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Fürst Kasimir III. war seinem hochseligen Herrn Vater, Fürst Kasimir II., auf dem Throne gefolgt. Obgleich sich nun der Name des neuen Fürsten vom alten bloß durch den Zuwachs eines kleinen Striches unterschied, so war der Strich, welcher Hofleben und Politik des Vaters und Sohnes trennte, dafür um so größer. Kasimir II. hatte, wie so viele kleine Reichsfürsten des achtzehnten Jahrhunderts, breit und glanzvoll Hof gehalten, viel gelebt und wenig geherrscht. Sehr gründlich dagegen beherrschten ihn samt dem Land Mätressen und Günstlinge. Der Sohn aber, welcher die Schmach dieser Wirtschaft von Jugend auf schweigend mit anschauen, die Last des Prunkes und Zeremonielles tragen und obendrein ein allezeit vergnügtes Gesicht dazu machen mußte, schlug beim Regierungsantritt stracks zum vollendeten Widerspiel seines Vaters um. Der halbe Hofstaat ward entlassen, die Feste eingestellt, die Günstlinge verschwanden; ein ganzes Dutzend von Vertrauten hatte das Ohr des alten Kasimir besessen, das Ohr des neuen Kasimir besaß kein Mensch; er regierte selber, und nicht einmal sein Kammerdiener konnte sich persönlicher Einflüsse rühmen. Welch fabelhafte Neuerung für das ganze Land: ein Fürst, der selbst regierte, und ein Hof, an welchem es keine Einflüsse gab! Hätte nicht der große Komet im Frühjahr Unerhörtes vorbedeutet, die alten Hofleute würden solche Dinge nicht für möglich gehalten haben, selbst jetzt nicht, als sie längst schon wirklich waren.
Das Schloß schien verwaist. Der junge Fürst war noch unvermählt, seine Mutter längst gestorben, die Schwester auswärts verheiratet; es war ein Hof ohne Frauen. Kein Wunder, daß es in den alten Mauern so still wurde wie im Kloster. Das einzige Vergnügen Kasimirs war die Jagd, aber nicht in der damals beliebten Form prahlerischer Parforcejagdfeste, sondern die einsame Weidmannslust im verschwiegenen Waldesdickicht.
Nun geschah es einmal, daß der junge Fürst an einem tückischen Spätherbstabend statt des vergebens erlauerten Wildes ein Fieber mit nach Hause brachte. Seit den frühen Kindertagen war er nicht krank gewesen, er konnte wohl mit Grund auf seine stahlharte Leibesnatur bauen, die der Härte seiner Willenskraft entsprach, und es war darum kein Wunder, daß er beim Regierungsantritt neben anderen Hofbediensteten auch den alten Leibmedikus als überzählig entlassen hatte. Er meinte damals, die Arbeit und das Weidwerk solle ihm den Doktor und Apotheker sparen, und hielt überhaupt mit seinem Lieblingsdichter Molière nicht sonderlich viel von der medizinischen Fakultät. Nun war er dennoch krank geworden, und das erschreckte ihn zehnmal mehr als andere Leute, weil er's so gar nicht gewöhnt war. Da gelang es dem Hofmarschall, einem tief gedemütigten Überbleibsel des früheren Hofes, dem im Augenblick besonders stark vom Fieber geschüttelten hohen Patienten das Versprechen abzuringen, er wolle ärztliche Hilfe suchen, auch jedenfalls wieder einen Leibmedikus in aller Form anstellen. Die ungeheure Selbstüberwindung, zu welcher sich der Fürst bei diesem Entschluß aufraffte, wirkte wundersam. Unmittelbar nachdem er dem Hofmarschall das Wort gegeben, brach ein heftiger Schweiß aus, dem alsbald ein tiefer Schlaf folgte, und als Fürst Kasimir am anderen Morgen erwachte, fühlte er sich fieberfrei.
Nun erschrak er freilich über das gestern dem Hofmarschall gegebene Wort und hielt seine Genesung fast für zu teuer erkauft. Doch nach kurzem Besinnen biß er die Lippen zusammen, sprach zu sich selbst: »Ein Mann, ein Wort!« und verfügte die Bestallung eines Leibmedikus. Trotz solches mannhaft ehrlichen Sinnes lauerte aber dennoch der Schalk im Hintergrund. Denn während der Hofmarschall seinen Freunden bereits triumphierend ins Ohr flüsterte, daß das neue System gebrochen sei und der alte Hofstaat wieder erstehe, sann der Fürst, wie er durch die Person des Leibarztes selber den leibärztlichen Posten zu eitel Trug und Schein machen wolle.
Zwei berühmte Ärzte der Residenz wurden von der öffentlichen Stimme als die einzig möglichen Kandidaten der beneideten Würde bezeichnet. Der Fürst aber wählte einen dritten, an welchen kein Mensch gedacht. Die ganze Stadt fiel aus den Wolken über diese Wahl, und wenn überhaupt einer mehr aus den Wolken fallen kann als andere, so fiel der Gewählte selbst am meisten aus den Wolken. Er war ein blutjunger Bursche, kaum von der Hochschule heimgekehrt, von wo er neben einer Braut auch den Doktorhut mitgebracht; außerdem war wenig von einem Doktor an ihm zu verspüren. Als frischer, artiger Lebemann stadtbekannt, wurde er in jede lustige Gesellschaft gerufen, allein niemand berief ihn ans Krankenbett; übrigens besaß er ein ausgezeichnetes Punschrezept, welches er für die Hausfrauen der halben Stadt abschreiben mußte; andere Rezepte begehrte man nicht von ihm. Von sehr bürgerlicher Herkunft, konnte er in vetterschaftlicher Gunst und Nachhilfe keinen Ersatz für seine unerworbenen Kenntnisse suchen, ja der unglückliche Mensch hatte nicht einmal einen ordentlichen unterscheidenden Namen; denn er hieß Johann Jakob Müller! Und diesen Doktor Johann Jakob Müller berief der rätselhafte Fürst zu seinem Leibarzt! Man konnte im Doppelsinne des Wortes sagen: der Fürst war dieses Leibarztes »erster« Patient.
Müller hatte jedoch eine für Ärzte besonders schätzbare Eigenschaft: er wußte, daß er nichts wußte, und da er ebenso offen und ehrlich gegen andere als bescheiden in sich selbst war, so stieg er, zur ersten Audienz berufen, die Marmortreppe des Schlosses mit dem festen Vorsatz hinan, dem Fürsten seine Unfähigkeit geradeheraus zu bekennen und ihn um allergnädigstes Verschonen mit der zugedachten Würde zu bitten. Allein zu seinem Erstaunen nahm ihm der Fürst die Gedanken aus der Seele, indem er ihn folgendergestalt anredete:
»Mein lieber Doktor Müller! Er muß sich nicht einbilden, daß ich Ihn wegen seiner ärztlichen Kunst zu meinem Leibmedikus ernannt habe. Ich weiß, daß Er auf Universitäten nichts gelernt hat. Allein die Doktores sind allesamt Scharlatans, und wer, gleich Ihm, keine Praxis kriegt, der kuriert wenigstens niemanden zu Tod und ist also fast in seiner Art der beste. Weil Er Mutterwitz und Bescheidenheit hat, darum soll Er mein Leibarzt sein, nicht wegen seiner Wissenschaft, um welche ich mich den Teufel kümmere. Ich lasse die Natur walten als den größten Arzt, und Er soll mir nicht dreinreden. Es ist altherkömmlich an unserem Hofe, daß der Leibmedikus jeden Morgen präzis acht Uhr im Kabinette des Fürsten erscheint, und da ich nach altem Brauch nun wieder einen Leibmedikus habe, so will ich Ihn auch jeden Morgen zur rechten Stunde vor mir sehen. Im übrigen kümmere Er sich nicht um meine Gesundheit, und schweige Er, bis ich Ihn frage. Sei Er klug, stille und bescheiden, mein lieber Doktor, und Er kann sein Glück machen.«
Durch diese Anrede war Müller aus dem Konzept gebracht; er konnte nun nicht mehr ablehnen, denn just aus demselben Grund, aus welchem er sich für unwürdig seines neuen Postens hielt, erklärte ihn ja der Fürst als dessen ganz besonders würdig. Auch erwachte bei den gnädigen, groben Worten des Herrn sein natürlicher Leichtsinn wieder; er dachte im stillen, für einen Fünfundzwanziger, der weiter nichts besitze als eine Braut, sei solch ein Anfang nicht übel, und was der Fürst da von ihm fordere, das könne er so gut leisten wie jeder andere. Statt abzulehnen, dankte er also untertänigst für die fürstliche Gnade und ward von dem wortkargen Herrn in aller Huld aus der Audienz entlassen.
Als die beiden jungen Männer einander gegenüberstanden, war jeder scheinbar recht zufrieden mit sich und seiner Rolle. Allein beide waren redliche Gemüter. Darum packte den Fürsten so gut wie den Doktor Scham und Ärger über das Spiel, sowie sie sich getrennt hatten. Der Fürst empfand es nur zu klar, daß er sein Wort doch nur dem Buchstaben nach gehalten, dem Sinne nach aber gebrochen hatte, und dies deuchte ihm gar nicht fürstlich. Indem er äußerlich sich treu geblieben, war er inwendig von sich abgefallen. Ja noch mehr: um der Rückkehr zum alten Hofwesen zu trotzen, hatte er bei dessen faulstem Auswuchse wieder angefangen, – er hatte die erste Sinekure geschaffen. Allein sein Eigensinn war genau so stark wie seine Ehrlichkeit: also hielt auch die Schadenfreude über den getäuschten Hofmarschall genau dem Ärger die Waage, welchen er über sich selbst empfand. Der Doktor seinerseits stieg auch gar beschämt die Marmortreppe hinab, die er so gehobenen Mutes hinangestiegen war. Zum erstenmal im Leben empfand er die ganze Schmach der arbeitslos vertändelten Lehrjahre. Wäre er wirklich ein rechter ausstudierter Doktor gewesen, er hätte seinem edleren Sinne gemäß den also dargebotenen Leibmedikus rund zurückgewiesen und lieber als Landarzt im ärmsten Dorfe elend gelebt denn nun als ausgemachte beruflose Hofschranze in der Residenz. Er schämte sich sogar um der in seiner Person entwürdigten Wissenschaft willen, obgleich dies doch eigentlich gar nicht seine Wissenschaft war; denn er war ja gerade darum nicht in der Lage, die dieser Wissenschaft geziemende Würde zu behaupten, weil er nichts wußte von dieser Wissenschaft. Allein mit solch bitterer Selbsterkenntnis kam ihm auch zum erstenmal das klare Bewußtsein der hoffnungslosen Zukunft, die vor ihm lag, wenn ihm der Fürst nicht den Leibmedikus an den Kopf geworfen hätte. Heute erst erkannte er den Abgrund, an welchem er bisher leichtsinnig einhergeschwebt, und hielt sich darum verpflichtet, dem plötzlich erschlossenen Pfade der Umkehr nicht auszuweichen. Anderen öffnet das Unglück die Augen, ihm das unverdiente Glück. Ähnlich wie beim Fürsten hielten zwei ganz widersprechende Motive seinen Willen in der Schwebe: auch er mußte inwendig von sich abfallen, um zunächst wenigstens äußerlich zu sich selber kommen zu können. Weil er nichts gelernt hatte, schämte er sich seines neuen Amtes, und doch mußte er auch wieder bei diesem Amte ausharren, weil er nichts gelernt hatte. Fürst und Doktor aber kamen zu dem gleichen Entschluß, die vollendete Tatsache hinzunehmen und ruhig abzuwarten, was sich etwa daraus entwickele, und ein jeder schwur sich im stillen heiligstes Schweigen über die wahre Lage der Dinge und den inneren und äußeren Vorgang der ersten Audienz.
Der Doktor begann nun seine täglichen Besuche im Schloß. Vom höfischen Leben und höfischer Klugheit wußte er gar nichts. Nur eine orientalische Hofregel war ihm beigefallen, die er früher einmal in einem alten Buche gelesen, und diese murmelte er an jedem Morgen vor sich hin, wenn er die Marmortreppe hinanstieg. Die Regel lautete:
»Kommst du in des Königs Haus,
Geh blind hinein und stumm heraus.«
Und dieser Spruch ward ihm zum schützenden Zauber.
Die ärztliche Konsultation verlief Tag für Tag folgendergestalt: Leibmedikus Müller erschien Schlag acht Uhr im Arbeitszimmer des Fürsten, der schon oft seit Tagesanbruch hinter Akten und Büchern saß. Das übrige Dienstpersonal mußte sich beim Eintritt des Arztes entfernen, wie es wohl alter Brauch am Hofe war. Allein der jetzige Fürst hielt doppelt streng auf diesen Brauch; denn er hatte bekanntlich guten Grund, seine Umgebung im Dunkeln zu lassen über den wunderlichen Dienst des neuen Leibmedikus. Und da er vollends wahrnahm, daß er hierdurch die neugierige Seele des Hofmarschalls auf die Folter spannte, tat er doppelt geheimnisvoll mit den ärztlichen Konsultationen. Trat der Doktor in das stille Zimmer, so fragte ihn der hohe Herr zuerst nach dem Wetter und dann nach seinem Befinden. Die Antwort auf die erste Frage wechselte mit Regen und Sonnenschein, die zweite Antwort blieb immer die gleiche. Denn der junge Doktor war ebenso kerngesund wie der junge Fürst. Niemals aber wagte es der Leibmedikus, nun auch seinerseits den Fürsten nach dessen Befinden zu fragen. Denn er hatte sich, eingedenk des Mahnwortes der ersten Audienz, fest vorgesetzt, nur zu antworten, kurz und bündig, wenn er angeredet werde, und niemals ein weiteres Wort über die Lippen zu bringen. Nachdem also der Fürst erfahren, daß sein Leibarzt gesund sei, arbeitete er ruhig weiter und ließ den Doktor noch beiläufig so eine halbe Stunde im Zimmer stehen. Dieser heftete insgemein seinen Blick unverwandt auf die Gobelintapete der gegenüberstehenden Wand, welche eine Saujagd mit gepanzerten Hunden darstellte, zählte die Hunde, die Jäger und Jägerinnen und die Blätter an den großen Bäumen des Vordergrundes, wagte es aber beileibe nicht, den Blick in andere Regionen des Zimmers umherschweifen zu lassen. Nach Ablauf der halben Stunde wurde er huldvoll verabschiedet.
Die Hofleute, vom Hofmarschall bis zum letzten Lakaien, platzten schier vor Neugierde über die tägliche geheime Konferenz des Fürsten mit dem Arzte; sie lauschten an den Schlüssellöchern und hörten nichts; es war totenstill im Kabinett; die beiden mußten sich wohl ganz leise im hintersten Winkel besprechen, und so folgerte man denn nicht ohne Grund, daß Doktor Müller der erste und einzige Vertraute des Herrn sei, der einzige Günstling, welchen Kasimir unter der ostensibeln Würde eines Leibarztes zu sich herangezogen.
Natürlich wandten sich die Neugierigen dann auch bald verblümt, bald offen an Müller selber, sie schmeichelten, stichelten, quälten, legten ihm Kreuz- und Querfragen vor, allein der sonst so offene und redselige junge Mann war und blieb verstockt und verschlossen. So meinten die Frager. In der Tat aber gab er ganz offene und ehrliche Auskunft wie immer. Denn er sagte einem jeden, der Fürst rede mit ihm fast nur vom Wetter, sein Dienst sei gleich null, er besitze nicht entfernt das Ohr des Herrn, er habe nicht den mindesten Einfluß, und es sei die unverdienteste Ehre von der Welt, wenn man ihn einen Vertrauten Seiner Durchlaucht nenne. Kein Mensch glaubte ihm das; alle hielten sein Schweigen und Leugnen für die Kunst eines geborenen Hofmannes, und man wunderte sich nur, daß man dieses eminente Talent des diplomatischen Geheimnisses nicht früher schon bei dem lustigen Doktor geahnt habe. Müller lachte im stillen über die wunderlichen Leute, welche gerade da die feinste Kunst der Lüge spürten, wo er doch nur die ungekünstelte Wahrheit sprach. Am ergötzlichsten aber deuchte es ihm, daß er selber, der die Neugierde der ganzen Stadt entflammte, von einer ganz ähnlichen unbefriedigten Neugier geplagt war. Denn fürs Leben gern hätte er doch wissen mögen, was eigentlich den Fürsten bewogen, ihn so unerhört zu gleicher Zeit öffentlich auszuzeichnen und insgeheim zu demütigen. Allein er war klug genug, die Lösung dieses Rätsels in Geduld und Schweigen abzuwarten.
In wenigen Wochen durchtönte der Ruf von dem Einflusse des neuen Leibmedikus bereits das ganze Ländchen. Als erstes Zeugnis seines wachsenden Ruhmes kam der Brief eines entfernten Vetters aus einem entlegenen Dorf mit einem höchst ergebenen Gesuch. Der Vetter führte einen Spezereikram und wollte schon längst neben Kaffee und Zucker auch Schnittwaren verkaufen. Das wehrte ihm der Schultheiß, weil dessen Vetter im nächsten Flecken mit Schnittwaren handelte. Nun wandte sich der Vetter des Leibmedikus an letzteren, daß er vom Fürsten einen Machtspruch zu seinen Gunsten erwirke und dem schandbaren vetterschaftlichen Protektionswesen des Schultheißen ein Ende mache. Doktor Müller belehrte den Vetter umgehend: »Fürsten pflegen sich nicht um den Schnittwarenverkauf zu kümmern, auch besitze ich selber keineswegs den persönlichen Einfluß, welchen man mir fälschlich zuschreibt, und bedaure also, in dieser Sache gar nichts tun zu können.« Doch siehe – nach vierzehn Tagen wurde der ehrliche Leibmedikus durch ein warmes – Dankschreiben des Vetters überrascht, begleitet von dem köstlichsten sechspfündigen Käselaib. Der Vetter hatte inzwischen wirklich die ersehnte Konzession erhalten und glaubte, der Doktor habe sie ihm doch ganz heimlich in aller Eile herausgefochten und nur aus Politik den ablehnenden Brief geschrieben; denn schwarz auf weiß müsse ein Hofmann allerdings vorsichtig reden. Und in der Tat war auch der Leibmedikus die unschuldige Ursache, daß der langjährige Wunsch des Vetters sich nun so rasch erfüllte. Denn dieser hatte im ganzen Dorfe dermaßen mit der Macht seines vetterlichen Gönners geprahlt, daß der Schultheiß Angst kriegte und beigab, bevor noch das gefürchtete Machtwort des Fürsten ankam. Der Schultheiß schrieb nun aber auch an den Leibmedikus, rühmte seinen eben bewiesenen guten Willen, der Müllerschen Familie allezeit zu dienen, und bat reumütig, daß man Vergangenes vergessen und vergeben und ihm doch auch in Zukunft die hohe leibärztliche Gunst nicht versagen möge. Er sei zu jedem Gegendienste ergebenst bereit. Doktor Müller verschenkte und verzehrte seine sechs Pfund Käse in aller Stille und hob die beiden Briefe auf zum ergötzlichen Beweise der Tatsache, daß man wider Wissen, Willen und Verdienst der Mann des Einflusses sein und bleiben müsse, wenn man eben einmal wider Willen und Verdienst Leibmedikus geworden. Wie übrigens das Gerücht aus der Stadt ihm die Macht eines Günstlings aus dem Dorfe gegeben, so drang jetzt das Gerücht von dieser Dorfgeschichte, unterwegs ins Großartigere ausgemalt, in die Stadt zurück und stärkte hier wiederum den Glauben, daß Doktor Müller der allvermögende Freund des Fürsten sei.
Hatte in den ersten vierzehn Tagen nur der Vetter Krämer um seine Gönnerschaft geworben, so kamen in der dritten Woche schon angesehene Bürger und Beamte und in der vierten gar der fürstliche Kammerdirektor, eine Art von Finanzminister des Ländchens. Er wünschte eine Steuererhöhung durchzusetzen und erbat sich des Leibmedikus Fürwort bei Seiner Durchlaucht. Doktor Müller beteuerte, wie alle Tage, daß er gar nicht imstande sei, ein solches Fürwort einzulegen. – »Die Redensart kennen wir schon!« dachte der Kammerdirektor und lächelte so freundlich ungläubig wie nur möglich. »Übrigens«, fügte Müller hinzu, »geht die allgemeine Rede, daß unser gnädiger Herr fortwährend auf Minderung der Steuern sinne, und seine ganze bisherige Politik scheint dies zu bestätigen. Daher dürfte es wohl sogar Ihnen als einer der ersten Finanzautoritäten im ganzen Römischen Reich schwer fallen, seinen eisernen Willen für höhere Steuern umzustimmen, und was soll da vollends mein unberufenes Fürwort nützen!« Der Leibarzt war der einzige, welcher dem Finanzmann das Urteil des ganzen Landes trocken zu sagen wagte; alle seine Freunde hatten ihm mit lügnerischer Hoffnung geschmeichelt. Er fiel dann auch mit dem Antrage glänzend durch und warf nun einen stillen, tiefen Haß auf den unschuldigen Doktor. »Hütet euch vor diesem übermütigen Menschen«, flüsterte er seinen Freunden ins Ohr; »jetzt habe ich wenigstens ergründet, daß er, der mit dem gnädigen Herrn stets nur vom Wetter zu reden vorgibt, er allein die geheimen Pläne des Fürsten kennt und sein unbegrenztes Vertrauen besitzt, und diese sichere Kunde ist schon einmal einen Durchfall wert!«
So mußte Doktor Müller der fürstliche Günstling sein, nicht bloß, weil einige Bittsteller, die sich an ihn gewandt, Erfolg gehabt, sondern mehr noch, weil ein anderer, der ihn begrüßt, mit langer Nase abgefahren war. Und wenn sich der Leibmedikus auf den Kopf gestellt hätte, er wäre dennoch der Günstling geblieben.
Die ganze Stadt teilte sich in zwei Parteien: in offene Anhänger und in stille Widersacher Müllers. Denn laute Widersacher wagten sich noch nicht hervor. Auf seiten des Doktors stand die Aristokratie, die Gegner lauerten unter der Bürgerschaft. Und doch war Müller ein ganz bürgerlicher Charakter und weit entfernt von aristokratischen Grundsätzen und Neigungen. Allein der Hofmarschall, welcher sich ja mit Grund rühmte, die leibärztliche Stelle eröffnet zu haben, prahlte nun auch ohne Grund, daß sein Fürwort gerade diesen Müller in die Gnade des Fürsten gebracht. Als echter Hofmann gab er die ohne sein Zutun vollführte Tatsache für das reine Ergebnis seines Einflusses aus. Er wollte lieber, daß man ihm die verkehrteste Wahl vorwarf, denn daß man dieselbe als wider sein Wissen und Wollen erfolgt ansähe. So galt nun der arme Müller vollends gar für eine Kreatur des Hofmarschalls! Zwar ärgerte sich dieser insgeheim nicht wenig über das ganz unnahbare, verschlossene Wesen seines angeblichen Schützlings, war aber klug genug, den Ärger nicht merken zu lassen, und hoffte, den Doktor doch über kurz oder lang mit seinen Netzen zu umstricken. Die Aristokratie folgte der falschen Fährte des Hofmarschalls und betrachtete den Leibmedikus überdies als ein teures Pfand, daß die alte Günstlingswirtschaft nun doch wieder ihren Anfang genommen habe und hoffentlich auch bald ihren breiteren Fortgang finden werde. Da adelige Söhne sich nicht zum Pulsfühlen und Rezepteschreiben herabzulassen pflegen, so stand der bürgerliche Günstling hier auch über dem Neid erhaben oder richtiger unter dem Neid.
Die alten Freunde und Genossen des Doktors wurden freilich um so mißtrauischer. Sie fanden ihn zurückgezogener, zugeknöpfter als vorher und nannten das Hochmut. Und doch war eigentlich tiefe Demut die Quelle dieses stilleren Wesens. Denn Müller entzog sich der Gesellschaft jetzt, weil er, wunderbar genug, Medizin zu studieren begann. Ohne Unterlaß nagte der Gedanke an ihm, daß er nur darum eine so viel beneidete und doch so unwürdige Rolle spiele, weil er nichts gelernt habe. Der arme Teufel saß hinter Lehrbüchern und Kollegienheften, während man glaubte, er regiere das Land, und schlich sich ganz zerknirscht ins Armenspital, um die versäumten Stunden der akademischen Klinik nachzuholen, indes seine Zechgenossen im Wirtshause räsonierten, daß er aus Hoffart nun wieder nicht beim frohen Gelage erschienen sei. Es war ihm, als müsse das tolle Spiel plötzlich mit Schande und Schrecken enden, wenn er nicht inzwischen wirklich ein ausgelernter Doktor werde und durch solche Buße das drohende Schicksal beschwöre.
So lagerte auf allen Seiten Dunkel, Verwirrung, Irrtum und Selbsttäuschung. Der Fürst war im Dunkel über den Aufruhr der Geister, den er in Stadt und Land erregt; denn keiner wagte in seiner Gegenwart von dem rätselhaften Leibmedikus zu sprechen. Während er um der öffentlichen Meinung willen alles Günstlingswesen vermeiden wollte, hatte er sich gerade bei der öffentlichen Meinung einen Günstling gegeben, von dem er selber gar nichts ahnte. Der Hofmarschall tappte im Dunkeln über den Leibmedikus, der Adel über den Hofmarschall, der Leibmedikus über den eigentlichen Plan und Willen des Fürsten und das ganze Land über den Fürsten, den Leibmedikus, den Hofmarschall und den Adel miteinander. Weil der Doktor so ehrlich war und so verschwiegen, stiftete er die tollsten Intrigen, und weil er von deutschen Hofregeln gar nichts wußte als einen türkischen Spruch, war er der vollendetste Hofmann im Lande.
Allein dieses Wirrsal sollte mit einem Schlage zerhauen werden, und zwar durch weibliche Hand, durch die Braut des Leibmedikus.
Die Braut war eine arme junge Waise aus altadeligem Haus, Anna von Lehberg. Ihre vornehmen Verwandten wollten einen Bräutigam, der sich Johann Jakob Müller schrieb, anfangs natürlich gar nicht anerkennen. Doch seit dieser gewisse Müller Leibmedikus und Vertrauter des Fürsten geworden und der Hoffnungsstern des Residenzadels, wandte sich das Blatt. Das Verdienst kann sogar einen Müller adeln. »Hätte ich etwas gelernt«, sprach dieser zu sich selbst, »so hätte ich kein Verdienst, ich wäre nicht Leibmedikus geworden oder doch gewiß nicht der Vertraute des Fürsten; hätte ich etwas gelernt, so würde man mir fort und fort meine Braut abstreiten. Es ist kein Ding so schlimm, es ist zu etwas gut.« Er begann mitunter schon zu glauben, daß er wirklich der Vertraute des Fürsten sei, allein den nächsten Besuch brauchte nur das Gespräch mit dem Wetter einzuleiten, so fiel er sofort aus der Täuschung. Einen Laubfrosch, den er lange besessen, schenkte er weg, weil ihn derselbe zu sehr an das Wetter erinnerte. Auch brachte ihn der Anblick des Tieres allzuoft auf den Gedanken, daß er selber nicht eigentlich der Leibmedikus, sondern nur der Hoflaubfrosch Seiner Durchlaucht sei.
Anna, welche auf dem Land bei einem alten Oheim lebte, erfuhr sowenig von dem Geheimnis ihres Bräutigams als irgendeine andere Seele. Sie glaubte ja gern dem allgemeinen Gerücht, daß sich ihre Lage so glücklich gewendet hatte. Allein bei aller stillen Sanftmut ihres Wesens war sie doch äußerst scharfblickend und konnte darum nicht klug werden aus des Bräutigams Briefen. Denn während er ihr an jedem Samstag in einer zwei bis drei Bogen starken Epistel nicht bloß all sein Denken und Empfinden, sondern auch jedes kleine Erlebnis der abgelaufenen Woche getreulich darlegte, schwieg er über das Haupterlebnis, den Verkehr mit dem Fürsten. Das Fräulein klopfte leise auf die Hecke, aber der Doktor hörte es nicht; er berichtete ihr anfangs dieselbe nackte Wahrheit, welche er aller Welt sagte, und als sie weiter in ihn drang, schrieb er bloß das vieldeutige Orakelwort: »Hofgespräche taugen nichts für junger Mädchen Ohren.« Um so dringender wollte nun natürlich das junge Mädchen Näheres von diesen Hofgesprächen wissen und sprach zuletzt zu sich selbst: hier waltet ein Geheimnis, welches ich um jeden Preis ergründen muß. Fast noch verdächtiger erschien ihr eine andere Lücke in des Doktors neueren Briefen. Vordem, da der Zeitpunkt des ersehnten Ehebundes noch am fernen Horizonte einer unabsehbaren Zukunft verschwamm, brachte jeder Brief des hoffnungsarmen Bräutigams einen Stoßseufzer über diese verzweifelt ausgedehnte Fernsicht; jetzt dagegen, wo der fürstliche Leibmedikus täglich hätte heiraten können, ja wo selbst die ganze hochwohlgeborene Familie Lehberg mit einem Male gnädig ihm zulächelte, jetzt schrieb er keine Silbe mehr von naher oder ferner Heirat. Der Grund dieses Schweigens war höchst ehrenwert: der Leibmedikus in Amt und Würden erkannte sich als in der Tat beruflos und folglich auch zur Ehe noch ganz unberufen; der beruflose junge Doktor dagegen hatte gar nie so tief gedacht und, wie in alle Lebensheiterkeit, sich auch in das reizende Gedankenbild einer Ehe mit dem wirklich heißgeliebten Mädchen hineingeträumt, ohne den nüchternen Ernst solchen Beginnens auch nur zu ahnen.
Diesen Grund hätte Anna freilich niemals erraten. Allein sie war feinfühlig genug, um sich über die zwiefache Lücke in des Bräutigams Briefen recht gründlich zu ängstigen, andererseits aber auch wieder zu feinfühlig, um sich durch Fragen und Vorwürfe Licht zu verschaffen. Echt weibliche Naturen sind jedoch in der Regel entschlossenen Geistes, und je weniger man hinter ihrem stillen Walten Willenskraft und Eigensinn vermutet, um so mehr besitzen sie. So war es auch bei dem sanften, bescheidenen Fräulein. Sie wollte durchaus klar sehen, und weil ihr die Briefe immer neues Dunkel statt neuen Lichtes brachten, so bearbeitete sie den alten Oheim, daß er mit ihr zum Residenzstädtlein reiste, um das Haus eines Freundes mitten im Winter mit einem mehrwöchigen Besuch zu überraschen, den man eigentlich erst im kommenden Sommer erwartet hatte. Sie dachte: bin ich nur erst einmal auf der Bühne, dann will ich auch hinter die Kulissen sehen.
Schreck und Freude mischten sich wundersam in dem gutmütigen Gesichte des Leibmedikus bei der unverhofften Begegnung mit der Braut. Dies entging dem verstohlen forschenden Auge des Mädchens keineswegs; sie fand ihren Argwohn bestätigt und faßte sofort den klügsten Plan. Sie wollte Schweigen durch Schweigen brechen, aber nicht durch das Schweigen des Trotzes, sondern durch das Schweigen der Güte. Nur ein leiser Anflug verhaltenen Grames sollte es den verstockten jungen Mann fühlen lassen, wie tief er mit seinem Geheimnis das treueste Herz betrübe.
Sie hatte richtig empfunden und gehandelt: ihre schonende Zurückhaltung und ihr stiller Dulderblick schnitt schärfer in die Seele des unglücklichen Doktors, als es die verfänglichsten Fragen und die lautesten Vorwürfe vermocht hätten.
So verlief die erste Woche. Da geschah es eines Tages, daß die beiden jungen Leute mit dem Oheim im Schloßgarten lustwandelten. Die Pracht der sonnenbestrahlten Schneelandschaft und der herzerquickende Odem der reinen Winterluft gab den Gemütern höheren Schwung; der Leibmedikus fühlte sich mit einem Male so stark und entschlossen, daß er seiner Braut die offenste Beichte hätte ablegen und doch nicht vor Scham in die Erde sinken mögen, wäre nur der Oheim nicht zugegen gewesen, und er nahm sich mannhaft vor, bei der Heimkehr in den unbewachten Minuten der Dämmerstunde die volle und ganze Wahrheit ehrlich zu bekennen. Aus diesen Gedanken ward er plötzlich aufgestört durch das Erscheinen des Fürsten; auf schmalem Pfade ging er an ihnen vorüber, und sein Auge weilte bei der Gruppe mit langem, forschendem Blick. Nachdem sie die verschlungenen Gartenpfade eine Strecke weitergewandelt, begegnete ihnen abermals der Fürst, und fast deuchte es dem Doktor, er habe ihnen geflissentlich den Weg abgeschnitten, um sie noch schärfer als vorher zu betrachten. Ja, beim Ausgang aus dem Garten sahen sie ihn zum drittenmal etwas seitab an der Schloßtreppe.
Dieses auffallende dreimalige Erscheinen des gestrengen Herrn erschreckte den Doktor wie ein Gespenst und machte ihn so scheu und kleinmütig, daß er in den unbelauschten Minuten der Dämmerstunde seines mannhaften Entschlusses ganz und gar vergaß. Allein bei Anna hatte der frische Gang ähnlich ermutigend gewirkt, und der Anblick des Fürsten war ihr keineswegs wie eines Gespenstes gewesen; auch sie hatte sich, während beide sinnend nebeneinander im Garten gingen, eine offene Frage an den Bräutigam vorgesetzt und wagte sich tapfer heraus mit der Sprache. Die Antwort war eine Selbstanklage Müllers. »Ich weiß«, sprach er, »daß Schweigen auch Lügen sein kann, ja, indem wir die nackte Wahrheit sagen, können wir lügen, wenn wir wissen, daß andere unsere Rede anders deuten werden als nach dem Wortsinn. So habe ich dich und die halbe Welt belogen, indem ich geschwiegen und die nackte Wahrheit geredet habe. Aber fordere nur jetzt nichts Weiteres von mir als dieses bittere Bekenntnis. Gönne mir nur noch wenige Tage Frist, und du sollst über meine Stellung zum Fürsten und über unser beider Zukunft alles erfahren, was ich selber zu sagen weiß.« Er sprach dies so bestimmt und zugleich so schmerzbewegt, daß Anna nicht weiter zu forschen wagte. Sie ward aber durch seine Rätselworte noch verwirrter als vorher. Denn sie hatte bisher keineswegs geargwohnt, daß ihr Bräutigam zuwenig, sondern daß er zuviel beim Fürsten gelte, indem er sich mit verrannt habe in die sittlichen Irrgänge des Privatlebens, wie man sie auch dem reinsten Charakter auf dem Throne so gerne anzudichten pflegt. Mit diesem Vorurteil konnte sie nun Müllers Worte in keiner Weise reimen.
Des andern Morgens, als der Leibmedikus zum Schlosse ging, ward er vom Hofmarschall aufgehalten. Der alte Hofmann bat ihn förmlich um eine Gunst. Die Schwester des Fürsten war zu Besuch gekommen, es waren endlich einmal wieder Frauen am Hof, und trotzdem fort und fort das alte Kartäuserleben! Jetzt oder nie galt es, den Zauberbann zu brechen und dem Fürsten wieder Lust zu wecken an Spiel und Fest und Prunk. Die lebensfrohe Prinzessin hatte vergebens den gestrengen Bruder zu verlocken gesucht und den altbefreundeten Hofmarschall zum Vertrauten ihres vereitelten Wunsches gemacht. Dieser brannte vor Begier, sich mit einem Schlage der Prinzessin zu verpflichten und zugleich den ganzen Hof in das längst ersehnte alte Geleis zurückzuführen. Allein er wußte, daß man im Palast den Hebel tief unten ansetzen muß, wenn man auf die oberste Spitze wirken will. Darum bestürmte er den Leibmedikus, daß dieser vereint mit ihm den Fürsten am Gewissen packe; als Arzt müsse er dem Herrn Bälle und Feste wider seine Hypochondrie verordnen, er wolle dann zugleich als Hofmarschall dem Fürsten die Pflicht der Courtoisie vorhalten, die Anwesenheit der hohen Schwester nicht in so tödlicher Langeweile vorübergehen zu lassen ohne Sang und Klang. Der trockene alte Mann ward ganz beredt: es war das erstemal, daß sogar er, der Hofmarschall, des Doktors Gönnerschaft ansprach, und während er die bekannte ablehnende Antwort lächelnd anhörte, zitterte er zugleich vor innerer Wut, daß dieser Mensch wirklich ihn vergebens könne bitten lassen. »Dann aber«, dachte er und lächelte dem Medikus recht freundlich ins Gesicht, »dann soll diese halsstarrige Kanaille fallen, und müßte ich selber mit ihr zugrunde gehen!«
Begleitet von solch frommem Wunsche, trat Müller vor den Fürsten. Kasimir III. fragte heute nicht nach dem Wetter noch nach dem Befinden seines Leibmedikus. »Wie heißt das Frauenzimmer, mit welchem Er gestern im Garten spazierte?« rief er dem Eintretenden entgegen. Der Medikus war so sehr an die tägliche Wetterfrage gewöhnt, daß er rasch erwiderte: »Durchlaucht, Nordost mit Schneegestöber!« Und als der Fürst ungeduldig die erste Frage wiederholte, fuhr dem Doktor über diese unnatürliche Neuerung ein Schreck durch die Glieder, wie wenn ihm etwa eine Turmuhr um Mittag, statt zwölfe zu schlagen, plötzlich »Gesegnete Mahlzeit« entgegengerufen hätte. Und als er den Sinn der Frage klar begriff, folgte ein zweiter Schreck. Er stammelte den Namen des Fräuleins zur Antwort, verschwieg aber, daß sie seine Braut sei. Der Fürst, welcher alles Stadtgespräch geflissentlich seinem Ohre fernhielt, wußte noch nichts von dieser Brautschaft und begann nun ein auffallend genaues Verhör, wie lange das Fräulein schon hier sei, wer der alte Herr an ihrer Seite gewesen und so fort. Müller antwortete wie ein Angeklagter vor dem Untersuchungsrichter. Halb wie im Selbstgespräche rief dann der Fürst: »Warum versäumt Baron Lehberg, mir seine Aufwartung zu machen? Der Adel meines Landes soll nicht an meinem Hause vorübergehen! Ich wünsche, daß man sich bei mir melde. Warum fliehen die Damen meinen Hof? Doch freilich, ich lade sie ja nicht ein! Aber das soll anders werden. Der Besuch meiner Schwester fordert neue Geselligkeit. Die alten Hofbälle sollen wieder beginnen, sparsamer und nur ausnahmsweise, aber sie sollen wieder beginnen, gleich in nächster Woche!«
Dem Leibmedikus ging plötzlich ein helles Licht auf: der Anblick Annas schien den wunderbaren Umschlag beim Fürsten erzeugt zu haben; denn die starrsten Weiberhasser pflegen gerade am raschesten und wie durch Zauberei von Weiberaugen besiegt zu werden. In seiner Herzensangst vergaß darum der arme Doktor alle Klugheit und die Bitte des Hofmarschalls obendrein und platzte mit dem ärztlichen Rate heraus, daß Seine Durchlaucht doch nicht allzu jäh das gewohnte Arbeits- und Jägerleben mit dem schwülen Getümmel der Repräsentations- und Ballsäle vertauschen möge. Der Fürst sah bei diesem unerbetenen Gutachten den Doktor fast ebenso erstaunt an wie vorher der Doktor den Fürsten, erhob drohend den Finger, rief: »Schweigen, bis ich frage!« und beschloß mit diesem Worte die kurze Audienz.
Am Abend desselben Tages besuchte der Hofmarschall den Leibmedikus, nicht etwa zu Fuß, nein, er kam bedeutsam und zum Wunder der Nachbarn mit einem Bedienten vorgefahren und sagte dem Günstling Dank für seine Fürsprache, die so schnell des Fürsten ehernen Willen gewendet. Und nicht bloß seinen Dank brachte er, sondern auch den Dank der Prinzessin. Denn was des Fürsten eigener Schwester und dem ältesten Hofmanne nicht gelungen, das hatte, so meinte er, dieser verdammte Müller, sein »lieber Müller« vermocht, und zwar in der kürzesten Audienz, deren sich die lauernde Dienerschaft jemals entsann. Doktor Müller aber dachte bei sich: so bin und bleibe ich denn verdammt, zu protegieren; wenn ich nichts tue, protegiere ich, wenn ich abrate, protegiere ich, ja, wenn ich zum erstenmal den Mund öffne, um gegen die Wünsche der Leute zu reden, so protegiere ich sie dennoch.
Inzwischen kam, was er voraussah: der Oheim fuhr zu Hofe und ward mit der schönen Nichte zum nächsten Hofball geladen. Und am Tage nach dem Ball hörte der Medikus dann auch genau, was er zu hören angstvoll erwartet hatte. Der ganze Adel der Stadt war voll Neid auf die grüne Landpomeranze, die Lehberg; denn für sie allein schien der Fürst nur Blick und Rede zu haben. Viele meinten zwar, das komme daher, weil sie die Braut des Günstlings sei, allein die Klügeren versicherten, der Fürst habe ganz gewiß von dem plebejischen Bräutigam kein Wort geredet und dieser werde seinen Freund und Fürsten bald in den gefährlichsten Nebenbuhler verwandelt sehen. Dem Medikus drohe jetzt eine Krisis, bei welcher ihm zwischen zwei äußersten Gegensätzen die Wahl bleibe: entweder er sei klüger als verliebt, dann werde seine Günstlingsschaft jetzt erst recht wie in Erz gegossen sich festigen, ja er könne sogar als ostensibler Ehemann der fürstlichen Geliebten (etwa mit dem Namen eines Herrn von und zu Müllerburg) in den Adelstand erhoben werden; sei er aber verliebter als klug, dann werde der Günstling wieder zusammensinken zu der namenlosen Gestalt eines Doktor Müller ohne Praxis.
In des Leibmedikus Seele aber kreuzten sich die Schreckgedanken der Eifersucht mit der Furcht, eine Stellung zu verlieren, die er eigentlich nie besessen und von welcher trotzdem das Glück seines Lebens abhing. Es galt, rasch zu handeln; Schweigen und Harren konnte von heute an nicht mehr das Stichwort seiner Politik sein.
Er eilte zur Braut und eröffnete dem staunenden Mädchen, daß sie jetzt oder nie zum Abschluß des Ehebundes drängen müßten. Zwar sei der Fürst ein solcher Weiberhasser, daß er selbst seiner Umgebung und Dienerschaft das Heiraten versage, allein er, Müller, habe sich ein Herz gefaßt, er werde morgen schon dem Herrn in offenem, warmem Wort seine Lage schildern, und der Mann müsse von Eis oder Stein sein, wenn er ihm, dem treuesten Diener, die Ehe mit einem so liebenswürdigen Fräulein nicht gestatten wolle. »Und doch fürchte ich«, fügte er kleinlaut hinzu, überrascht von dem Selbstbetrug, auf welchem er sich in seinen eigenen Worten ertappte, »ich fürchte, es wird alles schief gehen!« Anna aber tröstete ihn, meinte, der Fürst sei ja gar nicht der Weiberfeind, wie man ihn male, und habe sich gegen sie zumal über die Maßen artig und teilnehmend auf dem Balle erwiesen. Mit diesem zweideutigen Troste des arglosen Kindes rüstete sich der Doktor zu dem schweren Gang.
Als er folgenden Tages die Marmortreppe hinanstieg, brummte ihm beständig das allerhöchste Wort im Ohr: »Schweige Er, bis Er gefragt wird!«, und als er auf der obersten Stufe stand, mußte er stillehalten, um wieder zu Atem zu kommen, so bleischwer lag ihm die Angst auf der Brust. Doch der Anblick des Fürsten gab ihm wieder festen Mut, und während des unvermeidlichen Wettergesprächs nahm er wieder ganz seine fünf Sinne zusammen. Er bat also um eine Minute gnädiges Gehör und entschuldigte sich, daß er ein Gesuch mündlich vorzubringen wage, welches nach der Regel schriftlich einzugeben sei. Der Fürst unterbrach ihn: »Keine Vorrede, lieber Doktor, komme Er gleich zum Text. Was will Er? Sage Er's frischweg in drei Worten!« – »Ich will heiraten.« – Der Fürst lächelte über die buchstäblichen drei Worte und fragte recht gnädig: »Wen?« – »Fräulein Anna von Lehberg!« – Bei dieser Antwort lächelte Serenissimus nicht mehr, und gnädig sah er auch nicht mehr aus, sondern wie versteinert von Zorn und Überraschung; er schritt eine Weile schweigend durch das Zimmer und maß den Doktor mit durchbohrendem Blick. Dann fragte er, ob ihn denn das Fräulein wolle und ob er sich denn einbilde, daß die Lehbergs eine solche Mißheirat zugeben würden. Als der Medikus ein festes »Ja« entgegnete, wuchs das Staunen des Fürsten. Es gab wiederum eine lange Pause; aber Müller konnte diesmal nicht wie bei den alltäglichen großen Pausen die Hunde auf der Schweinsjagd und die Baumblätter an der Tapete zählen, es verschwamm ihm alles vor den Augen. Endlich sprach der Fürst, in der Leidenschaft ebenso kurz und gemessen wie im ruhigen Verkehr: »Erstlich dulde ich nicht, daß einer meiner Diener heirate, also bleibe Er entweder ledig oder gehe aus meinem Dienst. Zweitens dulde ich keine Mesalliancen bei meinem alten Adel; wenn Er also fortgehen und schlechterdings heiraten will, so suche Er sich eine andere als die Lehberg. Und drittens braucht Er überhaupt nicht wiederzukommen zum täglichen Besuch, bis ich Ihn rufen lasse. Gott befohlen!«
Wie Müller nach dieser Audienz den Heimweg gefunden, wußte er selber nicht. Genug, er fand sich selbst und seine Gedanken mit einemmal in seinem Zimmer wieder. Das Ende mit Schrecken war nun also wirklich da. Nie hatte er Einflüsse üben wollen, nie auch nur eine Bitte an den Fürsten gewagt, dennoch war er der Gönner und Fürsprecher aller Welt, und seine eingebildete Gönnerschaft hatte ihm und anderen nur Nutzen, niemals Nachteil gebracht. Jetzt aber, da er zum erstenmal eine wirkliche Fürsprache wagte, fiel er aufs schrecklichste durch, sein ganzes Lebensglück stand auf einer verlorenen Karte, er war beschimpft vor aller Welt, am meisten jedoch vor seiner Braut und ihrer Familie.
Es war der herbste Bußtag seines Lebens und die Stunde, wo er seiner Braut berichtete, die herbste Stunde dieses Tages. Man hätte wohl denken sollen, die Unterlassungssünden seiner vergeudeten Lehrjahre seien nun genug gesühnt.
Inzwischen wurde es stadtkundig, daß der Leibmedikus in Ungnade gefallen sei. Die Gegner jubelten schadenfroh, die Freunde erschraken zwar heftig, freuten sich aber doch nebenbei, denn einem hervorragenden Manne gönnen die meisten Leute den Sturz von Herzen, auch wenn sie selber die Folgen dieses Sturzes fürchten sollten.
Beim Fürsten hatte bisher niemand über den Doktor zu reden gewagt; denn ihn anzuschwärzen getraute sich keiner, weil dies bei der geheimnisvollen Zuneigung gefährlich schien, rühmen wollte ihn aber auch niemand, denn sonst hätte ja Serenissimus am Ende noch größere Stücke auf den Günstling gehalten. Und auf alle Fälle war es mißlich, mit dem hohen Herrn ein unerbetenes Wort zu reden. Jetzt aber lösten sich die Zungen. Zuerst gratulierte die Prinzessin ihrem Bruder, daß er sich aus den Schlingen des Arztes befreit. Sie erzählte, das ganze Land atme auf nach dem Sturze des Günstlings, und bemerkte nebenbei, daß sogar an den Nachbarhöfen das Müllersche Regiment das peinlichste Aufsehen erregt habe, ja mehrere verwandte Fürstenhäuser seien auf dem Punkte gewesen, den Fürsten Kasimir brieflich abzumahnen von der Fortführung so unziemlichen Verkehrs mit einem gemeinen bürgerlichen Doktor.
Der Fürst fiel aus den Wolken. Also unbefugte Einflüsse hatte dieser Müller geübt, im stillen ein Günstlingsregiment geführt, das ganze Land in Parteien gespalten! Ohnehin mißtrauischen Gemütes, ahnte der Herr mit einemmal ein Gewebe der schamlosesten Ränke, welches dieser junge Mensch, beispiellos kühn und verschlagen, hinter seinem Rücken gesponnen. Auch über die rätselhafte Heirat mit der Lehberg ging ihm nun plötzlich ein neues Licht auf. Er ließ den Hofmarschall rufen und fragte ihn, wie es möglich sei, daß die stolze alte Familie Lehberg einer Verbindung mit dem plebejischen Doktor Müller zugestimmt habe. Und der Hofmarschall, welcher jetzt wieder in seinem eigensten Elemente schwamm, säumte nicht, dem Fürsten vollends die Augen zu öffnen. »Lediglich um Ew. Durchlaucht willen hat die Familie eingewilligt; denn da Müller das unbedingteste fürstliche Vertrauen genoß und sozusagen als des gnädigen Herrn nächster Freund vor dem ganzen Land stand, so hat das Haus Lehberg seinen Familienstolz Ew. Durchlaucht selber zum Opfer gebracht.« Dem Fürsten waren diese Worte wie Salz und Pfeffer auf eine frische Wunde, und der Hofmarschall, den Zorn wohl erkennend, welcher versteckt, aber tief hinter den kalten Zügen seines Herrn arbeitete, säumte nicht, nun auch den ganzen Sagenkreis von Müllers Günstlingsherrschaft als geschichtliche Wahrheit zu erzählen. Warum auch nicht? War es doch selbst den schärfsten Köpfen dunkel, was hier Sage, was Geschichte sei.
Rasch zur Tat, beschloß der Fürst, an dem entlarvten Betrüger, der so lange und geschickt die falsche Rolle seines Vertrauten gespielt und ausgebeutet, ein Exempel zu statuieren und ließ ihn sofort in Arrest bringen. Der arme Leibmedikus hatte ohne sein Zutun das unverdiente Glück eines Günstlings genossen; er sollte jetzt ebenso unverschuldet von einer Höhe herunterstürzen, auf welcher er niemals hatte stehen wollen, geschweige, daß er wirklich oben gestanden hätte.
War aber der Fürst auch Despot im Stile seiner Zeit und persönlich hart aus Grundsatz, so besaß er doch keineswegs das verknöcherte Herz und den beschränkten Geist eines Tyrannen. Darum kämpfte sein Zorn bald mit zwei anderen Regungen seiner Seele. Es dünkte ihm unritterlich, mit blinder Härte gegen einen Mann vorzugehen, der doch zunächst als Bräutigam des Fräuleins seiner nicht allzu ehrenhaften Leidenschaft im Wege stand; ja, es begannen peinigende Zweifel bei dem Fürsten aufzusteigen, ob denn überhaupt sein Groll nicht mehr dem Bräutigam gelte als dem Leibmedikus, welcher mit seinem fälschlich angemaßten Vertrauen Wucher getrieben. Daneben begann er sich auch schon der fliegenden Hitze jener Leidenschaft herzlich zu schämen. Andererseits ward dieser Müller, der bisher aller Welt, nur ihm nicht, ein Rätsel gewesen, nunmehr ihm selber das allergrößte Rätsel. Er wollte mit eigenen Augen sehen, ob sich wirklich mit so treuherzigem Äußeren solch eigennützige Schlauheit verbinden könne, er wollte selber in der Seele dieses Heuchlers lesen, bevor er ihn verdammte, um alsdann desto gründlicher die Menschen durchschauen und verachten zu lernen.
Also rief er den arretierten Doktor noch einmal vor sich und nahm ihn scharf ins Gebet, daß er dem Frevler Stück für Stück das Geständnis seiner Umtriebe aus dem Munde zöge. Doch dessen bedurfte es gar nicht. Der Doktor begann seiner wahrhaften Natur gemäß die ganze Geschichte der stets abgeleugneten und stets wieder aufgedrungenen Einflüsse zu erzählen, wie sie uns bekannt ist, vom Briefe des Vetters bis zum Bittgesuch des Hofmarschalls. Anfangs zweifelte der Fürst, dann begann er zu staunen und zu glauben, und zuletzt lachte er gewaltig. Doktor Müller aber schloß höchst ernsthaft mit den Worten: »Wer nur immer Fürsten nahe kommt, den stempelt das Volk sofort zu einem Manne des Einflusses, er mag sich stellen, wie er will. So wird dann freilich der Fürst für tausend Dinge verantwortlich gemacht, von denen er keine Silbe weiß, und die ganze Umgebung sündigt auf seinen Namen. Nun sollte man meinen, da möge der Teufel – entschuldigen Ew. Durchlaucht – Fürst sein. Allein die Sache ist trotzdem nicht so schlimm, wie sie aussieht. Denn die Umgebung, welche dem Fürsten im einzelnen so oft schadet, nützt ihm doch viel mehr im ganzen. Weil sie manchmal auf des Fürsten Namen sündigt, so wird sie im Volksmunde dann auch der Sündenbock für alle wirklichen Fehltritte des Herrschers. Ist der Fürst gut, so sagt man, er wäre noch viel besser, ja der beste, wenn er nicht in so schlechter Umgebung lebte; ist er aber schlecht, so sagt man, der Herr selber wäre so übel nicht, aber die schlimmen Freunde und Räte, die verderben alles. Kurzum, der Fürst mag treiben, was er will, so ist er immer besser als seine Umgebung; diese aber mag schlafen oder wachen, so übt sie doch immer Einflüsse. Und also dürfen Ew. Durchlaucht auch mir meine Einflüsse wider Willen nicht allzu hoch anrechnen; im Grunde wurden sie doch nur durch Ew. Durchlaucht selber geschaffen, indem Sie mich zu einer so geheimnisvollen Art von Leibmedikus gemacht.«
Der Fürst freute sich bereits im stillen über das ehrliche, gescheite Wesen des Doktors, denn er sah nun doch, daß ihn sein Blick bei diesem Manne von Anbeginn nicht betrogen. Allein er wollte nicht wiederum voreilig handeln, darum schickte er ihn einstweilen mit tröstendem Wort nach Hause und forschte der Sache weiter nach. Trotz aller Verleumdungen, die jetzt hageldick auf den gefallenen Günstling regneten, fand Kasimir dennoch die Wahrheit der Erzählung des Arztes immer klarer bestätigt. Nach etlichen Tagen ließ er ihn darum wieder zu sich rufen und sagte, er habe ihn in fünf Dingen als einen seltenen Mann erfunden: erstlich sei er bescheiden und voll Selbsterkenntnis, zweitens verschwiegen, drittens wahrhaftig, viertens wolle er keine Einflüsse üben, und fünftens sei er bei alledem durchtrieben schlau und voller Mutterwitz wie der älteste Politikus. Die Welt habe ihn zu seinem Vertrauten gemacht, da er es nicht gewesen, von nun an solle er es wirklich sein, da die Welt ihn für gestürzt und verungnadet halte. Er befahl darum dem Leibmedikus, an jedem Morgen wieder zum ärztlichen Besuch zu erscheinen, fragte aber nicht mehr bloß nach dem Wetter und Befinden, sondern forderte seinen Rat in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten. Der Doktor hängte inzwischen seine verspäteten medizinischen Studien völlig an den Nagel und suchte sich ganz unterderhand mit staatsrechtlichen und politischen Dingen bekannter zu machen, wozu in selbiger Zeit und für den Hausbedarf eines kleinen Reichsfürsten noch nicht so viel gehörte als heutzutage. Nach Jahresfrist entpuppte sich der Leibmedikus zum größten und letzten Staunen des Ländchens zum fürstlichen Kabinettsdirektor, und als solcher heiratete er dann auch Fräulein von Lehberg. Der Fürst war der liebenswürdigen Dame noch immer herzlich gewogen, nur nicht mit so stürmischer Leidenschaft wie am Anfang.
Die Leute wollten es lange nicht glauben, daß Doktor Müller wieder zu vollen Gnaden gekommen sei, und als es ihnen endlich im Dekrete des Kabinettsdirektors schriftlich beurkundet wurde, meinten sie, äußerlich habe der Doktor allerdings Genugtuung gefunden, aber den ungemessenen persönlichen Einfluß wie in der ersten Zeit, die volle Freundschaft des Fürsten wie vor dem Sturze besitze er doch nicht mehr. Müller war klug genug, das ganze Land in diesem Glauben zu lassen, und wurde viel weniger bestürmt und beneidet, als er wirklich im nächsten Vertrauen des Fürsten stand, denn zu der Zeit, da man ihm dieses Vertrauen bloß andichtete.