Wilhelm Heinrich Riehl
Gräfin Ursula
Wilhelm Heinrich Riehl

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Viertes Kapitel.

Das Morgenrot ging in tiefem Purpur auf über den flachen Bergen des Elbgrundes. Die Gräfin saß im Erker und schaute in die rote Glut und wie im Traum rannen ihr die Farbentöne des unheimlich grell leuchtenden Himmels zu allerlei abenteuerlichen Bildern zusammen, daß sie sich die Augen rieb und sich fast schämte, kaum erst erwacht, schon wieder zu träumen. Das Sinnenspiel des Traumes verwandelte sich ihr dann in mystisches Spinnen und Weben, in ein träumendes Grübeln über die Dinge jener Welt, und oftmals blickte sie in den immer goldener glänzenden Lichtschein und sprach dabei vor sich hin Verse von dem himmlischen Morgenrot und dem Sonnenaufgang über dem neuen Jerusalem, wie sie aus den mystischen Dichtern des ersten Jahrhunderts der protestantischen Kirche in Fülle ihr in den Sinn kamen. Schwachen Leibes, aber um so erregter im Gemüte – denn sie hoffte binnen kurzem wieder Mutter zu werden – ergab sie sich neuerdings immer häufiger solch dämmerigem Dichten und Klingen der religiösen Phantasie.

Ein heftiger innerer Kampf erwuchs ihr heute aus ihrem beschaulichen Sinnen. Sie fragte sich, ob denn nicht auch jetzt noch, wie in alten heiligen Zeiten, Gott mit unmittelbarer Eingebung den brünstig Betenden begnade, wenn er so tief und fest in das göttliche Wesen zu schauen versuche, wie sie eben in das schon fast blendende Morgenrot, das ihr ein Sinnbild des göttlichen Lichtes war? Sie spann die Frage weiter und verband dieselbe mit den Gedanken, von denen sie seit gestern, da der Graf den Pakt wegen Nieseners mit ihr geschlossen, unablässig verfolgt war. Sollte Gott nicht hier, wo alle Menschenweisheit zu Schanden zu werden drohte, unmittelbar ein Zeichen geben, daß die Unschuld des Verfolgten an den Tag käme? Und wenn sie selber das schwache Werkzeug wäre, das Gott sich zu diesem Gnadenwerk erlesen?

Die ersten Strahlen, der oberste schmale, lichtsprühende Rand der Sonne, blitzten über den Bergen auf, als die Gräfin eben am tiefsten in diesen Gedanken versunken war. Und es ward Licht! Von den Bergen ergoß sich der goldene Strom ins Thal, und auch in dem Geiste der Gräfin ging die Sonne auf. Es däuchte ihr plötzlich ein Frevel, daß sie sich ganz besonders würdig gehalten eines unmittelbaren Verkehrs mit Gott, ein Frevel, daß sie da schon die letzte Hilfe eines göttlichen Zeichens fordere, wo der Eifer und Scharfsinn menschlichen Forschens noch lange nicht erschöpft war.

Sie blickte hinab auf das rauschende Flüßchen, auf die friedlichen, immer noch leidlich wohl erhaltenen Häuser der Stadt, aus deren Schornsteinen eben der erste Rauch in die reine Luft aufwirbelte, sie gedachte des Segens, den Gott ihrem und ihres Gemahls frommem und klugem Walten geschenkt, daß sie die Stadt und die Grafschaft bis dahin in so erträglichem Zustande hatten erhalten können, während der Krieg schon alle anderen Herrschaften ringsum in Grund und Boden hinein verwüstet hatte; da fand ihr Geist auch vollends den scharfen Blick für die Dinge dieser Welt wieder. Und was ihr vorhin durch unmittelbare göttliche Eingebung nicht gekommen war, das fuhr ihr jetzt bei kurzem, klarem Besinnen mit einem Schlage wie ein Blitz in die Seele. Sie jubelte auf im stillen. Sie hatte einen Haltepunkt gefunden, wo sie sicherlich erfolgreiche Forschungen über den Verräter der katholischen Priester anknüpfen konnte.

Kaum konnte die Gräfin die späteren Morgenstunden erwarten, um sogleich ihre Untersuchung zu beginnen.

Sie ließ den Rat Sprenger rufen.

Der alte Diplomat, der gerade nicht sonderlich in Gunsten bei seiner Herrin stand, war etwas betroffen von dieser Citation zu so ungewöhnlicher Stunde. Indessen wußte er die scharfen Falten seines spitzen Fuchsgesichtes doch so glatt und freundlich zu machen, daß ihm kein Mensch die innere Beklommenheit angemerkt hätte.

Die Gräfin hieß ihn niedersitzen; denn sie wollte viel und gründlich mit ihm reden.

Sie begann, dem Rat ganz einfach und ehrlich die gegenwärtige Lage der Niesenerschen Angelegenheit darzulegen. Sprenger wußte bereits alles, was sie ihm sagte; allein die Klarheit und Ordnung, in welcher der wunderbar helle Geist dieser Frau die Thatsachen übersichtlich zusammenfaßte, verglich und in ihren Motiven verknüpfte, machte doch einen sichtlichen Eindruck auf den zähen Graukopf. Jetzt, wo diese Begebenheiten, die er bisher nur vereinzelt kritisiert, in ihrem inneren Zusammenhang vor ihm aufwuchsen, trat ihm auch die sittliche Würde Nieseners so imponierend entgegen, daß es ihn inwendig schüttelte, daß es ihm ward, als müsse er sich vor dem Pfarrer beugen. Als die Gräfin mit ihrem Rückblick auf die Thatsachen zu Ende gekommen, heftete sie plötzlich ihr großes schwarzes Auge durchdringend auf den Rat. »So stehen die Sachen. Ich kenne nur einen Menschen, der noch mehr davon weiß, der namentlich über die Wegführung der Priester genauer unterrichtet ist, und dieser einzige seid Ihr!«

Dies sprach sie mit einer Bestimmtheit, daß der Angeredete zusammenfuhr und vor ihrem durchdringenden Blicke die Augen niederschlug, als habe er in die Sonne gesehen. »Ich bin ein Mann der Schreibstube,« sagte er ausweichend. »Mein gnädigster Herr betraut mich mit seinen Geheimnissen und ich bewahre sie; eigene Geheimnisse habe ich keine. Ich komme wohl viel im Lande umher, aber jedermann verschließt sich vor dem gräflichen Diener –«

Die Gräfin unterbrach ihn mit fast drohender Strenge. »Sprenger, in diesem Tone reden wir nicht miteinander. Ihr wißt näheres über die Wegführung der Priester. Ich weiß es. Ihr selbst habt Euch verraten, als der Graf bei Tafel die erste Nachricht empfing. Kaum hörtet Ihr zu, als er die Thatsache erzählte. Denn Ihr wußtet sie schon, Ihr wußtet mehr, als in dem Briefe stand. Wie hätte sonst unser Rat Sprenger die Ohren gespitzt bei einer solchen Neuigkeit! Ihr wußtet um den Vorgang und habt Euerem Herrn keine Meldung gemacht. Ihr habt Euch damals übel mit einem Witze herausgeholfen. Warum behieltet Ihr ein Geheimnis, was zuerst mitzuteilen Euch Gunst gewonnen hätte? Ich sage ein schweres Wort, Sprenger, aber ich sage es nach redlicher Prüfung vor Gott aus voller Ueberzeugung: Ihr schwiegt, weil Ihr selber mit verstrickt seid in diese Geschichte! Ihr habt ja überall die Hand im Spiel, warum nicht auch hier? Blickt mich an! Schaut mir offen ins Auge! Seht! Ihr seid ein so gewürfelter Diplomat und könnt es nicht! Es soll Euch kein Leids geschehen, bei meinem fürstlichen Wort! Bekennt offen, damit die Unschuld nicht länger verfolgt werde, damit meine Seele Ruhe gewinne und – Sprenger – auch die Eure.«

Der Rat erwiderte gefaßt, kaum merklich erregter als sonst: »Ich habe nichts zu bekennen. Spannt mich auf die Folter: ich kann kein Wort weiter berichten, als was Ihr selber schon erzählt habt.«

»Ihr bekennt jetzt nicht zum erstenmal, Sprenger, Ihr habt schon bekannt, Ihr habt Euch schon verraten!« rief die Gräfin und die schwache Stimme der kranken Frau war furchtbar anzuhören, wie des gewaltigsten Richters. »Habt Ihr Euch damals nicht schon als einen Wissenden verraten, da Ihr, aus Eurer Achtlosigkeit erweckt, von dem Raub des Jesuiten Holthausen Kunde gabt, die niemand wußte, die niemand erfragt hatte? Seht, damals hat Euch der Teufel einen Strick gelegt, und trotz all Eurer Schlauheit habt Ihr damals bekannt, was, wie Ihr jetzt sagt, Euch selbst die Folter nicht herauspressen soll.«

Ruhig erwiderte Sprenger: »Meine hohe Herrschaft kann meinen Kopf fordern und ich muß ihn hingeben; aber keine Silbe einer Antwort werdet Ihr mir abzwingen mit einer solchen Inquisition.«

Die Gräfin schwieg. Sie fühlte, daß es auf diesem Wege nicht gehe. Mit tiefem innerem Widerwillen schlug sie andere Saiten an. Denn wie sie eben gesprochen, das war der Ton, wie er ihr jetzt so recht von Herzen ging. Sie bezwang sich um der Sache willen.

»Ihr seid ein alter Freund Nieseners?« fragte sie ruhiger und milder.

»Wir waren Schulgenossen und haben durchs ganze Leben zusammengehalten.«

»Und erkennt Ihr es nicht als eine Pflicht der Freundschaft, mit mir gemeine Sache zu machen, daß ich siegreich für Euren Freund aus diesem Kampf wider seine übermächtigen Gegner hervorgehe?«

»Nein! gnädigste Gräfin. Ich habe für ihn gethan, was Freundespflicht war. Ich habe ihn gewarnt. Nun der phantastische Moralist aus reiner Grille seinen Kopf freiwillig in die Schlinge gesteckt, halte ich mich nicht verpflichtet, aus reiner Freundschaft den meinigen auch noch dazu zu stecken.«

Die Gräfin überlief es kalt. Es dauerte eine Weile, bis sie das Gespräch fortsetzen konnte.

»Irre ich nicht, Sprenger, so seid Ihr Protestant?«

»Das ist eine kitzlige Frage. Kein Mensch als Ihr, gestrenge Herrin, würde eine runde und klare Antwort darauf aus mir herausbringen. Es sind wunderliche Zeiten. Die beiden Religionen mengen sich im Lande noch immer stark durcheinander. Nichts als Kraut und Rüben, trotz des katholischen Eifers unseres gnädigsten Herrn. Da mache ich nun das Ding mit, so lange es geht. Meine Religion hat sich auch noch nicht recht abgeklärt, gerade wie die des hadamarischen Landes. Verbreitete ich nicht einen starken katholischen Geruch um mich, so hätten mich ja die Patres Jesuiten längst aus dem Kabinett Seiner gräflichen Gnaden hinausgebissen. Aber um nun auch eine runde und klare Antwort zu geben, Euch – und Euch allein: – eigentlich bin ich ein Reformierter. Noch nie habe ich eine Messe besucht. Und vermutlich werde ich auch für die nächste Zeit reformiert bleiben. Man hat doch auch seine Ueberzeugungen und so eine gewisse Anhänglichkeit an den ererbten Glauben, wie an einen alten Sessel, einen alten Tisch aus dem väterlichen Hause. Das Gewohnte ist immer das Bequemste, namentlich für ältere Leute.«

Die Gräfin hatte den Rat um seine Religion befragt, weil sie voraussetzte, daß er Protestant sei, und ihn beschwören wollte, um des bedrängten Glaubens willen den Glaubensgenossen wenigstens retten zu helfen, wenn er den Freund nicht retten wolle. Allein als sie jenes wunderliche Bekenntnis vernommen, wandte sie sich voll Abscheu hinweg. Nach ihrer strengen Auffassung hätte eine solche Lästerung den Tod verdient, so gut wie Raub und Mord, und sie wußte nicht, was schrecklicher sei, solche Glaubenslosigkeit selber oder der leichtfertig spöttische Ton, in welchem der Rat sein Bekenntnis abgelegt hatte. Diese Vortragsweise, die oft zur übermütigsten Satire ausartete, war ihm aber ganz zur anderen Natur geworden; denn durch den leichten Spott, den er über alles ausgoß, hatte Sprenger zuerst des Grafen Gunst gewonnen, der vor allen Dingen heiter angeregt sein wollte. Er durfte sich zuletzt auch das Keckste herausnehmen, wenn es nur witzig war und etwas zu lachen gab. Bloß in Sachen der Religion mußte er seinem Spott und Witz den festesten Zaum anlegen. Hier verstand der Graf keinen Spaß, namentlich seit der Bekehrungseifer über ihn gekommen. Darum erschrak der Rat doch ein wenig, als er seine Rede beendet und den üblen Eindruck auf die noch viel strengere Gräfin wahrnahm. Allein die Worte waren einmal heraus, kein Mensch konnte sie wieder einfangen, und Sprenger beruhigte sich nach seiner Weise sehr rasch.

Nicht so die Gräfin. Sie konnte das Gespräch nicht weiterführen. Doch trieb sie's, noch ein ernstes Wort dem verlorenen Manne zu sagen.

»Ihr habt nicht gestanden um der Wahrheit, nicht um der Gerechtigkeit willen, Ihr wollt Euerem Freunde nicht helfen um der Freundschaft willen, und wenn man bei Euerem Bekenntnis Euch auffordern wollte, dem Glaubensgenossen beizuspringen, so würde das Hohn und Frevel sein. Aber sehet Euch für! Ihr werdet in dieser Verstocktheit nicht beharren. Das Gewissen ist wie das Auge, das kleinste Stäubchen, das hineinfliegt, schmerzt und brennt wie eine große Wunde, und wir gewinnen keine Ruhe, bis die Ursache des Uebels wieder entfernt ist. Ihr werdet den großen Staub auf Euerem Gewissen bald fühlen, Sprenger, ja Ihr fühlt ihn vielleicht jetzt schon. Kommt wieder zu mir, wenn Ihr ihn empfindet; obgleich wir jetzt in Groll und Bitterkeit scheiden, will ich Euch doch in Liebe wieder aufnehmen.«

Dem Rat zuckte es seltsam um die Lippen. »Ihr seid eine Frau ohnegleichen!« rief er – und es war, als ob nun ein ganz anderer spreche. – »Ich kann Euch heute nichts Weiteres sagen, und wenn Ihr noch so gewaltig an meinem Gewissen pocht. Aber Ihr sollt alles erfahren, wenn die Zeit gekommen ist – in den nächsten Tagen schon. Ich habe schon manchem Widerstand geleistet, der sich dessen nicht versah; Ihr aber biegt und hämmert auch den härtesten Gesellen weich, wie der Schmied das feurige Eisen.«

»Morgen sehen wir uns wieder!« rief die Gräfin.

Der Rat verbeugte sich schweigend und ging.

Der nächste Morgen kam. Der Rat ward ängstlich im Gemache der Gräfin erwartet; er kam nicht. Man sandte nach ihm; er war nirgends zu finden. Der Graf vermißte seinen vertrauten Diener bei der Tafel. Man geriet in Unruhe; man ließ nach Sprenger suchen. Alles blieb erfolglos. Die nächsten Tage vergingen. Der gräfliche Rat war spurlos verschwunden. Auf seinem Zimmer fand man alles wohlgeordnet wie gewöhnlich. Er war in früher Morgenstunde ausgeritten in den Wald gegen die westliche Grenze der Grafschaft. Seitdem hatte ihn niemand wiedergesehen. Die schlimmsten Gerüchte kreuzten sich. Der alte Mann sollte da und dort verunglückt sein, erschlagen; am wahrscheinlichsten war es noch, daß er gleich den Priestern weggeführt worden war von einem holländischen Streifcorps.

Den größten Schrecken erregte Sprengers Verschwinden bei der Gräfin; sie harrte auf jede Kunde über den Verkommenen, wie wenn er ihr Sohn gewesen wäre. Sprenger war der einzige, der neues Licht in die Niesenersche Angelegenheit bringen konnte; er war mürbe geworden, er hatte es zugesagt – nun war mit einemmal jede Spur von ihm verloren und damit auch für die Gräfin jede Hoffnung, daß sie von ihrem Gemahl die Zurückforderung des geraubten Pfarrers jemals zu Recht begehren könne.

Nach fünf in bangem Warten verschwundenen Tagen begann die Gräfin in tiefe Betrübnis zu versinken; nur religiöser Trost vermochte sie noch aufzurichten.

Da brachte ein reitender Bote aus Hachenburg einen Brief an Gräfin Ursula von Nassau-Hadamar.

Er lautete wie folgt:

»Eure hochgräflichen Gnaden habe ich, da Sie am letzten Mittwoch so heftig in mich drangen, Aufschlüsse versprochen über die Sache des Pfarrer Niesener. Hier gebe ich sie. Der Pfarrer ist ganz unschuldig. Er lebte in seinen Büchern und wußte nichts von dem Versteck und den Verkappungen der katholischen Priester, wie er überhaupt von der Welt nichts weiß. Ich allein im ganzen Lande kannte den Plan, der zum Schutze der Priester entworfen war, im einzelnen so genau wie im ganzen. Denn ich allein habe den Plan gemacht und Seine hochgräflichen Gnaden, meinen Herrn ausgenommen, war er vor keines anderen Menschen Auge gekommen. Einzelne vertraute Männer wußten wohl, wo und wie einzelne Priester versteckt waren, von allen wußte ich es allein. So bin ich es denn auch gewesen, der die Pfaffen den Holländern verraten hat. Die Bekehrungsseuche, die statt der Pest, der spanischen Schwachheit und anderer Krankheiten, womit wir in vorigen Jahren heimgesucht waren, jetzt über das Land hereingebrochen ist, ärgerte mich, und zwar um so mehr, als ich als Protestant bei Hof die katholische Maskerade spielen mußte. Um meinem Aerger Luft zu machen, zeigte ich den Holländern das Versteck der Priester an, damit es auch bei uns einmal eine recht lustige Pfaffenhetze gebe, gleichsam ein ganz kunstreich eingestelltes Jagen auf dieses Schwarzwild, so jagdgerecht, wie man's noch nirgends erlebt. Es gelang bewundernswürdig. Dies ist die Wahrheit; ich schwöre es Euch.

»Ich sage Euch, gnädigste Frau Gräfin, wie meinem gnädigsten Herrn Grafen, meinen unterthänigsten Dank für die vielen Gnaden, die ich an Dero Hofe genossen. Nach meinen Kräften bin ich doch wohl eifrig in meinem Dienste und meiner Herrschaft treu ergeben gewesen, wenn ich auch manchmal den Schalksnarren spielte, und meinen Humor, den der Herr Graf im Wort so sehr liebte, hinter seinem Rücken auch mitunter in die That übersetzte. Ich wäre gewiß noch lange in Hadamar geblieben. Aber wie Ihr mir am Mittwoch so schonungslos den Spiegel vorhieltet, wie Ihr mir so mächtig ins Gewissen hineinredetet, da ergriff mich's, daß ich's für eine Schande hielt, länger als ein zwiegefärbter Mann an Euerem Hofe mein Spiel zu treiben. Und daß ich den Streich mit den Pfaffen eingestehe, auch dies allein habt Ihr zuwege gebracht. Gäb' es einen Pfarrer, der einem das Herz umwenden könnte mit einer langen Predigt, wie Ihr mit drei Worten, ich ginge wahrhaftig jeden Sonntag in die Kirche. So wie ich aber gestand, war natürlich meines Bleibens in Hadamar nicht mehr. Ich beschlief die Sache noch einmal, doch Euere Worte dröhnten mir immer mächtiger in den Ohren, und so ritt ich des anderen Morgens auf und davon. Ich bin hier auf sicherem Boden. Mehrere protestantische Fürsten haben mir Dienste angeboten.

»Meinen Dank für Euere Huld und Gnade, Gottes Lohn für Euere Vermahnungen, und Gottes Segen auf das ganze gräfliche Haus von Nassau-Hadamar.

Ew. hochgräflichen Gnaden

unterthänigster Diener
M. Christoph Sprenger,
weiland gräfl. nass. Rat.«

Eine nähere Untersuchung bestätigte die Wahrheit von Sprengers Geständnis. Der Graf war so großmütig, oder so politisch, seinen ehemaligen Rat, der seit Jahr und Tag um alle seine Geheimnisse wußte, nicht weiter zu verfolgen. Ja, er schickte ihm seinen in Hadamar zurückgelassenen Hausrat mit freier Fuhre nach Hachenburg hinüber, um den Rat Sprenger vollständig, wie er sagte, mit Sack und Pack los zu sein.

Vierzehn Tage, nachdem Sprengers Brief in Hadamar eingelaufen war, erhielt Niesener in Köln von seinem Kerkermeister die Freiheit angekündigt. Johann Ludwig hielt Wort. Der Kurfürst war anfangs zäh wie Sohlenleder und that, wie wenn er statt des Pfarrers von Rennerod den höchsten protestantischen Reichsfürsten ausliefern solle. Aber der Hadamarer donnerte so gewaltig, daß der Kurfürst voll Aerger und Verwunderung nachgab. Der Graf fühlte sich nämlich um so freier in der Sache, als er eben ein förmliches Jesuitenkollegium in Hadamar anzulegen begann, und bei einem so glänzenden Beweis seines katholischen Eifers einem Kurfürsten von Köln schon auch einmal wegen eines einzelnen reformierten Pfaffen auftrumpfen konnte.

Niesener eilte sofort zurück in die Heimat, zu Fuß, ohne Bedeckung, Gottes Schutz vertrauend. Das war ein großes Wagestück in jenen Tagen; aber es ließ dem Pfarrer nicht Ruhe, Tage oder Wochen auf eine sichere Gelegenheit zu warten. Nur sein geistliches Gewand hatte er mit dem Rocke eines Kölner Bürgers vertauscht, sonst wäre er schwerlich eine Meile weit gekommen. Wo ihn im Dickicht oder bei sinkender Nacht die Furcht überfiel, da sprach er vor sich die Worte des Psalms: »Ob ich schon wandere im finstern Thal, fürcht' ich keinen Unfall; denn der Herr ist bei mir,« – und ward wieder stark und mutig.

So kam er am Abend des dritten Tages nach Hadamar. Mit dem Staub des Weges auf seinen Schuhen, eilte er, ungesehen, niemand begrüßend, in das Schloß, um der Gräfin, die ihm allein die Freiheit gewonnen haben konnte, seinen Dank darzubringen und Gottes Segen zu verheißen.

Als er die Treppe zu den Gemächern der Gräfin hinaufstieg, war er erstaunt, einen Hellebardierer vor ihrer Thüre aufgestellt zu finden. Er rief der Wache zu, die gleichfalls verwundert auf den staubbedeckten Wanderer schaute, daß er zur gnädigen Frau Gräfin geführt zu werden wünsche, und als ihn die Wache noch immer erstaunt und fragend ansah, statt zu antworten, fügte er mit erhobener Stimme bei, er sei der Pfarrer Niesener von Rennerod, man werde ihm gewiß eine Audienz von wenigen Augenblicken nicht versagen.

Da öffnete sich eine Seitenthüre, der Graf Johann Ludwig trat heraus, faßte den Pfarrer bei der Hand, die er, der stolze Graf, in schweigender Erwiderung auf Nieseners Begrüßung wie die Hand eines Freundes drückte, und führte ihn selber in das Zimmer der Gräfin.

Kerzen flammten in dem dunklen, schwarz ausgeschlagenen Gemach, Blumen hauchten einen betäubenden Duft, ein Sarg stand in der Mitte des Zimmers, und um den Sarg kniete betend der Gräfin Hausgesinde und ihr Hofprediger einträchtig neben den Jesuiten des Grafen. Im Sarge lag der entseelte Leib der Gräfin Ursula, die hohen, adeligen Züge unentstellt, nur friedlicher und versöhnter als im Leben.

Niesener brach bei diesem Anblick in Thränen aus, und der Graf weinte mit ihm und stützte sich auf den Arm dessen, den er bis dahin seinen Todfeind genannt, als seien sie ihr Leben lang Todfreunde gewesen.

Als beide sich gesammelt hatten, kniete der Pfarrer nieder an dem Sarge und betete lange im stillen, dann sprach er vernehmlich die Worte: »Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, sie ruhen aus von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach.« Auch die Jesuiten sprachen »Amen!«

Niesener erhob sich, verneigte sich gegen den Grafen und entfernte sich schweigend.

Eine verfrühte Niederkunft hatte der Gräfin den jähen Tod gebracht. Noch kurz vor ihrem Ende hatte sie, ihres Versprechens gegen Niesener eingedenk, denselben ihrem Vater zu einer Pfarrei im Lippeschen empfohlen. Der vielgeprüfte Mann fand in der That dort Ruhe für den Rest seines Lebens.

Als der Zustand der edlen Frau hoffnungslos zu werden begann, begehrte sie die Tröstungen ihres Predigers. Aber statt dessen schickte man ihr drei Jesuiten, die an dem schmerzhaften Sterbelager ihre ganze Beredsamkeit, die vereinte Kunst ihrer Dialektik und Sophistik aufboten, um diese Seele wenigstens noch in der letzten Stunde der katholischen Kirche zuzuführen. Groß im stillen Dulden ertrug auch Gräfin Ursula die Geistesmarter der dreifachen Bekehrungsversuche neben den körperlichen Leiden. Während die Patres demonstrierten, betete sie leise für sich in den Formen ihres Glaubens, der ihr von Gott zur Stütze ihres ganzen Lebens geschenkt worden war. Das Kind, welches sie gebar, ward, obgleich es nicht eine Stunde gelebt, und obgleich eine Prinzessin, doch von den Jesuiten geschwind nach katholischem Ritus getauft, und so wenigstens diese eine Seele gerettet. Die Mutter aber starb, wie sie gelebt, getreu ihrem Wahlspruch:

»Im Glauben fest.«


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