Wilhelm Heinrich Riehl
Gräfin Ursula
Wilhelm Heinrich Riehl

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Drittes Kapitel.

Des anderen Morgens in aller Frühe, als noch kaum die erste Dämmerung schwach zu schimmern begann, öffnete der Graf leise die Thüre des Kabinettes der Gräfin. Er wußte, sie stand lange vor der Sonne auf, und so fand er sie denn auch, völlig angekleidet, vor ihrem Betpult knieen. Er blieb schweigend im Hintergrunde stehen, bis sie ihr Gebet beendet hatte.

Als sie sich erhoben, und die Gatten sich den Morgengruß geboten, war die Verwunderung, den Grafen so frühe auf den Beinen zu sehen, auf der Gräfin Seite; denn ihr war gar wohl bekannt, wie sehr er es liebte, des Abends den Tag in die Nacht und des Morgens die Nacht in den Tag zu tragen.

»Ich will von nun an,« sagte er scherzend, »dem Beispiele jenes Königs folgen, dessen Namen du, als die Gelehrtere, besser weißt als ich, jenes Königs, der so pünktlich die Morgenstunden ausnutzte, daß er zu sagen pflegte: Wehe dem Lande, dessen Fürst lange schläft. Doch nein, ich störe dich nicht so frühe, um zu scherzen. Siehe, ich habe die ganze Nacht gar nicht geschlafen, weil mir deine Geschichte von dem Johannes Schütz nicht aus dem Kopf gehen wollte.«

»Und was hat das Kriegsgericht gestern über den Pfarrer entschieden?« unterbrach ihn die Gräfin.

»Es ist kein Kriegsgericht abgehalten worden. Niesener sitzt im Turm. Ich will mir reifer erwägen, wie die Sache anzufassen ist. Gestern ließen mich deine Worte kalt, aber heute nacht hat mir der Gedanke an die voreiligen Richter keine Ruhe gegeben, daß ich bald bei dem Pfarrer, bald bei dem schuldlos Geköpften war. Wie ist doch der Mensch ein anderer am Tage und in der Nacht, wahrlich, nicht minder als blendendes Sonnenlicht vom tiefsten Dunkel ist derselbe Mann unterschieden nach dem Stand der Gestirne.«

»Es ist nicht der Stand der Gestirne, der dich zum Nachdenken gebracht!« rief die Gräfin begeistert. »Gott ist es, der in der Finsternis dein Herz erleuchtet hat. O merke auf dieses Licht!«

Der Graf wurde weich, wie er es leicht werden konnte. »Ich habe niemand an diesem Hofe, der mir die Wahrheit sagt außer dir. So sprich auch jetzt aus, was du denkst. Was würdest du thun an meiner Stelle? Wie wolltest du den Verräter entdecken? Wie ihn bestrafen? Rasch entdecken, rasch bestrafen! Denn wo hier die rächende Gerechtigkeit nicht einschlägt wie ein Blitz, ist alle spätere Strafe ein eitles Spiel.«

»Gibt es keine weiteren Verdachtsgründe gegen Niesener, als die du gestern ausgesprochen?« fragte die Gräfin.

»Keine!«

»So laß ihn frei auf sein Ehrenwort, nach Rennerod zurückzukehren, dort stille zu sitzen und den Ort auf keine Meile Wegs zu verlassen, bis man ihn ruft, sich dem Gericht zu stellen.«

»Das geht nicht an!« rief der Graf fast erzürnt über den Vorschlag. »Und unterdessen sollen wir langsam der Sache nachspüren lassen, während der Fuchs entschlüpfen wird! Niesener wird seine Spießgesellen inzwischen warnen, sie werden sich verabreden, komplottieren –«

»Niesener hat keine Spießgesellen,« fiel die Gräfin ein, »er komplottiert auch nicht. Auf sein Wort wird er sich ruhig halten und mit keinem Menschen von der Sache reden. Dafür bürge ich.«

»Ei, du scheinst ja diesen Pfarrer sehr genau zu kennen, daß du in einer solchen Kapitalsache so frischweg für ihn Bürge stehst. Hättest du mir die fatale Geschichte von Johannes Schütze nicht erzählt, ich wüßte, was ich thäte! Niesener freilassen auf Ehrenwort! Nein, das geht nicht an.« Damit wollte er das Gemach verlassen.

»Warum wundert man sich, daß die Mächtigsten am schwersten in den Himmel kommen,« rief die Gräfin aus, »da sie so schwer auf die Stimme eines ehrlichen, ungefärbten Mahners hören?«

Der Graf schaute sein Weib fast verwundert an; dann entfernte er sich schweigend.

Doch indem er ging, war schon bei ihm beschlossen, den Pfarrer auf Ehrenwort nach Rennerod zu schicken; denn für die nächste Nacht wenigstens wollte er einen gesunden Schlaf haben. Aber wie es bei unselbständigen Menschen gewöhnlich ist, obgleich er that, wie seine Frau ihm anempfohlen, würde er doch ums Leben nicht ihr dies augenblicklich zugestanden haben. Er wollte sich den Schein geben, als handle er niemals nach fremden Ratschlägen, sondern nur nach eigenem Ermessen. So hatte ihn gestern bei Tafel die Erzählung seiner Frau augenblicklich gepackt, obgleich er es heute leugnete, und die Bemerkung über den Tag- und Nachtmenschen war nur eine glatt gedrehte Phrase, ein Epigramm, womit er die Bewegung seines Herzens maskieren wollte.

Niesener verpfändete sein Wort und ging nach Hause. Die furchtbare Bitterkeit, die ihn durchdrang über die unwürdige Behandlung, machte ihn so verschlossen, daß er nirgends ein Wort zu seiner Verteidigung sprach. Ja nur mit Mühe und stoßweise brachte er es über sich, den Hergang seiner Frau zu erzählen. Sie war ein schlichtes, festes Weib, ohne hervorragende Eigenschaften, auf dem Lande großgewachsen, etwas ungefügig, aber mit praktischem Blicke und rühriger Thatkraft gerüstet. Sie nahm die schlimme Kunde nicht ohne Zittern, doch mit Fassung hin, richtete die Haushaltung, die ohnedies in letzter Zeit schon höchst knapp gehalten war, noch knapper ein, so daß sie noch etwa ein Vierteljahr zusehen konnten. Denn von Einkünften war natürlich längst nicht mehr die Rede, und hätten nicht alte Freunde und gute Nachbarn heimlich bald einen Korb voll Eier, bald Gemüse, ein Säckchen Getreide, einen Schinken und ähnliche Dinge in die Küche der Pfarrerin gestellt, so würde sie auch jetzt schon schwerlich ausgekommen sein.

Der Pfarrer hielt sein Wort aufs strengste. Er blieb auf seinem Pathmos, wie er's nannte, und machte sich aus übertriebener Gewissenhaftigkeit sein Haus zu einem Gefängnisse. Er wagte nicht eine halbe Stunde Wegs weit in der Gemarkung des Orts umherzuspazieren. Keine Silbe ging von seinen Lippen über die schwebende Untersuchung. Den letzten kleinen Rest häuslicher Seelsorge bei einigen heimlichen Reformierten, die er vordem noch geübt, gab er ganz auf. Den ganzen Tag saß er über der Bibel und den theologischen Lehr- und Streitschriften, die seine kleine Bibliothek bildeten.

Das ging so mehrere Wochen.

Da kam eines Tags der gräfliche Rat Sprenger im Sturm angeritten an das ärmliche Bauernhaus, wo Niesener jetzt wohnte. Eilfertig, daß Mann und Frau erschraken, trat er in die Stube, kaum grüßend.

»Ich wollte Euch im Vorübergehen nur eine Warnung und einen guten Rat ins Haus werfen. Niesener, macht Euch aus dem Staube! Verlaßt diesen Ort heute noch, säumt keine Stunde, oder es wird Euch übel ergehen.«

»Ich habe dem Grafen das Wort gegeben, hier zu bleiben; ich werde mich dem Gericht stellen.«

»Ach, Ihr mißversteht mich, Pfarrer. Um den Grafen und die Untersuchung handelt es sich jetzt gar nicht. Ich darf nicht alles aussprechen, was ich weiß. Aber nur das eine sage ich Euch als Euer wahrer Freund, verlaßt Rennerod zur Stunde und geht an einen sicheren Ort, geht meinetwegen nach Hadamar und stellt Euch unter den Schutz der Herrschaften selber; dann habt Ihr ja Euer Wort dem Sinn und Wesen nach gehalten.«

»Und dennoch würde ich es brechen,« rief der unbeugsame Pfarrer, »denn ich habe geschworen, in Rennerod zu bleiben.«

Die Pfarrerin drang unter Thränen in den Rat, daß er die drohende Gefahr nur um etwas näher bezeichnen möge.

»Habt Ihr nicht gehört, Niesener, wie ich neulich an dem unseligen Tag von der Pfaffenhetze im Braunfelsischen erzählte? Der kaiserliche Kommandant stiehlt den Reformierten ihren Pfarrer aus dem Bett, dafür stehlen ihm die Holländer seinen Prior aus der Klosterzelle – oder vielleicht auch aus dem Klosterkeller, vom Weihrauchfaß oder vom Weinfaß hinweg – gleichviel. Meint Ihr denn, die benachbarten katholischen Herren, die der holländische Oberst in Soest auch bereits mit dem Jesuitenfang zu molestieren beginnt, könnten nicht gleichfalls auf den Gedanken kommen, so ein Dutzend reformierte Pfarrer aus der Nachbarschaft als Repressalie wegzufangen? Und da wäret Ihr der erste, Niesener. Besonders den Kurkölnern sitzet Ihr gar bequem hier in Rennerod; die brauchen nur die Hand auszustrecken, so haben sie Euch. Und da ich mein Geheimnis nun doch so weit ausgeplaudert, so mag es auch ganz heraus; denn wahrlich, die Gelassenheit, womit Ihr das alles anhöret – ein anderer wäre schon davongelaufen, ehe ich nur ausgesprochen – könnte einen Heiligen zum Fluchen bringen. Ihr stehet auf der Liste, Niesener, obenan auf der Liste der Kölnischen, und wenn Ihr Euch nicht gleich aus dem Staube macht, dann sitzt Ihr in ein paar Tagen in Köln im Turm, und man wird das doppelte Lösegeld für Euch fordern wie für den Pfarrer von Dauborn. Frau Pfarrerin, redet Eurem Manne zu! Es geht Euch hier freilich noch so leidlich wohl« – der Rat schaute bei diesen Worten mit einem etwas verdächtigen Blick in der kahlen Stube umher – »und wenn Ihr so ins Weite hinauszögert, möchte es Euch mit den Kindern wohl anfangs etwas schlechter gehen. Aber besser Kraut und Rüben in Ruh', als einen gemästeten Ochsen in Unruh'.«

»Ach, lieber Herr Rat,« entgegnen die Pfarrerin, »von gemästeten Ochsen haben wir seit Jahr und Tag nichts mehr geschmeckt und essen selbst Kraut und Rüben in Unruh'. Aber wenn mein Mann sich einmal einen Gedanken fest in den Kopf gesetzt hat, den könnt Ihr ihm nicht herausbringen, und den bringe ich ihm auch nicht heraus. Doch seht, er will reden.«

»Ich sitze hier, weil ich meinem Herrn das Wort darauf gegeben,« sprach der Pfarrer ruhig und fest. »Halte ich mein Wort, dann ist auch der Graf durch seine Ehre verbunden, mich zu schützen. Denn nur weil ich ihm und meinem Worte getreu, bestehe ich die Gefahr. Meldet dem Grafen, was Ihr uns eben erzählt, und er wird sich in seinem Gewissen verpflichtet fühlen, mich nach Hadamar unter seinen persönlichen Schutz zu rufen, oder mir eine Bedeckung herauszusenden, wie er sie ja auch seinen Jesuiten mitgibt. Sollten mich aber die Kölnischen inzwischen hinwegführen, dann wird der Graf mich, seinen Gefangenen, alsbald zurückfordern, und die eigenen Bundesgenossen werden ihm dies wahrlich nicht abschlagen und kein Lösegeld begehren.«

»O, Pfarrer, wie seid Ihr ein großer Moralist und ein kleiner Politiker!« rief der Rat. »Habt Ihr denn ganz vergessen, wie oft Ihr den Grafen erzürntet? Kleine Wunden und große Herren muß man nicht gering achten. Wenn Ihr zum Teufel fahrt, gleichviel wie, – so oder so – dem Grafen wird's eben recht sein. Doch gesetzt, er sei in dem Punkte Eures Ehrenwortes ein Moralist wie Ihr – es ist möglich; wer kann den wetterwendischen Herrn durchschauen? – meint Ihr dann, daß er die Macht hätte, Euch zu helfen? Die Kölner und Trierer und die Herren in Wien zweifeln fortwährend an seinem rechten katholischen Eifer. Wenn er nun gar einem ketzerischen Pfarrer seine Reiter zur Bedeckung stellte, das wäre ärger, als wenn er sich von Euch eine Predigt in der Schloßkirche halten ließe statt zum Pater Prack zur Messe zu gehen. Haben Euch aber die Kölnischen vollends in den Klauen, dann kann der Graf Euch nicht wieder herausreißen. Das hieße abermals Oel in das Feuer des Mißtrauens gießen. Ihr meint wohl, als Günstling des Kaisers sei er mächtig auch neben dem Kurfürsten! O, wie irret Ihr Euch. Lauter wohlriechender Dunst ist die kaiserliche Gunst für den Neubekehrten. Freilich, der Graf thut gegenüber den anderen nassauischen Grafen, als ob er gewaltig an Macht gewonnen habe. Ach ja, er ist ein gar kluger Herr. Aber Ihr wißt, wer in den Zähnen stochert, hat darum nicht immer Fleisch gegessen. Ich sage Euch, nicht die Macht hat der Graf, Euch den kurkölnischen Dragonern zu entreißen, außer er löste Euch auf den Heller aus, und zwar aus seinem eigenen Geldbeutel, und das gäbe erst den größten Skandal bei der ganzen katholischen Klerisei. Jetzt habe ich gesprochen. Bedenkt es wohl und rasch. Ich muß fort. Heute noch sehe ich Euch in Hadamar, oder Ihr sitzt übermorgen im Baienturm zu Köln.«

Es geschah, was vorauszusehen war. Der Pfarrer blieb in Rennerod und bestellte sein Haus im Laufe des Tages. Am Abend kamen zwölf kurkölnische Dragoner. Der Pfarrer protestierte feierlich gegen jede Hinwegführung, da er bereits auf Ehrenwort Gefangener des Grafen von Hadamar hier in Rennerod sei. Die rohesten unter den Soldaten wollten ihm ins Gesicht lachen, konnten aber doch nicht recht, so würdig erschien ihnen der Mann. Da er nicht gutwillig mitgehen wollte, so machten sie kurzen Prozeß, banden ihm die Hände, trugen ihn aufs Pferd, ein Dragoner schwang sich hinter ihm in den Sattel und fort ging's im scharfen Trab über den Westerwald auf Köln zu.

Des anderen Morgens wanderte Nieseners Frau in aller Frühe nach Hadamar, niedergeschlagen, aber nicht hoffnungslos. Die feste Zuversicht ihres Mannes auf die Hilfe des Grafen hatte sich auch ihr mitgeteilt. Niesener hatte sie am Nachmittag genau unterrichtet, wie sie im schlimmsten Falte, der eben eingetreten war, die Sache vor die Herrschaften bringen solle, er hatte ihr namentlich das Hervorheben aller der Punkte, die er dem Rat Sprenger geltend gemacht, aufs schärfste eingeprägt, und ihr anempfohlen, nicht sogleich zum Grafen, sondern zuerst zur Gräfin zu gehen.

Die Frau bewahrte jedes Wort, jeden Wink ihres Mannes in treuem Herzen und trat so, beklommen zwar, doch in sicherer Haltung vor die hohe Dame; denn sie wußte sich wohlgerüstet für die beste Sache.

Die Gräfin nahm den Vortrag des armen Weibes mild und gnädig entgegen, und versprach, denselben ihrem Gemahl getreulich zu wiederholen und nach Kräften zu Gunsten des unglücklichen Pfarrers zu wirken. Zugleich lud sie die Pfarrerin ein, bis zur Rückkehr ihres Mannes mit den Kindern nach Hadamar hinüberzuziehen, dann wolle sie mit ihrem Schutz und ihrer Hilfe der verwaisten Familie gerne täglich nahe sein.

Getröstet und hoffnungsmutig ging die Pfarrersfrau, rascheren Schrittes, als sie gekommen, den beschwerlichen Weg nach Rennerod zurück, entschlossen, der Anforderung der Gräfin in den nächsten Tagen zu entsprechen und sich mit ihrer kleinen Armut nach Hadamar zu wenden.

Unterdessen hatte die Gräfin ihrem Gemahl die Geschichte von dem Raub des Pfarrers Niesener in beweglichen Worten vorgetragen. Allein sie fand ihn gar nicht überrascht von der Nachricht.

»Der Pfarrer ist ein Esel,« rief er, zum großen Erstaunen der Gräfin, die ihm das Herz tief gerührt zu haben glaubte. »Eine solche starre Buchstabenauslegung des Ehrenwortes kann denn doch auch nur in dem Gehirn eines reformierten Pfaffen wachsen. Habe ich nicht selbst gestern morgen noch den Rat Sprenger im Galopp nach Rennerod gejagt, daß er dem Pfarrer begreiflich mache, er möge nach Hadamar kommen, weil ich wußte, die Kölnischen würden ihn heute nacht aufheben?«

»Und hat der Rat in deinem Namen diese Aufforderung dem Pfarrer überbracht?«

»Nein, behüte Gott! Nur so von ungefähr und wie aus eigenem Antrieb sollte er den Pfarrer warnen. Gerade darauf hatte Pater Prack am entschiedensten gedrungen,« entgegnete der Graf. Doch kaum war der »Pater Prack« seinen Lippen entschlüpft, so fuhr er zusammen, als habe er sich den Mund verbrannt, und setzte hinzu: »Es war zugleich das Ergebnis meiner reifsten Erwägungen, daß nur eine solche namenlose Warnung, eine Mahnung ohne Unterschrift, nach Rennerod gehen dürfe, wenn ich selber mich nicht den schlimmsten persönlichen Mißdeutungen aussetzen wollte.«

»Und wenn nun der Pfarrer auf die Mahnung ohne Unterschrift nach Hadamar gekommen wäre, hätte dann nicht Pater Prack vielleicht weiter geraten, ihn wegen Wortbruchs zur Verantwortung zu ziehen?«

Der Graf fuhr zornig auf. »Diese Frage, Ursula, hätte ich nicht von dir erwartet. Ich taste dir deinen Hofprediger nicht an, laß du mir auch meinen Jesuiten ungeschoren.«

Die Gräfin erschrak über ihre eigene Unvorsichtigkeit, biß die Lippen zusammen und schwieg. Jede weitere Rede vom Pfarrer Niesener war für heute abgeschnitten.

Doch am anderen Morgen wußte die Unermüdliche auch dieses mißliebige Thema ohne Zwang und ganz wie von ungefähr wieder in Anregung zu bringen. Sie besaß in hohem Grade jene nicht zu erlernende natürliche Glücksgabe geistreicher Frauen, das Gespräch zu lenken, ohne daß jemand die leitende Hand sah.

Der Graf hatte sich jetzt eine sehr entschiedene Meinung über die Sache des Pfarrers gebildet. Ohne Zweifel hatte er inzwischen mit den Jesuiten Rats darüber gepflogen. Im ganzen Land, sagte er, stehe der Glaube fest, Niesener sei der Mann, der die Priester an die Holländer verraten. Auch in Köln sei man dieser Ansicht und werde dort wohl ganz bestimmte Gründe dafür haben. Lediglich deshalb habe der Kurfürst den Pfarrer aufheben lassen. Wenn Niesener schuldlos, dann werde er sich in Köln reinigen, und alles sei abgemacht. Diese Wegführung sei also gar nichts anderes, als daß der Kurfürst von Köln die nachbarliche Freundschaft gehabt, ihm eine lästige Untersuchung vom Halse zu nehmen. Man müsse nun die Sache ihren Gang gehen lassen und Gott danken, daß jetzt in Köln entschieden werde, was man sonst in Hadamar hätte entscheiden müssen.

Die Gräfin war nicht wenig erstaunt über diese Rede. »Bist du denn ein Unterthan des Kurfürsten von Köln geworden,« rief sie, »oder ist er dein Gerichtsherr, daß er vor seinen Richterstuhl zieht, was vor den deinigen gehört? Bei Gott! als selbständiger deutscher Reichsfürst würde ich's nicht dulden, daß ein anderer den schlechtesten Strauchdieb aufhinge, der mir gehört und den ich allein aufzuhängen befugt bin. Wie willst du in einem so wichtigen Fall aus bloßer Bequemlichkeit deine köstlichsten Fürstenrechte vergeben? Steht die Sache, wie du sagst, dann fordert deine Fürstenehre, daß du auf augenblickliche Zurückführung des Pfarrers dringst. Er war dein Gefangener. Auf den Schutz bauend, den jeder Eingekerkerte von seinem Kerkermeister fordern muß, blieb er in Rennerod. Um das Wort, das er dir gegeben, nicht zu brechen, hielt er aus, obgleich er die Gefahr kannte; er vertraute auf die Ehre und die Macht seines Grafen und Herrn. Zwiefach gefährdet ist deine Fürstenehre, wenn du ihn dem Kölner überlassest. War er gewissenhaft gegen dich bis zum äußersten, so soll der Fürst nicht zurückstehen an Gewissenhaftigkeit gegen den Unterthan!«

Der Graf ging unruhig auf und ab. »Dieser Niesener schafft mir Verdruß, wo ich nur mit ihm in Berührung komme. Zum erstenmal in meinem Leben war ich gestern gerührt über des Mannes Unglück. Ich will mein Bestes thun, ihm einmal eine Gnade erweisen, ich lasse ihn warnen, herüberrufen – Sprenger hat mir meinen Hengst beinahe zu Schanden geritten – und nun gerade ist der Kerl ein Narr, bleibt stecken in seiner Zwinglischen Moral, stürzt sich ins Elend und mich in neuen Verdruß!«

Da sagte die Gräfin sehr ernst: »Es ist nicht bloß deine Ehre, die hier befleckt wird, sondern auch die meinige. Ich habe dir geraten zu dieser freien Haft in Rennerod, weil ich Nieseners sittliche Strenge kannte. Eben diese seine Strenge hat uns Pflichten aufgeladen, die wir gegen ihn erfüllen müssen, wie er die seinigen gegen uns erfüllt hat. Ich bin mit haftbar dabei. Bleibst du müßig, dann werde ich wenigstens meine Ehre zu retten suchen. Ich werde meinen letzten Schmuck verkaufen, um Lösegeld für Niesener zu gewinnen. Bei Gott, ich werde ihn loskaufen, so wahr ich Gräfin von Hadamar bin, so wahr ich in Ehre und Treue hinter keinem Manne zurückstehe!«

»Mache mir nicht zu warm,« rief der Graf, »oder du verdirbst alles. Ich will einen Pakt mit dir schließen. Den Pfarrer darfst du nie und nimmer loskaufen: das ist eine Privateinmischung in Staatsangelegenheiten, die ich auch von meiner Frau nicht dulde. Also, höre den Pakt! Ist Niesener unschuldig, kannst du mir seine Unschuld erweisen und vor allem den wahren Verräter ausfinden, dann werde ich den Pfarrer von den Kölnischen zurückfordern – ohne Lösegeld – und sollte ich selbst darum den Fuß in den Steigbügel setzen. So weit gehe ich und keinen Schritt weiter. Hier meine Hand darauf! Und nun genug von dem Pfarrer. Der Teufelskerl macht mir mehr zu schaffen, als meine übrigen Unterthanen alle miteinander.«


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