gehabt, ich hätte die Annalen des Jahrhunderts schreiben, und die Macauley meines Vaterlandes seyn mögen; Tacitus hat mir in meinem Gefängniß eine wahre Leidenschaft eingeflößt, ich kann nie einschlafen, ohne einige Seiten von ihm gelesen zu haben; mir ist es, als sähen er und ich mit einerley Augen, und es wäre nicht unmöglich gewesen, daß ich meinen Ausdruck, bey einem eben so reichen Gegenstand, mit der Zeit nach dem seinigen gebildet hätte.

Es thut mir sehr leid, mit meinen historischen Notitzen einen gewissen Brief an Garat vom 6ten Junius verloren zu haben; da er ihm aufgetragen hatte, gegen meine Verhaftung zu reklamiren, schrieb er mir einen schönen, vier Seiten langen Brief, worinn er mir alle seine Achtung, seinen Schmerz u. s. w. bezeugte; zugleich sprach er von der öffentlichen Sache, und suchte den zwey und zwanzigen ihr eignes Verderben Schuld zu geben, als wenn sie in der Versammlung auf eine mit dem Vortheil der Republik unverträgliche Art gesprochen hätten. Ich antwortete Garat recht gute Dinge, die ich auch des Ausdrucks wegen gern noch hätte; ich stellte ihm sein Betragen als die Folge der Schwäche vor, der ich alles unser Uebel zuschrieb; diese, sagte ich ihm, hatte er mit einer kleinmüthigen Majorität gemein, welche nur der Furcht Gehör gäbe; ich bewies ihm, Leute wie er und Barrere wären zu nichts gut, als alle Staaten der Welt in das Verderben zu stürzen, und durch ihre krummen Wege sich selbst mit Schande zu beladen; ich habe die dummen Deklamationen dieser Heerde von Tölpeln gegen das, was sie die Leidenschaften der rechten Seite nennten, nie verdauen können. Wackre Männer, die fest in ihren Grundsätzen waren, und von Unwillen gegen das Verbrechen entglühten, stemmten sich kräftig gegen die Verderbniß einiger Bösewichter, und gegen die abscheulichen Maaßregeln, die sie ihnen eingab, und diese politischen Eunuchen warfen ihnen vor, mit zu viel Heftigkeit zu sprechen.

Man hat Roland einen schweren Vorwurf daraus gemacht, daß er das Ministerium kurz nach der Zeit verließ, da er gesagt hatte, er wollte allen Stürmen darinn trotzen. Man sah nicht, daß er seine Entschlossenheit zeigen mußte, um die Schwachen aufrecht zu halten, wie er am sechsten Januar ja schon gethan hatte; als aber das Urtheil über Ludwig den sechszehnten, welches ungefähr den achtzehnten Januar gesprochen ward, die Minorität der vernünftigen, und das Ende ihres Einflusses auf den Convent bewiesen hatte, konnte er auf keinen Beystand weiter hoffen, und mußte sich so bald wie möglich zurückziehen, um an keiner Albernheit Theil zu nehmen. Gewiß, Roland verabscheute die Tyranney, und hielt Ludwig für schuldig, aber er wollte die Freyheit sichern, und hielt sie für verlohren, so bald die verkehrten Köpfe das Uebergewicht gewönnen. Er ist mit denen, welche nun zum Tode geführt werden, nur zu gut gerechtfertigt. Uebrigens glaube ich das in dem Abschnitt: zweytes Ministerium aus einander gesezt zu haben. Sein Austritt aus dem Ministerium war das Zeichen zur Auflösung; er hatte es vorher gesehen.

Meine arme Agathe! sie hat ihr Kloster verlassen, ohne darum weniger eine girrende Taube zu seyn! Sie beweint ihre Tochter, denn so nennt sie mich. Ach, es gäbe manche Leute, deren Geschichten mir als Episoden hätten dienen können: die gute Cousine Desportes, die nach tausenderley Kummer in ihrem fünfzigsten Jahre starb, die kleine Cousine Trüde, die sich aufs Land begeben hat, und jezt die Scheidung von ihrem Manne fordert; meine gute alte Aufwärterinn Mignonne, die bey meinem Vater heiter und vergnügt in meinen Armen starb, und zu mir sagte: »ich habe den Himmel nur um eines gebeten, Mademoiselle, bey Ihnen zu sterben, und nun bin ich zufrieden.« – Und meines Vaters traurige Verbindung mit einem schlechten Menschen Leveilly, dessen Tochter mich intereßirt, der ich Wohlthaten erzeigte, die durch ihre Jugend, ihre Lebhaftigkeit und durch einige Reitze das Mitleiden aufforderte, die sich nun in Schande gestürzt, und dergestalt alle Schaam verloren hat, daß ich sie endlich in der lezten Zeit aus meiner Gegenwart verbannen mußte, indeß ich ihre Brüder bey mir aufnahm, und ihnen Dienste leistete.


Briefe der Bürgerinn Roland an den Herausgeber ihres Nachlasses, damaligen Sekretair bey der Intendenz der Posten.


Amiens den 23ten August 1782.

Ich habe einen Brief von Herrn Gosse erhalten, lieber Freund, den Sie, wie ich glaube mit Vergnügen lesen werden. Sie werden daraus sehen, wie die Generale der vereinigten französischen, Sardinischen und Berner Truppen sich bey der Einnahme der Stadt Genf betragen haben.

Ich weiß nicht, ob es Ihnen wie mir vorkommen wird; mich dünkt aber, die armen Genfer hätten es so albern wie möglich angefangen; man sollte denken, es wäre eine Heerde von Blinden gewesen, die sich freywillig einigen Verräthern Preis gaben, von denen sie verkauft wurden, und deren Ränke nicht einmal sehr versteckt waren. Mir ist die Geduld beym Lesen mehr wie einmal ausgerissen, und das Blut siedet mir in den Adern. Ich beklage diejenigen von ganzem Herzen, die ohngeachtet ihrer guten Absichten, keine bessern Maaßregeln zu nehmen wußten oder vielmehr nicht Einfluß genug hatten, um andre vernünftiger zu stimmen; im Ganzen scheint es mir, daß die Genfer der Freyheit nicht werth waren; man sieht nicht halb so viel Kraft, als nöthig gewesen wäre, um ein so theures Gut zu vertheidigen, oder sich unter den Trümmern der Stadt zu begraben. Desto hassenswerther kommen mir aber die Unterdrücker vor, deren Nachbarschaft diese Republik erst verderbte, ehe sie sich zu ihrem Untergang verbanden.

Gosse sagt mir, sein Freund, den ich in Paris gekannt habe, sey in der aristokratischen Parthei, und er habe ihn seit dem Verlust der Freyheit nicht mehr sehen wollen, aus Furcht, daß durch die Verschiedenheit ihrer Stimmung Verdruß zwischen ihnen entstehen möchte. Darauf hätte ich wohl wetten wollen; es ist ein gewisser Herr Coladon, den ich Celadon nannte, nichts wie ein artiges Männchen, dem man mit seinem honigsüssen Wesen auf tausend Schritte weit den Sklaven anriecht, und von dessen Schlag ich ihrer hundert für einen Hinkefuß, wie Gosse ist, gegeben hätte.

Tugend, Freyheit! euch bleibt keine Zuflucht als das Herz eines kleinen Haufens von Redlichen; der Henker hole das Uebrige, und alle Throne der Welt! Ich würde es den Fürsten ins Angesicht sagen; aus dem Munde eines Weibes würde man nur dazu lachen; aber bey meiner Treue wäre ich in Genf gewesen, so wäre ich umgekommen, ehe ich sie darüber hätte lachen sehen.

Den 9ten Februar 1783.

Ich habe eben nicht Lust mit der Frau im alten Märchen zu sagen: ich will nun aber geschlagen seyn; das wäre just nicht meine Sache. So viel sollen Sie aber doch wissen, der Name Wolf, der Ihnen so schrecklich scheint, ist eine Schmeicheley, eine Liebkosung, ein Liebeswort, das mir, nicht seit undenklichen Zeiten, aber seit dem andern Tag, der vor drey Jahren, auf einen gewissen vierten Februar folgte, zukömmt, ich weiß weder warum, noch wie? aber kurz und gut, er kömmt mir zu, und es giebt jemanden in der Welt, der mich Wolf nennt, so wie Sie vielleicht von irgendeiner Verschwiegnen, deren Sie eben so wenig Erwähnung thun, schöner Freund genannt werden. Wem soll man nun noch auf das Wort glauben? könnte man nicht mit eben so vielem Rechte an dem, was dieses Wort bedeuten sollte, gezweifelt haben, wie Barkley an der Existenz der Körper? Aber Sie haben mehr zu thun als Märchen zu lesen, und ich kann etwas besseres anfangen, als welche schreiben.

Ohne Zweifel hat Sie der gestrige ruhige Abend ein wenig gestärkt. Ich habe heute den ganzen Tag brav und tüchtig gearbeitet, wie ich es lange nicht that.

Gruß und Freude!

Den 20ten Merz.

Sie sind ein gutes Kind, das man von ganzem Herzen lieben muß. Ihr lezter Brief ist voll Vernunft und Empfindung und wenn man Sie aus weiter nichts, wie aus diesem Brief kennte, so müßten Sie schon alle braven Leute zu Freunden haben. Ein glücklicher Geschmack, vernünftige Plane, wahres Gefühl, darinn besteht die Aussaat des Glückes, Sie haben das alles; die Zukunft wird Ihre Ansprüche ohne Zweifel rechtfertigen, und die Wünsche Ihrer Freunde erfüllen. Wir werden nie die lezten unter diesen seyn.

Ich glaube wohl, daß Sie mit einem Führer, wie die erwähnten Lektionen, so weit wie Sie wollten, kommen könnten; hätte ich Musse dabey, so für diese Art Beschäftigung eine Zeit festzusetzen, muß ich einen Lehrmeister haben; der Lehrer ist unordentlich, ist übrigens eine bloße Maschine, mit der ich nicht raisonniren kann, die nichts weiter kann, als die Finger bewegen, um anzudeuten, was zu thun ist; ich werde ungeduldig, und lerne nichts rechts; nicht einmal die Musik, die Sie für mich gewählt haben, und die überhaupt doch leicht ist; aber der Pinsel läßt mich lieber was er selbst weiß studiren, und ich muß es mir, um nicht ganz zu kurz zu kommen, schon gefallen lassen.

Ich glaube, die Leute, die den Einsturz des schönen Projekts mit der Verbesserung der Gerichtspflege befürchten, haben nur gar zu sehr Recht; es wäre aber auch eine sonderbare Erscheinung gewesen.

Adieu! wir umarmen Sie freundschaftlichst von ganzem Herzen.

Den 5ten April.

Heute sage ich ihnen einen guten Abend! es ist halb neun Uhr, die Abendessenszeit einer Provinzialin kann nicht mehr fern seyn, ich finde aber immer noch einen Augenblick, um Ihnen zu schreiben. Fürchten Sie deßwegen aber nicht, daß ich Sie mit einem ellenlangen Geschwätz heimsuchen möchte; Sie haben keine Zeit zu verlieren, und die Art und Weise wie ich die meinige hinbringe, soll keinem Menschen, am wenigsten meinen Freunden, zum Schaden gereichen. Diesen Grundsatz nun einmal angenommen, können wir ungesäumt zur Sache selbst schreiten; müßte die Fantasie nun nicht der Vernunft weichen, so könnte ich das, Ihnen zum Possen, und mir zur Kurzweil, wohl bis zum Schluß der vierten Seite verschieben. Der Dienst lezterer Dame ist nun eben nicht das leichteste. Mag es aber mit dieser Betrachtung, die Sie für eine bloße Grille halten werden, bestellt seyn wie es immer will, so müssen Sie wissen, daß Herr Maille, Eisenwaarenkrämer in der Lombardsstrasse diese würklich oder nur vorgeblich berühmte Queke, die so vielen Aerzten, Sie miteingerechnet, den Kopf zerbrochen hat, verkauft; diese Queke, welche die Bürstenbinder gebrauchen, und deren ich Layin mich sehr wohl bediene, ohne mich über ihre Beschaffenheit weiter in Untersuchung einzulassen. Aber man muß einen jeden nach seiner Weise verköstigen, und man ist so gewöhnt, in den Wörterbüchern Gelehrsamkeit zu suchen, daß man Wehe rufen würde, wenn man in ein Werk dieser Art keine hinein thäte, ob sie gleich nicht immer darinn angetroffen wird. Thun Sie mir also den Gefallen, zu Herrn Maille zu gehen, um, da Sie als Philosoph aus den geringsten Gegenständen Unterricht ziehen können, einmal bey einem Kaufmann Aufklärung zu schöpfen. Fragen Sie ihn, woher er diese Waare zieht, was er von ihren Eigenschaften hält, und von den Zubereitungen, die sie schon erhalten haben kann, u. s. w. Ich brauche Ihnen Ihre Lektion nicht weiter vorzusagen, und Sie gehören sicherlich nicht zu den Leuten, von welchen der Dichter Saadi sagt, daß sie nicht einmal zu fragen wüßten; als wodurch ich Ihnen weiter keine Schmeicheley zu sagen gedenke, sondern nur eine Thatsache anzeige, die mir eben nur so aus der Feder floß.

Mich dünkt es wäre schon zwey oder drey Tage her, daß wir nichts, was man einen Brief zu nennen pflegt, von Ihnen erhalten hätten. Ausserdem möchten wir auch gern wissen ob Sie die Schrift über die Torfgrabekunst erhalten haben. Man hätte dem Eifer des Verfassers sehr schlecht die Hand geboten, wenn Ihnen das Buch verwichnen Mittwoch nicht zugekommen wäre; an Sie ist die allererste Absendung geschehen.

Diese lezten Tage her sind wir in unserm kleinen Garten sehr eifrig beschäftigt gewesen, wir haben gegraben, und gesäet, wir wollen Blumen ziehen, nicht schöne Blumen, was man insgemein schön nennt, sondern solche, die den Botanisten intereßiren. O wir bringen gar schöne Dinge zu Stande!

Adieu! es ist viel später wie ich dachte.

Den 14ten April.

Ist es denn nicht genug, die armen Weiber im Stich zu lassen? muß man sie auch noch zu allen Teufeln schicken? Junger Mensch, Sie sind nichts weniger wie tolerant, da aber Ihr kleiner Unwille sehr drollig ist, so soll er Ihnen auch vergeben seyn, und wir wollen aus der ganzen Begebenheit keine andre Lehre ziehen, als daß Sie lieber mit allen Stechpalmen in der Welt als mit Madame Maille zu thun haben wollen; dem zufolge dürften ihre Freunde Sie also wohl ersuchen, dann und wann für sie durch Feld und Busch zu streifen, aber weiter auch um nichts. Die Freundschaft findet übrigens ihre Rechnung weit besser bey Ihrer Uneigennützigkeit, und ist sie es allein, die Ihr Thun bestimmt, so kann sie weit sicherer auf ihre Beharrlichkeit zählen. Sie mögen mir noch so viel von ihrer vielen Arbeit sprechen, ich bedaure Sie nicht im geringsten; ist man beschäftigt, so ist man, dünkt mich, schon zur Hälfte glücklich, besonders wenn man dadurch seine Freyheit erhält; und so bald man sich der Macht der Gewohnheit entziehen kann, so ist man der Gewalt der Liebe wenig ausgesezt. Schweifen Sie also, einem verbuhlten Spatz gleich, der noch keine Fessel kennt, nach Herzenslust in Wald und Gärten umher; bey dieser Lebensweise kann man dem Sklavenstand lange entgehen, und die Seele nimmt dabey an Kräften zu. Daß sie diese Feyertage nicht spatziren gehen können, dauert mich würklich; ich werde bey jeder unsrer Promenaden daran denken, und jedesmal Sie in der Einbildung, neben uns sehen.

Den 17ten April.

Sie sind traurig, und das macht uns alle betrübt. Gewiß kann niemand besser fühlen, wie viel Gründe Sie bey ihrem zarten Gefühl zur Traurigkeit haben. Es ist sehr schmerzlich, in dem Herzen derer, die uns umgeben, Feindseligkeit, oder irgend eine ihr ähnliche Empfindung aufkeimen zu sehen; einem edeln Gemüth thut es um so weher, wenn irgend ein äusserer Vorzug sie erregt hat; man würde sich in gewissem Betracht leichter, über eine förmliche Ungerechtigkeit, als über die Unannehmlichkeit hinweg setzen, die Menschen, von denen man umgeben ist, durch eine andere als persönliche Ueberlegenheit zu verdrüssen. Diese nämliche Stimmung macht übrigens auch, daß man für manchen Vorzug Verzeihung erhält, und selten verletzen Verdienste, deren sich der Besitzer nicht überhebt, die Eigenliebe der Mitwerber auf eine sehr empfindliche Weise. Zum Unglück ist diese Art Unzufriedenheit Mehrerer bey der Beförderung eines Auserlesenen, eine von den Ausgleichungen der Gesellschaft; und so muß man sich in das was einmal nicht zu ändern ist, ruhig ergeben.

Der Freund schreibt Ihnen heute durch einen gewissen Herrn de Vin, der diesen Abend nach Paris abreist. Es ist ein vortreflicher, sehr braver, gefühlvoller Mann, dem seine Freunde nichts als eine gewisse Faulheit vorwerfen, die ihn verhindert, seine ganzen Kräfte zu entwickeln. Ich meines Theils machte ihm gern einen Vorwurf aus seiner langweiligen Zeitungspolitik, über welcher er alles schlummern läßt, was er von meinem Lieblingsfach der schönen Litteratur weiß. Was ist aber zu thun? Ein jeder hat seinen eignen Geschmack. Lieb ist mir's, daß Ihre Neigungen lauter solche sind, die einer gesunden Seele zukommen, die durch eine große Thätigkeit genährt werden, diese sind lauter Materialien zur Glückseligkeit, lauter Waffen gegen drückende Schwermuth, von welcher sich ein träges Naturell ebenfalls nicht frey erhalten kann.

Den 23ten April.

Sie haben zu viel Seele, als daß Ihnen etwas Sinnlichkeit zum Vorwurf gereichen dürfte; wenigstens wäre das eine Inkonsequenz; im fünf und zwanzigsten Jahre ist es erlaubt, den Aristoteles über ein paar schöne Augen zu vergessen; und es würde seltsam lassen, wenn Sie vor dem Tribunal eines Weibes dafür keine Gnade fänden. Uebrigens sey Friede zwischen uns, das ist auch meine Meinung.

Ueber Ihren Eifer, Herrn de Vin zu sehen, mußte ich lächeln. Ihre thätige Freundschaft mißt andre nach sich selbst, aber von allen Menschen auf Erden ist der ehrliche de Vin der letzte, alle die Kleinigkeiten wahrzunehmen, auf welche Ihr Herz einen Werth legt, und sicherlich erfahren Sie durch unseren kompendiösen Briefwechsel mehr als er, wenn er uns auch alle Tage sähe. Mich würde es gar nicht wundern, wenn er vielleicht drei Wochen in Paris wäre, ohne Sie zu sehen, ob er es gleich würklich sehr wünscht; er ist einer von den Menschen, die recht wohl ihr halbes Leben damit zubringen, grade das Gegentheil von dem auszusinnen, was sie in der andern Hälfte vornehmen. Dabey hat er ein herrliches Herz, eine redliche Seele, und ist ganz besonders dazu geschaffen, das Glück einer vernünftigen Frau zu machen.

Ihre Jungfrauen im Poitou sehen unsern Fräuleins in Amiens gar nicht ähnlich; diese haben alle Zuversicht einer Frau deren Schüchternheit gebührend abgelöst ist; sie schwatzen eben so laut in Gesellschaft, spielen vom zwölften Jahr an, und behaupten von dieser Zeit an ihren Platz in der Gesellschaft mit allem Wesen und Geziere der besten Praktikantinnen. Es ist ein wahres Puppenspiel, aber glücklicher Weise finden sich noch einige auffallende Ausnahmen.

Ich wollte wohl wetten, daß Sie der Mensch mit dem Kegelspiel sind. Mit meiner Tochter haben wir schon grosse Partien gemacht, aber sie ist ein kleiner Pinsel, und schiebt immer daneben hin; wenn sie nicht besser zielen lernt, so wird es ein jämmerlich Ding seyn; man muß aber Geduld haben! – Und Sie, haben Sie denn Geduld, um die Arbeit, und die Residenz zu ertragen, oder den Regen, wenn er Sie auf den Feldern überfällt? Aber Gott sei gelobt, weil Sie noch immer Zeit finden, uns ein kleines freundschaftliches Wort zu sagen, und den festen Willen behalten, gleichen Sinnes zu bleiben, trotz den Neckereien des kleinen Schelmen, der Sie bey der Schwester des Abbés so zerstreut macht.

Adieu! Wir andern ehrlichen Leute, welche die Reise zurückgelegt haben, lieben Sie auch von ganzem Herzen, und das ohne Zerstreuung

Den 25ten April.

Sie sind ein wackerer Mann, den wir herzlich umarmen; Ihr Gefühl, Ihre Seele mahlt sich, ohne daß Sie es darauf anlegen, auf eine Weise, die Ihre Freunde sehr rühren, die Ihnen auf immer ihre Neigung zusichern muß. Nehmen Sie nur immer Herrn de Vin in Schutz, es könnte uns nichts lieberes, und Herrn de Vin nichts heilsameres geschehen, als wenn es möglich wäre, ihm eine Thätigkeit wie die Ihrige einzuflössen; ihm fehlt Energie zu seinem Gehalt wie zu seinem Glück, er fühlt es, und würde vielleicht mehr haben, wenn er immer mit Menschen wäre, deren lebhaftes Gefühl das seine auf eine vortheilhafte Art in Athem erhielte.

Ich glaube, Sie werden an der Bekanntschaft seiner Angehörigen Freude haben; man kann wohl sagen, daß es eine Familie von braven Leuten ist, das Wort in seinem vollsten Umfang genommen.

Ich wünsche Ihnen eine Eudora, denn sie sind dazu gemacht, alle einfachen Freuden, die sie uns verschaft, und die sich hoffentlich mit der Zukunft noch vermehren werden, zu geniessen; aber um unsertwillen wünsche ich, daß in achtzehn Jahren ein Mann, der Ihnen gleicht, eben so urtheilen möge; erlebte ich das, so sänge ich fast das: nunc dimittis etc.

Leben Sie wohl, seyn Sie gesund, so wollen wir Sie auch lieb haben.

Den 5ten Mai.

Mit vieler Freude haben wir gestern Ihren letzten Brief erhalten. Dieser Genuß ist die einzige Entschädigung, die Trennung von Freunden übrig läßt.

Sie haben Ihre Abendfreiheit wieder; ist es weil Sie weniger Arbeit haben, oder verdanken Sie es der Freundschaft eines Ihrer Kollegen? Die letzte Ursache wäre angenehmer und dauernder.

Dank Ihren Nachweisungen, wissen wir nun, was wir von der Uebersetzung des Aristoteles zu halten haben, und so schätzenswerth das Werk seyn mag, so wird es doch nie unsre Ausgabe werden. Den griechischen Text brauchen wir nicht, einen Quartanten können wir entbehren, also werden wir uns bis zu einer bescheidnen Oktavausgabe ohne Text gedulden, die mit der Zeit doch wohl kommen, und uns weit besser anstehen wird. Es ist mir sehr lieb von der besagten Flora so viel Gutes durch Sie zu vernehmen; sie soll neben den andern botanischen Schriften ihren Platz finden; denn diese angenehme Wissenschaft wird einst, wenn wir ohne Rückhalt das patriarchalische Leben antreten, unsre liebste Erholung seyn.

Ich nehme Ihre glückliche Vorbedeutung wegen meiner kleinen Eudora an, und es soll nicht an mir liegen, wenn nicht alles geschieht, um sie als eine Prophezeiung zu rechtfertigen; jetzt habe ich wenigstens den Täglichen Genuß, mir bezeugen zu können, daß sie alle Gesundheit und alles Glück ihres Alters besitzt. Dieser Sicherheit bedarf ich aber auch, um mit ihrem Dasein zufrieden zu seyn, und ich würde sie auch noch brauchen, um ihren Verlust zu ertragen, wenn mich dieser Schlag je treffen sollte. Unsre Gesundheit bessert sich nicht schnell. Der Freund könnte Ihnen fast sagen, daß ich mich nicht gut mehr ansehen liesse, und an meinem Stengel herabhienge; er ängstigt sich über meine Unbehaglichkeit, ich mich über sein Mager werden, und so sind wir eines um das andre besorgt. Nur Zufriedenheit und die Erlaubniß Erdbeeren zu essen, die Linné für so gesund hält, und die, ohne hier zu Lande ausserordentlich gut zu sein, doch nach meinem Geschmack eine der niedlichsten Früchte sind, weil sie dem Geruch eben so wohlthun, wie dem Geschmack schmeicheln, eine Annehmlichkeit, die sie vor vielen voraus haben!

Sie haben wohl die Augen zuschliessen müssen, wie Sie den Abbé um Rath fragten! Ei, ei! sollten denn die Augen seiner Schwester in allem Ernst auf Sie Feuer geben? Hüten Sie sich vor dem kleinen geflügelten Buben, der da trift, und flieht wie ein Dieb! Adieu! Freude und Gesundheit.

Den 13ten Mai.

Sie haben recht lieb geschwatzt; es war mir, als sässen Sie neben uns, ich bewundere, wie Sie auf Rechnung des Kaltsinns setzen, was andre für eine Frucht der Weisheit halten würden; gewiß, diese kann nie erhabner seyn, als wenn sie nur sieht, was sichtbar ist, und die Würklichkeit nicht in Täuschung einhüllt. Für die Sache selbst ist es einerley, was Sie so weit gebracht hat; haben Sie weder schwere Proben nach Anstrengung gebraucht, um dahin zu gelangen, desto besser für Sie; Ihre Seele ist nicht verletzt worden, Ihre Kraft ist ungeschwächt. Welche Laufbahn man auch wählte, so kann man weit darauf fortkommen, so bald sich die Einbildungskraft nicht in den Weg stellt, sondern stets der Wahrheit untergeordnet bleibt.

Herr de Vin hatte uns etwas von diesen Parlaments Pamphlets gesagt. Man muß gestehen, daß Paris ein sonderbarer Ort ist; Brochüren und Wortspiele sind das Resultat oder die Ursache der ernsthaftesten Geschäfte, und man endigt immer damit, über Böses wie Gutes zu spotten, und sich so für das Dasein des einen, und für die Unmöglichkeit des andern zu trösten. Sie wollen die Rennbahn also nicht wieder betreten? wenn es nun aber darauf ankäme, eine Sophie zu erkauffen, würden Sie nicht eben so schnellfüßig wie Emil sein? Es thut mir auch weiter leid, daß Sie des schlechten Wetters wegen Ihr Botanisiren eingestellt haben, um uns zu schreiben; aber sobald das Wetter besser wird, fangen Sie es ja hübsch wieder an; mir scheint es eine der reitzendsten Beschäftigungen; jugendliche Thätigkeit, gefühlvolle Träumerey, alle ländlichen Empfindungen und Genüsse, entwickeln sich beim botanisiren; tändelnde Lustigkeit wie sanfte Schwermuth finden darinn Nahrung. Gestern durchstreiften wir die hiesigen Stadtgräben, und haben einige Pflanzen gefunden; aber ich bin noch so unwissend, ich habe so wenig Zeit, mir das Verständniß zu öffnen, die Nothwendigkeit, sich in Büchern Raths zu erholen, die ich nicht mit mir schleppen kann, und die ich zu Haus nachzuschlagen keine Muße finde, tritt so oft ein, daß ich die Geduld verlieren würde, wenn die Neigung nicht über alles Mißlingen siegte.

Sailly bei Corbie.

Ich weiß nicht den wievielten im Junius wir haben; alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß es hier zu Lande drei Uhr Nachmittags, den Tag nach einem Feste ist. Ich habe meinen guten Freund am Sonntag gesehen, er verließ mich gestern Abends, ich brachte eine sehr üble Nacht zu, und war heute früh, noch so krank, daß ich Ihnen, ohngeachtet meines gefaßten Vorsatzes, nicht schreiben konnte. Ich gebe Ihnen diese Reihe von Dingen nicht für nothwendige Ursachen und Würkungen, sondern ganz einfach hin, weil sie sich einmal so verhalten. Man hat mir die Briefe, die Sie geschrieben haben, mitgetheilt, weil ihr Empfang mit zu unsern Freuden gehört, und wir keine Freude geniessen können, ohne sie zwischen uns zu theilen. Ich kann Ihnen nichts zum Tausch für Ihre Neuigkeiten anbieten; mit politischen gebe ich mich nicht ab, für Neuigkeiten von einer andern Art bin ich aus dem Zug gekommen, und ich kann nur von den Hunden sprechen, die mich aufwecken, von den Vögeln die mich trösten, weil ich nicht schlafen kann, von den Kirschbäumen vor meinen Fenstern, und den Kühen die im Hofe weiden.

Ich wohne bey einer Frau, mit welcher mich das Bedürfniß zu lieben verband, als ich im eilften Jahre mit einigen vierzig jungen Mädchen, die alle nur darauf dachten, sich die Langeweile der Clausur durch Narrenspossen zu vertreiben, im Kloster war. Ich war fromm, wie Madame Guyon seligen Andenkens, und gewann eine Gespielinn lieb, die auch ein Bischen zum Mysticismus geneigt war; seitdem hat sich, durch eben die Empfindung genährt, welche uns ganz sterblich in den lieben Gott verliebt machte, die gute Freundschaft genährt. Nachdem diese Gespielin in ihre Vaterstadt zurückgekehrt war, verschafte sie mir die Bekanntschaft des Herrn Roland, dem sie Briefe an mich mitgab; urtheilen Sie also selbst, ob alles, was daraus erfolgt ist, mir die Gelegenheit oder zufällige Ursache, die es veranlaßte, nicht immerfort theuer erhalten muß.

Diese Freundin ist nun seit kurzem verheyrathet, und ich habe einigermaaßen zu ihrem Entschluß beygetragen; jezt bin ich auf dem Lande bey ihr zum Besuch, auf dem Lande, wo, wie ich ihr immer rühmte, der eigentliche Wohnplatz reiner Seelen ist. Ich laufe in ihren Besitzungen umher, zähle ihre Hühner, wir pflücken Obst im Garten, und wir finden, daß alles das wohl noch so viel werth ist, als die Würde, mit welcher man um einen Spieltisch sizt, oder die Weitläufigkeit einer Toilette, mit der man sich beschäftiget, um in einer Gesellschaft Langeweile zu haben, oder das Gewäsch, das man dort anhört, oder alles dergleichen. Am Ende aber habe ich doch große Lust, wieder nach Amiens zu gehen, weil ich nur zur Hälfte hier bin; meine Freundin verzeiht mir's; denn da ihr Mann auch abwesend ist, mißt sie was ich entbehre nach ihrer eignen Empfindung, und so süß es uns auch scheint, einander gegenseitig unser Leid zu klagen, so gestehen wir doch ein, daß es eine betrübte Sache ist, aus dem Taubenschlag entfernt, oder allein darinn zu seyn. Ich werde aber doch noch die ganze Woche hier bleiben; ich weiß nicht, ob meine Gesundheit dabey gewinnen wird, wie sich mein guter Freund versprach. Seit drei Tagen habe ich der Arbeit zwar gänzlich entsagt, doch befinde ich mich darum eben nicht wunderbar wohl. Der Freund sah ziemlich munter aus, ich fürchte sein Studierzimmer wie das Feuer, und die Woche, die ich hier bleiben soll, scheint mir eine Ewigkeit, wenn ich an alles Uebel denke, das er sich indeß zuziehen kann. Gestehen Sie doch aber, daß ich recht treuherzig bin, Ihnen ein solches Landgänschens Geschwätz zuzuschicken; ich verlange indessen nicht, daß Sie mir dafür Dank wissen, sondern nur, daß Sie es für ein sehr aufrichtiges, und von aller Eigenliebe freyes Freundschaftsstück aufnehmen. Ich bin schwerfällig, und so lieb mir alles ist, was mich umgiebt, so sehr mich die ländlichen Gegenstände anziehen, und Trotz der Rührung, die der Anblick der einfachen Natur immer hervorbringt, so fühle ich mich doch schläfrig und dumm werden.

Ich habe von allen meinen Spatziergängen Pflanzen mit nach Haus gebracht, verschiedne erkannte ich; andre wurden trocken, ehe Murray sie nur kenntlich gemacht hatte, und die Zeit verfließt ohne mich aufzumuntern. Uebrigens ist das Physische der Weiber so veränderlich, wie die Luft, die sie einathmen; ich schreibe jezt nach dem Antrieb des Augenblicks, hätte ich diesen Brief bis morgen früh anstehen lassen, vielleicht wäre er froh und munter geworden.

Adieu! denken Sie an Ihre guten Freunde; ich vereinige den meinigen in diesem Ausdruck, weil unsre Empfindung nie getrennt ist, und Sie einer von den Gegenständen sind, mit welchen wir sie am liebsten beschäftigen.

Amiens den 29ten Julius.

Es ist mir genug, daß Sie die Waffen strecken; ich verlange nicht, daß Sie sie ausliefern, ich will keine Gesetze empfangen, maaße mir aber eben so wenig an, irgend jemanden welche vorzuschreiben. Ueber die Ansprüche Ihres Geschlechts haben Sie sich nicht geirrt, ja ich gehe noch weiter, und gebe Ihnen zu, daß es Rechte sind; nur ihre Art sie zu vertheidigen war falsch; Sie haben sie auch gegen mich, die ich keines davon anzugreifen gedenke, in keine Gefahr gebracht; Sie haben die Weise vergessen: das ist alles. Die Nachgiebigkeit, die Achtung ihres Geschlechtes gegen das unsrige, was ist sie anders, als die Schonung des edelmüthigen Mächtigen gegen den Schwachen, den er zugleich ehrt und schüzt? Wenn Ihr als Herren sprecht, erweckt Ihr sogleich den Gedanken, daß man Euch widerstehen, und so stark Ihr seyd, vielleicht noch mehr thun kann. Der unverwundbare Achill war es nicht allenthalben. Huldigt Ihr uns, so ist es Alexander, der seine Gefangenen als Königinnen behandelt; sie vergessen deßwegen ihre Abhängigkeit keineswegs. In diesem einzigen Punkt vielleicht hat uns unsre Civilisation mit der Natur in keinen Widerspruch gesezt; die bürgerlichen Einrichtungen erhalten uns unter einer beständigen Vormundschaft, indeß uns der Gebrauch alle kleinen Ehrenbezeigungen in der Gesellschaft zuerkennt: um zu handeln sind wir nichts, zur äussern Ausstellung alles.

Glauben Sie also nicht, daß ich mir über das was wir fordern können, und das was Euch zu verlangen zukömmt, etwas einbilde. Ich glaube, ich will eben nicht sagen mehr wie irgend ein Weib, aber so fest wie irgend ein Mann, an die in jeder Rücksicht bestehende Ueberlegenheit Ihres Geschlechts. Es besizt zuvörderst die Stärke und alles was sich daraus ergiebt, Muth, Beharrlichkeit, große Plane, und große Talente; euch ist es vorbehalten, dem Staate Gesetze zu geben, und Entdeckungen in den Wissenschaften zu machen; regiert die Welt, verändert die Gestalt der Erde, seyd stolz, furchtbar, geschickt, gelehrt; alles dieses seyd Ihr ohne uns, und wegen alles dessen müßt ihr uns beherrschen. Aber ohne uns wäret Ihr weder tugendhaft, noch liebend, noch geliebt, noch glücklich; euch bleibe also Ruhm und Uebermacht jeder Art; wir besitzen, wir verlangen keine Macht, als die der Sitten, keinen Thron ausser in euerm Herzen.Ich habe Göthe's Tasso nicht bey der Hand; aber ich glaube, daß den Leser die Mühe nicht verdrüssen wird, in der Scene zwischen Tasso und der Prinzeßin, welche der Zusammenkunft des ersten mit Antonio vorhergeht, eine Stelle nachzuschlagen, die der Dichter seiner Prinzeßin in den Mund legt, und in welcher für den Inhalt sowohl als selbst für den Ausdruck, eine auffallende und interessante Aehnlichkeit mit mehreren Zügen dieses schönen Briefes wahrzunehmen ist. Die Vergleichung zwischen Natur und Kunst wird in diesem Falle beiden zur höchsten Ehre gereichen; man wird idealischwahre Weiblichkeit, hier kunstmäßig lebendig, dort vom Künstler errathen, aufgefaßt, dargestellt finden.      H. Nie werden meine Forderungen sich weiter versteigen, ich ärgre mich oft, wenn Weiber nach Vorrechten ringen, die ihnen so übel kleiden; alles der Art, bis auf den Authorentitell, mag er noch so wohlfeil erstanden seyn, scheint mir sie nur lächerlich zu machen. Wie wahr auch alles seyn mag, was man in gewisser Rücksicht von ihren Fertigkeiten sagen kann, so müssen sie doch ihre Kenntnisse und ihre Talente nie dem Auge des Publikums blos stellen.

Das Glück eines einzigen, und das Band zwischen vielen durch allen Zauber der Freundschaft, der Wohlanständigkeit machen – ich kenne kein schöneres Loos wie dieses. Keine Klage, kein Krieg mehr; Friede sey zwischen uns. Nur das bedenken Sie, um stolz zu bleiben gegen uns, hüten Sie sich, mit Ihrem Stolz großzuthun. Den kleinen Krieg, mit dem ich Sie zum Zeitvertreib, in freymüthiger Vertraulichkeit heimgesucht habe, würde eine verschlagne Kokette auf eine ganz andre Art gegen Sie führen, bey welcher Sie nicht so leicht davon kämen. Beschützet immer, auf daß Ihr nur nach Wohlgefallen euch unterwerfen möget, das ist euer Geheimniß, Männer! Ich bin wohl ein gutherziges Geschöpf Ihnen dieses und alles übrige, was Sie besser wie ich wissen, zu sagen. Sie haben mich wollen aus der Schule schwatzen lassen; gut, wir heben gegen einander auf. Adieu!

Den 23ten May 1784.

Ich gebe Ihnen einen Auftrag, den Sie wohl für ein gutes Werk erkennen werden, zu welchem Sie beytragen müssen; es kömmt nämlich darauf an, den eingeschloßnen Zettel auf dem Mont de pieteBekanntlich ein Leihaus in Paris     H. vorzuzeigen, die erforderliche kleine Summe zu zahlen, und sich die Effekten ausliefern zu lassen: nachher packen Sie sie zu unserm Ballen mit Büchern und andern Sachen, damit sie ohne weitre Kosten hieher gelangen.

Es ist lustig genug, daß Sie Weiberröcke auf dem Mont de piete einlösen sollen; aber das Lustige beyseite, Sie scheinen mir in einem kritischen Augenblick begriffen, und mit einem lezten Entschluß beschäftigt. Es sind hundert Jahre, daß Sie nicht schreiben; ehe ich dieses siegle, will ich noch nach der Post schicken, um zu erfahren, ob Sie nicht endlich ein Lebenszeichen von sich geben.

Des Freundes Gesundheit geht so so, nicht besonders erfreulich: Fluß an den Zähnen, Rheumatismen, Frösteln, kurz lauter Elend. Eudora ist wohl, ohne doch das glänzende Ansehen vollkommner Gesundheit wieder zu erlangen. Haben Sie neuerdings Nachricht vom Freund Lanthenas erhalten? er ist seit einiger Zeit auf dem Lande. Adieu? wir umarmen Sie.

Den 7ten Junius.

Es ist lange her, lieber Freund, daß ich nicht die Freude hatte mit Ihnen zu schwatzen, aber ich muß so viel arbeiten, und mich so viel ausruhen, daß ich immer schaffe ohne je fertig zu werden. In Crespy fiel die Zeit sehr kurz aus, erst durch die Freundschaft, dann durch die steifen Gesellschaften und durch die Spatziergänge. Unter den leztern war der nach Ermenonville nicht der unintereßanteste; mit Ihnen und den Gegenständen sehr beschäftigt, haben wir dieses Tages genossen, indem wir Sie zu uns wünschten, um Theil daran zu nehmen. Der Ort an sich, das Thal, in welchem Ermenonville liegt, ist äusserst traurig, die Höhen bestehen aus Sand, die Gründe aus Sümpfen, lauter trübes, schwärzliches Wasser, keine Aussicht, keine einzige Oeffnung auf die Felder, auf lachende Gegenden; Wälder, in denen man ganz vergraben ist, niedrige Wiesen, – so sieht die Natur dort aus. Allein die Kunst hat das Wasser geleitet, vertheilt, geteicht, die Wälder gelüftet, durchschnitten, und aus beyden zusammen entsteht nun ein einnehmendes melancholisches Ganzes, mit zierlichen Details und malerischen Partien. Die Pappelinsel, in der Mitte eines unermeßlichen mit Waldung bekränzten Wasserbeckens, ist das angenehmste und anziehendste, in Ermenonville selbst den Gegenstand abgerechnet, der gefühlvolle denkende Menschen dahin zieht. Der Eingang des Gehölzes, die Art wie sich das Schloß darstellt, die Vertheilung der Wasserbehälter demselben gegenüber, das giebt den andern Anblick, der mir besonders auffiel. Mit Vergnügen fand ich hier und da einige Steine mit Innschriften; aber die Ruinen, Gebäude und dgl., die an verschiednen Orten angebracht sind, haben den Fehler, den ich allen Nachahmungen englischer Gärten vorwerfe; es ist alles zu klein, sündigt gegen die Wahrscheinlichkeit, und streift dadurch an das Lächerliche. Kurz Ermenonville hat keine von den auffallenden Schönheiten, die den Reisenden staunen machen; es mag wohl einen Bewohner der Gegend, der es täglich besucht, zu fesseln wissen; hätte es aber Jean Jaques nicht in Ruf gebracht, so zweifle ich, ob jemals ein Reisender darum seinen Umweg genommen hätte. Wir haben das Zimmer des Besitzers besucht, niemand hat es mehr inne; Rousseau wohnte da wahrhaftig nicht gut, es ist ganz vergraben, ohne Luft, ohne Aussicht; wo er jezt ist, hat er es besser, als je bey seinen Lebzeiten. Er war für diese elende Welt nicht gemacht.

Ich könnte Ihnen manches erzählen von allem was ich seit meiner Abreise von Paris, und bey meiner Ankunft hieher empfunden habe. Die arme Eudora hat ihre betrübte Mutter nicht mehr gekannt, ich hatte mir es wohl vorgestellt, und doch weinte ich wie ein Kind; nun geht mir's, sagte ich zu mir selbst, wie den Weibern, die ihre Kinder nicht selbst stillen, ich hätte doch wohl etwas besseres verdient. Nun die süsse Gewohnheit mich immer zu sehen einmal unterbrochen worden, nun ist auch die der Liebe, welche das kleine Geschöpf an mich band, zerrissen, ... ich kann noch immer nicht ohne ein schrecklich gepreßtes Herz daran denken, und doch hat mein Kind seine alte Art zu seyn wieder angenommen, sie liebkost mich wie ehemals, aber ich darf der Empfindung, die ihren Liebkosungen Werth giebt, nicht mehr trauen; ich wollte, sie brauchte noch Muttermilch, und ich hätte ihr noch welche zu geben.

Wir halten Sie so herzlich für unsern Freund; gedenken Sie noch derer, die fern von Ihnen sind? Adieu! ich muß aufhören, wir umarmen Sie.

Den 9ten Julius.

Eben erhalte ich Ihren lieben Brief, die Patente und alles Zubehör; ich sollte Ihnen ohnedem schon schreiben, alle diese Dinge kommen noch zu dem, was ich Ihnen sagen sollte, und ich weiß nicht mehr, bey welchem Ende ich anfangen soll. Der Freund bekömmt so eben Korrekturen, wir haben eine Menge Briefe zu schreiben, und zu beantworten; ich bin erst nach zehn Uhr aufgestanden, weil ich eine schlechte Nacht zubrachte; der gute Bruder Lanthenas kömmt an; Herrn Rolands Nachfolger ist hier, um Anweisungen zu erhalten; wie Sie sehen, haben wir also alle Hände voll zu thun. Da nun aber die Geschäfte vor allem kleinen Geschwätz, es mag noch so allerliebst seyn, den Rang behalten müssen; so habe ich Ihnen zuvörderst zu versichern, daß der Freund nächstens der Akademie, in welche Sie ihn letzthin eingeführt haben, antworten wird; wenn er Ihnen diese Briefe zuschickt, wird er Ihnen zugleich sagen, wo Sie die Exemplare von seinen Schriften hernehmen sollen, welche für diese Gesellschaft bestimmt sind. Ich habe Ihnen einen Auftrag gegeben, ohne von dem Gelde zu sprechen, das dazu gehörte; in wenig Tagen reist jemand von hier ab, der Ihnen Ihren Vorschuß wieder erstatten soll. Noch etwas, das gewiß der Mühe werth ist. Sie haben mich mit Herrn Broussonet bekannt gemacht, und ich erinnre mich vollkommen, was Sie mir von seinem bescheidnen Wissen, seiner Redlichkeit, von dem feinen sanften Wesen, das jeden Gelehrten, dessen Kenntnisse seine Sitten mildern, so sehr bezeichnet, gesagt haben, und ich selbst sah; ich vergesse eben so wenig, daß Sie mir Hoffnung machten, er könnte uns Briefe nach England mitgeben: ich berufe mich also deshalb auf Ihre Freundschaft; auf diese stütze ich mich bey Herrn Broussonet, da ich selbst gar kein persönliches Recht gegen ihn geltend zu machen habe. Uebrigens fordre ich diese Briefe mit einem Zutrauen, das ich nicht hätte haben dürfen, wenn ich mit unsrer Gesellschaft, aber ohne Herrn Roland gereist wäre; denn alsdann hätte ich wohl begriffen, daß von uns allen, mich zu allererst gerechnet, niemand sehr geschickt gewesen wäre, aus den gelehrten Bekanntschaften, bey denen uns Herr Broussonet einführen kann, Nutzen zu ziehen. In einem fortgesetzten Umgang kann man sich zuweilen schmeicheln, die Gelehrsamkeit, selbst für Gelehrte, durch Sanftheit und Geschmack zu ersetzen; wenn man diese Herren aber nur im Vorübergehen besucht, muß man sie in ihrer Münze bezahlen können. Also Sie kennen nun unsern Gewährsmann; weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen, als daß ich Sie bitte, Ihrem Freund tausend schöne Dinge in meinem Namen zu sagen. Wir machen unsre Einrichtungen, die Zeit flieht wie ein Dieb, unsre Zeit auch zu fliehen faßt uns beym Schopf; hundert Geschäfte treiben uns, und ob ich gleich mitten in meinem Hause, und in meiner kleinen Familie bin, mache ich doch gleichsam nur Halte, und bin wie der Jäger am Versammlungsplatz. Ich erfülle mein Amt und Ihren Auftrag. Mein Kuß wird sanft auf die Lippen gegeben, wo das Pläzchen für den Herzensfreund ist, Ihren Kuß gebe ich, wie ich ihn erhalten hätte, auf beide Wangen, aber von ganzem Herzen; alle beide sind mit Gefühl begleitet, darinn gleichen Sie sich, der Ihrige hat die Lebhaftigkeit eifriger Freundschaft, der Meine die Sanftheit einer innigeren Verbindung, das ist der Unterschied, würde das Liedchen sagen: welches alles zu Ihrem nützlichen Unterricht, und Ihrem Begehren gemäß, hiermit gesagt sey. Ich bin auch nicht wie Eudora; die liebe kleine Schwester hat in meinem Sinn und meinem Herzen einen Platz, aus welchem sie kein Mensch vertreiben soll; geben Sie mir Nachricht von ihr, und umarmen Sie sie in meinem Namen.

Freund Lanthenas und der Freund und ich lassen Ihnen so vielerley sagen, daß ich es gar nicht ausdrücken kann; ich bin zum Erwürgen eilig, wie Herr Sage. Adieu mein Freund! wir umarmen Sie alle herzlich.

Den 17ten Junius.

Ich erhielt gestern Ihren rührenden, schwermüthigen Brief, ohne daß es mir möglich war sogleich zu antworten. Mein Schwager kam mit zwei Gefährten bei uns durch; sie haben ihre Reise nach London nicht länger verschieben können, wir werden sie vielleicht noch dort treffen. Mein guter Freund selbst ist mit seinem Nachfolger fort, um einen Theil der Departementsbereisung vorzunehmen! Ich bin mit dem Baccalaureus und einer grossen Wäsche, die in der Provinz ein sehr wichtiges Wirthschaftsgeschäft ist, zu Haus geblieben. Ich glaubte nicht, daß der Freund Sie über die Bestimmung der Exemplare in der geringsten Unwissenheit gelassen hätte; ein vollständiges von allen seinen Schriften ist für die Akademie, nur eines von den Briefen für den Grafen von Salüces, ein drittes, ich glaube von eben den Briefen, für Herrn Lamanon. Ich habe geforscht und gefragt, aber bis jetzt umsonst, ob in unsern Flüssen und Gräben irgendein seltner Fisch ist; die Leute haben hier zu Lande in dieser Rücksicht nur die Kenntnisse ihres Kochs, und ohngeachtet aller Nachforschungen, die ich mir noch vorsetze, darf ich nicht hoffen die Ichtyologie Ihres Freundes zu bereichern; ich hoffe, er wird seine Briefe nicht nach den Nachweisungen abmessen, die wir ihm verschaffen. Dieser Maler und seine Geliebte, die ihre genossenen Freuden in aller Welt Mäuler bringen, dieser Marquis d'Arlandes, der seine Ansprüche und seinen Schmerz auch öffentlich auskramt, der ganze Haufen Leute, die ihr Glück ausrufen müssen, damit man daran glaube, scheinen mir der Liebe unwerth und fern von dem Genuß ihrer Freuden. Gott segne ihnen ihre Weise; ich beneide sie ihnen nicht.

Aber lieber Freund, wo ist Ihre Vernunft, Ihre Philosophie? wie ist es möglich, daß Sie eine Lage, die Ihrer lieben Schwester so viel Mittel anbietet, noch schätzenswerther zu sein, blos von der widerwärtigen Seite ansehen? Wenn sie das Einkommen genießt, daß Sie ihr erhalten zu können hoften, verliert sie ja die Aussicht nicht auf eine anständige Heirath, und kann sie auf eine angenehme Weise warten. Das non ignora mali läßt mich, ich gestehe es Ihnen, in dieser Lage sogar Vortheile finden. Aus diesem Ton würde ich wenigstens mit Ihrer lieben kleinen Schwester davon sprechen, jetzt da die Unruhe des ersten Augenblicks ein wenig vorüber sein muß. Aber ach, das Gefühl seines eignen Verlustes ist ein Uebel, dessen Grösse ein Dritter nie schätzen kann, und der Schmerz läßt sich nicht immer nach seinem Gegenstand abmessen. Denkt, lieben Freunde, denkt derer, die euch lieben, die an allem, was Ihr leidet, Theil nehmen, die es Euch lindern möchten, und Euch in ihrem Herzen tragen.

Adieu! ich muß Sie verlassen, um hier alle die kleinen Geschäfte abzuthun, deren Sklavin ich bin. Ich umarme Sie herzlich. Der Bruder läßt Ihnen tausend herzliche Dinge sagen. Sie werden die Bestimmung des beygeschloßnen Pakets sehen, und es besorgen. Noch einmal Adieu, ohne Sie im Herz und Sinn einen Augenblick zu verlassen.

Den 24ten Junius.

Ja wir lieben Sie noch, wir werden Sie immer lieben, das Zutrauen habe ich; Sie müßten sich wunderbar verändern, wenn es je anders würde, und in Ihrem Wesen ist es nicht, an Werth abzunehmen. Empfangen Sie also, mein Freund diese freymüthigen Versicherungen, deren Sie wohl nicht bedürfen, auf welche ich aber um des Vergnügens willen, sie zu wiederholen, noch einmal zurückkomme. Wir übernehmen ihren Auftrag von ganzer Seele, und wollen ihn auf das beste ausrichten; finden Sie also nur Mittel, mir die Musick zuzuschicken, die Herr Parault nach London befördern will, es wird mich sehr freuen zugleich auch für ihn einen Auftrag auszurichten; bezeugen Sie ihm meine Achtung, bis ich selbst Gelegenheit dazu finde. Sie würden uns einen grossen Gefallen thun, wenn Sie sich erkundigten, und uns benachrichtigten, wie viel, neu und eingebunden, Linnes genera plantarum, und philosophia botanica kosten; wir haben sie gekauft, aber den Preis vergessen; nun sollen wir sie dem Herrn von Eu überlassen, der sie zu besitzen wünscht, und wenn wir durch Paris kommen, wollen wir uns ein anders Exemplar kaufen. Ich habe Ihnen, glaube ich, geschrieben, daß Achates Dienstags abgereist ist; mein guter Freund geht Sonnabends, um seine Bereisung der Küste von Calefis zu vollenden, und nächsten Donnerstag begebe ich mich mit Herrn von Eu auf den Weg. So sind wir, wie Sie sehen, alle mit einem Fusse in der Luft, und hängen nur noch mit einem Faden an Amiens. Aber Eudora bleibt noch dort, und Gott weiß wie lieb mir dieses Amiens seyn wird, so lange es noch dieses kleine Wesen beherbergt. Wie geht es der lieben Schwester? Gesundheit, Stimmung, Wohnung? sagen Sie ihr in meinem Namen alles was Sie sich vorstellen können, und ich nicht ausdrücken kann. Ich umarme Sie herzlich und innig.

Den 28ten Junius.

Nun, sollte man nicht denken, Sie wollten verreisen, mit Ihrer Verkündigung, daß man Ihnen bis zu Ihrer Rückkehr nicht schreiben soll? hätte ich Zeit, so wollte ich Sie wohl auf andre Gedanken bringen; unglücklicher Weise ist es aber auch das letztemal, daß ich Ihnen vor der Abreise schreibe; ich arbeite immer etwas vor; die Stunden entfliehen, der Augenblick der Abfahrt naht, und dann Holla! – Guten Tag, guten Tag! Ich habe schon verschiedne Briefe von Achates, der widrige Wind hat ihn in Boulogne aufgehalten, und er konnte sich erst gestern dort einschiffen. Ich werde Ihnen die berühmte Dissertation eines zwanzigjährigen Mädchens über den Geist nicht schicken, ich müßte sie unter Staub und alten Papieren suchen; dazu habe ich nicht Zeit; wenn ich aber hier weggehe, verspreche ich Ihnen einige Fetzen zu dem übrigen Papierkram zu packen, die Sie denn, wenn Ihnen die Lust noch nicht vergangen ist, bey meiner Durchreise in Paris sehen sollen. Das ist alles, was ich, um Wort zu halten, thun kann. Da ich aber sehe, daß es gar kein Spaß ist, Ihnen etwas zu versprechen, so verbinde ich mich zu nichts für das Journal; ich will lieber, daß Sie mir meine Gefälligkeit Dank wissen, wenn ich so bescheiden bin, Ihnen mein Geschmier zu zeigen: das ist, denke ich, ganz klar. Man ruft mich, ich bin eilig, ich umarme Sie, wie es sich gebührt, auf beide Wangen.

Den 7ten August.

Gemach! Sie haben eine gewaltig lebhafte Einbildungskraft, und folgren fürchterliche Dinge; Sie setzen sich nicht an den Platz von Reisenden, die blos ankommen, nur wieder abzureisen, tausenderley Wirrwarr um sich zu haben, in der Eile nur ein paar Worte schreiben, wo ihr Herz ihnen tausend Dinge eingäbe. Wir hatten beschlossen, daß ich Ihnen Morgen früh schreiben sollte, denn die Nachmittage sind zum Packen bestimmt, Sie errathen sicherlich nicht, warum ich jetzt die Feder genommen habe, am Ende meines Briefes sollen Sie es erfahren. Jetzt will ich Sie von Ihren Aufträgen unterhalten. Dollond, der berühmteste Londoner Opticker spricht sein Französisch ebenso schlecht wie ich mein Englisch, wir sind aber mit Herrn Dezach bey ihm gewesen, ich habe ihm Ihre Willensmeinung nicht nur erklärt, sondern ich habe ihm auch Ihre eignen Ausdrücke über den Diameter mitgetheilt, wie auch über den Brennpunkt und das Maas, in welchem das Glas vergrössern soll. Dolland hat gesagt, daß es sehr schwer sey, diese Proportion mit der Würkung, die Sie forderten, zu vereinen, daß er nichts dergleichen fertig habe, es eher nach besten Kräften machen wolle; es war das Werk mehrerer Tage, nach diesen brachte er uns Ihr Glas, als die Frucht seiner Arbeit, zu welcher wir ihm die verlangten Bedingnisse, in englischer Sprache geschrieben, zurück gelassen hatten. Ich erzähle Ihnen diese kleinen Umstände, nicht etwa um Ihnen zu beweisen, daß ich mir alle Mühe gegeben habe, denn daran zweifeln Sie nicht, sondern um Sie über die Bewandtniß der Sache, durch die Schwierigkeit, sie anders zu machen, zufrieden zu stellen.

Dagegen will ich Ihnen aber auch zu Ihrer Aufrichtung erzählen, daß uns Eudora bey unsrer Rückkehr erkannt hat, ob man sie gleich eben zum Schlaf niedergelegt hatte, und wir ihr wie ein Traum erschienen, sie umarmte mich mit einem gewissen Ernst, der mit Zärtlichkeit vermischt war, wie sie nachher ihren Vater erblickte, that sie einen kleinen Schrei des Erstaunens und der Freude. Sie hat sich während unsrer Abwesenheit bewundernswürdig, ohne den mindesten Anstoß befunden. Am folgenden Morgen fiel sie in vollem Laufe auf der Treppe hin und rollte die Treppe herab, so daß ich sie für todt hielt, und schier es selbst war; am Ende fand es sich aber, daß ihr gar nichts fehlte, und ich mit meiner Furcht davon kam. Der Freund indessen, dem die Reise so gut gethan hatte, war bey seiner Rückkehr sehr ermüdet, und von einem unseligen Geschwüre gequält, das mich sehr betrübte, morgen gebe ich ihm die Tisanne nach der alten Anweisung zum Abführen ein. Ich kann an den, der sie vorschrieb, an die Notwendigkeit, wieder seine Zuflucht zu ihr zu nehmen, an den Freund, an Sie, an alle Umstände, die dieses erneut, nicht ohne tiefe Rührung denken. Andre würden es Ihnen vielleicht verschweigen, um Sie nicht selbst zu rühren; ich fühle aber zu sehr, wie ich an allem, was meine Freunde betrift, Theil nehme, um Ihnen nicht wiederum alles, was mich angeht, mitzutheilen, besonders in Dingen, die fast gegenseitig werden. Um auf etwas anders zu kommen, und einen Kontrast zu machen, will ich Ihnen erzählen, daß wie wir eben im besten kramen, packen u. s. w. waren, ein Chevalier angestiegen kam, der mich zu sprechen verlangte; er wollte das Haus besehen, und nach militärischer Weise bey dieser Gelegenheit mit der Hausfrau reden. Im Grunde ists ein guter Kauz, aber seine Komplimente, und alle die Albernheiten, welche diese Leute Galanterie nennen, machten mich so ungedultig, daß ich, um seiner los zu werden, an Sie zu schreiben anfieng, und ihn dem Freund überließ, der mit so einem Schwätzer nicht so bald fertig werden wird. Nun, in einer ordentlichen Wirthschaft muß ein jeder sein Theil an der Last tragen: diese überlasse ich dem Stärksten. Mir fällt dabey eine englische Komödie ein, die ich in London spielen sah; es kam ein französischer Stutzer darinn vor, der alle Zuschauer, und uns zu allererst sehr zu lachen machte. Ich erzähle Ihnen nichts von meiner Reise, mit der ich sehr zufrieden bin; wir schwatzen bald mündlich davon, das ist noch einmal so viel werth. Sie können leicht denken, wie wir unsre Zeit angewandt haben; ich habe im Fluge manches aufgezeichnet, und werde immer mit besondrer Theilnehmung eines Landes gedenken, von dessen Verfassung, die ich durch Delolme schon kennen gelernt und liebgewonnen hatte, ich nun die glücklichen Würkungen gesehen habe. Man muß die Dummköpfe schreien, und die Sklaven singen lassen; aber glauben Sie mir, es giebt in England Menschen, die das Recht haben über uns zu lachen; ich will Ihnen allerley von Lavater erzählen, mit dem Herr Dezach eine Zeitlang gelebt hat.

Nun sind wir wieder unter einem Himmelsstrich mit Ihnen, und lieben Sie wie immer! wie es sich zwischen Freunden ziemt, deren Motto Sie kennen: nahe und ferne, Sommers und Winters.

Den 13ten August.

Sie hätten würklich unrecht gehabt, sich einzubilden, daß mir mein Tagebuch zu wichtig schien, um es Ihnen mitzutheilen; da Sie dem Dinge nur aus Freundschaft irgend einen Werth beylegen können, steht es Ihnen sehr zu Dienst; da es aber auch nur einen Freund interessieren kann, so behalten Sie es hübsch für sich, und ich schicke es Ihnen mit nächster Gelegenheit zu. Ich habe gedacht, es müsse Ihnen würklich Vergnügen machen, die Bemerkungen auf einer Reise, die mein guter Freund im Jahr 1771, in dasselbe Land that, beygelegt zu finden; sie wurden bey seiner Rückkehr currente calamo aufgezeichnet. Ich machte seine Bekanntschaft 1775, und kurz darauf theilte er mir diese Reisebeschreibung, verschiedne andre, und einige Manuscripte mit; während ich sie las, und er Italien durchreiste, schrieb ich den grossen einzelnen Bogen, den Sie finden werden, und den, was ziemlich sonderbar ist, er selbst noch nicht gelesen hat. Sie werden denken, die junge Einsiedlerin, die den Ehrenmann in seinen Schriften studierte, hätte angefangen ihn eben nicht zu hassen, und darinn irren Sie auch nicht. Aber lustig kann es Ihnen scheinen, der erste zu seyn, der nach so langer Zeit ein Urtheil liest, das ich im Jahr 1777 über seine Person fällte.

Zu eben der Zeit las ich ein Buch von Delolme über die englische Konstitution; wenn ich den Auszug, den ich damals daraus machte, finden könnte, schicke ich ihn mit. Uebrigens hat der Verfasser eben eine neue Ausgabe besorgt, die ich in London gesehen habe; und die ich Ihnen rathe sich anzuschaffen, es ist das beste, was nach dem Urtheil der Engländer selbst über ihre Verfassung geschrieben ist.

Den 25ten August.

Das eine Knie auf einem Stul, den andern Fuß auf dem Boden, die Arme auf eine Ecke des Schreibtisches gestützt, der nicht mehr mein gehört, will ich Ihnen, lieber Freund, noch ein Wort von hier schreiben. Ich verlasse diese Stadt gewiß auf lange Zeit, vielleicht auf immer; es ist mir süß, alle Epochen meines Lebens durch eine der Freundschaft eigne bestimmte Weise zu bezeichnen. Empfangen Sie nochmals die Zusage, die ich Ihnen so oft an dieser Stätte that, und die ich allenthalben, wo ich mich befinden mag, wiederholen werde.

Wir sind reisefertig, der Wagen ist gepackt, man hat ihn zu Herren von Eu gebracht, wo wir zu Mittag essen, und einsteigen wollen. Ich entferne mich etwas von Ihnen, aber um Ihnen näher zu kommen, und Sie bald zu umarmen.

Ich thue es schon jetzt im Geiste, bis es mir bald viva voce vergönnt ist. Adieu, in der Hofnung uns bald wieder vereint zu sehen.

Donnerstag früh den 23ten September.

Sie haben mich durchdrungen, vernichtet zurückgelassen. In dem Augenblick, wo ein so weiter Raum uns trennen wird, wo wir vielleicht auf lange von einander scheiden sollen, wo ich mit zermalmten Herzen, aber mit voller Innigkeit die Hände meiner Tochter, meines Freundes und die Ihrigen vereinigt hielt, das Bündniß der heiligen Freundschaft wiederholte dieses Bündnis, das um so feyerlicher war, als eine Stille, die keines von uns unterbrechen wollte, es begleitete – In diesem Augenblick reissen Sie sich los, und entfliehen! – Ich blieb unbeweglich auf meinem Stuhl, mein Kind in meinen Armen, die strömenden Augen starr auf die Thüre geheftet, durch welche Sie verschwanden. In welchem Zustand mögen Sie seyn!

Ihr Bild folgt uns hieher, es wird uns überall nachfolgen; und von dem Schmerz durchdrungen, in den wir Sie versunken sahen, weist unsre Seele die Freuden zurück, die uns umgeben, bis wir die Versicherung haben, daß Sie an Ihre Freunde glauben, daß Sie sie noch lieben, daß Sie Ihrer Treue gewiß sind, mit einem Worte, bis das sanfte Zutrauen, die schönen Tage unsrer Freundschaft wieder herbeyführt. Junger gefühlvoller Freund, wolltest du Menschen die dich lieben dafür strafen, eine Schonung für dich gehabt zu haben, die sie deinem zarten Gefühl schuldig zu seyn glaubten? Sagen Sie selbst, befragen Sie Ihre eigne Seele, beurtheilen Sie nach dieser die unsrige, und entscheiden Sie, ob wir anders seyn können, als wir Ihnen zuschwören zu seyn. Leben Sie wieder auf im Schoos des Zutrauens; es ist für Ihr redliches Herz gemacht; und daß Ihr Gefühl Sie verleitete uns zu beleidigen, weil Sie sich für beleidigt hielten, ist ein Irrthum, der aus dem Uebermaaß dieses Gefühls floß. Schreiben Sie uns mein Freund, vertrauen Sie uns noch, empfangen Sie unsre Umarmung, und lassen Sie uns auf immer den Schwur einer ewigen Freundschaft erneuern.

Mein Herz ist voll, die Zeit treibt mich, man umringt mich. Kommen Sie also Sonntags hieher. Die geforderte Uebersetzung folgt hiebey. Der Freund Lanthenas und mein Freund umarmen Sie.

Von Clos la Platiere, den 3ten Oktober.

Was ist denn aus Ihnen in Rücksicht auf uns geworden, mein Freund? auf uns, die wir fortfahren die aufrichtigste Zuneigung, die wahrste Achtung, die zärtlichste Freundschaft für Sie zu hegen? Ich habe Ihnen aus Longpont geschrieben, der Freund Lanthenas wird Ihnen den Ausdruck unsrer Empfindung wiederholt haben; ich gestehe Ihnen, daß wir uns schmeichelten, hier Nachricht von Ihnen zu finden, oder bey unsrer Ankunft welche zu erhalten, denn wir haben Ihnen noch von Dijon aus geschrieben. Ihr trauriges Stillschweigen beugt uns, wie Ihre Thränen uns zerrissen. Unbarmherziger Mensch! welche Leiden verursacht uns allen Ihre Einbildungskraft; warum verschliessen Sie Ihre Seele der Wahrheit, dem Zutrauen der alten Freundschaft? Sie mögen ihr mit allem Blendwerk, dem Sie sich überlassen haben, noch so sehr widerstreben, Sie müssen endlich zu der Offenheit, zu der Ergebenheit zurückkehren, mit welcher wir Sie lieben. Ich müßte mich an allem in der Welt irren, oder Ihr Selbstbetrug kann nicht lange gegen die Treuherzigkeit und Lebhaftigkeit des Gefühls bestehn, die wir in unsrer Verbindung herrschen lassen. Blicken Sie auf, mein Freund, erkennen Sie redliche Menschen, die Sie lieben, die immer nur neue Ursache hatten, Sie noch mehr zu lieben, die nichts auf der Welt wünschen als die Rückkehr Ihrer Freundschaft. Wir sind ohne allen übeln Zufall, aber sehr müde, angelangt; der Bruder war zu unserm Empfang in die Stadt gekommen, und sogleich haben wir unser Koffer geöffnet, und neue Bündel gemacht, um auf das Land zu gehen, wo wir jetzt sind. Bis Sie ein Lebenszeichen von sich gegeben haben, habe ich nicht Muth von irgend etwas, das mich beträfe, zu sprechen. Der Freund hat Ihnen geschrieben, daß wir Herrn Maret, Herrn von Morvaux, Herrn Dürande sahen, daß wir Ihre Häute gekauft und mitgebracht haben, und im Falle wir keine Gelegenheit finden, nur auf Ihre Anweisung warten um sie Ihnen zuzuschicken. Der Brief, den wir in Dijon schrieben, wurde in Braune auf die Post gegeben, weil wir sehr früh abreisten, und nicht Lust hatten, ihn im Wirthshaus zu lassen. Morgen geht der Freund nach Villefranche, um diesen selbst zu bestellen; findet er nichts von Ihnen, so mache ich Ihnen ernsthafte Vorwürfe. Geben Sie dem Freund Lanthenas Nachricht von uns; sagen Sie ihm, wir erwarteten ihn festen Fusses, um ihn in unsre Arme zu schliessen; er hat gewiß meine Agathe besucht, ist in Vincennes gewesen u. s. w. Ich will ihm für alle seine Mühe danken, wenn er sich auch noch die gegeben haben wird, zu uns zu reisen. Tausend herzliches, höfliches, eifriges an Herrn Parault.

Adieu lieber Freund, könnte es Ihnen wohl gleichgültig seyn, oft von uns zu hören, daß wir Sie lieben? Ich umarme die liebe Schwester auf das zärtlichste.

Villefranche den 7ten November.

Endlich lassen Sie von sich hören, mein guter Freund, wir empfangen mit allem dem Eifer wie ehemals, warum geben Sie nicht so froh und freundschaftlich? wir bleiben uns gleich, und vielleicht werden Sie einst sagen, daß Menschen, die nur eine gewöhnliche Anhänglichkeit für Sie hätten, sich nicht so eifrig und so beharrlich bemüht hätten, Sie eines andern zu überreden: welcher andre Trieb, als der des Herzens, könnte ein solches Betragen wohl eingeben? Sie werden es fühlen, Ihre Seele wird sich wieder dem Zutrauen öffnen, und Sie werden uns durch eine desto grössere Innigkeit in diesem Zutrauen für die Unterbrechung entschädigen, welche die traurige Wolke die Sie umhüllt, in der Dauer desselben hervorgebracht hat. Ich bin fest davon überzeugt, weil das Gefühl unserer Rechte auf Ihre Freundschaft von der unsrigen unzertrennlich ist, und die gewisse Ueberzeugung, Sie zur Wahrheit zurückzuführen, nach sich zieht. Ich erwähne dieses zum letzten male; ich werde unsern Briefwechsel in dem Ton fortsetzen, den wir keine Ursache haben abzuändern, und Sie werden erfahren, daß wir statt uns von unsern kranken Freunden zu entfernen, alsdann vielmehr um so treuer und eifriger an ihnen hängen.

Mein guter Freund reist so eben ab, um die Gebürge seines Departements zu besuchen; von da soll er auf eine kleine Zeit nach Lyon gehen, ich bleibe zehn, vielleicht vierzehn Tage allein. Wir sind von Arbeitern umgeben, meine Zimmer sind zwar fast fertig, aber es bleibt noch vieles im Kabinet des Inspecktors zu thun. Plagen dieser Art stehen uns noch lange bevor; denn wir bauen auf dem Lande, und ich fürchte, die Aufsicht über die Handwerker wird uns wohl abhalten, diesen Sommer auf dem Berg Pila zu botanisiren. Der Freund Lanthenas, der uns den dritten dieses Monats verließ, wird Sie zuweilen von uns unterhalten haben; er kann lange schwatzen, wenn er Ihnen alles sagt, was wir ihm an Sie aufgetragen haben. Meine kleine Eudora, die mehr wie jemals schwatzt, und sich, wie ich mit viel Wohlgefallen bemerke, immer besser mit mir gefällt, ja auch gar nicht mehr verlassen will, hat mich diese Nacht gerufen, um Ihren Namen zu nennen, und zu fragen, wo Sie wären, und ob Sie uns nicht besuchen wollten. Sie hat spielend schon einen Theil des Alphabets gelernt, ich kann kein Buch in die Hand nehmen, ohne daß Sie nicht hinein gucken wollte. Ich habe seit meiner Ankunft wenig Masse gehabt, denn wie Sie wissen, ist es hier Sitte, die Ankommenden zu besuchen; ich hätte schon die ganze Stadt im Hause gehabt, wenn nicht einige Leute noch auf dem Lande wären, was denn wieder die Besuche in die Länge zieht. Meine Schwiegermutter hat übrigens beständig Leute bey sich; so wie man aber die Karten zur Hand nimmt, stehle ich mich in das Kabinet meines vortreflichen Bruders; dort liest man Journale oder andere Dinge, schwatzt von Litteratur oder Einrichtungen, ruht auf gegenseitigem Zutrauen, und das Abendessen kömmt immer zu früh. Ich möchte gern den Unterricht in der Harmonie und im Klavier von Bemetrieder, in Quart, von Ihnen haben: es ist das nämliche Buch, von welchem Sie schon einmal ein Exemplar für eine meiner Freundinnen gekauft haben; aber es hat keine Eile, denn ich habe kein Klavier, und das ist schwerer zu erhalten wie jenes Buch; mein Freund hat noch andre Dinge, von denen er nach seiner Rückkehr mit Ihnen sprechen wird. Wir haben das Land in dem Augenblick verlassen, wo vorzeitiger Schnee es entstellte; hätte es aber unsre Einrichtung nicht durchaus erfordert, so wären wir doch nicht so schnell in die Stadt gezogen. Die Nachricht vom Krieg thut mir leid, denn ich sehe diese Mißhelligkeiten der Könige immer als die Geissel der Völker an; er thut mir noch weher, weil er Sie besonders beunruhigt. Geben Sie uns Nachricht von dem was die Wissenschaften, die Schriftsteller, die Akademien, und Kabalen neues darbieten; vor allem hätte ich Rechenschaft von Ihren Beschäftigungen, Ihren gegenwärtigen Studien gefordert, wenn ich nicht aus Ihrer Art, sich darüber auszudrücken, abnehmen müßte, daß ich den Augenblick abwarten muß, wo es Ihnen angenehm seyn wird, uns damit zu unterhalten. Tausend Dinge an Herrn Parault, den Sie ohne Zweifel das Vergnügen haben zuweilen zu sehen. Es ist schon lange her, daß wir auf Nachrichten von Amiens warten, und daß uns das Schicksal eines gewissen Pakets durch das Stillschweigen eines Menschen, unter andern, den dessen Inhalt nahe angieng, und dem es Herr von Eu hat zustellen sollen, beynahe zweifelhaft wird.

Adieu, vergessen Sie die nicht, die Sie lieben, und Ihnen auf immer ergeben sind; ich umarme Sie im Namen der kleinen Wirthschaft.

Den 21ten November.

In einem Paket, das uns Freund Lanthenas zuschickt, finde ich beyliegenden Brief an Sie. Ich ergreife mit Freude diese Gelegenheit, Ihnen ein paar Worte zu schreiben. So eifrig ich überhaupt dazu bereit bin, so hält mich noch oft die Furcht ab, Ihnen lästig zu seyn! Wie schmerzt mich der Gedanke! Sie begreifen nicht in welchem Grade; aber ich bin nun einmal zu freundschaftlich für Sie gesinnt, um Sie Ihrem heillosen Vorurtheil zu überlassen, oder um es auf eine Art zu bekämpfen, die Ihnen zur Last fallen könnte. Verzeihen Sie diesen Ausdruck von Verdruß den Eindrücken ähnlicher Art, die ich in diesem Augenblick nicht abwehren kann. Ich wollte Ihnen nichts dergleichen mehr sagen, aber meine Seele zeigt sich wider meinen Willen. Der Brief von der lieben Schwester hat mich tief gerührt, ich will unverzüglich darauf antworten, ich erhielt ihn ganz einzeln, mit einer Adresse von Ihrer Hand, ohne ein Wort weiter. Wo sind Sie, mein Freund? Noch einmal, verzeihen Sie, daß ich wieder darauf komme, ich sehe Ihrer Empfindlichkeit alles nach, entschuldigen Sie auch einige Ausdrücke der meinen. Ich bin noch Wittwe, mein Freund kam aus den Bergen zurück, und reiste nach Lyon ab, mein Schwager ist auf dem Land um Steinschneider, Pionniers, u. dgl. anzuführen. Meine theure Eudora ist zum erstenmal in ihrem Leben sehr schnupfig, ihr Husten geht mir durchs Herz, beunruhigt mich, und spannt mich auf die Folter, die arme Kleine erinnert sich Ihrer wohl, aber weniger, daß Sie mit ihr spielten, als Ihres Zustandes bey Ihrer Abreise. Mama, sagte sie diesen Morgen mit ihrer kleinen Stimme, die schon Gefühl anzeigt: Herr d'Antic weint sehr! sie brachte auch mir eine Thräne ins Auge.

Meine Gesundheit ist nicht die vortreflichste. Ich beobachtete, mit Verbesserungen nach meiner Einsicht, eine Vorschrift die ich aus Paris mit brachte. Wenn ich mir vorstelle, daß dieses Papier und ein gegebner und empfangner Besuch wegen eines Menschen, von dem ich seitdem nicht mehr reden höre, wenn ich mir vorstelle, daß dieses der Grund ist, auf den Ihre Freundschaft, ich weiß nicht welche ungeheure Chimäre gebaut hat, so sage ich mir, daß Sie entweder sehr thörig sind, oder ich sehr dumm seyn muß, nichts von dem allen zu verstehen; oder vielmehr, ich weiß nicht was ich denken, noch thun, noch sagen soll.

Hören Sie, lieber Freund; wir kommen immer wieder in das alte Gewäsch hinein, wenn Sie nicht wieder vernünftig werden, ich verspreche Ihnen indessen doch, nicht mehr davon zu reden, vor allem aber Sie immer zu lieben; das weiß, das verstehe ich am besten, das thue ich am liebsten. Ich gebe Ihnen eine derbe Ohrfeige, und umarme Sie herzlich und aufrichtig, das ist heute bey der gemischten Laune, die ich an mir merkte, nöthig. Adieu, ich bin hungrig danach, einen Brief wie ehemals von Ihnen zu haben; verbrennen Sie diesen hier, und lassen Sie uns gar nicht mehr von unsern Albernheiten reden.

Den 15ten December.

Ich habe es doch lieber, daß Sie uns das Böse, was Sie von uns denken, anvertrauen, als blos das Recht zu haben, wohl zu erwarten, daß Sie gutes denken, aber ohne die Versicherung davon von Ihnen selbst zu erhalten. Wählen Sie uns wenigstens zu dem Vertrauen Ihrer Meynungen und Gefühle über alles was uns angeht; wir können uns auf das was wir sind hinlänglich verlassen, um Ihnen nichts, wofür sie uns halten mögen, zum Verbrechen auszulegen. Zerreissen Sie keinen Brief, den Sie mir im Ausbruch des Gefühls geschrieben haben; alles was von Ihnen kömmt, ist mir noch lieb und werth wie ehemals. Ihre Täuschung ist die Würkung eines zu zarten Gefühls, das Sie uns noch lieber macht; und die Ursache reichte hin, eine Menge Ungerechtigkeiten zu vergüten. Seit ich im engsten Vertrauen mit dem Freund Lanthenas von den Ursachen, warum Sie sich über den mehrerwähnten Menschen beklagen, gesprochen habe, verstehe ich Ihren Zustand besser, aber in Rücksicht auf uns sind Ihre Ideen nicht weniger falsch. Ich werde Zeitlebens diese übelbedachte Schonung beweinen, die das Glück eines Verhältnisses störte, das ich für unwandelbar hielt. Aber nein, es wird über dieses Hinderniß siegen; und muß ein augenblickliches Stillschweigen, das doch von unsrer Seite so edle Ursachen hatte, in Ihren Augen als ein so grausames Unrecht erscheinen, so können Sie sich doch nicht erwehren, es Freunden zu verzeihen, zu vergessen, denen die Sache so weh thut, daß sie wohl dieses Opfer verdienen. Eines Tages werden Sie uns darum noch mehr lieben, weil wir diese Wildheit Ihrer liebenden ungestümen Jugend beurtheilen, schätzen, vertragen konnten. O mein Freund, unsre Thränen stimmen in die Ihrigen. Ist es nicht sonderbar, daß uns, einig und verbunden wie wir sind, noch so viel zu wünschen bleibt? In Erwartung des Glücklichen, nothwendigen Wechsels, auf den ich rechne, lassen Sie mich Eudora's Freund in Ihnen bewahren, und pflegen. Sie lassen ihr das Vergehen ihrer Eltern nicht entgelten, und mein Herz weiß Ihnen für die Ausnahme Dank, die Sie Trotz Ihres Irrthums noch zu machen wissen. Der Freund meines Kindes hat manches Recht an meine Zärtlichkeit, von ihr spreche ich Ihnen um Ihrentwillen vor, und von uns um der guten Kleinen willen; Sie sollen mich so aufrichtig, ergeben, vertrauend wie möglich finden. Dieses liebe Kind hat mit Hülfe zweier Abführungen alle Blüthe der Gesundheit wiedererlangt; ist es aber nicht traurig, daß wir dieses heilsame Gift so früh anwenden mußten? Das ist nun die Würkung der Gesellschaft, die Würkung des städtischen, stillsitzenden Lebens! Ihre kleine Seele entwickelt sich täglich mehr, und ich wette fast darauf, daß ihrem Herzen die sanften und tugendhaften Gefühle nicht fremd seyn werden.

Wenn Sie wüßten, wie verdrüßlich ich bin, daß ich mir eine Gelegenheit habe entschlüpfen lassen, ich glaube Sie würden mich beklagen! Ein Freund, den wir in Rom hatten, war auf seiner Reise nach Paris, wo er sich nieder lassen will, auf vier und zwanzig Stunden bey mir; ich hätte ihm Ihre Häute mitgeben sollen, aber seine Reisegefährten holten ihn weit geschwinder ab, wie er gerechnet hatte, denn er war gesonnen gewesen, wenigstens zwey Tage bey uns zu bleiben; der Auftrag wurde vergessen, und ich verwünschte meine Gedankenlosigkeit, eine Viertelstunde nachdem die Postkutsche abgefahren war. Wenn Sie eine andre Gelegenheit wüßten, würden Sie mir sie wohl angeben; aber ich kann Ihnen meinen Zorn nicht beschreiben. Wir haben von Ihnen, von Lavater, von tausend interessanten Gegenständen gesprochen; Herr le Monnier, der, glaube ich, bey Herrn Vincent absteigen wird, ist ganz voll von seinem Italien, das er zum zweytenmale besucht hat; es ist ein Mann von sanften angenehmen Sitten, er kennt Herrn Rome de l'Isle, und es geht ihm wie allen, die diesen herrlichen Mann kennen, er liebt ihn von ganzem Herzen: die Kinder der Kunst sind natürlich mit den Kindern der Wissenschaften verbunden.

Ich habe oft Nachricht vom Freund Lanthenas, ohne deßwegen von seinen Projekten besser wie Sie unterrichtet zu seyn; vielleicht weiß er selbst eben so wenig davon, er hängt gar zu unzertrennlich von den Umständen ab.

Ich erkenne die Mühe, die Sie sich gegeben haben, um mir sichre Nachricht von Agathen zu verschaffen; aber danken kann ich Ihnen nicht, weil ich alles, was Sie thun, auf Rechnung der Freundschaft schreibe: das Herz merkt es sich, der Mund erwähnt es nie. Mein Freund ist noch in Lyon, er kam zu Pferde dort an, und blieb wo hangen, und verwundete sich das Bein; es ist nun vorbey, er rennt und arbeitet unbändig. Meine Gesundheit ist im vollsten Sinne des Worts erbärmlich gewesen; allein seit acht Tagen erhole ich mich wunderbar, und glaube mich aus aller Gefahr. Tausend Liebes an die Schwester; alles was Ihnen gehört, wird mir werth, zahlen Sie meiner Tochter meine Liebe ab, wenn Sie mir sie nicht erstatten können: so werde ich mich nur halb und ganz leise beklagen. Adieu mein guter Freund; schweifen Sie umher, sehen Sie die Welt; mögen Sie Wesen finden, die Sie zu schätzen und zu lieben wissen wie wir!

Ich habe seit einer Ewigkeit nicht nach Amiens geschrieben; noch immer Besuche, Arbeit, Lumpereyen, dann die verführerische Erholung, die mir die sanfte Vertraulichkeit des Umgangs mit dem Bruder gewährt. Die Zeit entflieht, und es werden tausend Dinge vernachläßigt; doch unter diesen werden Sie niemals seyn.

Den 20ten December.

Nun, was wird aus unserm guten Freunde? Gesundheit, Geschäfte, Bekanntschaften, Arbeiten: ist alles wie Sie es wollen; wie ich es Ihnen wünsche, und wie wir es Ihnen, soviel wenigstens die Freundschaft anlangt, mit verschaffen würden, wenn Sie unsre Herzen kennten? aber warum ziehe ich das noch in Zweifel? wir wollen davon schweigen, und mit Zutrauen zu Werke gehen.

Ich erhalte aus Lyon die eingeschloßne Quittung, um sie nach Paris zu schicken, ich will niemanden wie Sie wählen, weil wir niemanden so gern einen Dienst verdanken; ich bitte Sie, sich die Summe auszahlen zu lassen, und einen Wechsel von gleichem Wert auf Lyon oder Villefranche zu suchen. Wahrscheinlich finden Sie leichter einen auf Lyon, und was vielleicht noch besser seyn kann, als bey den Kaufleuten nachzufragen, das wäre bey den Generalpachtern oder in den Postämtern eine Rescription für einen der Einnehmer in Lyon zu bekommen.

Eudora befindet sich sehr wohl. Sie ist wieder so herzlich lustig und stark wie jemals, und ihr kleiner Verstand macht einige Fortschritte. Ich bin auch gesünder, und erwarte meinen guten Freund. Wir wissen hier nichts neues, als die Gährung, welche in Lyon wegen der Wahl eines neuen Prevôt des marchands herrscht, und alle Kabalen und Intriguen, die in diesen Fällen gewöhnlich sind. Die Kälte ist schrecklich, in den Bergen kann man gar nicht fort, und anderwärts sind die Wege erbärmlich.

Der Freund ist jezt von der Lyoner Akademie; die hiesige hat ihn, wie Sie leicht denken können, unter ihre Ehrenmitglieder aufgenommen. Das Kabinet ist noch nicht in Ordnung; es ist ein Jammer, in einer so strengen Jahrszeit auch nur das mindeste vorzunehmen. Es ist schon eine Weile her, daß ich keine Briefe von Freund Lanthenas hatte, er ist wieder bey seinem Vater, und einige Geschäfte setzen ihn in seinem Briefwechsel zurück; es that ihm um Ihrentwillen leid, und er trug mir auf, Ihnen zu sagen, daß er sich bey der nächsten Gelegenheit dafür entschädigen würde.

Tausend liebes, herzliches an die liebe Schwester, und den braven Herrn Parault. Der Schäfer Silvain ist für seine aus der Sündfluth gerettete Arbeit sehr mißhandelt worden; die Annexé litteraire hat ihn grob gestriegelt: es ist eine Schande für die Kritik, sich gegen ein paar arme Feldblümchen so mit Jovis Donner zu waffnen. Was sagen und thun Ihre Gelehrten? Wer ist in der Akademie der Wissenschaften vorgeschoben worden? und ist Herr Broussonnet noch immer vor der Thüre? adieu, Freund; lassen Sie uns unter dem Schutz der offnen zärtlichen Freundschaft dieses Jahr enden, und das nächste anfangen. Ich erneuere Ihnen das Gefühl, das ich Ihnen weihte, in aller Aufrichtigkeit und Ergiessung des Herzens.

Den 9ten Februar 1785.

Sie sehen, daß ich Ihnen, wenn gleich nicht selbst, doch durch einen Dritten, die Münze für Ihr Geld herausgebe, und Ihnen auch etwas ComtesseDa der Herausgeber diese Art von Anspielungen unerklärt gelassen hat, so müssen sie auch in der Uebersetzung, (wenn sie übersezt werden können, was natürlicher Weise nicht immer der Fall ist,) unverständlich bleiben. Eine Sammlung wie die gegenwärtige dient dazu, mehr Züge eines interessanten Karakters in's Licht zu stellen: dafür kann man wohl hie und da so ein kleines Räthsel vertrauter Freundschaft unaufgelöst hinnehmen.     H. sende. Mich dünkt, Sie Lavaterisiren mächtig mit ihr, und Ihren Beobachtungen steht ein weites Feld offen; Sie müssen schon ein Sachverständiger seyn, sagen Sie mir also, was Sie nach unsern Portraits entdeckt oder erkannt haben; ich bin neugierig zu sehen ob Sie richtig schliessen, und besonders was mein Gesicht ankündigt. Die Vorstellung vom Original ist vielleicht ein Bischen dunkel bey Ihnen geworden; wie Sie es sahen, hatten Sie noch kein Diplom als physiognomistischer Doktor, und in diesem Augenblick ist der Schleier hundert Meilen dicht; aber ich werde besser daraus sehen, ob unsre Portraits etwas taugen. Sagen Sie mir also Ihre aufrichtige Meinung darüber, aber das diene Ihnen zur Nachricht: wenn Sie es unsern Bildern nicht ansehen, daß Sie ganz den Ausdruck guter Freunde haben, so sind sie gar nicht ähnlich, oder Sie machen Lavaters Schule wenig Ehre. Ich dachte, ich hätte es Ihnen geschrieben; daß Freund Lanthenas sehr beschäftigt wäre, und mir aufgetragen hätte Ihnen zu sagen, daß Sie sich nicht wundern sollten, wenn Sie eine Zeitlang keine Briefe von ihm bekämen. Wir sind auch zwölf lange Tage ohne Nachrichten von ihm gewesen. Wir haben die zwey Uebersetzungen des treflichen Herrn Parault erhalten; der ersten bin ich noch gewachsen, aber die andre ist über meine Sphäre; man müßte mit Swedenborg sagen können: ich habe sie gesehen, diese geistige Welt. Beym Sehen fällt mir ein, daß es in unsrer Wirthschaft kläglich darum bestellt ist; wir haben alle wehe Augen. Die Großmutter, zwey Söhne, und die Schwiegertochter, wir haben alle Röthe, Brennen, Stechen; jezt leidet der Freund am meisten davon. Uebrigens gelacht wie Sie haben wir nicht, wir sind nicht so lustig, wo wir gar nichts sehen, und wir sind fast versucht, Langeweile zu haben.

Ich muß Ihnen doch endlich ganz deutlich sagen, daß Sie anfangen wieder liebenswürdig zu werden; etwas ein Windbeutel sind Sie wohl, aber das verzeiht man Ihrem Alter; und wer wollte auch auf hundert Stunden weit über alles rechten! –

Alles zusammen gerechnet, und alle Narrenspossen beyseite, lieben und umarmen wir Sie von Herzen. Ich weiß nicht, wie Sie Ihren Karneval hingebracht haben; ich bin so vernünftig gewesen, daß alle Welt davon erbaut war; das ist aber auch nothwendig, denn die Schwägerin eines sehr eingezognen Domherrn, der denen der Hauptstadt gar nicht gleicht, ist hier, bey Strafe öffentlichen und häuslichen Skandals, auch zur Eingezogenheit genöthigt.

Unsre Eudora, unsre kleine Seeligkeit, wächst und schwatzt um uns her; jetzt eben schneidet sie ein kleines Gesicht, indem sie uns zu umarmen sucht, weil ihr der Vater eins auf die Finger gab, die auf unsern Tischen herumspazirten, und alles in Unordnung brachten. Sie spricht Ihren Namen nach, und will zuweilen noch einmal sehen, was Sie von ihr sagen. Ich höre durch Sie nichts von der lieben Schwester, gedenken Sie unser unter einander, und vergessen Sie in dem wandelbaren Paris Ihrer unveränderlichen Freunde nicht. Adieu.

Den 16ten März.

Gleichheit, Beständigkeit; diese werden Sie immer in uns finden, und vielleicht eines Tags noch mehr wie jetzt zu schätzen wissen. Zu solchen Freunden müssen Sie ohne Furcht zurückkehren; sie werden es Ihnen nie übelnehmen, daß Sie sich wie Sie waren gezeigt haben. Sie möchten also gern recht lange mit uns schwatzen? und ich hingegen hatte wegen der Stimmung, in der ich Sie eigensinnig beharren sah, den Entschluß gefaßt, Ihnen nur immer in aller Kürze zu schreiben, bis die Zeit Sie in Absicht auf uns wieder zu dem machte, den ich immer hofte an Ihnen wieder zu finden. Ehre sey in der Höhe, und Frieden auf Erden, wenn es wahr ist, daß ich diesem kaum erst gefaßten Entschluß nicht mehr gemäß zu handeln brauche. Haben Sie alle meine Briefe richtig erhalten? Auch einen ganz alten, in welchem einer an die liebe Schwester eingeschlossen war? einen neuern mit einem kleinen an die Adresse meines Vaters?

Ich schicke Ihnen diesesmal Papiere für Herrn le Monnier Maler im kleinen St. Antoine, Strasse des Königs von Sicilien; ich dachte, wenn Sie auch nicht begierig wären mit einem Menschen bekannt zu werden, der unser Freund ist, würde es Ihnen doch Vergnügen machen, einen liebenswürdigen Künstler von sanften feinen Sitten zu sehen, der Italien, wo er lange Zeit lebte, erst vor kurzem verließ; warum soll ich Ihnen aber einen traurigen flüchtigen Zweifel äussern, ohne die Empfindung dabey einzugestehen, die ihn wieder gut macht? Ja ich bilde mir ein, daß Jemand, der uns erst eben besuchte, und mit dem wir in Verbindung stehen, Ihnen schon allein darum nicht ganz gleichgültig seyn kann. Eudora nimmt weit mehr an Kräften zu als an Weisheit und Verstand; sie ist, wenn gleich sehr einsam erzogen, doch sehr lebhaft und leichtsinnig; es ist ein wahrer Kobold, ihr robuster Körper wird eine große moralische Ausbildung erfordern; sie hat so viel Verstand, wie es in dem Alter möglich ist, läßt sich alles gefallen, selbst zur Strafe trocknes Brod zu essen. Beaumarchais in St. Lazare sieht mir wie eine schnurrige Antithese aus, man straft ihn wie einen Schuljungen, und er wird sich rächen wie ein Fuchs.Beaumarchais hatte im Journal de Paris einen Brief einrücken lassen, worinn er sich beklagte, daß die Löwen und Tiger gegen ihn und seinen Figaro verschworen wären. Man nahm das für eine Anspielung auf Monsieur, den Bruder des Königs, und Beaumarchais wurde auf einige Tage in Saint-Lazare, dem gewöhnlichen Zuchthaus für ausschweifende junge Leute eingesperrt.     H.

Man ruft mich ab; ich empfange ihre Umarmung, und endige wie Sie toto corde.

Den 23ten März.

Ich hatte großen Lust, meine Tochter reden zu lassen; da ich aber zu viel auf eigne Rechnung zu schwatzen habe, begnüge ich mich, Ihnen ein Blatt zu senden, das sie nach ihrer Art bekritzelt hat. Sie haben mich mit allen Ihren Märchen zu weinen gemacht, nachdem ich erst über die gravitätische Ueberschrift Ihres Briefs hatte lachen müssen. Eudora war sehr erfreut, wie sie hörte, daß Sie ihr schrieben, endlich las ich ihr den Brief selbst, und wie sie das Wort Mutter und den Auftrag des Umarmens hörte, lachte sie, und sagte: das ist für mich, das? – Wahrhaftig Sie bedurften keiner Verzeihung in der Sache, wegen welcher Sie darum bitten; brauche ich denn Betheurungen, Versprechungen für diese Dinge? Man könnte wohl die beyden Verse darauf anwenden:

Il suffit entre nous de ton devoir, du mien;
Voîlà les vrais sermens, les autres ne sont rien
.

Hätte ich Ihnen ja etwas zu verzeihen gehabt, so ist es die unselige Idee, deren Eindruck sie immer noch stört: aber meine Freundschaft hat der Großmuth nichts zu thun übrig gelassen; sie hat mich Ihre Verirrung richtig beurtheilen gelehrt, ich habe nur die Stärke, die Lebhaftigkeit Ihrer Anhänglichkeit für uns darinn erkannt, und ich liebe Sie vielleicht mehr, als wenn Sie das Unrecht nicht gehabt hätten, mir unschuldiger Weise eines zuzuschreiben. In dem Maaße wie die Zeit die Wahrheit wieder in ihrem ganzen Glanz hergestellt haben wird, werden Sie erkennen, daß Sie durch diese Mißhelligkeit, die Ihnen so weh thut, nicht so viel verloren haben; denn Sie werden sehen, daß Sie in der Stimmung Ihrer Freunde keine Veränderung hervorbrachte; und die Annehmlichkeit eines herzlichen, vertraulichen Briefwechsels wird Ihnen durch einige Stunden Weges mehr die Ihre Einbildungskraft zu überspringen hat, um nichts vermindert scheinen.

Sie fragen was ich treibe; und denken, daß ich nicht eben die Geschäfte wie in Amiens habe. Würklich habe ich nicht so viel Musse dazu übrig, und finde wenige Augenblicke dazwischen, die ich angenehmen Wissenschaften widmen könnte. Ich bin jetzt vor allen andern Hausmutter, und habe würklich in dieser Rücksicht manche Sorge auf mir. Mein Schwager hat mir das Hauswesen übertragen, um welches sich seine Mutter seit mehrern Jahren nicht mehr bekümmerte, und das zu führen, oder zum Theil dem Gesinde zu überlassen er überdrüssig war. Meine Zeit ist folgender Gestalt vertheilt. Beym Aufstehen beschäftige ich mich mit meinem Kinde und meinem Mann, das eine lasse ich lesen, dem andern besorge ich sein Frühstück; hernach bleiben sie zusammen im Kabinet, oder ist der Vater nicht da, so lasse ich das Kind allein bey seiner Wärterinn, und gehe vom Boden zum Keller den Hausgeschäften nach; Obst, Wein, Wäsche und andre Dinge heischen tägliche Sorgfalt; bleibt mir vor dem Mittagessen noch einige Zeit, (wohl bemerkt, daß man um zwölf Uhr speist und vorher den Staub ein wenig von sich abschütten muß, weil die Mama es sich so gerne einfallen läßt, Gäste einzuladen), so gehe ich wieder in unser Kabinet an die Arbeiten, die ich immer mit meinem Freunde theilte. Nachmittags bleiben wir eine Weile beysammen, und ich bleibe gewöhnlich mit meiner Nähterei bey meiner Schwiegermutter, bis sie Gesellschaft bekömmt. So bald ich frey bin, gehe ich wieder hinauf in das Kabinet, wo ich irgend ein Schreiberei anfange, oder fortsetze. Wie es aber Abend wird, kömmt der gute Bruder zu uns, man liest Journale oder etwas besseres, zuweilen kommen Männer zum Besuch; lese ich nicht vor, so sitze ich bescheiden bey meinem Nähzeug, höre zu und halte das Kind vom Unterbrechen ab; denn Eudora verläßt uns nie, ausser wenn einmal eigentliches Gastgebot vorfällt; da ich nicht will, daß sie im Wege sey, so bleibt sie dann in ihrem Zimmer, geht mit ihrer Wärterinn spatzieren, und erscheint erst beym Nachtisch. Ich mache keine andern Besuche als unumgänglich nöthige; zuweilen, aber bis jetzt sehr selten, gehe ich mit dem Freund und Eudora spatzieren. Das Englische, das Italiänische, die entzückende Musik, das alles wird im Stiche gelassen; das sind Neigungen, Kenntnisse, die unter der Asche bleiben, bis die Zeit kömmt, wo sich Eudora so weit entwickelt haben wird, daß ich sie ihr beybringen kann. Meine jetzigen Geschäfte und Freuden bestehen darinn, Ordnung und Frieden in allem was mich umgiebt, in allem was mir anvertraut ist, zu sehen, und das beste meines Kindes bey allem meinem Thun vor Augen zu haben. Diese Lebensart würde sehr streng seyn, hätte mein Mann nicht ausgezeichnete Verdienste, die mir sehr theuer sind, aber in dieser Hinsicht ist es ein kostbares Leben, wo zärtliche Freundschaft und sanftes Zutrauen jeden Augenblick bezeichnen, allem einen eignen Werth geben, und alles zu schätzen wissen: es ist das angemessenste für die pracktische Tugend; für die Erhaltung aller Neigungen, die das gesellschaftliche Glück und die individuelle Wohlfahrt in diesem gesellschaftlichen Zustande sichern können. Ich fühle den Werth eines solchen Daseyns, ich bin zufrieden mit mir, weil ich es geniesse, und ich ergötze mich an der Hofnung um deren Erfüllung ich mich unabläßig bestrebe, daß mir das Zeugniß nie fehlen soll, das Glück verdient zu haben, daß ich Herrn von Ornay beschrieb:

Heureuse la mere attendrie
qui peut dire avant d'expirer:
j'ai fait plus que donner la vie,
mes soins ont appris a l'aimer
.

Mein Schwager, der eine äusserst sanfte gefühlvolle Gemüthsart hat, ist auch sehr fromm: ich lasse ihm die angenehme Ueberzeugung, daß ich seine Lehrsätze für eben so unzweifelhaft halte, als sie ihm vorkommen, und handle äusserlich, wie es in der Provinz einer Hausmutter zukömmt, die alle Welt erbauen soll; da ich in meiner ersten Jugend sehr andächtig war, so kenne ich meine Bibel, und selbst meine Messe so gut, wie meine Philosophen, und rücke lieber mit meiner ehmaligen Gelehrsamkeit heraus wie mit meiner spätern, welches ihn denn sehr erbaut. Die Wahrheit, der Hang meines Herzens, die Leichtigkeit die in mir ist, mich nach dem was andern gut ist, und nichts was würklich recht ist gefährdet oder beleidigt, zu bequemen, macht mich ohne Zwang und ganz natürlich zu allem was ich seyn soll. Behalten Sie diese vertrauliche Ergiessung in petto, und antworten Sie mir nur so schwankend darauf, wie es die Umstände erfordern. Ich bin noch allein, mein guter Freund ist in Lyon, und kommt erst nach Ostern zurück; wie er schreibt, sind seine Augen besser; sein Bedienter, der hier einige Aufträge bestellte, und wieder zu ihm gieng, hat es mir auch versichert. Urtheilen Sie aus allem diesem Geschwätz, ob ich an Ihrer Freundschaft zweifle; ihr überlasse ich es, dieses Pfand der meinigen zu beurtheilen.

Ich wollte von der Akademie mit Ihnen sprechen, von Beaumarchais, von der Chymie die Sie beschäftigt, aber ich habe die Zeit, welche mir vor Tisch nach meinen Morgengeschäften übrig bleibt, nun schon verschrieben, ich habe nur zehn Minuten zum ankleiden, das ist denn gerade was ich gewöhnlich brauche. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

Erzählen Sie mir von den wissenschaftlichen und akademischen Neuigkeiten, besonders aber von allem, was Sie angeht, Adieu.

Den 26ten Merz.

Ihre Spitznasengeschichte macht mich ungedultig; ich dachte, die meine wäre nicht spitz, und leider vielleicht! könnte ich mit den dünnesten Nasen wenigstens den Wettkampf bestehen. Aber Sie antworten mir nichts wegen des Portraits und der lavaterischen Bemerkungen, die Sie darüber gemacht haben; ich gebe Ihnen keinen Heller für alle Ihre Gesichterkunde, wenn Sie daraus nichts über das meinige lernen. Antworten Sie also frey weg, und giebt es Gelegenheit, so wollen wir denn schon streiten. Sie werden an le M. ein gutes Kind finden, vielleicht wünschten Sie ihm mehr Energie, besonders mehr von dem, was der Tollheit nahe kömmt, und bey seiner Kunst so gut thut. Ich würde eben nicht verlegen seyn, mich zu rechtfertigen, daß ich zögerte, Ihnen seine Bekanntschaft zu verschaffen, denn in dem Zustand, wie Sie sich mir zeigten, konnte ich fast fürchten, überlästig zu seyn, wenn ich die Gelegenheiten, Sie besonders mit uns zu beschäftigen, gar zu sehr häufte; habe ich aber einiges Unrecht darinn gehabt, so lasse ich mir's herzlich gern gefallen, daß Sie mir um deswillen etwas verzeihen; wir haben uns ja alsdann weiter nichts vorzuwerfen.

Den 9ten April.

Nun will ich Ihnen doch gestehen, daß ich Ihren Bekannten sehr recht gebe, wenn sie sich für niemand als Sie selbst verwenden wollten; ich weiß es ihnen Dank, daß sie so denken, und handeln. Es ist mir sehr begreiflich, wie Ihnen Ihr trefliches Herz den Wunsch eingiebt, noch mehr Mittel zu haben, um Ihren Freunden nützlich zu seyn; was Ihnen aber daran abgeht, muß Ihnen keine grauen Haare machen. Wahre Freunde bedürfen keiner Beweise von Credit und Einfluß, um an die Erwiederung ihrer Empfindung zu glauben. Diese Freunde werden an Ihrer, durch alle Mittel des Fleisses und der Philosophie bewürkten persönlichen Vervollkommung und Bildung weit mehr gewinnen, als an der Menge Ihrer Verbindungen, und dem Grad Ihres politischen Einflusses. Jagen Sie also nicht nach Diners und Langeweile, um einiger eingebildeter Vortheile willen, die zu entbehren so viel leichter ist, als sich daran genügen zu lassen. Würden Sie sich jedem Ehrgeitz überlassen, so würde er mit dem glücklichen Erfolg bey Ihnen wachsen, und Sie bis an das Ende Ihrer Laufbahn verzehren. Ich bin hübsch im Gang zu moralisiren. Mir ist doch gar nicht froh zu Muthe, meine Eudora ist gar nicht wohl, ihr Schnupfen nimmt nicht zu, aber ihr Husten scheint von der Art wie gewöhnlich den Masern vorhergeht; sie ist ein bischen schläfrig, und schien mir gestern Abend ein wenig Fieber zu haben, heute befrage ich einen Arzt; dem Vater geht es nicht besser, beym Schnupfen ist Auswurf plötzlich weggeblieben, er fühlt sich schwerfällig, unbehaglich. Lassen Sie sich's besser gehen! Adieu! wir umarmen Sie herzlich; tausend freundschaftliches an Herrn Parault.

Es ist nicht andem, daß man Eudora unter den Fuß giebt Sie in zwölf Jahren nicht mehr lieb zu haben, sie soll nur nicht mehr so laut davon sprechen, und Sie lieber rathen lassen wie es ihr um's Herz ist.

Den 20ten April.

Ich bin Eudora's wegen viel ruhiger; zwar darf ich mir nicht schmeicheln, daß sie den herrschenden Krankheiten ganz entgeht; sollte sie aber angesteckt werden, so hoffe ich, sie soll glücklich davon kommen; man will ihr noch eine Abführung geben, die ich ihr gern ersparen möchte, und wir halten es so hin, das arme Kind sieht sehr verändert aus; Sie können nicht glauben, was ich dabey leide, ein kleines zartes Wesen schon dem Eckel, den Erschütterungen der Arzneymittel ausgesetzt zu sehen. Die Heilkunde sollte billig nur dazu dienen, die Gebrechlichkeiten des Alters zu erleichtern, oder heftige Krisen abzuwehren, in welche uns physische oder moralische Ausschweifungen stürzen; aber daß die liebenswürdige Kindheit dieser trügerischen Wissenschaft bedarf – Die Ordnung der Dinge scheint mir dadurch eingerissen, und es betrübt mich im ganzen Ernst. Glücklich sind indessen die, welche unter solchen Umständen Ursache haben einem geschickten Manne zu vertrauen; hier ist kein einziger Arzt, der mir diese Beruhigung gäbe. Ich habe dennoch einen um Rath befragt, und mir mit einem andern Händel zugezogen; man ist so ängstlich für einen geliebten Gegenstand, daß man beständig nach andrer Meinung forscht, und es nicht wagt, seiner eignen zu folgen. Lassen Sie uns aber doch auf die Akademien zurückkommen, von denen Sie uns sehr lustige Dinge erzählt haben; mein guter Freund möchte gern mehr wissen von dem Memoire von Quatremere über die Schaafe, oder vielmehr von Bertholets Aufsatz über die Theorie der Bleichkunst; ich erinnere mich, daß es dieser letzte war, von dem er mir vor seiner Abreise auftrug, Ihnen zu schreiben, damit Sie ihm alles mittheilen möchten, was Ihnen davon zu Ohren käme, oder Sie habhaft werden könnten. Er behauptet auch, Sie hätten ihm nichts von den öligen und mehligen Saamen gesagt, ausser daß sich kein System darüber machen liesse; nun wissen Sie aber doch, daß sich der grosse dürre Mann mit der Tenorstimme kein solches Resultat genügen läßt; er muß ein System haben, müßte er es auch, so wie manche andre Hypothesen, in dem Mond holen.

Endlich ist das Wetter sanfter, aber ich komme doch nicht zu Kräften; wäre die geistige Thätigkeit nicht, so würde ich bald einem Seidenwurm gleichen, der sich der Zeit des Einspinnens nähert, und nur noch langsam hin und her kriecht. Ich kann über kein bestimmtes Uebel klagen, aber ich fühle mich immer wie ermüdet, und so viel Mühe ich mir gebe, ein munteres Wesen zu behalten, so furcht die Müdigkeit doch meine Augenränder, und kündigt sich so an, was ich auch thun mag. Wenn indessen meine Eudora nur wieder wohl wird, wenn die Landluft meinem Freund zuschlägt, so wird mich ihr Wohlseyn mehr erfreuen, als mein kleines Elend mich drücken kann.

Den 22ten April.

Sie haben mich in Ihrem kleinen Brief, den ich gestern erhielt, ausgescholten; ich begreife wohl, daß Sie ein bischen Recht haben können, aber mein Kind beschäftigte mich so sehr, ich war an Leib und Seele so müde, daß ich doch nicht gar zu sehr Unrecht habe.

Eudora ist besser, aber ich bin nicht zufrieden mit ihr, sie ist so bleich, so – – – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, aber sie macht mir Sorgen, ohne daß ich gerade vernünftige Gründe dafür angeben kann. Wir haben nun ganz ordentlich die Blattern in unserm Hause; das verzweifelte Gebäude ist so groß, daß wir, so stark unser eigner Haushalt auch ist, doch zwey Miethsleute darinn haben müssen. Für alles was Bauwesen und Einrichtung heißt, wenigstens für alles was Einsicht und Annehmlichkeit der Eintheilungen im Innern der Häuser betrift, merkt man wohl, daß man hier hundert Stunden von Paris entfernt ist, besonders für die Nettigkeit in den Kleinigkeiten, die zur Zierrath gehören; Lyon scheint eben so weit weg, ob es gleich nur fünf Stunden von uns liegt. Wahr ist es, daß Lokalumstände alles Holzwerk, alles was in Zimmer- und Tischlerarbeit einschlägt, in dieser kleinen Stadt sehr theuer machen müssen; der größte Luxus ist hier die Tafel. Hier giebt die kleinste Bürgerfamilie, so bald sie nur ein wenig über die gemeine Klasse hinweg ist, so lockere Mahlzeiten, wie die reichsten Häuser in Amiens, und viele sehr Wohlhabende in Paris nicht thun.

Eine schlechte Wohnung, ein lockerer Tisch, eine reinliche Kleidung, tägliches, zuweilen hohes Spiel, – das ist der Ton einer Stadt mit platten Dächern und kleinen Gassen, in denen die Abtritte abfliessen. Von einer andern Seite ist man gar nicht dumm hier, man drückt sich gut aus, ohne Accent, so gar korrekt; der Ton ist höflich angenehm; aber in allem was die Wissenschaften betrift, ist man ein bischen, das heißt, sehr zurück. Unsre Conseilleurs sieht man als sehr wichtige Leute an, unsre Advokaten sind so stolz wie die von Paris, und unsre Prokuratoren so arge Spitzbuben wie irgend wo sonst. Uebrigens findet sich hier grade das Gegentheil von Amiens; dort sind die Weiber allgemein gebildeter wie die Männer, in Villefranche ist es umgekehrt: und man sieht hier gerade den Weibern am meisten den provinzialen Anstrich an.

Ich weiß nicht wie, und warum ich es unternommen habe, mein neues Vaterland so bey Ihnen aufzuführen; würklich betrachte ich es als das meinige, und wie Sie sehen, behandle ich es dem gemäß.

La Blancherie hat also den Kopf wieder ein bischen über'm Wasser? Ich habe im Journal von Paris eine Eröffnung seines Hörsaals angekündigt gesehen. Wo kommen aber alle diese Museen her? Bey meiner Treue, sie gleichen dem Phönix, und erstehen jedes Jahr wieder aus ihrer Asche. Waren Sie in der prächtigen Sitzung, wo man Gebelins Lob las? Adieu, meine Mannsleute sind noch immer auf dem Lande, es bekommt ihnen wohl; der eine wird bald in den Taubenschlag zurückkehren: rathen Sie welcher?

Den 28ten April.

Der Posttag ist erst Morgen; ich habe Ihnen gestern geschrieben, es ist neun Uhr Vormittags, ich habe tausenderley abzuthun, aber ich erhalte Ihr liebes Geschwätz vom 25ten und flugs schwatze ich auch; es braucht bey mir eben keiner grossen Aufforderung, damit ich mich auf diese Weise mit Leuten, die ich liebe, abgebe.

Ich habe eben Nachricht von meinen Mannsleuten bekommen, einer unsrer Winzer, der alle Donnerstage die kleinen Vorräthe an Butter, Eyern, Gemüs zur Stadt führt, brachte sie mir. Sind das nicht hübsche Dinge um einen Brief damit anzufüllen? Im Haushalt thun sie indessen recht gut, und erinnern an die Wirthschaft vom Lande; von dieser Seite haben sie etwas erfreuliches. Mein armer Tauber ist vom Winde ganz erstarrt, ich werde ihn aber doch so bald nicht wieder sehen, denn der Bruder kömmt Sonnabend wieder um Nonnen zu beichtigen; derweilen muß der andre bey den Kellergeschäften die Aufsicht führen. Alle unsre Leute sind da unten, oder vielmehr oben; es ist keine Mannsseele im ganzen Hause, und stellen Sie sich meine Albernheit vor, ich habe nicht einmal einen Staarmatz zu meinem Zeitvertrieb: nicht eben weil es keine bey uns giebt, aber sie sind gar nicht verführerisch; im Ganzen genommen wollten die jungen Leute hier nicht viel sagen; es ist aber kein Wunder, die Weiber verstehen sich gar nicht darauf; sie müssen reisen, müssen Vergleiche anstellen können, um sich ein bischen abzuhobeln; bey ihrer Rückkehr sind sie auch liebenswürdiger, die Weiber behalten dagegen ihr albernes Wesen, und ihre kleinen Grimassen, mit denen sie doch keinem Menschen Sand in die Augen streuen. Ich glaube, meine Erfahrung würde Ihrer lavaterischen Wissenschaft sehr hülfreich seyn, wenn ich Ihren Beobachtungen über das Gesicht, dessen Lippen Sie so plagen, ein Licht aufsteckte. Die Natur hat die Person, der das Gesicht gehört, gut geschaffen, sie gab ihr, nicht Geist, aber gesunde Vernunft; die Erziehung hat nichts in ihr entwickelt noch bearbeitet; man muß weder übergewöhnliche Begriffe, noch Geschmack, noch Zartheit bey ihr suchen, auch nicht jene Blüthe der Empfindung, die von einer ausserordentlich feinen Organisation, oder einem sehr gebildeten Geiste abhängt; nehmen Sie einerseits die Leichtigkeit im Umgang dazu, welche man durch den Gebrauch der Welt erhält, anderseits den Hang und die Gewohnheit, Männern zu gebieten, jedoch ohne das Talent, sie streng an dem ihnen gebührenden Platz, oder wenn Sie wollen, in ihrem Gange zu erhalten, so haben Sie den Schlüssel zu allem. Aus diesem Ganzen entspringt eine ziemlich angenehme Gesellschaft, wo sich ein jeder behagt, eine achtungswürdige Person, weil sie würklich brav ist, ob es ihr gleich ein wenig an Würde fehlt, eine Person, deren Bekanntschaft man gern hat, weil sie nicht zuviel Ansprüche macht, und sich selbst und andern Gerechtigkeit wiederfahren läßt.

Mit diesen Winken versehen, studieren Sie, und ziehen Ihren Vortheil daraus. Machten wir unsre Betrachtungen mit einander, so schmeichle ich mir bescheidentlich, daß meine angebohrne Weisheit Ihrem erworbenen Wissen nachhelfen sollte; es giebt Dinge, die Sie nicht nur durch Fleiß erlangen können, und andere, da man von Ihnen und fast von allen Männern sagen könnte, was Claire von Volmar sagt: »er hätte den ganzen Plato und Aristoteles verschlingen mögen, ohne das je zu errathen.«

Eudora hat vorgestern eine Portion Kermes mit einem starken Aufguß von Boretsch und Violensirup eingenommen; ihr Husten ist völlig vorbey, aber hergestellt ist sie deßwegen nicht; sie ist unartig wie ein Teufelchen, ich runzte die Stirne wie ein Schulmeister, und der Hals thut mir ganz weh vom Anfahren und Ausschelten. Eben nahm ich mein großes Aergerniß, weil das Rotznäschen wie ein Reitknecht fluchte; ich wollte wissen wo sie das lernte, »Je Mama, Saint-Claude spricht so!« das ist einer unsrer Bedienten, ein braver Bursche, dem es nicht einfällt zu fluchen, daß ich's hören könnte, aber hinter meinem Rücken mag es ihm wohl oft begegnen. Bewundern Sie nur die Anlage; das Kind ist keine Stunde auf vierzehn Tage mit dem Gesinde, es kömmt mir nicht von der Seite.

Den 7ten oder 8ten May.

Ich möchte wohl mit Ihnen schwatzen, ob mich wohl Ihre ProjekteMan hatte mich ernannt, um auf la Peyrouse's Schiff als Naturforscher mit um die Welt zu segeln. A. d. H. ein paar Tage stumm gemacht haben.

Jezt bin ich sehr eilig, ich kann Ihnen nur einige Worte sagen, und Ihnen ankündigen, daß der Inspektor Ihnen sogleich auf verschiedne Punkte Ihres Briefs antworten wird. Ich kann Ihnen über Ihre Reiseplane nichts sagen, meine Bemerkungen darüber können unmöglich uneigennützig seyn; und so gern ich den Gegenstand unbefangen behandeln möchte, so fühle ich doch, daß sich der Schmerz, Sie so weit von uns hinwegehen zu sehen, selbst wider meinen Willen, darein einmischen würde. Hätten Sie die Aussicht einer nahen Beförderung in Ihrem Posten, so würde ich Sie siegreich bekämpfen. Sie haben die, für eine solche Unternehmung nothwendige Thätigkeit, aber Sie haben nicht die eiserne Gesundheit, welche der moralischen Kraft die Hand bieten muß, und den Beschwerlichkeiten einer so mühevollen Reise widerstehen kann. Ich weiß wohl, daß man das Recht hat, selbst auf Gefahr seines Lebens ein Wagstück zu unternehmen, das glücklich ausschlagen kann; es ist eine Lotterie, wo das Gefühl die Waage hält, und den Verstand zur Entscheidung bestimmt; aber die Freundschaft hat eine andre Richtschnur, der Verstand giebt da seinen Beyfall, und das Herz widerstrebt: also muß man schweigen; so geht es uns denn würklich, und wir weinen dabey wie die Kinder, wenn wir von Ihnen sprechen. Warum werden Menschen, die durch die Freundschaft so innig verbunden sind, nicht vom Schicksal an einem und demselben Ort festgehalten? Eudora befindet sich besser. Der Freund Lanthenas trug mir tausend Dinge für Sie auf, er wird Ihnen seitdem selbst geschrieben haben.

Adieu! fast möchte ich Ihnen schmollen, weil Sie mir den Kummer machen, es ist mir aber nicht möglich, und ich umarme Sie auch.

Den 18ten May.

Auch ich nehme mir heraus, Pflanzen zu versenden, nicht um Experimente in der Färberey zu machen, sondern um ihren Namen zu wissen, und Ihnen von der Botanik unsrer Gegend einen Begriff zu geben. Ich bin in dem Punkt zur ausgemachtesten Ignorantin geworden, und ich habe so viel kleine Geschäfte, daß ich mir die Dinge lieber von Ihnen sagen lasse, als meine Zeit damit verliere, in Büchern nachzuschlagen. Der Lichen oder das Moos in meinem kleinen Paket ist am Gemäuer einer Quelle gesammelt worden, so Eudora oft ruht, und von deren treflichem Wasser sie trinkt. Die Quelle hieß Belle-Roche, von dem Gut, zu welchem sie gehört; das Gut und ein kleines Schloß sind das Eigenthum des Dechant vom Kapitel, wo wir den gestrigen Tag zubrachten. Die gelbe Blüthe gehört zu einem dornigen Strauch, der um die Stadt herum sehr häufig ist, und dem Vieh sehr zuträglich seyn soll, wenn die Dornen abgefallen sind, was sie denn thun so wie die Blüthe vergeht. Die beiden andern kleinen Pflanzen waren ehemals von meiner Bekanntschaft, in den Wäldern wimmelt davon, ich habe das an den Fingern herzuzählen gewußt, jezt ist's rein vergessen, ich will es wieder wissen, ohne von neuem daran zu lernen; geschwind also her mit Namen, Zunamen, Klasse Gattung u. s. w.

Da öffnet also la Blancherie seinen Versammlungssaal wieder, nachdem ich nicht mehr in Paris bin, und derselbige soll auch nach Amiens gehen; das lezte lasse ich gut seyn, aber leid thut es mir, daß ich diese Versammlung nicht sah, ehe ich in meinen Winkel kroch. Adieu. Guten Abend oder guten Tag, ich bin eilig, und laufe davon.

Lyon den 19ten Juny.

Gestern Abend fanden wir beym Nachhausekommen Ihren Brief vom 13ten, und ohngeachtet mir wenig Zeit übrig bleibt, und Sie jezt einen Brief von uns haben, der Sie von unserm Gang und also von der Ursache unsers Stillschweigens unterrichtet, so kann ich doch der Begierde nicht widerstehen, die rührenden Ausdrücke Ihrer besorgten Freundschaft zu beantworten.

Schon seit langer Zeit werde ich sehr wohl gewahr, daß ich Ihnen nicht schreibe, und sehne mich nach dem Augenblick, der mir so viel Musse dazu lassen wird, wie mein Gefühl sie so herzlich wünscht. Geschäfte in der Wirthschaft und im Studierzimmer haben meine Zeit so hingenommen, daß ich meine kleine Reise darum aufschieben mußte, so eifrig ich auch zu Rande zu kommen strebte. Seit den einigen Tagen, die ich hier bin, verfließt die Zeit so schnell, wie es auf Reisen zu gehen pflegt, wenn die Zeit der Rückkehr eng bestimmt ist, und man jeden Augenblick benutzen will.

Wir sind in einer Wohnung eingerichtet, die mein Mann für sich allein gemiethet hat, und wo die kleine Haushaltung zur Noth schon Platz findet. Ich habe meine Eudora, die Wärterinn, und den Bedienten bey mir; das richtet sich alles treflich ein. Wir wohnen in einem schönen Hause, sehr weit von einigen unsrer Bekanntschaften, aber die entfernteste von allen leiht mir ihre Equipage, über die ich zu schalten und zu walten habe. Ich habe gestern die Sainte-Hüberti in ihrem vollen Triumph gesehen; sie spielte die Dido, die ich nie in Paris von ihr gesehen hatte; sie war göttlich. Der Freund hat mehr wie ein Geschäft: ein Compliment bey der Akademie als Ehrenmitglied; dann eine andre Sitzung in der Gesellschaft des Ackerbaus, zu welcher er auch gehört; dann seine Amtsverrichtungen, dann allerley Nachfragen wegen der Fortsetzung der Encyklopedie; er könnte drei Monate hier bleiben, ohne mit allem fertig zu werden, und ich eben so lange, ohne Langeweile zu spüren. Ich habe einen Lehrmeister für das Fortepiano angenommen, und arbeite alle Morgen, aber nur ein wenig, denn ein grosser Theil des Tages verstreicht mit ausgehen, Mahlzeiten und dergleichen. Letzthin begegnete ich Herrn Jussieu dem jüngeren bey seiner Schwester, deren Mann ein sehr schönes Naturalienkabinet hat.

Eudora machte mich gestern etwas besorgt, sie schien einen kleinen Fieberanfall zu haben, heute geht es besser.

Wir werden Ihren Reisenden, der aus Persien kömmt, mit doppelter Theilnahme empfangen; hätte er auch keine andre Empfehlung als Land und Leute gesehen zu haben, so wäre er schon willkommen, und er ist vollends Ihr Freund. Schreiben Sie uns weitläuftiger; ich hatte Ihnen tausend Dinge über Ihren letzten Entschluß zu sagen, der Sie unsern Wünschen erhält; wenn man aber nicht Zeit hat alles zu sagen, schweigt man eben am meisten über Dinge, von denen das Herz zu voll ist. Errathen Sie aber nicht das meiste davon, so verdienten Sie gar nicht, daß ich es Ihnen sagte. Davon müssen Sie überzeugt seyn, daß von allen, die Sie lieben, niemand so lebhaft wie wir fühlt, welch ein Glück es ist, Sie vor Gefahren gesichert zu wissen, denen man die Menschen, an welche man gewissermassen sein Daseyn gehängt hat, nicht gern ausgesetzt sieht.

Adieu mein Freund! wir umarmen Sie mit aller Freymüthigkeit und Innigkeit der Freundschaft, die Ihnen auf ewig gewidmet ist.

Villefranche den 4ten July.

Seit zwey Tagen sind wir wieder zu Haus; sehr zerstreut, sehr beschäftigt, mit Briefwechsel und andern Dingen, die etwas im Rückstand geblieben waren, mit Haushaltswesen, das die gewöhnliche Aufsicht wieder erfordert; und denn noch die kleinen Mühseligkeiten oben drein, von denen ein jeder hienieden sein Theil hat.

Es fehlt viel, daß ich die angenehme Ruhe besässe, in welcher es Freude macht, mit seinen Freunden zu schwatzen, besonders mit Freunden, die sich in Ihrer Stimmung und Lage befinden. Ich möchte gern in guter Ruhe über so manches mit Ihnen sprechen, über die Möglichkeiten und Vortheile bey den zwey Entschliessungen, zwischen denen Sie nun gewählt haben, über die Thorheit sich mit eitler Reue zu quälen, wenn man einmal nach guten Gründen seine Wahl getroffen hat, über die Täuschung und Leerheit dieses Ruhms, dem man so vieles opfert, der uns fast immer verräth, der nie zu der Ruhe führt, die wir uns so gern zum Ziele setzen, und die wir fast immer, wiewohl vergebens, durch ihn blos noch süsser zu machen suchen. Ich wünschte Ihnen, statt der treibenden Wärme, aus der Ihnen so viel Gutes und so viel Quaal erwächst, einige Gran Philosophie mehr beyzubringen. Das alles von der Hand der Freundschaft geleistet, müßte Ihnen wohl thun, und wäre gewiß ein süsses Geschäft für mich. Aber die Dinge treiben mich, die Zeit reißt mich fort.

Den 2ten August.

Da habe ich endlich bis zum Mittagsessen eine halbe Stunde vor mir; damit Sie mir nun nicht immer widerholen: »das war auch der Mühe werth in die Provinz zu ziehen«, soll sie Ihnen gewidmet seyn.

Erstlich sollen Sie also wissen, daß ich vorgestern dem Tod nahe war, gestern kaum athmete, heute wohl und gesund bin, lustig wie ein Zeisig, und wundersam aufgeweckt.

Warum das alles? ich weiß es nicht, es ist einmal so, das ist alles; wer sich einen beständigen Wechsel zwischen größter Thätigkeit und äusserster Abspannung denkt, hat die Geschichte meiner Gesundheit. Mein guter Freund hat sich Brillen zugelegt, vielleicht habe ich Ihnen das schon gesagt; seine Augen sind etwas besser, aber nicht geheilt. Seit einigen Tagen badet er, aber neue und wieder neue Arbeiten drücken ihn ohne Unterlaß; bald ist es die Administration, die in ihrem blinden, unsichern Gang mit einer Hand niederreißt, was sie mit der andern aufbaut, immer Rath fordert, und keinen befolgt, bald sind es die Akademien, denen man immer schöne Dinge auftischen muß, auch wenn es einem am wenigsten darum zu thun ist; dazu kommen die nützlichen Verbindungen, die angenehmen Korrespondenzen die mit gleicher Sorgfalt unterhalten seyn wollen, und dann vor allem die Encyclopedie, an die man endlich wieder Hand anlegen muß. Nach allem diesen können Sie wohl darauf rechnen, daß man Sie gottlos quälen wird; es wird sich schon beklagt, daß Sie kein Wort von Herrn Audran sagen, daß Sie ihn zu vernachläßigen scheinen; Sie sollen ihn besuchen, ihn sehen, ihn drängen, vieles von ihm erhalten, ihn noch zu mehrerem antreiben, und so ferner. Sie haben Anfragen über Pelzwerke erhalten; Sie müssen Antwort zu schaffen suchen, und uns zuschicken, wir denken im ganzen Ernst an diese grosse Arbeit, man muß alles anspannen, alles in Bewegung setzen, um die Materialien zu sammeln, zu vermehren, und vollzählig zu machen. Machen Sie sich das zum Endzweck, verbinden Sie Ihren Eifer für die Wissenschaften mit Ihrem Eifer für Ihre Freunde, und leisten Sie uns diesen Dienst nach Ihrem besten Willen, und aus allen Ihren Kräften.

Noch etwas, mein Herr Naturforscher, Chymicker et cætera, verwenden Sie Ihre Kenntnisse zum Besten der Menschheit; Sie müssen wissen, daß wir im Clos Vipern haben; ganz neuerdings wurde ein Kind gebissen, und starb vier und zwanzig Stunden darauf. Verschaffen Sie uns ein sicheres, leichtes Mittel, das man immer bey der Hand hat, ja bey sich führen kann; es ist hier um die Menschheit, ja vielleicht um Ihre Freunde zu thun. Wir fanden schon vor fünf Jahren bey meiner ersten Reise in diese Gegend ein solches garstiges Gewürme in unserm Bezirk, das mein Roland, selbst ohne Hülfe seines Durandarte, erlegte. Aber ich habe eine Eudora, die mir im Garten zuweilen entschlüpfen könnte, in einem entlegnen Gang unter dem Grase könnte sie so ein Thier finden – – Grosser Gott! das Herz steht mir still, und ich haßte den Clos. Es ist aber auch würklich wahr; dieses Gut wird uns aus mehr als einem Grunde verleidet; wir haben den Plan ganz aufgegeben dort zu bauen. Sie wissen ja so manches; wenn Sie erfahren sollten, daß in der Nähe von Villefranche oder auf dem Weg von Lyon ein artiges Haus mit einem hübschen Garten, schöner Aussicht, gutem Wasser und Boden zu verkaufen wäre, so lassen Sie es uns wissen, damit wir es an uns bringen. Ist es nicht ein feiner Einfall, Ihnen diesen Auftrag zu geben? Dafür ist's aber eine Sache, die zu unserm grossen Leidwesen selten und schwer aufzutreiben ist. Nun, der arme Lanthenas ist also entfesselt? Ich hoffe, wir sollen ihn in Kurzem sehen, ich freue mich sehr darauf. Meine liebe Eudora wird mager, nimmt ab, ohne daß ich errathen kann, wo es ihr fehlt; ich bildete mir ein, das Wasser bekäme ihr nicht, nun lasse ich es in einem Brunnen vor der Stadt holen. Man glaubte, sie hätte Würmer; ich habe sie Wurmsaamen mit Hönig nehmen lassen, dann Oel mit Citronensaft; man hat sie auf alle Weise gequält, aber es erfolgten keine Würmer, ausser einmal etwas, das einem kleinen ähnlich sah, aber ich bin es nicht einmal gewiß, Ihre Zunge ist belegt, ihr Odem abgestanden und gallig, ihre Farbe bleich und todt, hohle Augen, schlaffes Fleisch – dabey ist sie noch immer lebhaft und lustig. Und wenn sie leidet, so sanft und schmeichelnd; so stehts mit ihr, und das quält, das zerreißt mich. Diese Unruhe verzehrt, und ermattet mich, andre Sorgen beschäftigen und erhitzen mich, und bey allem diesen habe ich bald Löwenmuth, bald bin ich bis zu Thränen weich. Adieu! ich wünsche Ihnen Kräfte, Gesundheit, Friede und Glück. Wir umarmen Sie herzlich.

Den 8ten August.

Und ich, mein Herr, fange mein Tagwerk mit Ihnen an, übrigens geschieht das auf Befehl meines Herrn und Meisters, der mir bey meinem Erwachen Ihren Brief zustellt – bey meinem Erwachen, wenn es gleich zehn Uhr ist; ich habe um sieben gebadet; mich wieder niedergelegt, und drey Stunden so tief und ruhig geschlafen, wie es der Gesundheit so zuträglich ist. Ich war gestern auf einem kleinen Ball, den einer unsrer Miethsleute gab, ich tanzte zwey Englische Tänze: wohl bemerkt, daß ich schon zwey Jahre vorher, ehe ich das grosse Sakrament erhielt, aufgehört hatte zu tanzen; ich finde, daß sich der Geschmack an diesem angenehmen Vergnügen nicht so leicht verliert, denn ich verließ den Tanzsaal, trotz meiner ein und dreyssig Jahre, aus Weisheit nicht aus Sättigung, nach Mitternacht. Was für Zeug schwatzen Sie denn her mit dem Mann im grossen Styl? kenne ich ihn oder kenne ich ihn nicht? Es kommt mir fast schwer vor, ihn bey der ersten Zusammenkunft gleich zu meinen Füssen zu haben, wenn ich noch nicht den mindesten Begriff von ihm habe. Gewiß, Sie haben mit einer armen Provinzialin, deren Einbildungskraft ganz natürlich durch alles was sie umgiebt in Stecken geräth, auch gar kein Mittleid. Nicht als wenn unsre Damen mehr Umstände bey der Sache machten, wie bey Ihnen geschieht; aber ich finde unsre Männer in der Provinz sehr platt, und wäre ich nicht schon aus Gewohnheit und Grundsätzen tugendhaft gewesen, so würde ich es jetzt aus Widerwillen und Noth. In allem Ernst, hier verlohnte es sich nicht der Mühe, die Siegespalme aus den Händen zu lassen. Ich habe auch mein Wesen danach eingerichtet, und Ihr Wunderthier wird mich nicht darinn stören; ist er nicht zufrieden damit, so ists sein Schade. Wenn es aber ein Diligencenmensch ist, so ist Ihre Ankündigung sicher vergeblich; dieser Wagen hält sich nicht auf; verhält es sich anders, so rechne ich auf eine närrische Haut nach Ihrer Art.

Ich schicke Ihnen eine Pflanze, die ich nach ihrem Wuchs für eine Art Baldrian halte, sie scheint mir aber spezifische Verschiedenheiten zu haben; man findet sie hier sehr häufig am Ufer eines kleinen Flüßchens. Adieu. Renard der Vater sitzt da, und sagt, sein Sohn hätte Sie dreymal gesehen, aber Sie waren so beschäftigt, daß er Sie zu stören fürchtete. Adieu, wir umarmen Sie von Herzen.

Den 19ten August.

Indessen Sie mit Ihren Gelehrten zur Tafel sassen, spiesen wir hier mit der Wittwe eines Akademikers; und mit Grafen und Gräfinnen aus der Nachbarschaft, alles unter einander, geistlich und weltlich; denn es war eine Chanoinesse, und ein Graf von Lyon dabey; stellen Sie sich also die Heiligkeit der Gäste vor! Die Wittwe ist die Frau des verstorbenen Grafen von Milly, die mit vollem Recht über ihr Witthum sehr erfreut ist. Wenn Sie ihre Geschäfte nicht wissen, will ich sie Ihnen ein andermal auftischen. Wir haben kein so interessantes Herbarium zu besehen gehabt, als das, wodurch Sie so glücklich wurden, aber wir hatten höfliche, ziemlich gebildete Offiziere, ein Vorzug der in diesem Stand zu selten ist, um nicht sehr angenehm zu seyn, und wir haben unsern Tag mit einem Spatziergang nach einer Vogue beschlossen; so nennt man hier gewisse Feste, zu denen sich das Volk auf einer Wiese versammelt, wo ein jeder nach seines Herzens Gelüste tanzt und trinkt. Hier sind Geigen, dort Pfeiffer, weiter hin eine Schalmei, wer kein Instrument hat, ersetzt es mit der Stimme, andre trinken lustig unter Zelten einen herben, jungen Wein, ohngefähr wie den Surenner, und zuweilen tanzen die schönen Damen auch einen Reigen. Aber wir wollen wieder von unsern Geschäften sprechen; Sie sind ein Windbeutel, ein wahrer Aufschneider, immer melden Sie uns Leute an, die niemals kommen; das verlohnt sich wohl der Mühe, einem so um eines quiesbet willen den Mund wässern zu machen; schon dreimal haben wir den Zeitpunkt berechnet, erwartet, wo Ihrer Nachricht zufolge Jemand eintreffen sollte; noch hat sich kein Mensch gezeigt. Ueber Ihren Verliebten tröste ich mich doch, seit ich weiß, daß er nur fünfzehn Jahr alt ist; den müßte man also erziehen, und zu dem Handwerke bin ich noch nicht alt genug; ich brauche mein Glück noch nicht bey Schuljungens zu suchen; und ich fürchte mich nicht vor Kenner Augen, daß Sie es nur wissen, mein Herr! – Ey bei meiner Treue, ich wollte Sie wären in England, Sie würden sich in alle Weiber verlieben; gieng es mir selbst, mir Weibe, doch bald so! Das ist ganz etwas anders bey uns, jene haben allgemein die Biegung von Gesicht, die Lavater so schätzt. Ich wundre mich gar nicht, daß ein Mann von Gefühl, der die Engländerinnen kennt, Beruf nach Pensylvanien spürt. Glauben Sie mir, wer keine Achtung für die Engländer, und keine zärtliche, mit Bewunderung vermischte Liebe für ihre Weiber hat, ist ein elender Mensch, oder ein Faselhans, oder ein dummer Tropf, der nicht weiß, was er schwatzt.

Sie, mein Herr, sind ein ungeschliffner Mensch, und auch ein Faselhans; mir ist es gar nicht eingefallen, daß die Pflanze eine andre Aehnlichkeit mit dem Baldrian hätte, als den Wuchs; gerade weil sie spezifisch so sehr verschieden von ihm war, daß ich sie unbezweifelt für eine andre Pflanze hielt, fragte ich Sie um den Namen. Hieraus ziehen Sie also den Schluß. Wenn Sie nach diesem Geschwätz urtheilen, daß ich sehr lustig bin, irren Sie sich gewaltig; ich möchte vor Verdruß vergehen; und wenn ich Ihnen sage, daß ich dieses Jahr gar nicht auf das Land gehen werde, können Sie es leicht begreifen; ich werde den Clos nicht mehr sehen als Sie selbst thun; aller Unterschied wird seyn, daß ich noch Früchte von daher esse, aber sie sind zwey starke Stunden weit hergebracht, haben den Geschmack verlohren, und kurz und gut, ich habe sie nicht gepflückt. Ich schliesse mit dieser Klage, und wünsche Ihnen Freude und Gesundheit.

Den 27ten August.

Die Post geht erst übermorgen ab, aber ich habe ein paar freye Augenblicke, und will Ihnen schnell sagen, daß Sie nicht das Verdienst gehabt haben, mir la Blancherie zuerst genannt zu haben. Ich wußte, daß er in Lyon war, und zweifelte sogleich keinen Augenblick mehr, daß er es war den Sie meinten. Es ist mir doch aber sehr lieb, daß Sie ihm Mademoiselle Phlipon nicht angekündigt haben; seine Vernachlässigung scheint mir leichter zu entschuldigen. Ich bin bescheiden, ich! aber das muß ich Ihnen erzählen, wie la Blancherie zum Direktor der Lyoner Akademie, dem Herrn von Villers gekommen ist, um ihn zu bitten, daß er ihn bey einer Sitzung einführen möchte; Herr von Villers fragte ihn, in einem höflichen, achtungsvollen Tone, ob er Lust hätte, in dieser Gesellschaft aufgenommen zu seyn? Nein, antwortete la Blancherie, ich kann zu keiner gehören – Und warum? – Weil ich mich dann in alle Akademien von Europa müßte aufnehmen lassen. – Herr von Villers, ein ernsthafter Mann, der Karakter und Kraft hat, begnügte sich, ihm ganz einfach zu antworten: Sie haben mir gesagt, daß Sie bei Herrn dem und dem speisen; bitten Sie ihn, daß er Sie auch in die Akademie einführt. – Ich habe hier bey einer Sitzung der unsrigen, zwei oder drei verdienstvolle Männer aus Lyon gesehen, die alle darinn übereinkamen, daß la Blancherie unerträglich geckenhaft wäre. Unter uns gesagt, wundert mich das nicht; denn es ist zehn Jahre her, daß er schon artige Anlagen dazu hatte, und ein solcher Zeitraum, während dessen man in der Welt umher intriguirt, muß sie wunderbar entwickelt haben.

Jetzt auch ein Wort von unsrer akademischen Sitzung, die sehr zahlreich, und nach aller Urtheil sehr angenehm war, ich sage nach aller Urtheil, denn das meine könnte Ihnen aus zwey Ursachen verdächtig seyn. Erstlich hat mein guter Freund eine Rede gelesen, die sehr beklatscht wurde, sie handelte von dem Einfluß der Wissenschaften in den Provinzen, verglichen mit dem Einfluß derselben in der Hauptstadt; sie enthielt vieles über die Weiber, und manche Damen nahmen ihr Schnupftuch zu Hülfe; wüßten sie, daß ich einigen Theil daran habe, sie rissen mir die Augen aus.

Der Direktor unterhielt uns von den Entdekungen des Jahrhunderts; ein Fremder trug uns die Meinung von der Fühlbarkeit der Pflanzen auf eine angenehme Weise vor, und belegte sie mit interessanten Beyspielen. Dieser Fremde ist ein Schweitzer, kömmt eben aus England, wo er in Oxford die Docktorwürde erhalten hat, ist als protestantischer Geistlicher in Lyon angestellt, und hat neuerdings ein kleines achtzehnjähriges Weibchen aus Sedan geheirathet, mit welcher er uns Bekanntschaft hat machen lassen. Ein Großvikarius aus Lyon, den wir schon ausserdem kannten, hat einige sehr gute kritische Aufsätze, aus dem Deutschen übersetzt, gelesen. Der Sekretair unterhielt uns mit einer Epistel in artigen Versen, sie enthielt einen Glückwunsch an unsern Freund über seine Rückkehr in sein Vaterland in Gesellschaft einer Gattinn, von welcher der Dichter nach Dichterart sprach. Es ist mehr wie zweifelhaft, ob mich das bey den Weibern in sehr grosse Gunst gesetzt hat; da sie indessen nichts dagegen sagen dürfen, so möchten sie gern an der Rede eines Akademikers, dessen Frau ein öffentliches Lob erhalten hat, etwas auszusetzen wissen. Ohngeachtet aber diese Rede grosse Wahrheiten über sie enthält; so ist sie unglücklicher Weise doch sehr höflich und so gar zierlich. Uebrigens ist der Sekretair ein Mann von Gewicht, von einer ausgezeichneten Annehmlichkeit des Geistes, und Dechant des Kapitels.

Lassen Sie uns doch nun ein Wort von Ihren Herren Dücis und Thomas sprechen, die beyde in Lyon sind, und einer des andern Lob ausposaunen, wie die beiden Esel in der Fabel. Dem letzten ist es eingefallen, Verse an den Jeannin drucken zu lassen, den Sie kennen, und über welchen alle Welt spottet; der Akademiker lobt den Charlatan darinn, daß die Balken brechen; um das Ding noch rührender zu machen, hat er eine Episode von Dücis hineingebracht, wie dieser bei einer Reise über die Savoyischen Gebürge in seinem schlechten Wagen fast vor Angst umkömmt, und endlich einen betrübten Purzelbaum schlägt. Thomas erblickt in seinem Konfrater den Sophokles von Frankreich, der gleich einem andern Hyppolit von seinen unbändigen Rossen geschleift wird, daß die Splittern seines Wagens umherstieben. Ein Provinzbewohner, dem das Geschwätz Langeweile machte, und der Weihrauch den Athem versetzte, hat die hierbei folgenden Verse darauf gedichtet, und beklagt sehr, über meine ehrlichen Landsleute nicht Ihrer Meinung seyn zu können. Wenn aber die Richter Ihres Parnasses solche Schnitzer machen, wie wollen Sie den Haufen unsrer Laffen entschuldigen? Ganz unabhängig von dem schlechten Gegenstand, den Thomas zu seinem Götzen wählte, sind seine Verse nicht einmal des Rufs meines Lobredenmachers würdig. Diese beiden Akademiker sind es indessen, welche künftigen Dienstag in der öffentlichen Sitzung zu Lyon glänzen werden; der eine soll, wie man sagt, einen Gesang seiner Petreide darinn vorlesen. Wenn la Blancherie bald wieder abreist, kann er Ihnen Nachricht davon geben; ich glaube nicht, daß er viele Subscribtion in Lyon finden wird.

Den 12ten Oktober.

Ey guten Tag, guter Freund! ich habe recht lange nicht geschrieben, aber ich rühre auch seit einem Monat die Feder gar nicht an, und ich scheine mir fast von dem Thiere, dessen Milch mich wieder herstellen soll, einiges anzunehmen. Ich esele etwas rechts, und gebe mich in allen Stücken mit dem Sauleben ab, das man auf dem Lande führen muß. Ich trockne Birnen, die ganz leckerhaft seyn werden, deßgleichen Pflaumen und Weintrauben, man hat grosse Wäsche, näht Leinenzeug, trinkt weissen Wein zum Frühstück, schläft hernach das Räuschchen auf dem Rasen aus, führt die Weinleser an, und ruht dann im Wald oder auf der Wiese; auch schlägt man Nüsse ab, hat alles Winterobst abgepflückt, und breitet es auf dem Speicher aus. Gott wie wir den Doktor in Athem setzen! Sie, Sie lassen ihn umarmen, Sie sind doch ein närrischer Kautz!

Sie haben uns allerliebste Beschreibungen geschikt, die uns sehr viel Vergnügen gemacht haben; gewiß Sie sollten um Ihren Freunden Spaß zu machen, immer und ewig umherlaufen, vor allem aber nicht vergessen sie zu besuchen. Adieu, wir müssen Frühstücken, und dann soll der ganze Haufe Mandeln pflücken. Gruß, Gesundheit, und vor allem Freundschaft!

Von Clos den 15ten Oktober.

Sie sehen, ich bin noch hier; wir waren auf acht Tage hergekommen, und werden nun wahrscheinlich zwey Monate da geblieben seyn. Oekonomische Einrichtungen hatten unsern ersten Entschluß bestimmt; um des physischen und moralischen Besten willen haben wir uns anders besonnen. Zwar giebt unsre Mama indeß eben so viel aus, als wären wir bey ihr: und Fremde nehmen unsern Platz bey Tisch ein; aber was ist zu thun? wir sind hier im Schoos des Friedens und der Ruhe, hören nicht von Früh bis Abend keifern, sehen um uns kein widerwärtiges Gesicht, woraus sich wechselsweise Gleichgültigkeit und Neid malen, wo jedesmal, daß uns irgend etwas Gutes wiederfährt, oder uns Achtung erzeigt wird, Aerger und Zorn, mit Ironie übertüncht, zu lesen sind. Hier athmen wir gesunde Luft, überlassen uns der Freundschaft, dem Zutrauen, ohne zu sorgen, ob es eine harte Seele, die nie diesen Genuß kannte, und aufgebracht ist ihn andern vergönnt zu sehen, verdreussen möge oder nicht. Hier können wir treiben, arbeiten, oder uns freundschaftlich streiten, ohne die traurige Gewißheit, daß alles was wir nur thun mögen, getadelt, bekrittelt, übel ausgelegt wird.

Für so viele Vortheile kann man schon ein bischen Geld opfern; aber will man sich nicht zu einer gänzlichen Spaltung entschliessen, so ist es doch unmöglich, diesen Handel auf das ganze Jahr einzugehen; es wäre nicht werth darum zusammen gekommen zu seyn. Nun, habe ich Ihnen genug vorgeschwatzt? Glauben Sie, daß ich Sie noch liebe? Seyn Sie aber doch überzeugt, daß ich Sie eben so lieb hätte haben können, ohne gegen Sie noch irgend sonst jemand ein Wort von meines Mannes Mutter zu sagen, wenn er sie nicht zuerst gegen Sie erwähnt hätte. Aber man muß billig seyn; diese Verdrüßlichkeiten, die mir Anfangs so herb und empfindlich schienen, kommen mir jetzt weit erträglicher vor. Ich weiß sie besser zu schätzen. So lange ich mir einige Hofnung machte, bei allen den Wunderlichkeiten des sonderbarsten Karakters noch ein Herz zu entdecken, so lange quälte ich mich, um es an mich zu fesseln; und ich war untröstlich, daß es mir nicht gelingen wollte. Nun ich aber sehe was da ist: ein selbstisches, eigenwilliges Geschöpf, dessen Wesen im Widerstreben besteht, das nie eine Freude kannte, als andre durch seine Grillen zu plagen, das über den Tod zweyer seiner Kinder, die es mit Kummer überhäufte, frohlockt, das über unser aller Tod lächeln würde, und gar kein Hehl daraus macht; nun bin ich zur Gleichgültigkeit, ja fast bis zum Mitleiden gelangt, und Unwillen oder Haß überfällt mich nur noch auf kurze Augenblicke. Alles zusammen gerechnet, ist es doch vernünftig hieher gekommen zu seyn, und hier zu verweilen; unsers Kindes Bestes erfordert es weit mehr, wie wir vor unsrer Ankunft dachten. Glauben Sie mir, mein Freund, ein grosses Gut kann man nicht anders als mit einem Stückchen Leidwesen erkaufen; wenn ich zu dem Glück eines Mannes wie der meinige, der so geliebt ist wie ich ihn liebe, auch noch überdem lauter Stoff zur Zufriedenheit hätte, so wäre ja hienieden das Paradies, die vollkommne Seeligkeit.

Erster December.

Ich erhalte Ihr Sendschreiben und spotte Ihrer Moral, Sie können von Haus zu Haus gehen, eh Sie jemanden fänden, dem sie so wenig Noth thäte wie mir. Ich will Ihre Briefe Morgen mit nach Lyon nehmen, ich gehe mit Eudora und einem Bedienten dahin; die Wärterinn lasse ich zurück, weil ich nur wenige Tag bleibe, und unsre Wohnung ohnehin schon voll genug seyn wird, denn der Docktor und mein Freund sind schon seit vierzehn Tagen da. Sie können dem wackern Herrn Parault, den ich tausendmal grüsse, sagen, daß der Docktor noch hier durchgehen wird, ehe er in der Hauptstadt anlangt; er muß sich also bis nächstes Jahr gedulden.

Sie wollen wissen, warum ich Ihnen seit einiger Zeit keine langen Briefe schreibe? Ich will Ihnen so offenherzig antworten, wie Sie selbst sind. 1) Habe ich wenig Zeit; vielleicht aber hätte ich sie gefunden, wäre es mir nicht vorgekommen, als ob meine Briefe Sie nicht mehr ganz wie ehedem interessierten. Ich sage nicht, worauf sich dieser Einfall gründet, ich weiß es nicht, es ist kein Urtheil, es ist ein Gefühl, es ist sogar dergestalt blos innerlich, daß ich bey mehrerem Nachdenken jetzt zu glauben anfange, Sie mögen diese Veränderung wohl selbst nicht wahrgenommen haben. Groß ist sie zwar auch nicht, denn mein Stillschweigen fällt Ihnen auf, und das freut mich sehr. Wären Sie ein Weib, so hätte ich schon einen kleinen freundschaftlichen Streit mit Ihnen angefangen; aber ohne recht zu wissen, warum oder wie, fühle ich gegen euer Gezücht nicht die mindeste Nachsicht in mir; und wo ich nicht von einem Eifer, von einer Theilnahme überzeugt bin, die der meinen wenigstens gleich kömmt, da verschliesse ich mein Gefühl in mich, und schweige. Vielleicht finden Sie darinn mehr Stolz wie Großmuth, vielleicht halten Sie das nicht für recht treue Freundschaft; das weiß ich eben so wenig, aber ich bin nun einmal so.

Den 22ten December.

Heyda mein Freund, wie zornig! warum das? Ihr Männer seyd doch höchst drollig, Ihr schreit hoch auf, wenn man euch nur Wahrheit sagt, und gesteht am Ende doch ein, daß sie eben nicht am unrechten Fleck ist.

Habe ich denn geschmält? habe ich mich beklagt? ich habe eine Bemerkung gemacht, Sie finden sie gegründet, und deßwegen sind Sie geneigt, Wehe über mich zu schreien. »Der moralische Mensch kann sich eben so unmöglich immer gleich bleiben, als der physische Mensch den Veränderungen zu entgehen vermag.« Das ist Ihre Antwort, und das Resultat Ihrer Untersuchung; wer bestreitet Ihnen denn das Faktum und das Princip? Das erste hatte ich als meine Beobachtung aufgestellt: Sie machen es zur Maxime; das kommt alles auf eines heraus, und Ihr Gelüst, Vorwürfe zu machen, und sie für wohlverdient zu halten, wird mir unbegreiflich.

Ist es denn ein so großes Unrecht von mir, richtiges feines Gefühl zu haben, und Ihnen die Bemerkungen, zu welchen es mir verhilft, treuherzig mitzutheilen? Sie verlangten vielleicht, ich sollte böse werden, kläglich thun; das könnte sich höchstens bey einer gewissen Art von Verbindung zutragen; aber bey einer Freundschaft, wie die unsrige, mag der Anstrich gleich etwas mehr oder minder lebhaft seyn, bleibt sich der Grund immer gleich. Wir behalten gegenseitig in unserm Karakter, unserm Wesen dieselben Ursachen uns hochzuachten, wir haben in unserm Geschmack, unsern Begriffen, dieselben Annäherungspunkte, für unsre Verbindung dieselben Nahrungsmittel. Es giebt also einen Grad Zutrauen und Theilnahme, der sich nothwendig unverändert erhalten wird. Nun bleibt also nur das Mehr oder Minder an Reitz, Eifer und Freude im Genuß dieser Freundschaft dem Wechsel unterworfen: dieß Feld ist weit und frey. Vergangnes Jahr waren Sie Feuerfarben, jezt sind sie Silbergrau; ich hingegen gerathe eben nicht in die Extreme, ich behalte eine ziemlich gleiche Schattirung, und sehe Ihrem Farbenspiel zu, ohne mich sehr darüber zu verwundern.

Die ruhige heilige Freundschaft hat einen Ruhepunkt, auf welchem der Waagbalken sich immer hält. Die Leidenschaften, grausam und entzückend, wie es kömmt, setzen uns ausser uns selbst, und lassen uns endlich im Stich; aber was eine Verbindung, trotz jeder scheinbaren Erkältung, stets erhält, ist Rechtschaffenheit der Art des Denkens und Handelns, das Zutrauen eines offnen, fühlenden Herzens, die Mäßigung eines weisen Gemüths, das durch gute Grundsätze gesichert ist. Diese Eigenschaften sind es, mein Freund, denen Sie es zu verdanken haben, daß ich immer dieselbe bin; freylich muß es mir als Gattinn und Mutter, bestimmt und befriedigt durch diese beglückenden Vorrechte, leichter werden, Gleichheit in dem Betragen gegen meine Freunde zu erhalten, leichter wie Ihnen, da Ihre Affekte nach Ihrer unbestimmten Lage wechseln müssen; daher würdige ich Ursache und Würkung, und wenn Ihre Veränderlichkeit auch meinem Urtheil nicht entgeht, so bleibe ich doch ihre Freundinn.

Ich lache aber doch über meine Einfalt, Ihnen so weitläuftig zu antworten. Sie mögen seit Ihrem lezten Brief an so manches andre gedacht haben, daß Sie vielleicht gar nicht mehr wissen, worauf mein Geschwätz geht.

Dem mag seyn wie es will; Sie müssen mir einen Dienst leisten, schnell und ordentlich; hören Sie worauf es ankommt.

Ein Mann von Geist, den ich schätze und ehre, hat den Auftrag erhalten, dem Herzog von Orleans eine Leichenrede zu halten. Er weiß nicht viel von ihm zu sagen, und ich eben so wenig; es kommt also darauf an, Fakta, Anekdoten, die öffentliche Meinung, kurzum, etwas über das Leben dieses Prinzen zu sammeln, etwas das einen Begriff von seinem gesellschaftlichen und individuellen Wesen, von seinem Betragen in der Welt und in seiner Familie gäbe; etwas, das man anführen, von wo man ausgehen, oder das man ausschmücken könnte. Sie haben genug Bekanntschaften, um irgend jemanden zu finden, der Ihnen so viel es sich thun läßt, Materialien lieferte. Gehen Sie, suchen Sie, finden Sie, schicken Sie mir; Sie wissen jezt was ich brauche. Ich weiß, daß Sie sehr beschäftigt sind, aber ich kenne auch Ihre Thätigkeit, und fordre Ihre freundschaftliche Bemühung auf.

Mein Freund ist wieder nach Lyon zurückgegangen, er schickt mir Ihren Brief von dorther, er glaubte, er sey an ihn gerichtet, und trägt mir auf, Ihnen zu antworten, »daß er sich nicht fürchtete, andere lesen zu lassen, was er an seine Freunde schriebe, er wüßte wohl, wie mißtrauisch, starrköpfig, ja so gar hart, Menschen von Gefühl seyn könnten, aber sie wären auch gut, giengen in sich, und taugten im Grunde wohl mehr wie andre; Sie gehörten sehr in diese Klasse, er eben auch, und das möchte wohl die Ursache seyn, warum er Sie liebte.« Wenn er etwa Recht haben sollte, und Ihr Brief, den ich für eine Antwort auf den meinen nehme, ganz an ihn gerichtet wäre, wird Ihnen die Sache ja wohl ohne Zweifel klar seyn.

Villefranche den 25ten Januar 1786.

Was soll ich von Ihrem oder von unserm Schicksal denken? von den Veränderungen nämlich, die sich in dem Ihrigen müssen zugetragen haben, oder von Ihrem Mangel an Eifer, uns das was Sie betrift mitzutheilen? Halten Sie uns in dieser Rücksicht für so wenig theilnehmend, daß Sie gar nicht mehr verbunden wären, uns von Ihrer Lage zu unterrichten. Worauf könnte sich ein Irrthum gründen, der unsrer Freundschaft so grausam Unrecht thäte! Ich kann es nicht glauben. Wie soll ich aber Ihr Stillschweigen erklären? Nach dem was Sie uns zu verstehen gegeben, müssen Sie doch gewiß schon seit einiger Zeit wissen, was Sie von den Veränderungen, die Ihnen nicht gleichgültig seyn konnten, zu halten haben.

Wenn daraus unangenehme Folgen erwachsen, warum vertrauen Sie sich Ihren Freunden nicht an? Wenn das nicht ist, und das bin ich zu glauben geneigt, wie können Sie dann den Muth haben, uns in dieser Ungewißheit zu lassen?

Was es aber auch seyn mag, und wie Sie auch seyn mögen, schreiben Sie uns, und setzen Sie uns nicht in die peinliche Nothwendigkeit die Ursachen eines Stillschweigens aufzusuchen, zu welchem sich die Freundschaft unmöglich bequemen kann.

Wenn Sie uns in Betreff Ihrer beruhigt haben werden, so geben Sie uns einige Nachricht von Ihrer Hauptstadt, und vom Cardinal, von welchem man in der Provinz nicht mehr weiß, was man denken soll. Ich empfehle Ihnen nochmals die Erkundigungen wegen des Herzogs von Orleans; man wartet hier auf seine Leichenrede, und der Verfasser derselben wartet auf Ihre Notitzen.

Eudora wächst ziemlich, und fängt ein Bischen an zu lesen; ihr Vater ist in diesem Augenblick sehr beschäftigt. Wir umarmen Sie, und bitten dringend um Nachricht von Ihnen, Ihrer Lage, kurz von Ihnen und nur allein von Ihnen. Adieu! vergessen Sie doch redliche Freunde nicht, die durch Karakter und Lage gar nicht fähig sind, die Gesinnungen, die sie Ihnen widmeten, zu verändern.

Den 20ten Februar.

Paris ist ein Abgrund; ich glaube, er verschlingt sogar Freundschaft und Andenken. Wir hören eben so wenig von Ihnen, als wenn Sie todt wären, ja sogar der Doktor läßt uns auf Nachricht warten; ich sehe wohl, daß euch die Hauptstadt alle verdirbt. Ich überlasse euch also eurer Verdammniß, antwortet mir aber nur, wenn ich euch frage; zu etwas mehr scheint Ihr mir jezt gar nicht fähig zu seyn.

Und in dem Strudel eurer Zerstreuungen, mitten unter den Veränderungen der Regierung, den Intriguen des Hofs, dem Wogen der Bekanntschaften, und dem Flitter der Gelehrten, soll ich euch von unsern Freunden erzählen? Gewiß, das würde sehr nach der Provinz schmecken.

Indessen tanzen, singen, essen, trinken wir wie bey euch, aber anstatt mit einem jeden, der daher gelaufen kommt, zu dissertiren, geben wir uns nur zum Zeitvertreib in unserm Kabinet mit Raisonniren ab.

Ich will Ihnen nicht eher sagen, daß wir Sie noch immer lieben, als bis ich weiß, daß Sie es werth sind; ich erspare das bis auf das nächste mal.

Den 27ten Februar.

Nun wahrlich, Sie fangen an, mich zu erbauen. Ein Mensch, der beweist, verdient schon einige Achtung, aber gar ein Büssender! – Das klingt gar kläglich! und in Wahrheit Sie sehen mir ganz danach aus, es thut mir leid, daß ich es Ihnen sagen muß. Indessen, bey allem diesem ernsten und tadelreichen Ton, schimmert doch etwas durch, ich weiß nicht recht was? Es sieht fast wie Böseseyn aus, und macht Sie wieder etwas liebenswürdig; diesesmal mag es also hingehen, und wir wollen vernünftig reden.

Es freut mich sehr, daß Sie Delolme lesen; er muß Sie, denke ich, sehr fesseln, besonders da Sie im Stand sind, Vergleiche anzustellen. Wissen Sie aber wohl, daß Massachussets ein ganz barbarischer Name ist? Nimmermehr hat man einen Menschen von gutem Ton ein solches Wort aussprechen hören, indem er einer Dame etwas artiges sagte. Ich kenne ein Frauenzimmer, die an dem Wort Transylvanien, das ihr neu war, und mißlautend schien, so einen Anstoß genommen hat, daß sie den Unverschämten, der es aussprach, aus ihrer Gegenwart verbannte.

Ich bin aber so gutherzig, und weiß es Ihnen so sehr Dank, nicht mehr zu wissen, was Sie sagen sollen, daß ich Ihnen alles übrige verzeihe.

Sie möchten wohl, daß ich Ihnen etwas von Eudora erzählte, die geläufig liest, ihrem Vater kleine Verse von meiner Mache hersagt, bis an die Augen roth wird; und liebkosen und schmeicheln kann wie eine Hexe von zehn Jahren; aber ich will Ihnen auch nicht alles sagen. Ich begnüge mich also, Sie wissen zu lassen, daß ich immer ein Bischen eine Pariser Pfalbürgerinn bleibe, und nicht umhin kann, mich für die Bewohner der guten Stadt zu interessiren, und daß ich Sie je zuweilen noch lieb habe.

Den 17ten März.

Wir fühlen nie mehr, wie sehr wir Sie lieben, als wenn Sie bekümmert sind. Die wenigen Worte, die Sie mir sagen, beunruhigen mich; Sie erwähnen einer traurigen Nachricht, aber Sie öffnen uns Ihr Herz nicht; Sie sind unbaß und bekümmert, und begnügen sich, es zu äussern, ohne sich, ich will nicht blos sagen, dem Zutrauen, sondern der Ergiessung der Freundschaft zu überlassen. Denken Sie denn der unsern nicht mehr? sollte sie Ihnen nicht mehr theuer seyn? Ihr Ton ist so gleichgültig, daß er uns drückt, indeß Ihr Kummer uns quält.

Erklären Sie sich, schreiben Sie, wir sind unruhig, bis Nachricht von Ihnen kommt, wir sehen ihr mit Ungeduld entgegen.

Ich schreibe nur, um Sie darum zu bitten; der Freund ist wieder gekommen, nachdem er vorher ziemlich durchnäßt worden war. Wir sind blos mit Ihnen beschäftigt. Adieu, mein Freund? ruhen Sie noch zuweilen im Schoos der Freundschaft, die uns auf immer verbunden hat. Wir umarmen Sie mit einer unbeschreiblichen Rührung.

Den 3ten Mai.

Ich bin Ihnen gar nicht ähnlich, denn ich werde Sie nun noch mehr lieben; mein guter Freund ist abgereist, alles was ihn umgiebt wird mir lieb, bald ist er bey Ihnen, Ihr werdet euch sehen, Ihr werdet den Bund der heiligen Freundschaft erneuern, ich versetze mich in eure Mitte, und theile eure Empfindungen.

Heute oder Morgen über acht Tage kommt der Geliebte meines Herzens in Ihrer Hauptstadt an, bis dahin hält er sich einige Tage in l'Epine und Longpont auf. Schreiben Sie mir auch von sich und von ihm. Ich werde Ihnen oft Nachricht von mir geben, und ich hoffe, daß es Ihnen eben soviel Vergnügen wie ehmals machen wird, unserm Briefwechsel behülflich zu seyn, und daran Theil zu nehmen.

Künftige Woche soll ich mit meiner armen Eudora auf das Land gehen. Sie ist noch immer mager, immer schwach, und befindet sich doch in voller Genesung. Ich gedenke, die ganze Zeit meiner Wittwenschaft auf dem Lande zuzubringen; von Feld und Wiese umgeben, bey dem Anblick des grossen Schauspiels der Natur, wird es mir leichter werden, die Abwesenheit dessen zu vergessen, der mir das alles noch werther macht. Sie, Bewohner einer grossen Stadt, Sie und viele andre, finden diese Begriffe, diese Empfindungen vielleicht sehr bäurisch, vielleicht nur in Büchern an ihrer Stelle; sie sind in unsern kleinen Provinzstädten eben so befremdlich als in der Hauptstadt; ich glaube die Verderbniß ist in der erstern noch grösser, die Leidenschaften gähren hier ohne Unterlaß, und erzeugen ihre traurige Folgen, ohne daß sie durch irgend etwas aufgewogen werden. Der einzige Vortheil, den eine kleine Stadt gegen eine grosse hat, besteht darinn, daß man schneller heraus kann, daß man täglich auf das Land laufen kann. Adieu! indeß ich da moralisire, schlägt es zwölf, die Mutter schmält, und will essen, das Gesinde eilt, das Kind schreit; man muß sich zu Tisch setzen, mag man Lust zum essen haben oder nicht. Adieu, ich brenne zu erfahren, daß Sie und der Freund sich umarmt haben; vernehmen Sie im voraus, daß ich den dritten Mann dabey mache.

Vom Clos den 12ten Mai.

Gewiß Sie sind ein Chamäleon, oder noch etwas schlimmeres. Sie fangen Ihren Brief wie ein Marktschreier an, fahren im Ton eines Mannes von Gefühl fort, und schliessen wie ein Roué. Sagen Sie mir nur, wo schimmert denn nun der natürliche Karakter durch? Ich möchte Ihnen wohl beweisen, daß ich Gründe zu zweifeln habe, aber ich bin zum beweisen nicht aufgelegt. Daß Sie es aber nur wissen, ich werde Ihnen für meines Mannes Beständigkeit nicht den geringsten Dank wissen, und ist er nur um einen halben Skrupel verändert, so nehme ich Sie darum in Anspruch. Lernen Sie also Ihre boshaften Plane mit ein bischen mehr Feinheit, Diskretion, und Falschheit anlegen. Sie sehen mir nur wie ein Schüler oder ein Pajazzo aus; und so gutherzig und so sehr Provinzialin wie ich auch bin, mache ich mich doch anheischig, sobald ich mir nur die Mühe geben wollte, hunderten Ihres Gelichters aufzubinden was mir beliebte.

Es kleidet Sie fürwahr gut, zu sagen, daß man mich nicht mehr lieben soll; gehen Sie doch nur, Sie thäten weit besser, einzugestehen, daß Sie es vergessen, denn, wie die frommen Leute sagen, es wird doch nur geschehen, was dort oben geschrieben steht. Mit uns Weibern ist es schon ein anderes Ding; aber es hört auf zu regnen, ein Sonnenstrahl zieht mich an, und Sie werden sich nicht ereifern, daß die Anziehungskraft der Sonne stärker ist wie die Ihre? Ich werfe die Feder hinweg, sage Ihnen einen guten Abend, und will auf der Terrasse frische Luft schöpfen. Adieu!

Den 30ten Mai.

Bey meiner Treue, mag es zu diesem oder zu jenem seyn, Sie mögen allein dahin gehen; ich halte mich an den Menschen den Sie kennen, spotte des Teufels, und glaube eben nicht sehr an den lieben Gott; den Schluß dieses Gedankens kann aber ein Weib nicht gut schreiben.

Sie sind ein drolliger Mensch, mich zu fragen, ob ich Sie lieb habe? was liegt Ihnen daran? Ich möchte Sie fast sehen, um Ihnen gebührend darauf zu antworten; denn alle Wahrheit ist nicht gut zu sagen; und wenn ich auch, ohngeachtet Sie ein bischen ein Taugenichts geworden sind, Ihre Freundin geblieben wäre, so ziemt es sich doch nicht für die weibliche Würde, es einzugestehen. Indessen danke ich demjenigen, wer es auch seyn mag, der meinen Briefwechsel mit meinem Mann begünstigt, und wünsche, daß man ihm denselben Dienst bey einem Gegenstand leiste, der seiner innigsten Liebe würdig sey.

Ich meinerseits, schicke Sie zu niemanden, denn ich glaube, Sie spotten eben so sehr unsers God, mag er allein seyn, oder ein A. vorweg haben, wie des Goddamn's unsrer Nachbarn.

Hoffentlich findet Sie dieser Brief nicht in Spanien, und Sie haben keine Ursache, sich vor dem Rösten zu fürchten.

Den 2ten Juny.

Nun in Wahrheit, das begreife ich nicht! Sie haben also keinen Brief erhalten, in welchem ich meinem Manne Vorwürfe über seine Art zu reisen machte? Sie haben also nicht erhalten, was ich Ihnen auf Ihr artiges Billet antwortete, welches Sie mit Adieu ou au diable ( Gott befohlen, oder dem Teufel) zu endigen beliebt hatten?

Wohl dann, auf diese letzte Antwort muß ich zurückkommen; ich muß Ihnen sagen, daß ich es jedesmal, wenn ich gesammelt, und im Frieden meiner Seele, auf den Feldern umherstreife, und alle ihre Reitze geniesse, höchst angenehm finde, diese Güter einem höchsten Wesen zu verdanken; alsdann liebe ich Gott, und will an Ihn glauben; nur im Staube des Studierzimmers, wenn man über den Büchern erbleicht, oder in dem Strudel der Welt, wo man die Verderbniß der Menschen einathmet, da verdorrt das Gefühl, und eine traurige Vernunft erhebt die Wolken des Zweifels, oder die verderblichen Dünste des Unglaubens. Wie sehr liebt man nicht Rousseau, wie findet man ihn doch so wahr, und so weise, wenn man selbst drittes mit ihm und der Natur ist!

Adieu also, in Erwartung der Beobachtungen, die Sie mir in der ersten Zeile ankündigen, und in der zweiten sagen, daß es Ihnen an Zeit dazu fehlt.

Villefranche, Sonntags den 9ten July.

Ich habe ihn wieder, den guten Freund; wir sind wieder beysammen, und ich will nicht, daß er mehr ohne mich reise. Er kam zu mir auf das Land, als ich Ihren letzten Brief erhielt, auf den ich nicht wörtlich antworten werde, weil er im Clos geblieben ist. Ich will Ihnen nur sagen, daß er mir Freude machte, trotz der viel grössern Freude, meinen Tauber wieder zu haben, vor welcher alle andern Freuden schwinden. Sie sind mit Ihren Bienenkorbsgeschichten ein drolliger Windbeutel; meine erste Frage nach Ihnen betraf Ihren Verlust, Ihren Kummer; anfangs wußte man nicht, was ich wollte, und endlich lachte man mir ins Gesicht; kommen Sie mir noch einmal mit Ihren Klagliedern, ich werde mir Zeit Lebens einbilden, daß Sie die Leute nur aufziehen.

Adieu, schreiben Sie uns, und seyn Sie unsrer alten unverbrüchlichen Freundschaft versichert.

Den 18ten August.

Noch schlimmer als Faselhans: unbedachtsam, unverschämt .... was weiß ich alles? wie können Sie hoffen, daß ich es Ihnen je verzeihe, mir mit abschreiben der langweiligsten Dinge von der Welt die Zeit verdorben zu haben? Abschreiben! abschreiben? – Ich abschreiben! – Es ist eine Erniedrigung, eine Entweihung, eine Entheiligung vor dem Richterstuhl des Geschmacks. Es läßt euch gar fein, hinterdrein die Nase empor zu tragen, die Schultern aufzuziehen, euch in der Hauptstadt eingeschlichenen, aus welcher ich einen guten Theil des besten, was sie besaß, mit mir fort genommen habe?

Wißt Ihr denn nicht, daß ich auch Journale und Federn, und sogar Verse an Iris, auf meiner Toilette liegen habe? daß ich von meinem Landgut, meinen Leuten, von der Langeweile in der Stadt zu dieser Jahresfrist, sprechen kann; daß ich über neue Schriften urtheilen, auf das Wort der Verfasser des Pariser Journals mich in ein Buch vernarren, Besuche machen, leere Worte sagen, und anhören kann? Ist das nicht bei euch der Triumph des Geistes, und die Kunst eurer feinen Damen von der schönen Welt?

Gehen Sie, Burschchen, Sie sind noch nicht gewandt genug zur Persiflage, noch unverschämt genug zum guten Ton. Ja, Sie haben nicht einmal so vielen Leichtsinn wie nöthig wäre, damit eine geschickte Frau, ohne sich auszusetzen, Ihre Erziehung unternehmen könnte. Gehen Sie, sammeln Sie Inseckten, streiten Sie sich mit Ihren Gelehrten über die Beschaffenheit der Schneckenhörner, oder die Farbe eines Käferflügels: unsre Weiber bekämen nur Vapeurs bei Ihnen.

Das Andenken der liebenswürdigen Familie Audran ist mir sehr schmeichelhaft, sagen Sie es ihr, wenn Sie sie sehen, und fügen Sie tausend herzliches von mir hinzu.

Villefranche den 10ten November.

Ich sitze auch an meinem Feuer, aber um eilf Uhr des Morgens, nach einer ruhigen Nacht, nachdem alle Wirthschaftsgeschäfte abgethan sind; mein Freund an seinem Schreibtisch, meine Kleine bei ihrem Strickzeug; ich schwatze mit dem einen, gebe auf die Arbeit der andern Acht, und geniesse in vollem Maaß das Glück hübsch warm im Schoos einer kleinen Familie zu sitzen, und an einen Freund zu schreiben, indeß so manche Unglückliche, von Elend und Kummer niedergedrückt, kein Obdach vor dem fallenden Schnee haben; ihr Schicksal kümmert mich, ich denke still an das meinige zurück, und in diesem Augenblick rechne ich die Widerwärtigkeiten in unsern Verbindungen und Umständen, die es zuweilen zu trüben scheinen, für gar nichts mehr. Ich bin froh, wieder zu meiner gewöhnlichen Lebensweise zurückgekehrt zu seyn. Ich habe zwei Monate lang den Besuch einer allerliebsten Frau gehabt, deren schönes Profil und spitze Nase Ihnen auf den ersten Blick den Kopf verrückt hätte. Diese Veranlassung machte, daß ich mehr ausgieng und mehr Gesellschaft hatte; man hat ihr viel Höflichkeit erzeigt; wir haben dieses zerstreute Leben aber doch mit ruhigen Tagen abzuwechseln gewußt, die wir auf dem Lande zubrachten, und besonders genossen wir manchen angenehmen Abend, wo gelesen, und über das gemeinschaftlich Gelesene geschwatzt wurde. Endlich muß man aber wieder in seinen gewöhnlichen Gang kommen; wir sind jetzt blos unter uns, und ich sehe mich mit Entzücken in meinem kleinen Zirkel wieder die nächste am Mittelpunkt. So sehr man uns auch gebeten, ja obschon wir fast versprochen hätten, einen Theil des Winters in Lyon zuzubringen, so bestehe ich doch darauf, den Taubenschlag nicht zu verlassen; mein guter Freund kann sich indessen doch einer Reise dahin nicht entziehen, und er muß sich sogar an diesem Hauptort seines Departements ziemlich lange aufhalten. Ich werde Ihn aber allein gehen lassen, er mag unsre Bekanntschaften fortsetzen, seinen Administrazions-Geschäften nachgehen, und sich mit den Akademien die Zeit vertreiben; ich schliesse mich auf den ganzen Winter in meine Einsamkeit ein, und will sie nicht eher verlassen, als bis mich die ersten schönen Tage einladen, mein Gefieder in der Frühlingssonne auszubreiten. Ich habe über Ihre Schlüsse lachen müssen, was man wohl von mir denken, was ich wohl in Gesellschaft und Spielpartheien für eine Figur machen möchte; ich sagte zu mir selbst: da sieht man, wie alle unsre Gelehrten, Physiker und Chemiker raisonniren; sie gehen von einigen Punkten aus, von denen sie weder die Ursache noch die Verbindung kennen, aber sie ersetzen das mit ihren Muthmassungen, überstreichen das Ganze mit ihren grossen Worten, und geben nachher mit dem erhabensten Ernst die falschesten Resultate von der Welt für handgreifliche Wahrheiten aus.

Weil ich auf Veranlassung eines fremden Besuchs in Gesellschaften gegangen bin, weil man gewahr werden mochte, daß ich dort meinen Platz so gut wie eine andre behauptete, weil man ferner schliessen konnte, daß ich meinen Heerd sehr lieb haben müsse, um so allein dabei auszuhalten, da ich doch zur Noth auch in meinem Haus Leute zu empfangen, und etwas vorzustellen verstünde: da nimmt mein Philosoph an, daß ich mich entschlossen habe, immer ausser mir, und die Karten in der Hand, ein wahres Provinzleben anzufangen.

Weil es mir sehr sonderbar vorkömmt, daß das Kind eines Mannes von Gefühl, und eines sanften Weibes, eine Starrköpfigkeit hat, die man nur mit Hülfe der grösten Festigkeit überwindet, weil es mir leid thut, streng gegen sie zu seyn, damit sie sich bey guter Zeit unter das Joch der Nothwendigkeit beugen lerne: darum urtheilt mein übervernünftiger Herr, daß mich der Schwindel angesteckt hat, und ich meiner Tochter bald Halseisen und Stelzen zulegen werde. Armer Mensch, wenn Sie es mit Ihrem Studiren nicht klüger einrichten, so thut es mir leid, daß Sie so viele Zeit mit Arbeiten verderben! In Wahrheit, wären Sie seit drei Wochen bey uns gewesen, so hätten Sie vielleicht mehr Wahrheiten gelernt, als Sie sonst in langer Zeit entdecken können. Erstlich hätten Sie die Bekanntschaft aller vornehmen Leute aus einer kleinen Stadt gemacht, ich wäre Ihnen behülflich gewesen, eines jeden Karakter, Geschmack, Talente, oder Ansprüche, deßgleichen auch die Verhältnisse jedes einzelnen mit dem Ganzen, und eines jeden gegen den andern, zu beurtheilen, nicht minder ihre Plane, Pflichten, Leidenschaften, das öffentliche und geheime Spiel dieser letzteren, ihren Einfluß auf die grossen Bewegungen und Handlungen, das Resultat alles dessen für die allgemeinen und häuslichen Sitten, kennen zu lernen u. s. w. Sie hätten einen weit vollständigern Cursus der Philosophie, Moral und selbst der Politik gemacht, als Sie in einer langen Zeit durch Ihre unzusammenhängenden und zerstreuten Beobachtungen zu Stande bringen. Von da hätte ich Sie in Gesellschaft einer Italiänerin voll Geist, Feuer, Grazie, Talente, die mit diesem allen noch gesunden Verstand, einige Kenntnisse, viel Seele und Höflichkeit zu verbinden weiß, auf das Land geführt; wir hätten noch die Gesellschaft einer Deutschen dabey gehabt, eines sanften Weibes von strengen Sitten, die ihrer republikanischen Erziehung ein einfaches Wesen zu verdanken hat, und neben einer besondern Güte, sehr seltne Kenntnisse besitzt; ferner die Gesellschaft eines kalten, geistreichen, gelehrten, sanften, artigen Mannes; die andern Personen kennen Sie. Dieses war während der Ferien die Grundlage unsrer Wirthschaft auf dem Lande; rechnen Sie noch obendrein einige Nachbarn hinzu, einige Originale, die ihr die Krone aufsetzten; übrigens die gröste Freyheit, gesunder Tisch, herrliches Wasser, erträglicher Wein, grosse Spaziergänge, langes Geschwätz, angenehme Lektüren, und so weiter; und dann urtheilen Sie, ob Ihr philosophischer Cursus nicht sehr glücklich von Statten gegangen wäre.

Nun sey Ihnen kund und zu wissen, daß Eudora gut liest, und ein andres Werkzeug zu kennen anfängt, wie die Nadel, zum Zeitvertrieb geometrische Figuren zeichnet, von keinem Toilettenzwang etwas weiß, keinen Begriff davon hat, wie der Putz irgend einen Werth haben kann; sich für schön hält, wenn man ihr sagt, sie sey artig, und sie ein weisses Röckchen anhat, das durch seine Reinlichkeit auffällt; daß ihr höchster Lohn in einem Gutschen besteht, das man ihr liebkosend giebt, daß ihre Kaprizen seltner und weniger anhaltend werden; daß sie im Dunkeln wie am hellen Tage geht, ohne zu wissen was Furcht ist, und sich gar nicht einfallen läßt, daß es der Mühe werth sey, über was es auch sey, zu lügen; rechnen Sie hinzu, daß sie fünf Jahre und sechs Wochen alt ist, daß sie, so viel ich weiß, über gar nichts, wenigstens über nichts wichtiges, falsche Begriffe hat, und gestehen Sie es ein, daß wir unsre Mühe nicht ganz verlohren haben, so sehr mich ihre Starrköpfigkeit ermüdete, ihr Eigenwille beunruhigte, und so sehr ihr unachtsames Wesen unsern Einfluß erschwerte.

In Ihrem Briefe habe ich dennoch gefunden, daß alle Ihr Raisonnement, dessen unmittelbarer Gegenstand Sie selbst sind, sehr richtig ausfällt, und daß Sie das, worauf jetzt und künftig Ihr grosses Glück beruht , wohl begreifen, daß Sie also noch immer mehr Philosoph sind, als drei und ein halbes Viertel des gesammten Menschengeschlechts. Bleiben Sie noch ausserdem ein guter Freund, und Sie werden noch immer für sich selbst, und für alle braven Menschen sehr schätzbar seyn. Adieu! es ist bald Mittag, man wird mich zum Essen rufen, ich habe nur noch Zeit Sie im Namen der ganzen kleinen Wirthschaft, Eudora mit einverstanden, denn sie erinnert sich noch Ihrer oder Ihres Namens, zu umarmen.

Vom Clos den 3ten October.

Ihre brünstigen Gebete haben mich aus dem Reich der Schatten zurückgerufen, und ich kann mich wieder mit den Lebenden unterhalten. Ich hatte Sie jenseits nicht aus den Augen verloren, aber Sie erschienen mir nur in weiter Ferne, wie das fliehende Gewölk, das am Horizont schwebt, und sich mit demselben zu verschmelzen scheint, Ihre Orationen, Ihre Anstrengungen sich auszuzeichnen, haben mich mit einer neuen Erfahrung bereichert, zu euch zeitlichen Menschen zurückgeführt. Wie ich erst nur einen Planeten bewohnt hatte, glaubte ich, man könnte mit dessen Einwohnern umgehen, ohne seinen etwanigen Verbindungen mit den Bewohnern eines andern Planeten damit Eintrag zu thun. Nun sehe ich wohl, daß dem nicht also ist, und Proserpina hatte wohl recht, das Jahr abwechselnd zwischen Pluto und Ceres zu theilen. So lange ich in mein Kabinet eingesperrt, am Schreibtisch angewurzelt war, hatten Sie oft Nachrichten von mir; Sie, alle unsre auswärtigen Freunde, haben von meinem Leben, ja vielleicht von meinem Herzen nach meinem Briefwechsel geurtheilt, und indeß dieser eifrig fortgeführt ward, hielten mich die Leute hier im Ort und in der Nachbarschaft für eine Einsiedlerinn, die nur mit den Todten zu schwatzen wüßte, und den Umgang mit Wesen ihrer eignen Gattung verschmähte. Ich habe die Feder bei Seite gelegt, die grossen Arbeiten unterbrochen, habe mein Musäum verlassen, an der Gesellschaft Theil genommen, habe sie an mich kommen lassen, und mit denen, die mich umgaben, geschwatzt, gegessen, getanzt, gelacht, ganz wie jeder andere; man hat erkannt, daß ich weder ein Bär, noch ein Gestirn, noch eine Frau in Us wäre, sondern ein erträgliches und ertragendes Wesen; und nun haltet Ihr Herren mich für todt. Bald werde ich mich wieder an meine Beschäftigungen machen, werde mich wieder in meine Einsamkeit verschliessen, und der Satz wird sich noch einmal umkehren.

Was haben Sie in dieser Zeit gemacht? Die Summe Ihrer Kenntnisse haben Sie ohne Zweifel vermehrt: aber auch Ihren Muth, die Menschen wie sie sind, die Welt wie sie geht, das Glück wie es fällt, zu nehmen? Ich bin dahin gelangt, mir aus nichts, das nicht zu diesem Endzweck beiträgt, mehr etwas zu machen. Sie werden mir antworten, das dies eben keine grosse Kunst ist, wenn man seine Schöschen im Trocknen hat, und einen Gehülfen obendrein, der einem beim Philosophieren, und sonst beisteht; aber es giebt noch manches ausserdem, manches was auf unser Glück Einfluß hat, und dieser Einfluß ist es, den meine Vernunft zum Besten kehrt, oder in Nichts verwandelt. – Wie stehts in ihrem Lande? hat man da noch so viel Ehrfurcht für Leute die wichtig thun, für aufgeblasene Gecke, für reiche Pinsel, und für starke Schwätzer; Und Sie, den ich von hier erblicke, wie Sie so schnell sprechen, und rennen, bald gefühlvoll, bald faselich aussehen, nimmermehr aber es bis zur Würde bringen können, wenn Sie den Gravitätischen spielen, weil Sie alsdann Lavaterisch Gesichter schneiden – Sie, den wir so herzlich lieben, als Sie es verdienen, sagen Sie uns, ob Ihnen die Gegenwart erträglich, und die Zukunft lohnend vorkömmt; denn das allein gründet das Glück eines Alters, wo die Täuschungen der schönen Jahre verschwinden, und die Sorgen des Ehrgeitzes angehen.

Den 19ten Januar.

Sie haben Ihren Weihrauch umsonst verschwendet, guter Freund; der Meister ist noch nicht wider da, und ich war nicht im Zug, mich in die Brust zu werfen, aber ich weiß Ihnen an seiner Stelle Dank für Ihren lieben Brief, den ich mit Vergnügen erhalten habe.

Ich habe es mir bis jezt nicht träumen lassen, daß Sie irgend etwas von einem Juden hätten; aber in Ihrer Art, Ihren Mangel an Gedächtniß zu entschuldigen, finde ich, daß Sie nicht wenig Anlage zum Schelm haben. Man erzählt uns hier allerley Märchen von Ihrem Lyceum; das Parlament soll sich ja darein mischen, um Herrn de la Harpe auf die Finger zu geben; ist was daran?

Ihre dritte Seite hebe ich für meinen Theuersten auf, der sie zu schätzen wissen wird. Mir Unwürdigen sind alle Thorheiten Ariosts lieber, wie alle Wahrheiten Ihrer Gelehrten mit den rauhen Namen, die einem nicht über die Zunge wollen.

Morgen ist einer meiner glücklichen Tage. Nach zwey Monaten Abwesenheit werde ich meinen Freund wieder sehen, und mein Herz fliegt ihm entgegen, wie vor sieben Jahren.

Eudora vergilt Ihnen Gleiches mit Gleichem, ohne Umstände und Arges; hundert Stunden näher, schnitte sie vielleicht ein Gesichtchen.

Den 2ten May.

Was wird dann aus Ihnen, lieber, alter Freund? Man hört nicht mehr von Ihnen, erhält nichts, wie ein paar kleine Zeilen, die einen Auftrag begleiten, den Sie zwar gütig übernommen haben; aber das ist alles, kein Wort der Freundschaft, nichts von dem lieben Geschwätz, das sie so unverkennbar ausdrückt, weil man sich im Erguß des Herzens, und mit der Ueberzeugung, es werde seine gute Stelle finden, demselben überläßt. – Lieben Sie uns nicht mehr? Haben Sie bessere Freunde, haben Sie Menschen gefunden, die Sie besser zu schätzen, mehr zu lieben verstehen, die mehr wie wir wünschen, ein sanftes dauerhaftes Verhältniß, auf gegenseitige Achtung und übereinstimmenden Geschmack gegründet, mit Ihnen zu unterhalten.

Ich will Ihnen Ihr Glück nicht mißgönnen; wenn Sie auf Wesen stiessen, die mit Ihnen harmonirten, durch welche Sie die Annehmlichkeit geniessen, Ihre Gefühle und Gedanken mitzutheilen; aber beklagen muß ich mich, daß Sie die zu vergessen scheinen, mit denen Sie ehmals diesen Genuß gemein hatten. Ich habe Ihnen seit einiger Zeit weniger geschrieben, ich weiß es, aber ich habe Ihnen die Ursache gesagt; Sie hätten uns bedauren sollen, daß der Gang der Geschäfte, daß allerley Sorgen uns nicht erlaubten, uns mit unsern Freunden so häufig wie gewöhnlich zu beschäftigen, aber Sie hätten nicht auch Ihrerseits den Briefwechsel mit uns vernachläßigen sollen; Sie hätten gerade das Gegentheil thun sollen. Nur durch gegenseitige Nachhülfe, je nachdem die Umstände sie erfordern, erhält die heilige Freundschaft, deren nothwendige Kennzeichen Treuherzigkeit, Einfachheit, Ergebenheit und Nachsicht sind, eine immer gleiche Nahrung. Um meinen Grundsätzen gemäß zu handeln verzeihe ich Ihnen auch alles, worüber ich klagen könnte, und schenke Ihnen die ersten Augenblicke, nicht meiner Musse, aber meiner Freyheit, die ich in dem ruhigen aber sehr geschäftigen Leben, zu dem ich zurückgekehrt bin, finde.

Wir haben eben drey Wochen in Lyon zugebracht, wo die Nothwendigkeit, Bekanntschaften und Verbindungen zu unterhalten, und Verbindlichkeiten, die sie mit sich bringen, zu erfüllen, mir gar keine Zeit übrig ließ.

Sagen Sie uns doch, wie es mit Ihnen steht, machen Sie einmal einen einsamen Spatziergang; Sie haben uns gesagt, daß Sie so Ihr Herz und Ihre Freunde wieder fänden; ich hoffe, daß wir zu diesen gehören. Bringt die Revolution der Geschäfte keine in Ihrem Vaterlande hervor? Können Sie irgend einen Plan einer schnellem Beförderung gründen? oder fahren Sie fort, sich durch den Genuß, den Ihnen die Wissenschaften gewähren, über das Widerspiel zu trösten? Für einen philosophischen Kopf ist er gewiß groß! Ich sah lezthin einen Mann, der dahin gebracht ist, als Schullehrer zu leben; er findet seine Lage glücklich, und tröstet sich mit dem Studieren über den Verlust von dreißigtausend Livres jährlicher Einkünfte, deren Kapital er verloren und verthan hat. Seiner Gemüthsart hat er freilich viel zu verdanken; und was diese bewürkt, wird denn wohl oft genug der Philosophie zum Ruhm angerechnet.

Den 20ten Oktober.

Ich erinnere mich eines gewissen Beichtzettels, den Sie mir schickten; er enthält eine förmliche Absolution, und ich bin heute geneigt, diese Gunst zu erwiedern; guten Tag also, Friede sey mit uns. Vielleicht hätte ich früher darauf geantwortet, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte; aber Geschäfte, Sorgen, und mitten unter dem allen noch Gesellschaft, das ist mehr als zuviel, um den Tag anzufüllen, und Lust oder Fähigkeit zu freundschaftlicher Plauderey zu benehmen; ausser dem – – – aber wir wollen nicht mehr davon sprechen.

Wenn ich einige freye Augenblicke hatte, beschäftigte ich mich, meine kleine Schweitzerreise in Ordnung zu bringen; Sie sehen, daß ich ihr mehr Ehre als der englischen erzeige; ich bin noch nicht fertig, und weiß nicht, wenn ich so weit kommen werde; ohngeachtet des Regens, Sturms, Hagels und Frostes, die uns hier während unsrer Weinlese umlagern und aufhalten, bin ich doch auf einen grossen Theil des Winters hier eingeschlossen. Ihr Hauptstädter solltet sehr davon erbaut seyn, eine eurer Landsmänninnen so in der Mitte der Wälder wohnen zu sehen, wo im Winter die Wölfe heulen, und die benachbarten Gebürge sich jetzt schon mit Schnee bedecken. Aber sobald man sich von Paris entfernt, ist es einerley, in welchem Winkel man wohnt; ob in Lyon, oder in den Wäldern von Alix, euch gilt es gleich. Nun, was sagen Sie mir gutes Neues? kommen Sie her, lassen Sie einmal hören, wie Sie Ihren Kopf regieren, denn das Herz, das ist im Grund eine ehrliche Haut, und machte es jener nicht zuweilen irre, so würde es seinen geraden Weg schon finden. Und die Wissenschaften, und die Einsamkeit? Haben Sie ein Mittel gefunden, alle diese Dinge zu verbinden, oder geben Sie sich eines um das andere damit ab? Verspricht Ihnen Ihr Posten, bey allen Revolutionen, die so vielen Leuten drohen, einige Beförderung? Jetzt ist's an Ihnen zu plaudern, geben Sie uns Nachricht von sich, lassen Sie uns die alte Freundschaft wieder anknüpfen.

Den 24ten Oktober.

Das ist brav, daß Sie meinen Zorn gegen die beständigen Fressereyen, und gegen die Albernheiten mit der Wohnung theilen; könnte ich, wie ich wollte, oder wäre ich nur mit meinem Tauber allein, ich gäbe in drey Jahren keine einzige Gasterey, machte mir hübsche Zimmer in der Stadt, und ein wahres Elisium im Clos zurechte, aber ich sehe gar nicht danach aus, sobald ins Paradies einzugehen.

Wir haben, was man hier die Bise nennt; ich wärme mich wie zu Weihnachten, man sieht in den Feldern kaum die kleine Veronika, und die Anagallis; an den Hecken wächst nichts wie Veilchen, und Primeln, die zwischen den Blättern halb aufblühen – – – Ich war gesonnen, nächsten Monat nach Lyon zu gehen; Wirthschaftsgeschäfte verhindern mich daran; es thut mir leid, weil ich sehr verlangend war, die nähere Bekanntschaft der Frau von Villiers zu machen, es ist die einzige Frau in diesen Gegenden, die mir anstehen kann, sie ist höflich, sanft, liebenswürdig, bescheiden wie ihre Glücksumstände, hat wenig Umgang, und ist sehr unterrichtet; sie lebt ganz für ihren Mann, der viele Jahre vor ihr voraus hat, und theilt seine gelehrten Arbeiten mit ihm, ich weiß nicht, ob Sie diesen Gelehrten in Us kennen; es ist im Grunde ein sehr wackrer Mann, aber in Meinung und Ausdruck sehr steif; er hat schöne physische und andere Kenntnisse, allein sein Hauptstudium ist Insektologie, er hat in diesem Fach eine sehr interessante Sammlung, die er und seine Frau zu Stande gebracht haben. Das ist in Lyon und hier die einzige nähere Bekanntschaft, die ich wünschte, dort hätte ich doch aber verschiedne Personen zu besuchen, die in mehrerer Rücksicht interessant sind. Aber Arbeit geht vor allem; ich verlasse Sie, und eile schnell, die halbe Stunde einzubringen, die Sie mir kosteten.

Den 6ten April 1788.

Nun würklich mein Freund, es fehlt wenig, daß ich nicht einen dritten um Nachricht von Ihnen anspräche. Es ist so lange her, daß Sie uns nicht weitläufig, nicht mit dem Ton des Vertrauens schreiben, der auch wieder Vertrauen hervorruft, daß ich fast unsicher bin, ob ich auf diesem Fuß fortfahren soll. Sollten wir nicht etwa eine neue Bekanntschaft zu machen haben? Sie sagten mir ja ehemals, daß Sie sich alle Jahre veränderten; sind Sie denn noch Sie von vor drey Jahren? Sie müssen mir würklich sagen, was davon zu halten ist; denn soweit meine Brille auch reichen mag, erkennt sie doch nicht auf fünfzig Meilen weit: ich urtheile blos durch Approximation. So erinnere ich mich zum Beyspiel, daß Sie eine gute vortrefliche Seele, ein liebendes Herz hatten, und da diese Dinge nicht leicht ausarten, setze ich sie noch bey Ihnen voraus, und liebe Sie dem zufolge. Aber mich dünkt daneben, daß Sie auch zuweilen in Ausdruck und Styl das Gegentheil von Sanft sind, oder doch ohngefähr so; ferner daß Sie sich das nicht gern sagen lassen; ferner erinnere ich mich, daß ich Ihnen, wenn mir über dieses Gegentheil endlich die Geduld ausriß, wohl gleiches mit gleichem vergalt; dann frage ich mich, wie mag es jetzt mit ihm stehen? Hat sich die Schattirung verwischt, oder verstärkt? Wenn ich mir die Würkungen des Studirens, des Nachdenkens mancher glücklicher Neigung, vorstelle, so stimme ich für die erste Möglichkeit; berechne ich aber den Einfluß der Welt, den Umgang mit Dummköpfen, das Gefühl der Ungerechtigkeit, den Haß gegen Vorurtheil und Tiranney, so fürchte ich die letztere. In dieser Ungewißheit werde ich also bleiben, bis Sie mich herausgezogen haben. Damit es Ihnen aber in Rücksicht auf mich nicht eben so gehe, will ich Ihnen mein Barometer, nach dem Ort meines Aufenthalts berechnet, mittheilen. Auf dem Lande verzeihe ich alles; wenn Sie mich dort wissen, können Sie sich ganz so zeigen, wie es Ihre augenblickliche Stimmung mit sich bringt; originell, predigend, schmälend, wie es kommt; ich habe einen unerschöpflichen Schatz von Nachsicht, meine Freundschaft kann alle Aussenseiten dulden, sich in jeden Ton finden. In Lyon spotte ich über alles, die Gesellschaft macht mich lustig, meine Einbildungskraft wird lebendig, und regen Sie sie an, so müssen Sie sich ihre Sprünge gefallen lassen; sie würde Ihnen keinen Scherz hingehen lassen, ohne ihn, geschärft, zurück zu geben. In Villefranche wäge ich alles ab, und gerathe zuweilen wohl selbst in's Predigen; ernst und beschäftigt wie ich bin, macht alles auf mich seinen eignen Eindruck, den ich unverholen äussere; ich gebe mich dort mit raisonniren ab, indeß ich dennoch so lebhaft empfinde wie irgendwo sonst.

Gestehen Sie aber doch, daß ich Ihnen bey unserm Spiel allen Vortheil lasse. Sie haben die klarste Ansicht von mir, da ich von Ihnen kein Wort weiß. Bey diesem allem sehe ich Ihre Dissertationen voraus, die keineswegs zu meinem Vortheil sind; sie kosten Ihnen viel Zeit, meistern Ihre Einbildungskraft, und lassen der Freundschaft kein einziges kleines Wort übrig. Ich weiß nicht mehr, ob Ihre Argumente in Baroco, oder in Friscons sind, und ich, die ich alle Cathegorien des Aristoteles vergessen habe, kein anders Gewürm wie das Gotteskühchen mehr kenne, und vom Linne nur nach ein Paar Dutzend Phrasen zum Gebrauch der Küche, oder zur Vorschrift eines Klystiers weiß, ich fürchte sehr, daß unsre alte Freundschaft keine Berührungspunkte mehr findet. Um sie aber doch zu erwecken, will ich Ihnen von meiner Tochter erzählen, der Sie gut sind, weil sie mich ärgert. Erstlich also, verdient sie in dieser Rücksicht noch immer Ihre Zuneigung, ob sie mir gleich viel Hoffnung giebt, daß es nicht immer so seyn wird, sie fängt an gegen die Schande eines Verweises eben so empfindlich zu seyn wie gegen trocknes Brod, der Beyfall recht gethan zu haben, ist ihr vielleicht mehr werth, als der Genuß ein Stück Zucker zu essen und sie läßt sich noch lieber liebkosen, als sie mit der Puppe spielt. Da ist sie schon gewaltig ausgeartet, werden Sie sagen; sehen Sie, so weit sind wir gekommen! Sie schreibt und tanzt gern, weil ihr beydes den Kopf nicht angreift, und wird es in beidem weit bringen. Das Lesen unterhält sie, wenn sie nichts besseres zu thun weiß, was nicht oft der Fall ist; und wenn sie an einem Geschichtchen länger als eine halbe Stunde lesen muß, bringt sie es auch nicht zu Ende; Robinson ist ihr also noch bey weitem zu hoch. Beym Klavier gähnt sie zuweilen, der Kopf muß dabey arbeiten, und das ist ihre Sache nicht; es giebt aber doch Töne, die ihr gefallen, und wenn sie mit beiden Händen ein Liedchen aus den drey Pächtern geklimpert hat, ist sie mit ihrem Persönchen sehr zufrieden, und wiederholt einige Noten, die ihr Freude machen, mehr wie einmal. Ein recht hübsches weisses Röckchen macht ihr Vergnügen, weil sie hübscher darinn ist, und besser gefallen muß; daß es reiche Kleider giebt, die Leuten, die sie tragen mehr Ansehen geben, kömmt ihr gar nicht in den Sinn, und ein lederner Schuh mit Rosa Bändern ist ihr lieber wie ein seidner von dunkler Farbe: aber auf den Feldern herum laufen, und springen ist ihr noch lieber, als sehr reinlich und weiß in Gesellschaft zu sitzen, und sich fein gerade halten zu müssen. Sie hat einen starken Hang, gerade das Gegentheil von dem, was man ihr sagt, zu thun; denn sie findet es kurzweilig, ihrem Kopf zu folgen, und das geht zuweilen etwas sehr weit. Da man aber gar nicht ermangeln läßt, ihr dieses mit Wucher zu vergelten, so fängt sie an zu fühlen, daß es nicht zum besten gethan sey, und ist jedesmal, wenn sie gehorsamt hat, so zufrieden mit sich, als wir bey einer erhabnen Ueberwindung. Ihre blonden Haare werden täglich dunkler, und wenn sie sich nicht eben heftig bewegt, ist sie blaß; zuweilen aus Verlegenheit, wird sie wohl roth, und hat nichts eiligeres, als mir ihre dummen Streiche, wenn sie begangen sind, anzuvertrauen. Sie ist sehr stark, und gleicht für das Temperament ihrem Vater, sie ist sechs Jahre, sechs Monate, und zwey Tage alt; ob sie gleich sehr viel mit ihrem Vater spielt, hat sie doch Ehrerbietung für ihn, so daß sie sich als eine große Gunst von mir erbittet, ihrem Vater ihre Albernheiten zu verschweigen; mich fürchtet sie weniger, und behandelt mich zuweilen ziemlich leichtweg, aber ich bin in allen Dingen ihre Vertraute, und wenn wir uneins sind, weiß sie nicht mehr wo aus noch ein, denn sie hat dann niemanden, dem sie ihre Freuden verdanken, und ihre Thorheiten erzählen kann. Wir sind noch unentschlossen, ob wir sie inokuliren lassen sollen, oder nicht; es ist eine würkliche Angelegenheit, die mich beschäftigt und mir am Herzen liegt. Wenn es eine gleichgültige Person beträfe, entschiede ich leicht dafür, denn die Wahrscheinlichkeiten sind sehr zum Vortheil der Inokulation; würde aber mein Kind das Opfer der wenigen Wahrscheinlichkeiten, die dagegen sind, so würde ich es mir zeitlebens vorwerfen, und ich möchte lieber, daß es die Natur tödtete, als daß es durch meine Schuld umkäme. Ausserdem fürchte ich die Verderbniß eines fremden Blutes, die sich durch die Inokulation dem Kinde mittheilen könnte; und diesen Einwurf hat man mir noch nicht befriedigend beantworten können. Suchen Sie also, wenn Sie können einige gute Gründe, um mich zu bestimmen.

Adieu, ich will wieder an meine Arbeit gehen; sagen Sie mir doch, ob ich gut daran that, die Ihrige zu unterbrechen. Ich wünsche Ihnen Frieden des Herzens, und zu Ihrer völligen Befriedigung, alles was diesen noch würzen kann; und sind Sie, wie ich hoffe, noch immer unser guter Freund, so umarme ich Sie von Herzen.

Montags den 7ten April.

Sie können leicht denken, daß ich Ihr kleines Zettelchen vom vierten noch nicht hatte, wie ich den Einschluß schrieb. Nehmen Sie also nur so dasjenige daraus, was zu allen Zeiten gut thun könnte, und halten Sie sich bey dem halben Scherz nicht auf, mit welchem ich Sie aus Ihrem Stillschweigen herausnecken wollte. Ich kann ihnen nicht genug sagen, wie willkommen mir Ihr Freundschaftszeichen war; es hat mich erst gelehrt, daß ich Sie noch viel lieber habe, als ich es selbst glaubte. Lassen Sie uns doch die Veranlassung Ihres Kummers wissen, niemand wird ihn herzlicher theilen wie wir. Ueber die Unruhen wegen der Stelle bin ich jetzt sehr hinaus; so bald mir die Gesundheit meines Mannes Sorgen macht, fühle ich, daß im Vergleich mit diesem Gegenstand alles andre schwindet.

Seit er in Lyon ist, befindet er sich besser, aber so wie er anhaltend am Schreibtisch sitzt, leidet sein Magen; meine gröste Bemühung geht also dahin, die encyclopädische Arbeit so viel wie möglich in die Länge zu ziehen, indem ich ihn langsam, und nur Absatzweise arbeiten lasse, und ihm so viel möglich davon abnehme.

Villefranche den 21ten April.

Wir haben Ihr Geschwätz mit der grösten Freude, und mit aller Rührung der Freundschaft erhalten; ich brauchte nicht im Clos zu seyn, um es mit Vergnügen zu lesen, denn Sie haben es in einem Augenblick niedergeschrieben, wo Sie der Nachsicht Ihrer Freunde nicht bedurften, wo diese Sie vielmehr finden, wie sie so gern Sie sehen. Sie besuchen Unglückliche, Sie bemühen sich, sie zu trösten; das ist eines der wirksamsten Mittel, um die angeborene Güte zu erhalten und zu vermehren.

Diesen schmerzlichen Vortheil habe ich auch; meine nächste Nachbarinn hat einen vortreflichen Gatten verloren; sie liebte ihn, wie ich den meinen liebe; diese Frau, die einen sehr alltäglichen Verstand hat, ist groß geworden durch ihren Schmerz; so sehr kann uns ein tiefes lebhaftes Gefühl über uns selbst erheben! Sie hat viele Bekanntschaften, alle beeifern sich, sie zu zerstreuen, ich bin vielleicht die einzige, die sie nie tröstet, und von Herzensgrund mit ihr weint; ihre Thränen werden dadurch sanfter, und ihr Schmerz mildert sich.

Unser Aeltester ist heute früh um fünf Uhr abgereist; beobachten Sie ihn mit lavaterischer Aufmerksamkeit; ich stelle mir vor, seine spitze Nase wird Sie intereßiren, aber sein Mund wird Ihnen ein bischen weh thun: ein solcher Mund schließt gewiß alles aus, was nur an Geschmack und Feinheit gränzt; in Punkto der Stirne weiß ich wohl, was sich davon sagen läßt, aber Sie mögen es selbst entdecken. Sie wissen, was ich Lanthenas von dem Sieg schrieb, den ich ihm über die Erstgeburt anbot; treten Sie uns bey, lehren Sie einen Aelteren durch das Lob, was Sie dem Jüngeren ertheilen, durch Ihre Bemühung alles, was zu des letzteren Vortheil ist, geltend zu machen, daß man dem Erstgeburtsrechte zum Trotz viel Ansehen geniessen kann.

Sie sind sehr glücklich, sich einer so angenehmen Wissenschaft wie die Naturgeschichte widmen zu können; ich kann mir kein Studium denken, das sich besser mit dem Frieden der Seele vertrüge, und die Leidenschaften, welche ihn stören könnten, würksamer abwehrte. Adieu, wir umarmen Sie.

Den 22ten Mai 1788.

Grossen Dank für Ihre Neuigkeiten! Sie bringen uns ein bischen wieder in den Gang der Weltangelegenheiten, die uns wildfremd geworden waren. Ich bin in allem Ihrer Meinung, über die Grundsätze und die Sache selbst, und über das Resultat, das man daraus erwachsen zu sehen wünschen muß. Unsre Tagzettel sind alle verfälscht; in die Journale kommen so viele Cartons, daß es ein Jammer ist. Meine Gesundheit ist immer noch nicht bewundernswürdig, man droht mir mit einer zweyten Abführung; eine Unze Herzenshärte, und eben so viel Sorglosigkeit, könnten meinem Körper herrliche Dienste leisten; aber so gemein das Mittelchen ist, findet man es doch nicht in den Kramläden, und der Gebrauch wäre mir zuwider.

Schicken Sie mir doch Ihr Journal, wenn es nicht lateinisch ist; was die Poularden betrift , so weiß ich nicht, ob ich sie zum Tausch hingebe, wohl aber recht niedlichen Quarz auf gelben Steinen, die wir in unserm Clos im Ueberfluß haben. Wenn das nun gleich nicht so verdaulich ist, paßt es sich dennoch nicht besser für einen Gelehrten? Geben Sie uns gute Rezepte gegen die Raupen, so können Sie kommen, und Aepfel mit uns essen. Aber ernstlich, werden Sie nie in unsre Gegenden wallfahrten? Wir wollen unsre Wälder und Berge durchstreifen, Sie sollten von unsrer Terrasse auf den Montblank sehen, den unsre Bauern, ich weiß nicht warum, den Katzenberg nennen , und wir wollten zusammen den Berg Pila besteigen, lüpfen Sie Ihre Ketten ein wenig, eilen Sie in unser Winkelchen, biedre Freundschaft und sanfte Gutherzigkeit erwarten Sie bey uns. Eine Frau in Lyon hat mich verrathen, ihr Mann hat es noch ärger gemacht, und sie haben die Hälfte meiner kleinen Schweitzerreise drucken lassen; ich habe gebeten, gefordert, daß ein Carton daran gemacht würde, wo Namen und alles bezeichnende wegblieben; man hat mir gewillfahrt, aber das Ding ist so voll Fehler, und ein Abbé, der es als Censor in die Hände bekam, hat es so verstümmelt, daß ich ganz dumm und häßlich darüber bin.

Clos den 18ten Junius.

Ich sende Ihnen einen Schatz unsrer Naturforscher, aber eine Plage unsrer Küchengärten. Sie werden in beykommender Schachtel verschiedene Exemplare einer Art Insekten finden, die unsre Artischocken angreifen. Diese garstigen kleinen schwarzen Thiere, die etwa den Raupen ähnlich sehen mögen, haben an der Spitze ihres Schwanzes eine Art von kleinem, schuppigen Mantel, den sie, indem sie den Schwanz aufwärts schlagen, über den Rücken ausbreiten, und so jeder Gefahr trotzen. Wenn sie sich einmal an die Artischocke machen, verzehren sie das Mark der Blätter; die ganze Pflanze verwelkt und vertrocknet, trägt keine Frucht mehr und stirbt zuweilen gänzlich ab. Das Insekt selbst so wohl, wie die Art es zu vertilgen, sind hier zu Lande völlig unbekannt; es erscheint nicht oft, und nach diesem Jahre zu urtheilen, dem ersten, da es sich seit meinem hiesigen Aufenthalte zeigte, so kömmt es nur nach grosser Dürre zum Vorschein. Ist es Ihnen unbekannt, so mache ich Ihnen ein Geschenk damit, und bitte Sie dagegen um ein Mittel, es los zu werden; gelingt Ihnen das, so leisten Sie der ganzen Provinz einen Dienst. Sie werden zwei dieser Thiere finden, die ich in einer neuen Verwandlung überrascht habe, sie sind viel dicker, und glichen in dieser Kleidung den Kellereseln. Nach dem Zustand, in welchem Sie einige Artischockenblätter finden, die ich mit in die Schachtel gelegt habe, können Sie sich vorstellen, wie diese kleinen schwarzen Thiere unser bestes Gemüse zurichten.

Eben machte ich die Schachtel wieder auf, und finde an dem sogenannten Kelleresel schon nichts mehr wie eine weißgrünliche Haut; das schwarze Thier ist herausgekrochen, und lauft schon wie die anderen mit seinem Mantel umher, darinn es aussieht wie ein stachliches Kügelchen.

Den 4ten Julius.

Ehre sey der Wissenschaft und den wohl ersonnenen Hülfsmitteln! nun ist meinen Artischocken geholfen; nun sag mir noch einer, daß meine Kenntnisse keinen wichtigen Zuwachs gewonnen hätten, da ich dem Geschöpf, was ich sehr eigentlich ein schwarzes Thier nannte, den Namen einer Larve beyzulegen weiß!

Sie sagen mir nicht einmal, womit die beyden Insekten im vollkommnen Zustand, die unterwegs ausgekrochen sind, Aehnlichkeit haben, und ich hatte Sie doch voraus berichtet, Sie würden zwey Geschöpfchen in einem neuen Rock in der Schachtel finden. Aber ich habe ihrer nun in meinem Garten in einer dritten Gestalt gesehen; sie haben einen grünen Harnisch, laufen sehr leichtfüßig umher, und wenden mir mit ihrem Unrath nicht mehr den Magen um; aber sie machen sich nun geradewegs an die Artischocken, und bekümmern sich nicht mehr um die Blätter. Vertragen Sie sich mit Ihrem Bruder um die zwey Flaschen voll Oel, ich will Ihrer Weisheit indessen bekannt machen, daß sie einzig zum Gebrauch des Menschengeschlechts, und das letzte, wirksamste Mittel gegen die Würmer sind. Man giebt einige Tropfen davon in irgend eines Art Syrup gemischt, mit diesem Mittel hat man Erwachsene gerettet, auf welche kein anderes gewürkt hatte, und die unter Convulsionen dem Tod entgegen sahen. Eudora hat einmal in einer heftigen Krankheit davon genommen, und nach und nach einen grossen Wurm von sich gegeben, den ersten, der je von ihr gieng, und seit dessen Abzug sie merklich besser ward. Diese Bekanntschaft wird einigen Ihrer Aerzte vielleicht neu seyn, und Ihnen mehr nutzen, als mir Ihre Vorsichtsmittel gegen die cassida viridis; sehen Sie, so räche ich mich an Ihrer ärmlichen Kunst.

Ich erwarte Ihre strenge Kritik über den Artickel Lavater, schieben Sie dieselbe indessen doch auf; ich habe etwas neues dazu im Vorrath.

Sie sagen mir nichts von Ihren Gelehrten, oder sogenannten Ditto, von Ihren Intriguenstiftern und dergleichen. Was macht dieses Natiönchen, indeß die große Republick in Unordnung ist, und sich so wenig Geld in den Kassen findet, wie im April und Mai Wasser in unsrer Cisterne war?

Jetzt fehlt es nicht daran, wenn Sie kommen wollen, kann ich Sie reichlich taufen und gegen alles Verwerfliche an Ihnen, mit dem reinsten Element, der herrlichen Luft, und der tiefsten Einsamkeit zu Felde ziehen. Mein guter Freund ist noch immer in Lyon, ich weiß noch nicht, wenn er wieder kommen wird. Meine Gesundheit ist gut, aber ich muß mich weder beunruhigen noch kümmern, denn mein Magen hat nicht Stärke genug, die Regungen meines Herzens, oder die Bewegungen meines Gehirns zu ertragen, ohne darunter zu leiden; so bald sich diese ein bischen zu thätig bezeigen, legt sich jener mir nichts dir nichts zur Ruhe, und will nicht mehr verdauen.Was ist aber zu thun? Man muß alte Diener schon ertragen, wenn sie sich auch einfallen lassen, die Herren zu spielen.

Adieu! ich müßte arbeiten, und vertreibe mir die Zeit mit Schwatzen. Ich dächte, Sie schrieben nicht mehr seit ich aus der Welt bin; ich bekam hier nur einmal Briefe von Ihnen, und bin seit dem fünfzehnten vergangenen Monats hier. Gruß und Freundschaft!

Den 1ten October.

Hänge dich, leckerer Crillon;Eine Anspielung auf den berühmten Brief Heinrichs des Vierten an Crillon! Hänge dich, tapfrer Crillon; wir schlugen bei Arques, und du warst nicht da!     H. wir machen Eingemachtes, Weinbeerenmus, und Weinsyrup, trockne Birnen und Gutschen, und du bist nicht da, das alles zu kosten! Sehen Sie, mein zierlicher Herr, womit ich mich jetzt beschäftige. Ausserdem ist die Weinlese in vollem Gange, und bald wird man die Trauben und ihren köstlichen Saft nirgends mehr als in den Schränken der Hausmutter und den Kellern des Hausherrn antreffen. Der diesjährige Wein wird sehr gut seyn, aber wegen des kleinen Besuchs, den uns der Hagel abstattete, haben wir nur wenig: das ist so eine Art Ehrenbezeugung, die man in theuerm und langem Andenken behält.

Warum aber schreiben Sie uns nicht mehr? Sie haben ja keine Weinlese zu besorgen. Giebt es denn ausserdem auf Erden noch etwas zu thun?

Aber Sie politisiren in alle Ewigkeit hin, Sie erschöpfen sich in Dissertationen, wie man es recht machen soll, wie man es aber nun uns nimmermehr machen wird! Was wird aus Herrn Necker? man sagt, er hätte eine furchtbare Parthei gegen sich; und der lange Teufel von Erzbischof? es heißt ja, er wäre nach Rom abgereist; nun sage man, er werde nicht aus den Augen gelassen.

Gott gebe Friede den Guten, und verderbe die Bösen. Vergessen Sie Ihre Freunde am andren Ende der Welt nicht völlig, Sie sind nicht von ihnen vergessen, sie umarmen Sie ohne Umstände: Eudora doch ausgenommen: die könnte sich wohl ein bischen zieren.

Was machen denn bei diesen Convulsionen, und diesem Todeskampf der Finanzen, die Wissenschaften? und die Gelehrten, und die Schwätzer? und die Sammlungen, und öffentlichen Lehrstunden? und la Blancherie mit seinem Unternehmen, und die Museen, und die Musards.

Man sagt, Neckers Antwort sey fix und fertig, er müsse aber das Königreich verlassen, um sie öffentlich bekannt zu machen. Was sagt man davon auf Ihrem Planeten? Wir andern, die wir ihn, trotz seines Karakters für einen ziemlichen Charlatan halten, zweifeln sehr ob diese Antwort vorhanden ist, und ist sie es, ob sie etwas taugt.

Carra hat ganz den Ton von dem, was er Ihnen zufolg seyn soll: ich möchte wohl nähere Umstände von ihm wissen.

Sagen Sie unserm Bruder, was ich ihm nicht schreiben konnte; daß der Intendant hier war, und die Einregistrirung vorgenommen hat; unser Amt das mit dieser kleinen Gewaltthätigkeit sehr zufrieden war, hat dennoch nicht das Ansehen haben wollen, als ob es sehr eifrig in dessen Verfolg zu Werke gienge, darauf kam ein Brief des Intendanten an seinen Subdelegirten; er erkundigte sich, ob die Verrichtungen angegangen waren, und meldete zugleich, daß im Fall es Schwierigkeiten gäbe, der Hof davon benachrichtigt werden müßte; u. s. w. Die Glocke im Palais läutet, unsre Obrigkeit versammelt sich wahrscheinlich als Präsidial; das Oberamt von Lyon hat auf die Drohung, so bald Schwierigkeiten vorfielen, das Oberamt nach Macon zu verlegen, vorigen Freytag seine erste Sitzung gehalten. Allein Macon weigert sich von Lyon abzuhängen. Bey alle dem und im Ganzen sind die kleinen Gerichtshöfe alle mit der Revolution zufrieden.

Kein Mensch hat gegen diese Einregistrirungsgeschichte, und die Errichtung einer Courpleniere, die dem König verkauft ist, etwas einzuwenden, als wir armen Plebejer denen man an den Beutel gehen wird, ohne daß eine Seele da wäre, um zu rufen: aufgeschaut!

Wir finden auch, daß die unteren Gerichtshöfe zu viel zu sagen haben; an kleinen Orten wo Klätscherey und Vorurtheil so viel Einfluß haben, ist das Vermögen aller Einwohner fast uneingeschränkt der Willkühr von Richtern überlassen, die sich gar leicht betrügen, oder betrügen lassen.

Geduld, es wird sich zeigen! Heil Amerika, während wir an den Ufern des babylonischen Stroms weinen! Adieu! wir lieben Sie immer.

Den 4ten December.

Nun mein Herr Docktor, wünschte ich aber, daß Sie die Güte hätten, mir schleunigst, (denn so haben es die Damen gern) wissen zu lassen, ob das berühmte Turneps, wovon man jetzt in Paris so viel Aufhebens macht, zum genus Raphanus oder Brassica gehört; nachher sagen Sie mir auch zu welchem Genus die kleine Rübe gehört, die Ihr Pariser zum Frühstück esset, auch ob Sie die lange runde Rübe kennen, die in Flandern und in unsrer Gegend wächst, und wie Sie sie nennen. Ich bitte mir aus, daß Ihr Ausspruch über alle diese Fragen genau und deutlich sey, sie ist zur Beendigung höchst gelehrter Debatten bestimmt, bey denen man Ihnen das ausserordentlich schmeichelhafte Amt eines Schiedsrichters überläßt. Aber dieser Ausspruch muss mit den linneischen Redensarten begleitet seyn, denn wir haben hier sehr viel Gegenstände des Wissens, und sehr wenig Bücher zum Lernen. Wenn ich mit Ihrer Wissenschaft zufrieden bin, und Sie dennoch unsre Rüben, die gesundeste, süsseste, leichteste Nahrung für Menschen und Vieh, nicht kennen, so schicke ich Ihnen mit Haut und Haar eine solche Rübe, fünf bis sechs Pfund schwer, lang oder rund, wie es Ihnen gefällt. Adieu! vergessen Sie nicht völlig Ihre Freunde aus dem vorigen Jahrhundert, die Sie ganz ehrlich umarmen.

Im Clos Laplatiere den 8ten Oktober.

Sie sagen uns nichts mehr, und doch zeigen sich die Parlamente in dem sonderbarsten Lichte. Sollen denn die Freunde der Ordnung und Freyheit, die ihre Widerherstellung wünschten, endlich dahin gebracht seyn zu bedauren, daß sie Statt hatte? Welchen Eindruck hat ihr Beschluß in der Hauptstadt gemacht? Diese Erwähnung der Stände von 1614, diese Forderungen, dieser Ton, und diese Sprache sind sehr seltsam.

So weit wären wir also gebracht, daß nur noch die Frage übrig bliebe, ob wir unter der Ruthe eines einzigen Despoten traurig fortkriechen, oder unter dem eisernen Joche mehrerer Tyrannen ächzen sollen! Die Wahl ist schrecklich, und läßt keinen Ausschlag zu, denn was giebt es zwischen zwei gleich übeln Entschlüssen zu wählen? Wenn in einer Aristokratie die Erniedrigung der Nation weniger allgemein ist, als unter dem Despotismus eines zügellosen Monarchen, so ist dafür die Volksführung zuweilen desto härter, und dieses würde bei uns der Fall seyn, weil unsre privilegirten Stände alles sind, und die weit zahlreichere Klasse für Null gerechnet wird. Man sagt, die höhere Finanz sey gegen Herrn Necker verschworen. Was macht dieser Minister? ist er noch daran, sich im Sattel fest zu machen?

Den 26ten Julius.

Nein, Ihr seyd nicht frei, noch niemand ist es; das öffentliche Vertrauen ist verrathen, die Briefe werden aufgefangen. Sie beklagen sich über mein Stillschweigen, und ich schreibe Ihnen jeden Posttag. Wahr ist es, daß ich Sie wenig mehr mit unsren persönlichen Angelegenheiten unterhalte; wer ist der Verräther, der jetzt andere Angelegenheiten kennte, als die der Nation? Wahr ist es, daß ich Ihnen kräftigere Dinge schrieb, als Sie thaten; aber hütet euch, wenn Ihr euch nicht vorseht, so wird es bei euern mächtigen Zurüstungen bleiben. Ich habe Ihren Brief, den mir Freund Lanthenas verkündigte, eben so wenig erhalten. Sie sagen mir keine Neuigkeit, und es muß doch alles davon wimmeln. Ihr beschäftigt euch mit einer Municipalität, und laßt Köpfe entwischen, die neue Abscheulichkeiten schmieden werden.

Ihr seyd nichts wie Kinder, euer Enthusiasmus ist ein Strohfeuer, und wenn die Nationalversammlung nicht zwei hohen Häuptern ihren förmlichen Prozeß macht, oder sich kein großmüthiger Decius findet, der sie herabschlägt, so liegt Ihr alle im ....!

Wenn dieser Brief nicht in Ihre Hände kommt, so sollen die Elenden, die ihn lesen, erröthen, indem sie erfahren, daß ein Weib ihn schrieb, und zittern bei dem Gedanken, daß dieses Weib hundert Männer begeistern kann, die wieder Millionen ihres gleichen begeistern werden.

Den 15ten August.

Heute spreche ich nicht allein mit dem Bürger, sondern auch mit dem Naturforscher. Die Politik wird darum nicht im Stich gelassen, sie ist jetzt zu wichtig, und wir verdienten nicht ein Vaterland zu haben, wenn wir gegen die öffentliche Sache gleichgültig werden könnten. Aber die Tage sind lang, Menschen von lebhafter Einbildungskraft und warmem Herzen sind mit ihren Grundsätzen bald zu Rande; wenn man die Hand nicht selbst ans Werk legt, reicht Briefschreiben und Gespräch nicht hin, die Zeit auszufüllen, und man braucht mehr wie eine Nahrung. Wir wollen uns also wieder an das Pelzwerk machen; es ist wegen seines unmittelbaren Zusammenhanges mit einem Theile der Naturgeschichte merkwürdig, und am Ende giebt es keine litterarische Arbeit, durch welche man nicht auf eine oder die andre Weise die wahren Grundsätze des Rechts und der Staatsverwaltung verbreiten und geltend machen könnte.

Wir lesen Erxlebens Säugethiere mit vielem Vergnügen, und ich glaube, daß wir sie mit Zuverlässigkeit anführen können; wir haben indessen bemerkt, daß er von Linne, Büffon, selbst von Bomarr und hundert andern nur alte Ausgaben von zwanzig und mehreren Jahren her, citirt.

Seit zwanzig Jahren ist die Naturgeschichte sehr allgemein bearbeitet worden, sie hat viele Fortschritte gemacht, und man liefe vielleicht Gefahr, in manchem zurückzubleiben, wenn man sich hauptsächlich auf zwanzigjährige Authoritäten stützte.

Wir wünschten also zu wissen, ob es irgendwo in Europa einen geschickten Naturforscher gäbe, der seit diesem Zeitpunkt etwas geschrieben hätte; ob man irgend eine neuere Schrift kennt, die angeführt zu werden verdiente, und zuverlässig wäre? Theilen Sie uns mit, was Ihnen hierüber bekannt ist, und suchen Sie uns anderweitige Nachweisung zu verschaffen. Hat Erxleben nichts wie seine Säugthiere, und besonders seit diesen nichts drucken lassen? und kennt man keinen deutschen oder englischen Gelehrten, der seit ihm mit gleichem Ruhm gearbeitet hätte? Wir umarmen Sie herzlich. – –

Den 25ten August.

Sie haben für Ihren letzten Brief wohl ein freundschaftliches Wörtchen verdient, er hat uns viel Freude gemacht; ich begreife vollkommen, wie sehr Sie beschäftigt seyn müssen, und wenn ich mich über Ihr augenblickliches Stillschweigen beklage, ist es auch nicht um Ihnen einen Vorwurf zu machen, sondern weil ich es als eine Entbehrung fühle. Muth gefaßt, versammelt Euch immer, je mehr man sich zu dem allgemeinen Besten vereinigt, je mehr breitet sich das Wohlwollen aus, die Begriffe theilen sich mit, und der Gemeingeist gewinnt Festigkeit.

Unsre albernen Provinzstädte sind in jeder Rücksicht fünfzig Meilen weit hinter Euch zurück. Die Eitelkeit ist hier so groß, daß sie einen jeden um die Hälfte kleiner macht; ein jeder will nur sich allein sehen, und so sehen alle nichts als Dummköpfe. Ich glaube würklich, daß der ehrliche Engländer recht hat: wir brauchen ein bischen Bürgerkrieg, um etwas zu taugen. Alle diese kleinen Zänkereien und Insurrektionen des Volks scheinen mir unvermeidlich; mich dünkt, daß man sich unmöglich ohne etwas heftige Krämpfe aus dem Abgrund der Verderbniß zur Freiheit erheben kannDiesen historisch-politischen Gesichtspunkt behielten alle Ereignisse der französischen Revolution, selbst in der schrecklichen Zeit, deren Opfer die Verfasserinn ward. Allein ihre Memoiren beweisen, daß sie ihn in jener Zeit aus den Augen verlor; denn sie hatte ihn zur moralischen Triebfeder ihres individuellen Thuns und Denkens angenommen, und es gieng sehr natürlich zu, daß sie in dem fürchterlichen Gericht, welches über ihren persönlichen Irrthum ergieng, auch den Trost der ausser ihr vorhandnen Wahrheit, zu deren Verherrlichung sie zu handeln gewähnt hatte, einbüßte. Solche Vollstrecker jenes Gerichts, deren Kompetenz sie geehrt hätte, konnte es in keinem Falle geben; denn die edle Spontaneität, durch welche sie auf den Irrweg geleitet worden war, konnte nur durch Werkzeuge bestraft werden, und die Handhaber der Rache des Schicksals stehen selbst jederzeit, so sehr und oft mehr als ihre Schlachtopfer, unter dessen schwerem, finsterm Joche. Die Bürgerinn Rolland wäre glücklich gewesen, in einer einfacheren Wendung der Dinge, durch welche Eigenmacht und verjährtes Vorurtheil über die Freiheit des Staates und der Geister gesiegt hätten, ihr Blut zu vergiessen: mit unversehrtem Glauben und verklärtem Sinn hätte sie der Märtirerkrone entgegen gelächelt; das Ideal der Freiheit, lebendig in ihrem Herzen, hätte ihre Hofnungen für zukünftige Geschlechter vom gegenwärtigen Augenblicke unabhängig erhalten – und fast könnte man versucht werden anzunehmen, die Gegenparthei habe diese Art von Sieg für zu gefährlich geachtet, und sie habe bei allen ihren anscheinenden Niederlagen und Fehlern einen andern, wenn gleich spätern, doch sicherern Triumph zum Augenmerk gehabt. In den stürmischen Wellen, die über dem Haupte unsrer Republikanerin zusammenschlugen, in der Spannung und Verwickelung der öffentlichen Angelegenheiten, bei welcher sie ihren Untergang fand, riß hingegen der Faden ihrer Ueberzeugung aus einander; sie vermochte die Wage nicht mehr zu halten, auf welcher sie ihr eignes und fremdes Unglück sowohl als Unrecht abzuwägen hatte. Zwischen ihren kühnen Grundsätzen von 1789, und ihren zerreissenden Erfahrungen von 1793, war freilich kaum ein andrer Unterschied, als der des Mehr oder Minders; um dies aber ohne ein Gemisch von Demüthigung, Erbitterung, und Verzweiflung zu fühlen, hätte es in ihr einer übermenschlichen Moralität bedurft, oder keiner. In dem bischen Bürgerkrieg, vor welchem sie hier nicht schaudert, war die Vendee, war der Ruin von Lyon nicht eingerechnet; unter den kleinen Zänkereien und Insurrektionen des Volkes, waren die blutigen Kämpfe der Konventsfaktionen nicht verstanden; wenn späterhin die Verfasserin halb im Scherz, halb im Ernst von Demoulins Generalprokuratur der Lanterne schreibt, ahndet sie nicht das scheußliche Niessen in den Sack womit Hebert seinen viehischen Spaß trieb – aber was hier an ihren Meinungen objektiv wahr sein möchte, ist im ganzen Fortgang der Resultate wahr geblieben, so wie ihr subjektiver Irrthum nicht erst von dem Augenblicke, als eignes und allgemeines Verderben daraus folgten, angegangen war. Trauern mag man indessen über die unseligen Zeiten, deren schreckliches Dahinrollen solche Irrthümer, bei denen so viel Edelmuth, so viel Kraft und Seele, so viel Begeisterung einwürkte, so unbarmherzig zermalmte. Und zürnen muß man über den verderblichen Dämon, den Urgrund alles Unheils welches den Erdboden bedeckt, der diese Irrthümer als die einzigen vermeidlichen und verdammlichen zu brandmarken trachtet, und alle Schwächen, alle Gebrechen der hinsinkenden Menschheit erweckt, sein barbarisches Urtheil der Nachwelt zu überliefern.
Auf die Gefahr hin, des Synkretismus und Empyrismus in der Moral beschuldigt zu werden, wie es Männer, welche den Geist ihres eignen Systems über dem Worte desselben aus den Augen verlieren, zu gern thun, habe ich gesucht, das Andenken einer edeln Unglücklichen auf die Waage wahrhaft menschlicher Gerechtigkeit zu stellen.     H.. Dies sind die wohlthätigen Crisen einer schweren Krankheit, und es bedarf eines fürchterlichen politischen Fiebers, um unsre verdorbnen Säfte zu reinigen. Gehet also auf euerm Wege fort; unsre Rechte müssen kund gethan werden; sie müssen uns zum Gutheissen vorgelegt werden, und dann mag die Verfassung kommen.

Man wird sich herum balgen, ich sehe es voraus; was ist zu thun? Sich mit Muth zu waffnen! Ich könnte die Wissenschaften, und den ganzen übrigen Plunder in den Winkel werfen, um nichts wie Politik zu treiben, und zu denken; kann jetzt irgend ein anderes Interesse mit diesem in Vergleich kommen? aber man muß sich auf seinem Posten halten, und dem Einfluß seiner Lage nicht widerstreben. Adieu! Gruß und Freundschaft in Einheit der Bürger- und Brüderherzen.

Den 4ten September.

Ihr lieber Brief berichtet uns böse Dinge; wir sind dabey, und bey dem Lesen der Zeitungen ergrimmt; man wird uns also eine schlechte Konstitution zusammen kleistern, wie man uns eine fehlerhafte und unvollständige Verkündigung der Rechte gemanscht hat. Werde ich denn keine Adresse erblicken, darinn man auf die Revision des Ganzen antrüge? täglich sehe ich Beytrittsadressen, und andere der Art, die unsre Kindheit bezeugen, unsre Schandmale an den Tag legen. Pariser, Ihr müßt uns in allem vorangehen; eine weise, kräftige Adresse beweise der Versammlung, daß Ihr Eure Rechte kennt, daß Ihr sie erhalten wollt; daß Ihr sie zu vertheidigen bereit seyd, und auf ihre Anerkennung besteht. Ohne diesen entscheidenden Schritt steht alles schlimmer wie jemals. Nicht das Palais royal soll ihn thun, alle Eure Districkte müssen sich verbinden; sind sie aber nicht dazu zu bringen, so thue ihn wer da will; wenn er nur geschieht, wenn er nur in solcher Zahl geschieht, daß er Ehrfurcht gebiete, daß er durch Beyspiel hinreisse.

Ich predige aus allen Kräften. Ein Wundarzt und ein Dorfpfarrer haben sich auf Brissots Journal, woran wir ihnen Geschmack beizubringen wußten, abonnirt. Aber unsre kleinen Städte sind zu verdorben, und unsre Landleute zu unwissend. Villefranche wimmelt von Aristokraten, Leuten die aus dem Staube gekrochen, ihn abzuschütteln wähnen, wenn sie sich mit den Vorurtheilen eines andern Standes brüsten.

Stellen Sie sich vor, was mir für Tage werden müssen, da mein Schwager mehr Pfaff, Despot, Fanatiker, Starrkopf ist, als irgend sein Pfaff, den Sie je hörten. Wir sehen uns auch wenig, er macht uns Verdruß wo er kann, ich bin überzeugt, daß er uns aus Haß gegen unsre Grundsätze wohl so viel Böses thun wird, als er immer vermögen wird.

Ich weiß nicht, ob Sie verliebt sind, aber das weiß ich, in der Lage, worinn wir uns befinden, kann kein redlicher Mann der Liebe Fackel folgen, wenn sie nicht an der heiligen Flamme der Fackel des Vaterlandes angezündet wurde. Ihr Abentheuer war interessant genug, um erwähnt zu werden, ich danke Ihnen für dessen Mittheilung, aber ich kann es Ihnen kaum verzeihen, den Namen eines so achtungswürdigen Geschöpfes nicht zu wissen.

Eben erfahre ich den Schritt, den der König, seine Brüder, und die Königin bey der Versammlung gethan haben. Sie sind verteufelt bange gewesen! Weiter beweist dieser Schritt nichts. Aber um an die Aufrichtigkeit dieses Versprechens, daß es bey dem, was die Versammlung thue, sein Bewenden haben solle, zu glauben, müßte man die Erfahrung alles vorhergegangnen nicht haben. Der König müßte damit angefangen haben, alle fremden Truppen abzudanken. Wenn man sich durch ein falsches Zutrauen verblenden läßt, sind wir der abscheulichsten Sklaverey näher wie jemals.

Die Franzosen lassen sich durch die schönen Aussenseiten ihrer Herren so leicht beschwatzen! Ich will wohl wetten, daß die Hälfte der Versammlung dumm genug war, um sich von Antoinettens Anblick, als sie ihr ihren Sohn empfahl, rühren zu lassen. – Zum Henker! Es ist auch wohl die Rede von einem Kinde! – Das Heil von zwanzig Millionen Menschen steht auf dem Spiel; sieht man sich nicht vor, so ist alles verloren.

Soll man bey einem so strengen Wetter nicht besorgen, daß man selbst in dem Andenken seiner Freunde erfriert? Dieser Brief diene Ihnen also als ein kleines Reiserbündel, um das heilige Feuer zu nähren; wachen Sie treulich, daß es nicht erlösche.

Bey uns ehrlichen Landsleuten, die nichts wie die sanfte theure Freundschaft haben, um uns bey dem erstarrenden Froste zu trösten, der die Natur rings um uns her in Banden hält, bey uns braucht man nicht zu fürchten, daß wir ihren Dienst vernachläßigen. Vereinigen Sie im Geist Ihr Gebet mit dem unsrigen, um diese liebenswürdige Gottheit bey der Erneuerung des Zeitpunkts , von welchem sich unsre Freundschaft herschreibt, würdig zu feiern. Werden Sie nie mehr mit uns schwatzen, wie Sie noch vor kurzem thaten? Läßt Ihnen Linne's Latein keine Zeit mehr zu gutherziger freundschaftlicher Mittheilung? Adieu! wenn Sie auf dieses Oremus mit Amen antworten, können wir von vorn anfangen; bis dahin umarmt Sie die ganze kleine Wirthschaft.

Eudora ist groß, und hat schöne blonde Haare, die in natürlichen Locken auf ihre Schultern herabfallen, dunkle Augenwimpern beschatten ihr graues Auge, und ihrer kleinen etwas aufgestülpten Nase sieht man schon die Nekerey an.

Im Clos den 17ten Mai 1790.

Das Wetter ist herrlich, die Landschaft hat sich nur seit sechs Tagen bis zum Unkenntliche werden verändert; Weinstock und Nußbäume waren noch schwarz wie im Winter, und die Berührung einer Zauberruthe kann die Dinge nicht schneller verwandeln, wie die Wärme einiger schönen Tage that. Alles grünt und belaubt sich, man findet süssen Schatten, wo man vordem nichts hatte, wie den traurig todten Anblick der Erstarrung und des Stillestands.

Hier könnte ich wohl die politischen Zänkereyen, und alle Angelegenheiten der Menschen vergessen; zufrieden meinen Pachthof aufzuräumen, meine Hennen brüten zu lassen, meine Kaninchen zu pflegen, würde ich an keine Umwälzungen der Reiche mehr denken. Bin ich aber in der Stadt, dann erweckt sogleich das Elend des Volks, der Uebermuth der Reichen, meinen Haß gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung; ich habe für nichts mehr Wunsch und Seele als für den Sieg der grossen Wahrheiten, für die Fortschritte unsrer Wiedergeburt.

Unsre Gegenden sind mit dem Dekret über die Feudalrechte sehr unzufrieden. Man findet die Taxe um Rückkauf der Lehen-Gebühren äusserst beschwerlich, man wird weder rückkaufen, noch bezahlen; es braucht einer Verbesserung, oder das Schlösser-Verbrennen geht wieder an. Das Uebel wäre vielleicht nicht so groß, wenn man nicht fürchten müßte, daß die Feinde der Revolution dieses Mißvergnügen benutzten, um das Vertrauen des Volks auf die Nationalversammlung zu schwächen, und Unordnungen zu erregen, nach denen sie streben, als nach einem Triumph, nach einem Mittel, wieder aufzutauchen.

Man macht in Lyon Zurüstungen zum Lager; schicken Sie uns doch brave Leute, daß der Aristokratismus in seinen Hölen erzittere. Es war als Frage aufgeworfen worden, ob man den Weibern den Zutritt im Lager erlauben sollte; wahrscheinlich hatten die Urheber dieses Zweifels irgend eine Verrätherey im Sinn; die Idee war aber zu auffallend, und fiel von selbst. Adieu! schwatzen Sie doch einmal mit uns.

Montag den 27ten September im Clos.

Wir haben Ihren Brief vom 20ten erst am Sonnabend erhalten, weil er erst nach unsrer Abreise von Lyon dort ankam. Wir mußten lange genug an Nachrichten von Ihnen fasten, und haben sie mit dem größten Eifer aufgenommen. Allein Ihre Bemerkungen über die öffentliche Sache betrüben uns um so mehr, als sie mit allem übereinstimmen, was wir anderwärts wahrnehmen. Sie gedenken uns jedoch nicht durch die öffentlichen Blätter zu unterrichten, keines giebt einen Begriff von der schlimmen Lage der Sachen, und das eben sezt dem Uebel die Krone auf. Jezt wäre der Augenblick, wo patriotische Schriftsteller die bestochnen Mitglieder namentlich anklagen sollten, die durch ihre Scheinheiligkeit, ihre Ränke, die Wünsche ihrer Kommittenten hintergehen, und ihren Vortheil auf das Spiel setzen. Sie sollten das laut bekannt machen, was Sie uns von dem General sagen, wozu hilft denn die Preßfreiheit, wenn man sie nicht gegen die Uebel gebraucht, die uns bedrohen? Brissot scheint zu schlafen; Loustallot ist todt, wir haben seinen Verlust mit bittern Thränen beweint, Desmoulins hatte wohl Ursache, sich wieder an seinen Posten als Generalprokurator der Laterne zu begeben. Aber wohin ist die Energie des Volks? Necker ist davon gegangen, ohne im Abgrund der Finanzen Licht zu schaffen, und man eilt nicht, dieses von ihm verlaßne Labyrinth zu durchlaufen? Warum thut Ihr nicht Einspruch gegen das verächtliche, bestochne Comite, das Artois Schulden zu vertheidigen wagt? Der Sturm brüllt, die Spitzbuben heben frech das Haupt, die böse Sache siegt, und man vergißt, daß Aufstand die heiligste Volkspflicht wird, wenn das Heil des Vaterlandes in Gefahr ist? O Pariser! wie sehr gleicht Ihr noch dem leichtsinnigen Volke, das nur aufbrausen konnte, und dieß fälschlich Begeisterung nannte? Lyon ist unterjocht, die Deutschen und die Schweitzer herrschen dort mit ihren Bajonetten, im Dienst einer verrätherischen Municipalität, die mit den Ministern und schlechten Bürgern verschworen ist. Bald wird man für die Freiheit weinen können, wenn man nicht für sie stirbt. Sie sagen, man dürfe nicht mehr sprechen, wohlan, so muß man donnern! Vereinigt euch mit allem, was noch rechtschaffen heissen kann, beklagt euch, redet, schreit, reißt das Volk aus seiner Schlafsucht, zeigt ihm die Uebel, die es zu überwältigen drohen, belebt die kleine Anzahl weiser Deputirten, die, wenn sich die öffentliche Stimme zu ihrer Unterstützung erhöbe, bald wieder die Oberhand gewinnen würden.

Ich kann ihnen nichts von unserm Leben, unsern ländlichen Streifereyen sagen; die Republik ist weder glücklich noch sicher, das stört unser Glück. Unsre Freunde setzen ihr Apostelgeschäft mit einem Eifer fort, der Segen bringen müßte, wenn sie es länger an einem und demselben Orte treiben könnten.

Den 20ten December.

Laßt doch die Art der Verantwortlichkeit eurer Minister dekretiren; laßt eurer vollziehenden Gewalt doch Zaum und Gebiß anlegen; laßt doch eure Nationalgarden einrichten; hundert tausend Oesterreicher versammeln sich an euern Gränzen, die Belgier sind besiegt, euer Geld flieht davon, ohne daß man sich darum bekümmert; man bezahlt die Prinzen und die Flüchtlinge, die mit unsrer Münze Waffen schmieden lassen, um uns zu unterjochen – bei'm Henker! Und wäret Ihr zehnmal Pariser, Ihr sehet nicht weiter als eure Nase reicht, oder es fehlt euch an Nachdruck, um eurer Nationalversammlung die Sporen zu geben. Unsre Repräsentanten sind es nicht, welche die Revolution gemacht haben; eine Mandel etwa abgerechnet, sind sie alle unter ihr. Auf die öffentliche Meinung kömmt alles an, auf das Volk, das es immer recht macht, wenn jene Meinung es recht leitet; in Paris ist der Sitz dieser Meinung – so vollendet denn euer Werk, oder seid gewärtig, es mit euerm Blute zu benetzen.

Adieu. Bürgerin und Freundin, auf Leben und Tod!

Den 29ten Januar 1791.

Ich weine über das vergoßne Blut; man kann nie zu geitzig mit Menschenblut seyn! Aber ich freue mich, daß Gefahren eintreten. Ich sehe kein anders Mittel, euch zu peitschen, euch fortzutreiben. Die Gährung herrscht in ganz Frankreich; ihre Grade sind nach den auswärtigen Maaßregeln berechnet; die bürgerliche Gewalt steht noch nicht fest; und Paris hat noch nicht so viel Einfluß auf die Versammlung gewonnen, daß es sie zwingen könnte, ihre Pflicht zu thun!

Ich erwarte von euern Sektionen kräftige Beschlüsse; täuschen sie meine Hoffnung, so wird, glaube ich, nichts übrig bleiben, als auf den Ruinen von Karthago zu weinen. Ich werde nicht aufhören, Freiheit zu predigen; aber verzweifeln werde ich, sie in meinem unglücklichen Vaterland jemals befestigt zu sehen. Lassen Sie mir jezt die Naturgeschichte beiseite, und alle Wissenschaften, ausser der, Mann zu seyn, und Gemeingeist zu verbreiten.

Ich habe von Lanthenas gehört, daß es Deputirte giebt, die in den botanischen Garten gehen, um da zu studieren. – Guter Gott! Und Sie haben ihnen nicht vorgestellt, wie schändlich das ist? – Und alle die rechtschaffenen Bürger, die sich mit Schmerzen von der Verderbniß umlagern sehen, erheben sich nicht nachdrücklich gegen ihre Fortschritte? Verfolgen nicht jede ihrer Spuren? Rufen die öffentliche Meinung nicht auf, um dem Strom Einhalt zu thun? Wo ist der Muth, wo ist die Pflicht denn hin?

Wagt es, ihnen beides zurückzurufen. Nähme ich die geringste Kabale gegen das Wohl meines Vaterlands wahr, ich würde eilen, sie vor den Augen der ganzen Welt zu entlarven.

Der Weise übersieht das Unrecht oder die Schwachheiten des Privatmannes, aber der Bürger darf seinen Vater selbst nicht begnadigen, wenn es auf die öffentliche Wohlfahrt ankömmt.

O man sieht wohl, daß diese ruhigen Menschen den Brutus nicht bewundert hatten, bevor er durch die Revolution Mode geworden war!

Lebet wieder auf, und mögen wir auf einmal erfahren, was Ihr wagtet, und wie Ihr siegtet!

Lyon, den 7ten Februar.

Man sagt, daß Sie den Bramarbas machen daß Sie schöne Dinge schreiben, um uns die Pariser und sich selbst vorzupreisen, daß aber die That nicht erfolgt. Die Kriegsrüstungen, die Ihr dekretiren laßt, sind allerdings nur zum Lachen, indeß unsre Nationalgarden überall uneingerichtet, ungeübt, unbewaffnet bleiben. Es läßt gar schön, fünf und zwanzig Millionen Menschen herzurechnen, unter denen keine dreimal hunderttausend im wehrhaften Stande sind. Und mittlerweile gewinnen die feindlichen Gränzen ein immer drohenderes Ansehen; die großen Despoten und die kleinen Souverains, die Flüchtlinge und die Mißvergnügten im Innern, verschwören sich, um uns blutige Auftritte zuzubereiten. Lesen Sie die gedruckte Adresse, die hier beiliegt, und lernen Sie daraus, daß wir keine Zeit haben, großzusprechen, daß aber unsre Werke am Tag liegen.

Sie mögen sagen was Sie wollen – so lange ich eure Ausschüsse tirannisch oder unwissend und bestochen sehen werde, so lange ich sehen werde, daß sie lauter ärmliche Dekrete vorschlagen, mit andern Dingen sich abgeben, als mit der Konstitution, nichts aufstellen als Vogelscheue für Sperlinge, so lange werde ich behaupten, daß die Pariser nicht mehr so brav sind als sie anfangs schienen, oder daß sie ihr Geschick verloren haben. Das lassen Sie sich hübsch gesagt seyn, oder ich werde Ihnen die nämlichen Dinge in's Gesicht wiederholen. Adieu. Morgen schreibe ich Ihnen wegen unsrer Wohnung. Heute umarmen wir Sie einsweilen für Ihre Worte, und ich verlasse Sie um einzupacken; ehe acht Tage um sind, werden wir bei Ihnen seyn.


(Die Bürgerin Roland schrieb mir von Anfang der Revolution an, beynahe jeden Posttag, eben so warm patriotische Briefe wie die sind, so man eben gelesen hat; ich habe aber nur diejenigen aufbehalten, die für weitere Mittheilung nicht interessant genug schienen. Die übrigen theilte ich, sie mochten an mich oder an Lanthenas gerichtet seyn, dem lezteren mit, von dem sie Brissot u. a. erhielten, so daß ich sie nicht wieder bekam. Verschiedene gaben Stoff zu Aufsätzen in mehreren Zeitschriften, vorzüglich im Patriote françois, die sich durch Stärke und Wahrheit der Bemerkungen, so sie enthielten, auszeichnen.      Anm. des französ. Herausg.)



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