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Die Glasprinzessin.

Es war einmal eine Prinzessin, die war unnahbar. Sie wohnte in einem Palast von Glas, der auf einen Glasberg stand. Am Fuße des Berges flatterten ganze Wolken von Raben über den verwesenden Leichnamen der Anbeter der Prinzessin, die den steilen Berg zu ersteigen versucht hatten. Nur auf der der Stadt zugewendeten Seite, wo der Glasberg am allersteilsten aufragte, lag keine Leiche; hier hatte noch niemand den Aufstieg gewagt, weil er eben unmöglich schien.

Die Glasprinzessin.

Die Prinzessin selbst aber war nicht von Glas und das war die größte Qual ihrer Anbeter. Sie war über alle Maßen schön anzusehen und man erblickte sie wie die Sonne überall, im Lande. Man konnte dem bezaubernd lieblichen Anblick, den sie bot, nirgends entrinnen. Man sah ihre Reize fast unverhüllt, höchstens wie von dem regenbogenfarbigen Wölkchen umspielt, das um den Wasserstaub eines Springbrunnens flattert. Daß der Palast aus Glas bestand, habe ich ja schon gesagt. Man kann sich kaum vorstellen, wie klar und durchsichtig dieses Glas war, noch weniger kann man sich einen Begriff machen von dem Kostüm der Prinzessin, einem wunderbaren Kunstwerk der Feinheit und Durchsichtigkeit.

Dieses Kostüm legte die Prinzessin nie ab, auch dann nicht, wenn sie zur Ruhe ging. War es doch geschmeidiger als das feinste, zarteste Spitzenhemd. Und dabei entblößte es nicht die kleinste Stelle ihres schneeweißen Körpers, sondern war geschlossen bis zum Kinn und es bedeckte selbst die zierlichen Füße bis über die Knöchel. Man sieht: sie war ebenso keusch wie schön, die jungfräuliche Prinzessin. Es war eine Wonne und eine Qual zugleich, sie zu sehen, eine Tantalusqual!

Der Leichenwall auf drei Seiten des Glasberges wurde stündlich höher, die Wolke von Raben immer dichter.

Man sah die kühnen Bewerber mit Bergstöcken, Steigeisen und Eispickeln – nur nicht mit Seilen, denn keiner war dem Rivalen behilflich – wie Ameisen sich über die spiegelglatten Wände und Glasflächen mühen, – doch vergeblich! Die Kraft verließ sie früher oder später, die einen schon beim ersten Anstieg, die anderen erst beim Erklimmen des Gipfels. Sie stürzten in die Tiefe, zerschmetterten sich die Knochen und zerfleischten sich die Glieder an den spitzigen Glasklippen, wie an ebenso vielen Messern und Dolchen.

Wem es aber gelang, die Spitze zu erklettern, die Plattform vor der Terrasse des Palastes zu erreichen, der mußte sich erst noch die Gunst der Prinzessin erwerben. Und das war nur einem Freier möglich, der eine Glasrüstung trug, spröder als jene ihrer Leibgarde von Hatschieren, die ganz mit klirrendem Glase gepanzert auf der Terrasse auf- und abschritten. Und sein Kostüm sollte doch noch feiner und durchsichtiger sein, als ihr eigenes. Ein solches gab es aber nicht.

Da kam ein Königssohn in die Stadt, dessen Wiege fern im fernsten Morgenlande gestanden war. Der war in seiner Art von ebenso großer Schönheit wie die Prinzessin, aber in seinen Neigungen von ihr grundverschieden. Denn wie jene das spröde Glas über alles liebte, so hatte dieser eine Vorliebe für weiche Betten. Er besaß eine ganze Sammlung von solchen, auf denen er abwechselnd ausruhte, um sie auf ihre Weichheit zu prüfen. Er besaß Betten, auf denen man schwebte wie auf den Rosenwolken Auroras, ohne eine Unterlage zu fühlen, Betten, die einem gefallenen Engel den Sturz vom Himmel zum Genuß gemacht hätten. Allein er suchte noch Besseres.

Ehe er mit seinen Bewerbungen um die Prinzessin begann, erließ er ein Konkurrenzausschreiben, worin er demjenigen die Schätze seines königlichen Vaters verhieß, der das leichteste und weichste Bett herzustellen vermöchte. Es leuchtet ein, daß Alt und Jung sich an dieser Konkurrenz beteiligte. Die einen schossen die Raben von den Leichen, weil sie glaubten, Rabenflaum sei luftiger denn Gänseflaum; andere erlegten wilde Schwäne, die über die Stadt flogen; wieder andere reisten weit gegen Norden um den weichen Brustflaum des Polartauchers oder Haubensteißfußes. Eine Wöchnerin drehte dem Storch den Kragen um, als er ihr gerade ein Kind brachte. Den ersten Preis aber gewann ein junger Knabe, der seinen Schutzengel rupfte.

Nach der Preiserteilung ließ der Königssohn sämtliche Betten am Fuße des Glasberges ausbreiten und zwar auf der Seite, wo der Berg am steilsten war. Dann erstieg er diesen Wall, um von hier aus die Glaswände zu erklimmen. Freilich mißlang es ihm nicht einmal, sondern zehn-, hundertmal und ohne die Unterlage von Betten wäre er schon beim ersten Versuch zerschellt. Nachdem er aber viele dutzendmal zum Gaudium sämtlicher Bewohner der Stadt bald mit dem Kopfe, bald mit dessen Gegenstück auf die Betten zurückgepurzelt war, trainierte er sich schließlich für diese halsbrecherische Leibesübung und erreichte die Plattform.

Eine Hintertüre führte in den Palast.

Kein Hatschier machte ihm den Eintritt streitig. Waren sie doch alle auf den weniger steilen Seiten postiert. Und das war sein Glück, denn sein Panzer hätte weder Hieb noch Stich ausgehalten. Dafür erfüllte er die zweite Bedingung, welche die Prinzessin an ihre Freier stellte, in umso höherem Grade: er war so fein und durchsichtig, daß selbst das Glaskostüm der Prinzessin dagegen sich ausnahm wie ein grobes Gespinst. Das Entzücken der Glasprinzessin, als er sich ihr in diesem Gewande näherte, kann kein Dichter beschreiben, kein Pinsel malen. Sie maß ihn vom Kopfe bis zu den Fersen und konnte sich nicht sattsehen. Durchsichtiger als eine Seifenblase schmiegte sich das Kleid um seine prächtigen Glieder.

Ihr Jubel kannte keine Grenzen, als der Königssohn erklärte, daß er ihr ein Kostüm aus dem ganz gleichen Stoffe mitgebracht habe, damit sie einander ebenbürtig seien. Damit breitete er die Arme aus.

Die Prinzessin warf ihr Glaskostüm ab, daß es auf dem Teppich zerbarst wie eine Eierschale. Noch niemals hatte sie sich nackt gesehen. Sie blickte an sich herab, entzückt über ihre schimmernde Schönheit, über die plastischen Formen, nur in die rosige Wolke gehüllt, die das Gefühl der Scham um Antlitz, Nacken und Busen breitet.

Die Wimpern gesenkt, bat sie um das versprochene Kostüm.

»Ihr habt es ja an,« sagte der Königssohn lachend.

Da erkannte sie, daß auch er splitternackt war und sie warf sich an seine Brust.


Während die Leibgarde von Hatschieren in ihren klirrenden Glaspanzern auf drei Seiten um das Schloß patrouillierte, verließen die Liebenden den Palast auf der vierten durch die Hinterpforte. Denn die Prinzessin wollte nichts mehr von Glaspanzern und Glashäusern wissen.

Und es ging mit ihnen die schiefe Ebene hinunter, wo sie am steilsten war. Der vorsichtige Prinz hatte dafür gesorgt, daß sie weich fielen.


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