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Elftes Kapitel

Es war Zaremba mit Hilfe der Bosniaken, die zur Verschwörung gehörten, gelungen, noch ehe die von Kosaken scharfbewachten Schlagbäume der Stadt Grodno geöffnet wurden, in seine Wohnung durchzuschlüpfen. Als er nach einigen Stunden Schlaf in dem Aufzug eines modischen Gecken, unter dem Klirren von Petschaften und Kettchen, mit einem Halstuch, in das er bis fast an die Augen versinken konnte, in gestreifter Weste und blauem Frack, eng anliegenden Culotten und einem Dreispitz auf dem Kopf, schön nach französischen Wohlgerüchen duftend und mit einem Lächeln auf den Lippen, trotz der herzlichen Sorge um Kasper, sich anschickte nach der Stadt zu gehen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, tauchte unvermutet Rittmeister Hlasko in der Tür auf. Er sah ermattet aus und war ganz kotbespritzt, sein Gesicht glühte vor Aufregung.

»Was ist geschehen?« er wurde sehr besorgt, »hat sich etwas Schlimmes ereignet?«

»Das Allerschlimmste! Laßt mir zu essen geben und hört, was mir passiert ist! Ich machte mich sofort von Merecz auf und erreichte seelensruhig bei Sonnenaufgang die Domäne, auf der die Mirower Garde ihre Pferde weiden läßt. Die Dukaten hatte ich verteilt, befahl Wahrung des Geheimnisses und wende mich mit dem Fähnrich seinem Zelt zu, um etwas auszuschlafen. Da kommt uns aus dem Zelt der Lieutnant Zakrzewski entgegen. Er hatte auf uns seit gestern gewartet: einer der Pferdeknechte hatte ihm den Ausmarsch der 25 Gardisten gemeldet. Er hat mich angeschrien wie einen Judengaul. Ich rede zu dem Dummkopf in aller Güte, daß Euer Wohlgeboren ihm alles erklären würden. Da wurde der Lümmel noch wütender und wollte mich binden lassen. Zum Glück ist es nicht dazu gekommen, denn sie haben ihm nicht gehorchen wollen. Ich dachte, daß mich der Schlag rühren würde, die Soldaten hat er verprügelt und allen angedroht, daß er sie dem Hetmangericht überantworten wird. Ich versuche, ihm die Sache klarzulegen, ihn zu bereden, zu bitten, und der schreit nur in einem fort wie ein Papagei: der König, der Dienst, die Pflicht! Das ist ja ein ungehobelter Kerl, er hat mir da solch' häßliche Dinge gesagt, daß ich ihn habe fordern müssen. Die ganze Schwadron hat er nach Grodno eingezogen und ich gebe meinen Kopf dafür, daß er mit einer Klage zum König und den Hetmanen hinrennen wird und einen Bericht ablegt, der sich sehen lassen kann. Die Sache wird dann eine schlimme Wendung für uns nehmen.«

»Dieser Martin ist ein Narr, das will ich nicht leugnen, aber er ist ein guter Soldat und durch seine große Liebe zum König könnte er uns schon eine böse Suppe einbrocken. Das Wagnis unseres Lebens ist dabei das wenigste, wenn nur die ganze Sache nicht daran Schaden nehmen würde. Wenn sie erst anfangen, die Soldaten darüber auszuhorchen, dann gelangen sie vom Fädchen zum Knäuel. So wahr Gott im Himmel, darf man dieses nicht zulassen!« er redete in schwerer Aufregung. »Es gibt keine Zeit zu verlieren!« »Was beabsichtigen Euer Wohlgeboren zu tun?«

»Ich muß den Zakrzewski von seinem Vorhaben, einen Bericht zu erstatten, abbringen und müßte ich selbst gewaltsam vorgehen. Es gibt keinen anderen Ausweg. Fahren wir sofort hin, der Wagen wartet.«

Sie begaben sich nach dem alten Königsschloß, das ziemlich verwahrlost aussah und in dessen Räumen für die Zeit des Reichstags das Mirower Regiment, welches die Funktionen der Leibgarde beim König zu versehen hatte, in Quartier lag. An dem anstatt mit einer Türe mit einer Barriere versehenen Tor, stand die Wache mit aufgepflanztem Bajonett und auf dem langgestreckten Hof, der voll Schutt war, sah man Soldaten in Haufen stehen, als berieten sie sich untereinander, sie hoben beim Reden die zusammengeballten Fäuste und sprachen sehr erregt.

»Was ist hier geschehen?« fragte Hlasko den Wachtmeister Grodzicki, der wartend dastand.

»Ich habe das Tor und alle Ausgänge besetzt und warte auf die Befehle des Herrn Rittmeisters!« salutierte er. »Keinen hätte ich hinausgelassen,« murmelte er mit Nachdruck. »Hier geht es um unsere Haut. Er hat uns schon alle ins Verhör gezogen.«

»Bleibe Er also am Tor, daß uns niemand dazwischen kommt ... und aufpassen ...!«

Leutnant Zakrzewski wohnte in einem Eckturm, dessen Mauern vielfach geborsten waren. Er hatte zwei mit soldatischer Einfachheit ausgestattete Stuben im Erdgeschoß inne. Als die beiden eintraten, saß er gerade an einem der schmalen Fenster mit der Niederschrift seiner Meldung beschäftigt. Beim Anblick des Freundes sprang er auf, und ohne irgendwelche Rücksichten auf Hlasko zu nehmen, begann er, sich überstürzend, auf ihn einzureden:

»Weißt du, was mir der Rittmeister für einen Streich gespielt hat? Meine Soldaten hat er aufgewiegelt und ist mit ihnen auf Raub ausgezogen! Da du selbst Offizier bist, wirst du begreifen, daß es ein schlimmes Crimen ist, wenn man in Friedenszeiten das Militär der Alliierten überfällt und dazu noch fast vor den Augen des Königs und des beratenden Reichstags! Diese Sache geht um Hals und Kopf! In einem Nu macht das die Runde und der Gesandte wird von Seiner Majestät Genugtuung verlangen; ich Unglückseliger werde das natürlich letzten Endes ausbaden müssen. Bin ich doch für die Schwadron vor Seiner Majestät und dem Hetman verantwortlich. Den pflichtgemäßen Bericht gehe ich sofort einreichen und Euer Wohlgeboren lasse ich in die Wachtstube sperren!« Er begann sich in fieberhafter Eile zum Ausgehen fertig zu machen. »Ich will nicht meinen guten Ruf einbüßen, eine solche Schande würde ich nicht überleben. Heiliger Jesus, daß man mich beschuldigen dürfte meine Hand bei Raubgeschichten im Spiel gehabt zu haben!« stöhnte er verzweifelt, und nachdem er sich den Säbel umgeschnallt hatte, wandte er sich der Tür zu. Zaremba stellte sich ihm in den Weg.

»Du wirst dich nicht von der Stelle ohne unseren Willen rühren!« Seine Stimme klang schneidend wie die Klinge eines niedersausenden Säbels.

»Was soll das heißen? Wollt ihr mir Gewalt antun! Laß du mich, ich habe mit niemand sonst als mit dem Rittmeister Hlasko zu tun. Gib den Weg frei!«

»Sei still! Reden wir freundschaftlich miteinander. Du hast es mit mir zu tun, denn ich habe diese Expedition geführt, der Rittmeister erfüllte nur meinen Befehl. Ich werde dir den Grund erklären ...«

Martin Zakrzewski hatte vor übermäßiger Aufregung die Stimme für einen Augenblick verloren, er stand wie gelähmt da.

»Höre zu, wie die Sache zusammenhängt und dann kannst du deinem Herzen und deinem Verstand gemäß handeln.«

Die Gründe und Rücksichten, die ihm Zaremba auseinandersetzte, schienen Martin trotzdem nicht überzeugt zu haben, denn er geriet immer wieder außer sich, fuchtelte mit den Händen, wollte nichts weiter hören und unterbrach den Redenden, indem er sich auf seine Pflicht, auf den König, den Hetman und seine Offiziersehre berief, und als Zaremba von ihm zum Schluß verlangte, er solle von jeglicher Meldung Abstand nehmen und die Sache auf sich beruhen lassen, riß Zakrzewski, der ein Heißsporn war und eigensinnig an seinem einmal gefaßten Vorsatz festzuhalten pflegte, dabei in unbedingter Treue zum König hielt, seinen Säbel aus der Scheide und schrie:

»Leute! Her zu mir!« Und er stürzte sich auf die Tür, aber zwei Säbelklingen versperrten ihm den Weg, und nachdem sie ihm die Waffe aus der Hand gewunden hatten, lenkten sie ihre Spitzen unerbittlich nach seinem Herzen.

»Schweige jetzt! Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß du nicht lebendig diese Stube verlassen wirst, wenn du nicht augenblicklich dein Kavalierwort verpfändest, daß du über die ganze Sache vollständiges Schweigen bewahren wirst. Du hast die Wahl!« entschied Zaremba mir einer düsteren Entschlossenheit, so daß Martin, obgleich er ein mutiger Soldat war, zurücksprang und sich mit lauter Stimme verwahrte:

»Ihr könnt mich in Stücke hauen, aber meinen König verrat' ich nicht ...! In Stücke hauen! hört ihr ...?«

»Dem Vaterland bist du mehr schuldig als dem König! Wählen sollst du! Wir treiben hier keine Kurzweil!«

Angesichts des sicheren Todes gab er schließlich sein Ehrenwort, das Geheimnis zu wahren. Sie mußten ihn aber wenigstens zwanzigmal unter Schwüren zusichern, daß er nichts Unrechtes dadurch beginge und weder seiner Ehre noch seinen Pflichten gegen den König zu nahe getreten sei.

»Ein Glück, daß heute auf dem Schloß und im Reichstag die litauische Garde an die Reihe kommt, sonst hätte ich nicht den Mut, Seiner Majestät in die Augen zu schauen,« murmelte er mit einer dermaßen besorgten Stimme, daß ihn Zaremba umarmte und tröstend versicherte:

»Seinerzeit wird der König dieses alles erfahren und er wird dir gerade für diese Handlung eine Erhöhung im Rang gewähren. Du wirst mir noch einmal dankbar sein. Beruhige jetzt die Soldaten! Ich muß eiligst in die Stadt.«

Nur Hlasko blieb bei Zakrzewski in der Stube zurück und legte sich nach einer gehörigen Magenstärkung in dessen Bett zum Schlafen nieder.

Zaremba befahl, nach der Vizekämmerin zu fahren, er wollte sie um eine Zuflucht für Kasper bitten. Der Tag war außergewöhnlich heiß; die Sonne ließ Gluten und blendenden Glanz über die Stadt fließen; von den Häuserwänden strömte Hitze wie aus einem Glutofen, das Pflaster brannte unter den Sohlen und die Luft hüllte die Menschen wie in lebendiges Feuer. Grodno sah wie gänzlich ausgestorben aus, die Straßen waren leer, die Holztüren der Verkaufsläden der Sonne wegen geschlossen, die Fenster hatte man von der Sonnenseite, womit es nur irgend anging, zugehangen nicht selten selbst mit Weiberröcken und schmutzigen Lappen.

»Ein gutes Erntewetter haben sie dieses Jahr in Grabowo!« ließ sich plötzlich Mathies vom Bock aus vernehmen.

»Fahr zu, Dummkopf! Der Erntekranz sticht dich, scheint mir.«

Mathies seufzte nur auf, und nachdem er seine Sehnsüchte den Pferden hatte entgelten lassen, rollte der Wagen bald in schneller Fahrt dahin.

Sie trafen gerade bei der Vizekämmerin ein, um Zeugen einer etwas rührseligen Szene zu werden; inmitten einer großen Vorhalle knieten zwei junge Burschen der Dienerschaft auf einem dritten, ein vierter hieb mit einem Ochsenziemer mit voller Macht auf den Liegenden ein und Rustejko, der Marschall des Hauses, zählte, seine kurze Pfeife paffend, in Seelensruhe die ausgeteilten Hiebe, indem er sie wie mit einem Pflaster mit guten Sentenzen belegte.

»Fünfunddreißig ... Bete zu Gott und rühr' deine Hände, stinkender Faulpelz ... sechsunddreißig ... Selbst in der Heiligen Schrift steht es geschrieben: Der heilige Geist, mein Wohltäterchen, rät, gebrauche die Rute zu recht ... siebenunddreißig ... die Rute bekommt euch niemals schlecht ... achtunddreißig ... aber dir, Lümmel, zu Gemüt reden, das ist so, mein Wohltäterchen, wie » imbrem in cribrum gerere«. Vierzig! Schluß. Ergebenster Diener des Herrn Lieutnants, zehn Hiebe bist du dabei zu kurz gekommen ... Küß' die Peitsche und marsch an die Arbeit! Und heul' mir hier nicht herum ...«

Zaremba, der solche häuslichen Strafvollziehungen nicht leiden konnte, wandte sich rasch den Empfangsräumen zu; Rustejko kam ihm atemlos nachgerannt.

»Ich habe die Frau Vizekämmerin benachrichtigt, sie ist noch im Schlafgemach. Vielleicht etwas Bier zur Abkühlung gefällig? Ist das eine Hitze, mein Wohltäterchen.« Er wischte umständlich an seiner schwitzenden Glatze. »Was habe ich für Ärger mit diesem Lumpenpack, da sollte Gott ein Einsehen haben. Wenn man nicht mit dem Kantschu kommt, verstehen sie nichts. Ich bitte den Herrn Lieutnant, mein Wohltäterchen, Platz zu nehmen! Aber meine Cousine hat diese Bande dermaßen außer Zucht gebracht, daß sie so wenig wie Bettlerpeitschen taugen. Schulen läßt sie für das Pack einrichten und siedelt sie auf Zinsrecht an! Hat man je so etwas gehört!« er schlug die Hände zusammen und blieb wie eine Bildsäule der Trauer stehen. »Es piepen da im Köpfchen, mein Wohltäterchen, die Spätzlein, ja das tun sie! Ich aber sage es jedem: der Stock, das ist der beste Lehrer für das Bauernpack! Aber jetzt sind Freiheiten, Revolutionen und so eine Art Philosophien Mode geworden. Und es gibt selbst solche dummen Alleswisser, die schon über allerhand Gleichheiten mit dem leibeigenen Volk predigen!«

»Ich danke Euer Wohlgeboren, ich gehöre gerade zu dieser Gattung,« bemerkte Zaremba boshaft, aber Rustejko, der sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen ließ, ging listig auf einen anderen Gesprächsstoff über, indem er eine lange Litanei der verschiedenartigsten Sorgen und Anekdoten von sich gab, die er alltäglich der Reihe nach seiner Umgebung aufzutischen pflegte. Er verstummte erst bei dem Erscheinen der Fürstin Kissiel und machte, daß er davonkam. Die Fürstin, eine entfernte Verwandte der Vizekämmerin, die seit ewigen Zeiten bei ihr auf Gnadenbrot saß, eine hagere Person, schief wie ein Ofenhaken, mit einem hakenförmigen alten Krähengesicht von fahlbrauner Farbe, war nach der Mode aus den Zeiten des letzten Sachsenkönigs gekleidet und duftete nach einem Gemisch von la Reine d'Hongrie und Kampfer. Mit einem nicht geringen Maß von Würde geleitete sie ihn, indem sie die Honneurs der Dame des Hauses machte, durch die weiteren Räume voller Vogelbauer und verschiedener Hunde, die sich überall auf Stühlen und Kanapees breit machten; diese ganze Gesellschaft erhob bei ihrem Auftauchen einen unglaublichen Lärm. Zaremba hielt sich die Ohren zu und sah sich verzweifelt nach einer Rettung um.

»Herr Lieutnant scheinen Gottes Geschöpfe nicht zu bewundern,« lispelte sie mit einem faden Stimmchen.

»Doch, zum Beispiel auf dem Spieß, im Ragout und in Tunken; gekocht, gebraten und geräuchert. Die lebendigen sind weniger nach meinem Geschmack,« lachte er derb.

»Schade, daß sich im Lagerleben nicht zartere Gefühle perfektionieren!« bemerkte sie mit einem beißenden Lächeln, während sie ihre scheußlichen, überfütterten Hündchen ans Herz drückte.

Aus der Verlegenheit erlöste ihn ein auftauchender Pajuke, der ihn zur Vizekämmerin entbot.

Er fand sie noch in ihrem riesigen Mahagonibett, in dem sie wie in einem wundervoll geschnitzten Boot ruhte, das, auf silberne Greifen gestützt, unter einem scharlachfarbenen, von vergoldeten Amoretten gehaltenen Betthimmel stand. Die goldigen Fenstervorhänge und Tapeten warfen einen lieblichen Schimmer in das Gemach zurück, in dessen Widerschein die Vizekämmerin ihm schöner als je erschien. Sie lag fast bis zum Nabel entblößt und schon mit dem Rüstzeug lieblicher Reize gewappnet – geschminkt und gepudert, wo es sich gehörte da; unter dem zierlichen Häubchen hervor ringelten sich neckische Haarlocken auf das schneeweiße Kissen herab, die leuchtenden Augen und die blutroten Lippen versprachen paradiesische Freuden, die goldige Bettdecke aus Seide verriet dabei recht verführerisch die Umrisse ihrer üppigen Gestalt. Sie schien ganz in die Besichtigung von Seiden, Spitzen und Stickereien versunken zu sein, die sich in wahren Hügeln auf dem Teppich zu Füßen des Prachtbettes häuften. Der vor einer Anzahl offener Kisten knieende Händler reichte ihr immer neue Herrlichkeiten hin und lobte dabei mit Feuereifer seine Ware. Der Mohrenjunge stand am Kopfende des Bettes mit Biskuits und der Morgenschokolade und blekte seine blendend weißen Zähne.

Als sie den eintretenden Zaremba gewahr wurde, tat sie sehr bestürzt und versuchte mit überkreuzten Armen die gar zu sichtbar hervortretenden Brüste zu bedecken, worauf sie die Anwesenden schleunigst entließ. Sie reichte ihm ihre reizend geformte Hand und befahl ihm, ganz nahe Platz zu nehmen.

Er setzte ihr das Ziel seines Besuches auseinander, und durch ihre Bitten in die Enge getrieben, erzählte er ihr die Ereignisse des nächtlichen Streifzuges. Nur den Auftritt mit Martin Zakrzewski verschwieg er.

»Mein ganzes Haus steht Euer Edlen zur Verfügung,« erklärte sie mit Wärme: »alles, was ich habe ... nehmt, was Ihr wollt und befehlt, als wäre es Euer. Nur im Soldaten erkenne ich das wahre Maß des Menschen!« rief sie und rühmte Heldenmut, Kampf- und Schlachtengetümmel; selbst die Schreie der Niedergemetzelten hatten für ihr Ohr noch eine berauschende Musik; das lärmende Lagerleben, die Feldzüge und Gefahren des Krieges waren ihr paradiesische Wonnen. Sie hatte sich derartig emotioniert, daß sogar ihre bloßen Füße unter der Decke zum Vorschein kamen, ihre Augen im lieblichsten Feuer erstrahlten und die Glut des erregten Blutes sie ganz übergoß. Das Temperament ging mit ihr durch wie bei einem edlen Roß, das den Klang der Schlachttrompete vernimmt. Er hatte sie so noch nie gesehen und schaute bewundernd in ihr glühendes Gesicht, was ihr dermaßen zu Kopf schlug, daß sie seine Hand ergriff, kaum mehr fähig, ihren plötzlich erregten Liebeseifer zu beherrschen.

Er hatte viel auszustehen, um sich der Verführungskünste zu erwehren und wie ein Klotz dazusitzen, taub auf ihr Geflüster, fühllos für die Gluten ihres Leibes, ihrer Blicke voll Liebkosungen, ihrer Berührungen, die wie Feuer brannten, ihrer hinsterbenden Bewegungen nicht achtend und ohne Verständnis für all die stummen und doch so beredten Verheißungen eines Liebesspiels.

Er tat, als begriffe er die Sprache der Liebelei nicht und spielte mit Vorbedacht den Tölpel. Bis sie schließlich voll dumpfen Zornes und getäuschter Hoffnungen nach der Dienerschaft klingelte.

Wie zur Strafe mußte er ihr noch bei der feierlichen Zeremonie des Strählens und des Aufbauens der Frisur Gesellschaft leisten, sie verabschiedete ihn selbst nicht, als die Kammermädchen begonnen hatten, sie vom Hemd an zu bekleiden; nur ein niedriger kleiner Paravan, außerstande, den reizenden Anblick zu verwehren, trennte ihn von der schönen Dame. Er hielt stand, war aber im Gesicht rot wie ein Thorner Ziegelstein geworden und über und über in Schweiß gebadet.

»Es muß heute draußen eine große Hitze sein?« bemerkte sie leise, sich vor Wut die Lippen beißend.

»Eine ganz außerordentliche Hitze!« ... versicherte er mit einem solchen Nachdruck, daß sie besänftigt auflachen mußte, und da sie ihn nur schüchtern glaubte, nahm sie sich vor, ihn sich allmählich gefügiger zu machen.

»Wir wollen zusammen Mittag essen und zum Vesper nehme ich Euer Wohlgeboren nach der Frau Hetmanin Ozarowska mit, dort werdet Ihr Kühlung genießen können. Erlaubt einmal, Euer Halstuch hat sich gelöst.«

Sie erdrückte ihn fast mit ihrem Busen und weidete sich an seiner Bestürzung und seinem Erröten.

Er nahm die Vespereinladung an, denn es entsprach seinen Absichten und der augenblicklichen Lage, sich heute möglichst überall sehen zu lassen.

Stein und Bein fluchend, verließ er ihr Haus und trieb sich trotz der unerträglichen Hitze in den verschiedensten Billardstuben und Speisewirtschaften der Stadt herum, wobei er eifrig umherhorchte, ob man schon etwas über Merecz erzählte.

Die Kunde schien sich noch nicht verbreitet zu haben, denn überall wurde mit großem Eifer nur über die preußischen Angelegenheiten geredet, die in allernächster Zeit im Reichstag zur Beratung kommen sollten, was Buchholtz durch seine Kreaturen und vor allem durch seine Taler recht eifrig zustande zu bringen suchte.

»Podhorski und Jozefowicz haben gestern eine recht ansehnliche Summe an den Reichstagsmarschall Bielinski im Kartenspiel verloren, das heißt, daß der Preußenkönig jetzt nicht umsonst große Ausgaben macht,« flüsterte einer der Allwissenden, der Schlachtziz Jankowski aus der Gegend von Oszmiany, in der Weinhandlung von Dalkowski seinem Nachbarn ins Ohr.

»Wer sich erdreisten dürfte, auf dem Reichstag für den Vertrag mit Preußen ein Wort fallen zu lassen, den sollte man einfach niedersäbeln!«

»Die allerhöchste Alliantin wird diesen preußischen Machenschaften schon eine Grenze ziehen, das werdet ihr sehen!«

»Damit sie sich selbst die Taschen vollstopfen kann.«

»Unsinn, verehrtester Wohltäter!« ließ sich darauf Jankowski leichthin vernehmen,« der Bischof Kossakowski plant doch ganz Litauen mit Rußland zu vereinen, um dann mit dessen Hilfe den Preußen die Zähne auszuschlagen, ihnen abzunehmen, was sie uns entrissen haben, und Kronpolen in seiner Unabhängigkeit zu befestigen.«

An einem der Nebentische, der dicht besetzt war, brach mit einemmal lauter Lärm aus und eine Stimme ließ sich plötzlich höhnisch vernehmen:

»Schukschta, Pukschta, Puciata, Lopatta.« Namen Litauischer Edelleute. In Polen wurden diese Namen als komisch empfunden, man machte von ihnen Gebrauch bei allerhand Hänseleien.

»Narr, Narr, Narr und Narrengevatter!«

Man hörte eine Faust auf den Tisch schlagen und sah einen Mann sich von seinem Platz erheben und auf die Tür zugehen, ohne auf die beleidigten Gesichter, drohenden Blicke und noch feindseligeren Worte zu achten, die ihm wie geschleuderte Steine nachflogen. Plötzlich wandte er den Kopf zurück und sagte herausfordernd:

»Und wen meine Worte jucken, dem sei jetzund die Meldung, daß ich Ruszczyc heiße und im Hause des Postamts, wo ich mich einquartiert habe, zur Verfügung eines jeden der wohlgeborenen Herren stehe.« Er ließ stolz seine Augen rollen.

Der Zank war aus einem Wortwechsel über politische Dinge entstanden, Zaremba wartete aber nicht mehr das Ende der Diskussion ab und fand sich alsbald, begleitet von der Vizekämmerin im Garten der Hetmanin Ozarowska ein, wo in einem riesigen, unter alten Bäumen aufgestelltem Türkenzelt sich eine erlesene Gesellschaft eingefunden hatte. Es wurde dort bereits von dem Überfall in Merecz geredet und behutsam flüsterte man einander die Neuigkeit zu, sich dabei herzlich über das Mißgeschick der russischen Begleitoffiziere erheiternd. Im übrigen hielt man den Vorfall für ein gewöhnliches Abenteuer.

Nur der Oberbefehlshaber Ozarowski, ein alter, listiger und in allerhand Intrigen wohlbewanderter Fuchs, zog andere Schlüsse aus dem Ereignis, denn er meinte, zum Grafen Ankwicz gewendet, der neben Woyna stand:

»Die Chose riecht mir nach einer viel bedeutungsvolleren Geschichte.«

»Hauptmann von Blum verfolgt die Ausreißer mit einer Anzahl Kosaken. Der wird sie das Paternoster singen lehren. Wer weiß, vielleicht machen sie schon unter seinen Peitschenhieben kehrt,« ließ sich einer der Offiziere aus dem Gefolge des Hetmans vernehmen.

»In wenigen Tagen wird sich die Wahrheit offenbaren! Was sollen wir uns das Vergnügen verderben!« entschied Graf Ankwicz, während er Woyna einhakte, mit dem er seit einer gewissen Zeit in besonders herzlichem Verkehr lebte. Sie näherten sich der Marquise Luhlli, die dicht umdrängt und leidenschaftlich umworben wurde, der Graf sollte sich ihrer besonderen Gunst erfreuen dürfen, was man in vertraulichen Gesprächen allgemein behauptete.

Man sprach nicht mehr über Merecz, die Gesellschaft war viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten und den Überraschungen des Gartenfestes beschäftigt.

Unter dem Zelt hatte gerade ein dicker Deutscher in weißer Perücke auf dem Klarinett zu blasen begonnen: er ließ geläufig seine feisten Finger über die Klappen huschen und blies auf dem Instrument, daß ihm seine roten Backen aufquollen, innige Triller, pfeifende Fiorituri und klagende Arietten stiegen zum Himmel empor; man belohnte ihn mit rauschendem Beifall, denn er wurde durch Sievers protegiert, in dessen Privatgemächern er häufig spielte. Die Mehrzahl der Gesellschaft, der Ungebundenheit den Vorzug gebend, hatte sich in den kühlen, schattigen Lauben, Gängen und Lustgehölzen zerstreut. Aus allen Enden des Gartens ließen sich angeregte Stimmen und Ausbrüche von Fröhlichkeit vernehmen.

Zaremba, der sich schlecht aufgelegt fühlte, war diese Gartengesellschaft eine schwere Pflicht, denn die Gäste langweilten ihn, die Musik verursachte ihm Übelkeit und das verliebte Girren reizte ihn ebenso sehr wie die Ausführungen der Politiker. Dennoch hielt er mutig stand, zeigte ein lustiges Gesicht und umschwärmte eifrig die Damen, denen er allerhand Artigkeiten und pomphafte Komplimente zuflüsterte. Die Hetmanin Ozarowska nahm ihn unter ihren besonderen Schutz. Der Arme mußte dabei weidlich schwitzen, für alle Sünden seines Lebens hätte wohl diese Prüfung ausreichen können, doch er harrte auf seinem Posten aus, wodurch er sich ihre besondere Gunst erwarb ...

Schließlich erbarmte sich Woyna seiner und befreite ihr: aus dieser Bedrängnis, indem er ihn unter irgend einem Vorwand beiseite nahm.

»Dieses alte ausgesessene Kanapee ist ja heute rein toll auf dich geworden.«

»Sie verspricht, mich für den Hetmansstab zu protegieren,« lachte dieser.

»Diese Charge würde dir doch etwas teuer zu stehen kommen. Das Weib ist ganz ranzig. In Liebeskünsten hat sie aber eine große Experienz. Manch einer könnte darüber allerlei erzählen ...«

»Sie würde sich ganz gut als Marketenderin für ein Regiment eignen.«

»Abends wird jetzt beim Grafen Ankwicz gespielt. Möchtest du dich nicht dort mit Frau Fortuna messen?«

»Ich weiß nicht, ob meine Munition für einen solchen Kampf reichen würde ... Und außerdem sind das allzu hohe Türschwellen für unsereins.«

»Ein voller Säckel füllt die größten Abgründe aus; das Pharao vermag die Stände besser auszugleichen, als sich das die Herren Philosophen hätten träumen lassen! Was ist denn das in Merecz für eine Geschichte gewesen?«

»Hast du etwas darüber gehört?« er wandte seine Augen schnell ab. »Die Einzelheiten kenne ich nicht.« Woynas Frage verwunderte ihn.

»Mensch, wie hast du dein Halstuch umgebunden? Wenn das Graf Ankwicz oder der Narbutt sehen sollten, wärest du einfach kompromittiert und als Sansculotte erklärt.«

»Ich mach' mir nichts aus den Meldungen solcher Muscadins Muscadins nannte man zur Zeit der französischen Revolution die Aristokraten. Wörtliche Bedeutung dieses Namens ist »Bisamdufter«. Hast du die Kammerherrin gesehen?«

»Sie ist nicht erschienen. Voraussichtlich muß sie zu Hause ihre Trauer um Zubow absitzen,« er ahnte nicht, wie sehr er ihm mit dieser Bemerkung weh tat. »Hast du es gesehen, welch zärtliche Freundschaft der Onkel Kastellan für den Fürsten Cycyanow an den Tag legt? Das macht schon von sich reden und man beginnt daran allerhand Vermutungen zu knüpfen!«

»Ich bin beim Kastellan in Ungnade gefallen und sehe ihn jetzt nur noch aus der Ferne.«

»Willst du mit mir zum Grafen Ankwicz? Wir könnten da halbpart spielen.«

»Eines Tages will ich dich darum bitten,« er neigte sich seinem Ohr zu: »wenn du etwas Wissenswertes über die Geschichte in Merecz hören solltest, dann merke es dir gut und teile es mir mit. Ich bitte um Verschwiegenheit und versichere dasselbe meinerseits.« Er verließ sich ganz auf seine Ehrlichkeit.

»Ich habe mir sofort gedacht, daß du mit dieser Sache im Zusammenhang stehen mußt. Es ist schon gut, nämlich nirgends kann ich mehr erfahren als bei Ankwicz.« versicherte er und streckte ihm seine Hand hin, denn es nahte gerade die Vizekämmerin in voller Majestät mit ihrem unzertrennlichen Mohren zur Seite.

»Paß nur auf, daß du nicht einmal schwarz und weiß gestreifte oder karrierte Kinder bekommst!« fügte er noch lachend hinzu.

Es war schon nach Sonnenuntergang, der Himmel stand in purpurnen Feuersbrünsten, was für den nächsten Tag Hitze und windiges Wetter verkündete, und die Dämmerung spann sich schon sacht über die Erde hin, als sie nach dem Haus der Vizekämmerin fuhren.

Zaremba drängte zur Eile in der Hoffnung, daß er dort Kasper finden würde.

Dieser war noch immer nicht eingetroffen. Anstatt dessen wartete auf die Frau Vizekämmerin der Hauptverwalter ihrer Güter, die im kaiserlich österreichischen Kordon lagen, er hieß Siedlecki und war ein hagerer Schlachtziz mittelmäßigen Aussehens mit einem dünnen Bärtchen und einer Brille auf der Nase; er trug polnische Tracht und war sehr einsilbig; Ehrlichkeit und Verstand schauten aus seinen Augen. Die Vizekämmerin schloß sich mit ihm in ihrer Kanzlei ein und überließ Zaremba den bissigen Sticheleien der Fürstin Kisiel, den Anekdoten von Rustejko und dem Lärm der Hausmenagerie. Er ertrug auch dieses, von dem vergeblichen Warten ganz in Anspruch genommen und blieb sogar noch zum Abendessen da, welches recht angeregt verlief, dank Siedlecki, der sich als ein Mann von guten Manieren und reichem Wissen offenbarte; er hatte auf der Krakauer Akademie studiert, durch schwere Schicksalsschläge sein Vermögen verloren, sich aber dafür ein freieres Urteil, Witz und einen sanften Gleichmut bewahrt. Er gab allerhand komische Zusammenstöße zwischen den Galiziern und den kaiserlich österreichischen Beamten zum besten, besonders erzählte er davon, wie der weit und breit bekannte Sohn des Wojewoden von Gozda sie zu behandeln pflegte. Er sprach mit wenig Respekt über die österreichischen Verwaltungsbehörden, doch die Meinungen, die er selbst hegte, verriet er nicht, trotz Zarembas Versuchen, ihn auszuhorchen. Um zehn Uhr wurde er schließlich von Rustejko zur Ruhe geleitet, denn er hatte den Weg von Krakau ohne eine Unterbrechung zurückgelegt.

Auch Zaremba hatte sich erhoben, mit der Absicht, zu gehen. Die Vizekämmerin aber ließ ihn nicht fort und nachdem sie ihn in ihre Kanzlei geführt hatte, wies sie ihm die aufgeschlagenen Geschäftsbücher.

»Haben Euer Wohlgeboren Mitleid mit mir und stehen mir bei! Wie soll ich armes Frauenzimmer mit solchen Zahlen fertig werden! Man raubt mich aus, betrügt mich und gewiß bringen mich die Leute einmal an den Bettelstab, denn es gibt niemanden, der sich für die alleinstehende Frau einsetzen würde oder für sie sorgen wollte!« klagte sie, als er sich aber an die Durchsicht der Bücher gesetzt hatte, war sie ihm bei der Arbeit mit vieler Gewandtheit behilflich und verriet dabei einen nicht alltäglichen Verstand und eine vorzügliche Kenntnis der Verwaltung. Er wurde erst beim ersten Hahnenschrei fertig, nachdem er alles bis zum letzten Heller in Ordnung gefunden hatte. Sie dankte ihm mit großer und einnehmender Würde, wobei sie sich maßvoll über ihre Unfähigkeit, einen so großen Besitz zu verwalten, beklagte.

Er war derartig übermüdet und durch die Ereignisse der vergangenen Nacht sowie des darauffolgenden Tages erschöpft, daß er Mathies die Zügel gab und schon im Fahren in tiefen Schlaf verfiel, trotz der ausgefahrenen Löcher im Straßenpflaster und des Schwankens und Stoßens der Kariole. Er bemerkte nicht einmal die vermehrte Zahl der Ronden und die Patrouillen, die die Straßen der Stadt durchzogen. Zu Hause wartete seiner schon eine Aufforderung, sich beim General Dzialynski, dem Chef der Verschwörung, einzustellen, kaum hatte man also die Mette im Bernardinerkloster eingeläutet, als er schon nach dem Oginskischen Palais eilen mußte. Er wurde dort vom Chef, von dem Obersten Jasinski und von A. Kosinski, dem »Kriegskommissar« des Quartiermeisters Prozor, erwartet. Dzialynski ließ sie sofort an die Ausfertigung von Instruktionen für die abreisenden Abgesandten der Verschwörung gehen und die erforderlichen Listen in bezug auf die Herbeischaffung von Vorräten und Menschen, Versammlungspunkte und Bewaffnung der Bauern ausfertigen. Die Listen der der vaterländischen Sache ergebenen Gutshöfe, welche nach den Landschaften aufgezählt waren und die Pläne der Verteilung feindlicher Besatzungen, der Verbindungen und Postgelegenheiten wurden besonders ausgefertigt. Man rechnete nämlich mit dem Aufstand für Anfang September. Den Generalplan des Aufstandes entwarf der General Kosciuszko in Leipzig gemeinsam mit Ignatz Potocki, Pater Kollontaj, Weyssenhoff und anderen Patrioten, er sollte auch den Tag und den Ort des Ausbruchs bestimmen.

Sie arbeiteten ganze drei Tage, trotz der außerordentlichen Hitze in einem kleinen Gemach des Palais', indem sie sich nur notdürftig mit dem Allernotwendigsten stärkten und auf ihren ausgebreiteten Mänteln schliefen. General Dzialynski selbst bediente sie mit seiner Ordonnanz und versäumte dabei nicht, mehrmals täglich die neuesten Nachrichten aus der Stadt und aus dem Reichstag zu bringen. Gleich am ersten Tag berichtete er ihnen über die Gerüchte, die bezüglich Merecz im Umlauf waren.

Daraufhin gestand Zaremba seine Beteiligung an der Sache und erzählte ihnen alle weiteren Umstände Für den Chef war diese Nachricht wenig erbaulich, Leutnant Kosinski jedoch errötete vor Genugtuung und der Oberst Jasinski, der dem Abenteuer nicht ganz fern stand und eine lebhafte Einbildungskraft besaß, rief begeistert:

»Euer Wohlgeboren würden selbst dem Sievers eine ganze Armee vor der Nase wegschnappen!«

»Wenn man mir den Befehl dazu erteilte ...« entgegnete Zaremba, nicht ohne ein wenig zu prahlen. »Ich muß aber dem Hauptmann Kaczanowski Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß es hauptsächlich sein Verdienst gewesen ist.«

»Der würde selbst den Teufel anführen! Wenn sie nur nicht aus seine Spur gelangen ...«

»Ich bewundere den ritterlichen Geist, aber mein Lob muß ich vorenthalten!« ließ sich Dzialynski mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck vernehmen.

Es fehlte die Zeit zu längeren Auseinandersetzungen in dieser Angelegenheit.

Am folgenden Nachmittag erschien jedoch Dzialynski ganz aufgeregt.

»Wißt ihr was? Die Russen haben die Begleitoffiziere degradiert und die Gemeinen Spießruten laufen lassen. Man spricht schon von Kaczanowski. Rautenfeld ist außer sich, er ist schon in dieser Angelegenheit bei Sievers gewesen. Der Hetman Kossakowski hat dem Hauptmann von Blum eine Schwadron zur Hilfe nachgeschickt und hat auf eigene Hand eine ganze Koppel Spione losgelassen. Er bringt es noch fertig, daß er die Unglückseligen aufstöbert und durch sie würde er auch zu Eurer Haut, mein Lieber, gelangen.« Er war sehr besorgt.

»Billig werden sie mich nicht bekommen,« entgegnete Zaremba, durch diese Aussichten unangenehm berührt.

Dzialynski hörte jedoch nicht auf, sich um seine Sicherheit zu sorgen, denn nach beendeter Arbeit und schon kurz vor seiner Abreise aus Grodno sagte er ihm abermals:

»Ich rate Ihm, die Sachen zu packen und die Stadt schnellstens zu verlassen. Rautenfeld hat gesagt, daß er nicht ruhen wird, bis es ihm gelingt, Kaczanowski und seine Gefährten nach Sibirien zu schicken. Das hat mir Miroslawski mitgeteilt, er weiß es vom Hetman Ozarowski selbst. Meine Erlaubnis hat Er, krieche Er doch irgendwo für einen Monat auf dem Lande unter, in Kronpolen werden sie es überdies nicht wagen, Ihn zu belästigen.«

Zaremba verstand wohl das Gefahrvolle seiner Lage, doch ohne die Nachricht über Kasper wollte er Grodno nicht verlassen, auf diese Nachrichten wartete er schon den sechsten Tag und wurde immer mehr beunruhigt. Nicht weniger Sorgen bereitete ihm sein eigenes Schicksal, darum begann er sich sofort nach der Abfahrt Dzialynskis überall zu zeigen, wo es anging. Er tauchte ganz frech auf einer der Mittagsbewirtungen bei Sievers auf und gab sich nicht ohne Abscheu mit den elendesten Söldlingen ab. Er bemühte sich um die Gunst der Hetmanin Ozarowska, indem er ihr treu bei ihren Ausfahrten Gesellschaft leistete. Auch eine Einladung zur Marquise Luhlli hatte er sich verschafft, bei der nur ganz wenige Auserlesene verkehrten, sehr hoch gespielt wurde und ein Ton herrschte, welcher der Würde einer königlichen Buhle entsprach. Und fast als Hausgenosse wurde er schon von der Gräfin Camelli betrachtet, in deren Räumen sich der Abschaum allerhand Abenteurervolkes versammelte, bei der Littleplay regierte, Boscamp sich breit machte und zuweilen selbst Sievers, der Bewunderer ihrer herrlichen Stimme, zu sehen war. Eines Abends stattete er auch dem Fürsten Cycyanow auf der Horodnica einen Besuch ab. Der Fürst schien ebenso herzlich wie immer, bewirtete ihn mit seinem »Tschaj« Tschaj bedeutet auf russisch = Tee., machte ihm Geständnisse über seine Amouren und seine neue Aussöhnung mit Isa, doch eine vorsichtige Andeutung des Abenteuers von Merecz schien er zu überhören. Das kam Zaremba bedenklich vor. Er muß irgend etwas argwöhnen! sann er und suchte vergeblich in den blassen, toten Fischaugen des Fürsten und in seinen freundlichen, lächelnden Zügen die Wahrheit zu lesen. Er fand sich auch auf einem Sonntagsempfang beim Bischof Kossakowski ein. Und wieder überkam ihn das jähe Gefühl der Angst, denn der Bischof ließ ihn, indem er ihn ganz besonders ausgezeichnet hatte, neben sich Platz nehmen und fragte ihn unvermittelt, was man in der Stadt über Merecz erzählte. Er sah ihn dabei so durchdringend an, daß man annehmen mußte, er ahnte etwas. Zaremba fühlte ein inneres Beben unter diesem lauernden Basiliskenblick, doch sofort wieder Gewalt über sich gewinnend, faßte er den kecken Plan, den Bischof zum besten zu halten. Er begann also vorsichtig und auf Umwegen ihm darzulegen:

»Ich habe über diese Geschichte so viele Versionen gehört, daß ich nicht weiß, welcher man eigentlich Glauben schenken dürfte.«

»Das ist kein Wunder. Die beunruhigte Allgemeinheit spinnt sich allerhand Grillen zurecht, sucht nach den Schuldigen und fordert ihre Bestrafung. Ein Überfall auf die Soldaten der Imperatorin, das ist keine Kleinigkeit. Sie haben dabei der russischen Staatskasse nahezu fünfzigtausend Dukaten geraubt! Kennst du vielleicht einen gewissen Hauptmann Kaczanowski?« forschte er aus dem Hinterhalt.

»Ich weiß nur soviel von ihm, daß er ein Vertrauter von General Dzialynski, ein Kartenspieler, Säufer und Schwindler ist.«

»Dzialynski wird ihn doch nicht auf Raub ausgesandt haben,« wies der andere empört zurück.

»Das würde ich nicht einmal zu vermuten wagen, ich sage bloß, als was für einen ich den Kaczanowski kenne. Dessen Streich wird das nicht gewesen sein. Man redet ziemlich einstimmig, daß die ganze Geschichte die Werber des Preußenkönigs ausgetiftelt haben. Es scheint kaum wahrscheinlich zu sein ...«

»Die Werber des Preußenkönigs,« er versann sich betroffen. »Weißt du was, daß dieses Gerücht nicht so sinnlos ist? Man müßte sich die Sache durch den Kopf gehen lassen.«

»Es kam doch auch schon vor, daß man in Warschau die Soldaten einfach aus der Kaserne stahl,« schob ihm Zaremba listig unter. Bei dem Transport sollen, wie man sagt, dreihundert Rekruten gewesen sein, das ist ein fetter Bissen für die Werber und ein ansehnliches Stück Geld. Der preußische König hat niemals mit Ausgaben für sein Militär geknausert. Sie haben sich wohl die ganze Geschichte schlau zurechtgelegt und den Verdacht auf die anderen geschoben.«

»Vielleicht haben sie das von Kaczanowski auch gelogen, um Sand in die Augen zu streuen?« versuchte er vorsichtig Kaczanowski zu verteidigen.

»Er ist doch aber aus Grodno mit den Begleitoffizieren als ihr Kamerad und Kumpan abgefahren, hat sie in Merecz alle betrunken gemacht und sich beim Überfall irgendwohin getan.«

»Er wird seinen Lohn empfangen, wenn sie ihn fassen,« bemerkte Zaremba kalt, indem er dem Bischof scharf in die Augen sah.

»Und mit vollem Recht, denn für so einen kann es nicht genug Strafe geben. Seinetwegen wird sich der Abmarsch der russischen Regimenter wieder verzögern,« sagte er mit einer gemacht wehmütigen Betonung. »Sievers wird sich damit entschuldigen, daß Sicherheit und Ruhe im Lande noch nicht wiederhergestellt sind. Du hast mir aber einen Keil mit deinen preußischen Werbern eingetrieben. Was ist dir denn noch in dieser Hinsicht bekannt?«

»Ich müßte dann schon sagen, daß auch Buchholtz dieser Intrige nicht fern sein soll,« wagte er sich immer weiter vor: »es sollen in Grodno auch in letzter Zeit die preußischen Taler etwas reichlicher geflossen sein.«

»Das ist schon ein bloßes Gerede. Der preußische König wird bei uns keine Anhänger finden, selbst wenn er seinen mageren Säckel lockern sollte,« entrüstete er sich und versuchte Zaremba noch weiter zu Geständnissen zu veranlassen.

»Man nennt schon die Namen der Betreffenden ... Irgend einer soll sogar eine Liste in Umlauf gebracht haben ...«

»Das sind niederträchtige Verleumdungen, wie so manche anderen auch. Wenn ich die Namen dieser Katone wissen könnte, die die Würdigsten in ihren Schmähschriften mit Schmutz bewerfen, würde ich viel dafür geben,« er blickte ihn erwartungsvoll an. »Ich würde sehr viel dafür geben ... Hast du keine Ahnung, wer das sein könnte?«

»So wahr ich lebe, habe ich bis jetzt noch nicht einen dieser Schreiber gesehen,« redete er sich heraus, den Offenherzigen spielend.

»Es wird gewiß wieder einer der Kläffer aus der Märchenschmiede des Pater Kollontaj in Dresden sein,« er schien wieder begütigt, reichte ihm die Hand zum Kuß und fragte ihn recht freundschaftlich: »Wann werde ich dich wohl in meiner Kanzlei zu sehen bekommen? Du scheinst keine große Eile mit der Arbeit zu haben. Es schmecken Ihm die Gelage, Amouren, Karten, wie? Woyna hat mir schon erzählt, wie du es treibst!« lachte er und drohte ihm gnädig mit dem Finger. Zaremba versprach, nach einigen Tagen zu erscheinen und verließ den Bischof, sich feierlich zuschwörend, die Schwelle dieses Palastes niemals wieder in seinem Leben zu überschreiten.

So wanderte er denn nun von einer Stätte der Vergnügungen, Gelage und Unterhaltungen zur anderen, besuchte die Gesellschaften, wo man bei den Spielkarten saß und war überall zugegen, wo er nur glaubte, etwas über Merecz hören zu können, so sehr bedrückte ihn die Ungewißheit über die Schicksale von Kaczanowski, Kasper und den vielen befreiten Rekruten. Allenthalben im wildesten Treiben tauchte er auf und machte laut von sich reden zum Erstaunen aller, die seine hohe und strenge Gesinnung und seine heiße Vaterlandsliebe kannten. Die Zelanten, denen er ab und zu bei Zielinski oder bei der Vizekämmerin begegnete, sparten nicht mit ihrem Tadel und fanden seine schwelgerische Lebensweise gänzlich unpassend.

»Wer sich mit Spreu abgibt, den fressen die Schweine,« sagte ihm einmal der Bote Krasnodembski ohne Umschweife.

»Denn mit wem einer verkehrt, dessen ist er wert!« fügte der Bote Skarzynski mit väterlichem Ernst hinzu und warnte ihn vor dem befrackten modischen Gesindel.

Da er ihnen die Gründe nicht verraten konnte, dankte er für den Rat, ohne Besserung zu versprechen, und tauchte immer tiefer in den Vergnügungsstrom des Grodnoer Lebens unter, mit immer größerer Anruhe auf die Wiederkehr Pater Seraphims und Kaspers oder wenigstens auf eine Nachricht von ihnen harrend.

Eines Tages machte er nach einem schweren inneren Kampf einen Besuch im Hause des Kastellans.

Im Empfangszimmer traf er nur Terenja und Martin Zakrzewski; der Leutnant saß inmitten des Zimmers mit weit von sich gestreckten Beinen und ausgebreiteten Armen da, die er als eine Art mit gelbem Seidengespinst umwickelte Haspel vor sich hielt, während Terenja die Seide zu kleinen Knäueln rollte.

»Seht mal. Euer Gnaden haben sich auf uns besonnen!« hieb sie sogleich auf ihn ein. »Verteidigen Sie sich nicht, wir wissen, wie sehr Euer Gnaden mit Bällen, Assembleen und so weiter in Anspruch genommen sind, jaja ...«

»Hat denn das Fräulein Oberstentochter nicht genug an einem Leutnant als Schutzwache? Jeder sucht, wo er etwas für sich zu finden hofft. Das gnädige Fräulein hat doch um mich nicht eine einzige Träne vergossen?«

»Dafür tun es andere, wenn sie Euer Wohlgeboren nicht jeden Tag zu sehen bekommen,« plapperte sie und rollte die Seide mit großer Behendigkeit weiter auf. »Alle Damen haben schon etwas über die Amouren, Abenteuer und Erfolge von Euer Gnaden zu flüstern! Paß auf, Martin, sonst kriegst du ein paar über die Finger!« drohte sie dem Verlobten, der eine völlig harmlose Handbewegung gemacht hatte.

Bald tauchte der Kammerherr in der üblichen Begleitung seines Kubusch, der Medizinflaschen und Umschlagtücher auf und begrüßte ihn unter kläglichen Seufzern mit sichtbarer Herzlichkeit. Dann kam die Kastellanin ins Gemach, noch trauriger, stiller und versonnener als je und wie in jenseitige Fernen verloren, und hinter ihr her schob sich wie ein weißer Schatten der spanische Mönch durch die Tür, dessen papiernes Gesicht mit den schwarzen Augenabgründen und dem Ausdruck eines grabentstiegenen Lazarus geeignet waren, Schreck einzuflößen. Erst als es schon dämmerte und die Diener die Kronleuchter angezündet hatten, erschien Isa. Zaremba hätte fast vor Überraschung aufgeschrien, so seltsam verwandelt schien sie ihm – sie kam herein mit einem sanften, melancholischen Lächeln, in dunklen, schleppenden Gewändern und mit Augen einer Nonne, die himmlische Gesichte hat, und war dabei so entzückend, so hoheitsvoll und hinreißend in ihrer stolzen Schönheit, daß alle Blicke ihr stumme Bewunderung zollten.

Du Jahrmarktswunder! Du Lügengottheit! Du Soldatenaphrodite! sprachen Zarembas verächtliche Augen, dennoch blieb er, obgleich er es eilig hatte, den ganzen Abend da. Mit einer maßlosen Neugierde betrachtete er Isa, die nur höheren Dingen zugetan schien und sich ausschließlich an einem Disput zwischen der Kastellanin und dem Mönch beteiligte, welche über schwer verständliche Stellen aus den Schriften der heiligen Therese sprachen.

»Sie hat sich jetzt mit Theologie geschmückt wie mit einem Modekleid,« raunte er Martin zu, dieser aber sah nichts, was um ihn vorging, derart war er mit Terenja beschäftigt. Auch der Kammerherr erfüllte ihn mit Neugierde durch die höhnischen Blicke, die er seiner Frau und dem Mönch zuschleuderte und durch sein öfteres heimliches In-sich-hineinkichern. Er schien sich über diese neue Komödie, die mit viel Geschick und einer feierlichen Andacht gespielt wurde, zu amüsieren. Aber Zarembas Staunen wuchs noch durch das Verhalten des Kastellans, der sich zum Abendessen eingefunden hatte und ihm die Hand reichte, als wäre zwischen ihnen nichts vorgefallen, er berührte mit keinem Wort die bewußte Angelegenheit und erst beim Weggehen meinte er zu Zaremba gewandt:

»Deine Mutter ist mich in einem Brief angegangen, ich sollte dich zum schnellen Verlassen von Grodno antreiben. Man sehnt sich nach dir zu Hause.«

Diese Worte waren mit einer solchen Betonung ausgesprochen, daß er sie als Warnung vor einer Gefahr auffassen mußte. Er überlegte sie sich recht aufmerksam und merkte mit dem untrüglichen Instinkt eines Verschworenen und Soldaten, als er wieder auf der Straße war, daß hinter ihm verdächtige Menschen hergeschlichen kamen. Es waren keine Männer von der Polizei des Marschalls, denn der Überfall in Merecz unterlag auch seiner Botmäßigkeit nicht und war im übrigen schon wieder aus der Liste der Tagesgespräche verschwunden, da das allgemeine Interesse sich der viel wichtigeren Frage des Vertrages mit Preußen zugewandt hatte. Es konnten also nur die Spürhunde des russischen Gesandten sein, was die Möglichkeit eines drohenden Überfalls und einer plötzlichen Fortschaffung Gott weiß wohin zuließ. Daß er darin keinem Irrtum unterworfen war, bewies ihm alsbald ein Vorfall, der sich während seiner Begegnung mit dem Hauptmann von Blum auf der Abendgesellschaft beim Grafen Ankwicz ereignete, zu welcher er sich noch in dieser Nacht eingefunden hatte.

Er kam ziemlich spät, als schon in allen Sälen gespielt wurde, und die erste Person, die ihm entgegentrat, war von Blum, der zuerst tat, als sehe er ihn nicht, nach einer Weile aber sich ihm unter herzlichen Begrüßungsworten näherte um ihm allerlei Geständnisse über seine Jagd auf die Flüchtlinge von Merecz anzuvertrauen. Er gab ihm zu verstehen, daß er ihnen mit Absicht nicht allzusehr auf den Fersen gesessen habe, um ihnen dadurch Gelegenheit zum Entkommen zu geben, dabei lobte er die Tüchtigkeit und Findigkeit von Kaczanowski.

Zaremba ging nicht auf diese hinterlistige Ausfragung ein, gähnte nur zur Antwort und versicherte, daß es besser wäre, hinter Frau Fortuna an einem der grünen Tische herzujagen, wo das Pharaospiel schon im vollen Gange war. Er wußte nun, daß man den Verdacht auf ihn gelenkt hatte. Es durchlief ihn kalt bei diesem Gedanken, aber er setzte sich zum Spiel nieder und spielte mit außergewöhnlichem Schwung und mit viel Erfolg, ohne auf die häufigen und forschenden Blicke von Blums zu achten.

Die Abende bei Graf Ankwicz zeichneten sich durch eine wohlgewählte Gesellschaft von Spielern und Prassern, durch ein hohes Spiel und eine fürstliche Bewirtung aus. Es waren nur Männer zugegen, die Honneurs machte Graf Ankwicz selbst, bis alle an den Spieltischen versammelt waren. Man spielte gewöhnlich bis zum frühen Morgen und manchmal selbst noch länger.

Es war schon heller Tag, man reichte kalte Speisen herum und ein Teil der Spieler war schon dabei, sich zu verabschieden, als auch Zaremba sich hinausstahl; durch ein eigentümliches Zusammentreffen kam ihm von Blum vor dem Palais entgegen, und da es trotz der frühen Tagesstunde nach Gewitter aussah und die Blitze aus den drohend zusammengeballten Wolken zuckten, hatte er darauf bestanden, ihn nach Hause zu bringen. Unterwegs plauderten sie freundschaftlich und trennten sich im besten Einvernehmen.

Nicht ohne Grund hat mir dieser seine Artigkeiten erwiesen. Vielleicht wollte er auch nur meine Wohngelegenheit aus kundschaften!« überlegte er mißtrauisch noch beim Betreten seiner Wohnung. Welche Freude erfüllte ihn jedoch mit einemmal! Auf seinem Bett fand er den Almosenpater schlafend liegend; so wie er angekommen war, in der Reisekutte und in hohen Stiefeln hatte er sich hingeworfen, beim Knarren der Tür jedoch war er sofort aufgesprungen. Es klärten sich alsbald auch die Umstände seiner Verspätung auf. Es war ein Wunder, daß Kasper nicht unterwegs auf dem rüttelnden Wagen sein Leben gelassen hatte, er mußte ihn bei einem bekannten Bauer unterbringen und später, als von Blums Kosaken die Umgegend im weiten Umkreis um Merecz herum zu durchstöbern begonnen hatten, wurde es nötig, auf Umwegen und immer wieder wie ein verfolgter Fuchs die Fährte wechselnd, sich weiter zurückzuziehen und in den Wäldern in Köhlerhütten Zuflucht zu suchen. Er erzählte recht frisch, eine verwegene Unternehmungslust und eine durch keinerlei Widerwärtigkeiten bezwungene Tatkraft leuchtete aus seinen Augen.

Zaremba suchte sein Lager nicht mehr auf, er schlich sich auf Umwegen, um der Aufmerksamkeit der Späher zu entgehen, ins Haus der Vizekämmerin. Der ins Geheimnis einbezogene Rustejko führte ihn zu Kasper. Die Freude des guten Jungen war unbeschreiblich, er wollte sofort mitkommen und wünschte sich so schnell wie möglich weit von Grodno fort. Aber der herbeigeholte Arzt wollte nichts davon hören, nachdem er seinen Zustand einer genauen Prüfung unterzogen hatte.

»In zwei Wochen vielleicht, nicht eher! Sonst kann ich nicht für sein Leben bürgen!« versicherte er.

Kasper weinte und bat, man möchte ihn sofort weiterfahren lassen, er war aber derart erschöpft durch die Strapazen und seine Wunde, daß er sich nicht mit eigener Kraft vom Lager erheben konnte.

Es war also ohne eine Gefährdung seines Lebens nicht daran zu denken, ihn fortzuschaffen.

Nach einer Unterredung mit der Vizekämmerin blieb es dabei, daß der Kranke unter ihrem Schutz bis zum Eintritt einer ausgesprochenen Besserung bleiben dürfte, danach habe Pater Seraphim sich seiner anzunehmen, Zaremba beabsichtigte aber am nächsten Morgen abzureisen, sobald die Schlagbäume der Stadt geöffnet würden.

Manche Träne floß aus den schönen Augen der Vizekämmerin, viele innige Geständnisse und heiße Seufzer wurden laut, als die Stunde des Abschieds herankam.

Sie tröstete ihr bedrängtes Herz mit der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens in Warschau. Er aber war schon ganz im Fieber der Abreise, hatte es eilig, aus Grodno in die freie weite Welt hinaus zu entkommen, noch stärker aber drängte es ihn nach Hause zu den Seinen. Er befahl dem Stallburschen Pietrek das Reisegepäck fertigzumachen, um noch vor Nacht das andere Ufer des Njemenflusses zu erreichen, wo er auf ihn in der Schenke hinter dem Franziskanerkloster warten sollte, in welchem sich ein heimliches Quartier der Verschworenen und ihre Post befand. Mathies sollte mit dem Reisewagen und einem Pferdegespann zurückbleiben. Nach Erteilung dieser Befehle eilte Zaremba trotz dem Gewitter, das über der Stadt tobte, trotz Dunkelheit, Sturm und Blitzen, die in dichten Abständen einander folgten, nach den Krambuden und Läden, um Gastgeschenke für die Seinen zu kaufen. Er hatte dabei mit dem Geld nicht gespart und auch keinen vergessen. Mit fast kindlicher Freude packte er seine Schätze in die Kisten, im voraus schon die Freude der in der Heimat Beschenkten genießend.

Er beschloß abzureisen, ohne von irgend einem seiner Bekannten Abschied zu nehmen, erst von zu Hause aus Grabow wollte er einige Entschuldigungsbriefe absenden, gegen Abend jedoch schickte der großlitauische Quartiermeister Prozor, der sich durch allerhand Umstände zu der Versammlung der Verschworenen verspätet hatte, zu ihm und bat um einen Bericht über die Sitzung. Unglücklicherweise waren alle Eingeweihten bereits abgereist, selbst der Oberst Jasinski weilte nicht in Grodno, so mußte er denn, ob er wollte oder nicht, seine Pflicht erfüllen.

Der Vizekanzler K. Prozor, der großlitauische Quartiermeister, war nämlich die Hauptsäule der aufständischen Partei und der erste Anreger zu einer bewaffneten Empörung. Er galt außerdem als ein sehr gebildeter, mächtiger Herr und ein Mann von ungewöhnlichen Charaktereigenschaften und einem großen Ruf in ganz Litauen, um dessen Geneigtheit sich selbst die Imperatorin bemühte, ihn aber vergeblich durch verlockende Versprechungen und Ordensverleihungen umzustimmen getrachtet hatte, das Glück und die Freiheit des Vaterlandes setzte er über alle Ehren und opferte ihm seine ganze Seele, sein Leben und sein sehr beträchtliches Vermögen. Unter der Zahl der damaligen Herrchen und Magnaten, die wie ein Haufen Geier, Raben und Schakale die am Boden liegende Republik zerfleischten, schien er der einzige Adler zu sein, der ihr Dasein mutig verteidigte.

Zaremba verbrachte mit ihm einige Stunden und kehrte erst am Abend heim. Der Pferdebursche Pietrek war bereits mit seinem Wagen fort, Mathies reichte ihm ein Brieflein, das wie ein gewöhnliches Billetdoux aussah und angenehm duftete, aber einen ganz ungewöhnlichen Inhalt hatte: »Fliehe sofort, eine Gefahr droht dir!« – Ti voglio bene – stand darunter anstatt der Unterschrift. »Irgend ein Mann hat ihn gebracht, von wem hat er nicht gesagt, er ist schnell wieder fortgegangen,« erläuterte Mathies.

Die Warnung war so deutlich und zugleich freundschaftlich gehalten, daß er, ohne darüber zu grübeln, woher sie kam, ihr ohne weiteres vollen Glauben schenkte. Es war dringend nötig, sofort abzureisen, aber die Uhr schlug gerade neun und um acht schloß man bereits die Schlagbäume von Grodno. Es war also für diesen Abend schon zu spät. Er ging hin, Pater Seraphim um Rat zu fragen.

Draußen war es stockdunkel, der Regen goß in Strömen, ein Sturm tobte durch die Straßen und grelle Blitze zuckten durch die Gewitternacht.

In der Zelle war es dunkel, der Mönch kniete im inbrünstigen Gebet am Boden.

»Es bleibt Euch nichts übrig, als die Flucht,« riet er, nachdem er die Nachricht vernommen hatte. »Fliehen Euer Wohlgeboren sofort, im Hause des Fischers Trojakowski werdet Ihr den Morgen abwarten können, verkleidet Euch in Lumpen, dann werdet Ihr unbelästigt Wagen und Pferde erreichen. Sie können noch diese Nacht kommen, stopfen Euch in eine Kibitka und dann lebewohl auf Nimmerwiedersehen! Wer wird die Macht haben. Euch ihnen zu entreißen ...?«

Zaremba, der aufgeregt in der Stube auf und ab wandelte, blieb plötzlich stehen und sagte hitzig:

»Und gerade will ich das nicht tun! Verflucht! Daß ich in meinem eigenen Vaterlande dazu gezwungen werden soll, mich zu verstecken und wie ein Dieb zu fliehen! Das sollen sie nicht erleben! Bin ich denn ein Landesverwiesener, ein Geächteter oder Verbrecher?«

»Euer Wohlgeboren werden doch nicht etwa an eine Verteidigung denken?« er war über Zarembas wilde Reden erschrocken.

»Und wenn?« seine Stimme knirschte aus dem Dunkel wie ein Schwert, das man aus einer Scheide reißt. »Ich geb' mich ihnen nicht! Laß in der ganzen Republik ein Geschrei entstehen, laß die Allgemeinheit erfahren, wie ihre Allianten mit den freien Bürgern umgehen! So wahr mir mein Vaterland lieb ist, ich lasse mich nicht lebendig gefangen nehmen! Und der soll sich wahren, der sich erdreisten sollte, gegen mich die Hand zu erheben,« wütete er, von dem furchtbaren Zorn seiner beleidigten Würde gepackt. »Wenn ich schuldig bin, dann sollen mich die Gerichte richten und bestrafen, ich beuge mich unter das Recht, aber gegen Gewalt werde ich mein Schwert gebrauchen. Als Soldat würde ich vor Scham vergehen, wenn ich vor solchen Räubern fliehen sollte. Ich werde in mein Quartier zurückkehren und auf sie bis zum Tagesgrauen warten. Kommen sie nicht, dann fahre ich morgen früh ab, wie ich es bestimmt habe.« Er sprach mit einer solchen Entschlossenheit, daß weder Überredungsversuche noch Bitten dagegen etwas vermocht hätten, bis Pater Seraphim nach einer kurzen Überlegung bedeutungsvoll sagte:

»Seid Ihr solch ein Entschlossener und wollt Euch durchaus in Lebensgefahr begeben, dann will auch ich meinen Teil bei dieser Sache tun. Aber wir wollen auf Gott hoffen, daß sie heute nicht kommen ...«

Sie kamen doch, diese Nacht noch gegen Morgengrauen.

Zaremba war schon entsprechend gerüstet; die Pistolen und drei Paar Terzerole mit doppelten Läufen hatte er selbst zurechtgelegt und geladen, den Säbel Mathies befohlen, scharf wie ein Rasiermesser zu schleifen, und nachdem er ihm die Anweisung gegeben hatte, wie er sich nötigenfalls benehmen sollte, zog er eine Jacke aus Elenleder unter den kurzen Rock, machte sich reisefertig und warf sich aufs Lager, wo er gleich in den tiefen Schlaf eines Gerechten verfiel.

Es war schon nahe vier Uhr, als Mathies ihn am Ärmel riß.

»Melde gehorsamst: sie kommen, man hört schon die Pferdetritte ...«

Zaremba sprang auf, er hatte sich vollends in Gewalt; mit zu Stein erstarrtem Gesicht begann er hinauszuhorchen. Man hörte nur den Regen gegen die Scheiben klatschen und den Wind im Schornstein pfeifen, aber es war kaum ein Ave vergangen, als von der Hauslaube her Türrütteln und Kolbenschläge laut wurden.

»Mach auf; flüchte vor dem ersten Ansturm und kehre an meine Seite zurück,« flüsterte er Mathies zu, und nachdem er das Licht auf den Kamin gestellt hatte, bekreuzigte er sich und legte seine Hand auf den Säbelgriff.

Die Eingangstür krachte, und unter den schweren Tritten des hereinflutenden Soldatenvolks erbebten die Wände und die Dielen; dann wurde plötzlich die Tür nach der Stube aufgerissen und eine Mauer gefällter Bajonette blitzte auf; sie kamen in einem ganzen Haufen und an der Spitze ging Hauptmann von Blum mit entblößtem Degen.

»Reicht mir den Säbel, Euer Wohlgeboren, Ihr seid verhaftet!« sagte er und ließ seine Augen abschweifen.

»Ach, das seid Ihr, Herr Hauptmann! Bitte sehr, welchen glücklichen Umständen habe ich diesen angenehmen Besuch zu verdanken? Was für ein eigentümliches Geleit Ihr Euch da ausgesucht habt!« höhnte er und schob sich an den Tisch heran. »Und mit welchem Recht erdreistet Er sich hier nachts einen freien Bürger der Republik zu überfallen?« Seine Stimme nahm den erzenen Klang des Zornes und der Drohung an.

»Ich laß Euch binden, wenn Ihr mir nicht sofort Euren Säbel übergebt.«

»Nimm ihn dir selber, elender Sklave! Komm heran und nimm ihn, du Verräter, Räuber und Dieb! Her mit dir!«

»Bindet ihn! Vorwärts, rasch!« schrie der andere und machte den Soldaten Platz, die mit vorgehaltenem Bajonett zum Angriff übergingen. Zaremba hatte blitzschnell den langen Tisch gegen sie vorgestoßen, so daß sie auseinanderwichen, selbst aber stürzte er sich auf Blum. Die Säbel blitzten auf und die Scheiden schlugen klirrend gegeneinander, nach dem dritten Gang schon taumelte der Hauptmann, ehe die Soldaten zur Besinnung gekommen waren, mit einem furchtbaren Hieb quer über Backe und Ohr gegen die Wand und sank zu Boden.

Ein wildes Durcheinander, begleitet von einem wüsten Lärm, entspann sich in der engen Stube und im Flur. Zaremba schoß in den Haufen hinein, und nachdem er einem der Soldaten ein Gewehr entrissen hatte, stürzte er wutentbrannt in das dichteste Gedränge, während Mathies aus Leibeskräften brüllend seinen gewaltigen Knüttel niedersausen ließ, daß die Köpfe und Karabiner nur so krachten. Sie fegten die ganze Soldateska auf den Flur hinaus und gingen mit solcher Wut auf sie los, daß immer wieder unmenschliche Schreie aus dem Haufen ertönten und einer getroffen zu Boden stürzte.

Die Soldaten, durch die unerwartete Hartnäckigkeit des Widerstandes überrascht und ohne Bewegungsfreiheit im engen, dunklen Flur, versuchten im wilden Durcheinander nach der Hauslaube zu entkommen und wehrten nur mit Not die furchtbaren Hiebe der Verfolger ab, die auf sie wie Blitze niedersausten. Dicht aufeinander folgende Gewehrsalven erfüllten plötzlich die Luft mit ihrem Geknatter: die vor dem Hause zurückgebliebenen Kosaken waren es, die in die Fenster, gegen die Wände und wohin es gerade traf, zu schießen begonnen hatten.

Mit einemmal wurde es ganz hell, das Dach flammte auf, und wie durch einen unerklärlichen Zufall fing bald darauf das ganze alte Haus an, lichterloh zu brennen. Ein unbeschreiblicher Tumult erhob sich. Die Klosterglocken begannen Sturm zu läuten. Allerhand Volk kam mit Mistgabeln, Sensen und verschiedenartigem Gerät bewaffnet hinzugelaufen. Man griff die Soldaten an und versuchte Zaremba zu Hilfe zu kommen.

»Zu Hilfe! Räuber! Zu Hilfe! Rettet!« erklangen Rufe aus allen Kehlen.

In voller Eile kamen die Marschallwachen, die Wachen der alliierten Regimenter und selbst Kosakenpatrouillen herangesprengt, der Kampf wurde unterbrochen, denn jeder der Soldaten, der noch dazu imstande war, floh so schnell ihn nur die Beine tragen konnten, um der Wut des zusammengelaufenen Volkes zu entkommen, selbst die Kibitka mitsamt ihren Begleitkosaken flüchtete; auf dem Platz blieben nur der schwer verwundete und bewußtlose Hauptmann von Blum und einige seiner arg zugerichteten Kumpane zurück. Man band sie mit Stricken wie Schafe, und nachdem sie aus dem in Flammen stehenden Hause hinausgeschleppt worden waren, ließ man sie im Straßenkot liegen, wo sich die Marschallwachen ihrer annahmen.

Zaremba, aus zahlreichen Kratzwunden blutend, in zerrissener Kleidung und mit blitzenden Augen schrie der immer mehr anwachsenden Menge zu, die alliierten Soldaten hätten seine Wohnung überfallen, und dieses noch dazu unter der Führung eines Offiziers!

Es begann schon zu tagen, grünlich, regenkalt und trüb kam der neue Tag herauf, als das in Flammen stehende Gemäuer mit lautem Krachen zusammenbrach, und ganze Säulen von Funken und Flammen zum Himmel emporschlugen. Die halbe Stadt war inzwischen schon zusammengelaufen und ein solcher Zorn gegen die Räuber hatte sich der Menge bemächtigt, daß die Wachen die gefesselten Soldaten verteidigen mußten, sonst hätte sie das Volk in Stücke gerissen.

Erst bei hellem Tag fanden sich unter dem Druck der Unruhe, die sich der ganzen Stadt bemächtigt hatte, der Großmarschall von Polen, Moszynski, der Hetman Ozarowski und General Rautenfeld an der Stätte des Vorfalls ein. Rautenfeld, der Sieversche Kommandant von Grodno, schien schon über die mißlungene Expedition unterrichtet zu sein, er schwieg, biß die Zähne zusammen und ließ drohende Blicke rollen.

Zaremba und Mathies waren verschwunden, als hätte sie der Boden verschluckt.

Die Menge grollte, und immer lauter und drohender ließen sich Stimmen vernehmen, daß man sie beide auf eine Kibitka gebracht und fortgeschleppt hätte ...

 


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