Alexander Roda Roda
Von Bienen, Drohnen und Baronen
Alexander Roda Roda

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Feinde im Haus

In der Zeit, die unsre Großväter loben, damals als noch die alte Militärgrenze bestand, war die Kommunion Wukitsch die zweitreichste bei uns im Dorf.

Und als unsre Väter kleine Jungen waren und die Grenze im Dreieinigen Königreich aufging, um nimmer wieder zu erstehen – da verklagte Laso Wukitsch seinen Bruder Andria beim königlichen Gericht, verlangte die Teilung des Erbgutes, setzte auch richtig seinen Willen durch – und aus der schönen Kommunion wurden zwei Bauernlehen, nicht größer als viele andre auch. Größer nicht, nur garstiger zerstückelt. Denn einen Apfel kannst du mit einem Messer in Hälften schneiden. Ein Bauerngut ist ein ander Ding. Man kann nicht sagen: Andria, dir gehört das Wohnhaus, der Weinberg und die Wiese; Laso, dir der Schweinestall, die Felder und der Hof. Sondern die Grenze muß in vielfachen Winkeln und Sprüngen kreuz und quer laufen, scharf durch die halbe Tenne, mitten durch den Garten, über den Keller hinaus aufs Wasser, das Ackerland und die Weidetrift – damit jeder von jedem den gebührenden Anteil kriege.

Und so geschahs.

Als vermessen war, nannten Laso und Andria den Herrn Geometer mit gleich heißem Eifer einen Hundsfott. Kein Zweifel also: er hatte gerecht vermessen.

14 Nun fing der Unfrieden bei Wukitsch an. Selbstverständlich. Lasos Saukoben bildete eine Enklave im Gebiet Andrias. Lasos Sau wußte es nicht, kam einstens aus und fraß Andrias Maiskolben. Andria warf ein Beil nach ihr, kam aber hinten ab und stutzte ihr nur das Ringelschwänzchen. War auch ein Glück für ihn. Denn Laso verklagte ihn wegen boshafter Beschädigung fremden Eigentums, fiel aber durch, weil der andre nachwies: das Schwänzchen habe sich zur Zeit der Tat auf seinem Grund und Boden befunden.

Nun war die Reihe, Rache zu nehmen, an Laso. Andrias Maulbeerbaum reichte mit einem Ast zu Laso herüber. Das nahm Laso wahr und schüttelte von diesem Ast die Beeren ab. Andria strengte Klage an und verlor glänzend.

Am Tag nach der Verhandlung trafen die Weiber der beiden Brüder einander am Brunnentrog, da ging grade die Grenze, und schlugen sich gegenseitig nasse Fetzen um die Köpfe. Dann heulten sie ihre Männer herbei. Laso hatte eben Pflaumenbranntwein gehoben, kam dahergelaufen, hieß seinen Bruder einen Bauchschlitzer und verfluchte ihm den Teufel und die Kerzen. Andria antwortete mit einem garstigen Wunsch auf die Sonne, das Taschenmesser und den Dudelsack des Bruders. Darüber ward Laso zornig und nannte Andria einen Advokaten.

Einen Advokaten.

15 Am Morgen darauf, lang bevor die Sonne aufgegangen war, fuhr Andria aus den Federn, fing seine Stuten ein, die im Zwetschgengarten grasten, löste ihre Fesseln und spannte an. Er ging ins Haus zurück, wo noch die Eheliebste schlief, und schnürte seine flinken Füße in Bundschuhe. Er langte die Weidtasche vom Nagel, tat Brot, grünen Paprika und Knoblauch darein und obenauf eine Kürbisflasche voll wasserhellen, neuen Schnapses. Da sah sein Weib, daß er sich zu einer weiten Reise rüste.

Mit He und Holla gings in die Stadt.

Vor dem Haus des königlichen öffentlichen Notars und Verteidigers, des Herrn Doktors Vilim Šenhofr, hielt Andria. Er war merkwürdig kleinlaut. Ja, er putzte sogar die Schuhe ab. Dann klopfte er mit der Miene eines verprügelten Jungen an die Tür. Dahinter – er kannte das – streckt sich eine begehrliche Juristenhand nach Vorschuß. Am liebsten hätte er sich bekreuzigt.

Auf wiederholtes Klopfen ertönte endlich ein unwirsches Herein.

Doktor Vilim Šenhofr sah sich um und gewahrte mit Freuden eine alte Kundschaft. Wohlwollend leuchteten seine Augen durch die große Brille. Die hatte dem armen Andria schon so oft Achtung abgenötigt und blendete ihn heute vollends.

»Ah, guten Tag, Pate!« sprach der Herr Doktor. »Was führt Euch zu mir? Seid Ihr etwa abermals der Teilung wegen gekommen?«

16 Andria verstand nicht, denn der Herr Doktor sprach das Kroatische ein wenig zu schriftgemäß und überdies mit recht aufdringlichem Anklang an die Mundart seines Großvaters, des alten Wilhelm Schönhofer, der aus dem Schwabenland nach Syrmien gekommen war.

Immerhin begriff Andria, daß er sein Begehr darzulegen hatte. So erzählte er denn umständlich, wie er mit seinem Bruder Laso uneins geworden war – »Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Doktor vergebens – was seine Schwägerin, die Manda, für ein böses, nichtsnutziges Weib sei; wie Lasos Zweiter, Franjo, immerfort Äpfel stehle und Steinchen nach Andrias Truthühnern werfe – und kam so endlich auf die letzte Balgerei zu sprechen, bei der Laso ihn einen Advokaten geheißen hat.

Der Doktor zog die Brauen hoch, nahm ein Papier vor und verlangte zehn Kronen für Aufnahme der Information. – Wann sich das alles zugetragen habe?

»Gestern.«

Und welche Schimpfworte Laso nachweislich gebrauchte?

»Er hat mich,« rief Andria erregt, »einen Advokaten genannt – das kann ich beschwören.«

»Und sonst nichts?«

Sonst auch noch allerlei – aber daran erinnere sich Andria nicht mehr.

17 Der Herr Doktor zog die Brauen schier bis hinter die Ohren und schrie:

»Ja, Mensch, glaubst du denn, daß die Bezeichnung Advokat eine Ehrenbeleidigung involviert?«

Andria verstand wieder keine Silbe.

»Glaubst du,« fuhr Šenhofr fort, »daß du jemand verklagen kannst, der dir Advokat sagt? Ist denn das nicht ein ehrenhafter Stand?«

Andria sah verwundert drein.

»Da müßt ich ja jeden verklagen, der zu mir kommt. Was fällt dir eigentlich ein, du Kamel? Willst du mich zum besten haben? Oder bist du wirklich so verbohrt, daß du Ernst machst, Halunke?« – Als der Zorn wuchs, fing er gar deutsch an, weil ihm das besser von der Leber ging: »Marsch naus, du Bauernschädel! Und daß d' dich mir fei nie mehr zeige tuscht, sonschten bischt an d' Luft gsotzen, eh daß d' no Muh gmacht hascht.«

Traurig und trotziger denn traurig stieg Andria wieder in seinen Wagen, sprengte die Rößchen ein und galoppierte nach Haus.

Laso, Manda und des feindlichen Ehepaars Monatlöhner standen vor der Tür. Weither schon drohte ihnen Andria mit der Peitsche und rief:

»Ha, ihr Advokaten! Ich werd euch lehren, ehrliche Leute Advokaten schimpfen.«

Laso wollte sich auf ihn stürzen, doch Manda hielt ihn zurück.

»Verklag ihn lieber,« riet die Kluge.

18 Genau wie tags zuvor Andria, stand jetzt Laso vor der Tür Doktor Vilim Šenhofrs, putzte seine Bundschuhe und pochte an. Der gleiche freundliche Blick durch dieselbe Brille begrüßte auch ihn. Dieselbe Hand begehrte den gleichen Vorschuß. Es folgte auch die gleiche Information. Nur war diesmal Stana, Andrias Weib, eine böse, nichtsnutzige Trude und der Sprecher selbst durch die Beschimpfung Advokat so arg ins Herz geschnitten worden. Aber das, was folgte, war kürzer als gestern: diesmal warf der königliche Notar seinen Klienten eigenhändig hinaus und setzte für diese Mühe nicht einmal einen Posten in die Vormerkung.

Und auch den Laso erwarteten wieder seine Feinde vor der Tür: Andria, Stana und der Monatlöhner. Doch Laso drohte nicht mit der Peitsche. Er hielt nur, sprang auf den Bruder zu und gab ihm ein Kopfstück. Ein Kopfstück – ein Türke wäre blind davon geworden.

»Eh,« dachte Andria, »diesmal gehst du zum Bezirksrichter selbst.«

Und er tat es. Der Herr Richter ließ ihn nach kaum vier Stunden Wartens vor.

»Was willst du?« fragte er.

»Hochmögender Herr, unser seliger Vater . . .«

»Laß ihn ruhen! Sag mir kurz und bündig, um was sich die Sache dreht.«

Andria machte noch etliche fünfzehn Versuche, beim Vater zu beginnen – immer vergebens. 19 Endlich rückte er mit der Tatsache heraus: daß ihm sein Bruder gestern eine Ohrfeige gegeben habe.

»Hm,« knurrte der Richter, »dein Bruder hat ihm also eine Ohrfeige gegeben?«

»Wem – ihm?«

»Na, dem Vater, sagst du.«

»Nicht doch, hochmögender Herr – mir hat er eine Ohrfeige gegeben.«

»Hör einmal, Kerl – du bist wohl ganz von Sinnen? Wie kann dich der tote Vater hauen?«

»Nicht doch, hochmögender Herr! Mein Bruder Laso hat mir eine Ohrfeige gegeben.«

»Und was hat das mit der Leiche deines Vaters zu schaffen, wenn ich bitten darf?« fragte der Richter bissig und gereizt.

»Nichts, hochmögender Herr. Laso hat mich geohrfeigt, und ich will ihn verklagen.«

»Ist denn Laso tot?«

»Nein, hochmö –«

»Na also???«

»Ich habe ja nicht gesagt, daß jemand tot ist – obzwar mein Vater wirklich . . .«

»Dein Vater lebt also? Vorher hast du gestanden, er ist tot.«

»Gewiß, er ist tot, aber er gehört nicht zur Sache. Mein Bruder lebt und heißt Laso. Laso hat mich geohrfeigt, und ihn will ich verklagen.«

»Endlich ists heraus. Warum hast du dich nicht gleich klar ausgedrückt? Er, Laso, hat dir also 20 eine Ohrfeige gespendet. Und hast du sie ihm zurückgegeben?«

»Nein, hochmögender Herr.«

»Warum nicht?« schrie der Richter.

»Er ist ein starker Mann . . .« sagte Andria verlegen.

»Wie? Soll ich dir etwa helfen gehen? Hinnnnnaus – oder ich lasse dich von den Panduren befördern, daß du deine Knochen im Leintuch nach Hause tragen kannst. Das fehlte mir noch, daß ich für jedes Bauernkopfstück eine besondre Tagfahrt mit Sachverständigen anordnen müßte.«

Andria ging. Als er wieder heimfuhr, schwang er die Kürbisflasche traurig gen Himmel, tat einen Schluck vom Neuen und sang ein ganz neu gedichtetes Reigengstanzel:

Ako nije tvoja ćupa luda,
Man' se, brate, kotarskoga suda.
Ispi, Andro, teraj konje stare -
Rakija tvoja, sud za gospodare.

Andro, mach dich selber nicht zum Narren,
Trinke Schnaps und bleib auf deinem Karren.
Und den Stadtherren lasse die Gerichte –
Haut dich einer, antwort ins Gesichte. 21

 


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