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Viertes Kapitel

Es schlug gerade 3 Uhr nachmittags, als Zaremba ganz atemlos das Vorzimmer des Königsschlosses betrat; der Empfang hatte noch nicht begonnen und die Flügeltüren zum Thronsaal waren verschlossen.

Das Vorzimmer, ein niedriger, gewölbter Raum, mutete etwas düster an, trotz der beiden Fenster nach dem Vorhof, denn es wurde durch ein säulengeschmücktes Portal verdunkelt. Die Mierower Gardisten in Paradeuniform und voller Rüstung bewachten alle Türen und musterten scharf jeden Eintretenden.

Es hatten sich an diesem Tage nicht viele Menschen zur Audienz eingefunden.

Zaremba setzte sich auf eine Wandbank neben zwei Frauen in tiefer Trauer, von denen eine leise vor sich hin zu weinen schien.

Mitten im Raum stand ein alter weißhaariger Schlachtziz mit einem nach alter Sitte ringsherum ausrasierten Haarschopf und einer viereckigen Polenmütze auf dem Knauf seines Säbels. Gekleidet war er in eine lange, übertrieben gebauschte papageifarbene Kontusche, die wahrscheinlich noch aus den Zeiten der sächsischen Könige stammte; er zupfte immer wieder an seinem großen Hängeschnurrbart und klagte ein paar Damen seine Sorgen, die in befranster starrer Seide mit Umschlagtüchern, Schönheitspflästerchen und aufgetürmten Frisuren geduldig zuhörten und sich dabei eingehakt hielten. Ein grüngekleideter Jäger mit Sommermänteln über dem Arm hatte sich einige Schritte hinter ihnen aufgepflanzt.

Einige Ausländer in goldgestickten Fracks und Haarzöpfen an den weißgepuderten Köpfen unterhielten sich halblaut zwischen den beiden Fenstern.

In einer Ecke aber, als wollte er sich vor neugierigen Blicken schützen, saß ein Mann in einem Soldatenmantel, mit umgeschnalltem Säbel und einem verwegen an der Brust befestigten Verdienstkreuz, aber mit einem ganz verbundenen Kopf und einem kranken, blassen Gesicht; ein Bursche reichte ihm immer wieder verschiedene erfrischende Medikamente.

Die Zeit wurde allen Anwesenden recht lang, denn es war sehr heiß und eintönig; schläfrig hörte sich das Summen der Fliegen an und schläfrig klangen die Unterhaltungen; hin und wieder klappten nur die Gewehre der Posten gegen die schwarzweiß gewürfelten Fließen oder es ließen sich vor den Fenstern die schweren ungleichen Tritte der Wachen vernehmen, worauf man das Blitzen eines Bajonetts, die Schilder der hohen Mützen und die bunten Uniformaufschläge sehen konnte.

»Wenn der Assumptus nicht mit der Konklusion quadriert, dann ist die ganze Arbeit zum Teufel,« begann plötzlich der weißhaarige Schlachtziz laut und ärgerlich auseinanderzusetzen. »Die Garantien und die Allianzen sind da, aber der ›befreundete‹ Soldat schindet uns, als ob wir Beißker wären. Ich habe keinen geringen Schaden an meiner Gesundheit und an meinem Besitz erlitten, da weiß ich schon gut, mit welch einer räuberischen Prozedur die Herren Allianten gegen uns vorgehen. Meine Umstände waren zum Beispiel folgende: So gegen ultimis Aprilis zog da ein Bataillon russischer Grenadiere unter einem gewissen von Blum vorbei, wobei derselbe vor mein Haus geritten kam, und ohne von seinem Gaul zu steigen Fourage verlangte. Ich gewährte ihm den Wunsch, obgleich er mich nach einer tatarischen Mode darum gebeten hatte, aber ich sagte zu ihm: ›Gebt mir, Euer Gnaden, eine Quittation für die requirierten Schafe und Graupen!‹ – Und dieser Hundesohn, anstatt eines Responsum, stößt mich mit dem Säbelknauf gegen die Brust! Ich nach meinem Säbel, und habe natürlich dem Halunken eins drübergelangt und das war auch meine einzige Satisfaktion. Der Rest ist ein einziger Jammer. Sie haben mich gründlich ruiniert und bis zum letzten Kuhschwanz ausgeplündert. Durch ein Wunder habe ich aus dieser Bedrängnis mein Leben gerettet. Und jetzt fährt dieser von Blum mit meinen Hengsten und frißt aus meinem Silber, und ich wandere per pedes apostolorum von Ananas zu Kaiphas und suche mir vergeblich Gerechtigkeit zu verschaffen.«

Es traten einige neue Bittsteller ein, und der alte Schlachtziz verstummte, aber Zaremba mußte daran denken, daß ihm Isa einen von Blum als Verehrer Terenjas genannt hatte.

»Ich habe dem Herrn Gesandten die Sache von A bis Z vorgetragen und auseinandergewickelt,« nahm wieder der Alte seine Geständnisse auf, »da hat er mich angeschrien wie eine schiefe Stute, daß ich die Soldaten der Zarin belästige und seine Offiziere anfalle. Er hat mir sogar mit dem Turm und mit Sibirien gedroht! Ich dachte, daß mich das Blut ersticken sollte und hätte ihm fast ohne Umschweife einige Verba veritatis gesagt, aber man muß sich überlegen, wenn so einer einen beleidigt, und man ihn zum Duell auffordert, dann stellt er sich ganz gewiß nicht. Soll es denn ein crimen sein, daß ich es nicht zulasse, wenn mich solches Halunkenpack postponiert. Daß nun meine lieben Söhne, indem sie die uns angetane Beleidigung rächten, diesen Freunden auf den Fersen saßen und ihnen die Soldaten abtaten, wo und wie sie nur konnten, ist doch selbstverständlich – nur mißratene Kinder würden ein Anrecht, das einer ihrem Erzeuger angetan, ungestraft geschehen lassen! Mit einer solchen Angelegenheit will ich mich vor Seine Majestät den König hinstellen, aber nicht mehr a particulari soll das geschehen, aliquo conventiculo, sondern nomine des ganzen Adelstandes in Polen, der in meiner Person verletzt worden ist, und ich werde ihn fragen, ob dann noch wirklich Freiheit und Recht in dieser Republik leben? Ob ein wilder Einbrecher ...«

Mit einemmal wurden die reichvergoldeten Flügeltüren aufgerissen, es entstand eine Bewegung und alle, zum Adelstand gehörigen, wurden aufgefordert den Thronsaal zu betreten, wo der König allsonntäglich öffentliche Audienzen erteilte.

Pater Ghigiotti kam ihnen entgegen. Er war Italiener, hatte ein schwärzliches, hageres Gesicht und ein Paar unruhiger Augen. Als Leibsekretär des Königs begann er jeden in gebrochenem Polnisch auszufragen, mit welchem Anliegen er vor Seiner Majestät vorstellig werden wollte.

Dieser und jener ging mit ihm beiseite und versuchte ihm im Flüsterton sein Leid zu klagen. Der Italiener hörte allen mit dem gleichen Lächeln zu, manchmal entgegnete er einige Worte mit gedämpfter Stimme, und wenn eine Bittschrift vorhanden war, nahm er sie entgegen, um sie einem gewissen Friese zu übergeben, der die Namen und Titel der Bittsteller notierte und dabei jeden mit schlau blinzelnden Äuglein prüfte.

Zaremba erledigte sein Anliegen kurz auf soldatische Weise und begann sich darauf im Saal umzuschauen.

Der nicht sehr große Thronsaal, von recht mittelmäßiger Architektur, war frisch mit weißer Ölfarbe gemalt und mit verschiedenen Vergoldungen verziert, alles wies jedoch eine so schlechte Ausführung auf, daß die Farbe schon hier und da abblätterte und der an verschiedenen Stellen krummgezogene Putz abplatzte.

Der Thronsessel stand unter einem roten Traghimmel, den hohen Saalfenstern gegenüber, die das Hauptlicht gaben und einen herrlichen Blick auf den Njemenfluß und seine grünen Abhänge frei ließen. An den Wänden standen hier und da einige vergoldete Sessel und ein paar Tische in italienischer Mosaikarbeit, nur waren sie recht arg beschädigt. Die aus kleinen Flächen zusammengesetzten Spiegel zwischen den Fenstern schimmerten im nebligen Glast. Der Eckkamin aus grauem Marmor trug ein vergoldetes Schild mit den Wappen des letzten Sachsenkönigs, außerdem riesige Porzellangruppen und Armleuchter gleicher Art. Von der Decke, auf der unter dem Kalk noch die verblaßten Farben ehemaliger Malerei sichtbar waren, hingen mit Kristallklunkern behangene Kronleuchter. Altersschwarze Bildnisse in goldenen Rahmen zierten hier und da die nackten Wände.

Der Saal war leer, sah öde aus und roch nach Kalk und warm gewordenem Tischlerleim.

Auf ein heimliches Zeichen hin, daß der König nahe, ließ Friese auf einem Teppich, der die Mitte des Saales vor dem Thronsessel bedeckte, alle Anwesenden Aufstellung nehmen.

Die Ausländer erhielten die sichtbarsten Plätze. Zaremba hatte man ganz am Ende neben den Damen in Schwarz Stellung nehmen lassen.

Der König trat durch eine kleine Seitentür ein, zwei Kadetten mit entblößten Degen stellten sich neben dem Thron auf, die Mierower Gardisten besetzten alle Türen und draußen auf dem Hof nahmen unter Trommelwirbel die Posten vor den Fenstern Aufstellung.

Der König schien guter Laune zu sein, er lächelte freundlich und schickte sich an, von einem der Bittsteller zum andern zu gehen.

Ghigiotti flüsterte ihm verschiedene Bemerkungen zu, während Friese an seiner anderen Seite die Namen ablas. Der König unterhielt sich auf Englisch ziemlich eingehend mit den Ausländern und wechselte darauf gnädig mit jedem der anderen einige Worte.

Zaremba gab sich Mühe, den Klang seiner Stimme zu erhaschen, was ihm jedoch nicht gelingen wollte, denn die Bittsteller waren ziemlich weit auseinander aufgestellt und der König sprach seiner Gewohnheit gemäß sehr leise. Er konnte ihn erst verstehen, als der alte Schlachtziz seine Klagen und Nöte ganz laut vor ihm auszubreiten begann.

Der König hörte scheinbar beängstigt zu und versuchte immer wieder, den unwillkommenen Bericht zu unterbrechen, aber der Schlachtziz ließ sich nicht aus der Fassung bringen und donnerte immer hitziger seine Anklagen:

»Nichts verschweige und beschönige ich, nicht das Geringste, so wahr ich Karpinski aus Karpin und des adligen Wappens Korab bin, im Namen der ganzen unter dem Druck ächzenden polnischen Erde, sage ich nur die reine Wahrheit! Wenn Allerhöchst Dero die Heerstraßen mit eigenen Augen sehen würden, aus denen diese freundschaftlichen Regimenter durch unser Land ziehen, dann würden Majestät glauben müssen, daß da wilde Tatarenhorden vorübergegangen sind! Auf Meilen weit liegen niedergebrannte Dörfer, geschändete Kirchen, ausgeraubte Herrenhöfe und zertrampelte Äcker, nichts als der nackte Boden und der Himmel darüber, Trümmer, Tränen und ein einziges Weinen! So muß das gemeine Volk, an den Rand der Verzweiflung gebracht, in die Wälder flüchten, um dort mindestens das nackte Leben in dieser Zeit der argen Prüfung zu bergen. Das kriegerische Vorjahr hat uns nicht solche Verwüstungen gebracht wie die diesjährigen Vorbeimärsche und Requisitionen der Alliierten. Es fehlt nicht mehr viel, und in unserem ganzen Buggebiet bleibt nicht eine einzige Bauernhütte unversehrt, und es wird schließlich kein Samenkorn Getreide und kein Mensch übrig bleiben.«

»Es wird doch gegen Scheine fouragiert und in Anwesenheit der Kommissäre.«

»So sollte es sein, aber sie nehmen es uns ab mit dem Recht des Henkers, und wer ihnen das wehren wollte, den lehrt die Knute Gehorsam. Es gibt auch Ehrlichere, die nehmen dann hundert polnische Scheffel Schüttgetreide und stellen eine Quittation auf fünfzig aus. Unterschreiben muß man, denn sie diktieren es einem ja unter dem Bajonett. Und gefällt ihnen etwas im Hause, dann nehmen sie es ohne Pardon weg. Ganze Wagen von geplündertem Gut ziehen auf diese Art hinter ihnen drein. Das wird dann einfach an die Juden verschleudert. So stehe ich denn vor Eurer Majestät und frage, ob es in der Republik schon gar kein Recht gegen die Spitzbuben und kein Schwert gegen die Bedrücker mehr gibt?« Er schloß seine Rede mit besonderem Nachdruck.

Aller Augen wandten sich von ihm der Person des Königs zu, der verlegen dastand und ungeduldig an seinem Ordensband auf der Brust nestelte. Ghigiotti lächelte ein falsches Mitleidslächeln und Friese, der ein ergebenes Instrument von Sievers war, sah sich den alten Schlachtziz besonders aufmerksam an. Schließlich wandte sich der König, nachdem er ihn mit einigen recht gefühlvollen Redewendungen und der gnädigen Darreichung der Hand zum Kuß erledigt hatte, den Damen in schwarzer Seide zu.

Der Edle von Karpinski machte seltsame Schlingbewegungen, als müßte er an der königlichen Gnade ersticken.

Der König beeilte sich immer mehr, die Audienzen zu beendigen; die Damen in Trauer wischten schon eifrig an ihren geröteten Augenlidern herum und der verwundete Offizier, der hinter ihnen stand, reckte sich dermaßen stramm, daß seine Sporen aufklirrten. Zaremba hatte sich aus seiner Reihe etwas vorgebeugt und betrachtete mit prüfenden Blicken die Erscheinung des Königs. Er musterte seine Gestalt ohne Haß, aber mit einem Gefühl bitteren Mitleids, das seine gesunde und rechtschaffene Natur für diesen ausstaffierten Seladon, der schon fast einer verlebten Buhle glich, haben mußte.

Die Hände des Königs waren sorgsam gepflegt und verrieten einen wollüstigen Sinn, die langen, schlanken Finger hatten rosige Nägel, Diamanten glitzerten in dem üppigen Jabot, das etwas gelichtete Haar war in weiße Locken gelegt, das Gesicht sah wächsern aus und war geschminkt. Seine Stimme klang angenehm, auch seine Blicke waren gewinnend und die stark geröteten Lippen zeigten einen schönen Schwung. Eine Wolke von Düften umgab ihn. Zarembas Aufmerksamkeit entgingen aber seine mit Strümpfen bekleideten, zittrigen Waden nicht. Seine Schuhspangen waren mit Edelsteinen besetzt und der hellblaue Frack an den Schößen und Aufschlägen mit wundervollen Seidenstickereien verziert.

Nur den König vermißte er in diesem Wesen.

Er hörte zu, sprach und lächelte, als wüßte er gar nichts von all dem, was er tat, und sein immerhin schönes Gesicht zeigte weder Leidenschaft noch irgendwelche Spur außergewöhnlicher Charaktereigenschaften.

Zaremba hatte ihn in seiner Kadettenzeit ziemlich häufig aus nächster Nähe gesehen, jetzt aber war es ihm, als sehe er bloß eine undurchdringliche Maske, hinter der sich furchtbare Leere und Gleichgültigkeit gegen alles zu verbergen schien.

»Anton Zukowski, Kapitän des ehemaligen Regiments der Avantgarde, Regimentschef Herzog von Württemberg!« ertönte eine klare, wohlklingende Stimme und riß plötzlich ab, denn der Offizier taumelte. zurück und wäre umgesunken, wenn man ihn nicht rechtzeitig aufgefangen hätte. Es entstand eine allgemeine Verwirrung, man setzte ihn auf einen Stuhl, ein Lakai brachte Wasser, und als er einigermaßen wieder zu sich gekommen war, trat der König an ihn heran, gestattete ihm nicht aufzustehen und begann, ihn bekümmert auszufragen. Sie sprachen fast im Flüsterton, es mußten aber schwerwiegende Dinge gewesen sein, denn der König rang immer wieder die Hände mit einer Gebärde aufrichtigen Mitleids und das Gesicht des Kapitäns färbte sich lebhaft, während Tränen in seinen Augen aufblitzten. Nach Durchsicht der Bittschrift machte der König einen Vermerk darauf und reichte das Papier Ghigiotti hin.

Und er war noch so in diese Angelegenheit vertieft, daß er, als er schon an die Damen in Trauer herangetreten war, sich noch immer nach dem Kapitän umdrehte und vor sich hinseufzte; mit einemmal prallte er erschrocken zurück, denn die beiden Damen waren unter Schluchzen und Wehklagen ihm zu Füßen gesunken.

»Rettet uns, Majestät, rettet die armen Waisen, denen man Anrecht tut!«

Und ohne auf die Erlaubnis zum Sprechen zu warten, fingen sie, einander immerfort unterbrechend, an über einen verwickelten Prozeß mit dem Bischof Kossakowski zu berichten, wobei sie Klage über Gewalttaten, Überfälle und Raub an Hab und Gut führten; er sollte ihnen ein Stück Land weggenommen haben, um es seinem Städtchen Janow einzuverleiben, außerdem noch eine Schenke in der Schweinskuhle und etliche Leibeigene obendrein. Die Klagen waren mit Schluchzen, einer Aufzählung von Gesetzparagraphen, Gerichtsurteilen, Zeugenaussagen und vermeintlichen Ungerechtigkeiten reich durchwürzt.

Der König, gelangweilt durch diese wirre Litanei, versprach, was sie nur wollten, und wandte sich eiligst dem letzten Bittsteller zu.

Zaremba überreichte seine Bittschrift und legte zugleich kurz deren Inhalt dar.

Der König lehnte nicht ab, versprach aber auch nichts, er erwähnte nur in allgemeinen Redewendungen die schweren Zustände, in denen sich die Republik befände, sprach einige Worte über die Notwendigkeit, dem Vaterland zu dienen, nickte ihm mit dem Kopf zu und entfernte sich majestätisch in Begleitung der Ausländer, verabschiedet von allgemeinen Verbeugungen und dem Gemurmel der Ergebenheit.

Zaremba vermied es, sich mit den anderen an Friese heranzudrängen, um ihn um die Befürwortung seiner Angelegenheit zu bitten, und ging rasch hinaus. In der Vorhalle lief er seinem Jugendfreund Martin Zakrzewski fast in die Arme.

»Ich habe dich gestern im Reichstag gesehen. Terenja erzählte mir, daß du nach Grodno gekommen bist.«

»Und bist doch mit einemmal verschwunden gewesen, als hätte dich die Erde verschluckt.«

»Du warst in der Gesellschaft einer Person, mit der ich mich nicht gut stehe.« Er zupfte an seinem blonden Schnurrbärtchen, machte große, blaue Augen und lachte anzüglich auf.

»Fährst du mit uns zum Picknick?«

»Ich habe meinen Dienst bei Seiner Majestät. Wir wollten einen Ausflug nach Poniemun machen, bleiben aber im Schloß sitzen, weil wir heute abend einen Geheimbeauftragten aus Wien zu empfangen haben. Ich sage dir das ganz im Vertrauen. Von morgen früh bin ich aber frei.«

»Ich sehe, daß du dir auch schon einen Orden verdient hast!«

»Seine Majestät ist mir sehr gnädig gesinnt. Wo bist du denn abgestiegen?«

»Bei den Bernhardinermönchen. Komm also morgen in der Frühe.«

Er machte dem Kapitän Zukowski Platz, der, auf seinen Burschen gestützt, schweren Schrittes mit niedergeschlagenen Blicken, blaß und scheinbar gänzlich erschöpft vorüberschritt.

»Ein Unglücksvogel aus der Ukrainer Division,« murmelte Zaremba.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele dieses Schlages hier auftauchen, und alle betteln sie wegen der rückständigen Löhnung, oder sie wollen einfach nur eine Unterstützung für die weitere Reise haben, sie kommen nämlich von den aufgelösten Brigaden und nicht selten am Bettelstab. Der Hetman bringt auf jeder Reichstagssitzung einen Antrag zur Bezahlung des Armeesoldes ein, aber aus einem leeren Gefäß würde selbst ein Salomo nichts einschenken können.«

Plötzlich reckte er sich beim Anblick der seidenbefransten Damen, durchbohrte sie mit funkelnden Blicken, lächelte ein zärtlich herausforderndes Lächeln und begann siegesbewußt sein Schnurrbärtchen zu zwirbeln, indem er die Brust in der dunkelblauen Uniformjacke herausschmiß.

»Die Junge, du ... einfach ein Bonbon!«

»Wohl darum, weil sie Terenja ähnlich sieht,« entgegnete Zaremba boshaft.

Martin lachte so lustig auf, daß selbst die Gardeposten an der Tür ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnten.

»Du hast dich nicht um einen Deut geändert,« bemerkte Zaremba neckend.

»Seine Majestät sagen mir dasselbe und deshalb mag er mich gerade,« gestand er selbstbewußt.

»Der König hat ja auch in dir einen ergebenen Offizier,« versuchte Zaremba anzuknüpfen.

»Mein Leben würde ich für ihn hingeben!« rief er offenherzig und begeistert.

»Das selbst!« er lächelte spöttisch. »Komm zu mir morgen in der Frühe, dann werde ich dir Bericht von dem heutigen Ausflug erstatten. Lebe wohl und gehe etwas sparsamer mit deinem Leben um.«

Er eilte dem Kapitän nach, den er erst auf dem Schloßplatz einholen konnte. Der Kapitän ging trotz der starken Hitze und ungeachtet seines leidenden Zustandes zu Fuß.

Er stellte sich ihm vor und bot ihm seine Chaise an.

»Ich wohne ziemlich weit ab, weil ich lange Spaziergänge liebe,« entgegnete Zukowski ziemlich kühl, aber Zaremba drängte so herzlich, daß der andere einwilligen mußte.

»Ich bitte Euer Edlen, meine einfache Behausung entschuldigen zu wollen, es war aber unmöglich, in diesem Gedränge ein würdigeres Quartier zu mieten. Das ist mir in einer gewissen Hinsicht durchaus recht, ich habe es da ruhig, denn wie Euer Edlen sehen, bin ich schon auf dem Wege zu Abrahams Schoß ...«

»Nach dem Verband zu urteilen, muß die Wunde ganz schwer sein.«

»Das ist sie, und um so mehr, da sie von Feindeshand geschlagen und ungesühnt geblieben ist. Ein Angedenken an Nowochwastow, an die Stunden, da uns dieser Schurke General Lubowidzki an die Zarin verraten hat,« murmelte er und richtete seine klugen, trauererfüllten Augen auf ihn. »Vielleicht kennt Ihr diese Geschichten. Die Generalität hat verboten, darüber selbst in Briefen Erwähnung zu tun.«

»Ich kenne die Namen aller Aktores und den Verhalt des Geschehnisses.«

»Furchtbare Zeiten!« der Kapitän zuckte zusammen, als hätte ihn eine Erinnerung gepackt.

»Weil bei uns faule und schuftige Seelen das Regiment führen.«

Zukowski schien über Zarembas Worte und den Ernst seines gepackten Gesichtes erstaunt.

Sie fuhren an einem niedrigen, ganz am Rande der Stadt liegenden strohgedeckten Hause vor, das fast unter hohen Bäumen verschwand; ein kleiner blauer Sarg war an dem Pfeiler des Einfahrtstores angebracht und im Obstgarten sah man verschiedene zum Trocknen ausgelegte Bretter liegen.

»Mein Wirt, Borysowicz, ist Maurer, aber sein ältester Sohn betreibt die Tischlerei, das ist sein Schild,« erklärte Zukowski, indem er über den mit Sägespänen bedeckten Hof voranschritt. »Ein passendes Haus für einen kranken und verabschiedeten Soldaten. Darf ich Euer Edlen hineinbitten?«

Zaremba wollte Umstände machen, aber zuletzt überwog seine Neugierde, und er folgte ihm in die enge, nach der Hofseite zu gelegene Stube. Eine mit einem Astrachaner Mantel bedeckte Pritsche, über der an der Wand ein kleiner abgeschabter Teppich hing mit der Offiziersmontur darauf und einem Bildchen der Mutter Gottes von Tschenstochau, sowie einige Stühle in der Nähe des Fensters, ein Tisch und die mageren Mantelsäcke in der Ecke bildeten die ganze Zimmerausstattung.

Sie hatten noch nicht Platz genommen, als ein hochgewachsener, etwas gebeugter Mann mit einem ehrlichen Gesicht, das wie mit Kalk bestäubt war, eintrat, sich als der Hauswirt vorstellte und meldete, daß die Herren schon im Obstgarten versammelt wären und den Herrn Kapitän zu sich bäten.

»Ich muß einen Augenblick Luft schöpfen, dann kommen wir!« versicherte Zukowski und streckte sich währenddessen auf der Pritsche aus. »Es wohnt hier auf der anderen Seite des Hauses ein gewisser Krasnodembski, der Reichstagsbote für den Kreis Liwa, ein würdiger Staatsbürger, wert, daß man ihn kennen lernt und aufrichtig verehrt.«

Zaremba sah zum Fenster hinaus; ein paar Männer saßen im Garten unter einem schattigen Baum. Er bemerkte unter ihnen auch den Abgeordneten Skarzynski, den man das Schiefmaul nannte.

»Das sind ja die führenden Zelanten,« entfuhr es ihm unwillkürlich.

Der Kapitän ging inzwischen mit einem rätselhaften Lächeln unter Beihilfe seines Burschen daran, seinen Verband zu wechseln.

»Fast die ganze Reichstagsopposition!« fügte Zaremba hinzu, nachdem er wieder gegenüber Zukowski Platz genommen hatte, und unter dem Einfluß einer plötzlichen Vermutung flüsterte er ihm das Wort der Geheimbündler zu. Aber der Kapitän hatte scheinbar nicht verstanden, blickte nur flüchtig zu ihm auf und stöhnte dann leise vor sich hin:

»Der Schweiß bricht mir am ganzen Körper aus, als hätte ich ein Dampfbad genommen.«

Bestürzt durch seinen Irrtum, erhob sich Zaremba und verabschiedete sich sofort, trotz aller dringenden Einladungen. Er versprach aber, am nächsten Tage einzusehen.

Und er überlegte es auf dem Rückweg immer wieder, ob ihn der Kapitän wirklich nicht verstanden hatte, oder ob er ihn nicht hatte verstehen wollen, und was wohl der Grund gewesen sein mochte. Etwas in seinem Innersten sagte ihm nämlich, daß er sich ihm nicht hatte entdecken wollen, und um so mehr war er über seine Unvorsichtigkeit besorgt.

»Das muß ein ganz schlauer Kopf sein, vielleicht aber auch bloß ein gewöhnlicher Haudegen.«

Ein fremder Bursche öffnete ihm seine Wohnung und blieb vor ihm stramm stehen.

»Ruf Er mir den Kasper!«

»Melde gehorsamst dem Herrn Lieutnant, daß ich den Kasper vertrete. Er ist mit Pater Seraphim weggefahren und kommt erst spät am Abend wieder.«

»Woher kommst du denn? Wem gehörst du zu?«

Er sah den Burschen zum erstenmal im Leben.

»Dem Herrn Kapitän Kaczanowski seiner bin ich, sie nennen mich Staschek, manchmal auch Warschauer.«

»Wann bist du denn eingetroffen, woher kommst du? er begann sich seiner Uniform zu entledigen.

»Aus Warschau, Herr Lieutnant. Vor seiner Abreise haben mir der Herr Kapitän befohlen: »Wenn du selbst auf allen Vieren loskröchest und dich mit deiner Nase noch dazu stützen müßtest, hast du dich am Sonnabend bei dem Herrn Lieutnant Zaremba in Grodno einzustellen.« Er hat mir dann für den Weg einen Dukaten mit dem Muttergottesbild mitgegeben und einen mit dem Stiefel auf den rechten Platz zugelegt. Das Geld habe ich der dicken Marie aus Praga für die Taufe hinterlassen können und den Fußtritt habe ich solchen wiedergegeben, die es noch mehr brauchen.«

»Nur ohne Lügenkram und Windbeuteleien!« warnte Zaremba streng.

»Ich habe die reine Wahrheit gesagt wie auf dem Marschallgericht, wenn man seine Prügel weg hat.«

»Warum hast du dich denn also verspätet?« fragte Zaremba schon etwas gnädiger, denn die komische Figur amüsierte ihn.

Der Bursche war hager, klein und beweglich wie ein Affe. Aus seinen grauen Augen aber leuchtete Mutterwitz und Verwegenheit. Die Vorderzähne fehlten ihm, quer über die Stirn hatte er eine riesige Narbe und im linken Ohrläppchen einen silbernen Ohrring. Seine Nase war von beträchtlicher Größe, der helle, borstige Kopf igelartig geschoren und das Spitzbubengesicht ganz in längliche Falten verkniffen und mit Pusteln bedeckt.

»Weil man für ein ›Gott bezahl's!‹« nicht viel in der Welt kaufen kann und die Post nicht durch Waldgestrüpp fährt. Diese gelben Posttölpel haben nicht einmal Respekt vor einem Gardisten, wissen der Herr Lieutnant, und ich hab' denen erst zeigen müssen, was das mit der Höflichkeit auf sich hat. Durch dieses Pack habe ich mich verspätet, und wenn mir nicht der Herzbube beim Spiel geholfen hätte, dann hätte ich am Stecken spazieren müssen wie ein Heiliger.«

»Genug für heute. Du fährst mit mir.«

Er holte eine Pistole aus dem Kasten und steckte sie zu sich.

Bald darauf ließ Mathies die Peitsche knallen und jagte durch die Straßen Grodnos, so viel die Pferde hergeben konnten, wobei er sich geschickt zwischen den vielen Gefährten hindurchschlängelte. Staschek saß neben ihm, steif und aufrecht in seiner Livreejacke, wie es sich für eine Offiziersordonnanz schickte.

Vor der Dominikanerkirche hielt sie Nowakowski an.

»Steige zu mir ein, ich war gerade auf dem Weg, dich abzuholen!« rief er von seinem Kariol herab.

Zaremba stieg nicht gerade erfreut um und gab Mathies den Befehl, hinterher zu fahren.

»Der Gesandte der Imperatorin erteilt öffentliche Audienzen, wir müssen da auf einen Augenblick hin.«

»Ich bin heute schon zu einem Empfang beim König gewesen,« versuchte Zaremba auszuweichen.

»Und was hast du davon gehabt?« er zuckte geringschätzig die Achseln. »Man kann schon den König sehen gehen, sich bei Sievers sehen zu lassen rät aber der Verstand und die Vorsicht. Ich möchte eigentlich ganz gern wissen, wie du mit dem Fürsten Cycyanow ausgekommen bist?«

»Ich habe bei ihm bis zwei Uhr in der Nacht gesessen, er hat mich mit seinem »Tschaj« bewirtet und wir haben uns dabei über verschiedene Dinge unterhalten; er ist ein sehr politischer und aufgeklärter Mann.«

»Gewiß hat er die Gelegenheit benutzt, sich dir anzuvertrauen?« fragte Nowakowski ohne Umschweife.

»Zu einer solchen Vertraulichkeit sind wir nicht gekommen, es lag auch nicht in meinen Absichten.«

»Gestern hast du eine andere Neigung zum Ausdruck gebracht,« knurrte Nowakowski etwas verletzt.

»Es ist möglich, daß sie mich morgen wieder ankommt, antwortete Zaremba barsch, doch gleich versuchte er wieder einzulenken. »Ich konnte mich ihm doch nicht mit meiner Hilfe aufdrängen, etwas ganz anderes wäre es, wenn er sie von mir verlangte.«

Sie gerieten in eine endlose Reihe von Wagen, die sich in der Richtung des Gesandtschaftshauses bewegten und mit Leuten der besten Gesellschaft angefüllt waren; man mußte im Schritt fahren, in Wolken von Staub und unter sengenden Sonnenstrahlen, denn die schlanken Pappeln, die die Straße säumten, boten nur wenig Schutz.

»Wir kommen zu spät zum Picknick, die Uhr muß doch schon bald fünf sein,« bemerkte Zaremba ärgerlich.

»Erst die Pflicht und dann das Vergnügen! das ist mein Wahlspruch!« verkündete Nowakowski mit Ernst. Inzwischen rollten die Wagen mit einem hohlen Donner über die lange Horodniczankabrücke und begannen nacheinander auf eine Häusergruppe einzulenken, die zwischen mächtigen Bäumen halb versteckt lag.

Das zur ebenen Erde gelegene Haus der königlichen Ökonomien mit Frontgiebeln und ziemlich langen Seitenflügeln wurde vom Kammerherrn Martinus Badeni und den Hauptabteilungen der Verwaltung innegehalten, dicht daneben, mit der Schmalseite anschließend und in gleicher Richtung mit dem linken Flügel verlaufend, mit der Front nach der Breitenstraße zu, reckte sich ein zweistöckiger Pavillon im italienischen Stil auf, gekrönt von einem mit Vasen gezierten Steingeländer. Der Pavillon war ziemlich geräumig, wies im ersten Stock große Fenster und Balkone mit Goldgitterwerk auf und im Erdgeschoß eine prachtvolle Tür aus Mahagoni, zu der einige mit rotem Tuch belegte Marmorstufen hinaufführten. Die Republik hatte dieses Gebäude unter beträchtlichen Unkosten als Wohnung für Sievers und sein Gefolge herrichten lassen.

Kosaken in roten, langen Schoßröcken und glänzend schwarzen Topfmützen hielten an der Tür Wacht, außerdem war eine Kompagnie Grenadiere in voller Ausrüstung in einem kleinen Häuschen einquartiert, das ganz in der Nähe zwischen den Büschen des Botanischen Gartens versteckt lag.

Um die Vorfahrt herum stand schon ein beträchtlicher Haufen Kutschen und immer noch fuhren neue vor, denen geputzte Damen und Herren, einige sogar in Begleitung von Kindern entstiegen.

»Die kommen hergepilgert wie zu einer Kirchweih,« wunderte sich Zaremba, während sie den Vorsaal betraten.

»Weil das Muß die Menschen regiert und nicht die Sentiments,« entgegnete Nowakowski leise, indem er sich nach allen Seiten hin verbeugte.

Sie stiegen zum ersten Stock durch eine bunte, duftspendende Allee empor, denn auf jeder Stufe des sehr breiten Aufstieges hatte man Blumenurnen aufgestellt und das Treppengeländer war mit aufgeblühten Ranken von Jelängerjelieber umflochten.

»Der Weg sieht aus, als führte er geradewegs ins Paradies!« bemerkte Zaremba spöttisch, während sie weitergingen.

»Zum Erfolg führt er sicherlich!« ergänzte einer aus der Menge der Eintretenden.

Baron Buhler, der erste Rat der Gesandtschaft, umgeben von den Generälen Dunin, Rautenfeld und Kampenhausen, machte an der Tür die Honneurs.

Die Säle waren prunkvoll ausgestattet; im mittleren, der zugleich der größte war und in dem auf Mosaiktischen überall Rosen in chinesischen Vasen herumstanden, unter dem Bildnis der Imperatorin im Krönungsornat, saß Sievers in einer reich mit Gold bestickten Galauniform voll Orden, Brillantsternen und mit einem blauen Band quer über der Brust. Er sah sehr gut gelaunt aus und hatte ein unwandelbares Lächeln auf seinem schmalen, raubtierähnlichen Gesicht.

Die Damen nahmen neben ihm in einem Halbkreis auf kleinen Sesseln aus vergoldetem Rohr Platz und in ihrer Mitte schien der Bischof Massalski von der Schwüle des Tages eingenickt zu sein.

Sievers begrüßte die Herantretenden mit einer zeremoniellen Höflichkeit und beantwortete huldigende Verbeugungen mit einem gnädigen Darreichen der Hand, hin und wieder begleitet von einigen Worten. Für einige erhob er sich selbst von seinem Stuhl, den Damen sagte er verbindliche Artigkeiten, nickte dem einen wohlwollend einen Gruß zu und andere geruhte er kaum zu bemerken; doch für alle hatte er das gleiche gutmütige Lächeln und die herrischen Blicke. Die Menge wuchs ununterbrochen, betete ihn an und zerstreute sich allmählich in den Räumen, die sie mit einem vorsichtigen Stimmengemurmel und Seidengeknister füllte.

Schon bildeten sich Gruppen, knüpften sich Intrigen, kreuzten sich durchdringende Blicke und feindliches Lächeln, aber immer wieder kehrten die Augen ängstlich zu dem weißhaarigen Kopf unter dem Bilde der Zarin zurück, und jedes Wort, das von dort kam, machte in einem Nu die Runde, jeden Blick suchte man sich eifrig einzuprägen.

Zaremba beobachtete aus der Menge heraus den Gesandten, seine Generäle und die Besucher, die in einem endlosen, feierlichen Aufzug an ihn herantraten. Ein immer tieferes Staunen überkam ihn, denn alles, was von irgend einer Bedeutung in Grodno war, bemühte sich hier eifrig, seine Ehrerbietung darzubringen.

Es kamen Minister, die ersten Beamten der Republik, Wojewoden, Kastellane, Bischöfe, Reichstagsboten – man konnte fast sagen, die ganze Republik war da, um ihm zu huldigen.

Auch die in Grodno weilenden Gesandten verschiedener anderer Mächte waren erschienen. Bald füllten sich die Räume bis auf den letzten Platz, vor Sievers hatte sich ein dichter Kreis von hohen Würdenträgern gebildet, und als es keine Stühle mehr gab, blieb man stehen, ohne auf das Gedränge zu achten, um nur möglichst nahe im Strahlenkreis der Blicke des Allmächtigen verweilen zu dürfen. In den vorderen Stuhlreihen um Sievers herum saßen: der wie immer diamantengeschmückte Graf » percepta« Moszynski, einer der Treuesten der Treuen; der schöne und kluge Graf Ankwicz; der Stutzer und Schurke Mionczynski; der prunkvoll ausstaffierte Befehlshaber der polnischen Armee, Hetman Ozarowski, ein Mann von majestätischer Erscheinung; der vor lauter Hoffart spöttisch dreinblickende, alles beachtende englische Gesandte Gardinet; der Großkanzler Polens Sulkowski, der sich mit seinem preußischen Adlerorden blähte; der Oberbefehlshaber für das Großfürstentum Litauen Zabiello; der durch Igelström und seine Frau für alle offenstehenden Ämter protegierte Zaluski; der untersetzte kaiserlich österreichische Gesandte Cachet in einem weißen Uniformrock, voll Gold und Orden, aber mit einem reichlich einfältigen Gesichtsausdruck, der verriet, daß er nie etwas von dem begriff, was um ihn her vorging; der rothaarige, wie ein Klappmesser dürre Schwertträger Seiner Majestät des Königs von Polen Stecki; Pulaski, der Marschall der sterbenden Generalität; der Unterkanzler für das Großfürstentum Litauen, Graf Plater; der allen Wünschen der Alliierten fügsame Bischof von Chelm Skarszewski; der wankelmütige und großsprecherische Unterschatzmeister von Litauen Oginski; der aufgeräumte alte niederländische Gesandte Kriegenheim, mit einer riesigen Perücke und mit seiner stets geöffneten Tabakdose in der Hand; der schweigsame, vornehme schwedische Gesandte Toll mit eisig dreinblickenden Augen, ein aufrichtiger Freund der Republik, und neben ihm der Bevollmächtigte des preußischen Königs von Buchholtz in einem hier und da mit Tabak besudelten, wenig gut sitzenden Rock und linkischen Bewegungen, ein Mann, dem der allgemeine Haß galt und mit dem selbst Podhorski sich ungern in der Öffentlichkeit zeigte. Auch der Nuntius Saluzzi war zugegen, in Kardinalpurpur gehüllt, mit einem goldenen Kreuz auf der Brust, ein schlanker, eleganter und von einer Wolke von Düften umgebener Herr, der sich unter hundert Vorwänden Sievers immer wieder zu nähern wußte, und durch nichtssagende Redensarten rasch abgefertigt, seine Purpurherrlichkeit und sein hinterlistiges Harlekingesicht zu den Damen hinübertrug.

Der Bischof Kossakowski war ebenfalls anwesend, aber er hielt sich etwas abseits vom Gefolge seiner Anhänger umgeben. Der Chef des siebenten Regiments Gielgud, sowie der Referendarius des Königs Narbut, der Pater Wollowicz, der ehemalige großlitauische Lagerkommandant Lopot, der Generalsekretär des Reichstags Jeziorkowski und verschiedene von seinen Verwandten flüsterten ihm in einem fort allerhand Bemerkungen zu, die er stets mit einem Lächeln beantwortete, wobei er zumeist gleichzeitig Sievers und seine nächste Umgebung mit spöttischen Blicken streifte und über die götzendienerische Verzückung, mit der man den Gesandten der Zarin anbetete, belustigt schien.

Boscamp aber, der klügste, schlaueste und niederträchtigste unter allen verkäuflichen Seelen, eine wahre » anima damnata« wanderte von Zimmer zu Zimmer, tauchte auf, wo man flüsterte, schnüffelte wie ein Hühnerhund in allen Ecken und ließ seine lauernden Augen überallhin gehen.

Und viele andere konnte man hier noch sehen, die sich in den vollgedrängten Sälen des russischen Gesandten eingefunden hatten.

Nicht allein besoldeten Mietlingen und verkäuflichen Menschenkindern, die ihre Erfolge und Ämter von seiner Gnade abhängig machten, begegnete man dort, sondern auch durchaus makellosen und ehrlichen Staatsbürgern, die dem Vaterlande wahrhaft treu ergeben waren. – Der Glaube an die Judaszusicherungen war so allgemein vertreten, daß er für die vielen Verblendeten ein unfehlbares Dogma bildete und als Katechismus echter Vaterlandsliebe galt.

Es machte kaum etwas aus, daß die Alliantin die schönsten Wojewodschaften Polens an sich gerissen hatte, daß die freundschaftlichen Regimenter das Land nicht schlechter als Tatarenhorden plünderten, daß Igelström wie ein Satrap in Kronpolen auftrat und Sievers mit der Gewalt der Bajonette die beratenden Stände des Reichstags zur Nachgiebigkeit zwang.

Man glaubte unerschütterlich an die leeren Worte des Allianzvertrags.

Nur an sich selbst glaubte man nicht mehr.

In einem Augenblick hellseherischen Verstehens wurde Zaremba plötzlich die Wahrheit offenbar und er wunderte sich nicht mehr über das schändliche Schauspiel, der Zorn hatte aufgehört in ihm zu wühlen und die Schande brannte ihn nicht mehr, denn er hatte mit einemmal gefühlt, was ein Bauer fühlt, wenn ihm ein böser Sturm seine Behausung zerstört, Diebe sein Hab und Gut davongeschleppt haben und er von allem entblößt, nur noch vor einem Trümmerhaufen steht; er sieht seinem Schicksal ins Auge, schätzt die Wucht des Unglücks ein, spuckt, nachdem er neuen Atem geschöpft hat, in die arbeitsharten Fäuste und ergreift mit voller Kraft die Axt, um seinen Besitz aufs neue wieder aufzubauen. In diesem einen Augenblick begriff Zaremba, daß alles rings um ihn ein einziger Moder, eine Fäulnis bis ins tiefinnerste Mark und ein völliges Trümmerfeld war. Hier galt es vom Grund auf alles neu aufzubauen.

Eine grenzenlose Arbeit, Mühsal für ganze Geschlechter, Anstrengungen ohne Ende, und Opfer ohne Zahl erforderte dieses, er sah keinen anderen Ausweg mehr.

Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als der Tod oder die entehrenden Fesseln der Sklaverei.

So lange in einem das Leben noch pulst, wenn auch ein einziger Atem nur – so lange muß der unerbittliche Kampf währen und die Hoffnung lebendig sein.

Es gibt noch Menschen, die dasselbe fühlen und dasselbe wünschen; Menschen, die schon die Grundrisse zu einem neuen Aufbau abzumessen begonnen haben und unverdrossen ans Werk gehen.

Und die Zeit ist nah, daß man hinausschreien muß: Ihr, die ihr Liebe habt in eurem Herzen und Glauben an euer Vaterland, steht auf und opfert euer Blut, damit uralte Schuld und Sünde entsühnet werde!

Plötzlich erklang das Girren einer Gitarre, Zaremba kam zu sich. Sievers, Buchholtz und de Cachet saßen beisammen unter dem Bilde der Imperatorin wie im blutigen Schatten ihres Purpurmantels und bis zu ihren Füßen herab beugte sich diese Bettlersippe, um jeden erbärmlichen Rest des Gnadenbrotes winselnd. Die Gitarre erklang abermals und als perlender Bronn stieg eine wundersame Stimme empor:

»Piacer d'amor più che un sol di non dura:
martir d'amor tutta la vita dura.
Tutto scordai per lei, per Silvia infida:
ella or mir scorda, ad altro amor s'affida.«

Mitten im Saal stand Gräfin Camelli als Neapolitanerin gekleidet in einem feuerroten kurzen Röckchen und gelben Mieder und sang; sie hatte um das rabenschwarze Haar ein viereckiges grün-golden gestreiftes Tuch geschlungen und große silberne Ringe in den zierlichen Ohren; ihr Bruder Martini, in der Tracht eines Lazzarone, begleitete sie auf der Gitarre und ließ dabei seine pechschwarzen großen Augen rollen.

Sievers strahlte vor Bewunderung, und sich ihm anpassend, nahmen alle Anwesenden das Aussehen Himmelsentrückter an. Nach jeder Strophe brach rauschender Beifall aus und die Entzückungsausrufe mehrten sich.

Zaremba benutzte diese Gelegenheit, um unbemerkt das Haus zu verlassen.

Martir d'amor tutta la vita dura

klang ihm die süße Liebesklage der Gräfin nach, er sah sich im Weggehen nach Nowakowski um und befahl eiligst zur Kammerherrin Rudzka zu fahren.

Im Palais fand er niemanden mehr: vor einer Stunde war man von dort in einer großen Gesellschaft nach dem Vorort Pyszki, der einige Werst von der Stadt entfernt lag, aufgebrochen.

Mathies bog auf die Wilnaer Heerstraße ein.

Aber am Schlagbaum erwartete Zaremba eine neue Verzögerung. Der Baum war heruntergelassen und von russischen Jägern besetzt. Zum Glück hatte er den Durchlaßschein des Fürsten Cycyanow, der ihm zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ungehinderte Durchfahrt gewährte; es war aber doch ziemlich viel Zeit darauf hingegangen, bis der wachthabende Offizier erschien und den Befehl gab, den Wagen durchzulassen.

»Schlag auf die Pferde ein, Mathies!« rief Zaremba, als sie sich endlich auf freier Landstraße befanden. Gerade hatten die Vesperglocken zu läuten begonnen und der Wind trug ihnen eine solche Flut dröhnender Töne zu, daß die Pferde im selben Augenblicke in einen wilden Galopp verfielen und die Landstraßenbäume mit rasender Geschwindigkeit nach rückwärts zu entweichen begannen.

»Die bimmeln, als ob sie einen General in die Erde bringen wollten!« versuchte Staschek eine Unterredung einzufädeln, indem er sich auf dem Bock umdrehte. Aber Zaremba gab nicht acht darauf, denn er war ganz in seine Gedanken vertieft.

Die Hitze begann sich schon zu verziehen und von den Wäldern kam ein erfrischender Hauch, die Luft war von einem rosenfarbenen Leuchten erfüllt, der Himmel wie eine blaßblaue wolkenlose Unendlichkeit.

Die Landstraße war aufgehöht, von Gräben eingefaßt, dabei breit und an beiden Seiten ziemlich dicht mit weißen Birken bestanden. Man sah viele Dörfer diesseits und jenseits am Wege zurückbleiben, sie lagen eingebettet in Gärten und Grün, viele Menschen waren unterwegs und auch von der Stadt sah man manch einen heimkommen, aber dennoch schien die Welt wie leer und so sehnsüchtig still, daß Staschek ärgerlich vor sich hinzumurren begann:

»Das ist ja grad so, als führe man zu einem Totenfest in der Fastenzeit, man könnte rein heulen!«

Mathies antwortete ebenfalls nicht, denn er war damit beschäftigt, das Zügelpferd mit der Peitsche zu bearbeiten, weil es immer wieder in einen Judengalopp überging.

»Melde gehorsamst, Herr Lieutnant, ein Lager in Sicht!« ließ sich Staschek plötzlich vernehmen, indem er nach links wies. Hinter niedrigem Gebüsch sah man tatsächlich ziemlich dichte Zeltreihen aufschimmern, und auf einem breiten Marketenderplatz rauchten zahlreiche Feuer, von Haufen Soldaten umgeben; der Abendwind trug das Klimpern der Balabajkas zu ihnen herüber.

»Sind das Kanonen, dort unter den Bäumen?«

»Versteht sich, zu Befehl, Herr Lieutnant. Sie stehen in ihren grünen Hemdchen, wie die armen Waisen vom Heim des Jesuskindes in Warschau, wenn sie zur Prozession am Fronleichnamsfest gehen sollen. Wenn diese Fräuleinchen erst die Lunte zu riechen bekämen, dann brauchte man nicht lange auf ihre Niederkunft zu warten,« er hielt sich lachend die Faust vor den Mund.

»Und dahinter steht scheinbar Kavallerie?« Zaremba war sichtlich erstaunt.

»Dragoner des Smolenski-Regiments,« mischte sich Mathies ein und ließ die Pferde etwas langsamer laufen. »Das sind sie ganz gewiß, die kann ich an ihren Füchsen wiedererkennen. Die Kameraden haben erzählt, daß gestern drei ganze Schwadronen angekommen sind. Das sind dieselben, die voriges Jahr im Krakauischen in Standquartier gelegen haben.«

»Bleiben sie in Grodno oder ziehen sie weiter?«

Doch Mathies wußte nichts mehr zu melden, so platzte denn Staschek eifrig heraus:

»Das könnte sich lohnen, die Sache auszukundschaften. Ich würde es in einem Augenblick besorgen, Herr Lieutnant ...«

»Juckt dich der Buckel? Hast wohl, wie ich sehe, noch keine Kosakennanajkas geschmeckt?«

»War keine Gelegenheit dazu, dafür habe ich genug mit den heimatlichen Haselgerten bekommen. Damit ist man bei mir nicht sparsam umgegangen. Ich würde mit den Kerlen ganz flink fertig werden! Ich plappere in ihrer Sprache, daß sie nicht klug werden, ob es der Teufel oder seine Tante ist ... Den ganzen Juni habe ich doch in ihren Lagern bei Warschau Marketender gespielt. Der Herr Kapitän werden es bezeugen, wie ich da alles regelmäßig durchgeschnüffelt habe. Zum Andenken habe ich ihnen den roten Hahn aufs Dach gesetzt. Hihihi!«

»Was heißt das? Ich verstehe nichts davon.«

Er sah ihn jedoch sehr gnädig dabei an.

»Das heißt, daß zufällig mit Absicht ihre Fouragemagazine aufgebrannt sind! Zur Hilfe brauchte ich mich nicht zu eilen, denn das ist dem dazu nicht gehörigen Publikum verboten, löschen dürfen nur die Angelernten und diejenigen, welche durch Igelström selbst dazu befohlen sind.«

»So ein Warschauer Teufel,« knurrte Mathies und spuckte vorsichtig aus, gegen Verhexung.

»So eine Spezies bist du also, na ...« sagte Zaremba mit einem Ton von Anerkennung.

»Alle Burggerichte haben sich die Seiten vor Lachen gehalten, denn die Magazine waren voll, was niemand gedacht hat. Bei dieser Gelegenheit sind auch Soldatenbaracken in Feuer und Rauch aufgegangen, und von den angekohlten Kosakenrücken ist ein Gestank über ganz Praga gewesen. Szmulowicz, ihr Hauptmarketender, hat dann erzählt, daß Igelström sich den Rest seiner Zotteln vor Verzweiflung gerauft hat. Hihi! Die armen Teufel haben auch am Feuer geschmort, als steckten sie am Spieße. Die Hunde haben darauf keine schlechte Mahlzeit gehabt.«

»Ein Wolfsherz hast du, Staschek!« bemerkte Zaremba etwas kühl.

»Mit dem Feind werde ich doch nicht Liebschaften machen. Die Unsrigen schont man auch nicht!«

»Ich muß dich mit Kasper zusammenspannen,« ließ sich nach einer Weile Zaremba nochmals vernehmen.

»Das lob ich mir im Paar, aber nur im Steirischen. Zu Befehl, Herr Lieutnant!« beeilte er sich schnell beizufügen, als er auf Zarembas Gesicht eine drohende Falte bemerkte.

Sie erreichten schließlich den Ort Pyszki, richtiger gesagt eine große Schenke, die an einem scharfen Knie der Landstraße am Rande eines alten hohen Waldes lag. Es standen dort schon verschiedene ausgespannte Gefährte und ein Teil der Dienerschaft nur in Hemd und Hose spielte Karten im Schatten der Bäume.

Der Schankwirt, ein rothaariger Jude, erklärte unter Verbeugungen und Schwenkungen seines Käppchens, daß das Fest am Fluß gefeiert würde und eilte voran, den Weg zu zeigen. Zaremba nahm Staschek mit, der wehmütigen Blickes nach den Flaschen schielte, die bei den Kartenspielern standen.

Kaum waren sie auf einen schmalen Waldpfad eingebogen, der ziemlich abschüssig zum Njemenfluß führte, als Flötenspiel und Gesang sie erreichte.

Die Gesellschaft hatte sich am jenseitigen Waldrand auf einer großen Waldwiese, die mit Gras recht üppig bewachsen war und auf der vereinzelt alte Eichen standen, gelagert. Der Fluß schimmerte von unten als blauer gewundener Pfad hinauf, auf dem hier und da die großen weißen Lappen der Segel standen. Die Stille des späten Nachmittags ruhte auf der Welt, die Sonne hing schon ziemlich tief über den Wäldern, so daß die alten Eichen lange Schatten über die Wiese legten. Die mit dem erfrischenden Duft eines von der Sonne durchwärmten Waldes erfüllte Luft war von leichten Nebelgespinsten umflort, die in den Niederungen wie leichte Schleier hingen.

Inmitten dieser entrückten Stille, die von der Kuppel eines makellosen Himmels überdacht war, schwang sich ein Chor entzückender Mädchenstimmen auf und unter Begleitung von Schalmeien und dem fernen ersterbenden Glockengeläut der Kirchen von Grodno ließ sich wie eine silberne Kaskade ein Lied vernehmen.

Il pleut, il pleut, bergère,
Presse tes blanc moutons;
Allons sous ma chaumière,
Bergère, vite, allons!

tönten die zärtlichen Mädchenstimmen und der Chor der Singenden, die sich inmitten der Wiese wie ein Blumenbeet unter einem Windhauch rhythmisch wiegten, wiederholte immer aufs neue den Kehrreim, während Terenja, die ganz vorne stand, den Takt dazu mit einem bebänderten Stäbchen schlug und den Gesang mit einer lieblichen hohen Stimme anführte.

Die singenden Mädchen waren alle als Schäferinnen in helle, kurze Röcke gekleidet, trugen breite Schärpen und große Strohhüte, die unter dem Kinn zusammengebunden waren. Sie hielten lange, bebänderte Rohrstöcke in den Händen und hatten jede ein vergoldetes Rohrkörbchen über den Arm gehängt.

Die Musikanten spielten hinter einem Gebüsch versteckt, so daß man nur ihre bekränzten Köpfe sah, auf Flöten und Pfeifen eine Begleitung zum Reigen.

Zaremba beschleunigte, durch das ungewöhnliche Bild entzückt, seine Schritte, um die Gesellschaft zu erreichen, blieb aber, als er die Stimme der Kammerherrin vernahm, wie angewurzelt stehen.

»Ich habe warten müssen!« flüsterte sie zärtlich und wies ihm einen Platz neben sich.

Er ließ sich erfreut neben ihr nieder. Gruppen aufgeputzter Damen und prächtiger Kavaliere, die aussahen, als wären sie alle zusammen aus den letzten Pariser Kupferstichen ausgeschnitten, bewegten sich ungezwungen vor ihren Blicken in zärtliche Flüstergespräche versunken: hier und da sah man gefühlvolle Seladons im Grase zu Füßen ihrer Astreen liegen, die auf kleinen Teppichen und Kissen am Boden saßen; verliebte Pärchen wandelten an den Rändern der Waldwiese und verloren sich ab und zu geschickt im unweiten Dickicht; ein Teil der Gesellschaft unterhielt sich mit recht lärmenden Spielen, andere versuchten selbst zu tanzen, aber die meisten hatten gelangweilte Gesichter, müde Bewegungen und blickten recht trübe drein. Vergeblich setzte die Kapelle immer aufs neue ein, um tanzfrohe Anglaisen, Steirer und Menuette zum besten zu geben, während die Lakaien in weißen zottigen Röcken unermüdlich süße Muskateller- und Alicanteweine anboten, und die schönen Wirtinnen sich mühten, dem stockenden Fest neues Leben einzublasen. Die Langeweile wollte sich nicht verjagen lassen.

Auch die Balabajkas, die wilden Gesänge und Kosakentänze der von Blum und seinen Freunden für das Fest herbestellten Grenadiere, halfen kaum etwas. Man hatte ihnen ein anerkennendes Bravo und eine Handvoll Dukaten für ihr unmenschliches Gegröhl und ihre wahnsinnigen Sprünge gespendet, aber niemand war darüber wirklich entzückt.

Selbst das berühmte Böckchen der Frau Nowakowska, das mit seinen vergoldeten Hörnern nach jedem stieß, der ihm in den Weg kam, und damit seine Herrin belustigte, welche ihn mit Liebkosungen überschüttete, machte keinen Eindruck.

»Was macht sich denn der Woyna da um die verblühte schöne Clelia zu schaffen?« wunderte sich Zaremba.

»Er bekehrt sie zur Tugend, zum Ärger der Brüder Krotowski,« meinte die Kammerherrin lächelnd.

»Und was für eine Rolle spielt denn dieses Horntier hier?«

Er zeigte auf den Bock.

»Du denkst doch nicht an ihren Mann?« Die Kammerherrin lachte spöttisch auf. »Das Böckchen, das ist ihr teuerster Freund, sie trennt sich von ihm niemals, selbst ihre Besuche macht sie in seiner Begleitung.«

»Diesen Aspekt kann ich mir imaginieren!« er lachte mit.

»Sie betritt doch immer die Empfangssäle wie eine siegreiche Aurora, der weiße Bock voran, an goldenen Zügeln und ihre unvermeidlichen Bewunderer, die Brüder Krotowski, nebenher.

»Es würde noch komischer wirken, wenn sie die drei Esel als Vorspann benutzte.«

»Man sieht sie oft genug in allerhand Wäldchen spazieren gehen mit ihrem Bock an der Leine, als suchte sie nach zärtlichen Schäfern und träumte dabei von einem süßen Beisammensein in einer einsamen Chaumière.«

»Sie findet nicht schwer, was sie sucht, bei dieser Fülle von Militär in der Umgegend von Grodno!« scherzte er derb.

Beleidigt durch seine Worte murmelte sie mit einem wehmütigen Vorwurf:

»Nur eine Frau besitzt die Fähigkeit von einem Glück au pays du tendre zu träumen!«

»Ach!« griff er ihre Worte auf, »dort, wo die zaubrischen Flüsse: Wertschätzung, Zuneigung und Zärtlichkeit fließen! Wo die Liebe, jenes parfait amour durch billets doux, petit soins und vor allem durch freigebige cadeaux gepflegt wird! Ich kenne diesen hohlen Zauber!«

»Wort für Wort dasselbe sagt auch der Kammerherr, entgegnete sie verächtlich.

»Wie steht es mit seiner Gesundheit?« warf er mit einem boshaften Lächeln hin.

»Du kannst Terenja danach fragen, mich aber sollst du damit menagieren!«

Die nußbraunen Tigeraugen sprühten Zornesfunken und eine plötzliche Röte färbte ihre Wangen wie mit feinem Staub, er aber wies, ohne ihrer Empörung zu achten, auf eine Gruppe Damen und fragte:

»Wer ist denn diese reizende Blondine? Sie ist wirklich entzückend!«

»Das ist ein Hut à l'anglais und ein Kaschmirschal.«

Er sah sie an, ohne zu verstehen.

»So ist es, und diese daneben, die kleine Bewegliche, das ist eine Capotte en crêpe amaranthe; die schwarzhaarige Dritte mit der Adlernase da, das ist ein inwendig plissierter Samthut, die vierte aber das ist ein Westrock aus Linon und eine Kapotte aus Taffet. Ich benenne die Bekleidungsstücke, denn alles, was ich von den Personen sagen würde, könnte dir wieder wie hohler Zauber gelten, über den man nur zu lachen hat,« redete sie giftig.

Er vermochte nicht, diesen Rachestich zu parieren, denn plötzlich entstand ein lauter Lärm. Die Kapelle brach in eine Fanfare aus, vom Wald her knallten Gewehrsalven und perlende Champagnerkelche hoben sich empor, während von Blum mit Begeisterung ein Hoch auf die Damen ausbrachte, die an dem Fest teilnahmen. Es war noch nicht einmal der reiche Beifall verklungen, als Woyna mit seinem Stöckchen an die Kristallbowle klopfte.

»Woyna will antworten! Still da! Woyna will einen Toast ausbringen!« begann man von allen Seiten zu rufen und bildete einen Kreis um ihn.

Woyna erhob sich schwerfällig und, indem er seine Tasse in die Höhe hob, rief er:

»Ich wollte nur um Zucker für meinen schwarzen Kaffee bitten.«

Nach einer augenblicklichen Verblüffung brach ein lautes Gelächter von allen Seiten aus und Terenja kam ganz aufgeregt zu Zaremba herüber, um ihn zu bestürmen:

»Mein Goldener, laß doch den Woyna dem Blum antworten. Der Blum hat das Fest eingerichtet und auf unsere Gesundheit getrunken, es gehört sich doch, daß man sich bei ihm bedankt. Es wäre häßlich, wenn niemand das täte. Kommen Sie also mit mir, wir wollen ihn bitten. Nur schnell!«

Er mußte nachgeben, aber Woyna, der gerade dabei war, einen Witz zu erzählen, wobei die Zuhörer fast vor Lachen vergingen, wollte nichts von einem Trinkspruch wissen.

»Nein, wie schlecht! wie abscheulich! Nein, das ist wirklich ... das werde ich Martin sagen ... er wird dann ...« murmelte sie und schluckte die Tränen ihrer Enttäuschung nieder. An der Brust der Kammerherrin weinte sie sich darauf aus, wobei sie auf alle schalt, auch Zaremba bekam sein Teil ab.

»Sie hätten es tun müssen. Immer antwortet der Offizier dem Offizier. Wenn Martin dagewesen wäre! ... In Kozienice hat Papa selbst auf die Gesundheit der russischen Husaren getrunken!«

»Wenn ich meine Batterie hier hätte, dann würde ich ihnen schon Vivat schießen lassen!«

Sie zeigte ihm die Zungenspitze und weil sich gerade die ersten Klänge der Anglaise vernehmen ließen, trocknete sie rasch die Augen, rückte den Hut zurecht, und nach einer Weile sah man sie schon mit von Blum als erstes Paar tanzen. Sie sah, während sie sich verbeugte, knickste und ihrem Tänzer zunickte, so rosig, lächelnd und reizend aus, daß aller Blicke an ihr hingen.

»Terenja ist wirklich von dem Kerl ganz eingenommen.«

»Es ist doch nichts als eine gewöhnliche Freundschaft im Stile Marivaud, sehr artig und ganz und gar nicht sündhaft.«

»Ich habe über diesen Offizier Berichte gehört, die eines ausgemachten Hundsfotts würdig sind.«

»Aber das ist doch einer der zärtlichsten Troubadoure, die verkörperte Erhabenheit. Sie schwärmt für ihn.«

»Sie hat doch aber einen Verlobten, den sie anscheinend lieben soll,« bemerkte er streng.

»Was schadet das? Die heiligen Rechte der Liebe werde ich immer verteidigen,« sagte sie herausfordernd und schmiegte ihren Arm an seine Brust; sie saßen wieder nebeneinander auf dem Teppich. Ein Beben ging durch seinen Körper und indem er ganz aus der Nähe in ihr fast unwirklich schönes Gesicht schaute, murmelte er mit einem blassen Lächeln:

»Und führe mich nicht in Versuchung!«

»Ich habe gewünscht, daß du kommen mögest!«

Sie schloß die Augen und schob die Lippen, die das Aussehen eines gespannten Bogens hatten, leicht vor. Ihr Atem ging hastig.

»In Gedanken war ich stets bei dir!« sagte er kaum hörbar.

»Bleibe, gehe nicht fort, bleibe bei mir!« flogen leise, heiße Worte ihm entgegen.

Sie hob plötzlich die Lider und versenkte in ihn die feurigen Pfeile ihrer Augen, so daß er unwillkürlich zurückprallte, als hätte ihn glühendes Eisen berührt; mit trauriger Stimme antwortete er nur:

»Um wieder aus dem Paradies vertrieben zu werden!«

»Alles ist malgré moi geschehen. Du weißt gar nicht, in welchen Seufzern meine Tage hingehen, das kannst du gar nicht wissen!«

»Und meine! ... meine!« stieß er hervor, sein Gesicht war sehr blaß geworden und er griff sich unwillkürlich ans Herz.

»Ich verehre dich! Ich muß dir heute alles erzählen. Alles! ... Widme mir den heutigen Abend ... Und jetzt erheben wir uns, denn es kommen Frau Ozarowska und die Gräfin Camelli auf uns zu.«

Welche neue Kabale will sie jetzt um mich spinnen? dachte er, indem er etwas zurücktrat, denn eine Anzahl Damen, die vom Empfang bei Sievers kamen, umringten die Kammerherrin. Er betrachtete sie wieder beträchtlich kühler, als hätten ihn ihre leidenschaftlichen Geständnisse, an die er nicht glaubte, ernüchtert und selbst die Erinnerung daran bereitete ihm Unbehagen.

Sie hat gelogen, und morgen sagt sie dasselbe einem anderen. Sie ist mit Cycyanow auseinandergegangen und glaubt in bezug auf mich, daß ich den billigen Ersatz spielen soll. Zu sicher baut sie auf die Macht ihrer Reize, grübelte er finster.

»Nun, mein Ritter,« flüsterte ihm Woyna zu, der sich ihm inzwischen genähert hatte, »die Feste hängt die weiße Fahne aus und will mit aller Macht kapitulieren.«

»Alte Schliche zur Besiegung der Leichtgläubigen,« entgegnete er im gleichen Ton.

»Du mischt nicht schlecht die Liebeskarten, es würde sich lohnen, mit dir va banque zu spielen!«

»Wenn mich nur der Gewinn locken wollte,« entgegnete er mit einem müden Lächeln.

»Wie geht es dir denn in Grodno?« fragte Woyna, das Gespräch wechselnd.

»Ich treib' mich hier herum, wie die arme Seele in der Hölle. Wie du weißt, bin ich auf einer Reichstagssitzung gewesen, habe heute beim König und selbst bei Sievers Besuch gemacht, schaue zu, horche, überlege und fange an zu glauben, daß entweder ich oder die Allgemeinheit nicht mehr ganz bei Sinnen sind.«

»Warum denn? Bekenne dich zur Wahrheit.«

»Du kennst sie besser als ich,« entgegnete er traurig. »Und zum Schluß habe ich noch vor einer Stunde fast die ganze Republik zu Füßen von Sievers gesehen. Aber ich habe meine Verzweiflung mit der Hoffnung vermählt und damit salviere ich meine fünf Sinne.«

»Es ist nicht die Stunde und nicht die Zeit für derartige Erörterungen,« bemerkte Woyna vorsichtig.

»Damit reden sich hier alle heraus, um der Wahrheit nicht ins Auge zu sehen.«

»Es ist vielleicht auch besser, ihren Blick nicht zu kennen. Wie findest du das Fest?«

»Unaussprechlich langweilig. Wenigstens was mich anbetrifft.«

»Du hast recht, wenngleich von Blum und seine Kameraden weder Mühe noch Ausgaben gespart haben, um das Picknick wirklich champètre zu machen.«

»Also amüsieren wir uns hier dank deren hochherziger Gnade?«

»Der Fürst Cycyanow, von Blum, Arseniew und andere Ritter derselben Tafelrunde wünschten, sich der ganzen Gesellschaft für die vielen Bälle und Festlichkeiten erkenntlich zu zeigen.«

»Wie freundlich von ihnen, sie werden sich das schon und zwar mit gutem Profit, wieder einholen. Blum hat ja gute Erfahrungen auf diesem Gebiet.«

Er berichtete ihm den Vorfall mit Karpinski.

Woyna ließ sich die Sache nicht allzusehr zu Herzen gehen, er hob den goldenen Knauf seines Stockes an die Lippen und bemerkte bissig:

»Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß Blum ein ›tatkräftiger Staatsbürger‹ ist. So nennen die Royalisten die Jakobiner und die Diebe. Und irgendwo steht es selbst geschrieben: Wer seinen Nächsten nicht schindet, wird selbst geschunden. Ich weiß nicht, ob meine Zitation wortgetreu ist, ich müßte schon danach den Bischof Kossakowski fragen. Doch gehen wir, unsere pflichtschuldige Huldigung der Frau Hetmanin Ozarowska darzubringen.«

Terenja versperrte ihnen den Weg und wandte sich hitzig gegen Zaremba:

»So kümmern sich Euer Edlen um meinen Schutz!« neckte sie.

»Ich mußte vor dem Kapitänsrang zurücktreten. Wie sollte ich mich mit von Blum messen können!«

»Aha, jetzt weiß ich, wo der Hase im Pfeffer liegt! Gleich will ich es Isa sagen, wie Euer Edlen zärtlich zu mir sind.«

Sie machte einen Knicks voll komischer Übertriebenheit und rannte davon.

»Der arme Martin, wenn der die für voll nimmt! Sie hat ja nur Vergnügungen und Liebeleien im Kopf.«

»Alle sind sie gleich,« zischte Woyna gehässig. »Immer bewundere ich die Weisheit Mahomeds. Das ist der einzige unter den Weisen, der die Natur der Frauen bis zu Ende begriffen hat und ihnen gab, was sie brauchen: das Haremgefängnis und die Aussichten auf einen Strick. Die Frau ist die schönste Schöpfung der Natur, aber leider auch die am meisten mißlungene.«

»Der Starostensohn redet schon wieder etwas gegen die Frauen!« lachte Frau Ozarowska, sich den beiden in der Umgebung einer Anzahl Damen und eines ganzen Gefolges von jungen Herren und Offizieren nähernd.

»Ich habe gerade das Lob Mahomeds und die Wonnen des Harems gesungen.«

»Sie hassen also die Frauen?« fragte die Gräfin Camelli.

»Aus Verzweiflung, daß ich nicht alle auf einmal verehren kann!«

»Für einen solchen Haß müßte er zu einer lebenslänglichen Heirat verurteilt werden.«

»Erbarmen, diese Strafe ist gar zu grausam!« rief ein Stutzer im zebrafarbenen Frack aus.

»Eine langweilige Sache und dabei von ganz schlechtem Stil!« entschied einer der Brüder Krotowski.

»Euer Edlen rühmen wirklich das Haremsleben?« drängte die junge Prinzessin Czetwertynska.

»Ich liebe die Vorrechte, die ich durch Peitsche und Liebkosung aufrecht erhalten kann!« höhnte er schon auf seine gewohnte Weise und er ließ darauf solche Schwärmer von Witz und Bosheit aufsteigen, daß man allgemein lachte, obgleich sie reichlich mit Widerhaken versehen waren.

Die Kammerherrin näherte sich Zaremba und flüsterte ihm zu:

»Ich möchte früher wegfahren und möglichst unbemerkt.«

»Ich warte auf deinen Wink.«

Und als sie fortgegangen war, rief er Staschek herbei, der sich etwas eifrig an dem grünen Wagen zu schaffen machte, in dem sich die Picknickvorräte der russischen Offiziere befanden.

»Mathies soll sich jeden Augenblick bereit halten!«

»Zu Befehl, Herr Leutnant, aber – er sah sich verzweifelt nach den aufgestellten Fässern um: »es soll doch eine Illumination sein ... und ... wie gesagt ...«

Seine Zunge war schwer, als ihm aber der finstere Blick Zarembas begegnete, reckte er sich stramm und ging im militärischen Schritt davon.

Zaremba wollte sich von der Gesellschaft absondern, aber immer wieder wurde er von neuen Menschengruppen umzingelt, mußte immer von neuem reden, Komplimente sagen, die Hände drücken und trinken, obgleich ihn das ganze Fest langweilte, die sich verliebt Gebarenden ihn reizten und Sievers kecke Offiziere, welche sich übertrieben zuvorkommend gegen die Damen und allzu gönnerisch gegen die Männer benahmen, ihn bis zum Zorn aufbrachten. Schließlich warf er schon absichtlich mit beißenden und höhnenden Worten um sich, stieß mit den Ellenbogen hier und da an und legte dann bei den leichtesten Zeichen von Ungeduld des anderen seine Hand herausfordernd auf den Degenknauf. Besonders war es der Terenja nicht auf einen Augenblick verlassende von Blum, der ihn bis zum äußersten reizte, aber auch dieser ließ sich, trotz den sehr deutlichen Anrempelungen und Sticheleien, nicht aus dem Gleichgewicht bringen und quittierte alles mit einem nachsichtigen Lächeln. Zaremba nahm auch schließlich davon Abstand unter dem Einfluß der leidenschaftlichen Blicke der Kammerherrin, die ihn mit einer unvergleichlichen Zärtlichkeit bewachte, wobei sie meisterhaft Hingabe und Verliebtheit zu zeigen verstand, sie wußte immer wieder seinen Weg zu kreuzen, ihn immer wieder mit ihren schwärmerischen Blicken zu umfassen, sie träufelte ihm im Vorübergehen leicht hingeworfene Leidenschaft atmende Worte ein; einmal fühlte er die zufällige Berührung ihrer Hand, dann streifte ihn wieder ihr duftendes Haar, oder sie bevorzugte ihn so offenkundig, daß sie damit ein allgemeines Geflüster hervorrief und die eifersüchtigen Blicke verschiedener Kavaliere auf ihn zog, die die Hoffnung hegten, den Nachlaß des Fürsten Cycyanow antreten zu können. Für Augenblicke bereitete ihm dieses Spiel Freude, und er ließ seine Augen triumphierend über die Gesichter seiner Nebenbuhler gehen, aber noch häufiger empfing er diese ihre Geständnisse mit Widerwillen und Unruhe.

Sie lockt mich, wie man ein Kind mit einer Feige lockt!

Kaum hatte er das gedacht, als sie gerade dicht neben ihm auftauchte.

»Nach einer Weile sollen noch einige Überraschungen kommen und dann wollen wir fort. Du schweigst?«

»Ich bete dich an!« Es war ihm schwer gefallen, dieses glatte und lügnerische Kompliment zustande zu bringen.

»Du hast in meinem Herzen einen Tempel!« streifte ihn ihr kaum hörbares Geflüster, und schon war sie wieder fort.

Eher hat sie darin einen Gasthof, in dem jeder Aufenthalt findet, der es nur wünscht! sann er vor sich hin und brütete gleichzeitig darüber nach, woher ihm diese seltsame Wut und Erregung kam, als einige Schritte vor ihm Nowakowski auftauchte. Neben ihm ging ein Schlachtziz mit einem tonnenförmigen Bauch und einem Gesicht, das wie eine Schüssel gebräunter Butter glänzte; er trug einen Leinwandkittel, der von einem einfachen Ledergurt umspannt wurde; ein Säbel in einer schwarzen Scheide hing an seinem Gurt. Der Schlachtziz hatte das Aussehen eines in allen Registern beschlagenen Kumpans und eines Säufers, wie man sie auf Landtagsversammlungen der Schlachta häufig zu finden pflegt. Als er die Damen erblickte, nahm er seine fadenscheinige Mütze ab, strich sich über seinen gelben Hängeschnurrbart und begann sich nach allen Seiten zu verneigen. Ein schlankes Bürschlein im dunkelblauen Zupan Polnischer Nationalrock, ein fast bis zu den Fußknöcheln oder auch nur bis zu den Knieen herabreichender engärmeliger Kaftan. mit dem Gesichtchen eines Cherubims hielt sich ängstlich an seiner Seite.

Nowakowski flüsterte von Blum einige Worte zu, worauf dieser sehr höflich auf den Unbekannten zutrat.

»Wir bitten, uns bei der Bewirtung Gesellschaft zu leisten.«

»Mit wem habe ich die Ehre? Ich bin Kulesza, Sohn des Truchsessen von Liwa und das ist mein Sohn!«

»Nehme Er doch Platz ohne Umstände!« lud ihn Nowakowski ungeduldig ein.

Sie mußten trotzdem ihm ihre Namen nennen und ihn auch noch den Damen vorstellen; er küßte allen der Reihe nach schmatzend die Hände ab bis zu den Kammerzofen, die beschämt entwichen.

»Die nicht gerupften Vögelchen sind immer scheu. Jascho, küß mal den gnädigen Damen die Hand!«

Jascho, rot wie eine Bauernrose, hätte fast vor lauter Schüchternheit zu weinen angefangen,. aber unter dem strengen Blick seines Erzeugers mußte er die Hände küssen, bis ihn die Damen schließlich in ihre Mitte nahmen und voll Anerkennung für seine Schönheit mit Süßigkeiten zu füttern anfingen wie ein Nesthäkchen; sie streichelten ihn eifrig und kamen zuguterletzt dazu, ihn recht zärtlich abzuküssen.

»Euer Edlen müssen uns zuerst einholen!« lachte von Blum, indem er dem Schlachtziz einen großen Kelch vollschenkte.

»Ex fructibus eorum cognoscetis eos.«

Er schnalzte mit der Zunge gegen den Gaumen, daß es sich anhörte, als hätte jemand mit der Peitsche geknallt, und stürzte den Kelch in einem Atemzug hinunter.

»Kleinigkeit! Nicht mit solchen habe ich schon zu tun gehabt. Ich könnte dieses Achtel bis zum letzten Tropfen aussaufen, ohne das Maul abzusetzen.« Er wies auf ein recht ansehnliches Fäßchen, das auf einem Bock lag.

»Der wird wohl seine zwanzig Quart fassen!«

Er faßte es bei den Zargen und wog es in den Armen.

»Wollen es Euer Edlen austrinken?« rief Woyna erstaunt. »In einem Zug ...?«

» In magnis et voluisse sat est. Wer will, der kann, sagte er prahlerisch.

»Tadelloses Latein und ein echter Bernhardinerbauch, aber wollen wir wetten, daß Euer Edlen dieses Fäßlein nicht bewältigen werden?«

»Ich halt' dagegen, daß ich es austrinke!« er streckte Woyna seine Hand hin und blinzelte dabei schlau mit seinen verquollenen Äuglein.

»Ich halte fünfundzwanzig Dukaten dagegen!« erhitzte sich Woyna.

»Und ich setze auf ihn!« rief der für jede Form von Hazard geneigte von Blum.

»Ich auch! Ich auch!« ließen sich zahlreiche Stimmen vernehmen. Man umringte ihn, selbst die Damen strömten herbei, um zu fragen, was vor sich ginge.

»Meine Herren, erklären Sie sich deutlich!« schrie Woyna und schüttete seine Dukaten in die alte schäbige Schlachtzizenmütze; die anderen taten desgleichen, und im Handumdrehen waren fünfzig Dukaten beisammen.

»Nimmt Er die Wette an? ... In der Mütze sind fünfzig Einheiten.«

»Ich nehme sie an! Pecuniae oboediunt omnia« sagte der Schlachtziz feierlich.

»Trinkt Er das, dann sind die Dukaten sein, wenn nicht, werden wir Seiner Edlen Fünfzig einbläuen. Das sind unsere Bedingungen!« entschied Nowakowski.

»Einverstanden, aber die Prügel auf einem Teppich! Ein Schlachtziz bin ich wie Euer Edlen allesamt, und man darf mich nur auf einem Teppich prügeln.«

»Schon gut. Ans Werk! Versteht sich, auf einem Teppich!« rief man von allen Seiten.

Er wandte sich ab, um seinen Gurt und seine Pluderhosen zu lockern, steckte den Säbel in den Boden, hängte seine Mütze darauf und ließ sich, nachdem er sich auf dem Grasplatz zurechtgesetzt hatte, gegen seinen Rücken einen zusammengerollten kleinen Teppich als Stütze schieben.

»Heda, ihr Lümmel, den Spund heraus!« herrschte er die Lakaien an.

Staschek zog geschickt den Spund heraus und reichte ihn: das Faß hin.

Kulesza bekreuzigte sich, griff das Faß bei den Zargen, hob es über die Höhe seines Mundes und fing an, zurückgebeugt den Wein in sich einzugießen.

Es wurde still, selbst die Musik schwieg, alles kam zusammengelaufen, um das Schauspiel zu sehen. Aller Augen hingen an ihm, er aber trank und trank, schluckte und schnaubte und bog sich immer weiter zurück, bis sich sein Rücken gegen die Teppichrolle stützte und er nur noch langsam schlürfen konnte.

Seine Augen traten hervor, perlender Schweiß netzte sein blau gewordenes Gesicht, die Halsadern schwollen an wie Stricke und der Bauch quoll auf mit erschreckender Geschwindigkeit.

Das anfänglich kurzweilige Bild wurde so widerlich, daß die Damen flüchteten und die jungen Kavaliere mit Herzklopfen beunruhigt auf den Augenblick warteten, in dem Kulesza den letzten Tropfen ausgesogen hatte, das Fäßlein von sich schleuderte und hervorlallte:

» Nil admirari! Das Wort ist gesagt worden, der Gaul steht vorm Zaun! Ein altpolnisches Sprichwort, entspricht dem Sinn nach etwa folgendem: »Was versprochen ist, muß gehalten werden«. Paß auf, Jascho!«

Und er sank stumm besoffen ins Gras.

Das Bürschlein schob die Mütze mit den Dukaten unter sein Haupt und fing mit einem Grashalm an, den väterlichen Schlund zu kitzeln, bis ein wohltuender Erfolg eintrat.

Alles wich vor Ekel zurück, nur Staschek war mit einer seltenen Fürsorge dabei, dem Betrunkenen mit dem Schoß seines Kittels das Gesicht zuzudecken, indem er zugleich nach den Dukaten langte, aber Jascho knurrte ihn drohend an:

»Rühr nicht an, sonst kriegst du was über den Kopf!« Und er griff kampfmutig nach seinem Krummsäbel.

»Wenn er sich nur nicht die ewige Seligkeit angetrunken hat,« meinte Zaremba besorgt.

»Er schläft aus und morgen kann er wieder von neuem anfangen! Der hat einen Schlund, daß ihn der Teufel ...«

»Ein bekannter Säufer, berühmt in der ganzen Republik! Er soll sich unter der Protektion des Fürsten Radziwill, ›Panie Kochanku‹ Einer der mächtigsten polnischen Magnaten, so benannt nach seiner Lieblingsanrede: lieber Herr »Panie Kochanku«. seligen Angedenkens so eingeübt haben. Aber ein Meister ist er!« staunte Nowakowski.

»Woher haben ihn denn Euer Wohlgeboren hergeholt?«

»Vor der Schenke habe ich ihn angetroffen, er erzählte mir solchen Unsinn und spickte ihn derartig mit Latein, daß ich ihn mitgenommen habe, um der Gesellschaft einen Spaß zu bereiten. Ich habe nicht gedacht, daß er ein solcher Meister in seinem Fach sei! Wohin reist ihr denn?« er wandte sich an den jungen Burschen.

»Zum Reichstag nach Grodno,« entgegnete dieser, indem er mit einem Schnupftuch über das väterliche Gesicht scheuerte.

»Er findet dort würdige Kumpane, aber ich zweifle, ob ihn einer übertrumpfen wird!«

»Es gibt noch immer berühmte Gurgeln hierzuland, hauptsächlich unter dem Graurock-Adel. Der niedrige Adel Polens. Ich supponiere, daß zum Beispiel Podhorski sich ihm zu einem Zweikampf stellen könnte.«

»Zwanzig Quart Burgunder wird er auf einen Zug doch nicht austrinken können. Das ist ein wahres Vieh, dieser Truchsessensohn, sagte Woyna schneidend und folgte Zaremba zu den Damen, die sich einer Laune der Prinzessin Czetwertynska wegen, welche plötzlich nach frischer Milch verlangt hatte, besorgt zeigten. Blum war verzweifelt, denn unter den Vorräten war keine Milch und in der Schenke konnte man auch keine erhalten. Zum Glück machte irgend einer den Vorschlag, eine Kuh von der nächsten Weide zu holen.

Die drei Brüder Krotowski und einige Offiziere rannten davon, um das Heldenstück zu vollbringen, und nach kurzer Zeit erschienen sie auf der Waldwiese, eine brüllende Kuh vor sich hinschiebend; ihnen nach rannte, laut wehklagend, die Kuhhirtin mit wehendem Haar.

»Die Milch ist da!« rief Blum triumphierend, »wer wird sie aber melken?«

»Selbstverständlich ich allein,« entschied die Prinzessin.

»Pfui, sie riecht aber furchtbar nach dem Stall!« warnte Frau Nowakowska.

»Selbst in den Romanen riechen die Kühe nicht nach Lilien,« bemerkte Woyna spöttisch. »Man kann sie aber schließlich mit Wohlgerüchen besprengen, das wird sehr poetisch sein.«

Man wusch auch tatsächlich die Euter der Kuh mit Eau de la reine d'Hongrie und begoß sie ganz mit wohlriechenden Essenzen, zur allgemeinen Rührung der Damen und unbändigen Freude der Dienerschaft. Besonders Staschek, der hinter seinem Herrn stand, wollte sich fast vor Lachen ausschütten.

»Herr Leutnant, daß ich nicht toll werde ... O Jesus, daß meine sündigen Augen noch so etwas erleben konnten! O heiliger Hundeschwanz! hihi!«

Man geleitete die Kuh feierlich auf einen ausgebreiteten Teppich, die Dienerschaft hielt sie an den Hörnern, am Rücken und am Schweif fest, und die Prinzessin setzte sich davor auf einen Stoß Kissen und machte sich daran, unter andächtigem Schweigen in eine Terrine zu melken.

»Göttliches Bild! Sublime! Entzückend! Invoyable!« rieselte entzückendes Geflüster, bis die Prinzessin die halb voll gemolkene Terrine erhob und ausrief:

»Wer Durst hat, den werde ich mit wirklichem Nektar tränken!«

Natürlich hatten alle Durst, aber nur wenige durften mit ihren Lippen das heilige Gefäß berühren, um wie in verzückter Ekstase und unaussprechlicher Glückseligkeit zu trinken; als aber die Reihe an Woyna kam, bemerkte er trocken:

»Eine wundersame Verwandlung: die Kuh ist schwarzweiß und die Milch, die sie gibt, veilchenblau!«

»Das ist wahr! Ganz wundersam! Nie dagewesen! Veilchenblaue Milch!« staunte man in der Runde.

»Und sie riecht selbst nach Veilchen,« bemerkte Frau Ozarowska mit vollem Ernst.

»Durchlaucht hat in Handschuhen gemolken und sie haben abgefärbt,« lächelte Woyna.

Die Prinzessin hob die Hände. Die langen veilchenblauen, goldgestickten Handschuhe waren an den Fingern und auf den Handflächen fast weiß, sie hatten von der Milch Farbe gelassen.

Diskretes Gekicher perlte in der Runde auf und Woyna ließ sich abermals vernehmen:

»Ein solches Ende nehmen alle Wunder.«

»Abscheulicher Voltairianer!« murmelte Frau Nowakowska verletzt.

Natürlich goß man die Milch sofort aus und jagte die Kuh mit Schimpf und Schande davon. Aber irgend einer hatte die Hirtin unter der Eiche bemerkt, unter der sie wie vor Staunen erstarrt stehen geblieben war.

»Reizendes Mädelchen! Wem gehörst du an?«

»Dem Vater,« sie rannte zu der Kuh hinüber, die unweit zu grasen begonnen hatte.

»Man müßte sie verkleiden, sie gäbe das Bild einer wirklichen Dryade,« seufzte die Gräfin Camelli.

Die Damen griffen diesen Einfall auf, bemächtigten sich des Mädchens, führten es ins Gebüsch ab und begannen sie trotz ihres Geschreis und Gewimmers zu einer Nymphe umzugestalten.

Inzwischen war die Sonne untergegangen, weißliche Nebel huben an die Waldwiese zu überfluten, die Dämmerung umhüllte die Wälder und kroch über die Niederungen; man zündete große Feuer an, aus denen Rauch und Flammen wildverschlungen in die Waldstille emporzüngelten. Irgendwo vom Njemenfluß her kam das langgezogene Brüllen der von den Weiden heimgetriebenen Kühe und fernes gedämpftes Singen.

Die Festgesellschaft begann sich zur Rückkehr zu bereiten, es entstand ein Rufen nach der Dienerschaft, ein Suchen verlegter Gegenstände und ein erregtes Hin und Her voll Lachen und Lärm.

Zaremba war schon sehr ungeduldig geworden durch das vergebliche Warten auf das verabredete Zeichen der Kammerherrin, aber er hielt sich noch immer in Bereitschaft und ganz in ihrer Nähe, obgleich sie mit ihm kein Wort gewechselt hatte und sich amüsiert mit den sie umgebenden Herren unterhielt.

Man wollte sich schon nach der Schenke aufmachen, wo die Wagen standen, als plötzlich aus dem Dickicht ein Zug von Fackeln aufleuchtete und in ihrem Lichtkreis eine Kapelle von Faunen sichtbar wurde, die aus ganzer Kraft auf ihren Querflöten bliesen und der beschämten, wie geistesabwesenden Hirtin, die als Nymphe aufgeputzt war, das Geleit gaben. Um ihr aufgelöstes flachsblondes Haar schlang sich ein Blumenkranz; sie war fast nackt, nur mit Gewinden aus Laub und Gräsern bekränzt; das armselige Röckchen, das von beiden Seiten über den Knien gerafft war, entblößte ihre mageren und schmutzigen Beinchen. Sie ging ganz in Angst und wie in einem Traume; Tränen furchten tiefe Rillen in die Schminke ihres Gesichtchens, aber die blauen Augen funkelten dennoch voll eines Entzückens und auf den offenstehenden Lippen blühte das Lächeln kindlicher Entrücktheit.

Das Bild war trotz seiner Seltsamkeit ganz ungewöhnlich, und die Hirtin von einer so wilden Schönheit und scheuen Anmut, daß ein lautes Beifallklatschen und Rufe des Entzückens laut wurden.

»Sie ist einfach wunderbar! Wir müssen sie nach Grodno mitnehmen,« entschied Frau Hetmanin Ozarowska.

»Wir haben ein Waldnymphlein gefangen und wollen sie in einer Kavalkade der Frau Generalin Dziekonska hinbringen.«

»Man könnte sich selbst auf einem Kupferstich nichts Schöneres ausdenken!« rief man von allen Seiten.

Niemand achtete mehr auf den im Grase schlummernden Truchsessensohn aus Liwa und auf seinen Jascho, der neben ihm Wache hielt.

Sie zogen über die Waldwiese in das nächtliche Dunkel des Waldes hinein, das vom Flackerlicht der Fackeln, vom Gezwitscher der Flöten und von dem Lärm erregter Stimmen aufgescheucht ward.

»Ich erwarte dich. Um Mitternacht wird Licht von der Gartenseite sein. Ich liebe dich!« hörte plötzlich Zaremba an seiner Seite, und gleich darauf legten sich brennende Lippen auf seine Lippen zu einem so begehrlichen Kuß, daß ihm fast der Atem ausging und Sterne vor seinen Augen aufflimmerten.

Nach einigen Augenblicken ging er wieder ganz für sich durch einen Waldpfad. Die Kammerherrin war in die Dunkelheit zurückgetaucht und er hörte nur noch ihr silbernes Lachen irgendwo aus dem Stimmengewirr der Festgesellschaft.

Er sah sich um, er war ganz allein, selbst Staschek hatte sich plötzlich irgendwohin verflüchtigt.

Vor der Schenke standen schon die Wagen bereit; im ersten nahmen die Kammerherrin mit Frau Ozarowska, die Prinzessin Czetwertynska und die Gräfin Camelli mit der Nymphe Platz.

Die Wagen ordneten sich zu einem langen Zug und jeder wurde durch zwei berittene Heiducken mit Fackeln und einen roten Musikanten angeführt, der eine Trompete gegen die Lippen hielt. Auf ein Zeichen ertönte eine festliche Fanfare und der ganze Zug setzte sich leicht in Bewegung.

Es war schon völlig dunkel geworden. Eine Nacht voll linder Wärme und feuchter Wiesendüfte kam über die Erde; die weißen Stämme der Birken am Wege und das Gehänge ihres Gezweiges tauchten nacheinander wie verträumt im Schein des Fackellichts auf; von den nahen Dörfern ließ sich wütendes Hundegekläff vernehmen.

»Jesus Maria!« schrie plötzlich Frau Ozarowska auf und prallte auf den Wagensitz zurück, denn über dem Schlag der Kutsche war ein zerzauster Kopf aufgetaucht und eine weinerliche, klagende Stimme wurde hörbar:

»Das ist mein Kind! Gebt mir mein Kind zurück!«

»Dummer Bauer! Komme Er morgen aufs Schloß, dann kann Er seinen Schatz zurückholen!« fauchte sie ihn an und steckte ihm einen Dukaten zu, aber gleichzeitig ritt von Blum gegen ihn an und versetzte ihm einen mächtigen Hieb mit seiner Reitpeitsche.

»Fort von hier!« herrschte er ihn wütend an, »sonst laß ich dich totprügeln!«

Der Bauer sank mit einem Ächzen zu Boden, aus dem Wagen antwortete ihm ein durchdringender Schrei, aber alles versank sofort in einem lauten Trompetentusch und in dem darauffolgenden Wagenrollen und Pferdegetrampel.

Zaremba, der als letzter in der Reihe der Wagen fuhr, war derart in seine Liebesgedanken vertieft, daß er nicht einmal bemerkte, wie Mathies plötzlich die Pferde zum Stehen brachte.

An der Spitze des Zuges war eine Verwirrung entstanden: die Fackeln hatten sich zusammengeknäult und die Wagen bogen eilig zur Seite ab, denn es kam, die ganze Breite der Landstraße einnehmend, aus der Richtung von Grodno eine Abteilung Kavallerie auf sie zu.

»Es kommt Reiterei,« meldete Staschek: »Kosakenluder eskortieren eine Kibitka.«

Der schwarze Haufen der jagenden Reiter war schon kaum einige fünfzig Schritt entfernt, als sich aus ihrer Mitte ein lauter verzweifelter Schrei löste:

»Hilfe! Rettung!«

Zaremba griff unwillkürlich nach seinem Säbel und erteilte einen kurzen Befehl:

»Nach links, Mathies, verstelle den Weg, hau auf die Pferde ein!«

Mathies packte die Zügel, drehte auf der Stelle bei, zerrte die Pferde zurück und stürzte mit dem Wagen dem heranjagenden Haufen entgegen; gleichzeitig knallte ein Schuß, und das Deichselpferd an der Kibitka stürzte zu Boden die anderen kamen durcheinander und es entstand ein unbeschreiblicher Lärm und eine wilde Verwirrung.

»Rettung!« röchelte zum letztenmal eine halberstickte Stimme auf.

Zaremba und Staschek sprangen auf die Kibitka zu, aber es versperrten ihnen die Röhren der Karabiner im letzten Augenblick den Weg, eine Mauer von Pferdeleibern stemmte sich ihnen entgegen und eine wütende Offizierstimme herrschte sie an:

»Aus dem Weg da! Die Staffette Ihrer Majestät der Zarin! Platz machen, sonst lasse ich schießen!«

Man konnte nicht mehr daran denken, den Gefangenen zu befreien. Blum mit seinen Kameraden kam herangesprengt, die Fackeln leuchteten auf, man schnitt das angeschossene Pferd los, und der Offizier, der die Eskorte anführte, schrie und fuchtelte dabei wütend mit den Fäusten, aber von Blum hatte ihn rasch besänftigt und bald darauf schlossen sich die Kosaken um die Kibitka eng zusammen, die Nahajkas pfiffen durch die Luft, die Abteilung setzte sich in Bewegung und verlor sich in die Nacht.

»Die Pferde sind scheu geworden, er hat sie nicht halten können,« meinte Zaremba ruhig zu Blum, der etwas mißtrauisch zu ihm hinüberschielte, aber schließlich davonritt, ohne ein Wort zu sagen.

»Mit Pomp exportieren die Hunde nach Sibirien,« murmelte Mathies und sah sich um.

»Wo ist Staschek abgeblieben?« Zaremba war wütend, daß er sich vom ersten Eindruck hatte hinreißen lassen.

»Der ist irgendwo untergetaucht aus Angst, aber so einem Galgenstrick passiert schon nichts.«

Der Teufel, ich hätte mich schön hineinlegen können, sann er und ließ nicht mehr hinter der Kammerherrin zur Generalin Dziekonska fahren, sondern direkt nach Haus.

Kasper wartete schon mit seinem Bericht auf ihn und erzählte mit gutmütigem Stolz von seinen Werbekünsten, seinen Bemühungen und den Erfolgen, die er erzielt hatte.

»Wieviele hast du und wo sind sie in Quartier?« unterbrach er ihn ungeduldig.

»Hundertundzehn Mann, in den Wäldern von Poniemun, etwa zwei Stunden auf dem Njemenfluß zu fahren. Die Boote sind schon zurechtgemacht, wir können gegen Mitternacht hin, gerade zu der Zeit, wenn die Wachen am Fluß abgelöst werden. Da werden der Herr Leutnant sehen, was für ein Volk das ist: Kerle wie ausgesiebt und haben Appetit auf Feindesfleisch. Das Kommando über sie habe ich dem Furdzik gelassen. Er ist ein alter Bombardier aus Pollonna. Der hat sie auch gleich dicht bei der Haut am Schopf zu fassen gekriegt.«

»Wo hast du denn so viele zusammenbekommen?« Unruhig sah er auf die Uhr.

»Pater Seraphim hat welche aus verschiedenen Löchern zusammengeholt und welche habe ich mir zwischen dem Grodnoer Kleinbürgergesindel herausgesucht, bei dem sie untergekrochen waren, den Rest aber habe ich den russischen Werbern abgeknöpft. Das ist eine Geschichte für sich.«

»Macht nichts zur Sache! Sind denn das alles Deserteure?«

Er hatte begonnen im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Aus der ehemaligen ukrainischen Division des Generals Lubowidzki; sie haben da nicht wenige entwaffnet, und die meisten haben sie mit dem Bajonett zu fremdem Dienst genötigt; was da Ehre im Leibe hatte, hat gewartet, bis sich eine Gelegenheit zur Flucht bot. Die armen Teufel haben sich bei Bettelbrot weiterschleppen müssen und immer nur bei Nacht und Nebel durch die Wälder, viele sind unterwegs liegen geblieben, und wenn sie welche wieder ergriffen, die haben gleich ihr Leben unter Stockhieben lassen müssen, aber von denen, die dann übrig geblieben sind, ist jeder seine zehn Rekruten wert. Sie meinen, daß, wenn nur erst ruchbar wird, daß Krieg ist, kein polnischer Soldat unter fremder Fahne bleiben wird. Und so suchen Tausende ihren Weg zurück nach den Kronlanden. Das macht nichts, daß sie da in Kiew die gefangenen Deserteure bei lebendigem Leibe schinden, aufs Rad spannen und vierteilen: wer in sich den heiligen Ruf des Vaterlandes vernommen hat, den wird auch der sichere Tod nicht zurückhalten.«

»Auch der sichere Tod ...« wiederholte Zaremba mit ganz anderen Gedanken beschäftigt.

»Wohin sollen denn die Angeworbenen gebracht werden?«

»Dem Regiment Dzialynski fehlen dreihundert Mann zur Vervollständigung.«

»Das trifft sich gut, weil ich versprochen habe, daß sie die Löhnung in Warschau bekommen sollen. Und nach der Vereidigung soll ein jeder heute noch fünf Dukaten haben.«

»Und ich soll da hinfahren?« fragte Zaremba plötzlich.

»Sie warten auf Euer Wohlgeboren, man kann das nicht eine Stunde aufschieben, die Spione schnüffeln in der ganzen Umgegend herum. Ich habe sie alle ordnungsgemäß in die Tabelle eingetragen, aber der Herr Leutnant werden bei der Vereidigung zugegen sein müssen, um die Marschroute und die Pläne zu verteilen.«

Zaremba hörte nichts mehr, er starrte in die flackernde Flamme der Kerze.

Um Mitternacht ... Licht von der Gartenseite ... Ich liebe dich ... hörte er plötzlich Isas Geflüster, das ihm wie berauschende Melodie erklang. Ein Schauer seliger Erwartung durchrieselte ihn.

»Wie ist das Wetter?«

»Wolkig, ohne einen einzigen Stern. Paßt gerade gut.«

»Paßt gut!« wiederholte er wie ein Echo, indem er sich am Tisch niederließ, das Gesicht in seine Hände vergrub und mit seinen Träumen in diese sternenlose Nacht versank. – Ein Parkdunkel wisperte über seinem Haupt ... er zwängte sich durch dichtes Gebüsch ... ein Lichtschein in der Ferne! ... auf den Fensterscheiben ein zuckender Schatten ... Sie wartet, sieht hinaus in die Nacht ... Nur noch einige Schritte zum Paradies auf Erden ...

Es schlug elf, in der Tür tauchte die demütige Gestalt von Staschek auf.

»In einer halben Stunde müssen wir uns auf den Weg machen,« ließ sich die feste Stimme Kaspers vernehmen.

Mit einemmal umhüllte Zaremba tiefste Nacht und eine Kühle durchrieselte ihn bis ins innerste Mark, alles war verweht, die unerbittliche Stimme der Pflicht hatte gerufen.

Er stand vom Tisch auf und befahl kurz:

»Halte das Geld bereit, es wird Zeit, sich auf den Weg zu machen!« Er wandte das Gesicht ab, als hätte er Angst, sein Geheimnis zu verraten und versank abermals, nachdem er wieder das Zimmer zu durchmessen begonnen hatte, in Träumerei.

Isas letzte Worte kamen ihm immerfort in den Sinn, als wären sie der Inbegriff aller sehnsüchtigen Liebe und der Hoffnung auf alle Seligkeiten des Daseins, so daß er zuweilen wie geblendet nach seinem Hut suchte, nach den Handschuhen griff und selbst schon die Hand auf die Türklinke legte, aber er ging doch nicht fort, denn die vertrauensvollen Augen Kaspers brachten ihn immer wieder zur Besinnung, sie schienen zu ihm zu sprechen: »Und wenn einer den heiligen Ruf des Vaterlandes in seinem Inneren vernommen hat, dann kann ihn auch der Tod nicht zurückhalten!«

Also niemals mehr! Niemals einen Augenblick eigener Seligkeit? – Er rang mit einem grenzenlosen Schmerz, als ihm aber Kasper die Reisekleider zurechtgelegt hatte, begann er sich mechanisch anzukleiden. Mit einem Male gewahrte er Staschek und stürzte sich auf ihn mit einem wilden Funkeln in den Augen.

»Du hast auf die Kosaken geschossen!«

Staschek wurde bleich und stotterte irgend etwas Unverständliches hervor.

»Ohne Kommando?« schäumte er in höchster Wut. »Ich werde dich lehren in der Kirche zu pfeifen! Kasper, fünfzehn Hiebe für diesen Halunken!«

Staschek warf sich heulend zu Boden.

»Ich habe fünfundzwanzig verdient und weniger nehme ich nicht,« wimmerte er und versuchte Zarembas Beine zu umfassen. »Ich habe es ehrlich verdient, denn das hätte ein großes Unglück werden können! Mein Kapitän hätte mir auch fünfzig nicht erspart. Schlag zu, Kasper, wie aufs Trommelfell, nur der Herr Lieutnant sollen mir nicht böse sein!«

Zaremba packte ihn beim Kragen und riß ihn hoch, worauf er ihn wütend anschrie:

»Du wirst dich nicht mit Listen herauslügen, morgen kriegst du, was dir zukommt.«

»Es ist schon Zeit zu gehen, Herr Lieutnant!« erinnerte Kasper und reichte ihm dabei den langen Uniformrock.

Er zog ihn über, sah noch einmal nach der Uhr, seufzte tief auf, wie über dem klaffenden Grabe seines Glücks, und befahl:

»Los denn!« Dann ging er eilig voran, als triebe ihn etwas zu einer plötzlichen Flucht. –


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