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Lieben und Sterben!

Es ist ein merkwürdiges Faktum, daß, wie wir später sehen werden, fast zu gleicher Zeit, wo im Norden mit jener Aufopferung fester Disziplin für den Dienst des Königs 114 frische Leben in den Opfertod heldenmütigen Preußentums gingen, drunten im Süden eine Schar tapferer Männer von einer feigen und erbärmlichen Camarilla in den Tod für das bourbonische Königtum getrieben wurde, für ein Königtum, das nie das edle Opfer der Treue zu würdigen verstanden hat! – – – – – – – – – – –

Unsere Erzählung führt uns zunächst noch ein Mal an das Sandufer des mit den Erinnerungen von Jahrtausenden belebten Weltstroms, des Nils, zurück, mit den Gruppen der hohen Sykomoren und Palmen, den Pyramiden und den Minarets des Islam.

Die Gesellschaft der abenteuerlichen Reisenden und derer, die ihnen von den ehernen Rossebändigern des Monte Cavallo her entgegen gekommen waren, hatte nach dem Erreichen der alten Kalifenstadt in dem Hotel du Nil Unterkommen gefunden, das in einem der Seitenwege der Mouskih gelegen, obschon französischen Namen tragend, doch deutsche Ordnung, Sauberkeit und Gemütlichkeit mit der ganzen Poesie des Orients verband, und unter der Leitung eines Deutschen offenbar das beste und angenehmste von ganz Kahira ist. Es ist überhaupt etwas merkwürdiges um diese Hotels und Pensionen in den großen Zentralpunkten des Orients, wie Alexandrien, Kahira, Syra, Smyrna und Konstantinopel. Man aß während des ganzen Krimkrieges nirgends besser, als im französischen Pensionat der Madame Giraud in Smyrna, während keine zehn Schritte davon die wilden Taten eines Jan Katarchi eine ganze muselmännische und christliche Bevölkerung in Aufregung und Schrecken hielten; und man wohnte fünfzehn Jahre später nirgends orientalisch ungenierter, als in den Pavillons im deutschen Karawanserai der alten Hauptstadt Ägyptens!

Der hofähnliche Garten dieses Hotel du Nil hatte manches Eigentümliche, er verband und vermittelte gleichsam die Geheimnisse der Harems von Gizeh mit dem schamlosen Treiben und den fränkischen Lastern der Eskebieh und den wechselnden Handelsszenen des großen Bazars, ja selbst mit der Wüstenpoesie der lydischen Karawanen. Während der englische Pair, der zum ersten Mal in Ägypten war, mit dem deutschen Professor, der russischen Fürstin aus den Steppen Sibiriens und den Flüchtlingen vom Ufer des Ganges in all' dieser Poesie und den historischen Erinnerungen einer großen Vorzeit schwelgte und sie sorgfältig aufsuchte, genoß die unersättliche Phantasie des Anglo-Spaniers all die seltsamen Szenen und Bilder, die sich in der alten Khalifenstadt selbst dem Fremdlinge fast auf jedem Schritt bieten. Welchen Eindruck auch die halbpoetische, jedenfalls romantische Erscheinung der Sibirianka auf die Phantasie des Grafen von Lerida gemacht hatte, wie wenig er auch gewöhnt war, seiner leichtfertigen Lebensanschauung, seiner Rücksichtslosigkeit dem weiblichen Geschlecht gegenüber Schranken und Bedenken zu setzen, die ernste Weise seines englischen Vetters war doch hinreichend gewesen, ihm in dieser Beziehung Zügel anzulegen und ihn von einer allzu unverhohlenen Bewunderung der Fürstin zurückzuhalten. Er hatte sich vielmehr in den Strudel der in Kairo, wie Alexandrien, jede Ausschweifung bietenden europäischen Gesellschaft gestürzt und es bald verlernt, sich um die Wünsche seiner Reisegefährten zu kümmern, nachdem sie aus den Gefahren der Wüste gerettet worden waren. Seinem abenteuerlichen Charakter gemäß hatte er sich vielmehr dem von den andern auffällig gemiedenen französischen Reiteroffizier genähert und teilte mit diesem die Pflege, die der Zustand des in dem Gefecht mit den Assassinen am Ufer des Nils nicht unerheblich verwundeten Kämpfers von Gaëta erheischte. Seine Dampf-Jacht lag sicher und wohlversehen im Hafen von Alexandrien; der Gesellschaft der beiden spanischen Prätendentinnen aber hatte er sich vorher und bis zu geeigneter Zeit durch ihre Überführung von Civita-vecchia nach der ligurischen Küste und seinem fast hermetisch gegen die Neugier gesperrten Schlosse von Roccabruna entledigt. Da er ein Zeitverschwender war, sah er keinen Grund, weshalb er den Aufenthalt am Nil kürzen sollte, um so weniger, als auch Lord Walpole keine Ursache dazu fand und keine Eile zeigte, die Überfahrt nach Europa zu bewerkstelligen, die ihn ja doch in ein ganz neues Verhältnis zu seiner Schutzbefohlenen bringen mußte. Auch dieser war das halb europäische, halb orientalische Leben in der Kalifenstadt neu, und nachdem der französische General-Konsul Monsieur Beclard bei seiner Anwesenheit in Kairo ihnen mitgeteilt hatte, daß das Gepäck, das Graf Boulbon von Suez aus dem »Veloce« für sie mitgebracht hatte, bevor er die Fahrt auf dem Dampfer nach Brindisi und Rom fortgesetzt, von ihm richtig im General-Konsulat deponiert worden war, auch sein Begleiter unter amtlichem Verschluß ihre Juwelen dort niedergelegt hatte, bestand für die Fürstin keine Ursache, den Aufbruch von Kairo zu beschleunigen.

Enger hatten sich der deutsche Arzt und der Grieche Grimaldi aneinander geschlossen und ihnen hatte sich der Jüngling Jesus genähert, der unter dem besonderen Schutz des Viscount und der Fürstin stand, die reichlich für ihn zu sorgen versprachen, wenn er sie nach Europa begleiten wolle. Es hatte mehr als eine ausführliche Unterhaltung über seine Zukunft stattgefunden, aber der junge Assassine blieb fest bei dem Gebote Mariams: zu forschen und zu prüfen, und nach den Klöstern am Sinai zu pilgern, ehe er sich für irgend ein weiteres Studium entschloß. Täglich besuchte er unterdessen die berühmte ägyptische hohe Schule der Moschee El Ezher, an welcher der Koran von den gelehrtesten Imams ausgelegt ward, und das apostolische Vikariat für die Kopten, ja selbst die große Synagoge im jüdischen Stadtteil. Wunderbar aber waren die Fortschritte, die er dabei in dem Studium der Sprachen machte, zu dem er jeden Abend und fast die halbe Nacht verwendete. Professor Peterlein, der Arzt, selbst die Fürstin waren darin seine Lehrer, außerdem waren die besten Sprachlehrer angenommen, und merkwürdig waren die Zeugnisse der Befähigung und des Fleißes, die alle ihm ausstellten. Unbemerkt ging er anscheinend unter den verschiedenen Nationen und Volksstämmen, die sich hier bewegen, aber dem Arzt war es doch nicht entgangen, daß der bescheidene stille Jüngling der Gegenstand einer gewissen Überwachung zu sein schien. Denn mehr als einmal war es vorgekommen, daß Unbekannte ihm gefolgt waren oder sich an ihn gedrängt hatten, und zweimal hatte Jesus selbst erzählt, daß er einen der Lassiks, ja das andere Mal sogar einen älteren Refik von Burg Gengarab in den begegnenden Fremden zu erkennen geglaubt habe. Aber da er ohne ihrer zu achten seiner Wege ging, hatten sie sich ihm nicht genähert. Auf den Wunsch des Arztes jedoch hatte der Lord befohlen, daß Kumur, der schwarze Diener des Arztes oder einer der beiden Trapper den Jüngling stets begleiten sollte, wenn er in die Stadt ging.

So standen die Angelegenheiten der kleinen Reisegesellschaft, und bereits hatte die Fürstin von der Fortsetzung ihrer Reise gesprochen und der Arzt den Verwundeten, der in einem Landhause zu Bulac Unterkommen gefunden hatte, außer Gefahr erklärt, als plötzlich der Graf von Lerida aus dem Hotel verschwunden war. Die Unbeschränktheit seiner Launen hatte zwar die Freunde und seinen Vetter längst an kürzere Ausflüge gewöhnt, auf denen er einen oder zwei Tage ausblieb, aber diesmal waren bereits vier Nächte vergangen, ohne daß er sich hatte blicken lassen oder die geringste Kunde von sich gegeben hätte. Als Lord Walpole und der deutsche Arzt dem Wirt des Hauses ihre Besorgnis aussprachen, machte Herr Friedmann ein ziemlich ernstes Gesicht.

»Es ist ein kühner Herr, Ihr Verwandter, Mylord«, sagte er, »der keine Besorgnisse zu kennen scheint, aber es passieren manchmal seltsame Dinge in dieser Stadt. Und obschon die Heiligkeit des Harems hier keineswegs so streng gehalten wird, wie in Stambul oder anderen Teilen des Orients, und Said Pascha streng darauf hält, daß die Fremden mit möglichster Schonung behandelt werden, selbst wenn sie die hiesigen Gesetze und Sitten verletzen, so ist es doch schon öfter vorgekommen, daß man bei Sonnenaufgang Ermordete in den Straßen gefunden hat, und daß Fremde spurlos verschwunden sind. Erzählt man sich doch selbst aus der Nähe unseres Hotels Er brach vorsichtig ab und warf einen Blick nach einer der minaretartigen hohen Terrassen der Umgebung, welche an der Grenze der Eskebieh lagen und von ihrer Höhe selbst einen Einblick in den gartenartigen Hof gestatten mochten.

Lord Walpole befragte ihn freilich näher, aber der vorsichtige Deutsche lehnte es ab, einen direkten Verdacht auszusprechen. Erst als er am Abend mit dem Arzt unter den Oleanderbüschen am Kiosk saß, zeigte er sich mitteilsamer. Die Zahl der Fremden war ohnehin augenblicklich nicht groß in Kahira, da die vorhergegangenen heißen Monate den sonst ziemlich großen Zudrang namentlich von Lungenkranken verspätete, ein Umstand, der auch unsere Reisenden vermocht hatte, einen längeren Aufenthalt zu nehmen, denn im April und Mai steigt die Hitze in Kairo durch den Chamsin oft bis zum Unerträglichen. Doktor Walding, der sich durch glückliche Behandlung eines Kindes des Wirts die große Zuneigung des letztern erworben hatte, brachte vorsichtig das Gespräch auf die Umgebung des Hotels.

»Haben Sie zufällig von der Prinzessin Mirjam erzählen hören?« fragte plötzlich der Wirt.

»Nein – wer ist diese Prinzessin und was ist mit ihr?«

»Ihr Haus liegt da drüben, und Sie könnten von hier seine Terrassen übersehen, wenn die gewöhnliche Mauer um diese den Einblick nicht verhinderte nach der Sitte unserer türkischen Häuser.« Er zeigte hinüber nach der Seite der Eskebieh, und fuhr dann fort. »Sie soll seit acht Tagen wieder von ihrem Palast an der Küste der See in ihrem Hause zu Kahira eingetroffen sein.«

»Aber wer ist die Prinzessin Mirjam? Ich hörte nie von ihr.«

»Eine Verwandte des früheren Vizekönigs, des Abbas Pascha, den vor sieben Jahren ein Assassine im eigenen Palast ermordet hatte, weil er der Ultraislamitischen Partei zu mild und nachsichtig war, sodaß er selbst die ägyptische Flotte an Österreich verkaufen wollte, woran ihn England gehindert hat. Sie soll aus dem Blute Mehemeds stammen, so gut wie der Khedive selbst, und deshalb besonderen Schuß genießen, schon zu des Ermordeten Zeiten, obschon –«

»Nun?«

»Obschon ihr das Volk Schlimmes nachsagt und vielleicht eben ihre Abstammung allein sie vor der Schnur geschützt hat.«

»Was sagt man ihr nach?«

»Daß sie ihren eigenen Gatten umbringen ließ, obschon sie heute noch nicht dreißig Jahre zählt und noch immer sehr schön sein soll, eigentümlich schön wie eine Schlange oder ein Tigertier. Seit dem Tode ihres Gatten, der zurzeit des Krimkrieges starb, führt sie ein, wie der Volksmund flüstert, nicht sehr einsames Leben, denn um sich bis zur Anklage zu erheben, fürchtet man ihren Einfluß – und ihre Rache. Sie soll

»Aber so reden Sie doch. Sie werden sich doch vor einem Landsmann nicht scheuen.«

»Man flüstert, daß sie von der Erlaubnis Mahomeds einen verkehrten Gebrauch macht und einen Harem unterhält – aber von Männern! Tatsache ist, daß junge schöne Männer, namentlich Europäer, seit ihrer Rückkehr nach Kairo, – denn sie blieb nach dem Tode ihres Gatten mehrere Jahre verbannt und diese Verbannung soll mit dem Wechsel auf dem Thron des Khedive nicht ohne Zusammenhang sein – in Kairo oft auf unerklärliche Weise verschwunden sind. Man weiß nicht einmal, ob der Tod ihr Los gewesen ist, denn es ist niemals eine Spur von ihnen gefunden worden.«

Der Arzt hatte die Hand des Mannes ergriffen. »Ich ehre Ihre Vorsicht, Herr, aber ich hoffe, daß Sie sich auch erinnern, daß Sie unter dem Schutz des Konsuls Ihres Vaterlandes stehen.«

Der deutsche Hotelbesitzer zuckte die Achseln. »Der Schutz des französischen oder englischen böte mir bessere Garantie. Doch wie dem auch sei, ich bin ein deutscher Mann – also fragen Sie!«

»Sie bringen die Prinzessin Mirjam mit dem Verschwinden unseres Freundes, des Spaniers, in Verbindung? Seine Ansichten über Frauengunst sind allerdings etwas frei.«

»Ich enthalte mich jeden Gedankens. Erlauben Sie mir selbst dagegen einige Fragen an Sie zu richten.«

»Fragen Sie! Ich habe ohnehin dann um Ihre Hilfe zu bitten in einer andern Sache.«

»Haben Sie je bemerkt, daß der Conde hier eine Verbindung mit ägyptischen Damen unterhielt?«

»Sie erinnern mich an einen kleinen Vorfall, der sonst wohl keine Bedeutung hätte. Am Tage vorher, ehe wir ihn das letzte Mal sahen und er zu unserem Verwundeten in Bulak gehen wollte, sah ich hier im Garten einen Eseltreiber bei ihm, der ihm ein Bouquet Blumen, einen Selam, gebracht hatte und mit ihm sprach.«

»Hamed, den Schurken – ich weiß, daß er den Kommissionär und Unterhändler für tausend Dinge macht. Weiter, – haben Sie je Ihren Freund – mit jener Richtung –«, er deutete mit den Augen nach einer entfernten Terrasse hin – »in Verbindung stehen sehen?«

»Ich sah ihn den Selam, den er eben erhalten, zweimal zu seinen Lippen heben.«

»Dann ist es richtig – der Unglückliche!«

»Aber warum haben Sie ihn nicht gewarnt?«

»Wie durft' ich's wagen? Aber er weiß wenigstens dasselbe, was ich Ihnen von dieser gefährlichen Sirene erzählt habe, und daß keiner zurückgekehrt war, der in ihre Netze gefallen.«

»Gott sei Dank! Dann kennt er diese Netze und ist gewarnt und wird sie im Augenblick der Gefahr zu durchbrechen wissen. Wie ich den Grafen kenne, ist er nicht der Mann, sich fangen zu lassen, und sein Glück in all' den tausendfachen Gefahren, die er schon bestanden, ist fast sprichwörtlich. Er ist ebenso kühn und verwegen, als klug. Fast dürfen wir darauf gefaßt sein, ihn unerwartet wieder zum Vorschein kommen zu sehen. Ich fürchte nur, daß es dabei nicht ohne Gewalttat ab gehen wird. Dann wird es freilich das Beste für uns Alle sein, Kahira sofort zu verlassen. Er hat ein eigenes Schiff, das ihn in Alexandrien erwartet. Doch muß ich jedenfalls mit seinem Verwandten, Lord Walpole, sprechen und, wenn er in drei Tagen nicht zum Vorschein kommen sollte, muß der Lord sich an Sheriff Pascha, den Minister des Äußeren, oder an den Vizekönig selbst wenden.«

»Der Weg der Gerechtigkeit ist hier weit und bringt ein Leben nicht zurück. Aber was ist's, womit ich Ihnen selbst sonst dienen kann?«

»Es ist eine eigentümliche und doch sehr natürliche Sache. Sie haben vielleicht das junge Mädchen bemerkt in Diensten oder besser in der Begleitung der Fürstin Wolchonsky?«

»Ja, es soll eine Chinesin sein, wie wir gehört, sie scheint hochschwanger, meine Frau hat mich darauf aufmerksam gemacht.«

»So ist es, obschon die Fürstin keine Ahnung davon hatte, – vielleicht das Mädchen selbst nicht. Ich entdeckte es sogleich in Abessynien, als sie aus Indien kamen, – durch einen Zufall, und die eigentümlichen Verhältnisse, in welchen die Waise unter dem Schutz der Fürstin steht, wie ihre sonstige Hilflosigkeit haben mir, dem Arzt, eine gewisse Teilnahme für sie eingeflößt. Die Fürstin selbst ist jung, kaum geeignet für eine solche Lage; sie bedarf in jedem Fall einer anderen Dienerin.«

»Die sind hier hundertfach zu haben, wenn auch für ihre Moralität wenig zu stehen ist. Bis Paris, wohin sie ja gehen will, reichts jedenfalls.«

»Ja, aber sie beharrt darauf, das arme Wesen nicht zu verlassen. Eine seltsame Kette von Ereignissen verbindet die beiden Frauen. Nach allem, was ich als Arzt beurteilen kann, steht Tank-ki auf dem Punkt, bald Mutter zu werden. Es ist dies ein Hauptgrund gewesen, uns hier zurückzuhalten. Dennoch kann, wie Sie selbst zugestehen, jeden Augenblick dieser Aufbruch notwendig werden.«

»Dann weiß ich freilich kaum zu raten, wenn Sie das Mädchen nicht unter dem Schutz meiner Frau zurücklassen wollen. Sie wissen als Mann und Arzt, wie oft sich die Frauen über das Ereignis selbst in der Zeit täuschen.« Er wandte sich zum Gehen, kehrte aber, als sei ihm ein Gedanke gekommen, plötzlich zurück. – »Es ist doch vielleicht gut, daß Sie mich in dieser Sache zum Vertrauten gemacht, Doktor. Ist der Lord bereit, für die Gewißheit über das Schicksal seines Vetters einiges Gold zu opfern?«

»Gewiß!«

»Dann wird es uns gelingen, sie zu erhalten, vielleicht auch mehr. Sie wissen, daß wir im Orient seit Jahren manchen tüchtigen europäischen Arzt haben. Sie sind ja selbst ein Beispiel. Aber daneben haben im Volk die jüdischen Ärzte noch immer großes Vertrauen und namentlich die weisen Frauen dieser Nation bei unseren Wöchnerinnen. Es würde also nicht auffallen, wenn Sie für das Mädchen eine dieser Jüdinnen zuzögen.«

»Ich kann noch nicht absehen, wohin Sie mit dieser Einleitung zielen.«

»Diese Jüdinnen, zum Teil selbst vom Stamme der Falaschas in Oberägypten, sind zugleich vielfach die Vertrauten der Harems und kommen in die Paläste selbst unserer Machthaber. Eine solche Alte, eigentlich eine Kupplerin, ist die Mutter Hameds, unseres bereits erwähnten arabischen Kommissionärs, der ein geborener Jude ist. Ich weiß zufällig, daß die alte Vettel, die mir sonst nicht in mein Haus kommen darf, vertrauten Zutritt hat in den Palast der Prinzessin Mirjam, ja dort täglich verkehrt. Würde ich sie durch ihren Sohn hierher kommen lassen, so würde das sogleich beiden auffallen und weiter getragen werden. Sie kennen nicht die hundert Wege, durch welche Orientalen jede Nachforschung zu vereiteln wissen, aber dennoch gibt es Mittel, bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel zu dringen; ein solches Mittel ist die Habsucht und Geldgier der Juden. Ich zweifle nicht, daß, wenn es uns gelingt, die alte Rebecca in unverdächtiger Weise hierher zu locken, es auch möglich sein wird, sich ihres Beistands zu versichern, wenigstens eine Auskunft zu erhalten.

Der Doktor nickte zustimmend und der Wirt versprach, die alte Jüdin kommen zu lassen.

Es sollte dies noch eher geschehen, als die Männer gedacht hatten; denn bereits am Spätabend traten Zustände ein, welche die Hilfe der alten Jüdin erheischten, und ehe Mitternacht kam, war die Chinesin Mutter eines Knaben geworden. Doktor Walding und der Grieche hatten es, nach Verabredung mit dem Lord, übernommen, die Jüdin zu befragen, und während der letztere dafür sorgte, daß ihre Unterredung nicht durch Überraschung gestört werden konnte, trat die Alte in das Zimmer der beiden erstgenannten Männer, die lüsternen Augen sogleich auf die geöffnete Rolle von englischen Goldstücken heftend, die unverwahrt auf dem Tisch lag.

»Du bist eine weise und geschickte Frau,« sagte der Arzt, »ich bin beauftragt, Deine Dienste zu vergelten, und Dir das Gleiche zu geben«, er schob ihr zwei Goldstücke zu, »wenn die Wöchnerin erst wieder im Stande ist, ihr Lager zu verlassen und die Weiterreise anzutreten.«

Die Alte hob das runzelvolle Gesicht und musterte ihn mit den scharfen, forschenden Augen. »Der Gott Jakobs segne Dir die reiche Gabe. Unsere Gläubigen sind nicht so freigebig, wenn sie meiner Hilfe bedürfen. Aber wann beabsichtigen die Franken-Agas ihre Reise anzutreten? Unter diesem Himmel bedürfen die Frauen unter geschickten Händen keiner langen Zeit, wieder zu gesunden.«

»Das wird von Deinem Ausspruch abhängen, zunächst freilich von dem Erscheinen eines unserer Begleiter, der uns in Unruhe versetzt hat über sein Verschwinden.«

Er hatte mit zwei weiteren Goldstücken gespielt und schob sie nach der Seite des Tisches, an der auf seine Einladung die alte Jüdin Platz genommen hatte. »Ich wünschte, es könnte Gold seine Rückkehr beschleunigen, so gut, wie Deine Geschicklichkeit die Wiedergenesung der jungen Frau.«

Die Alte schien einige Augenblicke mit sich zu Rate zu gehn, aber der Anblick der blanken Goldstücke mußte verführerisch wirken, denn während der Grieche, wie zufällig, vor den Ausgang des Zimmers trat, verschwanden die zugeschobenen Sovereigns in ihrer weiten Tasche.

»Du bist ein weiser Hakim, wie mir mein Enkel erzählt hat,« sagte sie vorsichtig, »und hast das Leben des Kindes des deutschen Wirts gerettet. Warum sollte ein so weiser Hakim nicht wissen, daß in diesem Lande ein goldener Schlüssel alle Türen zu öffnen versteht!«

Der Arzt sah sogleich, daß er offener sprechen könne. »Eine weise und geschickte Frau wie Du, muß in vielen Häusern und Harems der Reichen und Mächtigen Eintritt haben und ihre Geheimnisse teilen. Das Volk erzählt sich vieles von einer Verwandten des Khedive. Kennst Du die Prinzessin Mirjam, die in diesem Stadtteil wohnt?«

Sein Blick haftete fest auf ihr. Die alte Kupplerin vermochte ihren Schrecken nicht ganz zu verbergen bei dieser direkten Frage. »Wer sollte die Sultana Mirjam nicht kennen? Sie ist eine kluge und mächtige Frau – es ist nicht gut für geringe Leute, sich ihrem Willen entgegen zu stellen.«

»Ihr Witz ist der eines Weibes, und es kann andere geben, die klüger sind als sie. Für zwanzig dieser Goldstücke wäre manches zu wagen, um einem Opfer ihrer Lüste die Freiheit wieder zu geben, wenn es überhaupt noch Zeit dazu ist. Sonst bleibt dem Beisädih nichts übrig, als sich an die Polizei des Khedive zu wenden.«

Die Alte lächelte spöttisch. »Der Aga würde dann schwerlich finden, was er suchen will. Warum gleich die Gewalt, wenn andere Mittel sicherer zum Ziele führen können? Hat der Hakim die gleichen Fragen getan an meinen Enkel wie an mich?«

»Nein, Männer sind geschwätzig, kluge Frauen niemals. Du bist die erste Person, mit der ich davon rede.«

»Wallah! Die Kinder Jakobs sind die Unterdrückten in diesem Lande. Es ist oft gefährlich zu reden. Es wäre töricht von mir zu tun, als ob ich nicht wüßte, daß Du von dem schönen Franken redest, der mit Euch in diesem Hause wohnte und seit vier Tagen nicht zurückgekehrt ist zu seinen Freunden.«

»So ist es. Wir fürchten, daß er in ein gefährliches Liebesabenteuer verstrickt ist, und in einem Harem dieser Stadt verborgen gehalten wird.«

»Es mag sein! Aber seine eigene Klugheit allein kann ihn daraus befreien.«

»So lebt der Graf von Lerida noch?«

»Ich habe nicht gesagt, ob er lebt oder nicht. Ich weiß nichts davon. Es ist gut, daß der Hakim nicht mit meinem Enkel gesprochen hat, er liebt das Geld allzusehr und fürchtet für seine Kehle, obschon er oft laut genug in der Synagoge und auf dem Bazar schreit. Frauen allein, wie Du selbst sagtest, verstehen zu schweigen und ohne Lärm guten Rat zu geben.«

»Was läßt Du uns so lange um die Sache herumgehen. Wenn der Conde noch unter den Lebenden ist, vermöchtest Du, ihm einige Zeilen zuzustecken, die ihn vor Gefahren warnen?«

Nach der Art aller Frauen antwortete die Alte mit einer Gegenfrage.

»Kennt der Hakim eine Schrift, die keiner hier versteht, wenn ein schlimmer Zufall sie finden lassen sollte?«

Der Arzt sann einige Augenblicke nach. Die gewöhnlichen im Orient üblichen Sprachen schienen ihm nicht geeignet, außerdem war wohl zu bedenken, ob der tolle Spanier die gewählte kennen würde. Endlich glaubte er das Richtige gefunden zu haben. »Was meinen Sie, General Maldigri, dieses Weib ist ebenso vorsichtig als schlau, und sie will offenbar sich nicht bloßstellen, – würden es die nötigen Worte auf Lateinisch tun?«

»Das ist das Richtige – der Graf hat seine Erziehung in Eton erhalten. Hier ist Papier und Tinte!«

Die alte Jüdin legte die Hand auf die Feder, die der Arzt bereits ergriffen hatte.

»Halte ein, weiser Hakim! Du darfst nur schreiben in Deiner fremden Sprache, was ich Dir vorsagen werde. Es darf nichts geschehen, was mich in Gefahr bringen könnte. Das Papier, das Du schreibst, kann nur die zufällige Hülle eines anderen Gegenstandes sein, einer Schnur zum Beispiel, von dem Haar der Kameele – diese ist dünner wie Seide und reißt niemals!«

Der Arzt sah sie mit einem verständnisvollen Blick an. »Ich hoffe, Du weißt, wo eine solche Schnur zu finden ist, und wem sie Dienste leisten muß. Sage mir die Worte vor, die ich schreiben soll!«

 

»So schreibe denn:

Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, wenn er sich nicht selbst befreit. Die Gefahr ist oft am dringendsten, wenn sie am fernsten scheint, und ein kluger Mann wartet nicht, bis der Tod an seinem Kissen steht. Ein Weiser setzt nicht Speise und Trank über das Leben, und die Schnur des Kameeltreibers ist fester als der Gürtel von Gold und Seide. Ein kühner Sprung ist oft besser als ein schwerer Fall, und es ist nicht immer möglich, durch die Tür hinauszugehen, durch die man eingetreten ist. Wer weise ist, hüte sich vor allem, was dunkel, und suche die Freunde, wo das Licht ist!«

 

»Bist Du schon zu Ende?«

»Ich bins!«

»Deine Worte scheinen ziemlich unklar und ungenügend.«

»Ich kann nicht mehr sagen, und wenn Dein Freund klug ist, werden sie genügen. Nur möge er das Gras nicht wachsen lassen unter seinen Füßen in Kahira, wenn es ihm gelingt, der Gefahr zu entgehen. Ich kann nicht mehr reden.«

»So sage wenigstens, was die Anspielung auf das Licht bedeutet, und daß ein Sprung besser ist als ein Fall?«

»Die Terrasse eines arabischen Hauses ist nicht hoch und das Fenster einer Wöchnerin bleibt hell auch während der Nacht. Ich werde morgen während des Tages wieder nach ihr sehen. Die kleine Gasse, die von der Muskieh am Palast der Sultana Mirjam vorüber führt, läuft gleich mit der Mauer dieses Gartens. Lebt wohl – es ist Zeit, nach dem Viertel der Kinder Jakobs zu gehen.«

»Ich glaube, Dich jetzt verstanden zu haben, Frau,« sagte der Arzt, »und hoffe, daß Du bald den Weg hierher finden wirst, das Geld hier zu holen. Wir werden unsere Maßregeln so treffen, daß nicht das Geringste Dich kompromittieren kann. Lebe wohl! Der Morgen graut bereits.«

Die alte Jüdin verschwand eiligst und winkte draußen im Gange, der von dem Hotel zur Straße führt, dem Enkel, der dort in einem Winkel schlief, ihr das Tor zu öffnen und sie zu geleiten.

Doktor Walding und der Grieche blieben noch in ernster Beratung zusammen und erwogen genau alle zu tuenden Schritte, zunächst ob es geraten sei, irgend fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr Beschluß war, am Morgen sofort nach Alexandrien zu telegraphieren und die dort ankernde Dampfjacht des Conde in den Hafen von Bula kommen zu lassen, denn die Fahrt auf dem eigenen Schiff war jedenfalls sicherer als die hundert Zufällen unterworfene auf der Eisenbahn. Lord Walpole sollte noch im Lauf des Tages von dem Geschehenen unterrichtet und durch ihn der britische Konsul Sir Alfred Walen ersucht werden, dem Entkommenen in seinem Hause für zwei Tage Aufnahme zu gewähren, da nicht zu befürchten war, daß selbst die ägyptischen Behörden unter irgendeinem Vorwand einen Eingriff in den britischen Schutz wagen könnten. Weiter beschloß man, während der nächsten zwei Abende in der Nähe des Palastes der Prinzessin aus den eigenen Leuten Wachen aufzustellen, die für alle Fälle bereit sein und den Entkommenen auf dem Wege bis zum Konsulate schützen könnten. Kumur, die beiden Trapper und einer von ihnen selbst wurden dazu als ausreichend erkannt, von der Ankunft der Jacht aber sollte keine Seele bis zum Augenblick der Abreise erfahren. Walding sollte unter französischem Schutz in Kairo zurückbleiben, bis er mit den beiden Franzosen und der Wöchnerin nach Alexandrien folgen und mit ihnen dort wieder zusammen treffen könne.

Diesen Entschlüssen entsprechend wurden die Anstalten im Laufe des Tages getroffen, und als am Nachmittag die Jüdin die Wöchnerin wieder besuchte, gab ein für andere unbemerkbarer Wink ihnen die Gewißheit, daß es ihr gelungen sei, das Papier in die richtigen Hände zu spielen, und daß sie sich bereit halten müßten. – – – – – – – – – –


In einem nach orientalischer Sitte durch die Zugluft und einen kleinen künstlichen Springbrunnen von wohlriechendem Wasser gekühlten, mit persischer Seide tapezierten Gemach saß auf einem bequemen Divan eine Frau, in kostbare orientalische Gewänder gekleidet, und der Duft des Nargileh, aus dem sie gleichzeitig mit dem Mann, der auf den Matten und Kissen zu ihren Füßen ruhte, durch den Doppelschlauch rauchte, erfüllte den Raum mit einem süßlichen, wollüstigen Duft. Dieser Mann zu ihren Füßen trug gleichfalls orientalische Gewänder: die weiten Beinkleider, Schalmar genannt, und über dem Hemd von weißer Seide die gestickte ärmellose Jacke, aber dem Reichtum der Kleidung nicht entsprechend um die Hüften statt des kostbaren goldgewirkten Shawls, der neben ihm lag, einen einfachen Strick aus Kameelhaar. Er stützte sich auf Hand und Ellbogen des rechten Arms und schaute, den Kopf in den Nacken gelehnt, mit glühenden Augen auf das schöne Weib, das auf dem Divan saß. Ihre fleischigen üppigen Formen zeigten, daß sie nicht mehr in der ersten Jugend stand, und selbst das wunderbar zarte Rot der künstlichen Schminke, das ihre Wangen bis unter die Augen färbte und mit dem feinen schwarzen Pinselstrich, unterm Lid und den Wimpern das Feuer der schwarzen Augen noch mehr hob, konnte doch die tiefen leidenschaftlichen Schatten nicht verbergen, die bis zur Nasenwurzel das Auge umgaben. Die Stirn war niedrig und durch die Färbung der schmalen tiefgeschwungenen Brauen noch verkleinert, die Nase fein und gebogen, die Lippen aber, wenn ihre volle mit kostbaren Ringen bedeckte Hand die dicke Bernsteinspitze des Nargileh daraus entfernte, zeigten sich fast übervoll und verrieten mit dem starken Kinn und gewölbten Halse Wollust und Sinnlichkeit. Eine scharfe Falte, die um die Mundwinkel lauschte und der Schminke Trotz bot, verriet eine gewisse Unbezähmbarkeit im Genuß, gleichsam wie das Raubtier unersättlich im Blute schwelgt und dann keine Furcht und Besorgnis kennt.

»So willst Du mich wirklich morgen abend verlassen, schöner Franke«, sagte die Frau in italienischer Sprache, »und es ist nichts, was Dich länger in den Armen Mirjams zurückhalten kann? Geh, Deine Liebe ist kalt – Deine Leidenschaft allzurasch befriedigt, während Mirjam nicht müde wurde, an Deinem Herzen zu ruhen!«

»Hast Du ein Recht, mir Mangel an Feuer und Liebe vorzuwerfen?« sagte mit leichtem Spott der Mann. »Aber bedenke, daß Du nur empfängst und ich Dir gebe, und meine Frankennatur nicht geschaffen ist für die bloßen Genüsse des Harems. Wir bedürfen der Freiheit und der freien Bewegung, die Körper und Sinne stählt, statt der Erschlaffung. Meine Freunde werden nicht ohne Besorgnis um mich sein, und ich muß sie erst beruhigen, um ungestört in Deine Arme zurückkehren zu können.«

»Es ist ein Weib unter ihnen,« sagte leidenschaftlich die Orientalin, »ich habe sie gesehen von der Höhe meines Turmes und weiß von ihr durch Hamed, der mein Sklave ist und den Befehlen gehorcht, die ich ihm durch das alte jüdische Weib, seine Großmutter, gebe, daß sie gleichfalls eine Prinzessin sein will aus einem fernen Lande der Ungläubigen. Du willst zu ihr, die kalt ist wie Eis gegen die Glut und das Glück, das Dich hier umgibt. Laß sie ziehen zu ihrem Land voll Schnee, schöner Franke, und bleibe bei Mirjam, wo Dich alles Glück der Liebe umgibt. Fordere, und jeder Genuß sei Dir gewährt. Sollen die Almen wie gestern vor Dir tanzen? Willst Du die Weine der Ungläubigen trinken? Sieh, Du hast gewünscht, daß wir beide heute die Gewänder der heißeren Sonne tragen, und ich habe mich beeilt. Dir solche aus dem Bazar holen zu lassen. Willst Du sie kostbarer, reicher geschmückt? Du sollst sie morgen haben! Nur gehöre Mirjam allein und bleibe bei ihr!«

»Nein, Du weißt, daß ich morgen wieder die Tracht der Franken anlegen muß, indes es heute nur anders geschah, um mit Dir unbemerkter auf der Eskebieh zu wandeln, sobald es Abend wird. Du irrst Dich, wenn Du glaubst, die Moskowitin sei es, die mich von Dir zieht, sie ist die Verlobte meines Vetters und mag mit ihm nach seiner Heimat gehen, während ich bei Dir bleibe. Aber dazu ist es nötig, mich mit ihm und meinen Freunden zu verständigen. Du sollst auch immer wenn ich bei Dir bin, die Tracht des Orients tragen, die Dir hundert Mal schöner steht, als die Flittern von Paris.«

Sie schien auf die Schmeichelei nicht zu achten. »So willst Du Deinen Freunden erzählen, daß Du bei mir warst und zu mir zurückkehren willst?« fragte sie lauernd.

»Warum nicht? Bin ich nicht Herr meines Herzens und meiner Person, wie Du? Wer kann uns hindern, in Liebe zusammen zu leben!«

»Niemand, so lange der Schleier des Geheimnisses unsern Bund bedeckt. Bedenke darum, was Du tun willst. Ein Weib ist nicht frei in diesem Lande.«

Er sah in Gedanken vor sich nieder; sie hielt die Augen forschend auf ihn gerichtet. »Warum hast Du diesen schlechten Strick um Deine Hüften gelegt, statt des Shawls, den Dir die Sklavin brachte?«

»Es war zufällig um das Packet geschlungen, das Deine Hand mir sandte.«

»Aber Du hast auch die Limonade verschmäht, die meine Hand Dir mischte. Ist mein Liebling krank?«

»Ich habe Sehnsucht nach frischer Luft – ein Gang ins Freie wird mir wohl tun.«

»Dein Wunsch ist für Mirjam Gebot. Sobald der Muezzim die Gläubigen zum Abendgebet vom Minaret gerufen, wollen wir lustwandeln. Der Chamsin hat Dich matt gemacht. Du solltest ruhen auf diesen Kissen, bis die Liebe Dich weckt.«

»Nein, Sultana, ich bedarf nichts, als der sonst gewohnten Freiheit, um glücklich zu sein. Wir wollen durch die Eskebieh wandeln oder zum Ufer des Nil. Ich – ich will es!«

»Du bist voll übler Laune, Freund. Aber es geschehe, wie Du befiehlst. Erwarte mich, wenn ich den schwarzen Sklaven Befehl gegeben, uns zu begleiten. Es schickt sich nicht für eine Sultana, daß sie ohne Diener außer dem Hause sich zeige, wie das Weib eines Fellah!«

»Wie Du willst. Diese Luft hier ist drückend!«

»Sie ist es nur, weil Du mich nicht mehr liebst und die Gesellschaft Deiner Freunde vorziehst!«

Es hatte allen Anschein eines Liebeszwistes, zu dem die türkischen Frauen ebenso bereit sind wie ihre europäischen Schwestern, aber der Franke antwortete ihr trotzig nicht, sondern beschäftigte sich stumm mit seinen Gedanken, bis die Abendstunde gekommen war, die der Muezzim ausruft. Dann sprang er auf. »Laß uns jetzt gehen, ich bin Dein Geliebter, nicht Dein Sklave. Wenn ich wiederkehren soll, darfst Du mir keine Fesseln auferlegen, außer dienen der Liebe. Laß uns gehen oder …«

»Was drohst Du?«

»Nun, oder ich verlasse ohne Deine Erlaubnis das Haus!«

»Du weißt, daß der Wächter des Tors die Pforte nur öffnen darf, wenn ichs gebiete. Mirjams Gunst hat Dich zu ihrem Herrn gemacht. Es geschehe, wie Du willst, nur gib mir Zeit, mich in meine Schleier zu hüllen. Ich hoffe, wenn wir zurückkehren, wird Deine Laune besser sein.«

Sie klatschte in die Hände, eine schwarze Sklavin trat in das Gemach. »Laß Massil und Zorab sich bereit halten, meinem Gebieter den richtigen Weg zu weisen durch die Pforte der Nacht. Er ist ein Undankbarer, wie alle Männer es sind, und will uns verlassen.«

Die Sklavin kreuzte die Arme und verbeugte sich gehorsam; ein flüchtiger Blick fiel auf den Europäer. Dieser trat mit großer Ruhe zu der zürnenden Schönen, küßte ihre Stirn und zog einen kostbaren Dolch, der in ihrem Gürtel steckte, aus diesem und schob ihn in den seinigen.

Ihre Augen blitzten dabei argwöhnisch auf. »Was tust Du, Franke?«

»Was sich gehört! Es paßt sich nach unseren Sitten besser, daß der Mann die Waffe führt, als die Frau. Darf ich Dir die Hand, oder wenn Du europäischen Brauch vorziehst, den Arm bieten?«

»Es ist nicht Sitte in unserem Lande, daß Männer und Weiber zusammen gehen. Geh voran, ich folge Dir!«

Er schien bereits ziemlich gut in dem Hause Bescheid zu wissen, denn er trat sogleich in einen Gang, an dessen Ende eine steinerne Treppe in den Hofraum führte, der sich lang bis zum Tor hinzog, vor dem ein finsterer alter Araber mit weißem Bart saß, bereit, jeden anzufallen, der sich diesem Ausgang gegen seinen Willen nahte. Am Fuß der steinernen Treppe standen die beiden nubischen Sklaven, zwei herkulische Gestalten mit grimmigen, tierisch blickenden Zügen und mit dem Yatagan im Gürtel über dem weißen Kaftan, während ihre Hand den großen Bambusstab mit schwerem Silberknopf führte, den die Khawassen und Diener bei einem Ausgang und im Dienst ihrer Gebieter zu tragen pflegen, und mit denen sie wie der Läufer mit der Peitsche vor dem Wagen die Lästigen oder den Weg Sperrenden zur Seite schieben.

Mit einem raschen Blick hatte der Conde – denn er war es in der Tat, die Situation übersehen und die Begründung der Warnung erkannt, die er am Mittag auf dem Papier gefunden, in das der Einkauf der Jüdin im Bazar geschlagen und das mit dem Strick aus Kameelhaar umschnürt gewesen war. Er fühlte, daß jeder Augenblick der Zögerung ihm Verderben bringen konnte, und daß er keine Spur von Besorgnis zeigen durfte. Während seine schöne, verräterische Freundin auf der letzten Stufe der Treppe stehen blieb, ging er kaltblütig, ohne den Kopf zu wenden, zwischen den beiden Schwarzen, die auf den Wink ihrer Herrin zu warten schienen, hindurch und trat auf den Pförtner zu: »Öffne!«

Der Alte sah an ihm vorüber nach der Treppe hin, indem er die Hand an den Balken legte, der das Tor schloß, aber schon waren auch die beiden schwarzen Sklaven dem Spanier gefolgt, und nach einer Seitenmauer des Hofes deutend, in der ein anderer Gang sich zu öffnen und in einen zweiten Raum zu führen schien, hatte der eine der Schwarzen bereits seinen Arm gefaßt, um ihn dahin zu ziehen, während der zweite mit dem schweren Stabe hinüberwies.

Jalla, jalla! taali schemalak! Vorwärts! Komm links!

Der Graf hatte ihn zwar nicht verstanden, aber er begriff aus der Geberde die Weisung des Schwarzen, und als habe ihn die Berührung des Sklaven erzürnt, hatte er im selben Augenblick mit einer raschen Bewegung seiner Hand den gewichtigen Stab ihm entrissen und schwang diesen rechts und links mit voller Kraft gegen die Schienbeine der Schwarzen, diesen empfindlichsten Teil aller Negerracen. »Schurken! Was untersteht Ihr Euch?« Im selben Moment war er, während die Geschlagenen sich heulend krümmten und die getroffenen Stellen rieben, an ihnen vorübergesprungen nach dem Eingang der Treppe zurück, hatte die dort harrende Dame übergerannt und flog trotz ihres Kreischens die Stufen hinauf. Erst, als auf ihr Geschrei der weißbärtige Türke am Tor herbeieilte und ihr wieder auf die Beine half, zeterten wilde Schmäh- und Drohworte über ihre Lippen und jetzt erst begriffen die Schwarzen, daß ihr Opfer ihnen entgangen war.

»Verfolgt den Giaur, feige Hunde! Tötet ihn zur Stelle! Um keinen Preis darf er entkommen!«

Die Nubier stürzten, den Yatagan schwingend, die Stiege hinaus, fanden an dem Absatz des ersten Flurs, wo jene sich teilte, aber nur die schwarze Sklavin, die ihnen vorhin den Befehl der Herrin gebracht hatte und jetzt gleichfalls zappelnd und zeternd am Boden lag. hinter ihnen her tobte die Herrin. »Wo ist er, der Freche? Er soll büßen mit dem Leben. Allah sei Dank, er kann nicht entrinnen!« Aber die Sklavin wies nur nach dem zweiten Gang. »Dort hinauf ist er – zum Dach!« Jetzt erst begriff die leidenschaftliche Frau, daß der Gegenstand ihrer Liebesglut absichtlich einen ebenso kühn wie gut ausgeführten Fluchtversuch unternommen hatte und schlug gleich einer getäuschten Rasenden gegen die schwache Tür, die nach der Sitte der orientalischen Häuser auf das flache, eine Terrasse bildende und von ziemlich hohen, gegen die Neugier unberufener Blicke schützende Mauer umgebene Dach führte, auf denen die orientalischen Frauen unter duftenden Gewächsen der Abendkühle zu genießen pflegen. Die Tür war zwar durch den vorgeschobenen Riegel vom Dach her geschlossen, konnte aber den Schlägen der Nubier nur wenige Augenblicke widerstehen, dennoch hatten diese genügt, die Flucht des bedrohten Spaniers zu sichern; denn als die Tür jetzt in Stücke flog und die erbitterte Frau, die einem der Sklaven selbst den schweren Yatagan entrissen, wie eine Furie hinausstürzte, fand sie das Dach leer und nur um einen der vorspringenden Steine das Ende der Schnur von Kameelhaaren geschlungen.

»Er ist fort, Sklaven, beim Propheten, der Franke wird uns verraten! Noch kann er nicht weit sein; die Gasse ist schmal und hat keinen Ausgang. Hinunter mit Euch allen und ihm nach! Zehn Beutel für den, der ihn zurückbringt, tot oder lebendig!« Sie selbst versuchte die äußere Mauer zu erklimmen, um nach dem Entwischten auszuschauen, aber erst, nachdem die herbeilaufenden Sklavinnen eine kurze Leiter für die Gebieterin herangeschleppt hatten, gelang es dieser, über die Höhe der Mauer auf die vorbeilaufende Gasse hinabzuschauen. Die Gasse war jedoch leer; nur nach der Muskieh zu sah sie eben drei oder vier Männer sich hastig entfernen, und es klang zu ihr zurück wie lautes Spottgelächter.

»Möge Allah ihn verderben! Zum Glück kann der falsche Franke nur Verdacht geschöpft haben und mir nicht schaden. Aber dennoch wird es gut sein, seine Schritte bewachen und Hamed zu mir kommen zu lassen.«

Aber der eilig Herbeigeholte wußte auch nichts zu erzählen und konnte nur berichten, daß verschiedene Männer aus der Gesellschaft des britischen Lords erst in der Nacht zurückgekehrt waren, ohne den Spanier mit ins Hotel zu bringen. Erst am zweiten Morgen vernahm sie, daß der ihrer Macht so rechtzeitig und geschickt Entschlüpfte im offenen Wagen mit dem englischen Konsul nach dem Hafen von Bula gefahren war und sich dort an Bord eines kleinen Dampfers begeben, der mit zwei oder drei der Fremden sich alsbald stromabwärts auf den Weg gemacht habe.

Dennoch, und obschon der Graf von Lerida jede Anklage und Aussage streng verweigert hatte, konnte seine Flucht nicht ganz verschwiegen bleiben und erregte bei dem wiederholt vorgekommenen Verschwinden von jungen schönen Fremden so viel Aufsehen und Verdacht, daß sich der französische, britische und italienische Konsul bald darauf veranlaßt sahen, beim Khedive selbst auf eine genaue Untersuchung im Palast der Prinzessin Mirjam zu dringen. Man fand dabei in einer alten Zisterne in einem abgelegenen Hofe die zum Teil von Kalk zerstörten und unkenntlich gewordenen Leichen mehrerer Männer, offenbar Europäer. Obschon die Prinzessin und ihre Diener leugneten, davon zu wissen, sah sich der Khedive doch veranlaßt, die schöne Mirjam nach Ober-Ägypten zu verbannen unter dem strengen Verbot, Kairo oder Alexandrien wieder zu betreten, und dort starb sie bald darauf, wie ihre Freunde sagten: aus Gram über ihre Verbannung, während die beiden Schwarzen schon früher spurlos verschwunden waren. Die Sache machte damals in Kairo viel Aufsehen, aber die Justiz in Ägypten ist auch gegen überflüssige Schwätzer ziemlich kurz angebunden, und da bald nachher das ganze Haus niedergerissen wurde und einem anderen Gebäude Platz machen mußte, verschwanden alle weiteren Spuren. –

Acht Tage nach der fluchtähnlichen Abreise des spanischen Abenteurers trafen sich die Vettern in Alexandrien wieder, wohin auch Tank-ki im Schutz des Arztes ihre Herrin begleiten konnte. Doch hatte es Lord Frederic Walpole nach einer offenen Erörterung mit seinem abenteuernden Vetter für zweckmäßig erachtet, auf dem nächsten englischen Dampfer für sich und seine Schutzbefohlenen Überfahrt nach Malta zu nehmen und von dort erst sie nach Marseille zu bringen, während die beiden Franzosen, Doktor Walding und der Grieche an Bord der Dampfjacht blieben. – –


Es war damals, im Spätsommer und Herbst des Jahres 1861, eine stürmisch bewegte Zeit, deren Ereignisse freilich fast vergessen sind, die damals aber die politischen Sympathieen und Antipathieen genug in Anspruch nahmen, und die voll abenteuerlicher Bewegung waren, sodaß Frankreich fast der einzige Großstaat war, der sich ruhiger Zustände, wenigstens im Innern, erfreute.

In Amerika war in den vereinigten, oder vielmehr jetzt veruneinigten Staaten jener große Bürgerkrieg ausgebrochen, der unter der Maske der Humanität und der Sklavenemanzipation doch nichts anderes war, als ein Kampf für den Eigennutz der Yankees im Norden, ihre schamlose Ausbeutung der Staatsinteressen und der Knechtung selbständiger Institutionen; in Mexiko wütete der Kampf der Liberalen mit Ultramontanen; England, im Gefühl seiner Schwäche bangend, und doch lüstern mit hineingezogen zu werden in den großen amerikanischen Krieg; Spanien, sich in karlistischen und republikanischen Aufständen gegen ein verächtliches Weiberregiment erschöpfend; Griechenland an der Schwelle eines Aufstandes, der mit dem Mordversuch des Studenten Dosios auf die unschuldige deutsche Königin begann, um einem englischen Prinzen auf den griechischen Thron zu helfen; – Italien endlich mit Blut und Hinrichtungen den Kampf gegen das bourbonische Königtum fortsetzend und unter dem Druck der Revolutions-Komitees und selbst unterjocht von napoleonischem Einfluß den Papst im Vatikan und Österreich in Ungarn bedrohend; Rußland einen neuen polnischen Aufstand vergeblich abwehrend; Deutschland noch immer der Spielball der englischen und französischen, der dänischen und österreichischen, der revolutionären und ultramontanen Intriguen: und diesen Feinden allen gegenüberstehend, allein auf sich und seine Zukunft vertrauend, das neue preußische Königtum, verläumdet und angefeindet im eigenen Lande durch Haß und Ehrgeiz – wo war da der Friede und eine gesicherte Zukunft zu suchen? Wir wüßten kaum, in welcher Phase der neueren Geschichte der Weltfrieden mehr bedroht, und der Boden mehr für vulkanische Ausbrüche unterhöhlt gewesen wäre!


Über die blauen Wellen des Golfs von Tarent schwamm an einem schönen Abend in der letzten Hälfte des August ein kleines Fahrzeug, dessen Takelwerk und ganze Ausrüstung keinen sicheren Schluß zuließ, ob es ein Handelsfahrzeug oder für kriegerische Zwecke bestimmt sei, und deshalb an Bord einer von Süden her steuernden eleganten Dampfjacht allerlei Vermutungen hervorgerufen hatte, bis der Kapitän oder der Besitzer der Jacht dem Steuermann Ordre gab, in jedem Fall sich dem geheimnisvollen Schiffe zu nähern und seinen Lauf zu kreuzen.

Wie übrigens das Segelfahrzeug, das leicht und rasch die Wellen durchschnitt und seinen Lauf nach der Höhe des Golfs gerichtet hielt, die Neugier und die Kombinationslust an Bord der Jacht erweckt hatte, so war es nicht weniger umgekehrt der Fall gewesen, nur, daß an Bord des Segelschiffs sich auch allerlei Besorgnisse kund gaben, die jene nicht kannten.

»Es ist ein Felucke,« sagte der Schiffsherr, »so gut wie der Blitz! Aber es befremdet mich, daß sie die englische Flagge trägt, während doch die Engländer diese Art von Schiffen nicht zu lieben pflegen, wogegen wir sie häufig an den italienischen und griechischen Küsten finden.«

»Sie kommt von Malta,« sagte mit Bestimmtheit eine Stimme.

» Carrajo! Sie können Recht haben, Major Grimaldi. Sie hält nach der Küste ab – englische Flagge hier an der Basilicata, wo, so viel ich gehört bei unserm Aufenthalt in Rom, unser Freund Cocca noch dem Herrn Victor Emanuel für den guten König Franz die Zähne oder vielmehr das Stilet zeigt. D'rauf also! Wir wollen jedenfalls sehen, woran wir sind, bevor ich Sie nach Ihrem Wunsch an die jonische Küste bringe! He, Mauro, rufe dem Maschinisten, doppelten Dampf zu geben, und lasse das Signal zum Praien wehen. Schade, daß mein Vetter Frederic jetzt wahrscheinlich bereits in La Valette auf Überfahrt wartet, er hätte sonst wieder gute Gelegenheit, den Hofmeister zu spielen und mir zu sagen, ich möchte mich nicht in Abenteuer stürzen, die mir nur Verlegenheiten bringen könnten.«

Die jungen Männer unter dem Sonnenzelt lachten. »Was wäre das Leben ohne solche Abenteuer? Ich dächte, der edle Lord hätte selbst genug an seinem Abenteuer, genannt Wera Wolchonski. Was denken Sie davon, Thérouvigne, ob ihn die spröde Dame vom Nordpol wirklich noch heiratet, oder etwa den eifersüchtigen Verdacht hegt, die kleine Chinesin sei seine Maitresse gewesen?«

»Gehen Sie zum Teufel, Marquis, mit Ihrer Fopperei,« sagte unwillig der Husar, »der Knabe, ihr Kind, ist von edlerem Blute als selbst ein Lauderdale in den Adern hat, und Boulbon hat sicher noch keine Ahnung davon, daß er den Seitenkanal der Bourbons in dieser Weise fortgeführt hat. Ich bin in der Tat neugierig, zu sehn, welche Augen er macht, wenn er hört, daß er Vater eines schlitzäugigen Langzopfs geworden! Wann brechen wir auf nach Paris, Juan? Nach der Meldung der letzten Nummer des »Konstitutionell«, den wir in Allessandria erhielten, bekommt der Kaiser im nächsten Monat Besuch von einem dieser Schneekönige aus dem Norden, von Stockholm oder Berlin – ich erinnere mich nicht sicher, von welchem!«

Der spanische Abenteurer lachte. »Dessen können Sie jedenfalls sicher sein, Kapitän, daß er für Sie keine Einladung nach Compiegne haben wird, sondern Marschall Randon Sie vor ein Kriegsgericht stellt und Sie im glücklichsten Fall auf die Festung schickt, was Sie, unter uns, für den tollen Streich, sich den Räubern der Wüste anzuschließen zur Verfolgung von Reisenden, die Sie im Grunde gar nichts angingen, wohl verdient haben.«

»Nicht toller im Grunde,« sagte der heißblütige Husarenoffizier ärgerlich, »als die Liebesaventüren eines gewissen Conde in Kairo! Lassen Sie's gut sein, ich bedauere nur, in Compiegne oder Paris nicht Zeuge Ihrer neuen Triumphe sein zu können, zu denen das Abenteuer mit einer ägyptischen Prinzessin nicht wenig beitragen wird. Aber ich glaube, das Fahrzeug, das wir jagen, hat beigelegt und wechselt die Flagge oder gibt ein Signal!«

» Caramba, Sie haben Recht – es sind die gelb und roten Streifen von Spanien. Wie kommt denn der Don in das jonische Meer? –«

Die Felucke hatte in der Tat beigelegt; an ihrem Steuer stand der Padrone, ein Mann in den einfachen Gewändern der Seeleute der italienischen und griechischen Küsten; drei ihm ähnliche Matrosen lungerten am Bord, während man doch früher von der Campagne der Jacht mit den guten Gläsern deutlich eine große Anzahl Männer in Uniformen oder wenigstens bewaffnet hatte erblicken können.

»Was wünscht Ihr, Signor?« fragte der Padrone, die Hände als Sprachrohr an den Mund legend. »Seid Ihr ein Engländer?«

»Und Ihr?« –

»Das ist die ›Golondrina‹ Schwalbe., kommt von Malta und will nach Korfu!«

Der Mann schien mit Absicht die Nationalität nicht zu erwähnen, aber es half ihm nichts. »Wie kommt Ihr dazu, die spanische Flagge zu führen?«

»Hab' das Recht dazu – glaubte einen Sarden in Euch, deshalb, um allen Plackereien zu entgehen, ließ ich zuerst die englischen Farben hissen!«

Die Schiffe fuhren so dicht aneinander, daß die Unterhaltung leicht war. »Wenn Ihr ein Landsmann seid,« sagte der Conde, rasch die Sprache wechselnd, »so sagt mir, wer die Männer sind, die bei Euch auf Deck waren? Ich bin der Graf von Lerida und kein Zollwächter! Also heraus mit der Sprache – wo sind die Männer, die wir noch soeben an Bord Eures Schiffes sahen?«

»Hier, Senor Conde!«

Die Tür der Kajüte, die im Heck der Felucke fast ihre Hälfte einnahm, hatte sich rasch geöffnet, und mehrere stattliche Männer waren herausgetreten, denen man unverkennbar die Soldaten ansah. »Wenn Sie in der Tat der Graf von Lerida sind,« sagte der Vorangehende, »so werden Sie einen Mann achten, der mit Ihrem Vater für dieselbe Sache focht und starb!«

»Starb?«

»Ja, Senor Conde, Ihr Vater, ich erinnere mich seiner wohl, fiel unter den Kugeln der Christinos. und ich auch!«

»Nur mit dem Unterschied, daß ich die Ehre habe. Sie lebendig vor mir zu sehen!«

»So ist es – haben Sie nie von Garcia Fuentes gehört, dem Major der Lanzas von Guipuzcoa, den man den Rosuscitada nannte?«

Der Conde riß ehrerbietig die Bortenmütze vom Kopf. »Wie, Senor – das wären Sie, und diese Herren sind Ihre Freunde?«

Der alte Offizier nickte bejahend. »Ich hoffe. Sie werden also dem ehrlichen Padrone nichts mehr in den Weg legen und ihn seinen Kurs fortsetzen lassen.«

»Nicht eher, Senor Mayor, als bis ich Sie und Ihre Freunde gesprochen habe.«

»Dann, Senor Conde, müssen Sie es mit unserem Anführer abmachen, – ich bin es nicht! – Kommen Sie, Senor Generale, wir brauchen diesen Herrn gegenüber uns nicht zu verbergen!«

Ein hoher stattlicher Mann war aus der Kajüte getreten; noch ehe er selbst das Wort nehmen konnte, hatte der Marquis von Saint Bris die Freunde zurückgedrängt: »General Borges!« Er kannte den Carlisten von Paris her.

»Einer unserer französischen Offiziere von Gaëta! Einer der Tapferen von San Agatha! Ich dachte Sie bei Se. Majestät oder längst in Frankreich! Verzeihen Sie, Senor, aber da der Zufall uns hier im jonischen Meer zusammen führt, sollten wir nicht scheiden, ohne uns wenigstens näher gesprochen zu haben. Also bestimmen Sie selbst, ob Sie uns die Ehre Ihres Besuchs schenken wollen?«

Es hatten sich um den General jetzt noch mehr der spanischen Offiziere geschart, es waren ihrer mit dem General dreiundzwanzig, und nach kurzem gegenseitigen Höflichkeitsaustausch folgten sie sämtlich der Einladung des Grafen, an Bord der Jacht für ein paar Stunden seine Gäste zu sein. Bei dem ruhigen Zustand der See war es möglich gewesen, die beiden Fahrzeuge so weit aneinander zu legen, daß eine Planke den Verkehr vom höhern Bord der Jacht vermitteln konnte, und beide Schiffe trieben ohne Anwendung der Segel und des Dampfes vereint der italienischen Küste zu.

Zu seiner Verwunderung fand der Graf, als er die Mitglieder seiner Gesellschaft vorstellen wollte, daß General Maldigri die Jacht verlassen hatte und an Bord der Felucke Hand in Hand mit ihrem Padrone saß, als wären sie alte Freunde, und bald darauf hatte sich auch Doktor Walding zu ihnen gesellt, und so blieb die Unterhaltung mit den Spaniern ihm und den beiden Franzosen überlassen. Der Gegenstand war aber in der Tat so ernster Natur, daß ihm wenig Muße blieb, sich mit dem Zusammentreffen des Joniers und des Padrone der Felucke zu beschäftigen. General Borges machte vielmehr kein Hehl daraus, daß das kleine und schnelle Fahrzeug von ihm nach Malta zu einer Expedition an die Küste der Basilicata gemietet worden sei, um auf Anstiften des entthronten Königspaars in Rom einen neuen Versuch zur Volkserhebung im Königreich zu machen. General Clary hatte den tapfern spanischen Offizier dazu veranlaßt und mit hundert Versprechungen ihn zu dem kühnen Unternehmen beredet. Nach seiner Mitteilung war eine Verschwörung der Anhänger des Königs durch alle Provinzen vorbereitet und tausende alter Soldaten warteten nur auf die Erhebung eines namhaften Führers, um sich seiner Fahne anzuschließen. Der Tag des Ausbruchs einer neuen sizilianischen Vesper in Neapel war bereits festgesetzt, und Borges mit dem Oberbefehl über alle in den Bergen gebildeten Freischaren betraut, deren Zahl sich bei der fanatischen Grausamkeit Cialdinis und dem so rücksichtslosen Auftreten der Piemontesen gegen die Bevölkerung täglich mehrte. Der tapfere frühere Carlistenführer sollte Waffen, Munition und Unterstützung aller Art bei seiner Landung finden und im Vertrauen auf das königliche Versprechen hatte er das sichere Asyl in Malta verlassen und das kühne Unternehmen begonnen, dessen Opfer er werden sollte.

Vergeblich machten ihm Don Juan und der Marquis Vorstellungen dagegen, da sie von dem Treiben der bourbonischen Camarilla in Rom zur Genüge gesehen, um befürchten zu müssen, daß man bei dem feigen Neid der Hofschranzen, die ihre eigene Haut in Sicherheit hielten und nur fremde Kämpfer für das durch ihre Jämmerlichkeit verlorene Königtum in den Kampf sandten, auch die kühnen Spanier nur ins Verderben gelockt habe. Der tapfere Borges vertraute dem königlichen Wort und ließ sich nicht endmutigen. War doch in der Tat der Haß gegen die piemontesischen Eindringlinge unter dem Volk selbst noch immer im Steigen und trotz der Proklamation der neuen Statthalterschaft, die alle Kämpfer für das alte Königshaus nur für ehrlose Briganten erklärte und mit schimpflichem Tode bedrohte, so gewachsen, daß in der Tat damals eine gemeinsame energische Leitung der gesamten Kräfte die größte Aussicht auf Erfolg hatte. Aber freilich hätte eine solche Vereinigung auch aufrichtig sein und nicht durch eigenen Ehrgeiz und Hader verhindert werden müssen. So blieb denn dem Grafen und seinen Freunden nichts übrig, als banger Ahnungen voll von der begeisterten kleinen Schar sich unter besten Glückwünschen für ihre Erfolge zu verabschieden und sie schließlich an Bord ihrer Felucke zurück zu begleiten.

Hier hatte unterdessen ein eigentümliches Wiederfinden stattgehabt. Der Padrone, eine kräftige von Wind und Wetter gehärtete Erscheinung, war eben zu seiner Schanze zurückgekehrt, ohne sich weiter um den Besuch der Spanier an Bord der Jacht zu kümmern, als eine fremde Hand sich auf seinen Arm legte und eine bekannte Stimme alle Erinnerungen und Gefühle seines Herzens erbeben machte.

»Wenn Danilos Petrowitsch in diesen Meeren seinen Namen und alten Ruf vergessen lassen und sich aus dem Gedächtnis des britischen Leoparden halten wollte, dann hätte er sein Schiff nicht wieder die »Schwalbe« nennen sollen!«

Der Padrone wandte sich hastig um: ein Mann, offenbar zu dem fremden Schiff gehörig, stand neben ihm, das Gesicht mit seinem Tuche verhüllt und absichtlich von ihm abgewandt.

»Wer Ihr auch seid, Signor, die Stimme ist mir lieb und bekannt, aber leider die eines Toten! Heilige Panagia! – Markos – Markos Grimaldi

»Still, es ist nicht gut. Deinen oder meinen Namen hier zu laut zu nennen! Jahre sind zwar vergangen, aber das Echo vom Ganges könnte ihn allzuleicht wachrufen! Der Himmel segne den Augenblick, der mich Dich wiederfinden läßt. Dich, den ich auch unter den Toten glaubte, wie Du mich!«

Der wilde Schmuggler hatte leidenschaftlich seine Hände gefaßt und küßte sie wiederholt. »Stehen denn die Toten alle aus ihren Gräbern auf? O, wenn Du wüßtest, Markos, daß auch er – er – der furchtbare, entsetzliche …«

»Nochmals – vorsichtig! Ich weiß, wen Du meinst, und habe von ihm gehört. Er existiert nicht mehr für uns, aber dort an Bord der Jacht ist ein anderer, dessen Du Dich gleichfalls erinnern wirst aus jener Schreckenszeit – Doktor Clifford, der Arzt des Bahudur!«

»Ich erinnere mich seines Namens und – seiner Person. Er war es, der bei der Befreiung des Prinzen von Audh half und den ich mit Dir von Bithoor brachte zum Lager des Tigers in Cawnpoor!«

»Er ist mit auf jenem Schiff. Doch, komm hierher, Milchbruder, und erzähle mir, wie Du zu den Spaniern kommst, die dadrüben mit dem Grafen von Lerida tafeln. Wir werden hier unbelauscht sein auf dieser Bank am Steuer, während das Schiff mit dem Dampfer treibt. Das Letzte, was ich von Dir hörte, war der Gruß, den mir Major Delafosse brachte, nachdem Du ihm zu der Flucht von der Praua geholfen und ihn meinem Zuge nach Jhansi nachgesandt hattest. Er ist damals glücklich zu seinen Freunden entkommen, ich habe vor wenigen Monaten bei einem andern unserer damaligen Feinde von ihm gehört. Major Delafosse ist als ein tapferer Soldat bei der Entsetzung von Lucknow gefallen.«

Der Uskoke hielt noch immer die Hand des Freundes und Milchbruders. »Was soll ich Dir von mir erzählen! Nach dem Fall von Delhi und Lucknow war der Sieg der Engländer gewiß. Ich verbrannte mit Baber Dutt die Praua und, nachdem ich gehört hatte, daß der letzte Halt unseres Kampfes mit Jhansi gefallen und Du unter seinen Trümmern mit der Rani den Tod gefunden hättest, gelang es mir mit dem Pfand, das Baber Dutt mir anvertraut hatte, als wir uns trennten, den Indus und das Meer zu erreichen, wo ich mein altes Handwerk trieb, bis die Sehnsucht, die jeder Sohn der schwarzen Berge fühlt, mich wieder zurücktrieb an die Küsten der Adria und des Epirus, bis – …«

»Warum stockst Du in Deiner Erzählung? Welches ist das Pfand, das Baber Dutt Dir übergab?«

»Du bist ein Sohn dieser Küsten wie ich, und ich weiß, daß gleiche Sehnsucht wie mich auch Dich hierher zurückgeführt hat; denn niemals können wir lassen von der Heimat, die der Fremdling geknechtet hat, sei es der Moslem oder der stolze Engländer. Im Golf von Patras und nahe unserer Heimat, steht auf einem Eiland, unfern der Mündung des Aspropotamos am Ende felsiger und sicherer Bucht ein Haus, zu dem die »Schwalbe« ihr Steuer wenden wird, wenn sie die Fahrt mit diesen Spaniern vollendet hat, und das jetzt die Heimat Danilos des Uskoken ist, wie es hoffentlich die Deine sein wird, wenn Du Griechenland frei sehen willst. Eine Tochter unseres Volkes schaukelt bereits einen Knaben, der Deinen Namen trägt, auf ihrem Schoß, und der Unglückliche, den ein falscher Freund zum Krüppel gemacht, wiegt den Sohn des freien Uskoken auf den Stumpfen seiner Arme.«

Der tapfere Grieche schauderte: »Mann, von wem sprichst Du?«

»Von dem Ärmsten von allen, dem Schwager des Nena, dem Irländer O'Sullivan!«

»Heilige Panagia! Und dieser ist bei Dir?«

»Ist Danilos nicht ein Tapferer, der treu an seinem Eide hängt? Er war mit uns auf der Praua, als der Nena so furchtbares Gericht hielt über die Faringi, und ist es geblieben bis auch Baber Dutt floh. Wem sollte er den Mann anvertrauen, der keine Sprache mehr hat und keine Hand, gegen einen Feind sich zu wehren? Da vertraute er ihn mir und das Gold und Geschmeide, das ihm Schutz schaffen konnte ein Leben lang, denn der Unglückliche ist noch jung an Jahren, und der nächste falsche Freund würde ihn um sein Gold gebracht haben. Ich leistete einen Eid auf das Doppelkreuz und habe ihn gehalten. Wie eine Amme über ihrem Kinde, habe ich über ihn gewacht und unter hundert Gefahren ihn geschützt.«

»Wackerer Danilos, ich weiß am besten, was Dein Eid bedeutet. Die Tat ist eines Helden würdig und eines Samariters. Ich bin reich genug, um Dir helfen zu können für den Unterhalt des Ärmsten!«

»Nein, der Dienst hat sich selbst gelohnt; denn oft genug war das Mitleid, das sein Zustand erregte, der beste Schutz für uns beide, und das Gold, das Baber Dutt mir anvertraute, hat seinen Segen getragen und macht mich zum reichen Mann. Schiff und Haus sind mein freies Eigentum, und wir könnten glücklich sein, wenn der Guls uns fern bliebe!«

»Der Guls?«

»Die Moslems nennen ihn so – Du weißt was ich meine: den Buthrolakka, den Vampyr!«

»Du bist weit genug umhergekommen in der Welt, um das Märchen und den Aberglauben der Unwissenden zu verachten.«

Der ehemalige Schmuggler und Pirat sah den Milchbruder traurig an. »Willst Du den alten Glauben der Völker unseres Stammes verhöhnen? Seit meine Augen den Nena wieder gesehn, weiß ich, daß er ein Gul ist, der nicht sterben kann und immer ein Opfer sucht, bis es gelungen ist, ihn zu bannen, was nur einem reinen Herzen möglich ist.«

Dem tapferen Condottiere war bei den letzten Worten des Uskoken unwillkürlich der abessynische Knabe mit dem engelgleichen Antlitz und Herzen eingefallen, den sie in Kairo einem unbekannten Märtyrertum überlassen mußten, aber er kannte zur Genüge den tiefen Aberglauben des Volkes, um auch nur den Versuch zu machen, ihn bei dem Milchbruder auszurotten. Überkam ihn doch selbst die Erinnerung an den Furchtbaren zu gewaltig, als er hier die Behauptung des deutschen Arztes und der jungen Chinesin wieder bestätigt hörte.«

»Wo willst Du den Nena gesehen haben?«

»Vor drei Monaten in Brindisi, als der Dampfer von Ägypten landete; ich kannte ihn wohl trotz aller Entstellung, aber ich hütete mich zu ihm zu reden, und ich werde auch dem Stummen nichts von ihm sagen, wenn ich heimkehre. Wozu sollte es nützen, die bösen Erinnerungen aufzunehmen? Ist das der Freund, der Hakim, der dort den Bord des Dampfers verläßt?«

»Er ist es; und es kommt auf Dich an, ob er unser Geheimnis erfahren soll?«

»Warum nicht? Er ist ein getreuer Mann und war ein Feind der Engländer so gut wie wir! Warum sollte er sich nicht freuen, daß auch ich jenem Meer von Blut entronnen bin.«

Der Grieche erhob sich und winkte den Arzt heran.

Auf die Gallerie der Jacht waren der Schiffsherr und zwei der Spanier getreten; es waren der General und der alte Offizier aus den ersten Karlistenkämpfen.

»Euer Exzellenz wollen sich also unter keiner Bedingung abhalten lassen von Ihrem Unternehmen?« sagte der Graf.

»Nein, Senor Conde, es ist beschlossen und ich ließ Seiner Majestät mein Wort verpfänden. Ich weiß, daß Major Langlais mich bereits erwartet und sich mit dem Haufen des Donatello und Coppa in Verbindung gesetzt hat. Der Aufstand in Neapel …«

»Ich wünsche, daß Sie bei Ihrer Landung von dessen Erfolg vernehmen, habe aber wenig Vertrauen darauf!«

»Nun, Senor Conde, soviel ich gehört, waren Sie selbst Soldat und wissen als solcher, daß eine Kugel das Los ist, dem der Soldat jeden Augenblick entgegensehen muß.«

»Und daß nicht alle Kugeln, selbst die, welche treffen, den Tod bringen, sehen Sie am besten an mir und selbst an Seiner Exzellenz. Ich bin nicht weniger als zwanzig Mal verwundet worden und fühle mich doch noch rüstig genug, mit dem Segen des heiligen Vaters und zu Ehren des legitimen Königtums einen Kampf gegen diesen Schlächter Cialdini zu wagen. Es freut mich, Senor Conde, daß, nach Ihrer Begrüßung zu schließen, meine Landsleute diesseits der Pyrenäen mich nicht vergessen haben. Wer erzählte Ihnen von meinem Abenteuer?«

»Ich dächte, es wäre merkwürdig genug, um im Gedächtnis Ihrer Landsleute erhalten zu bleiben. Soviel ich weiß, kennt die spanische Geschichte nur ein ähnliches Beispiel aus den letzten fünfzig Jahren.«

»Caramba! Das müssen Sie mir erzählen, ich kenne es nicht!«

»Es geschah während der Schlacht von Vittoria und betraf den kühnen Guerilla Guiposca de Condeiga. Die französischen Dragoner hatten ihn auf der Plazza am Ufer des Ebro vor das Gitter gestellt, und mit einer Salve die Exekution an ihm vollstreckt. Dem anscheinend im Todeskampf sich am Boden windenden blutenden Körper wollte eben der Sergeant des Kommandos den mitleidigen Todesstoß geben, als der Guerilla, der mit dem linken Arm die seiner Brust bestimmten Kugeln empfangen, emporsprang, seinen Feind mit dem Stoß des verborgen gehaltenen Navaja tot niederstreckte und mit dem gesunden Arm in Gegenwart vieler Hunderter sich über die Brüstung in den Strom schwang und trotz aller nachgesandten Kugeln im Schilf des Ufers glücklich entkam.«

»Carajo! Grade wie ich in den Gebüschen, nur daß die sechszig Kameraden, die mit mir gefangen und von den Christinos in Reih und Glied vor ihr Pelotonfeuer gestellt waren, tot und sterbend am Boden lagen, während ich nur von einer Kugel am Kopf gestreift war, mit Blut bedeckt emporsprang, durch die Reihe der Entsetzten brach und davonrannte, bis ich das rettende Gebüsch gewann. Daß ich mich unterwegs nicht aufhielt, können Sie wohl denken. Es geschah ein Jahr, bevor der Graf, Ihr Vater, von den Christinos füsiliert wurde, wie es später hieß, auf den besonderen Befehl des Marschalls Narvaez.«

Der Conde reichte dem alten Kavalleriemajor die Hand. »Seltsam, es war gerade jener Offizier, der an meinem Vater das Urteil vollziehen mußte, der mir vor einigen Monaten auf einer Überfahrt nach Rom von Ihrer Rettung erzählte, nachdem ich ihn selbst aus einem spanischen Kerker befreit und vor dem Bagno gerettet hatte. Das menschliche Schicksal spielt sonderbar.«

»So ist es, Senor; wie hieß der Offizier?«

»Don Diaz Cavalho, aus der alten Familie der Guzman!«

»Doch nicht der Vetter und Amoroso der schönen Abenteurerin, die jetzt auf dem Throne Frankreichs sitzt?«

»Der Kaiserin Eugenie? Ich erinnere mich: sie stammt gleichfalls aus der Familie der Guzman.«

»Und ihre Mutter war schlau genug, ehe sie mit ihr nach London und Paris auf Abenteuer zog, ihr das reiche Erbe ihres Verwandten zu sichern – wie man damals wissen wollte, sogar durch eine heimliche Heirat mit dem dreizehnjährigen Mädchen, was freilich wohl eine böswillige Erfindung sein muß, da Bigamie eine Sache ist, die nur den mohamedanischen Untertanen Frankreichs und Spaniens erlaubt ist!«

Der Conde war nachdenkend geworden. »Sie haben Recht, Senor Mayor, obschon ich nicht zweifle, daß Ihre Majestät der alten Bewerber um ihre Liebe genug gehabt hat. Der Don Rosario, der meinem Erzeuger vom Leben half, ist vielleicht vierzig Jahre –«

»Das dürfte stimmen. Diaz Cavalho, so hieß er, ja wohl in der Armee, muß ungefähr 1820 geboren sein –«

»Und die Kaiserin Eugenie 1826,« fiel hastig der Conde ein.

»Mag sein! Es fiel mir nur zufällig bei Ihrer Erwähnung ein. Und nun, Senor Conde, welchen Kurs schlagen Sie ein, nachdem Ihre Neugier über unsere Expedition befriedigt ist? Es ist schade, daß wir einen Mann wie Sie nicht zu den Unseren zählen dürfen!«

»Wichtige Interessen hindern mich in diesem Augenblick. Meine Wünsche sind mit Ihnen. Wir setzen unsern Kurs fort nach dem Golf von Genua! Noch einmal – mögen Sie nicht getäuscht werden in Ihren Erwartungen! Rechnen Sie nicht auf Rom!«

Das war der Scheidegruß an seine tapferen Landsleute. Fast ohne Bedauern hörte er, was ihm Kapitän Grimaldi verkündete, daß er sie bis zur Ausschiffung begleiten und dann mit dem Padrone die Fahrt an die griechischen Küsten fortzusetzen beabsichtige.

Die letzten zufälligen Bemerkungen des Major Garcia hatten seiner lebhaften Fantasie und Kombination vieles zu denken gegeben. Jedenfalls ließ ein Aufenthalt in Roccabruna ihm die Gelegenheit, nach allen Seiten hin seine eigenen Launen zu verfolgen.

Also »Auf nach Neapel!« – – – – – –


Die Geschichte der tapferen Spanier schloß erst nach Monden! Die Warnung derer, die in Rom gewesen und die Intriguen hatten kennen lernen, die von einem verächtlichen feigen Schranzentum um den jungen König von Neapel und seine heldenmütige Königin gesponnen wurden und jeden energischen Kampf für die gefallene Monarchie hinderten, – sie zeigte bald ihre Berechtigung. Obschon der tapfere Spanier bei seiner Landung in der Basilicata diese Provinz in vollem Aufstand gegen die aufgedrungene piemontesische Herrschaft fand und die Truppe des Major Langlais ihm willig sich unterordnete, der Ehrgeiz der eingeborenen Bandenführer verweigerte entweder offen den Gehorsam auf die Befehle des entthronten Königs, oder wußte auch die aufopferndsten Mühen des neuen Oberbefehlshabers scheitern zu machen. Schon bei der Landung an den Küsten der Basilicata traf General Borges die Nachricht, daß der beabsichtigte Aufstand in Neapel wenige Tage vor dem Ausbruch durch Verrat von der neuen Regierung entdeckt und mit schonungsloser Strenge unterdrückt worden war. Vergeblich waren seine Erwartungen auf die versprochene Unterstützung von Rom her. Trotz allen Drängens der Königin blieben die verheißenen Sendungen an Waffen, Munition und Geld aus; der schwache Franz war zu einem energischen Ausrichten nicht zu bewegen und Woche auf Woche verfloß, ohne daß den tapferen Spaniern von dieser Seite her Beistand wurde. Weder Waffen noch Geld trafen ein, und vergebens versuchte der General die einzelnen Banden zu einer Vereinigung gegen die von allen Seiten heranrückenden Piemontesen zu bringen. Kleinlicher Ehrgeiz und Mißtrauen bei den Führern, die bereits mehr zum beliebten Banditentum der Camorra als einem offenen ehrlichen Krieg sich neigten, hinderte jeden seiner Pläne. Als die Langlaissche Truppe, durch Gefechte und Mangel dezimiert, ihrer vollständigen Auflösung nahe war, entschloß sich Borges, sich mit seinen Spaniern zur Truppe des Coppa Donatella zu begeben; aber, auch hier mit Mißtrauen und der Verweigerung jedes Gehorsams empfangen und fast als Gefangener behandelt, entschied er sich endlich, nach Rom zu gehen, und brach in den ersten Dezembertagen zu Pferde mit 22 Offizieren und zwei Führern aus der treu gebliebenen Landbevölkerung nach der römischen Grenze auf. Unsäglich sind die Mühen und Gefahren, mit denen die kleine aber todesmutige Schar durch die drei von zahlreichen Feinden wimmelnden Provinzen bis zu dem nahe der römischen Grenze liegenden Städtchen Tagliacozzo in der Nähe von Arvezzano und dem Fuciner See gelangte. Der General umging es und machte bei einem einsam gelegenen Gehöfte Halt, obgleich die rettende Grenze kaum noch eine halbe Meile entfernt war, aber Männer und Pferde waren totmüde und nicht mehr von der Stelle zu bringen.

Es war bereits Nacht, kein Feind zu sehen, und die Spanier begaben sich in dem Hause zur Ruhe, nachdem sie darum gelost, wer von ihnen unter der Türe auf Posten bleiben und den Schlaf der anderen bewachen sollte.

Das Los war auf einen der Jüngsten gefallen.

Aber das Verhängnis war bereits auf ihren Fersen!

Es ist unbekannt geblieben, auf welche Weise der piemontesische Kommandant des etwa 7 deutsche Meilen oder 28 Miglien von Soria entlegenen, von den Piemontesen besetzten Tagliacozzo die Anwesenheit der Truppe des General Borges in den Gebirgen der Gegend, dem spätern Schauplatz Chiavones, erfahren hatte – bereits seit zwei Tagen wußte man in Rom von seinem Zuge und kannte den Weg, den er einschlagen wollte. Major Franchini war seiner Pflicht gemäß sofort mit einem starken Detachement Bersaglieri zur Verfolgung der Spanier aufgebrochen und hatte seine Späher in der Nähe an der Grenze verteilt. Es war etwa zwei Stunden nach Mitternacht, als die Vedetten der Bersaglieri einen Mann in städtischer Tracht, aber in einen warmen Mantel von Schaffell gehüllt, wie ihn die Gebirgsbewohner von Subiaco tragen, antrafen, der den Kommandanten des Detachements zu sprechen verlangte. Zu ihm geführt, schien er eine wichtige Nachricht zu bringen, denn Major Franchini ließ sofort seine Leute zusammentreten, beorderte einen seiner Offiziere mit 25 Mann den Fremden zu begleiten und gab ihm seine Instruktionen, mit dem größeren Teil des Detachements in einiger Entfernung folgend. Es war bereits im Morgengrauen, als der verräterische Führer stehen blieb und, auf ein Gehöft deutend, sich mit dem leisen Ruf begnügte: » Là!«

Der Offizier zeigte ihm, während er das ganze Gehöft umzingeln ließ, den Revolver und befahl ihm, voranzugehen, um zu sehen, ob und wo eine Wache ausgestellt sei. Der Verräter gehorchte, aber gleich darauf winkte er mit beiden Armen, eilig heran zu kommen, und deutete auf einen jungen Offizier, der quer über der offenen Torschwelle lag, der Griff des Säbels war seiner Hand entfallen. »Er schläft!«

Die schwere Erschöpfung hatte ihn in der Tat überwältigt – auch im Innern des Hauses zeigte kein Laut, daß die Gefahr bereits bemerkt worden sei.

»Mit dem Bajonett! – Avanti!«

Ein Sergeant der Bersaglieri durchstieß die Brust des Schlafenden, über den Sterbenden hinweg, ohne Schuß, nur auf die blanke Waffe und ihre Übermacht sich verlassend, stürmten die piemontesischen Soldaten durch den Hof und sprangen die Stufen des Hauses hinan.

Aber was er im Leben versäumt, tat der junge Spanier wenigstens noch im Todeskampf. » Los armas! – adversarios!« rief er; es war sein letzter Laut, aber die schrille Stimme hatte genügt, die Schlafenden zu wecken, und die über den Toten in das Haus Eindringenden wurden mit Dolchstößen und Pistolenschüssen empfangen und nach kurzem Kampf wieder ins Freie getrieben.

Vielleicht wäre es der kleinen Schar der Tapferen gelungen, ehe Major Franchini mit dem größeren Teil des Detachements herankam, ihrerseits das Freie zu gewinnen und einzeln zu flüchten, aber es wurden einige Minuten in der Erwartung des Befehls ihres tapfern Führers zur Verteidigung des Hauses verloren, und als sie dann an Türen und Fenster stürzten, diese gegen die herankommenden Piemontesen zu verteidigen, erscholl plötzlich der Schreckensruf: » Incendio!«, und ein dicker Rauch verbreitete sich blitzschnell in dem Gebäude.

Wie später die Bersaglieri erzählten, mußte es dem fremden Verräter gelungen gewesen sein, während die schlafende Schildwache niedergestoßen wurde, Feuer an zwei Stellen anzulegen, wo die Flamme an dem trockenen Holz und einigen ländlichen Vorräten rasche Nahrung fand. Der Unbekannte selbst war seit dieser Tat verschwunden gewesen. Das Binsendach stand bereits in Glut, als der Ruf des Generals seine Getreuen zurück und in das Innere des Hauses rief. Es konnte kein Überlegen mehr sein, was hier zu tun, und wenige Worte genügten also zu dem allgemeinen Entschluß, sich lieber den Kugeln und Bajonetten des zehnfach überlegenen Feindes entgegen zu werfen und so einen ehrlichen Soldatentot zu suchen und zu finden, als in dem rasch emporlodernden Feuer zu ersticken und zu verbrennen.

»Vorwärts, Kameraden!«

Den Dolch zwischen den Zähnen, die Pistole in jeder Hand drängte die kleine todesmutige Schar aus dem Eingang ins Freie, bereit, sich auf die Bersaglieri zu stürzen, die sich in weitere Entfernung zurückgezogen hatten und sie mit der Büchse an der Wange erwarteten. Aber zu ihrem Erstaunen erfolgte die Salve nicht, der Major der Piemontesen stand vielmehr vor den Seinen und wehte mit dem Tuch.

»General Borges! – Wo ist der General! Ich wünsche mit ihm zu unterhandeln!«

Der tapfere Spanier sprang vor das Häuflein der Seinen – die Hoffnung schwebte ihm vor, sie noch retten zu können.

»Hier!«

Der Major kam ihm entgegen. »Sie müssen die Waffen strecken, General,« sagte er. »Es wäre ein Wahnsinn und tapferer Männer unwürdig, auch nur den Versuch zu machen, meine Leute zu durchbrechen. Überzeugen Sie sich selbst. Sie sind auf allen Seiten umzingelt, und unsere Übermacht ist zu groß, als daß es Ihnen gelingen könnte. Ich verspreche Ihnen und alten Ihren Begleitern ehrliche Kriegsgefangenschaft!«

Der General sah ihn fest an. »Ihr Wort darauf?«

»Das Wort eines Soldaten!«

»Ihr habt es alle gehört, Kameraden! Unter dieser Bedingung, Signor Mayor, ergeben wir uns!«

Er warf Dolch und Pistolen auf den Boden, die anderen folgten seinem Beispiel ohne Murren und umgaben ihn stumm und finster. Nur der alte Major Garcia sagte: »Bei der Madonna, ich hätte es lieber auf den Kampf ankommen lassen!« Auf den Wink des piemontesischen Majors war der kleine Haufen der kühnen Männer rasch umzingelt worden und von dem brennenden Hause abgeschnitten. Nur die beiden abruzzesischen Führer, welche die seitherigen Erfahrungen gelehrt, sich lieber der Gnade der Flammen, als der ihrer Feinde anzuvertrauen, waren in dem Hause zurückgeblieben und verbrannten darin mit den beiden bereits im Kampfe gefallenen Offizieren.

Nachdem das Haus zusammengestürzt war, wurde der Rest der mutigen Kämpfer für das bourbonische Königtum nach Tagliacozzo eskortiert, wohin Major Franchini bereits vorangeeilt war, um die Gefangennahme der Spanier sofort nach Neapel zu telegraphieren, und wo sie die ganze Bevölkerung bereits am Tor erwartete und nach dem rasch zum Militär-Gefängnis eingerichteten Zollhause begleitete.

Die gefangenen Spanier saßen ohne Bande in dem ihnen angewiesenen Raum, mit einander und den sie zahlreich besuchenden Offizieren und Eingeborenen sich unterhaltend, denn keiner von ihnen, am wenigsten wohl der General selbst, dachte daran, daß das Wort des Kommandanten gebrochen werden könne, obschon ihnen Major Franchini mitgeteilt hatte, daß er ihrethalben habe an den Generalgouverneur nach Neapel telegraphieren und weitere Befehle verlangen müssen. Nur der Major Garcia saß finster und ahnungsvoll.

Die empörenden Grausamkeiten, mit denen Cialdini jede Äußerung der Anhänglichkeit gegen die gestürzte Königsfamilie zu unterdrücken gesucht hatte, waren schließlich Ursache diplomatischer Vorstellungen in Turin geworden und hatten seine Ersetzung in der Statthalterschaft zu Neapel durch den General Lamarmora zur Folge gehabt. Aber der neue Generalgouverneur dachte ebenso wie sein Vorgänger, und eine seiner ersten Handlungen war jene die Ehre der sonst so tapfern piemontesischen Armee befleckende Antwort auf die Anzeige von der Gefangennehmung der Spanier.

Es war kurz nach mittag, als die Antwort des General-Gouverneurs von Neapel eintraf und Major Franchini mit verlegenem Gesicht in dem Gefängnis der Spanier erschien und General Borges in ein besonderes Zimmer rufen ließ. Zugleich bemerkten die Gefangenen, daß alle Posten auf dem Platz und in der Nähe des Hauses verstärkt wurden.

Der General des Königs Franz betrat das Gemach, in dem ihn der Stationskommandant mit zwei anderen Offizieren erwartete.

»Exzellenz,« sagte der Major, »die Entscheidung des General-Gouverneurs, der ich zu meinem Bedauern zu gehorchen habe, ist soeben eingetroffen.«

»Wohin sollen wir also nach der geschlossenen Kapitulation gebracht werden?« fragte Borges. »Ich hoffe, man wird uns mit den Galeeren verschonen.«

Schweigend überreichte ihm der Major die telegraphische Depesche. Dieselbe lautete kurz, die Gefangenen als Briganten zu behandeln und

 

» di fucilargli tutti immantenente!« (sie alle unverzüglich zu erschießen.)

Lamarmora.

 

Der General sah den verlegen zu Boden starrenden Stationskommandanten starr an.

»Das wäre ebenso grausam wie ungerecht. Wir haben Ihr Wort auf ehrliche Kriegsgefangenschaft!«

Der Major zuckte die Achseln.

»Wie, Signor, Sie würden diesen Befehl wirklich vollziehen lassen?« Wieder das Achselzucken – der Major blickte wie hilfesuchend auf den zweiten Offizier. Es war dies ein alter Kapitän der Bersaglieri, ein finstrer barscher Mensch, der vom Unteroffizier im Krimkriege und im italienischen Feldzug auf gedient hatte und, von Cialdini protegiert, zu einer Charge befördert worden war, zu der sonst nur Männer von Erziehung erhoben zu werden pflegen.

»Aber das wäre eine ehrlose Handlung, Bruch Ihres Soldatenworts und gegen die ausdrückliche Bedingung unserer Waffenstreckung! Wir verlangen ein Kriegsgericht!«

»Der Generalbefehl lautet,« sagte der Kapitän barsch, »alle Empörer als ehrlose Briganten zu behandeln. Wer hieß Sie in dieses Land kommen? Sie sind nicht Offiziere, sondern Einbrecher und haben auf Kriegsrecht keinen Anspruch!«

»Und Sie? Sind Sie nicht vielmehr selbst in dies Land eines Königs, dem wir den Fahneneid geleistet, ohne ehrliche Kriegserklärung eingebrochen mit Verrat und Gewalt?«

»Machen Sie das mit General Lamarmora ab – in einer andern Welt,« sagte fast höhnisch der Kapitän. »Wir kennen als Soldaten nur den Befehl unserer Oberen. Was sind da für Umstände zu machen – mit Briganten! – Die Exekution wird an solchen vollstreckt wie sich's gebührt, ob General oder Bauer!«

Der Spanier hatte noch immer die Depesche in der Hand. Jetzt knüllte er das Papier zusammen und schleuderte es dem Major in das Gesicht. »Morden Sie uns, wenn Sie es wagen! Ganz Europa und jeder ehrliche Soldat wird richten über Sie! – Unsere Pflicht ist es, für den König zu sterben, dem wir geschworen.«

»So halten Sie sich in zwei Stunden bereit,« sagte barsch der Kapitän, »so viel Zeit braucht es für eine Grube. Der Befehl sagt: immantenente! Sollen wir Ihnen einen oder zwei Ihrer Pfaffen schicken, obschon Sie diese Rücksicht kaum verdienen?«

Der General sah ihn mit Verachtung an und begnügte sich zu dem höheren Offizier zu sagen: »Wir sind katholische Christen und wünschen als solche zu sterben!« Dann verließ er, ohne sich zu einer weiteren Anrufung zu erniedrigen, das Zimmer und ließ sich zu dem seiner Gefährten zurückführen. »Kameraden, ich hoffe, es ist keiner unter uns, der nicht zu sterben weiß für den König, gleichviel ob im Kampf oder auf dem Sandhaufen! Man weigert sich, das uns gegebene Wort zu halten, das neue Italien will uns wie Räuber morden! Könnt Ihr Eurem alten Führer vergeben, daß er Euch hinderte am ehrlichen Kampf?«

Die Aufregung über die grausame Entscheidung war natürlich furchtbar, alle umringten den General, aber es war nicht einer unter den Tapferen, der ihm nicht die Hand drückte, oder der ihm einen Vorwurf machte, sie zu dem Unternehmen geworben und zur Ergebung veranlaßt zu haben.

»Die Schmach falle auf sie! Laßt uns als Männer sterben!«

»Bah,« sagte philosophisch der alte Major, »dieser tolle Conde und seine Freunde hatten Recht, und die Kugel auf dem Sandhaufen, der ich vor fünfundzwanzig Jahren entging, findet mich dennoch! Hat einer wohl Papieros? Denn diese Zigarren von der italienischen Regie sind so schlecht wie ihr Wort!« – –

Noch größer war die Aufregung unter der Bevölkerung des Ortes selbst, als die furchtbare Entscheidung bekannt wurde. Heulend und wehklagend umringten Frauen und Kinder das Gefängnis der Verurteilten, die Männer knirschten mit den Zähnen und stießen Flüche und Drohungen aus, sodaß es sicher nur eines Aufrufs der Gefangenen bedurft hätte, um eine Erhebung der ganzen Bevölkerung zu ihrer Befreiung zu veranlassen, obschon Major Franchini sofort die ganze Garnison mit scharfen Patronen unter Waffen treten und alle Ausgänge der Stadt hatte besetzen lassen, auch auf das Eiligste nach Soria um Verstärkung telegraphierte.

Aber die spanischen Offiziere erhoben jenen Anruf an die Bevölkerung nicht. Sie wollten nicht schuldloses Bürgerblut vergießen und beschlossen, als Märtyrer ihrer Sache zu sterben, und die Schmach auf Jenen zurückzulassen, welche die Treue für das rechtmäßige Königtum als Verbrechen behandelt, und auf den Mann, dessen eitler Ehrgeiz sich wenige Jahre später mit politischem Wortbruch gegen den nordischen Verbündeten des geeinigten Italien selbst brandmarkte, auf La Marmora, der keinen Augenblick gezögert hatte, die Ehre seiner Offiziere mit Füßen zu treten, und der außerdem seine Unfähigkeit in jeder Hinsicht glänzend bewiesen hat.

Die Geschichte des ersten Napoleon bietet kaum in der Hinrichtung der Schillschen Offiziere ein ähnliches Beispiel von Haß und Tyrannei, wie der Mord der spanischen Offiziere zu Tagliacozzo es bietet.

Wie ganz anders hätte die ganze Presse von Europa ihr Märtyrertum gefeiert, wenn sie als Kämpfer der Revolution, als garibaldische Helden des Aufruhrs den Todesweg gegangen wären! Welcher Schrei der Entrüstung wäre durch ganz Frankreich und England vom Thron bis zum Gassenkehrer gegangen, wenn der Zar des unzivilisierten Rußland, der souveräne Selbstherrscher, gewagt hätte, auch nur ein halbes Dutzend der französischen und englischen »Briganten« hängen zu lassen, die den polnischen Hängegendarmen unter der Losung der »Freiheit« heimlich zum Beistand eilten! Welchen Schrei der Entrüstung hätte zehn Jahre später dieselbe demokratische Presse ausgestoßen, die jetzt die Tat des spätern Ministerpräsidenten von Italien als einen Akt der Gerechtigkeit und Notwehr proklamierte, wenn der von französischem Übermut zum Kriege gegen Frankreich gedrängte König von Preußen die italienischen Spitzbuben des Flibustiers Garibaldi hätte füsilieren lassen, statt sie als berechtigte Soldaten zu behandeln!

Zwei Stunden, nachdem ihnen der schuftige Befehl des »großen« aber niemals siegenden Generals La Marmora verkündigt worden, war die große Grube fertig, welche die spanischen Märtyrer gemeinsam aufnehmen sollte, und sie traten unter den Bajonetten der Bersaglieri des Ré-gentiluomo, begleitet von den drei Priestern, die ihre letzte Beichte empfangen und ihnen das Sakrament gereicht hatten, den Weg zu dem improvisierten Richtplatz an. Rechts und links lag die Bevölkerung auf den Knieen, und betete für ihre Seelen. Der piemontesische Platzkommandant Major Franchini hatte wenigstens so viel Gewissen, daß er einem seiner Offiziere das Kommando über die zur Exekution bestimmten dreiundsechzig Mann übertrug.

In drei Sektionen, jede von sieben der Verurteilten, gingen die Spanier zum Richtplatz mit einem Blick tiefer Verachtung für den Kommandanten und seine Offiziere.

»Wo sollen wir stehn?«

»Hier – an der Grube! – Wie Briganten, die ehrlosen Tod verdienen! So lautet der Befehl, von rückwärts füsiliert!«

Die Spanier umarmten einander, die Profosse traten hervor und banden ihnen trotz ihres Protestes die Hände auf dem Rücken zusammen.

» Avanti! – Wir haben nicht Zeit, hier länger zu stehn! – Die erste Sektion vor!«

Der spanische General, um seinen Getreuen ein Beispiel zu geben, gab ihnen ein Zeichen mit dem Kopf und ging an den von den Profossen bezeichneten Platz: in kurzer Entfernung neben ihnen rechts und links stellten sich die beiden andern Abteilungen, so eine lange Reihe bildend, den Piemontesen gegenüber, deren König vor kurzem ihre Heimat an den Franzosenkaiser verschachert hatte, ihnen den Rücken zukehrend.

Ihnen gegenüber im Rücken stellten sich die kommandierten Mörder in drei Gliedern – für jeden Mann drei Kugeln. Wir haben acht Jahre später gehört, daß gar manchem im Unwillen ehrlicher Scham und im Mitleid für die tapferen Männer Tränen über die Wange rannen.

In dem Augenblick, in dem die Verurteilten die Stelle ihres Todes betraten, begannen die Kirchenglocken von Tagliacozzo ihr schauerliches Grabgeläut; mit einer zornigen Verwünschung wandte sich der Kapitän der Bersaglieri gegen die Priester, die eben auf seinen Wink zurückgetreten waren, nachdem sie den Sterbenden noch ein Mal das Kruzifix zum Kuß gereicht. Diese Totenfeier war ja nicht befohlen! »Wer hat das gewagt? Sogleich zum Turm …«

Der älteste der Priester, ein silberhaariger Greis hielt dem Rohen das Kreuz entgegen. »Bist Du ein Christ, wie wir, und denkst Du nicht an Deine eigene letzte Stunde?«

Auch der Major winkte ihm zurück, und der Kapitän trat zur Seite.

Es waren, wie sich später ergab, zwei Frauen aus der Stadt gewesen, die den Küster zu diesem Grabgeläut gedungen hatten, das schwer und mächtig seine fernen Klänge daher sandte.

»Fertig zum Feuern! – Schlagt an!«

Der General blickte dankend zur Stadt hinüber und schlug seine Augen zum Himmel empor. » Viva el Re Francisco!«

»Feuer!«

Vierzig Schüsse knallten – die Getreuen stürzten neben- und übereinander und wälzten sich im Blute und im Todeskampf, eine entsetzensvolle Reihe. Nur der alte Karlisten-Major stand noch aufrecht – zwei Kugeln knallten hinterdrein, dann fiel auch er.

Als der Pulverdampf sich verzog, sahen die entsetzten Zuschauer die Leichen am Boden. Zwölf der Gefallenen waren auf der Stelle tot, den anderen, darunter dem General, mußten die herbeitretenden Sergeanten den Todesschuß geben, indem sie die Mündung der Gewehre ihnen hinter die Ohren setzten.

Dann, als die anwesenden Kompagnieärzte den Tod aller einundzwanzig konstatiert hatten, warf man die Leichen zusammen in die gemeinsame Grube und verscharrte diese.

Bis zum letzten Augenblick hatten die Glocken ihnen ihr Grablied gesungen. Die Zuschauer der furchtbaren Exekution waren ihr Haupt verhüllend, geflohen.

»Mögen alle Feinde des freien Italien also sterben! – Schultert's Gewehr! – Marsch!« – –

So starben General Borges und seine Offiziere. –

Ob ihre Schatten wohl am Sterbelager des großen Gründers des vereinten Italien gestanden haben? – Ob sie standen am Sterbelager des Bourbonen, der sie in den Tod locken ließ für sich, und mit seiner feigen Schranzenschar im sichern Quirinal saß zur Ehre Gottes und des Königthrons von Neapel, bis ein deutscher Condottiere, der Major Zimmermann, an dem Helden der Camarilla im Vatikan, dem gefeierten Banditen Thiavone, Gericht übte!? – –

Später schien man sich auch piemontesischerseits des an Borges und seinen Offizieren verübten Wortbruchs ein wenig zu schämen, die offiziellen Blätter des Régentiluomo mußten dem »unglücklichen Verblendeten« einige bedauernde Phrasen widmen und der tapfere »Held« La Marmora gestatten, daß die Leiche des Generals ausgegraben und nach Rom gebracht wurde, wo man sie in der Kirche Gesu im Beisein der im sichern Rom überwinternden Briganten einsegnete.

Aber kein englisches, kein französisches, kein deutsches Blatt hatte einen Ruf der Gerechtigkeit für den tapferen Spanier!


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