Franziska Gräfin zu Reventlow
Von Paul zu Pedro
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Gestern habe ich lebhaft an Sie denken müssen. O Regenstadt – o Tea-room – o Teegespräch!

Ich habe inzwischen verschiedene Leute kennengelernt, und diese verschiedenen Leute saßen gestern hier an unserer geheiligten Stätte zusammen und verrannten, verbohrten, verwickelten sich in ein endloses Gerede über Liebe, Erotik und was dazugehört.

Apropos – Erotik! Ich kann das Wort bald nicht mehr hören. Schade, daß es kein anderes dafür gibt. Die allerunmöglichsten Leute führen es schon im Mund und schmücken ihre unsympathischen oder obskuren Erlebnisse damit. Es geht nicht mehr, wir sollten es uns abgewöhnen – ja, aber im Teegespräch müssen wir es wohl faute de mieux einstweilen noch beibehalten, da hört es ja auch niemand.

Was wollte ich Ihnen denn erzählen? – Daß diese Leute wieder einmal das Wesen aller Dinge endgültig feststellten, alles schön sortierten, in Schachteln taten und Etiketten daraufklebten, nach meinem Gefühl aber immer in die falsche Schachtel und mit falscher Etikette.

Liebe und Erotik zum Beispiel kamen in denselben Karton. Ich brauchte nur bis Paul zu denken – oder, wenn es Ihnen lieber ist, an Sie, um das unbillig zu finden.

Ach, mein Gott, wenn alles immer Liebe oder auch nur etwas Ähnliches sein sollte, wo käme man da hin? Jedesmal Seligkeit, wenn es anfängt, ›Konflikte‹, während es dauert, und große Tragik, wenn es zu Ende geht – so etwa schienen diese Gerechten es sich vorzustellen –, nein, das möchte wirklich zu weit führen.

Die Frau wolle doch wenigstens die Illusion haben, daß sie liebt, wenn sie einem Mann angehört – meinte jemand, und die anderen stimmten ihm bei.

Das ist hart, sehr hart. Schon das diktatorische: die Frau, der Mann. Wer sind diese Frau und dieser Mann?

Warum wohl überhaupt diese Sucht, diese schöne Vielfältigkeit des Lebens und all seiner Möglichkeiten abzuleugnen oder wenigstens nach Kräften einzuschränken? Wie Kellner – es gibt solche –, die gerne die große Speisekarte wegstecken, damit man das bequeme, aber unausstehliche Menü wählen soll.

›Man‹ tut doch schließlich in erster Linie, was einen freut, und weil es einen freut. Und das ist natürlich jedesmal etwas anderes. Es kann wohl manchmal Liebe und große ›Leidenschaft‹ sein, aber ein andermal – viele, viele andere Male ist es nur Pläsier, Abenteuer, Situation, Höflichkeit – Moment – Langeweile und alles mögliche. Jede einzelne Spielart hat ihre besonderen Reize, und das Ensemble aller dieser Reize dürfte man wohl Erotik nennen.

Es kommt der ›Frau‹ auch gar nicht in den Sinn, sich immer einzureden, daß es Liebe ist, im Gegenteil, das wäre ihr manchmal nur peinlich, und sie ist recht froh, daß es sich anders verhält. Man braucht doch auch Erholung vom Ernst des Lebens.

Und Liebe? Unter Liebe verstehe ich – nun, eine seriöse Dauersache. Aber Sie dürfen mir diesen Begriff nicht zu optimistisch auffassen. Dauersache ist alles, was – sagen wir – was monatelang dauert, seriöse Dauersache, wenn es viele Monate sind; über ein Jahr – dann wird es schon Verhängnis mit einem Stich ins Ewige. Natürlich gibt es auch Dauersachen mit Unterbrechung und viele andere Variationen.

Damit war meine gestrige Gesellschaft durchaus nicht einverstanden, und man versuchte mich mit vielen Fragen in die Enge zu treiben. Aber dann mache ich mir's bequem und verstumme. Ich habe überhaupt nicht viel Sinn für theoretische Fragen, außer wenn es mich momentan reizt, zu widersprechen. Das ganze Gerede ist so überflüssig, es sollte wenigstens Konversation bleiben – wie mit Ihnen. Dann hat es seinen Reiz.

Und wie angenehm, daß man als Frau keine Logik zu haben braucht! Denken Sie, wenn ich all meine mühsam erworbene Lebensweisheit in Schachteln ordnen sollte – ach nein, ich werfe lieber alles durcheinander in eine Schublade und hole gelegentlich heraus, was mir – oder anderen Spaß macht.

Im Anschluß an das Liebesproblem kamen natürlich auch die ›wertvollen Menschen‹ aufs Tapet – also Wasser auf Ihre Mühle –, die wertvollste Frau, die so oft und unbegreiflicherweise ihr Gefühl an unwürdige Objekte verschwendet, und der wertvolle Mann, der ungeliebt beiseite steht, ja – und so weiter, die ganze Litanei.

Teuerster Doktor, gerade damit haben Sie mir ja auch so oft, so oft zugesetzt. Und ich habe mich so redlich bemüht, Ihnen plausibel zu machen, daß innerer Wert gar nichts mit erotischer Attraktion zu tun hat. Wenn mir jemand gefällt, frage ich doch den Teufel danach, wie es mit seinem inneren Wert bestellt ist. Kommt beides zufällig zusammen – tant mieux. Dann ist es natürlich auch etwas anderes als die bloße Aventiure, die keine Fortsetzungen verträgt, weil der Partner einem als Mensch ganz gleichgültig ist und man nichts mehr mit ihm anzufangen weiß.

Geht es um Ernstliches, so muß allerdings irgend etwas dasein, was für mich persönlich Wert hat, mir erfreulich, wohltuend, unentbehrlich erscheint oder mir imponiert, kurz, was ich haben möchte. An denen, die man liebt, will man wohl irgend etwas schätzen, manchmal schätzt man sie auch in Bausch und Bogen, oder bildet sich's wenigstens eine Zeitlang ein.

Ja, das ist dann Liebe, solange die Attraktion dauert; und wenn sie aufhört, so ist es unangenehm, weil man sich wirklich gern hat.

Ich halte schon deshalb nichts davon, daß man sich allzu intensiv zusammenlebt und dann in bitterem Leid auf Nimmerwiedersehen auseinandergeht. Bei jeder besseren amourösen Angelegenheit sollte Anfang und Ende überhaupt nicht so scharf umrissen sein.

Ja, ich habe bei dieser angeregten Abendunterhaltung mein stilles Vergnügen gehabt, und wenn ich meine eigenen Amouren Revue passieren lasse, die tragischen und die heiteren, seriösen Dauersachen und flüchtige Minnehändel – wie sie sich nacheinander, nebeneinander und durcheinander abspielten, so fügt sich für mein Empfinden alles ganz von selbst zur schönsten Harmonie zusammen. Auch wenn – cher ami, das gilt Ihnen mit – andere Leute so oft etwas daran auszusetzen haben.


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