Franziska Gräfin zu Reventlow
Von Paul zu Pedro
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Mir geht es ebenso, lieber Doktor – weder Ihnen noch mir selbst weiß ich das Rätsel zu lösen, warum ich so lange in der Regenstadt hängengeblieben bin.

Ich konnte mich einfach nicht wieder fortfinden. Das passiert mir eben hier und da. – Es war so von Herzen langweilig, immer dieselben grauen Straßen, dieselben beschaulichen Nachmittagsstunden in ›unserem‹ Tea-room vor dem Kamin – immer dieselben Menschen – nein, das stimmt nicht ganz, es waren auch manchmal andere.

Aber gerade in all dieser grauen Langeweile lag etwas, wovon ich mich nicht trennen konnte – etwas von Abgeschiedenheit und Klosterfrieden.

Ja, das war es wohl – ich habe es so oft bedauert, daß es nicht mehr Mode ist, von Zeit zu Zeit ins Kloster zu gehen und eine Retraite zu machen wie in früheren Zeiten. Denken Sie, wie schön es sein muß, wenn man müde vom sündigen Welttreiben, tief verschleiert und in tiefes Schwarz gekleidet, aus dem Wagen steigt, an der Klosterpforte läutet und von einer milden Äbtissin empfangen wird – um ein paar Wochen gründlich auszuschlafen.

Die Regenstadt war so eine Art Retraite für mich – wenigstens in den letzten Wochen. Aber jetzt hat sie lange genug gedauert – ich bekomme manchmal sentimentalische Anwandlungen.

So verfolgt mich dieser Tage ein Vers – in meiner Backfischzeit schrieb ein Onkel, den ich sehr liebte, ihn mir ins Stammbuch:

Stehe aufrecht an dem Steuer –
Mit dem Schiff laß spielen Wind und Wellen –
Wind und Wellen nicht mit deinem Herzen –

und darunter: einer, der dich kennt.

Mir scheint, der Onkel hat mich doch nicht sehr gut gekannt, sonst hätte er sich die Mahnung wohl von vornherein sparen können. – Wind und Wellen haben seit damals ganz erheblich sowohl mit dem Schiff als auch mit dem Herzen gespielt – und das Steuer – ich fürchte, es war überhaupt eine überflüssige Einrichtung, ich habe nie versucht, es in Tätigkeit zu setzen.

Auch jetzt schwanke ich wieder einmal, wohin die Fahrt gehen soll. Manchmal hatte ich schon beinah Lust, in die heimischen Gefilde zurückzukehren. Natürlich vor allem, um Sie durch meine Nähe zu beglücken. Aber Sie wissen ja, ich habe die schlechte Gewohnheit, bei jeder Abreise meine jeweilige Daseinsform aufs gründlichste aufzulösen, und muß mich dann bei der Rückkehr von neuem ›etablieren‹. Dazu bin ich jetzt nicht aufgelegt – absolut nicht.

Wissen Sie auch, Doktor, daß es verschiedene Heimwehs gibt? Eines nach der wirklichen Heimat, vorausgesetzt, daß man eine gehabt hat – das ist recht zwecklos und gibt sich auch mit der Zeit. Dann ein Gewohnheitsheimweh, nach dem Ort oder den Orten, wo man länger gelebt hat. Und schließlich ein ganz starkes nach der Fremde, nach Eisenbahnen, Dampfschiffen, fremden Sprachen, Koffern und Hotels.

Ich weiß, wenn das alles wieder um mich ist, fühle ich mich zu Hause, und zu Hause ohne alle Sentimentalität.

Kurz, lieber Freund, dahin steht jetzt mein Verlangen. Die bekannte innere Stimme rät mir dringend ab, es wieder mit einem Wohnort zu versuchen. Wohnorte eignen sich doch nie recht für mich, und ich eigne mich nicht für die Wohnorte, es gibt also nur Konflikte. Ich glaube, mir kommt alles im Leben immer zu provisorisch vor, und ich nehme es dann auch zu sehr in diesem Sinne. Vielleicht bin ich selbst eben nur provisorisch gedacht, nur ›entworfen‹. Es will mir manchmal so scheinen.

Aber es ist wirklich zum Gotterbarmen, was ich da heute zusammenschreibe, und es wird besser sein, ich höre auf.

Machen Sie sich deshalb um meinen Gemütszustand keine Sorge, es ist wohl nur die lange Retraite und der Abschied von der nassen Stadt, was mich so nachdenklich stimmt.

Und trösten Sie sich, lieber Freund, daß ich einstweilen noch nicht auf der Bildfläche erscheine – vielleicht finden Sie inzwischen Yvonne – und wenn Sie gar nichts finden – kommen Sie mir nach.


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