Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Das Taschentuch

Lia war sehr schön. Sie wußte es und machte sich noch schöner: aß wie ein Kätzchen, hantierte mit den Fingerlein an ihren Schläfenringelein, senkte die Wimpern und ließ nur die Pupillen gleiten, lachte wie ein Schlittenschellchen und trug die Idee einer Bluse, vor der alle Frauen im Hotel Saint-Georges eifersüchtig erblaßten. – Wenn sie aufstand und ging, verstummte das Gespäch an fünfzehn Tischen.

Wenn sie aber gegangen war, dann lebte das Gespräch nicht etwa auf, wie sonst, wenn liebliche Dämchen einen Saal verlassen haben – sondern alles schwieg still. – Riki und ich hatten dem Kellner eine Drachme gestiftet, damit er uns erzähle, was die Leute über uns sagen. Er versicherte uns auf Diensteid: die Leute sind still, muckmäuschenstill.

Zum Diner ließ sich Lia immer von Riki führen, zum Souper von mir. Riki folgte dann mit unendlich müden Gebärden und strich sich sorgenvoll die Schnebbe aus der Stirn, um auf die Konsulstöchter Eindruck zu machen. Die Backfische grinsten aber nur, und die Frau Konsul schlug ein moralisches Zigeunerrad, daß ihr die Schlüsselbeine knackten.

Riki hatte sich und Lia Eheringe verliehen und drang darauf, daß Lia in Gesellschaft Sie zu mir 152 sage. Das sei unbedingt notwendig, behauptete er, sonst stehe er gar zu dumm da. Anders lasse sich die Sache auch nicht durchführen.

Die unglückliche Ehe Rikis mit Lia bestand nur in seiner Einbildung – von den Ansiedlern im Hotel glaubte kein Hund daran. Erst unlängst hatte mich der Hans aus Bremen mit der herkulischen Krawattennadel gefragt:

»Was macht die gnädige Frau Gemahlin der Herren? Befindet sie sich den beiden Verhältnissen angemessen?«

Ich tötete ihn mit einem Blick.

Er lachte dreckig hinter mir her, und als er später mit Herrn v. Karnow über die Spianata ging, lachte er noch immer. Dieser Herr v. Karnow war ein geborner Agrarier und aus Versehen Marineur geworden, Korvettenkapitän. Er kam täglich zum Frühstück ins Hotel, denn unten im Hafen ankerte ein deutscher Kreuzer.

Auch einen landsässigen Deutschen gabs. Er war Prokurist des Konsuls, blond, blau und blöd, die Gefälligkeit selbst; tauschte uns Mark in Drachmen um, trug sämtliche Reisegelegenheiten der Welt im Kopf und einen Vollbart im ganzen Gesicht, wie der Lexikon-Kaukasier. Täglich predigte der Prokurist: wir sollten sparen, so junge Herren kennten den Wert des Geldes nicht, man müsse sich nach der Decke strecken. – Riki nannte ihn darum den Prokuristes.

153 Prokuristes stellte uns zur Rede: warum wir noch keine Aufwartung beim Konsul gemacht hätten; das schicke sich und müsse geschehen – der Konsul sei doch deutscher Beamter.

Riki nahm seine müdeste Larve um und antwortete:

Eben vor den deutschen Beamten wär er ausgerissen, als er hierherkam – und wenn der Herr Konsul ihn besuchen wolle und verspräche, nicht vom Klima zu reden, sei er immerhin bereit, ihn ungeachtet seines Ranges anzunehmen.

Darüber wurde Lia ungemein wild. Sie brach eine Zahnbürste entzwei, wiewohl auf Korfu keine andre zu haben ist, und machte uns eine Szene, daß dem armen Prokuristes die Zitronenkur ankam.

Ich dachte mir: Riki soll sehen, wie gut ich erzogen bin – und paschte in mein Zimmer ab. Wenn er mich braucht, um Lia zu versöhnen, wird er mich schon rufen.

Ich wartete. – Vergebens. – Nach einer kleinen Stunde fand ich die beiden schon, zu scheußlichen Klumpen geballt, im Schaukelstuhl.

Ich klingelte dem Boy Kallipygos und verlangte Syndetikon, um den zerbrochenen Griff zu leimen – der Boy aber sagte, er würde mir eine neue Zahnbürste besorgen. Als er sie brachte, war sie schon gebraucht und gehörte Herrn v. Karnow.

Lia blickte durchs Fenster und rief:

»Der Konsul geht draußen spazieren.«

154 »Gott, so laß ihn doch.«

»Wenn er aber zu uns kommt?« – Sie zwang Riki in mein Meßgewand. Er saß langelang, ohne daß der Konsul erschien. Natürlich; er hatte ja garnicht die Absicht gehabt.

Schon tags vorher war von einem Ball die Rede gewesen, den Deutschland im Hotel veranstalten wird. Die Eingebung stammte vom Konsul, die Vorsorgen lagen dem Prokuristen ob. Spielen würde die Matrosenkapelle, das hatte der Kapitän schon zugesagt. Es sollte ganz was Biederes werden; Frau Nachmia würde kommen, die Konsulin mit zwei Töchtern und was auf Korfu sonst noch gut und teuer ist.

Lia sagte: »Wann man uns net einladet, is das eine Gemeinheit.« Und sie würde unbedingt sofort abreisen.

Das ginge schon deshalb nicht, bemerkte Riki sehr richtig, weil er nur mehr fünfzig Frank besäße.

»Alsdann nemmt er die Fahrkarten,« entgegnete Lia und meinte mich.

Ich erbleichte.

»Er? Er hat kein Lepton mehr, er hat mich schon wieder angepumpt.«

Diese Enthüllung fand ich nicht sehr zart von Riki.

Lia kleidete sich zum Souper an. – Wenn schon nichts andres, dann brauche sie für den Ball wenigstens ein dünnes Halskettchen. Ein 155 ausgeschnittenes Kleid ohne Halskettchen sei nicht schick. Wir sollten zusammensteuern.

»Zusammensteuern? Wer?«

»No – du un er.«

»Ich sag dir doch: er hat nichts.«

»Dann gib du 's Geld, er soll dir, bis er kriegt, die Hälfte zruckgeben.«

»Ah, Unsinn. Wir gehen ohnehin nicht auf den Ball.«

Er hatte es noch nicht gesagt, da öffnete sich die Tür, und Prokuristes, der Affenkaiser, war wieder da. – Wir sollten doch zum Konsul gehen, er erwarte uns schon.

Ich befürchtete wieder einen Wutanfall von Lia, doch Lia sprach keine Silbe. Sie lächelte nur. – Prokuristes trommelte auf Riki ein, der Konsul sei eine mächtige Persönlichkeit – wenn sich Riki mit ihm überwürfe, wie sähe es aus? Überhaupt hätte es Riki nur dem Konsul zu verdanken, daß wir so wohlgelitten in der Gesellschaft wären, der Herr Konsul trete immer für uns ein, wenn wir angegriffen würden.

Riki machte böse Augen und fragte:

»Von wem angegriffen?«

Prokuristes erwiderte, er meine es nur im allgemeinen, jeder Mensch habe seine Neider und Feinde.

Riki bestand darauf, etwas Näheres zu erfahren – da öffnete sich abermals die Tür, und zu unserm Erstaunen erschien der Herr Konsul in ganzer 156 Bezirksgröße, schreitend wie ein heraldischer Löwe; begrüßte uns durch einen Druck seiner eiskalten Pranke, ging auf Lia zu und lud sie in aller Form zum Ball. Morgen abend, neun Uhr.

Lia nahm mit hochfürstlichem Ballerinenlächeln an. – Der Konsul erbat sich die Auszeichnung, Lia zum Souper führen zu dürfen, reichte wieder jedem von uns die eiskalte Pfote, Lia den Arm, und die Karawane setzte sich in Bewegung.

Als Lia und der Konsul unten eintraten, ging ein galvanischer Strom durch die Gemeinde. Der Hans aus Bremen bleckte die Zähne, die Frau Konsulin war, Gott sei Dank, nicht da – sie hätte sich wahrscheinlich das Genick verrenkt.

Wir aßen noch – da legte Lia plötzlich das Messer hin.

»Was is aber jetzt mit meiner Halsketten? – – Morgen? Naa, morgen hat der Nachmia Schabbes. Ihr müßts noch heut gehn, die Halsketten kaufen.«

Nach einigem Sträuben verstand sich Riki dazu – wir pilgerten in grausamem Regen zu Nachmia. Das Kettchen kostete dreißig Frank in Gold; war aber nur plattiert.

– – –

Andern Tages himmelfrüh ging ich den Portier fragen, ob kein Geld für mich angekommen wäre, und als er verneinte, aufs Postamt. – – Nichts.

Nachmittag: eine Depesche. Ich öffnete sie zitternd und las: 157

»keinen pfennig sofort heimkommen papa.«

In einem Augenblick schwitzte ich zweimal und wurde zweimal wieder trocken. – Schrecklich; schrecklich. Was jetzt?

Auf dem Rückweg traf ich den Konsul. Er reichte mir die eiskalte Hand, fragte umständlich nach Riki und Lia, ließ sich von mir immer und immer wieder erzählen und tat ungemein zutraulich. – Ich überlegte, ob ich ihn nicht anpumpen könnte. Als ich eben Tapferkeit genug zum Anpumpen in mir fühlte, trug er mir herzliche Grüße auf und ging.

Im Hotel ließ ich mir einen barbarischen Grog brauen, um den Schnupfen loszuwerden, den ich mir gestern geholt hatte, als wir im Regen zu Nachmia gingen – und sagte dem Garçon, der Grog möge auf die Rechnung geschrieben werden, ich hätte kein Kleingeld. Er wollte wechseln – ich tat errötend, als verstünde ich ihn nicht.

Lia war wie im Fieber. Um fünf Uhr begann sie sich anzukleiden, fand, daß sie zu schlank aussehe – daran seien wir beide schuld und die asiatische Kost. Sie zog eine zweite, dicke Hösin an und stopfte sich Strümpfe ins Korsett. Die Bluse sei schäbig, sie möchte sie am liebsten zerreißen, schrie sie. – Gegen acht, schon wollten wir gehen – da fiel ihr wieder ein, den Volant von ihrem Straßenkleid abzutrennen und auf den Jupon zu nähen, damit es besser rausche. In der 158 Eile machte sies schief und mußte von vorn beginnen.

Erst im Ballsaal, als sie sich überzeugt hatte, daß keine eleganter war als sie, löste sich die Erregung in Spottreden über die versammelten Weiber auf.

Es war sehr niedlich. Ein Abglanz von des Konsuls Heiligenschein fiel auf uns, alles riß sich um Lia. Leute, die uns nie gekannt hatten, kamen an unsern Tisch und wollten vorgestellt sein.

– Wär nur der Schnupfen nicht gewesen.

Gegen Mitternacht war mein Taschentuch nicht mehr praktikabel. Ich hätte mir gern eins von Riki geborgt – er stand, umringt von Frau Nachmia, mitten unter dem Kronleuchter.

Da beschloß ich, koste es, was es koste, Lias Taschentuch zu stehlen. – Sie saß an den Konsul geschmiegt. Ich setzte mich zu ihnen – links, wo sie die Tasche hatte, konnte ich nicht – also von rechts.

Ich beugte mich weit über den Tisch, fragte den Konsul, wie ihm die Musik gefalle und griff unten über Lias Schoß hinweg in ihre Tasche.

Zuerst eine eiskalte Hand.

Und dann: das Taschentuch.

Und als ichs hinaustrug und besah, da steckte ein Hundertfrankschein darin.

»Herr Prokurist, wann geht das nächste Schiff?«

159 Er zog die Uhr und lächelte.

»Wenn Sie sich beeilen, bekommen Sie es noch.«

Ich bekam es.

– – –

Acht Tage später traf ich mit Riki in Ragusa zusammen. Er war allein und sah scheußlich aus. Beinerne Knöpfe am Hemd – einfach zum Erbarmen. 160

 


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