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In der weltberühmten Schenke zur »Sirene« in Jena sah es traurig aus. Der Besitzer war gestorben; statt der vermuteten Reichtümer hatte er Schulden hinterlassen. Freilich Schulden in dem kleinen Maßstab der alten Zeit, etliche hundert Gulden, womit das Haus überlastet war. Aber es war auch in der Art der alten Zeit, daß die einzige Erbin der »Sirene«, Eva, die zwanzigjährige Tochter des verstorbenen Schenkwirts, fast ihr Herz abgedrückt wähnte durch den Gedanken an diese kleine Ueberschuldung, die ihres Vaters Gedächtnis verunehrte, den guten Ruf der Sirene auf lange Jahre befleckte und – sie selbst – Eva – vielleicht hinausstieß, daß sie ihr Lebtag Gesindebrot essen mußte.
Im Hause wohnte noch die alte Großmutter, aber an ihr hatte Eva keinen Trost. Taub, stumpfen Geistes, der Welt abgestorben, saß sie in ihrem Winkel und spann, sie hatte kein Auge mehr für das Gegenwärtige; sie war nur noch ein Schattenbild vergangener Tage, das gespenstisch seelenlos unter den Lebenden umging.
Da konnte die arme Eva keine andere teilnehmende Seele finden, als den zeitweiligen Reichsverweser der »Sirene«, den jungen Küfermeister Friedrich Ritter. Er hatte schon lange bei des Vaters Lebzeiten in den Kellern gewirtschaftet und dann auch über der Erde die Schenke so leidlich in Rand und Band gehalten. Er war ein frischer Bursche, rührig, heiter, voll Selbstvertrauen, und unvermerkt war er mit Eva zu einer Herzlichkeit und Zärtlichkeit gekommen, daß es beiden zuletzt vorkam, als hätten sie von Kindesbeinen an zusammengelebt – da sie sich doch erst seit ein paar Jahren kannten – und müßten auch zusammenbleiben bis ans Ende. Das ging aber alles so in der Stille; der Vater merkte nichts davon und die taube Großmutter noch viel weniger.
Es war an einem Oktobernachmittag; die Sonne schien mild durch die achteckigen Scheiben in die stille Schenkstube. Nur die Großmutter spann in der Ecke, die Katze saß neben ihr auf dem Schemel und schnurrte, und die Mücken, die jetzt das Freie flohen, summten zahllos an Decke und Wänden umher. Gäste hatten sich noch keine eingefunden; denn vor Feierabend gingen meist nur verlumpte Trunkenbolde ins Wirtshaus.
Vorn auf einer Bank saßen Eva und Friedrich.
»Ich bin eine Bettlerin seit des Vaters Tod,« sprach die Trauernde, »jetzt werden unsere Hände in Ewigkeit nicht ineinander gelegt werden.«
»Ei, Eva, was verloren ist, muß man wieder erobern. Nur Geduld. Es läutet so lang, bis es endlich Kirmes wird. Ich will mich zusammenthun, schaffen und raffinieren, daß man mich für einen Goldmacher und Hexenmeister halten soll, und eh du dich's versiehst, sind die leidigen fünfhundert Gulden getilgt und wir haben unseren eigenen, freien Besitz!«
»Ja, wenn uns die Gläubiger so lange warten lassen!« sagte Eva kleinlaut.
»Meinst du, man könne nicht auch rasch zu einem schönen Stück Geld kommen? Hast du nicht gehört von dem Lautenschläger Baronius, der eben in Jena verweilt? Ein wahrer Teufel von einem Musikanten. Er gab gestern abend ein Konzert in der Aula der Universität und nimmt einen gestrichenen Säckel von fünfhundert Gulden mit nach Haus. Fünfhundert Gulden in zwei Stunden, ich glaube, so viel verdient der römische König nicht. Freilich, ich werde es auch nicht, denn nur wo Würste sind, kommen Würste hin. Schau aber auch, was der Teufelskerl alles spielen kann; hier habe ich den Anschlagzettel. Der lautet so:
Laus Deo.
Jena am 15. Octobris 1720.
Mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung
wird
Ernst Gottlieb Baronius
Cand. juris, königl. preußischer Cammer musicus, berühmtester Lautenspieler und wahrer Amphion dieser Zeit
ein musicalisches Divertimento auf der Laute zu geben die Ehre haben.
Es werden executiret
»Haud ignarus in harmoniis aliquid inesse ad rempublicam conservandam utilitatis.« Plut. de Mus.
»Musicae ignoratio Scripturae intellectum impedit«. S. August. de doctr. Christi.»Wohl weiß ich, daß in den musikalischen Harmonien etwas sitzt, was förderlich ist, den Staat zu erhalten.« Plutarch über die Musik.
»Die Unkenntnis der Musik hindert das Verständnis der heiligen Schrift.« Der heilige Augustinus über die Lehre Christi.
»Ach, das ist ein gelehrter Zettel,« sagte Eva, »und mag auch eine gar gelehrte Musik sein! Wenn doch der kunstreiche Mann unser Leid wüßte und ein rechter Christ wäre, dann würde er uns die fünfhundert Gulden schenken, die er auf diesen Zettel hin in zwei Stunden verdient, er würde uns glücklich machen und in anderen zwei Stunden hätte er sich wieder andere fünfhundert Gulden zusammengespielt.«
»Liebe Eva, so großgemutet ist gar selten ein Musikant. Je größer der Künstler, je kleiner der Christ. Die's am weitesten gebracht, haben sich zuletzt alle dem Teufel verschrieben. Die Musici stimmen die Saiten auf ihren Instrumenten, sagt man, aber die Saiten ihres Gemüts lassen sie übel gestimmt.«
Nun erhob sich die taube Großmutter von ihrem Spinnrad, wo sie einiges von dem Inhalte des Gesprächs erlauscht hatte. Ueberlaut, nach tauber Leute Weise rief sie: »Hexengold und Musikantensold verfliegt über Nacht. Zu meiner Zeit kam auch ein gewaltiger Geigenvirtuos hierher, man nannte ihn nur Damian von Gußbach nach seinem Geburtsort, denn seinen rechten Namen wußte er selber nicht. Der spielte die Geige bald unter dem Kinn, bald auf dem Kopf, bald auf seinem Rücken, bald zwischen den Beinen wie ein Bassettchen. Er spielte mit dem Fiedelbogen über den Saiten und unter den Saiten, auf den Haaren und dem Holz, kurzum er spielte, wie man wollte, und doch kam immer etwas wie eine schöne Musik heraus, daß es ein wahres Mirakel war. Wer zwei Weißpfennige zahlte, der konnte ihn den ganzen Abend hören. Anfangs war es ein Zulauf, daß er seinen Hut gestrichen voll Weißpfennige bekam, und die ganze Stadt sprach von Damian von Gußbach, wie sie jetzt von Baronius sprechen. Aber als er öfter wiederkam, wurden der Weißpfennige immer weniger, und eines Morgens ist er meinem seligen Manne plötzlich durchgegangen mit Hinterlassung beträchtlicher Zehr- und Logisschulden und ist nicht wieder gesehen worden. So geht es mit all der Flitterherrlichkeit von Musikanten und Komödianten.«
Eva und Friedrich schraken zusammen, denn sie sahen plötzlich, daß sie nicht mehr allein in der Stube waren.
Die stattliche Gestalt eines fremden jungen Mannes stand mitten im Zimmer, eine auffallende, anziehende Erscheinung. Das Gesicht war fast wie eines Mohren geformt und von merkwürdig bräunlicher Färbung, aber aus den großen, glänzenden Augen blitzte Geist und Selbstvertrauen. Eine mächtige Perücke schloß die Stirne ein, zu beiden Seiten mit großen hörnerartigen Wulsten, die den Kopf fast viereckig machten. Ein roter Sammetrock, seine Spitzenmanschetten und Jabot, schwarze Sammethosen, ein zierlicher Degen, große Schuhschnallen, mit funkelnden Edelsteinen besetzt, bildeten die einfache, aber höchst gewählte Kleidung, welche den vornehmen Mann verkündete.
»Ich habe Euch schon mehrmals angeredet,« sprach er lächelnd zu Friedrich, »aber zuerst waret Ihr so vertieft in den Konzertzettel und dann in Eure Glossen über den Lautenspieler, daß Ihr gar kein Ohr für mich hattet. Ich erwarte Freunde hier. Bringt mir darum eine Kanne Wein, nicht vom schlechten und nicht vom besten, sondern von jenem guten, womit man das rechte Fundament legt, daß man weiter vom besseren und vom besten noch mit Lust trinken mag.«
Als Friedrich den Wein brachte, klopfte ihm der vornehme Gast auf die Schultern und sprach: »Ueber die großen Musici seid Ihr schlecht berichtet. Sie verdienen ihr Geld nicht so leicht als Ihr glaubt. Musikantensold ist auch kein Hexengold. Freilich ein glücklicher Abend bringt rasch reichen Lohn. Aber von den durcharbeiteten Nächten, von den Wochen und Monaten, im wahren verzehrenden Fieber des Studiums hingebracht, von all der martervollen Arbeit, die es heischt, bis einer so weit gekommen ist, wie dieser Baronius, davon lasset Ihr Euch in Eurem kühlen Keller nichts träumen. Und wenn's der Musikus dann so weit gebracht hat, wie muß er schaffen, um sich über dem Wasser zu halten! Das geht nicht mehr wie beim Damian von Gußbach. Wer jetzt ein gerechter Virtuos will heißen, der muß auch ein Komponist sein, im reinen Satz so sattelfest wie der erste Kapellmeister. Auch ein Gelehrter muß er sein, in der Geschichte seines Instruments und seiner Kunst wohlbewandert, in den alten heiligen und Profanskribenten wohl belesen. Denn ein großer Musikus muß heutzutage seine Bücher schreiben so gut wie seine Noten, mit Gelehrsamkeit wohl ausstaffierte Bücher, schneidig voll Feuer, Witz und Grobheit, sonst wird er totgeschrieben von den Kollegen. Es ärgert einen Hund, wenn er einen anderen in die Küche gehen sieht; so geht es auch mit den Künstlern und dem Kunsttempel. Aber versteht Ihr mich auch, Freund, denn Ihr sehet mich gar wunderlich an?«
»Freilich, freilich!« rief Friedrich eilfertig. »Das klingt ja alles so schön und gelehrt, fast gerade wie der Konzertzettel des Herrn Baronius.«
Dann ging er auf die Seite zu seiner Eva und flüsterte: »Wenn der Rotrock nicht der Teufel ist, dann muß es der Baronius in eigener Person sein.«