Julius Rodenberg
Stillleben auf Sylt
Julius Rodenberg

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Vorwort zur dritten Auflage

Siebzehn Jahre, nachdem ich es geschrieben, und fünfzehn, nachdem es zum zweitenmale gedruckt, kommt dieses kleine Buch wieder in meine Hand.

In diesen anderthalb Jahrzehnten hat die Welt so große Veränderungen erfahren, daß man, auf jene Zeiten zurückschauend, zuweilen, in nachdenklichen Augenblicken, sich wol fragen mag, ob Alles, was dazwischen liegt, ein Traum; und daß man Plätze, an denen man damals jung und glücklich und harmlos gewesen, heute wiedersieht mit einer Empfindung, nicht unähnlich jener des Rip van Winkel, dessen Geschichte Washington Irving in seinem »Skizzenbuch« so schön und rührend erzählt. Manches von dem, was einst Wirklichkeit für uns gewesen, ist in das Reich der Schatten zurückgetreten; aber der schönste Traum, den der Dichter träumen, die heißeste Sehnsucht, die der Patriot empfinden konnte, haben sich indessen verwirklicht. Die Gegenwart ist so mächtig bewegt und gewaltig, und so wunderbar und vollkommen der Umschwung aller Dinge, daß Nichts davon unberührt geblieben und Alles, was hinter uns liegt, sich in eine nebelhafte Ferne zu verlieren scheint. Und dennoch thut es wohl, sich des Vergangenen zu erinnern; es ist ein Theil dessen, was wir waren und wir schulden ihm Pietät.

Auch das vorliegende Buch, wie das Publikum es kennt, ist ein Stück der Vergangenheit. Als ich es schrieb, als ich zum erstenmal auf Sylt war, da lag die Hand des Dänen noch schwer auf Schleswig-Holstein und den Inseln; es war neun Jahre nach dem Unglückstage von Idstedt, an welchem Schleswig verloren ging, acht Jahre nach dem Tage nicht nur des Unglücks, sondern mehr noch der Schmach, wo Holstein, von dem Bundestag im Stich gelassen, von Preußischen und Österreichischen Regimentern seinem Zwingherrn ausgeliefert, sein Heer aufgelöst, seine Landesversammlung und Statthalterschaft auseinandergejagt wurde – Groll und Bitterkeit war in den Herzen, dumpfes Schweigen überall, das Vertrauen ausgelöscht und Nichts übrig, als das Bewußtsein, ohnmächtig zu sein in fremder Gewalt.

Als ich wiederkam, nach sechszehn Jahren, da war Schleswig-Holstein deutsch; da war es wieder, was es einst gewesen, die deutsche Grenzmark gegen Norden, die Hüterin des Reichs, die Wächterin am Meere. Denn auch im Völkerleben mag das Wort Goethe's gelten, daß uns zuweilen das Schicksal unsere Wünsche gewährt, aber auf seine Weise, um uns Etwas über unsere Wünsche gewähren zu können.

Nirgends vielleicht wird man der vollzogenen Umgestaltung in ihrer ganzen Größe so stark, ich möchte sagen so unmittelbar inne, als wenn man nach vielen Jahren der Abwesenheit hierher zurückkehrt, an diesen Ausgangspunkt ungeahnt mächtiger Entscheidungen; auf diesen Erdenfleck, auf welchem man gleichsam die ganze germanische Welt um sich versammelt sieht: gegen Westen England, gegen Norden und Nordosten die scandinavischen Reiche, gegen Süden und Südosten Deutschland. Eine Art von historischem Zauber, etwas verhängnißvoll Eingreifendes ruht auf diesem Winkel von Schleswig, auf dieser Halbinsel zwischen Ost- und Nordsee und den Inseln umher, von denen aus, in grauer Vorzeit, ein Germanenreich mit germanischer Sprache, germanischem Recht und germanischer Sitte im celtischen Britannien errichtet und, in unserer Zeit, der erste, zwar entfernte, doch unaufhaltsam wirkende Anstoß zur Wiedererrichtung des Deutschen Reichs gegeben ward.

Viel wäre daher in diesem Büchlein von Sylt sowol wegzulassen als hinzuzufügen. Aber ich gestehe, daß mir der Muth fehlt, daran zu rühren. Indem ich mir daher vorbehalte, den Eindrücken und Wahrnehmungen meines zweiten Besuchs auf Sylt im Herbste 1875 einen Nachtrag zu widmen, glaube ich, daß ich das »Stillleben« selbst lassen sollte, wie es im Jahre 1859 war. Es ist ein Jugendwerk; und woher nähme ich heut, nach so viel inzwischen verflossenen Jahren, die Stimmung von damals? Ich habe gesehen, daß das Buch noch in gutem Andenken steht, auf Sylt und anderwärts; und ich will deswegen, außer einigen Berichtigungen, Nichts an demselben weder ab- noch zuthun. Eine feinere Erwägung kommt hinzu: es ist ein bescheidenes aber treues Denkmal der Insel und seiner Bewohner, wie sie damals, kurz vor ihrer Rückkehr zu Deutschland waren, und auch vielleicht als solches darf es Schutz vor willkürlicher Abänderung verlangen. Es spricht zum Theil von Zuständen, die gewesen, und an die man daher ruhig denken mag, wie an die Todten, die auch nicht mehr wehe thun, nicht mehr verletzen können. Ich möchte dieses besonders meinen Freunden in Dänemark sagen. Sie haben mich seitdem kennen gelernt, und ich habe zweimal in ihrer schönen Hauptstadt, in ihrem lieblichen, mit Seen geschmückten und mit Buchen bekränzten Lande Tage verlebt, die mir stets unvergeßlich bleiben werden, Tage der Gastfreundschaft, die zurückzurufen mich heute noch beglückt. Auch der alte Streit, so wollen wir hoffen, ist für Immer geschlichtet und selbst die Erinnerung daran hat den bitteren Beigeschmack verloren; denn sie gehört bereits der Geschichte. Wie das deutsche Volk grade gegenwärtig durch die neuen und überraschenden Briefpublicationen aus dem Archive der Herzöge von Schleswig-Holstein-Augustenburg daran gemahnt wird, welch' hohe und edle Verpflichtungen es in dem Namen und Andenken Schiller's an das liebenswürdige, kunstsinnige, leicht enthusiasmirte dänische Volk knüpfen: so möge dieses sich sagen, daß es weitab von den politischen Machtfragen und hoch über ihnen andere Fragen giebt, Fragen des innern Lebens, der sittlichen Freiheit und des ungehemmten intellectuellen Fortschrittes, in welchen volle Gemeinsamkeit und intimes Verständniß zwischen allen Stämmen der großen germanischen Völkerfamilie herrscht. Mit der Sprache, die sie einst in ihrer Kindheit und im Elternhaus geredet; mit den heiligen Erinnerungen an beide, die sie in Sang und Sage bewahren; mit der Charakteranlage, die sie mitnahmen, als sie hinauszogen in die Welt, lebt das Gefühl einer idealen Einheit in ihnen fort und wird, wiewol oftmals verläugnet, sich doch immer wieder geltend machen, wenn es sich um jene Fragen handelt, welche nicht ein Volk allein, sondern das Wohl und Wehe der Menschheit betreffen.

Berlin, am 7. April 1876.
J. R.

 


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