Gabriele Reuter
Frauenseelen
Gabriele Reuter

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Five o'clock

Den stumpfen, dumpfen Krepp der tiefen Trauer hatte Frau von Necker abgelegt. Sobald sie sich bewegte, wenn sie sich zum Kamin beugte und mit poliertem Stahl zwischen dem Koks wühlte, daß die Glut aufflammte, dann glitzerte es aus allen Rüschen und Falten ihres schwarzen Kleides von winzigen Jett-Pailletten, ihre dünne, feine Gestalt schien plötzlich hunderte von blauen und gelben Lichtfünkchen auszustrahlen. Und trotz des wehen Zuges über den Brauen und um ihre Lippen, sprühte etwas wie verstohlene Lebenslust aus dem neckischen Flimmerspiel, das so verschwenderisch über die finsteren Spitzen verstreut war.

Frau von Necker hielt eine blütenweiße Teeschale in der Hand, durchsichtig und leicht, wie die Eierschale eines Singvogels. Sie nippte von dem Trank, den sie ohne Rahm und Zucker nahm, um das ihm eigene Aroma nicht zu verderben und seine rötlich-goldene Farbe rein zu genießen. Ihr berühmtes Haar, welches immer den Eindruck hervorrief, als müßten alle Schildpattnadeln darin zerbrechen und der große wirre Knoten langsam in den Nacken gleiten, – dieses Haar besaß genau die Farbe vom russischen Tee. Walther Scharling hatte einige sehr schöne Verse gemacht – auf den russischen Tee und auf ihr Haar.

. . . Wie sonderbar, daß er noch nicht hier war. Sie hatte ihre Ankunft zwar nicht gemeldet – natürlich nicht – wie hätte sie . . . Aber auf irgend einem Wege hätte er es doch erfahren können.

Fürchtete er sich vielleicht? O Walther! Es sähe ihm ähnlich.

Weil sie nun frei war?

Sie sah über die flache Teeschale hinweg in die Glut und errötete plötzlich.

Sie war ja frei . . .

Wie seltsam.

Frei – –!

Ja . . .

Und?

Sie lächelte – so geheimnisvoll traurig, wie sie immer lächelte aus Gewohnheit und wie es so gut zu ihrer bleichen Farbe und zu dem ganzen Stil ihrer Schönheit stimmte.

Während sie die Schale auf den Bambustisch niedersetzte, zitterte ihre Hand. Sie blickte unter halb gesenkten Lidern vor sich hin, als schaue ihre Seele ein tiefes Geheimnis.

Aber es war auch nur die alte Gewohnheit so zu blicken.

Frei –!

– – – Aus dem unbestimmten Dämmern der Erinnerung traten ihr die Momente, in denen sie gesprochen hatte:

»Ich bin nicht frei.« Immer wieder das eine Wort – wie eine Zauberformel, welche böse, wilde, verführerische Geister zu dienendem Gehorsam bannen mußte.

. . . Warum nicht frei? Ihr Mann saß über seinen Büchern oder im Café. Und sie kam und ging im Hause, wie sie mochte – empfing an ihrem Teetisch, wen sie wollte . . .

Aber sie schüttelte den Kopf und hob die Hand ein wenig, als schiebe sie etwas Unsichtbares von sich. Das genügte. Um ihre Gestalt schwebte die Stimmung einer ewigen Entsagung und zugleich etwas so Weiches, in Empfindung Vergehendes, daß der heißeste und härteste Manneswille vor ihr zerschmolz bis zu schmerzlich-süßer Vereinigung zweier Seelen in sehnsuchtsvollem Verzicht.

Nataly von Necker seufzte leise – es war fast ein Seufzer des Glückes – bei diesen Erinnerungen.

Alle waren ihre Freunde geworden – ihre guten, treuen und ergebenen Freunde. Und wie lange hatte sie keinen von ihnen gesehen . . .

Um diese Stunde pflegte sie niemals allein in ihrem Salon zu sitzen . . . Entweder es kamen gleichgiltige Bekannte und die Schar ihrer Getreuen war vollzählig darunter. Oder es gab ein Tete-a-Tete in schwülen, gefährlichen Stimmungen, über die sie gleichsam mit einer geistigen Balancierstange auf ganz dünnem Seile hinwegzugaukeln wußte, den Siegerkitzel im Herzen, so hoch über dem Abgrund zu schweben, aus dem ein anderer in stummer Pein die sehnenden Arme hob. Aber oft verging auch ihr fast der Atem dabei . . .

—   —   —   —   —

Und dann die tödliche Langeweile der Trauerzeit. Und der ganze endlose Sommer auf dem Gut der Schwester, bei den vielen kleinen Neffen und Nichten. Sie liebte ja das Landleben – aber doch noch mehr von der Stadt aus, hatte Doktor Schneider sie einmal in seiner sarkastischen Weise geneckt.

Daß er nicht dort drüben im Schatten an der Tür zum Nebenzimmer lehnte, von wo aus seine Bemerkungen wie Blitzschläge in die Plauderei vor dem Kamin niedergezuckt waren . . .

Das kahle Zimmer bei ihrer Ankunft – so ungewohnt leer – ohne Blumen, ohne den Duft aus den Veilchensträußen des guten Legationsrates . . .

Frau von Necker lächelte nicht mehr melancholisch, sondern ganz erwartungsvoll und beinahe übermütig.

Wenn Walther Scharling nur ahnte, daß sie hier säße – allein . . . Wie er da eilen und fliegen würde, irgend eine fabelhafte Sezessionslilie oder Orchidee aufzutreiben, um sie zu begrüßen. Dann konnte sie gleich beginnen, ihm mütterlich-schwesterliche Ermahnungen wegen seiner Extravaganzen zu machen, er würde sie in einem seiner Anfälle von Kindlichkeit um ihre Meinung über seine neueste Halsbinde bitten . . . Sie sah ihn noch, wie er einmal vor ihr kniete und sie ihm den Knoten geschmackvoller ordnete, während der Legationsrat als Begleitung ein undeutliches Eifersuchtsgemurmel hören ließ.

So wäre man gleich wieder im alten Gleise.

Oder doch nicht? Nein, nein – in demselben Gleise sicher nicht.

Etwas Neues lauerte auf sie. Mit angehaltenem Atem spürte sie, wie es in der ungewohnten Stille, die sie umgab, sich vorbereitete. Neue, noch nie empfundene Erregungen, Eindrücke, Empfindungen . . .

Mit Augen, in denen ein neues glänzendes Leben erwachte, blickte sie umher.

Ach, die Tannenzweige, die der vor Ehrfurcht bebende Hauslehrer der kleinen Neffen ihr noch in den Wagen gereicht hatte – sie rochen fade, nach vergangenen Tagen.

Eine Lilie mußte dort auf dem dünnbeinigen Empiretischchen stehen. Auf hohem Stengel schwankte die große, weiße Blume mit unheimlichen, grüngelben Flecken. Sie meinte ihren schwülen Duft zu spüren, und er wiegte sie in durstige, fieberhafte Träume. Und Reimklänge aus den Liedern Walther Scharlings gingen ihr durch den Sinn – erlesene Wortmusik, mit denen der junge Dichter ihre Seele liebkoste und die auf sie wirkten wie leise Berührungen von bebenden Lippen.

Oft, oft, wenn er gegangen war, nachdem er ihr seine Lieder gelesen hatte, in schwermütig-feierlichen singenden Tönen, hatte sie sich über seine Blume gebeugt und sie geküßt – die seltsam kühlen, linden Kelchblätter mit den gelb-grünen Flecken. Sie küßte gern Blumen. Nicht Männer. Nicht Walther Scharling. Nur wenn sie in allen Nerven ihres Leibes empfand, wie seine Phantasien sie umschlangen, das war ihr eine feine Wollust. Er mußte ja doch so brav auf seinem Stuhl sitzen bleiben. Er wußte ja, daß er nicht durfte . . . So hart war sie einmal mit ihm gewesen, daß er es nie vergaß. Damals wäre er fast geflohen. Aber der Zauber, immer von seiner Liebe zu ihr reden zu dürfen, hielt ihn. Sie sah, wie das dem jungen Menschen zu einem törichten, schwelgerischen Genusse wurde, der seine Kraft verzehrte. Und sie empfand eine heimliche Freude, die fast etwas von Rachgier hatte. Sie durfte ja auch nicht. Es war geschmacklos für eine verheiratete Frau. Es war nicht vornehm. – – –

—   —   —   —   —

Und nun durfte sie plötzlich!

Sie sprang mit einem Satz aus dem Lehnstuhl, als wolle sie das Glück mit beiden Händen packen. Ihre Blässe war Röte geworden, ihr schmerzverzogener Mund glühte wie eine junge, zarte Rose.

Das Gefühl . . . Allein das Gefühl: frei zu sein, auf alles Verbotene, heimlich Umschlichene die Hand legen zu können! Alles zu dürfen! Nur die Wahl haben: was und wie. Wenn das schon war wie ein entzückender Rausch, wie mußte erst das Erleben sein! . . .

– Er – Walther – kniete bei ihr und trieb kindische, sentimentale Dummheiten, nur um heimlich ihr Kleid zwischen seinen Fingern fühlen zu dürfen. Ein langsames Heben der Lider . . . Anfangs würde er nicht wagen, zu begreifen . . . Ein wenig zögerte sie – weidete sich an seiner stummen Angst. Ein weiches, fast nur zu ahnendes Neigen ihm entgegen. Und das Lächeln an den Mundwinkeln. Sie trat langsam, wie eine Schlafwandelnde, vor den Spiegel. Und blinzelte durch die sich müde und hingebend schließenden glücklichen Augen. Und reckte und dehnte die feinen, langen, dünnen Glieder. Und lachte.

Und plötzlich war es nicht mehr Walther, an den sie dachte. Der junge Mensch hatte sich in einen kräftigen, sehr gesunden Mann verwandelt, der sie mit sicheren Armen hielt, und sie fühlte mit einer schaudernden Lust ihre Zartheit hingegeben unter seine Stärke.

War es nicht noch herrlicher? Kein gnadenvolles Spenden, sondern nur Empfangen und darin wieder jung werden! Sechzehnjährig! . . . Gott im Himmel – das alles wartete auf sie . . . Und sie war frei!

Leicht und bewegt schritt sie im Zimmer zwischen den vielen kleinen Möbeln umher, schaute alles an und wunderte sich, daß die Dinge noch genau an denselben Stellen standen, wie vor einem Jahr.

Sie begann zu singen, aus einem träumerischen Summen wurde es lauter und immer lauter in einem aufquellenden Jubel:

Lachen möcht' ich, möchte weinen,
Ist mir's doch, als könnt's nicht sein,
Alte Wunder wieder scheinen
Mit dem Mondenglanz herein – – –

—   —   —   —   —

Warum er nur nicht kam – jetzt – in diesem Augenblick, und sie keck eroberte? Und dabei ganz kühl und selbstverständlich sagte: das muß doch so sein; hattest du noch irgend einen Zweifel, daß ich dich gewinnen würde?

Natürlich, er fürchtete heut die anderen zu finden, und so kam er eben nicht, denn er wollte nicht erst noch einmal mit ihr in das alte, öde, geistreiche Geplänkel verfallen.

Aber das war doch eigentlich allzu sicher.

Denn wenn nun Walther . . . wer vermochte zu wissen, wie sie sich entschieden hätte. Am Ende machte sich auch der Legationsrat Hoffnungen . . .

Er war ja der Einzige, der ihr eine gesellschaftliche Stellung bieten konnte, wie sie ihr zusagte. Und so ritterlich. Immer Billetts zu den Premieren. Auch über Toiletten konnte man gut mit ihm reden. Freilich – eine strenge Sichtung ihres Umgangs stand ihr dann bevor. Es war ihm nie recht gewesen, daß sie mit Künstlern und allerlei Leuten verkehrte, die nicht zur exklusiven Gesellschaft gehörten. Höchstens würde er einen Flirt mit einem Offizier dulden. Und das kaum. Senile Eifersucht, die sich hinter der Sorge um die Form versteckte . . . Degoutant!

Schneider war der einzige, der ernstlich in Betracht kam, weil sie im Grunde ihres Herzens Respekt vor ihm hatte und ein bißchen Angst. Aber Schneider . . . Frau Dr. Schneider – nicht mehr Nataly von Necker. »Arztensgattin.« O weh. –

Und die Unerbittlichkeit von Julius Schneider. (Auch Julius!) Das ahnte sie schon – im Verhältnis zu ihm war sie die Schwächere. Und er hatte so vorsintflutliche Begriffe von »Familie gründen« – von dem Beruf der Frau als Mutter.

Die Frau ist auf der Welt, um Kinder zu gebären . . . Gebären . . . Er hatte das wirklich einmal gesagt. Nicht als Witz.

Der Schleier, den sie in ihrer Erinnerung über ihre ersten Ehejahre gebreitet hatte, riß plötzlich vor ihrer Phantasie entzwei. Sie ballte die Hände und wurde dunkelrot vor Zorn und murmelte mit zusammengekniffenen Lippen: Nie wieder. Nie! Und hob die geballten Hände wie zum Schwur empor. Und stand wie eine Drohende vor dem unsichtbaren Dr. Julius Schneider.

Solche grausige Dinge würde Walther Scharling nicht von ihr verlangen. Ihr Mund löste sich aus dem verbissenen Zornkampf und lächelte nur noch ganz wenig verächtlich. Dem kleinen Walther wäre es ja viel interessanter, sie würde seine Geliebte.

Einmal den Rausch des Lebens kosten!

Aber dann –? Dieser wahnsinnig leidenschaftlichen, zügellosen Jugend Rechte über ihr tägliches Leben einräumen . . .

Immer und immer wieder den Liebestaumel fingieren, die überspannte Seligkeit, die sie vielleicht eine halbe Stunde lang empfunden hatte . . .? Liebst du mich auch? Liebst du mich auch allein? Ich vergifte diesen Dr. Julius Schneider wie meinen Hund, wenn du ihm noch einen Blick gönnst. Ich will nicht, daß du dir vom Legationsrat Billetts besorgen läßt. Ich kann es nicht vertragen, wenn du die Dramen anderer Leute anhörst. Bleibe zu Haus – ich lese dir meine Verse. Diese Verse, die sie schon Silbe für Silbe kannte – bei denen sie einschlief, wenn er sie so schwermütig feierlich vortrug . . .

Frau von Necker stand vor dem Kamin, die Arme hingen schlaff herab, sie starrte trübe in die Glut.

Ach, langweilig. Eine Wahl treffen müssen unter Menschen, die sie zum Behagen ihres Lebens alle gleich nötig hatte.

Warum kam denn keiner von ihnen? Schon mißtrauten sie dieser altgewohnten Stunde – weil jeder sie allein sehen wollte. Alles würde sich verschieben. Aus den guten, guten Freunden würden erbitterte Feinde werden.

Und so würde sie alle verlieren . . .

Eine Uhr schlug irgendwo mit hellem, dünnem, silbernem Klang. Frau von Necker sah in die rote Glut, über der blaue Lichtreflexe zitterten. Jetzt kam die Zeit, wo er sonst heimkehrte, er, dessen Leben nach der Uhr geregelt war. Ihr Mann. Wo er ruhig ins Zimmer trat, nachdem die anderen gegangen waren und nur die Dünste ihrer Zigaretten zurückgelassen hatten. Er nahm die Abendzeitung auf und setzte sich an den Kamin. Frau von Necker zog seinen Stuhl ein wenig näher und ließ sich verträumt darauf nieder . . .

. . . Er legte die Zeitung auf die Knie und beugte sich vor und rieb fröstelnd die bleichen, hageren Gelehrten-Hände gegeneinander. Und dann hob er den Kopf und schaute sie an mit seinen stillen, klugen Augen und fragte freundlich: »Hast du dich gut unterhalten?«

Er verlangte keine Beichte – er kümmerte sich ja schon lange nicht mehr um ihr Tun und Lassen. Er ließ ihr volle Freiheit. Er war nur höflich.

Und sie hörte seine resignierte Stimme – sie sah seinen verstehenden Blick. Ein Sehnen schlich durch ihr ganzes Wesen nach seiner ruhigen, unverlangenden Gegenwart. Sie streichelte mit ihren Fingern die Lehnen des Stuhles, wo seine Arme zu ruhen pflegten. Unter ihren Lidern sammelten sich Tränen und rannen in langsamen Tropfen nieder.

Ach, lebte er noch und alles könnte so bleiben wie es gewesen, zu der Zeit, als sie noch nicht frei war . . .

 


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