Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre – Zweiter Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Wanda Zaluska

1874

I.

Wanda Zaluska – so hieß das schönste Edelfräulein am Hofe des Polenkönigs Sigismund III.

Ihr hoher Wuchs war tadellos, ihr Gesicht edelfein geschnitten, verfeinert noch durch vornehme Blässe, das Auge blitzte Feuer und Geist, und die schwarzen Locken wallten voll und reich auf den weißen Nacken. In der gezierten Hofsprache damaliger Zeit nannte man sie Minerva, Diana, die Vestalin, Lucretia; denn mit stolzer Überlegenheit nahm Wanda die Huldigungen der Männer entgegen, ohne sie zu erwidern, – und ihr huldigten alle, vom alternden König bis zum knabenhaften Pagen.

Alle – bis auf einen!

Dies war der Herr Georg von Erstein, ein Kurländer, welcher seit einem Jahr am polnischen Hofe verweilte. Der einzige Protestant des hochkatholischen Kreises, stand er gewöhnlich etwas abseits in der Gesellschaft, aber der König schätzte und ehrte ihn als einen tapferen Soldaten, der auf den deutschen Schlachtfeldern des beginnenden Dreißigjährigen Krieges seine Schule gemacht.

Georg von Erstein hielt sich gerade so vornehm artig und so vornehm kalt gegen Wanda wie die schöne Polin ihrerseits gegen jedermann. Dies reizte ihre Aufmerksamkeit. Verstohlen beobachtete sie den Deutschen. Sollte er allein den Zauber ihrer Gegenwart nicht empfinden? Ihr Ehrgeiz flammte auf, ihr Zorn entbrannte, ihr Stolz war gekränkt.

Aber sie verbarg diese Gefühle. Sie betrachtete den Herrn von Erstein öfter, als sie wollte; sie redete ihn häufiger und huldvoller an, als sie sich's selber eingestand. Wollte sie ihn doch ausspähen!

Andererseits bemerkte der Deutsche, daß er bemerkt ward. Seine Freunde neckten ihn mit der versteckten und dennoch unleugbaren Teilnahme, welche die Polin ihm allein zuwandte.

Kein Mann bleibt ruhig bei dem Gedanken, daß ein Mädchen ungestandene Liebe für ihn hege, die sie vor sich und ihm verberge und doch eigentlich ihm entgegenbringen möchte. Wir glauben da sofort weit mehr, als glaubwürdig, wir sehen weit mehr, als sichtbar ist, wir erwärmen uns wunderbar schnell für ein bis dahin ganz gleichgültiges Wesen. Besitzt sie doch die hohe Tugend, uns aus eigenem Antrieb zu verehren!

Georg von Erstein suchte nun die Blicke Wandas, und sonst so schweigsam, hatte er ihr jetzt so viel zu sagen.

In demselben Maß, als er sich näherte, wich jedoch das Fräulein zurück und steigerte die Leidenschaft, welche sie so geschickt durch ihr Zuvorkommen entfacht hatte, noch geschickter durch erheuchelte Kälte.

Allein sie konnte dieses Spiel nicht lange treiben; das heiße polnische Blut pulste so stürmisch in ihren Adern. Sie war entrüstet über sich selbst, daß dieser Deutsche, dieser Ketzer sie zu besiegen drohe; sie wollte ihn ja besiegen. »Vielleicht liebe ich ihn gar?« – Sie erschrak über diese Frage, und doch wiederholte sie sich dieselbe täglich, stündlich.

Aber wenn sie ihn auch liebte, dann sollte wenigstens ihr Stolz in gleich hohem Genüsse schwelgen wie ihre Liebe. »Ich will mich dem Manne beugen, aber zuerst muß er sich mir gebeugt haben!«

Erfüllt von diesen Gedanken, überraschte Wanda den Herrn von Erstein mit der ganzen bezaubernden Huld und Hingabe, die ihr so hinreißend zu Gebote stand, in einem Augenblicke, wo er sich dessen am wenigsten versah. Sie selber entlockte ihm das Bekenntnis seiner Liebe, und er konnte die Antwort in ihren Blicken lesen.

Wie berauscht schwelgte er in dem Schaudern des ungehofften Glückes.

Wanda aber sprach: »Zwei Menschen wie wir verzehren sich nicht in ziellosem Liebesgetändel. Unsere Leidenschaft ist kein Spiel, sie muß wahr sein. Entweder wir wollen uns ganz gehören. Mann und Weib, fürs ganze Leben, für Zeit und Ewigkeit, – oder wir sind uns von Stund an völlig fremd, fremder wie je zuvor. Ich aber werde niemals einem Ketzer zu eigen sein, einem Manne, der meine Kirche für falsch, meinen Glauben für Irrtum hält, der nicht mit mir die gleiche Seligkeit hofft, sondern der ewigen Verdammnis entgegengeht. Es gibt nur einen Preis meiner Liebe und meiner Hand: – Eure Rückkehr zur alleinseligmachenden Kirche!«

II.

Erstein mahnte sie ab von ihrem Begehren. Vergebens. Er bat, er bestürmte sie um drei Tage Frist. Sie gewährte diesen Aufschub.

Bei kühlerem Blute fand Erstein die Zumutung, katholisch zu werden, halb beleidigend, halb lächerlich; aber er fand es reizend, daß eben Wanda ihn katholisch machen wolle. Es steht schönen Frauen so verführerisch, wenn sie mit Feuer und Geist verkehrt sind. Gegensätze des Denkens und Fühlens, die uns einen Freund entfremden würden, können uns bei einem Weibe fesseln. Im Freunde suchen wir das Verwandte, im Weibe das Fremdartige.

Erstein fand wenig Geschmack an den Polen, aber daß diese Wanda eine Polin war, dünkte ihm reizend, und obendrein eine so leidenschaftliche Polin und vollends leidenschaftlich nur für ihn! Wie katholisch sah sie aus, ihre Äugen waren unbestreitbar katholisch, sie mußte ganz und gar katholisch sein. Eine blonde, blauäugige Deutsche mochte zu Luther halten; doch in dieser Slawin kochte die Glut des Südens, die Polen sind die Italiener unter den Slawen, Wanda hätte für eine Römerin gelten können; – sie mußte katholisch sein!

Allein daraus folgerte doch noch nicht, daß er selbst, der ganz und gar keinem Römer glich, nun auch hätte katholisch werden müssen.

Sie forderte ihn durch ihren kühnen Willen heraus: also wollte auch er ihr seinen kühnen Willen zeigen. War ihr Widerspruch reizend, dann konnte er ihn ja durch neuen Widerspruch noch reizender machen.

Nach drei Tagen trat er vor Wanda und erklärte: sie habe recht, Gemeinschaft der Religion sei notwendig in der Ehe. Als seine Gattin würde sie mit ihm in ein lutherisches Land ziehen, sie beide würden gemeinsam über lutherische Untertanen herrschen. Demnach sei nichts natürlicher, als daß sie lutherisch werde. Der Mann gebe der Familie den Namen, dem Hause das dauernde Gepräge, und das überlieferte Bekenntnis des Hauses müsse auch das Bekenntnis der neuen Frau des Hauses sein.

Wanda fuhr zornig empor. War das Spott oder Ernst? So hatte man noch nie zu ihr gesprochen. Sie sammelte sich eine Weile, dann sprach sie ruhig: »Der Sohn unseres Königs hätte Zar von Rußland werden können, wenn er seinen katholischen Glauben hätte abschwören wollen. Er verschmähte Rußland. Euer Herz wäre mir mehr als Rußland einem Prinzen, dennoch schlage auch ich es aus um jenen Preis.«

Erstein entgegnete: »Dieses Beispiel ist übel gewählt, denn es beweist für mich nicht minder wie für Euch. Auch mir ist Euer Herz ein höherer Besitz als Rußland dem Prinzen Wladislaw, dennoch müßte auch ich es ausschlagen um den Preis des Glaubenswechsels.«

Nach solchen Gegenreden gingen sie trotzig auseinander, – jedes die tiefere Liebeswunde im Herzen.

III.

Wanda zürnte dem starren, vermessenen Mann – und doch mußte sie ihn suchen: seine Starrheit war ja auch ihr so fremd, so neu, so reizend.

Sie wußte, daß er an den lauen Frühlingsabenden im Schloßgarten zu spazieren pflegte. Der Sitte trotzend, ging sie in den Garten. Mit klugem Vorbedacht hatte sie das einfachste Gewand angelegt, welches ihr am schönsten stand, ein schwarzes Kleid mit tiefroten Schleifen; ihr dunkles Haar ergoß sich frei, nur durch eine schmale Perlenbinde gehalten, die sich anmutig um die hohe Stirne schlang.

So erschien sie reizender als je, da sie aus dem jungfräulichen Knospengrün der Laubgänge trat, und sie war sich ihrer Reize wohl bewußt.

Bei einer alten Tanne kreuzten sich zwei Wege. Dort begegnete sie dem Herrn von Erstein.

Fast war er erschrocken.

Aber ritterlich nahte er sich der Dame und bat sie um Verzeihung, daß er ihr neulich wohl zu schroff geantwortet habe. Er begann Worte seiner dennoch unzerstörbaren Liebe und Verehrung zu stammeln.

Sie unterbrach ihn.

»Folgt mir mit Eurem Geiste, wenn Ihr Euch aufschwingen könnt, laßt Euren Blick die Welt umspannen! Die römische Kirche ist die Kirche der Welt, die allgemeine; sie wird die ganze Welt erobern, wie Christus verheißen hat, Rom wird aufs neue werden, was es gewesen ist, die Hauptstadt der Welt bis ans Ende der Tage! Den kleinen Bürgern eurer Städte mag Luthers kleinbürgerliches Kirchlein genügen: der römische Glaube ist ein wahrhaft fürstlicher und adeliger. Bürgerskinder sind eure lutherischen Pfaffen und bleiben armselige Bürger, – aber Prinzen fühlen sich geehrt, Prälaten der römischen Kirche zu heißen, und der Kardinalshut adelt den Bauernsohn, daß er sich neben den ältesten Fürsten setzen darf. Doch über allen Fürsten thront der Papst mit der dreifachen Krone, alle Könige beugt der Heilige Vater. Ich würde meinen Adelsbrief zerreißen, gehörte ich nicht zu dieser königlichen Kirche!«

Erstein hätte Schlagendes zu erwidern gewußt, aber Sinne und Gedanken vergingen ihm. Sein Auge schwelgte in dem Anblick des hohen Weibes, das gleich einer Seherin unter den dunklen Zweigen der alten Tanne stand, sein Ohr im Glockenton, im Gesang ihrer Rede. Die einzelnen Worte hörte er kaum.

Wanda hielt inne.

Dann wurde ihr Auge milder, ihre Stimme weich: »Die römische Kirche allein gibt Gewißheit der Gnade, sie überläßt uns nicht den Zweifeln unseres eigenen Denkens und Fühlens; sie bindet und löst mit klarem Spruche, sie tilgt unsere Sünden unwiderruflich, sofern wir uns ihr nur ganz ergeben. Die Schar der Seligen und Heiligen eilt uns zu Hilfe, tröstend, fürbittend; die Kirche, die herrschgewaltige Fürstin, wird zur gnadenreichen Mutter!«

Wie in einer Vision blickte Wanda nach oben, Tränen im Auge, lange schweigend.

Was kümmerte den deutschen Soldaten die ganze Heerschar der Heiligen! er sah eine Heilige leibhaft vor sich stehen, und die war ihm genug, er sprang empor, sie zu umfangen, – aber er prallte zurück.

»Und dennoch«, rief er, »ich kann dir nicht folgen! Ich kann nicht brechen mit meinem ganzen Hause, ich kann meinem alten Vater das Herz nicht brechen!«

Da sprach Wanda fest und kalt: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert!«

Sie erblaßte, als sie das Wort gesagt; es schauderte ihr, als sie auf sich und ihre Leidenschaft anwandte, was der Heiland von sich selbst und seinem Evangelium geredet hat.

Auch Erstein erblaßte. War ihm Wanda zuerst wie eine fürstliche Priesterin erschienen, dann wie eine Heilige, so deuchte sie ihm jetzt ein Dämon. Der Priesterin und der Heiligen hätte er widerstehen können, aber der Dämon war schöner noch als beide.

Der Frevel der Vermessenheit eines so holdseligen Wesens, die Mischung von Engel und Teufel – dieses ewig Menschliche! – packte ihn mit dämonischer Gewalt.

»Ich folge dir!« rief er und streckte ihr die Hand entgegen.

Sie ergriff die Hand und flüsterte: »So werde auch ich dir folgen.«

IV.

Nach wenigen Wochen wurde der Übertritt des Freiherrn Georg von Erstein zum katholischen Glauben mit großem Pompe öffentlich vollzogen. Bei der Zeremonie erfüllte ihn nur ein Gedanke: er hatte das schönste Weib des ganzen Hofes gewonnen, das stolzeste, sprödeste Herz hatte sich selber ihm zum Siege dargeboten. Was kümmerten ihn die Pfaffen hüben und drüben.

Georgs Vater daheim auf Schloß Erstein in Kurland erfuhr den drohenden Übertritt des Sohnes erst, als es zu spät war. Heftige Briefe wurden gewechselt. Der Sohn trotzte auf das Recht seines freien Willens. Seine einzige Schwester, Maria, ein mildes, weiches Wesen, die den vereinsamten Vater pflegte, suchte zu versöhnen, zu vermitteln. Aber dem durch des Vaters Härte tief getränkten Georg war keine versöhnliche Zeile abzuringen. Er fühlte sich als ein Soldat, der eine Schanze erstürmt hat; steht er nur siegreich oben, so hat er auch gut gefochten, und niemand soll bekritteln, wie er hinaufgekommen ist.

Zuletzt verbannte der Vater den Sohn aus seinem Hause; er wollte ihn in diesem Leben nicht wiedersehen.

Georg war erschüttert von dem harten Spruche.

Wanda aber sprach zu ihm: »Dein Vater geht auf falschen Wegen, doch geht er seiner Wege fest wie ein Mann; sei auch du ein Mann und erhebe dich!«

Und sie küßte ihn mit doppeltem Feuer.

In der Tat empfand sie in dem väterlichen Fluche erst den vollen Triumph ihrer Liebe. Georg hatte mit seinem ganzen vergangenen Leben gebrochen; was ihm früher lieb und heilig gewesen, das hatte er von sich gestoßen um ihretwillen. Nur einem solchen Manne konnte sie sich ergeben.

Am Johannistage 1628 wurde die Hochzeit gefeiert, die reichste und glänzendste seit Menschengedenken. Der König selber machte den Wirt, der ganze Hof verherrlichte das Fest. Georg ward beneidet von jung und alt.

Bescheiden und geneigten Hauptes trat die sonst so stolze Wanda vor den Altar.

Ein seiner Beobachter fand ihre Lippen besonders sprechend, denn sie seien leise wie von edlem Trotze aufgeworfen, und was in ihren beredten Augen geschrieben stehe, das könne man nicht lesen; denn sie waren von den tiefgesenkten Lidern verdeckt.

Der scharfsinnige Hofmann flüsterte seinem Nachbar ins Ohr: »Sie liebt ihn nur, weil sie ihn bekehrt hat: – seltsame Liebe! und er hat sich bekehrt, weil er glaubte, daß sie ihn liebe: – seltsame Bekehrung!«

V.

Der Freiherr von Erstein wurde der erklärte Günstling König Sigismunds: die polnischen Edelleute, welche ihn früher beiseitegeschoben, buhlten jetzt um seine Fürsprache, und Wanda sonnte sich mit ihm in dem Goldscheine der Macht, die sie beide vereinigt übten.

Nur die Briefe aus der kurländischen Heimat bereiteten dem Glücklichen mitunter schwarze Stunden. Die treue Schwester schrieb ihm ab und zu: zwar hatte ihr der Vater verboten, mit dem abgefallenen Bruder auch nur brieflich zu verkehren, aber schwesterliche Liebe ist milder als väterliche.

Wanda hätte jene Briefe gerne unterschlagen. Das zarte, feinfühlige Wesen Mariens war ihr zuwider. Die Schwester machte dem Bruder leise Vorwürfe – das mochte hingehen: aber sie suchte ihn mitunter auch zu entschuldigen – das reizte Wandas höchsten Zorn.

Entschuldigungen sind für schwache Geister, für starke Geister gibt es nur Recht oder Unrecht. –

Im Jahre 1632 starb der Vater, unversöhnt. Auch König Sigismund war am 30. April desselben Jahres gestorben.

Georg von Erstein als einziger Erbe der Familiengüter konnte nicht mehr länger am polnischen Hofe bleiben; seine Pflicht rief ihn nach Kurland zurück.

Schweren Herzens willigte Wanda in die Übersiedelung. Hätte sie ihrem Mann zuliebe das Vaterland und die Herrlichkeit des Hofes verlassen sollen, so würde sie aufs äußerste widerstanden haben.

Allein sie sagte sich, daß die Macht der äußeren Verhältnisse dieses Opfer fordere. Dem Manne aber rechnete sie dennoch das Opfer hoch auf in dem Schuldbuch seiner Liebe.

Schloß Erstein, ein alter burglicher Bau, lag weltverlassen im waldigen Hügellande, geschützt durch tiefe Wassergräben, welche sich in einem großen Teich sammelten. Auf dem jenseitigen Ufer stand die Pfarrkirche, umringt von den elenden Hütten der nächsten Gutsuntertanen. Die innere Ausstattung des Schlosses war veraltet und verwahrlost. Andere Edelsitze, mit denen man Verkehr hätte pflegen können, lagen weit entfernt, und der streng lutherische Adel des Landes verschloß sich ohnedies dem heimkehrenden Abtrünnigen und seiner polnischen Gemahlin.

Das war eine neue Welt für Wanda – wie trostlos stach der einsame, verfemte Edelhof ab von dem prächtigen Königshofe!

Und dennoch fügte sich die Polin wider Erwarten leicht und sicher in die neue Lage; nur zwei Dinge waren ihr unerträglich: das Zusammenwohnen mit ihrer Schwägerin und das Luthertum der Gutsuntertanen.

Die schüchterne, bescheidene Maria drängte sich dem jungen Ehepaare nicht auf; sie bezog ein Stübchen in dem großen Turmbau des Schlosses, möglichst entfernt von den Wohnräumen Georgs und Wandas, und führte ihren eigenen Haushalt. Ohne den Umgang beider zu suchen, begegnete sie ihnen doch allezeit freundlich, liebevoll, keine Silbe des Vorwurfs gegen den Bruder kam über ihre Lippen.

Dies rührte ihn tief, wenn er sich's auch kaum merken ließ; für Wanda dagegen war das ganze Wesen Marias durchaus unverständlich, abstoßend; die schweigende Liebe und Demut erschien ihr als Schwäche, als eine sehr gefährliche Schwäche. Sie entdeckte in den Gesichtszügen Georgs und seiner Schwester leise Familienähnlichkeit. Georg galt ihr und anderen für einen vollendet schönen Mann; von nun an konnte sie ihn nicht mehr so schön finden wie vorher: die Ähnlichkeit mit der Schwester entstellte ihn. Hätte sie doch diese leidige Schwester niemals gesehen!

überhaupt meinte sie, ein Mann, den sie liebe, solle eigentlich gar keine sichtbaren Verwandten haben, am wenigsten weibliche.

Auf Schloß Erstein begann ein ganz neues Leben.

Die verfallenen Räume wurden üppig wiederhergestellt, ein kleiner, sehr zeremoniöser Hofhalt eingerichtet. Zwei Mönche, aus Polen verschrieben, sorgten für die geistlichen Bedürfnisse. Wanda hatte gelesen, daß Erstein vor Jahrhunderten von den Deutschherren gegründet worden sei; sie gefiel sich in dem Gedanken, die Mission dieses geistlichen Ritterordens wiederaufzunehmen und die Ketzerei im Lande auszurotten, wie jene das Heidentum ausgerottet hatten.

So begannen denn auch die Mönche ihre Vekehrungspredigt bei den Gutsangehörigen.

Aber die hartköpfigen Bauern wollten von den römischen Lehren ganz und gar nichts wissen, und die Gutsherrin fand es empörend und höchst unverschämt, daß die Untertanen gescheiter sein wollten wie die Herrschaft, ja daß der Bauer seine von Gott gesetzte Obrigkeit wohl gar des Irrtums zeihe.

Und fanden sie dabei nicht einen Rückhalt an der schweigsamen Maria, die im stillen vielleicht den Trotz des Volkes unterstützte?

VI.

Vier Jahre lang hatte Wanda vergebens auf Mutterfreuden gewartet. Auch dieses Glück sollte ihr endlich werden; sie gebar einen Sohn.

Die Stunden der Schmerzen für die Mutter, der Angst für den Vater waren lang und schwer; ihr Leben schwebte in höchster Gefahr; es wurde gnädig behütet, und ein starker Knabe, des Vaters Ebenbild, lag in der Wiege.

Verjüngte, verfeinerte, vergeistigte Schönheit umleuchtete das Gesicht der Wöchnerin; noch erinnerte das Leidende des Ausdrucks an die überstandene Gefahr, aber es war weit überwogen von seliger Verklärung.

Hatte doch die Mutter neues Leben für sich gewonnen und zugleich einem anderen Wesen gegeben!

Georg war nur von dem Wunsche beseelt, fortan ganz seiner Frau zu leben, ihr zu dienen, und wenn er jemals wahre Liebe für sie empfand, dann geschah es in diesen Tagen.

Nur langsam hatte sich Wanda erholt und gekräftigt.

So saß sie einstmals im Lehnstuhle, den schlummernden Knaben im Arme. Das weiße Morgengewand, die noch immer totenblassen Wangen, die feinen abgemagerten Hände, die gedämpfte Stimme: es war das rührende Bild einer kaum genesenden Kranken.

Sie beredete mit Georg ihren ersten Kirchgang.

Der Mann freute sich dessen, aber die Frau war tief betrübt. Wie konnte man von einem Kirchgang reden! Eine enge, alte Hauskapelle, eilig hergerichtet, diente zum katholischen Gottesdienste. Man brauchte nur zehn Schritte über den Hausflur zu gehen, so war links die Speisekammer, rechts die Kapelle. Über dem Weiher dagegen stand die lutherische Pfarrkirche mit dem verwaisten herrschaftlichen Stuhle und der Familiengruft; vom Schloßportale führte eine stolze Lindenallee längs des Ufers zur Kirche hinüber.

Wanda hat eine Bitte: – sie will ihren ersten Kirchgang festlich, öffentlich vollführen – nach jener Kirche!

Georg erschrickt.

Aber die Schwache, Leidende bittet so innig, sie ist so kummervoll über die Demütigung, daß sie mit ihrem Erstgeborenen, dem künftigen Gutsherrn, den Segen des Priesters gleichsam verstohlen in der Kapelle empfangen solle.

Georg überschaut sofort die ganze Kette der Vorbedingungen und Folgen, welche ungesagt in jener Bitte liegen; allein die Trauer des gebeugten Mutterherzens übermannt ihn. Und doch muß er sich bei dem lieblichen, ergreifenden Anblick des bleichen Weibes der Stunde unter der Tanne erinnern, wo Wanda gebietend wie ein Dämon ihn erfaßte. Er sieht den Engel im lichten Gewande vor sich sitzen und zugleich den Dämon.

Die klaren Gedanken schwinden ihm wie damals.

Er verspricht, daß er seine Untertanen rasch, und sei es mit Gewalt, zum katholischen Glauben führen wolle; die Kirche solle neu geweiht werden, und dann könne Wanda dort ihren ersten Kirchgang halten, festlich und öffentlich.

Wie gesagt, so getan.

Kraft des damals geltenden Grundsatzes, daß der Herr des Landes auch Herr des Bekenntnisses sei, wurde den Bauern die Bekehrung befohlen, und die zwei Mönche schritten sofort zum Werk. Selbst die überlieferte Volkstracht mußte mit dem Luthertum abgelegt und gegen eine katholische vertauscht werden; die Männer bekamen Piuskappen und die Weiber römische Hauben geschenkt.

Vergebens protestierten die Bauern, klagten beim Herzog Friedrich und suchten Hilfe bei Ritterschaft und Landschaft. Gestützt auf das Fürwort der polnischen Regierung trotzte Erstein.

Hatte er auf eigene Verantwortung den Glauben gewechselt, warum konnten's die einfältigen Bauern auf seinen Befehl, auf seine Verantwortung nicht so viel leichter tun? Von Herzen gleichgültig in religiösen Dingen, ward er ein Fanatiker aus Rechthaberei.

Nach drei Monaten war alles in Ordnung. Die Bauern mußten sich ducken und das neue Credo lernen, die Ersteiner Pfarrkirche wurde katholisch geweiht.

An einem herrlichen, wolkenlosen Junitage hielt Wanda ihren ersten Kirchgang.

Festlich und öffentlich, wie sie's begehrt, wallte der Zug reichgeschmückt durch die große Allee; Wanda hochbeglückt, nun wieder in rosiger Frische blühend, Georg selbstzufrieden in kaltem Stolze, die Bauern und Dienstleute innerlich tief gebeugt. Doch durften sie sich's nicht merken lassen.

Zur selben Stunde, wo in Erstein alle Glocken zum Hochamt läuteten, hatte sich ostwärts in den Hügeln, nur anderthalb Stunden Wegs vom Schlosse entfernt, eine kleine stille Gemeinde unter einem weitschattenden Lindenbaume versammelt. Es waren die wenigen Gutsleute, welche lieber aus dem Lande fliehen, als den Glauben der Väter abschwören wollten. Dort hielt ihnen der verjagte lutherische Pfarrer die letzte Predigt und reichte ihnen Kelch und Brot zum letztenmal auf heimischem Boden.

Der Baum ward fortan beim Volke die »heilige Linde« genannt; man hielt es für Frevel, auch nur ein Blatt von derselben zu brechen; selbst die Neubekehrten flüsterten sich zu, diese Linde habe zauberisches Leben, sie rücke unvermerkt dem Schlosse Erstein immer näher, und wenn sie dereinst vor den Burggraben gekommen sei, dann müsse Erstein wieder lutherisch werden.

In der ganzen Herrschaft aber gab es keinen Protestanten mehr, des Freiherrn Schwester und ein altes Weib ausgenommen, die siebzigjährige Anna Roxel. Sie wollte sich nicht bekehren und wollte auch nicht auswandern. Da sie aber fünfzig Jahre als treue Magd in Georgs väterlichem Hause gedient hatte, so befahl dieser trotz Wandas Widerspruch, die Frau in Frieden zu lassen.

Unfern der heiligen Linde siedelte sie sich in einem verlassenen Blockhause an, und man nannte sie die Wächterin der Linde. Milder Leute Barmherzigkeit spendete ihr, was sie zur Notdurft brauchte, und jeden Sonntag sah man die Alte über die Grenze zwei Stunden weit zur Kirche gehen.

VII.

Wanda hätte nichts mehr zu wünschen gehabt, wenn nur noch Georgs Schwester hinweggezogen oder wenigstens katholisch geworden wäre.

Da zu dem einen gar keine Aussicht vorhanden war, so versuchte man das andere desto eifriger.

Die Mönche bewiesen Marien aufs schlagendste die Richtigkeit der römischen Dogmen; das Mädchen hörte aufmerksam zu und gestand, daß sie als Mönche ganz recht haben möchten.

Georg schilderte ihr höchst beredt, welche Vorteile dem Ersteinschen Hause durch seinen Übertritt und die Verbindung mit Wanda für alle Zukunft erwachsen seien; er zeigte klar, wie die politische Macht des deutschen Protestantismus im Erlöschen begriffen, ja seit dem Tode Gustav Adolfs eigentlich bereits erloschen sei.

Marie bestritt nicht, daß die Ersteinsche Hauspolitik und die Reichspolitik zur Zeit besser mit dem Papste fahre als mit Luther.

Selbst Wanda besiegte ihren persönlichen Widerwillen und besuchte Marien öfters, um ihr bald in süßesten Schmeicheltönen, bald in hoch aufjubelnden Hymnen die Glückseligkeit zu malen, deren sie sich im Schoß der katholischen Kirche hier auf Erden schon teilhaftig fühle.

Marie freute sich des Glückes der Schwägerin und bekannte, daß sie wahrscheinlich ebenso fühlen und reden würde, wenn sie Wandas Natur und Gaben nur von ferne besäße und einem polnischen Geschlecht entstammte.

Wanda und die Mönche meinten, Marie sei ja schon mehr als halb bekehrt, es versage ihr nur das letzte Wort. Georg dagegen kannte seine Schwester besser und versicherte, dieses letzte Wort werde sie niemals sprechen.

Ein Jahr verging.

Marie wurde immer stiller, duldsamer bei den Bekehrungsversuchen. In gleichem Maße wuchs die Selbsttäuschung Wandas und der Mönche, und sie zürnte auf die Lässigkeit Georgs, der es nunmehr ja völlig in der Hand habe, die Schwester zum letzten, entscheidenden Worte zu zwingen.

Pfingsten war gekommen; ein glänzender Kreis polnischer Herren und Damen, Wandas Verwandte, hatte sich auf Schloß Erstein zu Besuche zusammengefunden, unter ihnen der Bischof von Samogitien. Das hohe Kirchenfest sollte diesmal ganz besonders herrlich begangen werden, der Bischof selber wollte die Messe zelebrieren.

Schon rüstete sich die ganze Gesellschaft zum Gange in das Gotteshaus.

Da trat Wanda zu ihrem Manne, geschmückt wie eine Königin; aber die unaussprechlich liebreizenden Züge waren von tiefer Wehmut überschattet.

Georg fragte, was sie betrübe und ob sie denn wenigstens heute nicht glücklich sei.

Glücklich? – einen Hohn nannte Wanda dieses Wort. Sie erklärte sich für das unglücklichste Weib. Heute zum erstenmal seien ihre Verwandten hier in ihrem Hause versammelt, und nun müsse sie vor denselben zuschanden werden durch des eigenen Mannes lieblos säumiges Verhalten.

Georg begriff den Sinn dieser Worte nicht.

Unter Tränen des Zornes machte Wanda ein Geständnis. Sie hatte den Ihrigen zugeflüstert, daß Ersteins Schwester nach dem Hochamt ihre Rückkehr zum katholischen Glauben erklären werde; der Bischof insbesondere wartete auf diesen dramatischen Moment als die eigentliche Krone des Festes.

Aber wie konnte sie solches versprechen?

Mit kühnem, treffendem Wort erwiderte sie auf diesen strafenden Einwurf ihres Mannes: »Man muß sich nur einbilden, ja muß den Leuten sagen, daß man bereits erreicht habe, was man erst erreichen will, – dann erreicht man alles!«

Vergebens legte sich Georg aufs Bitten und Überreden.

Sie blieb dabei, daß Marie genügend vorbereitet, genügend umgestimmt sei, daß es nur der augenblicklichen, stürmischen, zwingenden Gewalt des Familienhauptes bedürfe, um ihr das entscheidende Wort vor dem Altare abzupressen.

»Bist du ein Mann, so zeig es jetzt, oder du wirst es niemals zeigen. Hier bleibt keine Wahl: entweder du beugst den Starrsinn deiner Schwester, oder du gibst deine Gemahlin der Schande preis, daß sie heute vor ihrer ganzen Verwandtschaft als Prahlerin und Lügnerin in der Kirche stehen muß!«

Georg sah den Dämon wieder vor Augen wie damals unter der Tanne, aber das Weib war noch viel gewaltiger in ihrem Zorne, ihrer Verzweiflung und ihrer Schönheit.

Ohne ein Wort zu erwidern, stürzte er fort zu dem Turme, wo die Schwester wohnte.

Lange blieb er dort, wohl über eine Stunde. Die Gäste warteten ungeduldig, im Schloßhofe auf und ab wandelnd.

Für Wanda ward die Stunde zu einer Ewigkeit. Endlich durchzuckte sie ein Entschluß: man muß den Ereignissen voreilen, dann kommen sie nach! Sie rief einen Diener und befahl, daß man zur Kirche läuten solle.

Alle Glocken klangen zusammen. Aber der Hausherr fehlte noch immer und die Schwester. Im Schloßhof ordnete sich einstweilen der Zug, auch Wanda erscheint.

Sie war der festen Überzeugung, daß Georg mit Marien erscheinen müsse, noch ehe die Viertelstunde des Läutens zu Ende sei.

»Und sie wird doch herabkommen von ihrem Turme!« knirschte sie in sich hinein.

Da hörte man laute Rufe vom Turme her. Alles blickt hinüber. Eine weibliche Gestalt schwingt sich oben auf die Fensterbrüstung; – es ist Marie – Georgs Hand sucht sie am Kleide festzuhalten; – sie entreißt sich, – sie stürzt herab.

Was während der langen Stunde im Turme vorgegangen war, hat niemand je erfahren.

Marie lag mit zerschmettertem Haupte auf dem Pflaster des Schloßhofes.

Noch läuteten die Festglocken, noch drängte sich draußen eine bunte Menge, heiter bewegt. Aber nach wenigen Minuten war es stumm und still geworden ringsum; lautlos standen die Leute um die Unglücksstätte.

Dort warf sich Georg über den zuckenden Körper, aber die Seele war entflohen.

Vom Schmerz versteinert, stand er lange schweigend, auch die Umgebenden standen schweigend wie versteinert. Und die Frühlingslüfte wehten so mild und lind, der Himmel war so wolkenlos rein, die Lerchen sangen, die Blumenbeete des Hofes dufteten so süß, und die Schmetterlinge spielten um die Blumenbeete.

Wanda neigte sich tröstend zu ihrem Gemahl, sie legte den Arm um seine Schulter.

Er aber stieß sie zurück; er deutete auf Marien. »Diese liebte mich! – Du hast mich nie geliebt!«

Er ließ die Leiche in die Halle tragen, welche man mit Laubgewinden so heiter geschmückt hatte. Den Freunden, die ihm zuredeten, gab er kurze Antwort, er wollte allein sein; für Wanda hatte er keine Silbe mehr.

Man sah sie bis zum späten Abend in der Kirche, regungslos in einem Betstuhl kniend.

Die meisten Gäste reisten hastig ab.

Am dritten Tage sollte das Begräbnis sein. Georgs Zimmer war schwarz ausgeschlagen; dort hatte er die Leiche ausstellen lassen. Er selber hielt bis zur letzten Stunde die Wacht am Sarge.

Da kam Wanda mit ihrem Kind auf dem Arme. Sie hatte die tiefste, schlichteste Trauer angelegt, nur die schmale Perlenbinde schmückte ihre Stirn. Sie richtete bittende, halb erstickte Worte an den Gemahl, sie hielt ihm sein Kind entgegen, sie bat um ein einziges versöhnendes Wort.

Aber Georg fand das Wort nicht.

Sie nahm die Perlenbinde aus den Haaren und legte sie um die gebrochene Stirn der Leiche.

Georg ließ es geschehen. Aber als ihm dann Wanda weinend ins Auge blickte, rief er: »Hinweg! Ein Blutreif umzieht deine Stirn und Mariens Stirn ein Heiligenschein! Auch im falschen Glauben gibt es Heilige und Teufel in der alleinseligmachenden Kirche!«

Dann nahm er das Kind und küßte es und wollte es nicht wieder lassen. Die Mutter ging allein hinweg, gebrochenen Herzens.

Mit der Perlenbinde, wie sie Wanda um Mariens Stirn gelegt, bestattete man die Leiche.

VIII.

Am Tage nach der Beisetzung ließ Georg von Erstein seiner Gemahlin eröffnen, daß ihr fortan der entfernteste Flügel des Schlosses zur Wohnung angewiesen sei und daß er das Kind unter seinen Händen in einem milderen und minder herrschsüchtigen Geist als dem mütterlichen erziehen lassen werde. Er sei und bleibe ein guter Katholik und halte ihre Ehe für unlösbar; aber er verschiebe auf unbestimmte Zeit die Stunde, wo er Wanda wiedersehen und -sprechen werde.

Diese Stunde kam niemals.

Wanda brach ihren Stolz und beugte sich dem harten Willen ihres Mannes, um diesen durch Schweigen und Gehorsam zu beugen. Allein das gelang ihr nicht.

Hatte er sie jemals geliebt? Sie begann zu zweifeln. Hatte sie ihn geliebt? Wer wollte dies entscheiden! Aber sie war erfüllt von dem heißen Begehren, den Mann wiederzugewinnen, dessen Fesseln ihr Triumph, dessen Besiegung ihre Liebe gewesen. Sie glaubte, daß dies wirkliche Liebe sei.

Es gibt Liebe als eine verzehrende Leidenschaft der Demut und Unterwerfung: gibt es auch Liebe als eine verzehrende Leidenschaft der Herrschsucht?

Dazu wurde ihr Herz zerrissen von den Qualen ungestillter Mutterliebe. Sie wollte wenigstens ihr Kind wiedersehen. Sie schrieb Briefe voll erschütternder Bitten, sie flehte um ihr Kind; und zu flehen ward ihr so schwer!

Aber der Mann, welcher vordem so weich gewesen, war nun in demselben Maße hart und starr. Er beantwortete die Briefe nicht.

Sie suchte ihm unversehens zu begegnen; er wich ihr aus. Sie pochte an seine Tür; er öffnete nicht. Man sah sie um das Schloß schleichen, um den Anblick ihres Sohnes von fernher zu erhaschen; man sah sie nachts stundenlang nach dem Erkerfenster spähen, nach dem matten Lichtchen, welches dort neben dem Bette ihres Kindes flackerte.

Zuletzt konnte sie die Qual, den beiden Wesen, die sie suchte, so nahe und doch so ferne zu sein, nicht mehr ertragen. Sie verschwand spurlos. Man argwöhnte Selbstmord.

Allein Wanda lebte.

Um der Pein der Ferne in der Nähe durch räumliche Entfernung zu entrinnen, hatte sie Zuflucht bei ihren polnischen Verwandten gesucht. Sie hielt es auch dort nicht aus.

Ganz allein, zu Fuß durch die dicken Wälder irrend, war sie mitten im Winter wieder zurückgekehrt in die Nachbarschaft des Schlosses. Der Gedanke, daß sie nicht verzichten könne und dürfe auf ein vorgestecktes Ziel, beherrschte sie noch allein mit immer ausschließenderer und darum unwiderstehlicher Gewalt.

Halb ohnmächtig vor Müdigkeit, Frost und Hunger, mit zerrissenen Kleidern, war die vornehme Dame von einem alten Weib am Stamm der »heiligen Linde« gefunden worden; sie hatte dort vor dem Schneesturm Schutz gesucht. Das alte Weib war jene Anna Roxel, welche in dem Blockhaus unfern der Linde wohnte. Sie nahm die Gutsherrin mitleidig unter ihr Dach und ließ die Kunde von ihrem Aufenthalte nach Erstein gelangen.

Allein obgleich Georg nun mehrere Boten an Wanda schickte, um sie zur Rückkehr ins Schloß zu bewegen, so blieb dieselbe doch in dem Häuschen bei der Linde unter dem Dache der einzigen Ketzerin, die auf ihres Mannes nun durchaus rechtgläubigen Gütern übriggeblieben war.

IX.

Dort traf sie eines Tages die Nachricht, daß Georg plötzlich gestorben sei.

Ob ganz ohne den Wunsch der Versöhnung mit ihr? Ohne die Sehnsucht eines letzten Wiedersehens? Sie konnte es niemals erfahren; denn der Tod hatte den Gatten unversehens überrascht.

Diese Ungewißheit machte ihr neue Pein. Das Grab schweigt, und Wanda war empört, daß sie dem Tod die Zunge nicht zu lösen vermochte. Alles mußte sein und gewesen sein, wie sie es forderte: darum bildete sie sich zuletzt aufs festeste ein, der Schmerz um sie, um das zertrümmerte Glück ihres Besitzes habe Georg das Herz gebrochen.

Sie hätte Ruhe finden können in dieser Einbildung; – und wer wollte nachweisen, daß es eine bloße Einbildung gewesen sei? Sie hätte durch den gewissen Verlust des Mannes, den sie suchte, sogar noch einen Rest von Glück wiedergewinnen können, wenigstens mehr Glück als durch das ziellose Suchen. Sie kehrte heim ins Schloß, legte standesmäßige Trauerkleider an und betete an Georgs Sarge.

Aber sie fand die Ruhe dennoch nicht.

Wohl in der Voraussicht eines raschen Endes hatte der Verstorbene mit Beistimmung von Wandas Verwandten verfügt, daß sein Sohn der augenfällig gemütsleidenden Mutter nicht anvertraut, sondern in einem polnischen Kloster erzogen werden solle. Dem Abte war bei schweren Drohungen die Pflicht auferlegt, das Kind der geistig verstörten Mutter nicht zu überliefern.

Wanda versuchte den Rechtsweg beim Herzog.

Vergebens.

Sie bewarb sich dann – wie weiland ihre Bauern – um die Fürsprache der Ritterschaft und Landschaft. Man stellte ihr einigen Erfolg in Aussicht, wofern sie lutherisch würde und die lutherische Erziehung des Kindes verheiße.

Das Undenkbare geschah: Wanda warf sich wirklich die Frage auf, ob sie nicht zum Schein lutherisch werden solle. Vorher durchaus nicht geistesgestört, kam sie durch diese Tag und Nacht erwogene Frage in der Tat dem Wahnsinn nahe.

Allein sie blieb standhaft, sie blieb katholisch. Sie behielt auch ihren Verstand, aber ihr Herz war von Stund an erstarrt und vertrocknet. Dieser Kampf war ihre härteste Buße gewesen.

Wanda ließ sich die Herrschaftszimmer des Schlosses zu ihrem Witwensitze herrichten. Sie schaltete und waltete dort streng und gemessen, fortan äußerlich unempfindlich für Freud und Leid. Es war, als ob sie sich's zur Sühne auflege, in den alten Räumen ihres Glückes zu hausen und dort all die langsam nagende Qual der Verlassenheit auszukosten bis auf den letzten Tropfen.

Auch starr und seelenlos waren ihre einst so schönen Züge noch immer schön, auch gebeugt war ihre Haltung noch majestätisch. Die langen Locken fielen reich wie vordem auf den blendend weißen Nacken, aber sie waren schneeweiß geworden. Mit dreißig Jahren hatte Wanda das Haar einer Greisin.

Nach erreichter Mündigkeit kehrte der Sohn ins väterliche Schloß zurück und übernahm die Gutsherrschaft.

Er hatte seine Mutter nie gekannt; er begrüßte sie jetzt mit aller Ehrfurcht und Schonung kindlicher Pietät. Aber es war zu spät. Das Herz der Mutter war vertrocknet. Nun sie den Sohn hätte besitzen können, vermochte sie keine Liebe mehr zu geben noch zu nehmen.

Sie blieb einsam inmitten des neuen Lebens, das sich wieder im Schlosse regte, einsam durch viele Jahre; denn das volle Strafmaß vertrockneter Herzen war ihr vorbehalten: – die Strafe des höchsten Alters.

Wanda zählte zweiundneunzig Jahre, als sie starb. Ihr Enkel war längst dem Sohne gefolgt, neue Geschlechter waren heraufgestiegen, ein neues Jahrhundert. Die Greisin erschien den Lebenden wie ein Gespenst; ihre Geschichte war zur Sage geworden.

Niemand wußte, was seit Jahrzehnten in dem verhüllten Traumleben ihrer Seele vorgegangen war.

X.

In der Gruft der Pfarrkirche zu Erstein stehen heute noch drei alte zinnerne Särge. Man hat sie neuerdings geöffnet. Der mittlere umschließt die Gebeine des Freiherrn Georg von Erstein, der Sarg zur Rechten die Überreste seiner Gemahlin, der einst so schönen und so unglücklichen Wanda, der Sarg zur Linken birgt den mumienhaft erhaltenen Körper einer kleineren Frauengestalt: an dem gebrochenen Schädel erkannte man, daß es Georgs Schwester Maria müsse gewesen sein. Die Stirn aber umspannte ein Ring von silberweißem Staub – das ehemalige Perlengeschmeide!

Alles vergeht, was aus Lebendigem stammt; so vergeht auch die Perle mit der Zeit, denn in der Muschel entstand sie, das Erzeugnis eines lebendigen Wesens. So ist auch von all der Pracht, womit Wanda einst ihren Leib geschmückt, nichts übriggeblieben als der weiße Staub der Perlenbinde, welche sie ihrem Opfer wie zum eigenen Sühneopfer um die Schläfe legte.

Die Bauern, katholisch bis auf diesen Tag, sagten, es sei ein Heiligenschein, der sich am Haupte der Ketzerin gezeigt habe. Darum hat der katholische Pfarrer die Gruft wieder vermauern lassen.

Aber lebendig webt die Volkssage noch fort und fort an dem geisterhaften Bilde der schönen Polin, die heilige Linde treibt noch kräftige Sprossen in jedem Frühling, und die Bauern behaupten, sie sei dem Schlosse bereits halbwegs nahegerückt. Die gut katholischen Leute, welche den Heiligenschein ganz deutlich über dem Schädel der Ketzerin gesehen haben, lassen sich's nicht nehmen, daß der Baum dereinst zum Schlosse, daß er bis zum Burggraben kommen werde.


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