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(Fortsetzung.)
Lord Walpole war, wie erzählt, mit seinen Begleitern auf dem abenteuerlichen Zuge durch die nubische Wüste nach den Ufern des Nil begriffen, der ihn der Verfolgung durch die Reiter des Negus entziehen sollte, ohne daß dieser Zweck erreicht worden war I. Band S. 35., und befand sich mit ihnen auf dem Wege zu der geheimnisvollen Veste des gefürchteten Oberhauptes der Assassinen, Gengarab, als sie auf den Ruf des Dais Hassan die Schleier von ihren Gesichtern entfernen durften.
Das Bild, das sich ihnen von der Höhe des Plateaus aus bot, war in der Tat ein überraschendes.
Das Plateau lag in einer gewaltigen Höhe, und die Felsenwand, die es trug, fiel senkrecht zu einer schwindelnden Tiefe, sodaß die vordersten der Gesellschaft – und zu diesen gehörte die schöne Fürstin – unwillkürlich zwei Schritte von dem gefährlichen Abstieg zurücktraten. Den Grund dieser Tiefe bildete ein weites Tal, oder vielmehr eine fast ebene Fläche, die sich auf Meilen weit hin erstreckte, überall eine üppige Vegetation zeigte und einen sorgfältigen Anbau, wie er in Aegypten nur in den nächsten Umgebungen des befruchtenden Nil oder im altberühmten Lande Gosen gefunden wird. Hügel mit mächtigen Palmgruppen oder Tamarindenbüschen, Dattelbäumen und Pisangs ließen sich auf weite Ferne zwischen wohlbestellten und bewässerten Feldern von Mais und Weizen erkennen, reiche Baumwollen- und Kaffeeplantagen oder Äcker mit Reis und Zuckerrohr-Pflanzungen wechselten mit anderen nutzbringenden Anlagen, dazwischen sah man arabische Dörfer mit ihren einfachen Lehmhütten, die alle jedoch sorgfältiger gebaut waren, als die gewöhnlichen Wohnungen der Fellahs; Moscheen hoben ihre schlanken Minarets, und von vielen Stellen sah man die weißen Steingeländer der Vornehmeren und Reichen aus dem Grün der Gärten und Wäldchen leuchten. Kanäle durchzogen die Gegend, und selbst eine Art Straßen- oder Wegnetz schien zum besseren Verkehr über die Gegend gebreitet. Wie hoch auch der Standpunkt der Schauenden war, man konnte doch deutlich erkennen, daß diese Gegend wohl belebt war; Züge von beladenen Dromedaren und Eseln bewegten sich auf den Straßen, Herden weideten auf dem lichten Grün der Triften, und der Landmann zog mit seinem Gespann den Pflug durch den Boden seiner Äcker.
Diese wohl angebaute Gegend war auf allen Seiten von Bergwänden umkränzt, die im Norden und Süden fast so rauh und mächtig schienen, wie das Berggelände, das die Gesellschaft eben passiert hatte, und auf dessen östlichen Abhang sie sich befand, während in der Ferne nach Osten zu das Gesamtgebirge sich zu einem bloßen Felsenwall abplattete, der das angebaute Tal von der Küste zu trennen und vor den Seewinden zu schützen schien; denn über die seltsam zerrissenen und zerklüfteten Kämme hinweg konnten die Reisenden bei ihrem hohen Standpunkt deutlich die im Sonnenschein sich spiegelnde Fläche des Meeres sehen, dessen Küste in gerader Linie von ihnen höchstens zwölf bis fünfzehn englische Meilen entfernt sein mochte.
Die größte Eigentümlichkeit der Gegend aber befand sich in ihrer unmittelbaren Nähe.
Es war dies ein gewaltiger Steinkoloß, ein Berg oder vielmehr ein Felsen, der fast senkrecht aus dem Grunde des Tals vor ihnen emporstieg, und dessen Gipfel fast mit dem Plateau, auf dem die Reisenden sich befanden, in derselben Höhe stand. Soweit es sich erkennen ließ, mußte die Kuppe oder der flache Gipfel dieses Felsens eine Ausdehnung von mehreren Morgen haben und diente jener verrufenen Burg, dem Felsenschloß des Assassinenfürsten, zur Grundfläche.
Wälle, Mauern, Kuppeln und Türme erhoben sich dort in einem Komplex, der weit mehr das Aussehen einer gewaltigen Ritterburg des europäischen Mittelalters bot, als das von orientalischen Gebäuden, und die Kronen mächtiger Palmen und Pinien, die über die Mauern ragten, bewiesen, daß es auch an Gärten und freien Räumen innerhalb der Umwallung nicht fehlte. An anderen Stellen überragten Kioske und Pavillons von fantastischer Form die Mauern oder sprangen gleich Altanen hinaus, eine weite Umsicht auf das Tal bietend, und auf mehreren Punkten der Mauern erkannte das Auge des Lords die Gestalten von Schildwachen in weißen und grünen Gewändern, gleich denen, welche die Krieger getragen, die Jesus begleitet hatten und die zu so rechter Zeit gekommen waren, um die Reisenden gegen den Angriff der Reiter des Negus zu schützen.
Auf der Seite der Kuppe, die sich gegen das Plateau richtete, auf dem die Reisenden sich befanden, bildete der Fels einen vorspringenden Grat oder Ausläufer, der eben so jäh zur Tiefe fiel, wie die gegenüberliegende Wand, sodaß zwischen beiden nur ein Abgrund von etwa zehn Schritt Breite sich öffnete und es selbst für den der Geologie weniger Kundigen deutlich wurde, daß beide Felsenmassen in einer Urzeit, vielleicht vor Jahrtausenden verbunden gewesen sein mußten, und der jetzt isolierte Felskegel, auf dem die geheimnisvolle Burg stand, eigentlich nur ein Ausläufer oder Vorsprung der Gebirgswand war, der durch irgend ein gewaltiges Naturereignis von dieser abgetrennt worden. Auf der äußersten Spitze dieses Felsengrats oder Vorsprungs erhob sich ein Bauwerk, das dem Brückenkopf der modernen Befestigungen oder einem Turmtor glich und dessen Zweck den Reisenden gleich klar wurde; denn auf ein Signal, das der Dais Hassan mit einem dreimaligen Stoß ins Horn gab, löste sich von diesem Gemäuer eine mächtige Zugbrücke in schweren Ketten und senkte sich über den trennenden Abgrund bis hinüber auf das Plateau, so einen Zugang zu dem Gipfel des Felsens und der Burg bildend.
Jetzt erst bemerkten die Reisenden, daß weite, in die Felsenwand eingelassene Ringe zur Aufnahme und Sicherung der großen kupfernen Haken der Zugbrücke vorhanden waren, die dadurch einen festen und ganz gefahrlosen Übergang bildete.
Auf die Einladung ihres bisherigen Führers waren alle Reiter von ihren Tieren gestiegen und ehe sie sich um diese weiter bekümmern konnten, waren sie von den Begleitern des Dais zurückgeführt, ohne daß sie inne werden konnten, wohin man sie gebracht hatte.
»Ist es der schönen Königin der Brustlosen und ihren Begleitern gefällig,« sagte höflich der Dais, »die Burg des Fürsten Johannes zu betreten, die Wächter werden ihm von ihrer Ankunft bereits Kunde gebracht haben, und der Knabe Jesus wird sie zu ihm geleiten, während ich hier die Ankunft der Reiter abwarte, die noch zurück sind. Der Beisädih möge mich für kurze Zeit entschuldigen.«
Der Lord warf einen etwas besorgten Blick um sich; er fühlte, daß mit dem Betreten der seltsamen Burg die Gesellschaft ganz in die Macht des übelberüchtigten Volkes gegeben war, aber schon hatte der junge Assassine bescheiden die Hand der Fürstin ergriffen und sie auf die Brücke geführt. »Es ist zu spät, um Besorgnis zu zeigen, Mylord,« flüsterte Doktor Walding dem Viscount zu. »Das einzige, was Sie noch tun können, ist, daß Sie unter keinen Umständen den Sicherheitsbrief aus den Händen geben. Im übrigen müssen wir auf gutes Glück vertrauen und die Augen offen halten. Wenn ich mich erst von dem Zustand des Kranken überzeugt, werden wir unsere Aussichten besser beurteilen können.«
»Aber unsere Feinde, die uns folgen?«
»Erinnern Sie sich, Mylord, daß der Arzt stets großen Einfluß auf den Kranken hat. Wenn es mir gelingt, den gefürchteten Häuptling vor unseren Feinden zu sehen, fürchte ich nichts.«
Einen ähnlichen Gedanken schien auch ihr junger Begleiter zu hegen, denn er wandte sich zu dem Arzt und suchte ihm zu bedeuten, daß er sich bereit halten möge, sogleich zu dem Kranken geführt zu werden.
Unter den wenigen Worten hatten sie die Brücke überschritten und traten unter das Gewölbe des turmartigen Baues, der die Zugbrücke trug.
»In der Tat, Doktor,« sagte der Lord, »sähe ich nicht an diesen Wachen, daß wir uns im Orient befinden, so könnte ich glauben, im Tor einer englischen Burg aus der Zeit der Plantagenets zu stehen. Sehen Sie hier, über unseren Köpfen, fehlt selbst das Fallgatter nicht!«
Es war in der Tat so; ein mächtiges Gitter schwebte über ihnen, wie es vor Jahrhunderten in den Feudalburgen als Verteidigungsmittel des Zugangs üblich war. Der Arzt gab jedoch weniger auf diese Einrichtung acht, als auf die Wächter des Turms, zwei riesige Nubier, die zu beiden Seiten des Ausgangs standen und ihre Waffen kreuzten. Es waren das zwei lange grade Schwerter von der Art jener Zweihänder, wie sie zur Zeit der Kreuzzüge von den christlichen Rittern geführt und über die linke Schulter hinweg aus der auf dem Rücken getragenen Scheide gezogen wurden.
Die beiden orientalischen Krieger standen in ihren grünen kaftanartigen Gewändern wie Bildsäulen, bis ein Wort des jungen Assassinen sie aus ihrer Stellung zurücktreten und die mächtigen Schwerter zu Boden senken ließ. Dann erst erhoben sie ihre Blicke und richteten sie auf die Fremdlinge.
Der Jüngling wandte sich, ehe er die Grenze der gesenkten Waffen überschritt, an den Arzt. »Der weise Hakim der Abendländer,« sagte er in arabischer Sprache »wird die Worte seines Dieners verstehen und sie nicht mißdeuten. Es ist uns das Glück geworden, die Schönheit der Königin des Ostens unverhüllt bewundern zu dürfen, und es ist den Frauen unseres Volkes nicht verboten, unverschleiert zu gehen, aber die Schönheit der weißen Rose des Nordens ist so wunderbar, daß sie die Augen meiner Brüder, der Fedais, blenden würde! Es dürfte gut sein, sie den Blicken der Neugierigen zu entziehen, bis sie vor dem mächtigen Scheikh-al-Dschebal gestanden hat.«
Doktor Walding hatte neben der Amhara-Sprache während seines Aufenthaltes in Indien und Abessynien genug arabisch gelernt, um die Worte des Jünglings zu verstehen und sie der Fürstin übersetzen zu können, die sofort den kurzen blauen Schleier von dem Hut über ihr Gesicht fallen ließ. Dann erst traten sie aus dem Turm in den hofartigen Raum, der diesen von den Hauptgebäuden schied.
Wir haben bereits wiederholt den seltsamen Charakter dieser Gebäude erwähnt, die Mischung des mittelalterlichen europäischen Baustils mit den leichteren orientalischen Formen und Linien; das Gebäude vor ihnen zeigte mehr den ersteren Charakter, während zur rechten Seite des Hofes eine große Mauer, gleich denen, welche die orientalischen Gebäude, namentlich die Zenanah, die Frauengemächer, gegen die Straßen absperren, sich von vergitterten Fenstern unterbrochen erhob. In ihrer Mitte öffnete sich eine Pforte mit orientalischem Rundbogen, durch welche man das Innere eines Gartens sah, der auf drei Seiten einen von Pfeilern getragenen Kiosk umgab. Hohe palmenartige Bäume breiteten ihre Wipfel über sein Dach und selbst der größte orientalische Luxus, ein Springbrunnen, rundete sich in einem Becken von rotem Porphyr und ergoß in dieses aus kupfernen Röhren, wenn auch in geringer Höhe, seinen dünnen Strahl. Um den Rand dieses Beckens lagen Kissen gebreitet und neben jedem stand ein Knabe zur Bedienung der Gäste, während junge Sklavinnen, nur halb verhüllt, die Arme über die Brust gekreuzt, ein Spalier von dem Springbrunnen bis zum Eingang des Gartens bildeten. Innerhalb dieses Eingangs aber stand eine Frau, in faltige blaue Gewänder gehüllt, zum Empfange der Gäste bereit. Jesus führte die Fürstin zu ihr, während die Männer vorerst zurückblieben; etwas anderes fesselte ihre Aufmerksamkeit.
Es war dies die Mauer, welche die andere Seite des Hofes, den burgartigen Teil der Gebäude abschloß. Auch in ihrer Mitte war eine Tür weit geöffnet, doch zeigte sie einen anderen Baustil. Hier standen zwei Reihen von Männern und Jünglingen, die ersteren in grünen und schwarzen Gewändern gleich den Kriegern des Dais, die so zu rechter Zeit an den Zufluchtsort der Gesellschaft in dem Felsenkessel des Gebirges eingetroffen waren, die anderen in gleiche weiße Gewänder gehüllt, wie der Jüngling Jesus sie trug; durch den geöffneten Raum aber eilte eine befreundete Erscheinung, der Berliner Professor, den Ankommenden entgegen, zunächst seinem Zögling und seinem Mündel mit unverkennbarer Freude die Hände entgegenstreckend.
»Gott sei Dank, Mylord, daß Sie da sind und Sie, meine teure Mündel und Verlobte. Ich brachte die letzten Stunden in wahrer Höllenangst zu; denn, obschon dieser Ort einen wahren Berg Sesam bildet, nicht von Schätzen an Gold und Silber oder edlem Gestein, obschon es auch an solchen, soviel ich gesehen, nicht zu fehlen scheint, sondern an Schätzen der Wissenschaft, deren Besitz oder Studium nicht allein die berühmte Sammlung orientalischer und altägyptischer Handschriften, wie sie die Berliner Bibliothek enthält, zur ersten der Welt erheben, sondern die Gelehrten aller andern Universitäten vor Neid blau und gelb machen könnte. Selbst die Sammlung im Vatikan kommt nicht dagegen auf, und was ich hier entdeckt, ist offenbar ein glücklich geretteter Überrest der Ptolemäër-Bibliothek. Gott, was könnte dieser alte Heide oder Assassine für Schätze erwerben, wenn er den fünften Teil all dieser Pergamente und Rollen bei uns wohlgeordnet in Katalogen zum Verkauf stellen wollte. Aber er ist nicht dazu zu bewegen, obschon er im Grunde kein ungefälliger Bursche ist und mir bereits einiges geschenkt hat, das meinen Ruf an allen gelehrten Akademien befestigen muß. Aber dennoch, liebe Freunde, gestehe ich aufrichtig meine Freude, mich wieder unter christlichen Gesichtern und in Ihrer Mitte zu sehen. Denn, obschon es mir seit unserer Trennung weder an geistiger noch körperlicher Nahrung gefehlt hat, herrscht hier doch ein so unheimliches und bedrohliches Wesen, daß ich mein unbedeutendes Leben selbst in jenem Zelt des gefürchteten Negus Theodor für sicherer gehalten habe, als in diesem Schloß. Sie werden einen finstern und wortkargen Kauz an diesem alten Assassinenfürsten finden, lieber Doktor, und wenn mich der wackre Knabe Jesus nicht so hoch und teuer versichert hätte, daß ich unbesorgt zurückbleiben könne, würde selbst der Gedanke an den schaudervollen Weg, den er mich hierher führte, mich nicht gehindert haben, ihn wieder zurück zu begleiten! Nun, Mylord, lassen Sie mich Sie in jene Halle führen, die der alte Räuber als seine Bibliothek anzusehen scheint, obschon eine Unordnung darin herrscht, die nicht zu beschreiben ist – aber, wohin führt der junge Assassine unser schönes Mündel und wo ist mein lieber Schüler Doktor Walding?
In der Tat hatte auf einen Wink der Frau am Eingang des Gartens der Knabe Jesus die Fürstin und den Arzt zu ihr begleitet. Lord Walpole war ihnen gefolgt, und der kleine Professor sah daher das Auditorium für seine gelehrten Entdeckungen auf den Trapper beschränkt, von dem er aus Erfahrung wußte, daß er kein dankbarer Zuhörer für seine Gelehrsamkeit war.
»Es ist Mariam, die Pflegemutter des Knaben Jesus,« sagte dieser, »und die weise Frau der Hosseini, sie versteht die Sprache der Franken und auf ihren Rat geschah es, daß der Fürst den ersten und den jüngsten seiner Diener in die Wüste sandte bis zur Straße der Karawane zum Nil, um einen arabischen Einsiedler zu suchen, der in dem Rufe steht, alle Krankheiten heilen zu können gleich den Hakims der Franken. Aber die Hütte des Hadschi stand leer, und wir mußten unverrichteter Sache heimkehren, als Allah uns den Hakim finden ließ.«
Doktor Walding wußte sehr wohl, daß unter den ruchlosesten Freigeistern der mohamedanischen Sekten die Verehrung der sogenannten weisen Frauen eine große Rolle spielt, und der Aberglaube ihnen allerlei Zauberkräfte, namentlich das zweite Gesicht oder die Gabe der Weissagung zuschreibt. Aber die Frau, die vor ihnen stand, machte doch einen ganz besonderen Eindruck auf ihn.
Sie war alt, ihr Antlitz verwittert und faltig, aber es zeigte jenen Schnitt, der es unzweifelhaft machte, daß sie nicht von den Urbewohnern des Landes abstammte, wie deren Physiognomieen sich noch in den Hieroglyphen zu Theben, Memphis und in anderen berühmten Ruinenstädten finden. Trotz ihrer, vor Alter und Leiden gebeugten kleinen Gestalt lag doch in ihrer Haltung etwas edles, und ihre Stimme war sanft, als sie in einer hauptsächlich mit französischen Worten gemischten Lingua-franca zu der Fürstin sprach: »Sei gegrüßt, Kind einer anderen Zone! Mariam sehnte sich, ehe sie den großen Scheich des Gebirges auf seiner letzten Reise begleitet, eine Tochter der Völker zu sehen, die an das Kreuz glauben, und deren Söhne mit ihr sprachen, als sie jung war.«
»Du redest von den Franzosen,« entgegnete die Fürstin, »deren Krieger vor langen Jahren Unterägypten eroberten. Sprichst Du noch von der Zeit des großen Napoleon?«
»Ich rede von der Zeit der großen Schlacht an den Pyramiden. Meine Augen haben viel gesehen, aber seit mehr als fünfzig Jahren sind sie nicht über Gengarab hinausgedrungen.«
»Vielleicht eine Jugendliebe mit einem der französischen Soldaten des Konsuls,« bemerkte die Fürstin auf englisch zu dem Lord. »So etwas vergißt sich nicht. Du trägst einen christlichen Namen, Frau?« fuhr sie fort. »Nannte dieser Jüngling Dich nicht Maria oder Mariam? Sicher auch gabst Du ihm den seinen.«
»Es war der Name meiner Mutter, die eine Christin war, ehe sie zum Koran schwor. Der Scheich Johannes, der mit der Schärfe des Schwertes mich raubte und zu seiner Kadun machte, hat den Knaben gleich Moses an dem Ufer des roten Meeres gefunden und ihn mir gegeben, deren Schoß unfruchtbar bleiben mußte. Der Scheich Johannes hat alte Schriften, die von den Lehren des Kreuzes erzählen, und hat den Knaben sie selbst lesen gelehrt. Aber ist dies der fränkische Hakim, schöne Jungfrau?«
»Ich bin ein fränkischer Arzt.«
»Dann mögest Du eilig eintreten zu dem Fürsten, denn es wird gut sein, daß Du mit ihm gesprochen und seine Schmerzen gelindert hast, ehe Eure Feinde die Burg betreten haben, wie mir Jesus berichtet. Er wird Dich zu ihm führen, während die Franken-Jungfrau und ihr Verlobter bei Mariam bleiben und die Erfrischungen annehmen, die sie ihnen zu bieten hat.«
Die Fürstin errötete, als die Khanum sie als die Verlobte des Lords bezeichnete, und ein seltsamer Blick streifte den Briten, doch sie hielt es nicht der Mühe wert, die fremde Frau erst über ihr Verhältnis näher aufzuklären, und folgte ihr zu dem Springbrunnen, während der Jüngling den Arzt zu einem anderen Teil des Gebäudes, der gleichfalls an den Garten stieß, geleitete.
»Halten Sie Ihren Freund Hassan einige Minuten auf, bis ich mich von dem Zustande des Kranken überzeugt habe,« sagte Walding im Vorübergehen zu der Fürstin. »Und Ihnen, Mylord, wiederhole ich die Bitte, in keinem Fall den Schutzbrief aus den Händen zu geben. Der Mann hatte Recht, als er uns sagte, wir befänden uns hier im Rachen des Löwen und ich will mich erst überzeugen, ob und was wir zu fürchten haben.«
Es waren in der Tat ernste Sorgen, welche die Gedanken des jungen Engländers erfüllten, und doch nahmen sie dieselben nicht gänzlich in Anspruch, vielmehr mußte er immer wieder an das Erröten der Sibirianka und den eigentümlichen Ausdruck ihres Blicks denken, als dieser ihn traf. Doch fühlte er die Notwendigkeit, auf die Lage, in der sie sich befanden, alle Geisteskraft zu konzentrieren, und von der alten Khanum so viel wie möglich über den Charakter des Mannes zu erforschen, von dem ihre Sicherheit abhing.
Auf einen Wink der Frau brachten die Sklavinnen, die sie empfingen, Sorbet, Kaffee und Backwaren nebst Nargilehs, deren durch parfümierte Wasser gezogene Schläuche mit den angerauchten Bernsteinspitzen sie sowohl dem Viscount, wie auch der jungen Sibirianka und der Khanum knieend überreichten. Die letztere schien voll Kummer über den Zustand ihres kranken Gatten. Mit der Erkundigung nach diesem eröffnete der Lord das Gespräch in französischer Sprache, die sie zu verstehen schien.
»Ist der Scheikh al Dschebal, den man den Herrn des Gebirges nennt, reich an Jahren wie unsere Freundin Mariam?«
»Zehn Überschwemmungen des Nils mehr haben sein Haupt gebleicht, doch die Männer dieses Landes werden alt, wie ich in den Überlieferungen der Christen gelesen habe, während die Frauen die Jahre und die Leiden niederbeugen. Die Männer von hundert Jahren sind nicht selten in diesem Tale, wenn das Schwert nicht ihr Leben verkürzt. Der Scheich Johannes schwang noch vor einem Monat die Streitaxt gegen die Ungehorsamen, aber Krankheit hat seine Kraft gelähmt und seine Tage gezählt. Die Hosseini scheuen den Tod nicht, dem alles Erschaffene unterliegt. Aber sie fürchten das Krankenlager, das ihre Kraft lähmt.«
»Der Hakim, den Dein Pflegesohn hierher geführt hat, ist ein kluger Mann; wenn Allah es gestattet, wird er sicher den Scheich heilen. Ich sah ein Beispiel seiner Kunst an einem aus Deinem Stamm in Massauah. Er stellte den Knaben in einer Nacht von gefährlicher Krankheit her.«
»Allah gestatte es. Warum nennst Du den Geheilten einen aus meinem Stamm?«
»Er ist ein Beduine der Wüste aus dem Geschlecht der Meliden, wie ich zufällig hörte, der unter dem Stamm der Djebel-Abu-Bianah lebt. Ich habe seinen Oheim, den Scheich Abdul-Beckr, gedungen, unsere Reisegesellschaft durch die Wüste bis zum Nil zu führen; er verblieb wegen der Schwäche des Knaben noch zwei Tage in Arkiko und wir wollten ihn an dem Felsen treffen, den man die Nadel der Wüste nennt, wenn uns nicht die Verfolgung einer feindlichen Schar von unserem Wege abgedrängt hätte.«
Die Erzählung des jungen Engländers war wie zufällig, aber ihre Wirkung um so überraschender.
Die alte Khanum hatte ihr Nargileh den welken Lippen entfallen lassen und sich mit der Elastizität eines jungen Mädchens von ihrem Kissen erhoben. »Fremdling, Christ,« sagte sie, »Du hast den Stamm Abu-Bianah genannt – sprachst Du die Wahrheit, sind Kinder desselben in der Nähe dieses Tales?«
»Ich hoffe sie in der Wüste zu treffen. Ein Mann des Stammes ist sicher bei meinen Begleitern an der Stelle, wo uns der Knabe Jesus getroffen hat. Doch kann Dir der Hakim, der zu Deinem Gatten gerufen ist, näheres darüber sagen. Von ihm hörte ich die Namen unserer Führer.«
»Allah segne Dich, Fremdling,« sagte die Alte, »Du hast dem Herzen einer alten Frau noch vor den Pforten des Grabes eine Freude bereitet, indem Du ihr von ihrem Geschlecht erzähltest; denn wisse, Du hast es erraten, die Khanum Mariam ist eine Tochter des Stammes der Bianah, und der Name Abdul-Beckr ist erblich in meiner Familie, die das Haupt ist des Stammes. Es soll Dir nicht unvergolten bleiben, und Mariam wird Sorge tragen für die Sicherheit jedes Haares auf Eurem Haupt. Du hast das Teskareh mit dem Siegel der grünen Schlange?«
»Ich habe den Geleitschein des Scheikh-al-Dschebal. Sollte uns Gefahr drohen?«
»Das Wort eines Assassinenfürsten ist heilig, aber sorge dafür, daß, wenn Du vor ihm erscheinst, er das Siegel des Ringes, den er an dem Zeigefinger seiner linken Hand trägt, auf das Pergament drücke – dann hast Du nichts zu fürchten, und wenn Du seinen Sohn erschlagen hättest. Ich werde die alten Augen offen halten über Dir und dieser Christenjungfrau, Deiner Verlobten.«
Unwillkürlich ruhte wiederum das Auge des Engländers spähend auf den Zügen des jungen Mädchens, aber dieses schien diesmal selbst das verräterische Wallen des Bluts in ihrer Gewalt zu haben, und kein Zeichen verriet ihr Verstehen. Zugleich hörte man den Klang des Hornes, auf das hin sich die Zugbrücke senken sollte, und von der Seite der Gebäude her sah man eilig Jesus zurückkommen.
»Das ist der Dailkebir Hassan,« sagte hastig die Khanum und fügte halblaut hinzu: »Hütet Euch vor ihm, denn sein Herz ist härter als die Steine dieses Felsens und sein Ehrgeiz unermeßlich. Der Knabe hat mir gesagt, daß die Hand dieser Jungfrau sein Leben gerettet, und er ist nicht gewohnt, eine Niederlage zu vergeben. Ich wünsche, daß Ihr fern von hier sein mögt, ehe der Ring, der die Macht über Leben und Tod gibt, in seine Hand übergeht. Sprich Jesus, ist der Hakim noch bei dem Fürsten?«
»Der Herr und Gebieter verlangt, die Fremden von jenseits der Meere mit eigenen Augen zu sehen. Der weise Hakim hat ihm einen wunderbaren Trank bereitet, der ihm Herz und Brust frei macht. Die Khanum soll die Fremden begleiten.«
»Wohlan denn,« sagte diese, »so laßt uns nicht zögern. Der Herr des Gebirges ist gewöhnt, seine Worte zur Stelle erfüllt zu sehen. Eilen wir, ehe der Dailkebir Eure Feinde zur Stelle bringt. Jesus möge Euren Begleiter rufen.«
Auf diese Mahnung zögerten auch der Lord und seine schöne Gefährtin nicht und folgten ihrer Führerin in das Innere der Burg, wo ein schmaler Gang sie zu einem mit großen Quadern gepflasterten Hofraum führte, um den eine offene von Bogen getragene Halle lief, deren Pfeiler und Wände mit einer großen Zahl von teils sehr alten und eigentümlich geformten Waffen und den Köpfen und Fellen wilder Tiere geschmückt waren. Der breite Kopf des Elephanten mit den riesigen Stoßzähnen wechselte hier mit dem plumpen Schädel des Rhinozeros und dem breiten Gebiß des Nilpferdes oder den langen Kiemen des Krokodils, während die gewundenen Hörner der Antilopen die Zwischenräume füllten. Zwei grimmige, menschenähnliche Geschöpfe rasselten an den Ringen einer kupfernen Kette, deren Metall die tiefen Spuren der Kraft ihrer Gebisse trug, während ihre Hände mit langen, adlerartigen Krallen versehen, sich drohend gegen sie ausstreckten und ein heiseres Bellen sich dem ungestalten Munde entwand. Es bedurfte in der Tat eines zweiten Blickes des Lords, der wie zum Schutz vor die Fürstin trat, um ihn zu überzeugen, daß diese seltsamen Wächter des kranken Assassinenfürsten zwei große Affen waren, deren mächtige Gebisse sie Menschen wie Tieren zu gefährlichen Gegnern machten. Der Lord erinnerte sich, daß sein gelehrter Freund bereits auf ihrem Zuge durch das Gebirge von dem Vorkommen dieser Geschöpfe, der Hamadryaden oder Mantelpaviane, gerade in diesem Gebirge erzählt hatte, obgleich sie ihnen noch nicht zu Gesichte gekommen waren. Der Wink ihres Reisegefährten, des Arztes, der auf einer Matte neben einem Greise saß, entfernte jedoch die Besorgnis und rief sie näher herbei, nachdem Jesus mit einer bloßen Bewegung der Hand die grimmigen Wächter zurückgescheucht hatte, sodaß sie sich hinter den Säulen verbargen, an die sie mit ihren Ketten befestigt waren.
Weder die Fürstin noch der Lord erinnerten sich, jemals ein so ehrwürdiges und friedliches Greisenantlitz geschaut zu haben, wie sie es hier vor sich sahen, und konnten unmöglich glauben, daß dies der gefürchtete, durch hundert blutige Taten berüchtigte Fürst der schlimmsten Räuber der Wüste, der Scheikh al Dschebal, sein sollte.
Der auf einem Lager von Matten ruhende oder vielmehr sitzende Greis mochte wohl achtzig Jahre zählen, und sein ruhiges, ernstes Gesicht war von einem langen weißen Bart umrahmt, dessen Locken bis auf seinen Gürtel herabfielen. Seine Gestalt war hager und klein, die auf der Decke ruhenden Hände lang, schmal und wohlgeformt. An dem Zeigefinger der Linken bemerkte der Lord, der alsbald darauf achtete, einen Siegelring mit einem grünen Stein, wie er sich durch Zufall erinnerte, an der Hand des französischen Kaufmanns Labrousse einen ähnlichen gesehen zu haben an dem Tage, als der Abgesandte des Negus an den Bord des Veloce in der Bai von Arkiko kam und er das Schiff verließ. Dies veranlaßte ihn noch mehr, die Warnung der Khanum zu beachten und die erste Gelegenheit hierzu zu benutzen.
Das Gesicht des Greises zeigte einen ruhigen Ausdruck, der jedoch von Zeit zu Zeit durch ein Zucken des Schmerzes oder einer gewissen Beängstigung unterbrochen wurde, das um seinen Mund flog und eine Röte über seine sonst blasse Stirn fliegen machte. Es trug sonst den Charakter der Milde und einer gewissen Güte, und dieser sprach auch aus dem ernsten und wohlwollenden Blick des dunklen klugen Auges.
Die Khanum war alsbald nach dem Eintritt mit ruhigen, leisen Schritten zu ihrem Gatten getreten und an seiner anderen Seite niedergekauert, mit aufmerksamen, besorgten Augen ihn und die Miene des Arztes prüfend, dessen Finger an dem rechten Handgelenk des Kranken lagen und seinen Puls beobachteten, Jesus aber war bis zu dem Rande des Teppichs geschritten und hatte sich dort zu den Füßen des Greises, die Arme über die Brust kreuzend, in demütiger Stellung auf die Kniee niedergelassen.
»Möge der Schatten des großen Herrn des Gebirges noch lang sein! Hier sind der Beisädih und die weiße Königin, denen unser Gebieter seinen Schutz zugesagt hat.«
Der Blick des Assassinenfürsten wendete sich jetzt zum ersten Mal von dem Arzt und richtete sich auf die Fremden, deren Äußeres seine Teilnahme zu erwecken schien. Er neigte das Haupt mit dem gewöhnlichen orientalischen Gruß: »Seid willkommen in der Burg des Priesters Johannes,« sagte er mit wohllautender, noch kräftiger Stimme. »Du bist ein Beisädih, ein Mann aus dem Lande des Melec Ric, der vor tausend Jahren ein Freund und Gefährte der Assassinen war.« Sein Auge schweifte dabei über den Lord hinweg nach dem Mann, der ihnen gefolgt war, Ralph dem Bärenjäger.
Doktor Walding lächelte. »Du irrst, mächtiger Fürst,« sagte er in demselben Idiom der lingua franca, dessen sich der Kranke bedient hatte. »Der Lord ist der jüngere Mann und dort der Riese zwar eigentlich auch ein geborener Engländer, wenigstens von demselben Blut, aber nur der Diener des englischen Herrn.«
»Mein Auge hat nicht mehr die Schärfe der Jugend. Ich glaubte nur, ein Ritter aus dem Blut des Königs Ric müßte einer der gewaltigen Kämpen sein, die Waffen zu schwingen vermögen, wie sie dort zur Erinnerung an unsere Väter und an die seinen an der Mauer hängen; deshalb wünschte ich ihn zu sehen. Du hast den Teskareh des Fürsten der Gebirge erhalten, Franke; Dein Leben und Eigentum sind sicher in dem Gebiet des Scheikh-al-Dschebal auf der Wanderung zum Nil. Du hast zwei weise Männer in Deiner Begleitung. Der eine kennt die Sprachen der Vorzeit, der andere ist ein großer Hakim und hat mir gesagt, daß meine Stunde gekommen ist, und daß der Ring an meiner Hand bald den Gebieter wechseln muß.«
Der Lord erschrak über diese Unvorsichtigkeit des Arztes, die er für ihre Lage unnütz gefährdend hielt. Aber der Fürst schien seine Besorgnis zu erraten und lächelte. »Glaubt der Inglese, daß der Herr der Hosseini selbst den Tod fürchtet, den sein Volk verachten gelernt hat? Noch ist der Augenblick nicht gekommen, wie mich Dein Freund, der Hakim, versichert hat, und er verspricht, bis dahin die Schmerzen von dem Lager eines Kriegers fern zu halten, die seinen Geist trüben. Sieh dieses Weib und diesen Knaben an, sie wissen, daß der Tod nichts ist und würden ihn sich jeden Augenblick selbst geben, wenn ich es ihnen geböte.«
Der Lord sah mit einem gewissen Zweifel auf die alte Frau und den blühenden Jüngling.
»Du zweifelst, Inglese? Hat der große König Deines Volkes gezaudert, das Leben seiner Krieger zu opfern und das seine den Säbeln und Speeren der Sarazenen preis zu geben?«
»Ich habe genug von der Todesverachtung der Krieger Deines Stammes gehört,« sagte der Lord, »und weiß, daß auch den Männern und Soldaten meiner eigenen Nation weibische Furcht fremd ist. Aber, großer Fürst, es ist doch ein anderes, im Kampf für Ruhm, Ehre und Pflicht das Leben zu opfern, als zwecklos und ohne Ehre.«
Es zuckte wie ein Blitz aus dem bisher so milden und ruhigen Auge des Kranken. »Warum zwecklos? Ist der Beweis des Gehorsams keine Pflicht? – Sieh auf jene Zinne! – Der Sohn der Hozeini, der dort oben Wache hält, hat ein Leben wie Du, und seiner Jahre sind wenige mehr, als dieser Knabe sie zählt; Du sollst den Gehorsam eines Hozeini kennen lernen.«
Ehe der Lord oder der Arzt ein Wort zur Beruhigung des Kranken sprechen konnten, hatte dieser ein silbernes Pfeifchen, das neben ihm auf der Platte eines niederen Tisches lag, an seine Lippen gesetzt und einen schrillen Pfiff ertönen lassen.
Der Mann, der auf der Höhe der Mauer stand, wandte sich sogleich nach dem Innern des Hofes, dem er bisher den Rücken zugewendet, und beugte horchend das Haupt nieder.
Der furchtbare Herr seiner Sekte, der selbst wie er eben gesagt hatte, an der Pforte der Ewigkeit stand, stieß einen lauten gellenden Schrei aus, dessen Worte und Bedeutung die Fremden nicht verstehen konnten, obschon sie bemerkten, daß er sowohl die Khanum als den Knaben Jesus leise erzittern machte. Im nächsten Augenblick, als der Engländer und mit ihm seine Reisegefährten den Blick mit neugierigem Entsetzen zu der Höhe der Mauer hob, sahen sie den wachehaltenden jungen Assassinen die Arme in die Luft heben und ihn plötzlich, als hätte der leere Raum ihn verschlungen, von seinem Posten verschwinden.
Der Scheich hatte sich auf seinem Ellbogen von dem Sitz emporgerichtet. »Die Geier werden die Gebeine eines Tapfern abnagen, er hat den Ruhm des Gehorsams!« sagte der Furchtbare in demselben Ton, »die Kinder von Frangistan mögen sie suchen in den Steinklippen am Fuße von Gengarab. Reich mir Deinen Trank, Hakim, der Schmerz kommt wieder!«
Mit Entrüstung war der wackere Arzt emporgesprungen und hatte die Hand des furchtbaren Mannes von sich geschleudert. Auch in den Augen des Engländers und selbst in den Bewegungen des an plötzliche entsetzliche Taten gewöhnten früheren Dieners des indischen Tyrannen spiegelten sich Entsetzen und Unwillen. Nur die Fürstin sah, wenn auch leicht erblassend, mit einem gewissen bewundernden Interesse auf den Greis, der bisher so milde und ruhig geschienen, und die Khanum und Jesus beugten noch tiefer ihr Haupt.
»Das ist eine ruchlose Probe Eures furchtbaren Glaubens,« sagte unwillig und furchtlos der Arzt. »Sie möge über Dein Haupt kommen, grausamer Mann. Dieses unnütze, kaltblütige Morden ist schlimmer, als alle Leidenschaft und trunkene Wut des Negus war. Höre mich an, Fürst, noch eine solche Erregung Deines Blutes und Deiner Nerven, und das Ereignis, das ich Dir auf Dein Gebot erst nach Wochen oder Tagen als tötlich voraussagen konnte, kann im Augenblick eintreten und Deinem Leben ein Ende machen.«
Der Furchtbare wandte sich so gleichgültig nach ihm, als sei nicht das Geringste geschehen und streckte ihm das Handgelenk seiner Rechten entgegen. »Fühle den Puls, Hakim, ob mein Blut rascher schlägt? Was ist der Tod eines Sklaven, wenn es gilt, den Gehorsam aller zu beweisen? Wenn der Mann dort, dessen Gestalt die Kraft des Melec Ric verkündet, noch einen Schritt weiter zu dem Pfeiler tritt, wird er Gelegenheit haben, seine Stärke an den Zähnen eines schlimmen Feindes zu erproben, die oft härter sind als Stein und Metall. Reich mir Deinen wunderbaren Trank, Christ – die Ärzte der Moslem sind Unwissende und Lügner.«
Während der Arzt, dieser furchtbaren Ruhe sich beugend, der Khanum bedeutete, ihm eine der Trinkschalen mit Wasser zu reichen, war auch der Trapper Ralph einer großen Gefahr entgangen, denn als er auf die warnende Bewegung des Scheich sich umwandte, sah er, daß er dem langen Arm des großen Affen, der an die rechte Säule gekettet war, zu nahe gekommen, und daß die Bestie im Begriff war, ihn zu fassen und in den Bereich seines gefährlichen Gebisses zu zerren, dessen lange Fangzähne in der Tat stark genug sind, Steine zu zermalmen. Ein Faustschlag des unerschrockenen Jägers traf so gewaltig den Schädel des Tieres, daß es heulend zurück- und sich hinter dem Pfeiler verkroch, während der kranke Mann, ganz seinen bisherigen Ernst vergessend, so herzlich lachte, daß sein Körper schütterte.
»Ich dachte es mir gleich, daß die Kraft des Melec Ric in diesen Gliedern wohnt,« sagte, noch immer lachend, der Scheich; »reich dem Mann die goldene Spange von Deinem Arm, Mariam, zur Belohnung für seinen Schlag. Freund, ich muß Dich kämpfen sehen mit einem würdigeren Feind, ehe Du von Gengarab gehst, oder ehe Eblis mich …«
Er vollendete nicht, sondern fuhr mit beiden Händen nach dem Herzen und einer der vorhin erwähnten Krämpfe schien seine Stirn zu röten – seine Augen wandten sich ängstlich nach dem Arzt, der hastig aus einer kleinen Phiole, die er bereits in der Hand hielt, einige Tropfen in das Wasser der Schale goß und ihm diese zum Trinken reichte. Der Kranke leerte sie und schien sich darauf ebenso rasch zu beruhigen, wie der Anfall gekommen war.
»Bei meinem Ring, Hakim,« sagte er tief aufatmend, »die Kraft Deiner Tropfen ist wunderbar. Ich werde Dir einen Beutel voll Theresientaler für diese kleine Phiole und ihren Inhalt geben. Ich weiß, die klügeren Franken-Hakims lieben das Gold so gut wie die Dummköpfe der Moslem.«
Das Auge der Fürstin war zufällig während dieser Worte auf die alte Khanum gerichtet, und mit Erstaunen sah sie, wie diese warnend einen Finger erhob. Sie erinnerte sich der Mahnung, welche die Frau ihnen erteilt und mit raschem Verständnis rief sie dem Lord zu: »Bei unserer Sicherheit, Mylord, lassen Sie unseren Freund die Arznei nicht aus der Hand geben, bis Sie dieses Ungeheuer gezwungen haben, seinen Ring unter Ihren Geleitschein zu drücken.«
Der Arzt, der ihre halbgeflüsterten Worte gehört, sah fragend zum Lord an und zog die Phiole zurück.
»Die Tropfen würden Dir nichts nützen, wenn Du nicht ihren Gebrauch kennst, Fürst,« sagte er ruhig. »Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, Sie zu fragen, Mylord, ob der Teskareh, den ich Ihnen sandte, vollkommen in Richtigkeit ist? Ich schrieb ihn in der Amharasprache und auf englisch nur mit kurzen Worten nieder, und der Scheich unterzeichnete ihn.«
Der Viscount zog das Pergament aus seiner Brusttasche und entfaltete es. »Das Pergament trägt allerdings eine Unterschrift – aber ich wünsche, daß es in meiner Gegenwart auch mit jenem Ringe unterzeichnet werde, den dieser Mann an dem Finger seiner linken Hand trägt, und dessen er bereits zweimal erwähnt hat.«
»Sie haben Recht, Mylord, er soll es tun, bei Gott, Sie haben meinen Rat zur Vorsicht besser beherzigt, als ich selbst.« Die Worte waren in englischer Sprache gewechselt worden, und er wandte sich jetzt wieder in der Lingua-franca zu dem Kranken. »Mein Freund,« sagte er, »bittet Deine Hoheit, daß Du zu seiner Beruhigung in seiner Gegenwart Deine Unterschrift anerkennst und sie mit dem Siegel an Deiner Hand bestätigst.«
Das sonst so ruhige und offene Gesicht des Assassinen nahm plötzlich einen fast wilden Ausdruck an und aus seinen Augen loderte ein unheimlicher Strahl. »Ist dieser Beisädih toll geworden,« sagte er, »daß er an dem Wort des Gebieters der Hosseini zweifelt? Aber welcher Mund ihm auch sein Verlangen geraten, oder ob sein Engel es ihm eingegeben hat, der Hakim soll sehen, daß ich ihm dankbar bin. Zünde das Wachs an, Khanum, damit ich den Wunsch dieses mißtrauischen Franken erfülle.«
Es war, als ob die alte Frau auf diesen Befehl gewartet hätte; denn rasch brachte sie Wachs zur Stelle und rief dem Knaben zu, ihr eine der in einem Becken glimmenden Kohlen zu reichen, mit der sie das Wachs erweichte und auf den leeren Raum unter dem Namen tropfte, wo in der Tat das Siegel fehlte. Das Gesicht des Greises blieb finster und drohend, bis er mit einem raschen Zug den Stein seines Ringes, ohne diesen vom Finger zu lassen, auf das Wachs gedrückt und das Pergament dem Arzt gereicht hatte, dann aber kehrte ebenso schnell der frühere Ausdruck von Güte und Wohlwollen darauf zurück. »Da nimm und bewahre es wohl; denn, woher Dir auch der Gedanke gekommen, mit diesem Siegel darf kein Haar auf Deinem Haupte gekrümmt, kein Faden Eures Eigentums Euch entfremdet werden, so lange Ihr auf dem Gebiete weilt, das die grüne Schlange regiert. Seid unbesorgt, Fremdlinge, und erzählt dem Priester Johann von Euren Erlebnissen, denn er hört gern von fernen Ländern und den Einrichtungen der Menschen. Bist Du die Frau, die den Löwen des Prahlers Theodor getötet, der sich törichterweise den König der Könige nennt? Dein Mut hat einen der Stolzesten meiner Krieger gerettet, doch Du sollst Gelegenheit haben, Dich zu überzeugen, daß er den Löwen nicht fürchtet im Kampf. Wären diese Glieder noch jung und kräftig, würde ich Euch selbst zur Jagd auf die wilden Tiere dieses Gebirge begleiten, wenn Ihr Freude habt an den Aufregungen der Jagd. Ist der Dailkebir Hassan bereits zurückgekehrt? Ich möchte ihm danken, daß er mir diesen Hakim und seinen Freund gesandt hat!« Es lag wie ein leichter Spott bei dieser Erwähnung auf den Zügen des obersten Fürsten.
»Der Dailkebir Hassan, unter dessen Befehl Du mich zur Wüste sandtest,« sagte der Jüngling ehrerbietig, »harrt mit zwei anderen Fremdlingen vor dem Eingang der Halle der Gerechtigkeit, um sie vor das Antlitz unsers Herrn zu führen.«
»Wallah,« gebot der Scheikh, »was denkst Du, Knabe? Hassan ben Simson wartet schon zu lange auf den Tod seines Oberherrn, um seine Geduld mit andern Dingen auf die Probe zu stellen. Sprich, Hakim, Du hast mir versprochen, daß jener Schmerz in meinen Eingeweiden nur einmal zurückkehrt, während die Sonne ihren Weg macht. Ist es für heute vorüber?«
Der Arzt hatte den Puls des Kranken gefühlt. »Wenn Du meinen Vorschriften folgst, wird die Krankheit innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden Deinen Geist nicht trüben, Fürst. Doch erinnere Dich, daß die Fristen sich mit jedem Anfall verkürzen.«
»Wallah, ich fürchte das Ende nicht und brauche nur die Zeit zur Erfüllung meiner Gebote. Laß den Dailkebir eintreten und vertreibe die Wächter, denn Du weißt, daß ihre Wildheit sich jedesmal verdoppelt in seiner Nähe.«
Der Jüngling erhob sich und bedrohte einfach mit einer Handbewegung die beiden Tiere, als er zwischen ihnen hindurchging. Es war, als ob sein sanftes und mildes Wesen seinen Einfluß selbst auf solche Bestien übte. Denn sie zogen sich mit gedämpftem Bellen gehorsam in ihre gewöhnlichen Verstecke zurück. Jesus hob den Teppich, der den Zugang schloß und kam nach wenigen Minuten zurück, ihn vor seinem früheren Begleiter und dessen Gefährten bescheiden zurückschlagend.
Selbst der stolze und feste Schritt des hohen Würdenträgers mäßigte sich, als er in die Nähe des kranken Gebieters aller trat und mit der gleichen Demut wie der Fedais das Knie vor ihm beugte. Doch blieb es weder dem Arzt noch dem Lord unbemerkt, daß dabei sein scharfer Blick das Aussehen des Kranken überflog, als wolle er die Fortschritte der Krankheit messen, und daß er ein gewisses Erstaunen über die neue Erstarkung der welken Gestalt zeigte.
»Der Herr des Gebirges sei gegrüßt,« sagte der Großoffizier. »Meine Augen sehen mit Freuden, daß dieser Hakim ein gelehrter Mann ist, dessen Wissenschaft unserem Gebieter noch viele Jahre der Kraft verspricht. Eblis ist von Deinem Haupte gewichen, und ich danke Allah um so mehr, als Deine Weisheit wichtige Dinge zu hören und zu entscheiden haben wird, wenn diese Ungläubigen Deine Nähe verlassen haben. Hier ist Dein Bote von Stambul, den ich auf dem Wege traf, und ein berühmter Krieger des Negus, unseres Feindes, der ein stiller Geweihter der Hosseini ist, wenn er auch bisher sein Angesicht in Gengarab nicht zeigen durfte und erst jetzt kommt, den Staub vor den Füßen unseres Herrn zu küssen und seiner Weisheit eine Mitteilung zu machen, die mich bewog, ihn vor Dein eigenes Angesicht zu führen.«
Das Auge des kranken Fürsten winkte nach dem dritten Begleiter des Dailkebirs. »Und wer ist Jener dort? Ist er ein Gefährte der Fremdlinge jenseits der Meere, daß Du ihn nach Gengarab führst?«
»Er ist ein Franke wie sie, aber ihr Feind, und er kommt, Deine Gerechtigkeit zu erbitten gegen jene Männer, die Deines Schutzbriefes genießen, so lange sie im Lande der Hosseinis sind. Er wünscht mit dem Inglese zu kämpfen, der ihn beleidigt hat und ihm ein Weib, seine Verwandte, wieder zu entreißen, das jener aus seinem Schutz entführt hat.«
Obschon der Bericht des Dailkebir in jener Sprache erstattet wurde, die selbst dem Arzt und seinem gelehrten Landsmann unbekannt war, hatten doch die Geberden die Reisenden erkennen lassen, daß in den letzten Worten von der Fürstin und dem Lord die Rede war, und der Arzt wollte eben für die Verteidigung seiner Reisegefährten eintreten, als die kurze Entscheidung des Patriarchen, die in der Linguafranca gefällt wurde, ihn dieser Mühe überhob.
»Ist der Franke ein Narr oder ein ungeduldiges Mädchen, das auf den Mann harrt, daß er nicht warten kann mit seinem Streit, bis diese Fremdlinge über die Grenzen unseres Schutzbriefs sind? Was geht uns ihr Streit an? Du hast töricht gehandelt, Hassan, ihn hierher zu bringen. Schick ihn fort, und möge er warten lernen, bis seine Zeit gekommen ist! Diese Fremdlinge stehen unter dem Schutz des Ringes!«
»Der Beisädih,« sagte der Dailkebir, »möge es mit seiner Ehre abmachen, ob er die Aufforderung dieses Franken zum Zweikampf erfüllen mag oder nicht, da er verräterisch an ihm gehandelt hat. Ich hätte ihn nicht vor Dein Angesicht geführt, wenn sein Zeugnis nicht wichtig gewesen wäre in betreff der seltsamen Angabe, die dieser Mann aus Habesch von dem Ringe macht, der dem Scheich al Dschebal die Herrschaft gibt über das Volk der Hosseini. Lasse diese Fremdlinge abtreten, ihre Ohren brauchen nicht die Geheimnisse unseres Glaubens zu hören.«
Der Scheich dachte einige Augenblicke nach, dann machte er eine ablehnende Bewegung. »Nein,« sagte er endlich, »die Homairi haben nichts zu fürchten. Auch versteht keiner der Fremden unsere Sprache, selbst der Mann der Bücher nicht. Rede.«
»So zeige dem Gallas, der ein Refik ist, wie ich erprobt, den Ring, den Du trägst, damit er seine Lüge erkenne und dafür den Tod erleide.«
Der Scheich streckte seine linke Hand aus gegen den Dedschas des Regus, der sie aufmerksam betrachtete und dann demütig zur Erde sank, den Boden mit seiner Stirn berührend.
»Möge das Weltall mich ausstoßen zur ewigen Vernichtung, wenn ich die Unwahrheit rede. Deine Hand trägt den Ring mit der grünen Schlange. Aber ich schwöre bei unserem Glauben, daß ich denselben Ring vor vier Sonnen an der Hand eines anderen gesehen, und dieser mir befohlen hat bei der Macht, die ihm durch den Ring geworden, diesen Fremden zu folgen und den Beisädih zu töten und alle, die mit ihm sind.«
»Soll ich ihn erschlagen für den Koth, den er spricht?« fragte wild der Dailkebir. »Es gibt nur einen Ring, der die Gewalt verleiht, so wahr es nur einen Weltgeist gibt.« Er griff nach dem Dolch in seinem Gürtel.
»Halt ein!« gebot der Patriarch. »Du vergißt, Dailkebir Hassan, daß Du nach unseren Satzungen nicht das Recht über das Leben eines Wissenden im vierten Grade Die Grade nach dem Scheikh sind: die Dailkebirs, Dais, Refiks, Fedais und Lassiks. hast, wenn ein Höherer denn Du zugegen ist. – Kannst Du mir sagen, Refik, woher der Mann kam, der Dir den Ring gezeigt hat?«
»Er kam über das Meer von Osten her. Er ist mit dem Schiff dieser Franken in Arkiko gelandet; bis auf den Hakim hier waren sie alle in seiner Begleitung.«
Der Scheikh wandte sich zu diesem. »Du siehst, Hassan, daß es gut war, die Christen hier zu lassen. Könnt Ihr mir sagen, Freunde, woher der Mann stammt, der Euch durch diesen hier verfolgen läßt?«
»Ich kann es, Fürst,« sagte der Arzt, die Hand aufmerksam auf seinen Arm legend. »Er stammt von den Ufern des Ganges. Er kommt aus Indien.«
»Wallah! – Du kennst ihn? – Hast Du ihn je im Besitz eines gleichen Ringes wie diesen hier gesehen?«
»Nein – damals nicht, als ich den Furchtbaren kannte.«
»Aber ich habe ihn gesehen,« sagte der Lord, »und zwar am Tage der Ausschiffung vom Veloce und im Gespräch mit jenem Manne, der uns ohne anderen Zweck als wahrscheinlich den des Raubes verfolgt.«
»Und wißt Ihr, wer der Träger des Ringes eigentlich ist?«
Der Arzt senkte den Kopf, des Eides gedenkend, den er hatte leisten müssen; auch der Trapper schwieg.
Aber die Fürstin Wera öffnete stolz und kühn den Mund, einen festen Blick auf den Arzt und den Lord werfend. »Ich glaube ihn zu kennen!«
Besorgt sah Doktor Walding, gespannt der Viscount auf sie.
»Will meine Tochter uns den Namen des Geheimnisvollen nennen? Es steht bei ihr!« fragte der Scheikh.
» Nena Sahib, der Peischwa von Bithoor, der Führer des großen Aufstandes in Indien gegen die Engländer.«
Die furchtbare Entdeckung, so kühn und in solcher Umgebung ausgesprochen, machte einen seltsamen Eindruck. Selbst die Homairi, so abgeschlossen von dem weltbekannten Ereignis diese wilde Gegend auch war, schienen doch von dem Namen gehört zu haben. Der deutsche Arzt hatte das Haupt in seine Hände geborgen, der Trapper stand finster und schweigend, Lord Walpole aber sprang mit Entsetzen empor. »Wie, jenes furchtbare Ungeheuer, der Mörder meiner Landsleute lebt noch und befand sich sogar an Bord unseres Schiffes? Irren Sie sich auch nicht Fürstin?«
»Ich glaube nicht zu irren, obschon die Männer, die mein Wort bestätigen könnten, es vorziehen, zu schweigen. Erinnern Sie sich, Mylord, jenes Abends auf dem Veloce, als die indischen Photographieen erwähnt wurden, die Sie in Bombay gekauft hatten; Tank-ki hatte ihn zuerst erkannt und mich darauf aufmerksam gemacht. Sie hat ihn ohne Verkleidung in Peking gesehen und von ihrem Vater gehört, daß er einer der indischen Fürsten aus dem Aufstand sei. Ich glaube jetzt, daß eine zufällige Bemerkung über seine Identität, die mein Interesse erregt hatte, uns seine Rache und Verfolgung zuzog, zu der dieser hitzige Tor« – sie wies auf den Franzosen – »seine Hand geboten hat.«
»Bedenken Sie, Cousine Wera …«
»Ich bedarf weder Ihrer Vormundschaft, Herr, noch Ihres Schutzes,« sagte stolz die Fürstin, »sie gibt Ihnen kein Recht, sich in mein Tun zu mischen, wie ich wiederholt erklärt habe. Wenn Sie hiernach noch Lust haben, den Wegelagerer zu spielen, so tun Sie es auf Ihre Gefahr.«
Der junge Offizier schüttelte drohend die Hand gegen den Lord. »Wenn Sie ein Mann, ein Edelmann sind, sollen Sie auch hierfür mir Rede stehen.«
Frederic Walpole zuckte geringschätzig die Achseln. »Sein heimtückischer Überfall und seine Gemeinschaft mit dem blutigen Mörder Indiens, haben Herrn von Thérouvigne den letzten Anspruch auf die übliche Genugtuung eines Edelmanns entzogen.«
Der Patriarch hob Schweigen gebietend die Hand. Das weiße Haupt in die Hand mit dem Ringe gestützt, hatte er, offenbar sich nur mit dessen Geheimnis beschäftigend, dem Streite zugehört, ohne besonders auf ihn zu achten.
»Gebt Ruhe, Franken, was kümmert mich Euer törichter Zank? Dais Hassan, trage Sorge dafür, daß sie Frieden halten, so lange sie in dem Banne von Gengarab sich befinden. Wehe dem, der den andern schädigt. Du aber, Dedschas des Gebieters von Habesch, der Du doch dem Ringe schworst, also mein Untertan bist, ich entbinde Dich des Gehorsams gegen jenen Ring, den der Mann aus Indien Dir gezeigt hat.«
»So ist also jener Ring falsch und der Refik verdient den Tod!«
»Du dünkst Dich weise und mächtig, Hassan ben Simson, und bist doch blind! Wenn Du erst auf meinem Stuhle sitzest und diesen Ring am Finger trägst, werden Dir alle Geheimnisse unseres Glaubens offenbar sein. Bis dahin wisse, daß es der Ringe mit der grünen Schlange drei gibt, die Eblis für das Geschlecht der gelben, der schwarzen und der weißen Männer gemacht und an sie verteilt hat, damit ihr jedesmaliger Träger Herr sei in seinem Volke und Gebieter über den Tod, wie die drei Sendboten Gabriels die Herren des Lebens sind. Wenn die drei Ringe in einer Hand, die aus dem Samen der Schlange stammt, vereinigt sind, dann erst wird der Tod über alles Leben gebieten und Eblis gleich sein dem Gebieter des Lichts. Bis dahin ist Kampf zwischen Tod und Leben, zwischen dem Gewordenen und dem Geschaffenen. Wenn sie aber alle drei den Söhnen Adams verloren gehen, dann siegt das Licht und der Tod ist verschwunden aus der Welt. Merke Dir, Hassan ben Simson, daß in jedem Kampf der Sieg bei der Macht ist, und deshalb bestrebe Dich lieber, die drei Ringe zu vereinen, damit Du über allen Tod gebieten kannst. Laß den Boten näher treten, den ich nach Kahira sandte.«
Der Dailkebir hatte trotz seines stolzen selbständigen Charakters mit ehrerbietigem Schweigen die furchtbaren Lehren des Greises angehört und winkte dem am Eingang zurückgebliebenen Lassik oder Novizen die Grenze zu überschreiten, welche die beiden seltsamen Wächter bewachten. Der Bote nahte sich demütig, überreichte knieend dem Scheikh eine Pergamentrolle, die mit allerlei seltsamen Zeichen beschrieben war und harrte seiner Fragen.
»Berichte, was Deine Ohren vernommen in der Stadt der Pyramiden!« befahl der Patriarch.
»Möge Dein Schatten lang sein, o Gebieter,« berichtete der Bote. »Das Reich der Gläubigen hat einen schweren Verlust erlitten. Sie sagen, daß der große Bluttrinker in Stambul der Macht des Todes erlegen ist und daß ein anderer den Thron der Kalifen bestiegen hat.«
»Abdul Medschid tot? Er war ein Schwächling als Zuflucht der Welt Alem Penah – Titel des Großherrn, – desgleichen Hunkiar: Menschentödter. und kein Hunkiar. Er hat sich vom Moskowiten am Bart zausen lassen und es nicht begriffen, daß die Ismaeliten allein den Krieg für die Gläubigen führen können. Wer ist ausgerufen zum Imaum-ul-Uslemin (Oberhaupt der Muselmänner)?«
»Abdul Aziz, der Bruder des verstorbenen Sultans.«
»Ein Schwächling, wie er, und ein Sklave der Franken. – Hat er Sajid Pascha vom Amt des Khedive entfernt?«
»Der Ferman, Gebieter, den ich in Kahira ausrufen hörte auf der Straße, hat Sajid Pascha bestätigt. Ja, man sagt, daß er sich bereitet, eine große Reise in die Länder der Franken zu machen und seinen Nachfolger und Neffen mit sich zu nehmen, um die Sitten der Franken kennen zu lernen.«
Der Scheikh lächelte. »Mustapha Pascha Er verunglückte später auf der Eisenbahn von Alexandrien, durch Entgleisung des ersten Zuges, auf dessen Schienen sich, wie es heißt, ein Ismaelit geworfen hatte. wird niemals den Sitz Mehemeds einnehmen, für den Ismaël Pascha alljährlich richtig den Tribut an Gengarab entrichtet, dessen er sich geweigert hat. Doch ist es notwendig, daß die Söhne Ismaëls ihre Augen offen halten. Hassan ben Simson, mache Dich fertig, nach Kahira zu reisen. Du wirst zehn der Fedai's aus Gengarab mit Dir nehmen, damit Du den Tod in Deiner Hand hast.«
Der Dailkebir machte unwillkürlich eine Bewegung der Mißstimmung über diesen Befehl.
»Herr, in diesem Augenblick dürfte es nicht gut sein, Dich in schwerer Krankheit zu verlassen.«
»Wie, Mann des Ungehorsams? Glaubst Du schon den Stein mit der Schlange an Deinem Finger zu haben? Ich sage Dir, es ist nötig für unser Volk, daß der Dailkebir des Nils in diesem Augenblick auf seinem Posten sei und nicht an dem Lager eines Kranken. Noch ist der Odem in diesem Leibe, und dieser Hakim versichert mich, daß Azraël noch Wochen und Monden lang Frist geben mag. – Sieh diese Phiole, die Tropfen ihres Inhalts machen den Todesengel an der Schwelle dieser Halle zögern, wenn sie mit Maß genossen werden. Mache Dich bereit, wenn ich die Stunde der Reise gekommen glaube, bis dahin lasse diese Fremdlinge die Gastfreundschaft von Gengarab genießen, dann mögen sie, von Jesus geführt, Dir zum Nil folgen, während Du jenseits der Katarakte auf den schnellsten Rossen vorangehst. Geh, der Gebieter über Leben und Tod hat gesprochen, und nimm sie alle mit Dir, – ich will mit diesem Weibe allein sein!«
Der Dailkebir wagte nicht länger zu widersprechen und führte mit finsterer Miene die Europäer und den Abessynier aus der Halle.
»Schließ den Eingang, Mariam,« befahl der Kranke, »zieh die Teppiche, damit nicht neugierige Augen auf uns schauen, und kette die Wächter los.«
Die alte Frau gehorchte; niederrauschende Vorhänge schlossen den Raum, in welchem der Scheikh ruhte, nach jeder Seite ab, und die beiden zähnefletschenden Paviane, deren Geschlecht sich bekanntlich durch überaus scharfes Gehör auszeichnet, und die sich ohne Tücke, ja sogar mit schmeichelnden, geilen und widerwärtigen Geberden von der Frau hatten losmachen lassen, als wüßten sie aus Gewohnheit, welcher Lohn ihrer später warte, krochen durch die Halle, um nachzuspüren, daß auch niemand in der Nähe lausche, und kauerten sich dann zähnefletschend und horchend an der äußeren Pforte nieder.
»Wallah! Die Wächter sind stumm und treu, und Du wirst ihnen dann eines Deiner jungen Weiber zur Belohnung überlassen, daß sie ihre Begierden daran sättigen. – Ich hätte ihnen am liebsten jene Moskowitin gegönnt, auf die, wie ich wohl gemerkt habe, der Dailkebir, wie der Beisädih und sein Feind, der Franke, gleich sehnsüchtig ihre Blicke heften – aber der Hakim hat mir ihre Sicherheit bei einem Eide abgerungen, der der einzige ist, den der Scheikh-al-Dschebal zu halten verbunden ist. Ich fürchte, Mariam, Du selbst hast ihnen den Gedanken ins Ohr geblasen.«
»Ich habe es getan!«
»Und kannst Du mir sagen, welchen Grund Du hattest?«
»Sie sprachen von den Zelten meiner Jugend, und ich gedachte meiner Mutter, die eine Christin war. Die Söhne meines Stammes sind es, die auf die Franken harren werden an der Nadel der Wüste und sich verbindlich gemacht haben, sie durch die Wüste zum Nil zu geleiten, wo sie sicher sein werden.«
Der Scheikh neigte das Haupt. »So sende noch heute einen sicheren Boten zu ihnen, der sie mit dem Eigentum der Franken und ihrer Genossen sich bereit halten läßt gegenüber, dort, wo der Djebel die drei Felsspitzen hinein streckt in die Wüste. Die Krieger, die Hassan bei den Franken zurückgelassen, werden genügen, die Männer von Habesch zurückzuhalten, bis ihr Anführer erscheint. Laß Jesus sich bereit machen, die Franken zu begleiten und unter ihrem Schutz nach Kahira zu folgen.«
»Aber warum willst Du ihn fortsenden von hier und warum sendest Du ihn nicht mit Hassan oder den Dailkebir mit den Franken?«
Der Patriarch richtete sich auf dem Lager empor.
»Mariam, vermagst Du stark zu sein?«
»Ich denke, Johannes; Mariam hat viele Deiner Geheimnisse getragen, ohne daß die Last sie gebeugt hat. Wenn ihr Haar weiß geworden, wie das Deine und ihre Gestalt sich gebeugt hat, so geschah es von der Last der Jahre, Scheich!«
»Wohl denn! Weißt Du, was der Franken-Hakim mir gesagt hat?«
»Du sagtest es selbst zu Hassan ben Simson!«
»Ich habe ihn und Dich getäuscht. Ehe die Sonne zum vierten Mal sinkt hinter dem Djebel Langai, ist Johannes vom Berge nichts als eine Handvoll Staub, und der Staub vermag das Leben des Enkels unseres einzigen Kindes nicht mehr gegen den Stahl oder das Gift des neuen Scheikh-al-Dschebal zu schützen.«
Der alten Frau tropften schwere Tränen aus den Augen. »Wer weiß es, daß Jesus von unserem Blut ist?«
»Niemand – bis jetzt! Dank Deiner und meiner Sorge, die uns den Knaben gleich Moses im Schilf durch die Tochter Pharaos in der Wüste finden ließ und ihm weder Vater noch Mutter gab. Wenn Hassan ben Simson nur eine Ahnung des Gedankens gehabt hätte, so wäre der Enkel Deines Sohnes längst nicht mehr unter den Lebendigen. Darum sende ich ihn zu den Schülern Abdallahs nach Kairo, damit er die Geheimnisse unseres Glaubens kennen lernt an ihrer hohen Schule. Nur ein Mann weiß dort von seiner Abstammung, damit er von ihr hört, wenn die Zeit gekommen ist.«
Das Auge der alten Frau, das gewöhnlich sanft und mild war, blitzte empor. »Und wenn Du Dein eigen Fleisch und Blut von Hassan gefährdet glaubst, noch hast Du die Macht, – warum vernichtest Du ihn nicht? Das Prinzip der Lehre Ismaëls ist doch der Tod für den, der uns im Wege steht!«
Der furchtbare Repräsentant des Ich wiegte verneinend das Haupt. »Nein,« sagte er, »Tod und Blut sind genug gewesen in der Familie ben Sabbahs des Homairi um den Besitz des grünen Ringes! Du weißt, daß der Sohn gegen den Vater Mahommed wurde von seinem Sohne Hassan III. vergiftet, und Rokneddin Charschah ließ seinen Vater Mohammed III. ermorden. und der Bruder gegen den Bruder Gift und Dolch erhob. Nicht das Geschlecht der Busurgomids darf den Islam führen zum Sieg über das Kreuz, sondern das Blut ben Sabbahs, und Jesus ist der letzte dieses Blutes. Darum will ich sein Haupt bewahren, bis er es selbst zu schützen vermag gegen seine Feinde.«
»Du täuschest Dich, Johannes,« sagte die Frau. »Jesus ist die Liebe und nicht der Kampf.«
»So möge er untergehen in feigem Selbstopfer. Nur im Siege und in der Herrschaft wohnt das Leben. Ich habe das Meine getan. Ist der Mann da, den ich Dir heimlich zu entbieten befahl, wenn meine Stunde gekommen sei?« –
»Nureddin der Dailkebir von Kuhistan harrt Deines Befehls auf dem geheimen Wege, der von der Tiefe zur Höhe, aus dem Staube zur Herrschaft führt. Ich sah das Zeichen seiner Ankunft. Soll die Pforte sich öffnen für ihn?«
»Ich will ihn prüfen; doch zuvor laß uns scheiden für dieses Leben.«
»Mariam wird mit Johannes in den Tod gehen.«
»Nein; ich verbiete es Dir! Du sollst leben, um dem Knaben zur Herrschaft zu helfen. Wen hat er sonst noch als Dich? Die Zeit ist nahe, in welcher der Kampf des Kreuzes beginnen wird gegen den Halbmond, und die Moslems werden einen Herrn brauchen. Das sei die Aufgabe des letzten aus meinem Blute. Hole den Mann, dem der Ring der grünen Schlange gegeben werden soll, bis ihn ein besserer aus seiner Hand zurückempfängt.«
Die Khanum beugte jetzt demütig das Haupt und entfernte einen der Teppiche, die das Lager ihres Gatten bildeten. Eine der Porphyrplatten bewegte sich um sich selbst, als ihre Hand auf die Ecken drückte, und eine ihrer Größe entsprechende, in tiefe Finsternis führende Öffnung, wie zu einer unterirdischen Treppe kam zum Vorschein.
Es war als ob aus der Tiefe herauf ein Licht leuchtete.
»Steige empor, Dailkebir von Kuhistan! Der Meister bedarf Deiner.«
Es war, als erhöbe sich das Licht auf diesen Anruf langsam aus der Tiefe. Dann, näher und näher kommend, zeigte es sich, daß es der Schein einer offenen kupfernen Lampe von uralter Form war, die ein Mann in seiner Linken über dem Haupt emporhielt, während seine Rechte einen breiten Dolch von persischer Form umfaßt hielt.
»Der Meister hat gerufen,« sagte der Fremde, vorsichtig auf den Stufen heraufsteigend, die aus unabsehbarer Tiefe emporführten. Als er an das Licht des Tages trat, sah man, daß er ein Mann von etwa fünfzig Jahren war, in ein kaftanartiges grünes Gewand gekleidet. Die Farbe seines Turbans war weiß, sein Gesicht gebräunt, scharf geschnitten, mit kühn, gleich dem Schnabel eines Adlers, hervorspringender Nase. Er machte den Salem an dem Lager des Scheikh und blieb, die Arme über die Brust gekreuzt und das schwarze, glänzende Auge scharf auf den Kranken heftend, in aufrechter Haltung stehen, während ein Wink des Patriarchen die Frau in den äußeren Raum verwies, wo sie das nachfolgende mit gedämpfter Stimme geführte Gespräch nicht mehr zu hören vermochte.
»Setze Dich hier neben mich nieder, Nureddin, und beantworte meine Fragen, damit ich sehe, ob Du geistig die Kraft hast, über das Volk Ismaëls zu herrschen, denn die Stunde ist nahe, wo ich den Ring in andere Hände legen muß.«
»Möge sie noch lange fern bleiben!« sagte der Hosseini, zugleich dem Befehl seines obersten Herrn folgend. »Frage! Und möge Dein scheidender Geist mich erleuchten.«
Fragen und Antworten folgten jetzt rasch aufeinander.
»Wer hat das Weltall gemacht?«
»Der Urgeist.«
»Wer regiert?«
»Der Wahn, das ist der Glaube.«
»Und wer beherrscht den Wahn?«
»Wer an nichts glaubt, als an das, was sicher ist!«
»Nenne es!«
»Der Tod! Alles andere ist eitel.«
»Was ist der Tod?«
»Die Auflösung des Stoffes in einen anderen!«
»So glaubst Du an die Fortdauer der Seele nach dem menschlichen Tode?«
»Der Geist, das ist die Kraft, die der Urgeist gemacht hat. Was ist, ist und kann nicht aufhören zu sein. Das ist das einzige, was wir glauben können, weil wir es wissen. Der Urgeist allein bestimmt den Wechsel der Formen.«
»Was nennst Du den Urgeist? Jehovah? Brahma? Allah? Gott?«
»Der Urgeist ist der Urgeist! – er selbst! – was kommt es auf den Namen an, den das von ihm Gemachte ihm gibt.«
»Du kennst die Lehre Mosis? – Brahmas? – Christi? – Mohammeds?«
»Ich kenne sie!«
»Und glaubst an sie?«
»Ich glaube an den Urgeist. Alles andere ist Menschenglaube. Aber der Glaube regiert, denn der Wahn ist mächtig über alles, was lebt. Wir sind gemacht, und wir sterben, um zu erfahren, was richtig ist.«
»Welche der Lehren, der Religionen, die ich Dir genannt, hältst Du für die mächtigste?«
»Die, welche dem Menschen am meisten schmeichelt. Denn der liebste Gott des Menschen ist das Ich!«
»Und welche der Religionen ist das?«
»Die Lehre Mahomeds.«
»Warum?«
»Weil sie dem Menschen nach dem Tode alles verspricht, was im Leben seinem Ich gefallen hat, was er also kennt und versteht!«
»Du siehst scharf, Nureddin. Also folge dem Gebot unserer Gründer und schaffe dem Islam die Herrschaft über die Menschen.«
»Die Zeit wird kommen. Sein Wahn ist das beste Mittel, zu herrschen.«
»Glaubst Du an Recht und Unrecht? An Tugend und Sünde?«
»Der Begriff ist Wahn. Recht ist, was die Kraft erlaubt. Unrecht ist der Gehorsam, den der Stoff fordert. Alles andere ist Wahn, also Fessel für die Kraft.«
»So gibt es für Dich keine Grenze und keine Pflicht?«
»Das Ziel der Söhne Ismaëls ist: zu herrschen über alle. Die einzige Pflicht, die gehalten werden muß, ist der Schwur bei dem Ring.«
»Gut! Reich mir die Hand, Nureddin – ich erkenne Dich würdig über Wissende und Gehorchende des Volkes Ismaëls zu herrschen. Du wirst es, ehe drei Sonnen aufgestiegen sind. Bis dahin stärke Deinen Geist durch Fasten und Betrachtung in der Finsternis, zu der wir alle gehn und ich zuerst. Ich habe Dir einiges zu sagen und einige Ratschläge für Deine Herrschaft zu geben.«
»Sprich! Meine Ohren sind Deiner Weisheit und Erfahrung geöffnet.«
»Vernimm! Von den drei Ringen, die Eblis gemacht hat, als auf den Befehl des Urgeistes Gabriel den Menschen die Seele einblies, ist nur einer in der Hand der Kinder Ismaëls. Der zweite ist denen gegeben, die zu Brahma beten. Der dritte wurde den Juden und ihren Nachkommen, den Christen. Die Juden haben ihn hingegeben um den Besitz alles Geldes, weil sie darin die Herrschaft der Welt sahen. Unter den Christen aber soll eine Sekte sein, die in ihm das Zeichen der Macht und ihres Berufs zur Herrschaft über alle sieht, weil sie gleich uns an nichts glaubt, als an die Macht. Du findest das Geheimnis der Ringe in den Urkunden, deren Besitz Dir der Ring überliefert.«
»Ich danke Dir, Johannes. Es sind die Hosseini der Christen.«
»Ich sende noch diesen Abend mit aufsteigendem Mond Hassan ben Simson gen Kahira, um unsere Interessen dort zu wahren, da der Thron der Kalifen durch den Tod Abdul Medschids erledigt ist und es noch nicht so weit war, daß ein Sohn unserer Verbindung ihn besteigen konnte. Hassan glaubt Anspruch zu haben auf den Ring, und deshalb ist es gut, daß er entfernt ist, wenn Du ihn erhältst, den ich zu meinem Nachfolger gewählt habe, denn er hat Anhang unter den Refiks. Auch befinden sich in diesem Augenblick Fremdlinge aus Frangistan auf Gengarab unter dem Schutz des Ringes, die gleichfalls morgen ihre Weiterreise zum Nil auf anderem Wege antreten sollen. Sorge dafür, wenn der Urgeist über mich bestimmt, ehe ich sie schützen kann, daß ihrer Reise kein Hindernis in den Weg gelegt werde, denn es befindet sich ein vornehmer Beisädih unter ihnen, und wir müssen die Partei der Inglese in diesem Augenblick am Hofe des Vizekönigs in Kairo gegen die Franken, die einen Kanal vom Meer zum Meer bauen wollen, der dem Khedive neue Macht geben würde, unterstützen.«
»So sei es. Haben die Fremdlinge Deinen Teskareh?«
»Mit Schrift und Siegel! Alle nötigen Anordnungen sind getroffen. Nun, Nureddin, hat Dein alter Lehrer noch eine Bitte an Dich!«
»Rede, Johannes!«
»Ich lasse meine alte Khanum Mariam zurück unter Deinem Schutz. Sie gehört zu den weisen Frauen, und ihre Klugheit ist groß wie ihr Ansehen unter denen, die noch an den Propheten glauben. Lasse ihre Stunde leicht sein, wenn sie naht.«
»Sie soll unterm Schutz des Ringes stehn!«
»Dafür wird sie Dich rufen, wenn der Augenblick gekommen ist, in dem Du ihn von meinem Finger nimmst. Verlaß mich jetzt, denn ich habe der Dinge noch viele zu tun.«
Der künftige Fürst der Berge reichte dem Kranken die Hand, dann stieg er, die Lampe nehmend, die ersten Stufen zur Tiefe hinab, aus der er so heimlich gekommen war.
»Fahre wohl, Johannes! Dein Geist und Dein Wille bleiben unter uns!«
»Möge Dein Regiment lang sein!« Der Patriarch wandte das Haupt, um das langsame Verschwinden des Persers nicht zu sehen – vielleicht überkam doch eine menschliche Schwäche diesen furchtbaren Apostel des Todes. Dann klopfte er, sich rasch ermannend, mit einem stählernen Hammer auf die Silberschale, die neben der Phiole auf dem niedern Tisch stand, und sogleich erschien durch die Öffnung der Teppiche wieder die alte Frau.
»Ich danke Dir, Mariam,« sagte der Fürst – »Alles ist geschehen und für Dich und Jesus gesorgt. Wo ist der Hakim?«
»Er ist mit Simson und den Fremden auf dem äußeren Wege zum Tale gestiegen zum Kampfplatz am Zwinger der Tiere, um Pferde zu probieren und die Tiere der Berge zu sehen.«
»Und der Jüngling?«
»Er ist mit der Frau aus dem Eisland im Garten am Kiosk!«
»Aber der Tor, der alles zu wissen glaubt, weil er aus den Büchern zu lesen vermag?«
»Er weigerte sich, sie zu begleiten und sitzt unter den Pergamenten vergraben in der Halle.«
»Es ist gut so! Ich habe meinen Beschluß geändert. Der Dailkebir Hassan wird noch diesen Abend von dem Fuße des Berges aufbrechen gen Kahira, ohne die Burg erst zu betreten, und Deine Schützlinge werden ihm beim Aufgang der Sonne über das Gebirge folgen. Geh und sende sogleich den Boten zur Nadel der Wüste ab, wie ich Dich geheißen. Dann hole mir den Mann, der in allen Büchern liest und laß ihn einige der Pergamente mit sich bringen, damit ich mit ihm darüber spreche! Meine Seele liebt es, nach der Unterredung, die ich gehabt, in törichtem Geschwätz einige Ruhe zu finden.«
»Darf ich wieder kommen zu Dir, Johannes?«
»Nein. Nimm die Moskowitin und den Knaben mit Dir zum Altan am Kiosk, von dem aus Ihr den Spielen am Fuß des Felsens zusehen mögt. Du magst dort der Moskowitin und Jesus ihre Abreise auf morgen mit Aufgang der Sonne verkünden. Ich werde sie dem Beisädih und dem Hakim selbst ansagen diesen Abend, denn bis dahin darf kein unnützes Wort davon verlauten. Zuvor sende mit einem der Geschnittenen das Weib, das Du für die Höhle der stummen Menschen bestimmst!«
Die alte Frau, obgleich an das Schreckliche gewöhnt, schauderte. »Muß es sein, Johannes? Es ist wider alle Natur!«
»Schweig, Törin! Die Mantelträger waren treue Wächter und müssen den versprochenen Lohn haben. Hörst Du nicht, wie sie bereits ungeduldig werden? Sie wissen nichts von dem Paradiese des Propheten und seinen Houris – aber ihr Instinkt hat sie Treue gelehrt. Was kommt es auf ein Weib an. Gehorche!«
Die Khanum verbarg das alte faltenreiche Antlitz und wandte es von den Bestien ab, als sie zwischen ihnen hindurch ging und ihr Gewand unwillig und drohend aus ihren Klauen befreite.
Der Assassinenfürst war eine ganze Zeit in tiefem Nachdenken allein, bis endlich zwei der verschnittenen schwarzen Sklaven, nicht viel weniger wild und unzurechnungsfähig, die Bestien mit ihren Eisenkloben zur Seite schoben und damit dem armen Professor Peterlein Eintritt verschafften, der ein großes Packet Pergamente unter beiden Armen, die Brille hoch auf die Stirn geschoben, mit ängstlichen Schritten hinterher trippelte und einen großen Umweg um die zähnefletschenden Affen machte.
»Hört, Freunde,« sagte er, »es ist mir zwar von höchstem Interesse als Naturkundiger, zwei so ausgezeichnete Exemplare des Cynocephalus Hamadryas, vulgo Silberpavian beobachten zu können, nach Hasselquist: Simia aegyptiaca, arabisch: Khird, abessinisch: Hoba oder Kombei genannt, wie sie selten ein Naturforscher zu beobachten Gelegenheit gehabt hat, obgleich ihm seines ehrwürdigen Aussehens und sonstiger Eigenschaften wegen schon die Alten besondere Achtung zollten. Vielleicht wird es somit möglich, die Beobachtungen meines Freundes Ehrenberg im 2. Band seiner Symbola oder Rüppel und Bayssière und Schimper zu vervollständigen, der erzählt, daß die Frauen ihren Wutausbrüchen ganz besonders ausgesetzt sind und die abessynischen Mädchen, welche um Brennholz zu holen, die Berge besteigen, dieses Tier weit mehr fürchten als selbst den Leoparden. Und darum, weil sie so wilde und grimmige Tiere sind, die nicht einmal das schwache Geschlecht schonen, möchte ich Euch bitten, ob Ihr nicht besser tätet, diese Affen vielleicht an ihre Ketten zu legen oder an einen sonstigen sichern Aufenthalt zu sperren, wo sie ehrlichen Christenmenschen und einem nicht ganz unwürdigen Jünger der Wissenschaft keinen Schaden zufügen können, während er mit Eurem sehr würdigen Herrn und Gebieter, dem sogenannten Alten der Berge ein für die geschichtlichen Forschungen nicht unwichtiges Zwiegespräch hält.«
Die beiden Mohren begnügten sich, den Jünger der Wissenschaft anzugrinsen, hinter dem Teppich her aber erscholl mit spöttischem Lachen eine Stimme, die in dem Sprachengemisch, dessen sich die Redenden schon früher bedient hatten, ihm zurief: »Komm hierher, törichter Mann der Bücher, der nicht einmal begreift, daß diese Halbmänner seine Worte nicht verstehen.« Dann, indes der gelehrte Professor vorsichtig den Teppich hob, und sich dem gefürchteten Mann mit einer Verbeugung näherte, wechselte dieser das Idiom und befahl: »Sperrt die Affen in ihre Höhle und bewacht die Tür.«
Während die Mohren die beiden, jetzt immer wilder schnaubenden Ungetüme nach dem zu ihrem Lager dienenden Raum trieben und das Eisengitter, vor diesem schlossen, hatte der Natur- und Geschichtsforscher auf den Wink des Patriarchen an seiner Seite Platz genommen, fest entschlossen, die günstige Gelegenheit und die anscheinende Laune seines seltsamen Gastherrn nicht unbenutzt zu lassen, um sich möglichst viele Auskünfte über das Volk der Assassinen zu verschaffen, was bei seiner Rückkehr nach Europa neuen und unerhörten Forscherglanz um seine Stirn flechten mußte.
Wirklich schien der Fürst ganz besonders gut gelaunt; denn obschon er, ohne daß es sein Gast merkte, ihn selbst zum Auskramen seines dünkelhaften Wissens brachte und nur manchmal eine höhnende Bemerkung oder eine scharfe Frage nach europäischen Sitten und Meinungen dazwischen warf, unterhielt er fast eine Stunde lang ein Gespräch mit ihm, das ihn sehr zu ergötzen schien, und zu dem er den Stoff aus den Pergamenten nahm, die der würdige Professor mit Erlaubnis der Khanum hierher gebracht hatte, und in deren Erörterung er jetzt so vertieft war, daß er auf den Vorgang in der äußeren Halle nicht geachtet hatte, bis ein entsetzliches wehklagendes Geschrei in nächster Nähe ihn aufschreckte.
In der Tat hatte sich dort eine jener scheußlichen Szenen ereignet, die sich nur im Andeuten beschreiben lassen, von denen der Verfasser der »transatlantischen Skizzen« erzählt und gegen die nur die Barbarei des Orientalen oder die abstrakte Beobachtung des Gelehrten gleichgiltig bleibt.
Durch den Eingang war ein junges Weib, eines jener Mädchen, welche die Fremden am Eingang der Frauengemächer empfangen, von unsichtbarer Hand in die Halle geschoben und sofort von den beiden Mohren ergriffen worden, die, obschon bereits eine Maske von starkem Eisendraht Gesicht und Busen umgab, noch ein Tuch um ihren Kopf schlangen und sie trotz ihres Wimmerns und Widerstrebens zu dem Kerker der beiden Paviane schleppten, die Unglückliche hinein stießen und grinsend hinter ihr das Gitter wieder schlossen.
Einige Augenblicke wehrte sich das Mädchen ziemlich lautlos gegen die Angriffe, mit denen in bestialischer Gier die beiden Affen über sie herfielen, dann aber, als bei ihrem Unterliegen die Krallen der Paviane selbst das schützende und ihr Wimmern erstickende Tuch zerrissen hatten und sie durch den Widerstand, den ihr Gebiß an der starken Drahtmaske fand, noch wilder geworden, gellte der Hilferuf der überwältigten so furchtbar und entsetzlich zwischen das Hohnlachen der beiden Mohren, daß der kleine Professor erschrocken aufsprang, das Pergament, das er eben zu entziffern suchte, zu Boden werfend.
»Um Himmelswillen – was geht dort vor? Das ist eine Weiberstimme – wenn Du ein Mensch bist – Herr –«
»Was kümmert uns das Weib!« sagte ruhig der Assassinenfürst. »Es ist nichts los; setze Dich, Freund, und nimm diese Schrift auf – sie berichtet von unserem Bündnis mit den Templern, und ich schenke sie Dir. Wenn Du so schwache Nerven hast, hättest Du nicht nach Gengarab kommen sollen. Ich habe gehört, daß die Kaiser Roms die Christenmädchen im Zirkus den Löwen und Tigern zum Zerfleischen vorwarfen, und dieser Sklavin geschieht nichts, was ihr ans Leben geht; sie möge sich ihrem Kismet fügen und Männer nicht stören, wenn sie nicht Schlimmeres erfahren will. Setze Dich, Franke, und laß uns fortfahren!«
Aber noch einmal gellte das Geschrei, bis es in Wimmern und Schluchzen erstickte.
»Nimmermehr! Ich will wissen, welche Schandtat hier geschieht – und wenn ich sie hindern kann …«
Der kleine furchtsame Gelehrte war auf einmal ein halber Löwe geworden – ein entsetzlicher Gedanke war ihm gekommen, er sprang nach den Teppichen, ein glücklicher Griff ließ ihn die öffnende Schnur erfassen und riß sie zur Seite, daß die Halle mit ihrem ganzen scheußlichen Schauplatz vor ihm lag. »Ungeheuer – haltet ein!« – er wollte vorwärts springen zu Hilfe, aber die Kniee knickten unter ihm zusammen. »Wenn ein Weib Dich geboren, – hilf! rette!«
Aber schon war andere Hilfe zur Stelle, als sie der wirksamste Anruf an den über seine barbarische Handlung verächtlich die Achseln zuckenden Greis hätte erwirken können; denn rechts und links von kräftiger Hand getroffen, taumelten die beiden Mohren zu Boden.
» Goddam! Schwarze Schurken! Seid ihr schlimmer als die Bestien des Waldes?«
Ein Griff der gewaltigen Faust riß das Eisengitter aus seinen Fugen, hinter dem der Mädchenleib sich unter den langen behaarten Armen der Affen wand und den blutenden Körper aus ihren Klauen. – –
Der Dailkebir, als er die Fremden auf den Befehl des Fürsten aus der Halle führte, geleitete sie zunächst zu einem Gemach, wo ein Imbiß nach orientalischer Sitte für sie bereit war: Pillaw, gebratenes Lammfleisch, Hühner, deren es zahlreiche Gattungen im Gebirge gibt, Früchte und scharfer Araki, wie er über Aden aus Indien und von den Molukken kommt. Er machte den Wirt, nötigte seine Gäste zum Zulangen und schlug ihnen dann vor, in das Tal hinabzusteigen, um die Rosse, die dem Fürsten und den Dais gehörten, zu besichtigen, oder den Waffenübungen der jungen Männer und den Kämpfen der wilden Tiere beizuwohnen, von denen stets eine Anzahl in den Gewölben am Fuße des Felsens unterhalten würde. Vergebens versuchten sowohl der Arzt wie der junge Engländer in der Unterhaltung so viel Auskunft wie möglich, nicht allein über die Sitten des seltsamen Volkes, unter dem sie sich befanden, sondern auch über die Lage der Burg und die Ausdehnung des Tales nach Süden und Norden zu erhalten. Der Dailkebir antwortete zurückhaltend, und so sahen sie sich auf ihre eigenen Wahrnehmungen beschränkt, bis sie erklärten, ihm in das Tal folgen zu wollen, ohne daß sie vorerst einen Begriff hatten, auf welchem Wege dies geschehen könne.
Dieses Rätsel wurde ihnen jedoch bald gelöst, als der Dailkebir sie ins Freie und zu dem entgegengesetzten Abhang des Felsenplateaus führte; denn hier öffnete sich, und auf gleiche Weise bewacht und mit einem riesigen Fallgitter versehen, ein Torweg wie auf der Seite gegen die Bergwand, nur daß hier die Fallbrücke fehlte und der Ausgang in die freie Luft führte. Als sie aber der Schwelle näher traten, bemerkten sie, daß vor dem Ausgang ein kurzes altanartiges Plateau sich befand und von diesem etagenartig eine ziemlich bequeme breite Treppe, zum Teil in den Fels selbst gehauen, an diesem bis zur Tiefe niederführte. Außerdem streckte sich statt der Zugbrücke über dem Tor eine Maschinerie hinaus, welche die Europäer sofort als einen Krahn erkannten, mittels dessen Lasten oder ein weiter Korb in die Tiefe gelassen oder vom Boden emporgehoben werden konnten.
Eine Anzahl von Männern und Jünglingen je nach der verschiedenen Abstufung ihres Grades hatte sich um das Tor versammelt und das aufmerksame Auge des Arztes bemerkte, wie der Dailkebir die besonders auswählte, die er zu ihrer Begleitung bestimmte.
»Ziehen die Franken vor,« fragte er alsdann höflich, »die bequemere Art des Niedersteigens in dem Kettenkorbe zu wählen, oder fürchten sie den Schwindel auf diesen Steinstufen nicht? Was bringst Du, Jesus? Will die Königin der Brustlosen uns zur Jagd begleiten, oder der Mann der Bücher dem Kampf im Tierzwinger beiwohnen?«
»Die Khanum hat die fremde Frau bei sich behalten, sie wird von dem Altan des Kiosk aus den Übungen unserer Tapferen zuschauen, und der Fürst Johannes hat den Mann der Bücher zu sich entboten.«
»So geh zurück zu den Weibern, Knabe,« sagte der Dailkebir spöttisch, »ihre Stimmen klingen in Deinem Ohr süßer als der Klang des Stahls. Wir werden später einen Ritt durch das Tal machen und zurückkehren, wenn die Sonne sinkt.«
Der Engländer wandte sich zu seinem Begleiter, dem Trapper. »Es wird gut sein, Freund, wenn unsere Schutzbefohlene nicht so ganz verlassen zurückbleibt. Ich bitte Dich daher, in ihrer Nähe zu verweilen, bis wir zurückkehren.«
Der Riese nickte zustimmend. »Gehn Sie unbesorgt, Mylord – so lange diese Knochen zusammenhalten, wird ihr nichts geschehen. Doch Sir, achten Sie auch auf sich selber. Sie wissen, in welcher Gesellschaft Sie sich befinden.«
Lord Frederic nickte ihm zu. »Sei unbekümmert, Freund. Es ist nötig, diesen Männern so wenig Mißtrauen wie möglich zu zeigen, bis wir alle wieder vereinigt sind. – Geh voran, Aga, wir sind bereit, Dir zu folgen!«
Der Dailkebir begann ohne weitere Bemerkung die Treppe niederzusteigen, wozu man allerdings, da ihr die Seitenlehne fehlte, ziemlich schwindelfrei sein mußte, da unwillkürlich das Auge sich in die Tiefe tauchte. Aber je weiter sie kamen, desto breiter und sicherer wurde der Weg und mit steigendem Interesse mußte sie die Landschaft erfüllen, die unter ihrem Auge emporzuwachsen schien. Bald konnten sie auch deutlich erkennen, daß um den Fuß des Felsens, von Neugier und Schaulust herbeigezogen, sich zahlreiche Menschengruppen sammelten, teils zu Fuß, teils zu Roß, bis sie sich endlich in dem sich um sie bildenden Kreise befanden. Unter der Menge zeigten sich viele Frauen und Kinder, und der Arzt bemerkte mit einer gewissen Befriedigung, daß selbst das niedere Volk nach orientalischen Begriffen ziemlich reinlich und nicht mit jenen unsauberen Lumpen bedeckt war, die sich in Ägypten überall aufdrängen. Es schien ein strenges Regiment über dieses Volk zu herrschen, denn auf den geringsten Wink des Emirs machte die Menge sofort Platz.
»Wo ist der Leib dessen, der gehorsam eingegangen ist in das Paradies,« fragte der Dailkebir, während er durch die Reihen schritt.
»Sie haben ihn in das Haus seiner Mutter gebracht,« sagte andächtig ein alter Mann. »Allah ist groß und gnädig, daß er ihn so jung sterben ließ zu seiner Ehre. Ich bin der Bruder seiner Mutter.«
»Du bist Mehmed, der Barbier, ich kenne Dich wohl. Ich habe mit Dir zu sprechen. Warte hier auf mich. Laßt die Pferde vorführen zu einem Wettritt.« Dann wandte er sich zu einem der Dais. »Suche die Fremdlinge eine halbe Stunde zu beschäftigen; ich habe mit einigen unserer Getreuen zu reden. Du weißt, daß das Priorat im Dschebal erledigt ist. Hat sich etwas ereignet?«
»Nein – wir warten auf das Zeichen. Ist Azraël dem Scheich näher getreten? Das Volk liegt in den Moscheen auf den Knieen.«
»Die Toren! Jener Mann dort ist ein fränkischer Hakim, den ein böses Geschick nach Gengarab geführt und ich selbst mußte ihn geleiten. Seine Kunst hat Azraël aufs neue gebannt. Du kennst die Tücke des Fürsten – er hat vor, mich nach Kahira zu senden – aber ich weiche nicht, ehe ich Gewißheit habe. Du weißt, wir haben Feinde im Rat der Dais!«
»Ich halte die Ohren und Augen offen. Was hast Du mit den Fremden vor?«
»Ich darf nicht tun mit ihnen, wie ich möchte, so lange der Ring am Finger des Johannes ist. Aber es ist ein Mann aus Habisch unter ihnen, der das Geschäft für mich besorgen wird – führe sie nach den Zwingern der Tiere und lasse die Lassiks einen Waffengang machen, oder einige der Bestien hetzen, indes ich die Gelegenheit benutze.«
»Dein Wille geschehe! Ich werde unterdeß die Nefiks sammeln, auf die wir uns verlassen dürfen. Doch müssen wir vermeiden, Ungehorsam zu zeigen um des Volkes willen.«
Die Nachricht, daß einer der Franken ein Hakim sei, hatte sich unterdeß durch ihre Begleitung in der Menge verbreitet, und von allen Seiten strömten Krüppel und Kranke herbei, die mit dem festen Glauben an die Wunderkräfte der europäischen Ärzte von Doktor Walding Rat und Heilung verlangten, bis auf einen Wink des Dais die Aufseher mit den Schambuks, den Peitschen aus der Haut des Nilpferdes, die Aufdringlichen zurücktrieben. Trotz der Beschäftigung, die er auf diese Weise so unerwartet gefunden, hatte der Arzt doch nicht aufgehört, seine Umgebung scharf im Auge zu behalten und die geheime Unterredung des Dailkebirs mit dem Dais wohl beachtet. Er folgte daher der Einladung, die Ställe des Scheichs zu prüfen, die im Grunde weiter nichts waren, als große Hürden, mit einem gewissen Mißtrauen, während der Engländer mit aller Begeisterung seiner Nation für den Sport dem Vorführen der einzelnen Pferde aus echt arabischem Blut mit dem größten Interesse sich zuwandte. Nach einem kurzen Wettrennen folgten die Europäer der Einladung, zu den Zwingern der wilden Tiere zu treten und diese in Augenschein zu nehmen. Es waren in der Tat nicht uninteressante Exemplare in den zum Teil durch Kunst oder Natur in dem mächtigen Grund des Felsens gebildeten Grotten verwahrt, vom riesigen Elefanten aus Kordofan, den Löwen von Dongolah bis zur Gazelle der Wüste.
Diese Gelegenheit schien der Dailkebir zu seinen Zwecken benutzen zu wollen, denn er näherte sich hier dem Lord und seinem Begleiter.
»Liebt der Beisädih die Jagd?« fragte er.
»Gewiß, Emir, ein großer Teil meiner weiten Reise hat ihr gegolten.«
»Dann kann ich ihm zu morgen eine solche auf die Elefanten versprechen. Die Jäger im Tal haben mir gemeldet, daß sie die Spuren der Schwerfüßler auf den Abhängen des Gebirges im Süden bis zu der Ebene hinab bemerkt haben.«
»Wie?« sagte der Arzt, »sollte es möglich sein, daß so gewaltige Fleischmassen eine starke Bergkette übersteigen und aus dem Quellengebiet des Nils so weit nach Osten kommen können, wo nach allen Erfahrungen ihre letzten Weideplätze sind. Viel eher hätte ich noch geglaubt, daß der Löwe …«
Der Assassine unterbrach ihn. »Jene Träger des Elfenbeins, die der weiße Hakim dort angefesselt sieht, sind in den Tälern des Djebel Langai gefangen worden. Der Elefant steigt eher über die Gebirge, als der König der Tiere, der träg und feig ist, wenn ihn nicht der Hunger oder der Durst peinigt. Hassan ben Simson, der gern seinen Freunden ein Vergnügen bereiten möchte, ehe sie das Gebiet von Gengarab verlassen, will, während sie den Kampfspielen seiner Jünglinge zuschauen und sich an einer Hetze des tückischen Leoparden ergötzen, mit einem schnellen Ritt sich selbst von der Anwesenheit der Spuren überzeugen, damit er für Sonnenaufgang seine Anordnungen zur Jagd treffen kann. Der »Falke«, mein schnellstes Roß, wird mich in einer Stunde zurückgetragen haben. Es wird gut sein, wenn ich Eure Feinde mit mir nehme, damit sich in meiner Abwesenheit kein Streit entspinnen kann.«
Ein Druck der Hand seitens des Arztes verhinderte jeden Einspruch des Lords, der am liebsten den Ritt selbst mitgemacht hätte. »Es sei, wie Du sagst, Emir. Sorge nicht um uns, es wird uns an Unterhaltung nicht fehlen.«
»Ich lasse den Dais Abdallah hier, der die Linguafranca so gut spricht wie ich selbst und für Euren Schutz sorgen wird. Bringt die Pferde herbei!« Lord Walpole sah mit möglichster Gleichgiltigkeit zu, wie der Assassine mit dem Habesch und dem französischen Offizier sich in den Sattel schwang und davonsprengte, dann folgte er dem Dais zu den Schranken, die gleich den Turnierplätzen des Mittelalters in einem Halbrund bestanden, nur statt der Holzbarrieren in diesem an Holz ohnehin armen Lande mit einem Wall von Steinen und Felsblöcken eingefaßt.
Hier sahen sie einige Zeit den Waffenübungen der jungen Krieger zu, die im Bogenschießen, Speerschleudern und dem Werfen der Messer oder im Gefecht mit Schwert und Schild bestanden, wobei viele der Krieger statt der gekrümmten orientalischen Säbel sich des langen graden Schwertes der Christen, wie ihre Vorfahren es zur Zeit der Kreuzzüge hatten kennen lernen, bedienten. Dazwischen wurde das Werfen des persischen Dscherrid oder stumpfer Lanzen wie es bei den Fantasias der Araber zu Roß und von dem Rücken der Dromedare üblich ist, von den Berittenen geübt, bis auf den Wink drei von ihnen mit scharfen Speeren in die Arena sprengten und von der andern Seite her einer der gefangenen Leoparden aus dem Käfig getrieben wurde.
Das Spiel gewann jetzt an Interesse für die beiden Europäer, die schon früher bemerkt hatten, daß von einem Altan der Burg her eine Anzahl Frauen den Übungen zusah, worunter trotz der Höhe des Felsens das Glas des Lords deutlich die Fürstin erkennen ließ.
Der Leopard, ein in diesen Gebirgen häufig vorkommendes Raubtier, ist trotz seines Blutdurstes und seiner Keckheit im Grunde eigentlich feig und furchtsam und entschließt sich zu einem Angriff auf Menschen nur, wenn er selbst verfolgt oder verwundet ist. Auch jetzt versuchte das Tier, ein großes starkes Männchen, zunächst die Flucht aus der Umhegung und erst, als es überall an den Punkten, die einen Durchbruch gestattet hätten, von den Lanzen der ringsumher verteilten Zuschauer zurückgetrieben wurde, die es umkreisenden Reiter es aber immer mehr bedrängten, unternahm es einen Angriff, indem es gegen die Pferde sprang, durch die Gewandtheit der Reiter aber verwundet leicht wieder zurückgetrieben wurde. Endlich gegen den Steinwall gedrängt, kauerte es sich eben zu einem kräftigen Sprunge gegen den vordersten Reiter auf den Hinterbeinen nieder, als Doktor Walding seine Schulter von einer fremden Hand berührt fühlte. Sich umwendend erblickte er den Jüngling Jesus, der ihn und den Lord zur Seite winkte und sie schweigend aus der Menge führte, deren Aufmerksamkeit jetzt dem Ausgang des Kampfes in den Schranken zugewendet war, so daß sie fast unbeachtet die Stelle erreichten, zu welcher der junge Assassine sie führte. Ein von Eisenstäben gebildeter, an Ketten hängender oben offener Kasten, den der Arzt durch einen Blick nach oben sofort als die an dem Torkrahn hängende Maschine erkannte – ein anderer Blick auf den jungen Assassinen belehrte ihn durch dessen bleiches erschrockenes Aussehen, daß sich etwas Besonderes ereignet haben mußte.
Mit Worten und Geberden drängte der Jüngling zum Einsteigen in die Maschine, und kaum hatten, mehr instinktmäßig als nach Überlegung, der Arzt und Lord Frederic in ihr Platz genommen, als er sich selbst gleichfalls hineinschwang und der Korb sofort in die Höhe stieg. Erst jetzt bemerkte die Menge auf den Ruf des alten Barbiers, mit dem der Dailkebir vorhin gesprochen, die fluchtähnliche Auffahrt und der Dais eilte herbei, dem der Dailkebir die Aufsicht über die Fremden anempfohlen. Vergeblich aber war ihr Rufen; der Eisenkorb schwebte wohl schon auf einem Drittel der Höhe und bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die jedem Nachklimmen auf der Stufentreppe weit zuvorkommen mußte.
»Was ist geschehen, Knabe?« fragte endlich während der Auffahrt in arabischer Sprache der Arzt. »Ist der Fürst plötzlich wieder erkrankt?«
Der Jüngling schauderte. »Frage nicht, Fremdling – Schlimmes hat sich ereignet. Die Khanum selbst sandte mich, Euch so schnell wie möglich zu holen – Eile tut not, es gilt Euer aller Leben, und Gabriel ist mit uns, daß er mich Euch finden ließ, ehe Hassan ben Simson zurückkehrt. Steigt aus und folgt mir zur Khanum!«
Sie mußten sich mit diesem unvollkommenen Bericht begnügen, obschon Lord Frederic wiederholt den jungen Mann mit Fragen nach der Fürstin drängte. Sie fanden zu ihrer Überraschung die Khanum bereits unter dem Gewölbe des Tors ihrer harren, den Professor am Arm haltend, der an keine Pergamente mehr zu denken schien; denn er stierte halb von Sinnen umher und hörte kaum auf die Worte der Khanum, bis er seinen stattlichen Zögling erblickte und sich diesem fast schluchzend in die Arme warf.
»Gott segne Deinen Anblick, teurer Freund und Zögling! By Jove, Mylord, ich flehe Sie an, lassen Sie uns diesen schrecklichen Ort verlassen, sobald wie möglich, und wenn es dem allmächtigen Gott gefällt, daß wir unser Leben verlieren sollen, so lassen Sie uns zusammen sterben als Christen wie es Ihnen und mir gebührt, obschon es allerdings schade ist, daß so viele mit Mühe und Gefahren erworbenen Beobachtungen der Mitwelt verloren gehen sollen!«
Die Khanum rief hastig dem Jüngling einige Worte zu, und dieser zog seine Begleiter tiefer in das Gewölbe des Tores. Gleich hinter ihnen rasselte das schwere aus starken Eisenstangen bestehende Fallgatter in seinen Falzen nieder und schlug in die Fugen.
»Befestigt es wohl!« befahl die Khanum, »und Du, Jesus, sorge dafür, daß der Eisenkorb an die Ketten gelegt wird. Nimm den Schlüssel zu Dir, und die Strafe ewiger Vernichtung über jeden, der es wagt, Gitter oder Krahn zu öffnen auf einen andern Befehl, als den des Scheich, der es bei diesem heiligen Ringe verbietet, den er zum Zeichen seines Wortes diesem Mann anvertraut hat!«
Sie hob fast mit Gewalt die Hand des blassen Gelehrten in die Höhe und streckte sie den Wächtern des Turms entgegen; an dem Zeigefinger des Professors sah der Arzt zu seinem Erstaunen den Ring funkeln, dessen Abdruck er vor wenigen Stunden dem Fürsten des Gebirges abgezwungen hatte.
Die bewaffneten Wächter des Eingangs warfen sich bei dem Anblick des Ringes demütig zu Boden und schlugen Stirn und Brust.
»Melde dem Herrn, oh Khanum, unsern Gehorsam!«
Zugleich brachte der Jüngling zwei mächtige eherne Schlüssel mit seltsam geformtem Bart, sodaß man wohl begriff, daß nur durch sie die Schlösser, zu denen sie gehörten, geöffnet werden konnten.
»Kommt! Jeder Augenblick Zögerung kann Euer Verderben sein!« Sie schritt eilig voran – noch immer unkundig dessen, was geschehen, folgten ihr der Lord und seine Freunde mit Jesus.
Die Khanum eilte durch den Korridor, der zu der Waffenhalle des Patriarchen, seinem gewöhnlichen Aufenthalt führte und schien alle unberufenen Lauscher sorgfältig entfernt zu haben, denn niemand begegnete ihnen, bis sie am Eingang selbst den Bärenjäger fanden, der einen gewaltigen eisernen Streitkolben gleich einem Gewehr auf der Schulter trug.
»Frage den Mann mit der Kraft eines Löwen, ob niemand das Gemach des toten Scheich betreten hat?« gebot die Fürstin dem Arzt.
»Großer Gott! Der Scheich ist gestorben in meiner Abwesenheit? Hast Du ihm denn nicht die Tropfen gereicht, als der Anfall kam?«
»Sieh selbst! Nicht Menschenhand oder die Krankheit hat den Mächtigen überwunden – seine eigene Schuld tat es! Frage diesen Mann, den wir an seinem Lager fanden, obschon er sonst kaum den Mut der Gazelle zu haben scheint!«
In der Tat schien der kleine Professor trotz der Anwesenheit seiner Freunde ihnen nur ungern zu folgen, als sie jetzt näher traten.
Der erste Anblick, der sich ihnen bot, war ein von der eisernen Keule des Trappers, der diese Waffe zum Kampf gegen die beiden Bestien aus der nächsten Gruppe gerissen, erschlagener Pavian, der seine widrige Gier im Kampf um die ihnen geraubte Beute mit zerschmettertem Schädel gebüßt hatte. Aber schrecklicher wirkte das zweite Opfer, obschon die Sorge der Khanum bereits das Widrigste des Anblicks beseitigt zu haben schien. Auf seinem Lager lag, die Glieder in hartem Kampf krampfhaft gebogen, der Körper des alten Mannes, von Blut bedeckt und mit gräßlichen Wunden Gesicht und Hände zerfleischt; das in Todeskampf herausgequollene Auge, die blaue Farbe des Angesichts, auch da, wo es weder durch Wunden noch durch Blut entstellt war, aber mehr noch die Spuren der sehnigen Krallen um den hagern Hals überzeugten den Arzt, daß der Tod durch Erwürgung erfolgt war.
»Welches Unglück, welches Verbrechen ist hier geschehen? Der Arzt hat das Recht der Frage, ich versuche nichts eher, als bis ich weiß, was geschehen?«
Die Khanum wiegte den Kopf. »Frage nicht, Hakim; es war der Wille des Urgeistes, und jede Hilfe ist vergebens – sein Leben ist entflohen. Als dieser Mann hier in die Henanah stürzte, nachdem ihm Jesus auf den Hilferuf des törichten Weibes den Weg hierher gewiesen, und er sie ihren Gefährtinnen zuwarf, eilte ich hierher, aber das Tier war bereits von dem Mann der Bücher, so schwach und schüchtern er sonst ist, verscheucht und flüchtete davon. Es muß sich nach dem Tod seines Gefährten auf den Hilflosen geworfen haben, um seine Wut und Blutgier an ihm zu kühlen.«
»Und kein Beistand war in der Nähe?«
Die Khanum wies verächtlich nach der Höhle, deren Gitter wieder geschlossen war.
»Ich ließ die Mohren, die selbst noch halb betäubt waren, von dem Rustam hier dort hinein werfen, damit sie das Geheimnis seines Todes nicht vor der Zeit verkündeten. Der Kopf der Halbmänner wird ohnehin büßen müssen für seinen Tod, denn das Geheimnis des Wie darf nicht verraten werden. Aber der Tod des Scheich kann nicht lange verschwiegen bleiben, und das schwarze Banner muß auf den Zinnen von Gengarab wehen; der Mann, der bestimmt ist, der Fürst der Berge zu werden harrt in der Nähe, wenn er, dem seine letzte Lebenskraft den Ring mit der grünen Schlange in die Hand drückte, nicht selbst den Thron der Homairi besteigen will.«
»Wie, Professor Peterlein, unser Gefährte?«
»Nimmermehr – um keinen Preis der Welt und alle Entdeckungen der Wissenschaft möchte ich noch etwas zu tun haben mit diesem Volk! Nur fort, fort Freunde von hier, wenn es möglich ist! Möge der Satan, dem sie dienen, all' ihre Pergamente und Geheimnisse holen!« Der kleine Gelehrte focht mit Händen und Füßen.
»Es wäre ein schlimmer Hohn auf das Gedächtnis dessen, der dem Urgeist sein Selbst zurückgegeben,« sagte trauernd die alte Frau. »Aber wir müssen uns den Zufall zu Nutze machen, denn bei der Erinnerung an die Zeit meiner Jugend und an den Glauben meiner Mutter habe ich mir gelobt, Euch zu retten, und mit Euch den letzten Sprossen seines Blutes, Jesus, damit er den Fluch Eblis besiege und ein Prophet des Kreuzes werde, zu dessen Glauben ich seine reine Seele von Kind auf vorbereitet habe. Doch unsere Zeit ist kurz und Ihr müßt den Weg ins Gebirge zurücknehmen noch in dieser Stunde. Denn ehe die nächste vergeht, wird hier Kampf und Mord sein, und wer kann sagen, wer den Sieg davon trägt, und was der Wille des Siegers sein mag.«
»Aber Wera – die Frau, die wir Dir anvertraut? Wir fliehen nicht ohne sie!«
»Sie ist bereits von der Notwendigkeit des schleunigsten Aufbruchs unterrichtet und befindet sich unter den Frauen im Kiosk, um keinen Verdacht zu erregen. Die Rosse sind bestellt und harren bereits jenseits der Zugbrücke. Es gilt jetzt, so lange der Tod des Scheikh noch verborgen bleiben kann, die Wächter am Turm und die Führer drüben zu täuschen und zum Gehorsam zu zwingen und dazu möge der Ring an dem Finger dieses Schwächlings uns dienen. Nehmt Abschied von der Leiche dieses Mannes. Jesus, mein Kind, er war der Ahne Deines Blutes, und auch wir müssen scheiden für dieses Dasein! Führe die Fremdlinge so rasch wie möglich nach dem Abhang des Gebirges gen Abend, dorthin, wo die drei Felsen jenseits des zweiten Tales hinausspringen in die Wüste, dort wirst Du den Scheikh der Abu-Bianah und ihre Gefährten finden!«
»Aber Hassan, unser bisheriger Führer?«
»Er möge seinen ehrgeizigen Schädel einrennen an dem Eisengitter von Gengarab! Der Ring der Homairi ist nicht für ihn bestimmt; ein Stärkerer als er wird ihn zwingen, den Kopf seines Rosses gegen Mitternacht nach Kahira zu richten, und selbst wenn er Euch verfolgen wollte auf dem Wege zum Nil, das schnellste Roß seines falschen Propheten würde drei Tagereisen brauchen, ehe es das Gebirge auf dieser Seite zu umgehen oder zu übersteigen vermag, während Euch der Weg einer Sonne schon in die Wüste bringt, wo das Wort eines Bianah-Kriegers Euch erwartet, dessen Stamm niemals das Wort brach. Nehmt von jenen Waffen, Fremdlinge, was Ihr nötig zu haben glaubt!«
»Und Du, Frau, was wird Dein Schicksal sein? Willst Du uns nicht begleiten?«
»Gott, Allah, oder der Urgeist, wie jener ihn nannte, wird über mir wachen, bis das Schicksal dieses Knaben erfüllt ist. Gehe mit meinem Segen, Jesus, Dein Sinn hat Dich stets von der harten Lehre abgewendet und zu dem mildern Glauben dessen gezogen, dessen Namen Du trägst. Weile nicht Kahira, denn Feinde würden auf Deinen Fersen sein, bis dieser Tag vergessen ist. Gehe mit den Christen oder schnüre deine Sandalen und wende Deinen Schritt zum heiligen Berge Sinai. Auf seinen Höhen sind die Klausen frommer Einsiedler jeden Glaubens, von Moses, dem Christ und von Mohamed. Dort prüfe selbst aller Lehren von dem Wesen der Allmacht und dem Zweck der Erschaffenen, und wenn Du geprüft und gewählt, dann sei einer der Propheten eines milderen Glaubens, als der ist, der Deine Jugend genährt. Vom Aufgang her kam Maria mit dem Kinde ins Land der Ägypter, daß es gerettet werde nach alter Schrift, vor dem Zorn des Herodes, und aus dem Ägypterland und tiefer Finsternis sendet eine andere Maria Jesus den Knaben, damit er ein Sieger werde des echten Glaubens unter den Völkern.«
Der junge Assassine war vor seiner Ältermutter in die Knie gesunken, und während die Tränen aus ihren welken Augen auf sein jugendlich lockiges Haupt strömten, küßte sie es. Dann führte sie selbst alle in den großen Vorhof der Burg gegen den Eingang derselben, wo bereits zahlreiche Gruppen der Bewohner der Burg versammelt waren und scheu die Köpfe zusammensteckten, denn das Unerwartete der gegebenen Befehle mußte doch Aufmerksamkeit erregt haben, wenn auch noch niemand gewagt hatte, der Khanum zu widersprechen. Auf ihren Wink klopfte Jesus an die Tür der Henanah und alsbald trat die Fürstin mit mehreren Frauen heraus, die sie bis zum Ausweg begleiteten, dann aber sich wieder zurückzogen.
Der Lord hatte die Hand der Dame genommen. »Wir müssen flüchten,« sagte er, »doch fürchten Sie nichts, wir schützen Sie mit unserem Leben; Gott hat uns aufrichtige Freunde gesendet, diese Frau und diesen Jüngling. Aber Eile und Entschlossenheit sind notwendig, und ich bitte Sie, vor diesen vielen Augen keinen Mangel an Entschlossenheit und Zuversicht oder Besorgnis zu zeigen. Wir sind bereit, edle Khanum. Nochmals Dank für Eure Gastfreundschaft und den Schutz des Scheichs. Laß den Inhalt dieses Beutels mit Theresientalern an die Diener der Burg verteilen.«
Der Hakim hielt den Beutel bereits unter dem Gewände bereit, und die wohlangebrachte Freigebigkeit diente dazu, die Männer, wenn sie etwa mißtrauisch geworden, jeden Einspruch gegen die Abreise ohne die Anwesenheit des Dailkebir aufgeben zu lassen.
»Der Fürst, unser aller Gebieter,« sagte die Khanum, »hat befohlen, daß die Fremdlinge noch in dieser Stunde Gengarab verlassen und dahin zurückkehren, woher sie gekommen waren. Der Beistand Allahs ist mit der Arznei dieses weisen Hakims gewesen, und der Scheikh Johannes bedarf seiner nicht mehr. Laßt die Brücke nieder, denn dort drüben harren ihrer bereits die Pferde. Dann aber soll nach dem strengen Befehl des Meisters dieser Weg weder zum Eingang noch zum Ausgange geöffnet werden bis zur nächsten Sonnenhöhe und bis ich ihm den Schlüssel an sein Lager bringe, denn nach dem Ausspruch des Hakims bedarf er nach dem Trank, den er genommen, der ununterbrochenen Ruhe, um neugestärkt und geheilt von all seinen Leiden zu erwachen.«
Diese Erklärung harmonierte übrigens so sehr mit allem, was sich über die Krankheit ihres Oberhaupts und die Wirkungen der Medizin verbreitet hatte, die ihm der fränkische Arzt verordnet, daß jeder Verdacht schwand. Die Brücke rasselte nieder, und die Europäer beeilten sich, sie zu überschreiten, von der Khanum bis auf ihre Mitte begleitetet.
Dort reichte sie Jedem die Hand zum Abschied, bis auf Jesus, der sie – der letzte von den Scheidenden – zurückhielt.
»Sage mir noch eins, Mutter,« sagte er, »und dann möge Dein Segen mit mir sein, wohin mich Dein Gebot sendet. Was soll mit dem Ringe geschehen, den der Fürst dem Franken anvertraut, wenn er ihn in meine Hand legt, oder willst Du ihn nicht lieber jetzt schon an Dich nehmen?«
»Ihr werdet seiner bedürfen, um drüben, wenn es nötig, den Gehorsam zu erzwingen. Dann aber, wenn Ihr in Sicherheit seid, Du hast aus dem Munde des Scheikh gehört, daß der Ringe drei sind, an die sich der Fluch und der Tod bindet, dann, Knabe, wenn es in Deine Hand gegeben ist, dann versenke ihn, wo das Meer am tiefsten, damit der Fluch Ismaels von den Menschen genommen und der Kampf geendet wird zwischen Eblis und Gabriel, zwischen Finsternis und Licht um die Herrschaft der Welt! Sei gesegnet, mein Sohn, in allem, was Du tust zu ihrer Erlösung.«
Sie wandte sich und trat in den Turm zurück, an dessen Riesenpfeilern die Brücke sich in ihren Ketten in die Höhe hob, und alle Verbindung mit den Pfaden des Gebirges abschnitt. Dann den gewaltigen Schlüssel auch hier an sich nehmend, kehrte sie nach einem letzten Blick auf die bereits um die Felsenvorsprünge verschwindenden Reiter zurück nach der Burg, und setzte sich, ihr Haupt verhüllend, neben der verstümmelten und von ihr bedeckten Leiche ihres Gatten nieder.
Erst als in ihren Schmerz die donnernden Schläge an das Eisengitter drangen, mit denen der zurückgekehrte und für seinen Ehrgeiz Unheil fürchtende Dailkebir Hassan den Eingang zur Burg zu erzwingen suchte, schob sie den Teppich zur Seite und öffnete noch einmal den Weg des geheimen Eingangs zur Tiefe.
»Steig herauf, Nureddin, neuer Scheich al Dschebal des Volks der Assassinen, und lehre jenen Ungestümen Gehorsam, der ihn nach Kahira sendet!«
Der Schein der Lampe stieg wie vorhin empor, doch rascher als vorhin und zitternd in der Begier der Herrschaft! –
Ohne auf Zögerung und Widerspruch zu stoßen, hatten die Reisenden, nachdem ihnen wie bei dem Herritt, die Augen von ihren Führern verbunden waren, den Ritt über das Gebirge fortgesetzt. Das Vertrauen, das der junge Assassine trotz seines geringen Grades und seiner Jugend beim Scheikh und auf Burg Gengarab genoß, war zu bekannt, als daß man nicht seinem bloßen Wort gehorcht hätte, ohne daß er zu seiner großen Freude die Macht des Ringes anzuwenden nötig gehabt hätte. Mit dem Morgen waren sie in das Tal gelangt, das sie beim Verlassen ihres improvisierten Lagers zuerst überschritten hatten, ehe sie die steile Bergwand emporstiegen, und seinem Laufe folgend, wandten sie sich, ohne ihr früheres Lager aufzusuchen, sofort nach Norden und setzten den ganzen Tag ohne Unterbrechung ihren Weg fort, gegen Abend erst sich und den ermüdeten Tieren in einem Seitental Ruhe gönnend. Sie hatten in der Tat die richtige Stelle gewählt, denn als sie am anderen Morgen dem sich nach der Wüste wendenden Passe folgten und an den vom Scheikh erwähnten drei mächtigen Felsblöcken vorüberkamen, fanden sie unterm Schutz des letzten, im Angesicht der Wüste, nicht allein die zurückgelassene Freunde, sondern auch den Scheich Abu Beckr mit seinem Knaben und den Reitern. Von ihnen vernahmen sie, daß der Bote, den schon mehrere Stunden vor ihrer Flucht aus Gengarab die Khanum noch auf Befehl des Fürsten abgesandt hatte, die drei Parteien in großer Aufregung getroffen hatte; denn der Scheikh der Abu-Bianah mit seinen Reitern war im Laufe des Tages an der Nadel der Wüste eingetroffen und lagerte dort, seinem Versprechen getreu, die kleine Karavane sicher durch die Einöde zu führen. Sofort wurde Achmet der Beduine an ihn abgesandt, um ihm das veränderte Rendezvous mitzuteilen, und Adlerblick traf seine Anordnungen so umsichtig und geschickt, daß die Zurückgebliebenen unterm Schutz der Assassinenwache noch in derselben Nacht ihren bisherigen Halteplatz verlassen und sich den Beduinen anschließen konnten, ohne daß die Reiter des Negus sie daran zu hindern wagten. Waren diese einmal bei dem Wüstenscheikh, so war die Gefahr eines Angriffs für sie nur gering, obschon es dem scharfen Auge des Trappers und seiner beiden Gefährten, des Sklaven Kumur und des Wüstenabenteurers Abu-Kassi nicht unbemerkt blieb, daß die Reiter des Dedschas in weiter Entfernung ihnen folgten, um sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Jetzt, nachdem sie durch die Ankunft der Flüchtlinge von Gengarab verstärkt worden und im Besitz zahlreicher Tiere für den Marsch durch die Wüste waren, brauchten sie die Gefahr nicht weiter zu scheuen, und nachdem Jesus ihre Führer von Gengarab her nach reichlich empfangener Belohnung mit ihren Tieren zur Burg zurückgesandt hatte, brachen sie alle unterm Schutz des Beduinen Abu-Beckr sofort auf und richteten ihren Weg in die nubische Wüste gegen Nordwest, indem sie beabsichtigten, das Dongolah im April mit dem steigenden Wasser des Nils zu erreichen und auf diesem die Fahrt gen Assuan und Kairo fortzusetzen. Freilich war dies ein an Entbehrungen und Gefahren reicher Zug von fast einem Monat, aber es war dem Lord gelungen, Abu-Beckr für diese Zeit zu gewinnen, und so machte die Gesellschaft sich getrost auf den Weg, all den wechselnden Abenteuern des wilden Weges sich überlassend. Schon am dritten Tage hatte die Verfolgung durch die abessynischen Reiter des Dedschas aufgehört, und Lord Walpole mit den beiden Trappern konnte sich von der Zeit ab unbesorgt dem Vergnügen der Wüstenjagd überlassen, die, je weiter sie nach Norden und Westen gelangten, freilich mehr und mehr auf die verschiedenen Arten der Gazellen und Antilopen und die zahlreiche Vogelwelt beschränkt blieb. –
Während selbst der Professor sich nach und nach von dem Eindruck der überstandenen Schrecken zu erholen begann und reiche Entschädigung durch seine, unterm Schutz von zweien der arabischen Reiter unternommenen Streifzüge in die Wüste, namentlich in bezug auf Mineralien, heimbrachte, und die Fürstin die Jäger häufig begleitete, hielt sich Doktor Walding stets an dem Hauptzug der kleinen Karawane und widmete Tank-ki ganz besonderes Interesse. Das Mädchen zeigte ihm großes Vertrauen und sah zu ihm auf, wie zu einem Vater, während ihre Stimmung immer trauriger wurde. Sie kam während des Marsches selten aus dem Korb aus dem Rücken des Kameels, das sie trug, und an den Halteplätzen hielt sie sich gleichfalls meist für sich.
Es war am zwölften Tage, als unsere Reisenden zuerst das Niltal und zwar am Tal (Wadi) Kenous, stark oberhalb Assuan, unterhalb des letzten Katarakts erreichten. Sie hatten noch eine Tagereise bis zu dieser, der südlichsten Stadt Ägyptens, dem alten Syene, von wo aus erst die Schiffbarkeit des Nils durch die Dampfschiffahrt eine größere Bedeutung gewinnt und wo die Sonne am längsten Tage keinen Schatten wirft, weshalb schon die Alten hierher den Eintritt in die heiße Zone verlegten. Aber der Lord war so begierig, die Wasserstraße zu erreichen, daß er beschloß, am nächsten Landungsplatz schon eine Dahabieh, eines der eigentümlichen Nilboote zu nehmen, und den Scheikh Abu-Beckr bat, einen Reiter vorauszusenden, um ein solches zu mieten. Der hatte durch Zufall den Beduinen Achmed getroffen und einstweilen lagerte die kleine Karawane unter Ruinen, die der Professor zu untersuchen wünschte, als plötzlich Jesus und der Knabe Murad erschienen und sich sehr erschrocken zeigten. Es hatte sich auf dem Wege zwischen den beiden eine große Freundschaft entwickelt, die ihren jungen Jahren entsprach, und fast stets sah man sie auf den Abschweifungen von der geraden Richtung der Karawane zusammen wandern.
Murad winkte seinen Onkel zur Seite und vertraute ihm, was sie gesehen: zwei Reiterhaufen, die von Osten und Südosten her, der letztere offenbar ihren eigenen Weg verfolgend, zum Nil zogen.
»Allah Kerim!« meinte der Scheich, »die Wüste ist groß, und es ist die Straße der Karawanen, die nach Assuan ziehen.«
»Aber es sind keine Karawanen,« behauptete Murad, »es sind gewaffnete Reiter, wir sahen von der Höhe der Felsen aus im Sonnenscheine ihre Waffen blitzen und Jesus, der ein Auge hat, wie der weißköpfige Falke, meint, daß es Reiter sind, die uns drei Tage lang durch die Wüste gefolgt waren.«
»Aber was gehen uns die Reiter vom Aufgang her an?«
»Es sind Homairi!« sagte der Jüngling ruhig. »Ich fürchte, daß es die Reiter des Dailkebirs sind, die sich am Ausgang des Djebels nach der untergehenden Sonne gewendet haben, um uns den Weg zum Nil zu verlegen. Wir haben gesehen, wie sich die beiden Züge vereinigt haben, nachdem sie Boten gewechselt hatten, und deshalb kamen wir, unsere Freunde zu warnen.«
»Wie weit sind sie noch entfernt?«
»Ihre Rosse kommen auf dem felsigen Grund nur langsam vorwärts,« sagte der scharfbeobachtende Knabe, »aber sie haben Richtung hierher genommen, und die Wirrnis der Felsen mag sie vielleicht noch eine Stunde aufhalten, wenn sie nicht vorziehen sollten, die Rosse am Aufgang der Schluchten zu verlassen und uns zu Fuß zu verfolgen.«
Die Nachricht war allerdings so wichtig, daß Abu-Beckr eilig einige seiner Araber absandte, die Fremden zu beobachten, bis man Gewißheit über Absichten und ihren Charakter hätte, und einstweilen alles zum Aufbruch bereiten ließ. Man war auf dem letzten Tagesmarsch allerdings nur langsam vorwärts gekommen, da sich hier die Gebirge von Osten her in einzelnen Ausläufern wieder bis zum Nil herabziehen, und, seinen Lauf hemmend, die berühmten ersten Katarakte bilden, sodaß der Weg mit Pferden und Kameelen nur in einzelnen Schluchten gemacht werden kann, und gewöhnlich nur Esel von jener kleinen Gattung benutzt werden, die wegen ihrer Ausdauer und Zähigkeit durch ganz Ägypten verbreitet sind.
Der Lord und der Arzt waren rasch von dem Scheikh herbeigerufen worden, während er an die anderen Begleiter den Befehl erteilte, sich zum Aufbruch fertig zu machen zum großen Bedauern des mit allerlei gelehrten Expeditionen beschäftigten Professors.
»Nach dem, was unser Führer erzählt,« behauptete der Gelehrte, »befinden wir uns hier bereits oberhalb der ersten Stromschnellen, oder des ersten Katarakts, bis wohin Se. Königl. Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen auf seiner zweiten Reise zum Nil im Jahre 1847 ging, nachdem Höchstderselbe fünf Jahre früher auf seiner ersten Reise bis über den zweiten Katarakt, also bis Ebsambol, gelangt war und die gefährliche Fahrt über die Fälle selbst, wo 150 Barken Ibrahim Paschas ein Jahr vorher gescheitert waren, unter Führung des berühmten Scheikhs der Katarakte unternommen hatte. Ich habe damals von seinem Begleiter, dem Leutnant Reclam vom Garde-Schützen-Bataillon, einen Vortrag darüber gehört und öfter mit seinem Hofstaatssekretär Strömer davon gesprochen, der ihn gleichfalls begleitet hatte. Aber ich erinnere mich nur, daß unterhalb des ersten Falles der Nil wieder seine Breite erreicht und selbst Dampfer bis Dandur heraufgehen können – – –«
Der Scheikh erhob die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle.
»Möge Allah geben,« sagte er, »daß Achmed uns gute Nachrichten bringt! Es ist wenig, was meine Reiter in diesen Felsen leisten können. Wo auch Eblis diese Söhne des Teufels hergeführt hat, es ist sicher, daß sie die Absicht hatten, uns zu begegnen, bevor wir Assuan erreichen, wo der Weg endet, den die Abu-Bianah Euch zu führen übernommen haben. Aber Abu Berck kennt nicht umsonst dieses Ufer. Laßt die Frauen aufsitzen, daß sie zum Nil flüchten, indes wir unsere Feinde aufhalten. Wir sind hier im Gebiet des Scheikhs der Katarakte, ich kenne ihn und es könnte Euern Verfolgern übel ergehen, wenn sie es wagen, uns hier anzugreifen.«
Aus dem Vergehen der Grenzüberschreitung und eines Einfalls in ägyptisches Gebiet schienen die Reiter des Abessyniers wie die des Assassinen sich jedoch wenig zu machen, denn einer der ausgesandten Späher, den Adlerblick zurückgeschickt, brachte die Nachricht, daß die verfolgende Schar am Fuß der Felsen Halt gemacht, ihre Pferde dort verlassen hatte und im Begriff stände, zu Fuß in die nächste Schlucht einzudringen. Bald darauf erschien der Trapper selbst.
»Jener Knabe hat richtig gesehen,« sagte er, »er hat ein scharfes Auge, und wenn er eine gute Erziehung erhält, kann ein tüchtiger Schütze und ein tapferer Soldat dieses schlimmen Landes aus ihm werden. Es ist in der Tat der General des Negus, der uns von Arkiko her verfolgt hat und der Franzose vom Schiff ist auch dabei. Hol' ihn der Teufel, ich hatte große Lust, die Kugel, die er mit seinem Pferde dort vor unserem Versteck parierte, ihm jetzt durch den Schädel zu senden, obschon er ein Christ ist, denn er verdient es nicht besser. Er ist rachsüchtiger, als eine Rothaut. Aber es ist noch ein dritter dabei, wenn mich nicht alles täuscht, den ich dort gleichfalls gesehen haben muß, und der dort auf unserer Seite stand. Ich habe keinen Begriff, wie es kommt, daß er jetzt zu unseren Gegnern gehört; aber in diesen verteufelten Ländern scheint Glauben und Ehrlichkeit überhaupt nicht zu herrschen, und ich habe mich daran gewöhnen müssen, seit ich Amerika verließ. Recht so, Brown; schicke die Weiber voraus, und an der nächsten günstigen Stelle wollen wir den Schurken unsere Büchsen zu kosten geben, wenn sie allzu neugierig werden. Bisher hätte uns ihr Knall nur verraten.«
»Wir brauchen uns nicht zu genieren, Adlerblick,« sagte der Angeredete, »und können unseren ehrlichen amerikanischen Namen in Gesellschaft unserer neuen Freunde immerhin führen. Der Name unseres alten Gebieters ist ihnen bekannt.«
»Meinetwegen,« meinte der Kanadier; »da unser Kontrakt doch in Paris endet und wir entschlossen sind, nach den Prairien zurückzukehren, um dort unser Grab zu finden, bleibt sich die Sache gleich. Aber laß Abu Beckr seine Leute zurückziehen und Lord Walpole bestimmen, wer die Frauen in Sicherheit bringen soll; denn mir scheint, daß wir uns hier auf einem für einen Hinterhalt ziemlich geeigneten Platz befinden.«
Der Rat des Trappers war in der Tat gerechtfertigt. Nach der Mitteilung des Scheikh, der sofort Boten absandte, seine Leute zurückzurufen, trennte sie nur noch ein geringer Bergrücken von der fruchtbaren Niederung des Nils, an dessen Ufer mehrere arabische Dörfer liegen mußten. In eines von ihnen war der Bote zum Mieten einer Dahabieh und der nötigen Ruderer gesandt worden. Professor Peterlein, Kumur und der Knabe Jesus mit einigen der Araber wurden bestimmt, die Frauen zu begleiten und sämtliche Reittiere mit dem Gepäck nach der Niederung zu bringen, und die Fürstin hatte sich an die Spitze des Zuges gestellt. Dagegen hatte selbst der Befehl seines Oheims den Knaben Murad nicht dazu vermocht, den Zug zu begleiten, und nur seine treue Stute hatte er einem der Araber übergeben.
Während der Zug die Anhöhe so rasch wie möglich hinaufstieg, hatten der Scheikh und die beiden Trapper ihre Gefährten möglichst vorteilhaft placirt, und kaum war dies geschehen, als man auf der andern Seite des Passes Männer heraufsteigen sah, deren Jubelruf sofort erkennen ließ, daß sie den Zug der Frauen im Emporsteigen erblickt hatten und sich am Ziel ihrer Verfolgung glaubten. Es waren El-Maresch und seine abgesessenen Reiter, die zunächst herbeikamen; an der Seite des Dedschas noch immer der Franzose! In einiger Entfernung hinter ihnen sah man die flatternden Gewänder der Assassinen, an ihrer Spitze den Dailkebir in ruhiger Haltung.
Den Europäern hätte es widerstrebt, die Herankommenden unerwartet mit einer Flintensalve zu begrüßen, aber, weniger bedenklich als sie, empfingen Abu Beckr und die seiner Gefährten, die mit einer alten Flinte bewaffnet waren, sie mit einer Salve, die freilich wenig Schaden tat, da die Gewehre meist nur alte Kommißflinten waren, und die Araber ohnehin nicht besondere Schützen sind. Doch genügte die Verwundung eines der besser bewaffneten Abessynier, sie zu größerer Vorsicht zu mahnen und gleichfalls ihre Deckung suchen zu lassen. Von dem Augenblick an entspann sich ein lebhaftes Feuergefecht, in dem jeder der Schützen sich möglichst zu decken strebte, doch rückten die an Zahl offenbar viel stärkeren Verfolger immer vor, indem sie auf beiden Seiten die Reisenden zu überflügeln suchten.
Die Assassinen, die keine Gewehre führten, schienen sich ganz von dem Kampfe zurückgezogen zu haben, denn sie waren von der Stelle verschwunden, an der man sie früher gesehen hatte.
Von der Gesellschaft des Lords war bisher nur einer der Araber erschossen worden, der sich unvorsichtig aus der Deckung gewagt, aber es konnte kein Zweifel darüber sein, daß die Gegner vordrangen.
»Es wird Zeit, daß die braunen Burschen eine Lektion erhalten,« bemerkte der Trapper Adlerblick. »Ha, das galt Ihnen, Mylord, und der Schuß kam von rückwärts. Hölle und Teufel! Sie haben uns wahrhaftig überlistet und uns den Weg versperrt!«
Ein Ruf des Knaben Murad und dessen Geberden hatte ihn nach rückwärts blicken und bemerken lassen, daß der Zug der Frauen eben die Höhe des Grates erreicht hatte und auf der anderen Seite niedersteigend verschwand, aber zugleich sah er, daß zwischen ihnen und den Frauen bereits sich der größte Teil der Krieger des Dedschas und dieser selbst mit dem Franzosen befand, und der Ausgang ihrer eigenen Stellung nach dem Nil hin von dem Hosseini gesperrt war.
Es bedurfte nur eines Augenblicks, um die beiden Europäer bemerken zu lassen, daß sie so zwischen zwei Feuer geraten und gleichsam in einer Falle waren. Der Dedschas und seine Krieger schienen sich indes weniger um sie zu bekümmern, als um die weitere Verfolgung der Flüchtlinge, die ihnen jetzt nicht mehr entgehen konnten. Dennoch hatte es eben nur des einen Blickes und dieser Erkenntnis ihrer Lage bedurft, um den jungen Engländer seinen Entschluß fassen zu lassen.
»Lassen Sie Abu Beckr diesen Posten halten, Doktor,« sagte er kurz, »damit wir nicht von hinten angegriffen werden; wir selbst müssen uns durchschlagen zur Fürstin um jeden Preis. Smith! Brown! Wenn Sie die Männer sind, für die ich Sie halte, so werden Sie uns nicht im Stich lassen!«
»Niemals, Mylord! Fragen Sie den Doktor! Aber einen Augenblick! Ich glaube, es wird gut tun, zuvor dem braunen Schuft einen Denkzettel zu geben!«
Mit Blitzesschnelle lag seine Büchse im Anschlag und gleich darauf krachte der Schuß. Man sah an der Höhe hinauf den Dedschas selbst mitten zwischen seinen in der Verfolgung begriffenen Kriegern taumeln, die Faust drohend gegen sie heben und dann die Anhöhe herunterrollen. »Und jetzt, Ralph,« sagte der Schütze kaltblütig, »wird es Deine Sache sein, durch diese hier uns Bahn zu brechen!«
Er wies auf die Reihe der Assassinen, die, ihre Speere gesenkt, den Ausgang des bisher von den Reisenden verteidigten Hohlwegs gesperrt hielten, eine trotz ihrer Jugend nicht zu verachtende Phalanx, denn hinter ihr, sie zum Widerstand ermunternd und ihn leitend, stand der Dailkebir.
»Gebt Raum! Laßt uns durch! Was seid Ihr mit unsern Feinden?«
»Diebische Franken!« schrie der Assassine, seine Streitaxt schwingend. »Ihr habt den Ring der Hosseini gestohlen! Gebt den Raub heraus und Ihr mögt frei ausgehn – sonst soll keiner dem Tod entrinnen!«
»Den Ring?«
»Den Ring des Scheikh al Dschebal, den Ihr aus Gengarab geraubt durch das falsche Weib. Her mit dem Ringe, der mir allein gebührt!«
Der Lord blickte erstaunt auf den Arzt und ließ die bereits zum Angriff erhobene Büchse sinken. »Den Ring, Doktor, wo ist er? Wer dachte noch an den Ring! Wissen Sie davon?«
»Der Knabe Jesus hat ihn – er ist voraus!«
Es war mehr das Brüllen eines wilden Tieres, was Hassan der Dailkebir ausstieß bei dieser Nachricht. »Dann ihm nach – der Ring gehört mir! Er und Ihr alle sollt sterben bei Eblis!« Und den Seinen winkend, ihm zu folgen, stürzte er selbst aus der Schlucht und eilte den Abhang hinauf.
Diesen Augenblick benutzten natürlich der Lord und seine Freunde, das Freie zu gewinnen. Bunt durcheinander, Freund und Feind, eilten sie die Anhöhe hinauf, von der ihnen zu ihrem Erstaunen die Krieger des Dedschas gleich einer Welle, die sich am Strande gebrochen, entgegenfluteten. Schüsse knallten hinter ihnen drein, auf dem Gipfel des Grates erschien eine Schar von Männern und immer mehrere, Europäer und Beduinen durcheinander, quollen ihnen nach und trieben die Dedschas in wilder Flucht vor sich her!
»Festgestanden, Vetter Frederic!« klang eine laute Stimme, »keinen Pardon, Freunde, den Räubern der Wüste! Hurrah für Alt-England, wir kommen zu rechter Zeit!«
Der Lord blieb erstaunt stehen. »Um Himmelswillen! – diese Stimme kenne ich – das ist der Graf von Lerida …«
»Dein toller Vetter Juan, dessen Streichen der weise Walpole nichts mehr nachgibt mit diesem Zug durch die Wüste! Davon später, jetzt laß uns an sie!«
»Die Fürstin! Bist Du den Frauen begegnet, Juan?«
» Caramba! Wenn das die russische Fürstin ist mit ihren Diamanten und Smaragden, so muß ich Dir sagen, Vetter Frederic, Du hast keinen üblen Geschmack – sie ist in Sicherheit, hoffentlich bereits am Bord meiner Barke. Vicomte von St. Bris hat es übernommen, für sie zu sorgen, indes wir Dir zu Hilfe eilten. Ich muß gestehn, Du schleppst seltsame Gesellschaft mit Dir umher und scheinst an Abenteuern so wenig Mangel gehabt zu haben, wie ich. Wer sind die Bursche da, die so trotzig ihre Speere uns entgegenstrecken gleich einem Stachelschwein? Nieder mit den Waffen oder eine tüchtige Salve soll ihnen allen den Garaus machen!«
In der Tat hatte sich das Blatt wie mit einem Zauberschlage gewendet. Während rechts und links bewaffnete Beduinen, nach dem Wort eines alten graubärtigen Mannes in der Uniform eines ägyptischen Offiziers die Krieger des erschossenen Dedschas vor sich hertrieben, die in wilder Flucht den Felsenpaß zurück zu gewinnen suchten und dabei in die Hände des Scheikh Abu-Beckr und seiner Araber gerieten, hatte sich die kleine Schar der Hosseini um ihren Anführer geschart, ihn gleichsam im Karree umgebend, und streckte ihre Speere trotzig jedem Angriff entgegen, sich langsam zurückziehend, da der Dailkebir wohl einsehen mochte, daß diesem so plötzlich erschienenen übermächtigen Feinde gegenüber jeder Versuch einer weiteren Verfolgung der Frauen und ihrer Begleiter mehr als vergeblich sein mußte und nur mit ihrem vollständigen Untergang enden konnte. Finsteren Blickes stand der Dailkebir in der Mitte der Seinen, noch nach einem Entschluß ringend, während sich eine immer größere Zahl von Arabern um seine Schar sammelte und nicht übel Lust zu haben schien, über sie herzufallen, als der Lord mit Doktor Walding und seinem Vetter ihnen näher trat.
»Emir,« sagte er »wenn Du auch, wie ich fürchten muß, Schlimmes mit uns vorhattest, so ist doch noch nichts geschehn, was uns vergessen lassen kann, daß Du zuerst Dich uns freundlich erwiesen und uns Schutz gewährt hast gegen die Verfolgung der Habesch. Wenn Ihr die Waffen niederlegt und geloben wollt, friedlich in Eure unheimlichen Berge zurückzukehren, mögt Ihr ungefährdet Eure Pferde aufsuchen, sobald wir das Schiff dieser Franken bestiegen haben, und es sei Frieden zwischen Euch und uns. Entscheide Dich rasch; denn wie mir meine Freunde sagen, ist das Bot zur Abfahrt bereit!«
»Möge Dein Schatten lang sein, Aga,« sagte der Scheikh Abu Beckr, der mit dem ägyptischen Offizier herbeigekommen war, den er wohl zu kennen schien. »Du denkst doch hoffentlich nicht daran, diese Söhne des Teufels, die Allah in unsere Hände gegeben hat, ungekränkt zurückkehren zu lassen? Dieser Mir Alai ist der Scheikh der Katarakte und mein Freund. Sein Beistand ist es, der uns alle gerettet hat. Was soll aus uns werden, wenn diese Verworfenen, die vorgeben, an den Propheten zu glauben und nichts sind, als Anbeter des Teufels, sich an uns rächen für ihre Niederlage? Noch hat niemand Gutes gehört von einem Ismaeliten.«
»Ich denke, Freund Abu Beckr,« beharrte nach einer kurzen Beratung mit dem Arzt und dem ägyptischen Offizier der Engländer auf seiner Entscheidung, »wenn diese Männer ihre Waffen abgeben, haben sie in langer Zeit nicht die Macht, Dir oder anderen zu schaden, und es würde sogar übel sein für Deinen Stamm und selbst für die ägyptische Regierung, die, wie ich höre, gegenwärtig mit ihnen in Frieden lebt, ihre Rache zu reizen. Was uns betrifft, so sind wir ganz aus ihrem Bereich, sobald wir auf dem Nil sind, denn wir finden in Assuan das Dampfschiff meines Verwandten, der nur um die Katarakte zu sehen, seinen Weg bis hierher ausgedehnt hat und ursprünglich nur in Assuan nach uns bei den Karawanen forschen wollte. Du aber, Freund Abu, magst als Zeichen unserer Dankbarkeit außer dem bedungenen Lohn die sämtlichen Reit- und Lasttiere nehmen, mit denen es uns gelungen ist, unter Deiner Führung die Wüste zu durchkreuzen; Du findest Schutz genug hier, bis Du zu den Zelten Deines Stammes zurückkehren kannst.«
Der reiche Lohn, der ihm auf diese Weise zufiel, beseitigte sofort alle Einwendungen des Wüsten-Scheikhs, und er hob die Großmut des Beisädih in den Himmel.
Der Dailkebir hatte noch immer schweigend der Beratung über sein Los zugehört; auf seinen Wink legten jetzt die Assassinen ihre Waffen auf einen Haufen, und er selbst wandte sich nun an den Lord.
»Will der Beisädih jetzt, wo Frieden ist zwischen unseren Stämmen Hassan Ben Simson den Ring zurückgeben lassen, daß ich ihn nach Gengarab zurückbringen mag? Der Knabe Jesus wird meinen Befehlen folgen.«
»Ich kann ihm dies nicht gebieten, denn ich habe kein Recht dazu. Wenn er sich ohne Zwang bereit erklärt, mag er es tun, obschon nach allem, was ich gehört und wahrgenommen, es besser sein dürfte, dieses unheimliche Symbol der Macht wäre weder in Deiner noch in der Hand eines andern Mannes aus Deinem Stamm.«
»Soll ich Dich also zu ihm begleiten?«
»Nein; Du magst am Ufer seinen Entschluß erfahren!«
Der Assassine preßte die Zähne zusammen. »Den Entschluß eines Knaben? Machst Du einen Mann wie mich davon abhängig?«
»Eben darum soll sein Entschluß frei sein, da er nicht nach Gengarab zurückkehren wird.«
»So ist er ein Abtrünniger geworden von dem Glauben seiner Väter? Fluch ihm und meiner Blindheit! Du bist ein Tor, Christ, daß Du Eblis auf seine Fersen hetzest; denn wisse, wer der grünen Schlange geschworen, ist ihr verfallen für immer.«
»So mag es Dein finstrer Glaube lehren; der Glaube der Christen lehrt die Erlösung vom Teufel – jedenfalls soll der Entschluß des Jünglings frei bleiben. Aber wen haben wir hier? Herrn de Thérouvigne, meinen unversöhnlichen Gegner. Ihr wißt vielleicht gar nicht, Vetter Juan, daß Du da einen französischen Offizier zum Gefangenen gemacht hast, der sich den Banditen der Wüste angeschlossen hatte, nur weil ich ihm für eine eingebildete Beleidigung die unter Toren übliche Genugtuung verweigert hatte. Er ist ein Verwandter der Fürstin und ich bitte Dich, ihn frei zu geben; er wird in Assuan leicht Gelegenheit finden, Kairo zu erreichen.«
Der Graf zuckte die Achseln. »Saint Bris hat ihn zum Gefangenen gemacht, wobei er einen Säbelhieb in die Schulter davontrug. Er mag über sein Schicksal entscheiden. Das erinnert mich daran, daß Du mir gesagt hast, Du hättest einen Arzt in Deiner Begleitung, der früher in Indien war. Vielleicht kennt ihn der Oberst, der im Dienst der Rhani von Ihansi stand. Wir finden ihn an Bord der »Victory« in Assuan, wo er die Nachforschungen nach Euch leitet, indes ich mir es nicht versagen konnte, die Katarakte zu besuchen – zum Glück für uns alle.«
Doktor Walding war dem Sprecher näher getreten, mit dem ihn der Engländer bereits, während sie zu den Ufern niederstiegen, flüchtig bekannt gemacht hatte.
»Sein Name, Herr?«
»Oberst Grimaldi oder Maldigri, wie er sich in Indien nannte!«
»Marcos Maldigri – Heiliger Gott, welcher wunderbare Gang des Menschen-Schicksals führt uns hier zusammen! O, erzählen Sie mir von ihm und seiner damaligen Herrin! Auch ich kannte sie.«
»Bah, Doktor, wir werden Zeit genug dazu an Bord haben,« entgegnete der Graf von Lerida, »denn Sie müssen wissen, daß auch ich zu den alten Indiern gehöre, wenn auch meine Abenteuer dort nicht von Bedeutung sind. Ich traf in Rom wieder mit ihm zusammen, und er erbot sich, mich auf der Nilfahrt zu begleiten, nachdem uns Graf Boulbon von Deinem tollen Projekt erzählt hatte, statt mit ihm über Suez zu gehn, den Weg quer durch die Wüste zu nehmen. Caramba, Vetter! Nur ein Vollblut-Engländer kann auf solche Ideen kommen. Monsieur de Thérouvigne, ich denke, es wird Ihnen wohl nichts übrig bleiben, als mit uns an Bord zu gehn; denn eben fällt mir ein, daß wir schwerlich vor Kairo auf ein französisches Konsulat stoßen werden. Dort mögen Sie mit Ihrer Regierung das Weitere abmachen. Das geht uns nichts an, denn von uns sind Sie im ehrlichen Kampf gefangen genommen worden.«
Der Franzose blickte noch immer stumm vor sich nieder und rang offenbar mit einem Entschluß. Er mochte wohl fühlen, wie töricht und unwürdig er sich von seinem Groll und seinem Vorurteil hatte hinreißen lassen, und nur sein Stolz hinderte ihn noch, dies offen einzugestehn. Vor allem war es die in Gengarab gemachte Entdeckung, wessen Werkzeug er gewesen, was ihn demütigte. So folgte er verdrossen den Vettern und Ihren Freunden, nachdem man ihm auf den Befehl des Spaniers die Bande abgenommen, die seine Arme aneinander schnürten.
Schon als sie an der andern Seite der Höhe niederstiegen und den Fluß in seiner ganzen Breite vor sich sahen, wie er sein grünliches, trübes Wasser durch das Tal wälzte, der kaum eine halbe Stunde entfernten letzten Felsenge zu, erkannten sie, daß jede Gefahr für sie vorüber war. Ein Lager von Zelten und Erdhütten erhob sich am Ufer, und die Reisenden erfuhren, daß es Vorbereitungen wären für die Aufnahme einer neuen Expedition, welche Said Pascha über die Fälle hinaus gegen die Negerstämme von Darfur und Kordofan rüstete. Somit erklärte sich auch die Anwesenheit des Scheich der Katarakte und seiner zahlreichen Untergebenen. Noch waren die Truppen nicht den Nil heraufgekommen, aber Assuan bereits als ihr Sammelpunkt bestimmt und der Scheikh eben im Begriff, sich dahin zu begeben, um weitere Befehle einzuholen.
In geringer Entfernung vom Ufer ankerten mehrere der eigentümlichen Nilboote, Dahabiehs genannt, und von dem Hüttendeck des größten grüßte sie bereits das Wehen eines Tuches, das die Hand der Fürstin ihren Freunden entgegenschwenkte. Neben ihr sah man die kleine, in ihrer halb morgenländischen, halb abendländischen Tracht seltsam aufgeputzte Gestalt des Berliner Professors und die wehenden weißen Gewänder des jungen Assassinen. Stumm und finster blieb der Dailkebir bei diesem Anblick stehen, der ihm wenig Aussicht auf die Erreichung seines Ziels versprach. Dennoch machte er noch einen letzten Versuch, es zu erreichen, indem er den Engländer anredete. »Wird der Beisädih sein Wort halten und mit jenem ungetreuen Knaben sprechen? Diese Wachen der Ägypter lassen mich nicht weiter vorangehen – wie soll ich es erfahren, ob er bereit ist, den Ring der Homairi zurückzugeben? Sage ihm, daß Hassan ben Simson ihm die Schätze von Gengarab dafür bietet!«
Der Lord bedeutete ihm, zurückzutreten, er selbst eilte nach dem Ufer, um das Bot möglichst rasch zu betreten. »Wenn der Knabe sich bereit zeigt, soll eine rote Flagge es Dir verkünden. Aber täusche Dich nicht, Emir, Deine Macht ist hier zu Ende. Lebe wohl, Hassan, und möge Dein Allah Dir bessere Einsicht geben über den Zweck unseres Lebens. Dort winken meine Freunde!« Er verließ den Assassinen und eilte der Planke zu, die ihn an Bord der Dahabieh führte; die finstere Lehre von Tod und Vernichtung lag hinter ihm – ein neuer Zweck, ein neues Dasein tat sich ihm auf. – – – – – – – – –
Eine Stunde später hatte die Dahabieh die Seile gelöst, die sie am Ufer zurückhielt, denn der Scheikh drängte zur Abfahrt und stand jetzt selbst am Steuer, das sie nach der Mitte des Stromes lenkte, wie die Flut rascher und rascher der letzten Felsenge entgegenschoß.
Es war ein buntes Gedränge unter dem Sonnenzelt, das man über dem Boot ausspannte, denn obschon manche der Eingeschifften auf einer zweiten Barke ihren Platz gefunden, saßen doch sämtliche Hauptpersonen in der vom Scheikh selbst gesteuerten und gewannen jetzt erst Zeit und Gelegenheit zum Erzählen, wenn nicht der Eindruck der immer wilder sich gestaltenden Ufer sie in Anspruch nahm.
Enger und enger tritt hier das letzte Felsenbett des gewaltigen Stromes auf seinem Wege zum Meer zusammen, und rauhe Steinblöcke häufen sich bis fast in die Mitte hinein, sodaß eine feste Hand des Steuermanns und eine genaue Kenntnis des Fahrwassers dazu gehört, die Gefahr zu vermeiden. Das Geschrei der Ruderer, der schrillende Befehlruf des Kapitäns selbst wurden fast unhörbar unter dem Brausen der schäumenden Flut, die bei der geringsten Unvorsichtigkeit sie verschlingen konnte. Auf dem Dach der Hütte neben dem am Ruder mit seinem Gehilfen steuernden Scheikh sah man die leichte luftige Gestalt des Jünglings Jesus in tiefen Gedanken stehen, gleichgiltig gegen die Gefahren umher, als vermöchten sie ihm nichts anzuhaben, und als könne sein Fuß ihn über das Tosen der Wässer führen, das die unerschrockenen Männer auf der Spitze des Schiffes beobachteten. Sinnend betrachtete er einen Gegenstand an seiner Hand, auf den der Sonnenstrahl einen grünen Blitz warf.
Da drang plötzlich durch das Toben der Wellen und das Geschrei der Matrosen ein mächtiger gewaltiger Ton, der sie alle hinüber nach dem linken Ufer des Stroms blicken ließ. Auf einem der vorspringenden Felsblöcke, unter denen die Stromschnelle vorübersauste, sah man einen Mann stehen, der eben das Horn vom Munde hob, dem er jenen Ton entlockt. Der im Luftzug wehende schwarze Mantel, der Silberhelm mit Turban und Feder und die Klarheit der Luft ließen ihn selbst in dieser Entfernung erkennen. Es war der Dailkebir, der Assassine Hassan ben Simson. Drohend hob der Finstere die Rechte und schüttelte sie gegen das Schiff. »Gebt den Ring oder seid verflucht in Eblis Namen!« donnerte über das Wasser her sein Ruf, und erschrocken fuhr der Lord empor, denn jetzt erst gedachte er des gegebenen Versprechens, das das Gewühl der Einschiffung und Abfahrt ihn vergessen gemacht. »Den Ring! den Ring!« donnerte es nochmals über das Wasser her, auf dem die Dahabieh dahinschoß. Da hob der blonde Jüngling auf dem Kajütendach die Hand. – – »Wo das Meer am tiefsten ist! sagte die Khanum,« murmelte seine Stimme, »möge es ewig verschwinden aus dem Angesicht der Menschen, das Symbol der Finsternis vor der Herrschaft des Lichts!« Und weit hinaus über Bord in den Strudel der Wässer flog es wie ein züngelnder grüner Blitz, der Jüngling aber sank betend nieder in die Knie, während hinter der Barke her ein dunkler Körper sich in die rastlosen Fluten warf.
»Dreht bei! Ein Mensch im Wasser! Helft, werft Taue aus!«
Törichter Wahn! Nicht Menschenmacht hätte auf diesen Fluten die Barke auch nur einen Moment aufzuhalten, aus dieser Gewalt ein Leben zu retten vermocht, im nächsten Augenblick war das leichte Schiff weit, weit über die Stromschnelle hinaus, die Gefahr glücklich überstanden, und nach kaum einer Viertelstunde schaukelte das Boot auf dem ruhiger in flacheren Ufern sich ausbreitenden Strom, der sie bald alle auf dem Dampfschiff an den Denkmälern alter Herrlichkeit vorüber zur Kalifenstadt und zum Meer führen sollte und zu Ländern, wo die Zivilisation und das Kreuz regiert. –