Franziska zu Reventlow
Skizzen und Aufsätze
Franziska zu Reventlow

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Krank

Ich bin krank . . . Ein ödes langes Siechtum ohne Aussicht. Ich wollte alles wissen, und man hat mir alles gesagt . . . alles. Mir ist keine Hoffnung geblieben, nicht einmal die elendeste Illusion.

Und so ist es gut, so wollte ich es haben.

Jetzt warte ich Tag für Tag, eine endlose Nacht nach der anderen. Und die Nächte sind am schlimmsten. Sich so ganz allein durch die finstere, undurchdringliche Masse von Dunkelheit und Schmerzen durchwinden zu müssen, mit all der Todesangst in den kranken Nerven! . . .

Die erste Zeit – damals, als es anfing – lag ich im Krankenhaus; und leise, ganz leise gingen von Stunde zu Stunde die Schwestern aus und ein, die guten Barmherzigen Schwestern. Ein blasser Lichtschein ging ihnen voraus, und sacht kamen sie hereingeglitten mit ihrem Nachtlicht in der Hand. Wie da die weißen Schleier schimmerten und der rote Glanz der kleinen Laterne über das friedliche, heilige Gesicht und all das schneeige, blaukalte Weiß hinflackerte! Wie Gebetsstimmung kam es jedesmal über mich; ich war wieder Kind und träumte von Schutzengeln. Jetzt bin ich allein. Wenn nur die Nacht erst zu Ende wäre . . .

Langsam und qualvoll wird es Morgen, und meine Wirtin schlürft herein mit ihren müden, alten Schritten. Sie zieht die Vorhänge von den Fenstern zurück und stellt mir den Kaffee ans Bett.

Und dann gehen Stunden darüber hin, bis die entsetzliche Schwäche überwunden ist und ich mich vom Bett zum Diwan hingearbeitet habe.

Da liege ich dann und höre mit halbgeschlossenen Augen, wie draußen der neue Tag frisch und morgendlich anhebt.

Jung und kräftig klingt alles – so gesund.

Drüben in der Kaserne machen die Soldaten ihre Übungen, und die scharf abgerissenen Kommandos schallen zu mir herein. Zuweilen auch Militärmusik, irgendein morgenfroher Marsch, und unten auf der Straße klingeln die Tramways vorbei, und schwerfällige Wagen dröhnen, und die Menschen hasten und jagen durcheinander. Das ist alles so weit unten, unter meinem Dachzimmer. Das Leben tönt nur noch zu mir herauf.

Meine Wirtin bringt das Zimmer in Ordnung und unterhält mich dabei über ihre Portion Elend im Leben. Sie ist eine gute alte Frau, aber ich rede nicht gern mit ihr. Es stört und peinigt mich, daß sie so undeutlich spricht und daß sie einen schiefen Mund hat. Wenn sie spricht, muß ich immer danach sehen. Das macht mich so nervös.

Sie jammert über das Leben und wird scharf und ausfallend, wenn sie auf die Menschen zu reden kommt. Wie die alte Frau oft recht hat! Ihre verbitterte Philosophie entspringt lauter bitteren Tatsachen. Den ganzen Tag muß sie arbeiten und dabei ist sie schwach und kränklich. Ihr Mann kann nicht auf Arbeit gehen. Wochenlang sitzt er in der Küche mit entzündeten Füßen. Nur alle acht Tage einmal humpelt er die vier Stiegen hinunter und zum Kassenarzt. Denn der kommt nicht zu den armen Leuten.

Und im Frühjahr müssen die Alten aus dem Hause. Sie haben nun schon achtzehn Jahre dort gewohnt und sind alt und schwerfällig geworden. Alles das erzählt sie mir, während sie das Zimmer aufräumt. Und ich liege dabei auf dem Diwan und bebe vor Nervosität. Es strengt mich an, ihren Dialekt zu verstehen, und der schiefe Mund stört mich. Dabei ist es so kalt, und ich kann mich nicht entschließen, zu sagen, daß sie einheizen soll. Ich fürchte mich vor dem Lärm, den sie dabei macht. Endlich ist es so weit. Ich kann jetzt wenigstens das Feuer sehen und mir einbilden, daß es wärmer im Zimmer ist.

Aber nun kommen die Schmerzen wieder. Es ist unmöglich, dabei gerade zu liegen. Ich versuche, mich zu strecken, . . . und dann rollt ein neuer Krampf mich wieder zusammen. Bis in die Knie geht es hinunter und oben liegt es auf der Brust und drückt mir den Atem zusammen.

Ich bin froh, daß ich allein bin und daß niemand mich leiden sieht, niemand, außer mir selbst, – und an mich selbst bin ich gewöhnt.

Meinen kleinen Handspiegel habe ich immer neben mir liegen. In den schlimmen Stunden beobachte ich mein Gesicht darin. Ich will keine Schmerzenslinien haben, keine verzerrten Krankenhauszüge. Der Wille muß die armen, zuckenden Nerven zur Ruhe zwingen. Nur die Augen dürfen leiden, den Schmerz in die leere Weite hineinbohren. Der Mund muß ganz ruhig sein. Er möchte gern beben und zucken und die Qual über das ganze Gesicht ausstrahlen, aber ich halte den Spiegel ganz fest und bin sehr streng. Ich möchte ruhig und schön leiden, wie die Heiligen.

Ich nehme kein Morphium, – damit warte ich noch. Vielleicht nicht mehr lange. Es ist gut, alles so genau vorher zu wissen: jetzt ist es noch so . . . dann wird Das kommen . . . dann Das . . . und dann – – –

Aber bis dahin noch leben – leben!

Wenn die ärgste Stunde vorbei ist, kommt eine wohlige Abspannung.

Ganz leises Fieber . . . Das gibt so ein gutes Gefühl, diese leise summende Wärme durch den ganzen Körper. Und jetzt rauchen, eine milde, beruhigende Zigarette. Der Arzt hat es mir nicht verboten, ich habe längst keinen Arzt mehr. Ich weiß ja selbst, was mir fehlt; ich weiß die ganze Litanei auswendig.

So wohl und mild wird es mir jetzt, wenn der blaue, leichte Nebel mich und mein Zimmer einhüllt. Es ist ein ziemlich trauriges Zimmer, aber ich liebe es sehr. Die kahlen, weißen Kalkwände kommen mir vor wie gute Freunde, die meine Leiden still mit ansehen, und deren Mitleid ich besser vertragen kann als das der Menschen. Meine Gedanken träumen dem blauen Rauch nach; sie träumen davon, wie schön es wäre, jetzt auf einem türkischen Ruhebett zu liegen, in einem kleinen, zeltartigen Zimmer, mit rotem Licht und dichten, warmen Teppichen. Und um mich herum lägen dann all die anderen: meine Freunde, die schon gestorben sind . . . Ich mache die Augen zu, und sie erzählen mir vom Sterben, immer nur vom Sterben. Wie gut es war, als die Schmerzen aufhörten . . . und das schreckliche letzte Zucken. Nur Einer will immer vom Leben sprechen, der mit dem weißen Tuch um den Kopf und der Wunde darunter . . . Die Kugel . . . Und er war noch so jung. Aber die anderen verstehen ihn nicht, und er schweigt wieder.

Er ist auch der einzige, der mit den Augen rollt, und dem es manchmal um den Mund zuckt. Bei den anderen ist es so totruhig in den großen, leeren Augenhöhlen. Und so reden sie vom Sterben und lachen dabei über das Leben. Ihr Lachen klingt ruhig und ausgelebt. Wir liegen alle auf den Polstern umher und rauchen aus langen Wasserpfeifen, und der schwarze Kaffee funkelt in durchsichtigen japanischen Schalen und peitscht die Nerven zu wollüstigem Beben.

Und dann werde ich sehr müde und kann nicht mehr deutlich sehen; alles zittert und schwankt mir vor den Augen. Und sie gehen wieder fort, alle, ganz leise. Nur der mit der Wunde will noch bleiben und mit mir vom Leben reden; aber sie nehmen ihn doch schließlich mit. Und wenn sie alle fort sind, schlafe ich ein.

Zuweilen bringt man mir Briefe. Wenn mich nur einmal wieder etwas freute oder aufregte. Aber das kommt nicht mehr vor. Sie wissen alle, wie es mit mir steht, und wollen es vermeiden, mich aufzuregen. Es ist überflüssig, denn niemand kann ruhiger sein, als ich es jetzt bin. Ich kann sogar mit Ruhe daran denken, daß die anderen dort drunten im Atelier sind und arbeiten . . . Arbeiten . . . als ob das das Leben wäre.

Sie kommen auch zu mir herauf, die Lebenden, Starken. Sie erzählen mir von ihren Arbeiten und sprechen davon, wenn ich erst wieder dazwischen sein würde, und wie es früher war, und wenn ich erst mein Bild fertig gemacht hätte – mein großes Bild. Ich lächle nur noch darüber, wenn sie so reden; und sie wissen auch, daß ich nicht mehr daran glaube. Sie glauben ja auch nicht daran, aber sie wollen mich trösten. Es ist wirklich zum Lachen.

Im Anfang – ja, damals hat es mich fast zum Wahnsinn gebracht, daß ich nicht mehr arbeiten konnte. Aber das war nur so lange, wie ich glaubte, daß es noch einmal kommen würde. Dann habe ich sie gebeten und sie haben mir die Skizze zu meinem Bild heraufgebracht. Da hängt sie nun und ich weiß jetzt, daß ich nie wieder arbeiten werde. Ich habe jetzt schon aufhören müssen und bin lange nicht fertig geworden. Und die anderen hören später auf und werden auch nicht fertig. Es geht alles nach der selben Melodie von der großen Entsagung . . . Ja, sie kommen oft und besuchen mich. Sie wissen alle, wie es mir immer elend gegangen ist, und wundern sich, daß ich jetzt Wein trinke und gute Zigaretten rauche und ein warmes Feuer habe. Ich finde nichts Sonderbares darin. Ich fürchte mich jetzt nicht mehr davor, Schulden zu machen, und es ist doch gut, zum Schluß noch einmal weich zu liegen und dem Leben nichts mehr abringen zu müssen. Am liebsten möchte ich jeden Tag ein Fest geben, ein glänzendes, rauschendes Fest mit wunderbarer, sinnverwirrender Musik. Der Sekt sollte in Strömen und Springbrunnen fließen, und alle sollten übermütig froh sein und bacchantisch tanzen. Und viele Rosen. Alles sollte so schön sein. Und jeden Tag.

Und ich liege unter einer schönen Palme mit breiten, schattigen Blättern ganz im Hintergrund . . . und sehe zu. Und mitten im Fest würde ich eines Tages sterben . . . Und erst würden sie alle weiter jubeln und weiter tanzen. Dann würde irgend jemand entdecken, daß ich gestorben bin . . . Einen Augenblick ist alles ganz still. Vielleicht spielt die Musik dann einen Trauermarsch, wie von selbst. Und dann würden sie schließlich doch wieder tanzen und sich wieder freuen und wieder lachen – noch den einen Abend, weil es ja das letzte Fest ist und weil sie glauben, daß ich es nicht sehe. Und zuletzt würden sie klagen, daß es nun vorbei ist.

Nachmittags liege ich lange in die Dämmerung hinein. Ich kann gerade aufs Fenster sehen, wie es draußen grauer und grauer wird, und dann stelle ich mir vor, wie jetzt die Laternen ihren Schein aufs Trottoir werfen, wie das kalte, blaue elektrische Licht aus den weißen Glaskugeln vor den Läden hervorkommt und sich mit dem heißen, flackernden Gaslicht mischt, und wie die Straßenbahnen mit ihren roten und grünen Laternen einander auf ihrem unermüdlichen Rundlauf um die Stadt herum begegnen, und wie all die müden Menschen darin sitzen, die von einer Arbeit zur anderen oder von einem Vergnügen zum anderen und von einer Erregung zur anderen jagen. Oder der Mond scheint mir weiß und voll ins Fenster hinein und spiegelt sich in dem blanken, grinsenden Totenschädel auf meinem Schrank. Draußen legt er seinen Schein auf das im Schatten verschwimmende Kasernendach, auf dem zuweilen ein einsamer Kater entlang schleicht und über jeden Schornstein vorsichtig hinwegklettert.

Dann kommt die Lampe und kontrastiert so seltsam mit alledem da draußen, und die Gedanken, die in der Dämmerung einschlafen wollten, kommen wieder. Das Fieber fängt wieder an, erst im Gehirn, von da geht es in alle Adern und durch alle Glieder bis in die Fingerspitzen.

Und dann fange ich an, zu schreiben. Im Fieber versuche ich, mein ganzes Leben hinzuschreiben, all meine Träume, meine Sünden und mein Elend. Und später, wenn ich tot bin, soll mein Buch es hinausschreien unter die Menschen, wie ich geträumt und gesündigt habe und wie elend ich war . . . Wenn ich tot bin.

An der Wand gegenüber hängt die große Skizze zu meinem Bild. Es wird nie fertig werden. Ich hatte so viel gewollt und bin noch so jung . . .

Und dann kommt die Nacht – – –

 


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