Franziska Gräfin zu Reventlow
Von Paul zu Pedro
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Ja, nun sind Sie wieder fort, lieber Freund – Sie fehlen mir sehr, und ich denke mit einiger Wehmut an unser Beisammensein, vor allem an unsere ›Teegespräche‹ zurück.

Es war doch recht hübsch, wenn wir uns aus Regen und Wind in das Tea-room flüchteten und jedesmal Angst hatten, ob unser Kaminplatz auch frei sein würde.

Wenn wir anderswo sitzen mußten, waren wir eigentlich immer melancholisch. Man wurde auf einmal gewahr, daß die Welt recht ungemütlich sein kann, und wurde selbst ungemütlich. Sie, lieber Doktor, in erster Linie – oh, Sie konnten sehr ungemütlich sein, wenn Sie anfingen, ›es‹ ernsthaft zu nehmen und mir die Seele aus dem Leib herauszufragen.

Ich weiß schon – gescheite Männer können das manchmal nicht lassen, aber es ist eine üble Angewohnheit, und ich glaube, sie ist schuld daran, daß man so oft die Dummen vorzieht. Und das könnt ihr dann wieder nicht begreifen.

Lieber Gott, ich denke ja auch manchmal nach, aber es ist immer ungemütlich. Und nun erst zu zweien – davon bekommt man regelmäßig eine Art moralischen Kater. Sie dürfen mir jetzt auch brieflich nicht zu seriös werden und mich nicht wieder als ›Problem‹ behandeln – ich bin keines –, sonst prophezeie ich unserer Korrespondenz einen frühen Tod.

Einstweilen bin ich noch recht schreibselig aufgelegt, es ist gar so fad, allein in einer fremden Stadt zu sitzen, wenn es regnet, ununterbrochen regnet.

Das vielbesprochene Abenteuer, dem ich mein Hiersein verdanke, ist zu Ende. Es lag ja schon in den letzten Zügen, als Sie herkamen. Sie waren wohl etwas mit schuld daran – er wurde mir so langweilig, er war auch wirklich und wahrhaftig langweilig, aber im Anfang habe ich es nicht so gemerkt.

Mit Ihnen konnte ich mich jedenfalls viel besser unterhalten. Wenn ich mit ›ihm‹ drei Stunden hier am Kamin sitzen sollte – du liebe Zeit –, ich wäre einfach zersprungen. Ich habe ihn auch nie mit hergenommen, aus Pietät für Sie – in solchen Dingen bin ich sehr pietätvoll, Sie können ganz zufrieden sein.

Also, er ist fort – zu seiner Frau und seinen Kindern. Lächeln Sie nicht so niederträchtig, ich kann doch nichts dafür, daß alle möglichen Leute Frau und Kinder haben. Man darf schon froh sein, wenn sie sich nicht scheiden lassen wollen, um einem ›fürs Leben anzugehören‹.

Davor habe ich schon in früheren Jugendjahren einen nachhaltigen Schrecken bekommen. Da wollte einer mit mir durchgehen, der sechs Kinder hatte und natürlich auch eine Frau. Er sagte mir, ich sei eine Sphinx und er selbst ein Schurke – und das machte mir tiefen Eindruck –; ich war noch so ganz dumm.

Die große Szene spielte sich in einem Bureau ab, und ich hatte das Gefühl, man könne doch eigentlich nicht nein sagen, wenn es so dramatisch herginge. Die Sphinx wirkte wie eine Verpflichtung zu irgend etwas Ungeheuerlichem. – Aber schließlich löste ich mich in Tränen auf und sagte doch nein.

Wir sind uns nachher noch oft auf der Straße begegnet, haben aber nie wieder miteinander gesprochen. Er hat mich nur stumm und leidenschaftlich angesehen. Das war eigentlich recht guter Stil, er bekam dadurch eine Art Nimbus für mich, und ich verzieh ihm die sechs Kinder, die mich erst so entsetzt hatten.

Aber denken Sie nur, wenn ich damals Romantik und schauervolle Wirklichkeit verwechselt hätte, wie es mir leider späterhin noch manchmal passiert ist ...

Nein, ich war meinem Abenteuer hier in der Regenstadt von Herzen dankbar, daß er nicht zum Schurken werden wollte und ruhig heimfuhr. Er hoffte allerdings auf Fortsetzung, aber ich bin nicht dafür. Fortsetzung mit verheirateten Männern ist überhaupt nichts Rechtes, ich hab das Ausleihen niemals gerne gehabt. Es ist gerade so, wie wenn man sich von Freundinnen einen Mantel oder Pelz leiht – dann gefällt er mir, kleidet mich besonders gut, und ich ärgere mich, wenn ich ihn zurückgeben soll. Man kann es auch vergessen oder etwas daran ruinieren, und dann ärgert sich die Freundin. Es gibt leicht Unannehmlichkeiten für beide Teile.

Übrigens habe ich gar nicht erst versucht, ihm das zu erklären, es ist unpraktisch, sich mit dem objet aimé über diese Fragen zu unterhalten. Ich finde es viel hübscher, wenn er sich bei der Heimreise auf ein Wiedersehen freut.

Und Sie? – Sie können es sicher immer noch nicht begreifen, daß ich mich in ein objet verlieben kann, aus dem ich mir im Grunde gar nichts mache, mit dem man sich nach zwei, drei Stunden zu Tode langweilt und nie im Leben ein richtiges Tagesgespräch führen könnte. Aber Sie dürfen eigentlich ganz damit einverstanden sein, ich meine, es hat sich doch immer alles aufs schönste ergänzt. Mir schien auch, daß Sie sich in Ihrer damaligen Rolle als ›Konversationsliebe‹ ganz wohl fühlten. Zu Ihnen flüchtete ich mich immer wieder, wenn er gar zu stumpfsinnig wurde. Nur, wenn wir einmal unseren richtigen Platz nicht bekamen und Sie, fern vom Kamin, zu tiefgründig waren – dann bekam ich wieder Sehnsucht nach ihm und stahl mich ans Telefon. Zum Beispiel, als Sie verlangten, ich sollte Hölderlins › Hyperion‹ lesen – oder wollen Sie immer noch nicht zugeben, daß Ihr Ansinnen deplaciert war? Im Süden und wenn man gerade romantisch aufgelegt ist – mit Vergnügen. Aber bei dem Regen und unter diesen Umständen – ich hab's ja versucht, aber das einzige, was mir Eindruck machte, war die Stelle: ›Guter Junge! es regnet.‹ Und das gab meine Empfindungen so erschöpfend wieder, daß ich ganz glücklich war. Aber ich glaube, das haben weder Sie noch er begriffen.

Denken Sie darüber nach, lieber Freund, und leben Sie für heute recht wohl.


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